Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 32: Die Winter-Odyssee ------------------------------            Kurz vor drei Uhr waren die beiden Dämonenbrüder wieder in ihrem Zuhause in Tokio angekommen. Lange hatte Siberu dort allerdings nicht bleiben wollen; er wollte sofort zu Green. Wenn sie irgendwo war, wo es kalt war, wo es schneite, dann brauchte sie deren Hilfe – sie beide wussten doch besser als alle anderen, wie sehr ihr die Kälte zu schaffen machte. Sie mussten ihr helfen! All seiner Motivation zum Trotz  war Siberu aber nicht in der Lage, irgendjemanden zu unterstützen; das jedenfalls sah Gary – sein Bruder natürlich nicht. Er beachtete seine blutenden Handgelenke gar nicht und wollte überhaupt nichts davon hören, dass sie erst einmal eine Behandlung benötigten – das seien nur Kratzer. So hatte er sie genannt. Aber Gary hatte nicht mit sich reden lassen, denn anders als sein Bruder sah er sehr wohl, dass das nicht einfach nur „Kratzer“ waren. Das waren Wunden, die von Magie herbeigeführt worden waren – damit war nicht zu spaßen und das fand der aufgeregte Rotschopf auch schnell heraus, als Gary ihn trotz Siberus Protesten ins Badezimmer schleppte und das heiße Wasser ihn dazu brachte, vor Schmerzen die Zähne zusammenzukneifen. „Du musst dir keine Sorgen machen – Grey-san hat sie sicherlich schon längst abgeholt.“ „Glaubst du das wirklich? Dieser Typ, der sich einen großen Bruder schimpft, hat immerhin auch nichts von Green-chans Schneetrauma gewusst.“ Nein, Gary konnte dafür nicht seine Hand ins Feuer legen. Aber er wollte selbst daran glauben – eigentlich gab es ja auch keinen Grund anzunehmen, dass Grey Green nicht sofort zu sich holen würde. Nein, es gab dafür wirklich keinen konkreten Anhaltspunkt, aber dennoch… Gary wollte es lieber mit eigenen Augen sehen; sehen, wie Green in Sicherheit war, und sich nicht mit den plagenden Gedanken herumschlagen, dass Green womöglich irgendwo im Schnee herumirrte… Ach, das war schwachsinnig… sie hatte eine Aura, sie konnte gespürt werden, es würde ganz schnell gehen und schon war sie wieder im Warmen und in Sicherheit; in Sicherheit vor ihren eigenen Albträumen. „Ich muss meine Worte wohl zurücknehmen.“ Gary horchte auf, als Siberu das sagte. Während Gary die Handgelenke seines Bruders mit einer schmerzlindernden – und hoffentlich vorbeugenden – Creme einschmierte, war das Gesicht des Rotschopfes blasser geworden. Es war sehr deutlich, dass er große Schmerzen hatte und dass die Creme zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls keine Wirkung zeigte. Aber leider wunderte Gary das nicht; Siberu hatte den Bogen eindeutig überspannt… es konnte sein, dass er Narben davontragen würde. Komisch, dass Gary noch kein Wort davon hörte. „Was meinst du?“ Trotz dem Schweiß auf seinem Gesicht grinste Siberu, während Gary sich nun daran machte, seine Handgelenke zu verbinden: „Naja, das was ich vorhin über dich und Green-chan gesagt habe.“ Gary konzentrierte sich auf das Verbinden und versuchte, nicht rot zu werden: „Ich weiß nicht, auf was du anspielst…“ „Ach, komm schon, Aniki, natürlich weißt du das“, antwortete Siberu mit einem Seufzen: „Ich meine als ich sagte, dass Green-chan dich nicht vermissen würde.“ „Ach das…“ Gary versuchte gleichgültig zu klingen, aber Siberu konnte er natürlich nicht hereinlegen. Dennoch schwieg er kurz, wartete ein wenig, wie Gary es vorkam, und sagte dann lachend: „Du bist in der Bibliothek ja ganz schön an die Decke gegangen. Ungewöhnlich und das von dir!“ Jetzt sah Gary auf, aber nur kurz, dann wandte er sich wieder Siberus linker Hand zu: „Ich fand eigentlich, dass ich verhältnismäßig ruhig geblieben bin.“ „“Verhältnismäßig“, pah! Wer dich kennt, hat das Brodeln hinter deiner ruhigen Fassade doch bemerkt. Gut, viele kennen dich nicht– aber ich habe es auf jeden Fall bemerkt…“ Gary schmunzelte ein wenig; sein Bruder klang fast stolz. Aber worauf? Stolz, das sagen zu können oder stolz darauf, dass Gary in der Bibliothek seine Worte nicht hatte beherrschen können? „… und Green-chan hätte es sicherlich auch bemerkt.“ Siberu hatte kurz weggesehen, aber dennoch hatte er bemerkt, dass Garys Hände kurz zum Stillstand gekommen waren. Als er sich jedoch wieder herumdrehte, sah er, dass seinem Bruder kurz ein ruhiges Lächeln über das Gesicht huschte. „… vielleicht.“         Alles war weiß. Eine große, weiße Hölle erstreckte sich vor Green. Eine Hölle, die… verdächtig bekannt war. Aber… nein, das bildete sie sich ein. Ihre Angst spielte ihr einen Streich. Sie war nicht da, wo sie zu sein glaubte… sie bildete es sich ein, sie bildete es sich ein. Schneebehangene Tannen gab es überall und Wälder….Wälder… wenn sie in das Weiß des stetig fallenden Schnees gehüllt waren, die… die sahen doch immer gleich aus… Es gab keine konkreten Anzeichen darauf, dass sie… da… war… da. Da. An diesem Ort. Dem Ort ihrer so bekannten Albträume…   Green schüttelte den Kopf. Wenigstens war es nicht Nacht; es war nicht einmal abends, es war taghell. Sie musste sich zusammennehmen und anfangen, sich zu bewegen - sie wusste doch, dass ihr nur noch kälter werden würde, wenn sie stehen blieb. Die Kleidung, in die Grey sie gekleidet hatte, war wenigstens schön warm. Argh, sie hätte bereits bei der Kleidung stutzig werden müssen, aber da sie sich immer warm anzog, war ihr nicht ins Auge gestochen, dass der weiße Mantel gut gefüttert war, genau wie die Stiefel – nein, dachte Green und fluchte über sich selbst – sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, zu gähnen.   Wieder kam ihr der Gedanke, dass sie vielleicht einfach Grey anrufen sollte, um das alles hinter sich zu bringen, aber… nein, sie würde das schon aushalten. Noch war es ja Tag. Wie spät es wohl war? Green warf einen unsicheren Blick in den grauen Himmel, doch senkte die Augen schnell wieder, um keinen Blick auf die fallenden Schneeflocken zu erhaschen – nur um dafür mit dem schneebedeckten Boden konfrontiert zu werden… sie wollte weg… sie wollte nichts davon sehen, genauso wenig wie sie das Knartschen unter ihren Füßen hören wollte, als sie den Fuß mühsam aus den Schneemassen heraushob und ihn – so weit wie möglich von ihr entfernt – wieder in den Schnee hinabgleiten ließ – hinabgleiten lassen musste – wie Wasser, wie eiskaltes, sie verschlingendes---- „Jetzt… jetzt reicht es aber!“, zischte Green sich selbst zu und nahm entschlossen noch einen Schritt. „Es ist… nur Schnee. Nur Schnee, Green. Du bist…“ Noch ein Schritt. „… warm genug angezogen…“ Ein weiterer. „… und du wirst dir sicherlich keine Erkältung holen…“ Als ob eine Erkältung ihr Problem war. „Hör auf zu flennen!“ Als wären die vielleicht knapp sechs Meter, die sie zurückgelegt hatte, ein Test für sie selbst gewesen und als hätte sie diesen nun bestanden, zog sie nach erfolgreichem Abschließen nun das Suchgerät hervor – doch der Bildschirm zeigte nichts als…weiß. „Weiß, weiß, weiß. Immer nur… weiß.“ Grummelnd schob Green die wollige Kapuze ihres Mantels hoch, fluchte noch einmal – und begann dann weiter durch den Schnee zu stapfen, nun zielstrebig tiefer in den Wald hineingehend. Diese Zielstrebigkeit musste die ganze Zeit hart erkämpft werden, denn jeder Schritt brachte sie immer wieder ins Wanken, jeder Schritt konnte sie zu Fall bringen, genau wie die Schneeflocken es tun konnten, die stetig vom Himmel herunterfielen – jede Flocke, jeder Schritt konnte das „Aus“ bedeuten. Das „Aus“ für ihre Zielstrebigkeit, das „Aus“ für ihren eisernen Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen… sie wollte das nicht, sie wollte nicht einknicken--- sie wollte nicht, aber Green spürte, dass es immer schwerer wurde, umso länger und umso weiter sie ging… warum zeigte das verdammte Gerät denn nichts an? Wie lange sie schon gegangen war, wusste Green nicht, als sie an einem hohen Vorsprung ankam; sie wusste nur, dass sie stolz auf sich war, mächtig… stolz. Stolz, dass sie es bis hierher geschafft hatte, weshalb sie auch gar nicht so genau wissen wollte, wie lange sie schon unterwegs war. War sie schon lange gegangen? Hatte sie überhaupt einen Grund dazu, stolz auf sich zu sein? Green wollte keine Pause einlegen. Sie war ohnehin dank des Schnees schon sehr langsam und wollte die Mission so schnell wie möglich hinter sich bringen… also musste sie weiter, weswegen Green nur kurz durchatmete. Sie wollte sich gerade herumdrehen, als sie stehen blieb - etwas ruckartig, etwas erstarrt. Dieser Ort… den sie für eine schneeverhangene Lichtung gehalten hatte… das konnte nicht sein, so einen Zufall… so einen verdammten, so einen hassenswerten Zufall, konnte, durfte es nicht geben… Green wollte sich irren, aber sie tat es nicht – das unter ihr war keine weiße Lichtung, es war ein zugefrorener, kleiner See... als sie noch klein gewesen war… war er für sie ein… großer See gewesen, er war ihr endlos vorgekommen… Im Sommer und im Frühjahr nichtssagend, einfach nur da, ohne Bedrohung, ohne ihr Angst einzujagen… einfach nur da, einfach nur Gewässer, ein einfaches, harmloses Gewässer – aber im Herbst begann es schon. Im Herbst begann das Warten. Das Lauern. Der verstohlene Blick auf das Thermometer.   Würde es bald so weit sein? Würde es bald so weit sein?                                                 War bald Winter?   Der Winter war da, sobald der See zugefroren war – und jetzt war der See oder Weiher oder was auch immer zugefroren. Er war zugefroren – er lag vereist vor ihr, dieser Ort, der immer den wahren Beginn dieser schrecklichen Jahreszeit eingeläutet hatte. Im Rest des Jahres konnte Green die Stimmen der anderen ausgrenzen. Es war kein Problem. Es prallte an ihr ab. Kein Problem. Kein Problem! Aber im Winter kam die Schwäche. Ihre Schwäche. Im Winter war sie… angreif---- Green musste sich zusammennehmen. Sie war nicht mehr angreifbar. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen von damals, der Temperatur ausgeliefert; der Temperatur, die des Gelächters bester Partner war. Sie war es nicht. Und das hier war auch einfach nur irgendein See. Irgendein zugefrorener See, mit dem sie nichts zu tun hatte, der einfach nur zugefroren war, weil es die Temperatur und die Natur so bestimmte. Dennoch war Green wie angewurzelt vor der zugefrorenen Oberfläche stehen geblieben, nun als sie sich endlich nach unten getraut hatte. In ihrer behandschuhten Hand hielt sie das Suchgerät; ihre großen, dunklen Augen starrten darauf… aber eigentlich sah sie daran vorbei – sah auf das, was hinter dem Gerät lag. Aber was war da schon? Da war nichts –nur weiß. Weiß. Weiß. Es gab keinen Grund, ihr Glöckchen an sich zu drücken. Nein, gar keinen. Sie musste sich zusammennehmen – es war doch eigentlich alles so ruhig… so friedlich… alles in absolute, weiße Todesstille gehüllt. Über sich selbst fluchend wollte Green gerade ihr Glöckchen wieder unter ihrem Rollkragenpullover verbergen, als sie ein ihr eindeutig zu deutliches Déjà-vu erlebte: genau wie bei ihrer bis jetzt schlimmsten Klassenreise hatte sie dämonischen Besuch bekommen.     Es war Gary gelungen, Siberu davon zu überzeugen, dass er sich keine Sorgen um Green machen musste; dass Grey sie sicherlich schon abgeholt hatte und dass sie jetzt mit einem warmen Kakao im Tempel saß; anders hätte Gary seinen Bruder auch nicht ins Bett bewegen können – und das, obwohl er eindeutig mehr als erschlagen gewesen war. Er musste sehr erschöpft sein. Die Verletzungen hatten wahrscheinlich auch mehr an seinen Energieressourcen gezehrt, als er zugeben wollte, denn als Gary kurz darauf in seinem Pyjama und mit der Zahnbürste im Mund an Siberus Zimmertür vorbeiging, sah er seinen Bruder bereits tief und ruhig schlafen – es waren wahrscheinlich nicht einmal zehn Minuten vergangen. Aber auch wenn Gary Siberu beruhigt hatte – sich selbst hatte er nicht beruhigen können. Er wollte gerne eine Absicherung… wissen, dass es Green gut ging – nicht nur irgendeine Vermutung oder Schlussfolgerung. Aber Gary würde keine bekommen, dachte er, als er seine Zahnbürste zurück ins Glas stellte – und damit musste er sich…   Die Türklingel schreckte ihn aus seinen Gedanken hoch, ließ ihn regelrecht auffahren und erschrocken auf die Uhr starren: wer erwartete schon Besuch um… halb vier in der Früh?! Aber noch ehe Gary sich mit der Frage beschäftigen konnte, wer um diese Uhrzeit an der Tür klingelte, beantwortete sein Gespür ihm diese nicht ausgesprochene Frage: es war Pink, deren Aura er vor der Haustür spürte. Wer hätte es auch sonst sein können; niemand anderes würde auf den Gedanken kommen, zu solch einer Uhrzeit zu klingeln - und das auch noch drei Mal hintereinander. Gary hätte auch so die Tür für sie geöffnet… und Siberu musste wirklich sehr erschöpft sein, denn als Gary an der Tür seines Bruders vorbeiging, sah er, dass der sich nicht einmal von Pinks penetrantem Sturmklingeln wecken ließ. „Ich brauche deine Hilfe!“, schrie Pink, sobald Gary die Tür geöffnet hatte und dabei natürlich absolut keine Rücksicht auf die Uhrzeit nehmend: sie schob sich einfach flugs hinein in die Wohnung, woraufhin Gary kurz mit den Augen himmelte – er winkte seinen Nerven nämlich schon hinterher – und leise die Tür schloss. „Nein, das habe ich nicht ganz richtig gesagt – Green-chan braucht deine Hilfe!“ Gary musste sich selbst eingestehen, dass das die Lage sofort änderte. Pink gab einem zwar regelmäßig sehr viele Gründe, um besorgt zu sein, aber als er diese Bitte nun hörte, steigerte sich nicht nur seine Sorge, sondern auch sein Empfinden, was den Ernst der Lage betraf: Pink machte nämlich auch öfter Radau um Nichts. Aber Greens Namen nun zu hören, nun, wo er sich ohnehin Sorgen um sie gemacht hatte, war, als würde er diese Sorgen bestätigt bekommen. „Was ist mit ihr?“ „I-Ich kann spüren, dass sie sich in Gefahr befindet! Wir müssen zu ihr! Schnell!“ Um die Dringlichkeit ihrer Worte zu unterstreichen, packte sie nun auch Garys Arm, zog und zerrte an ihm – aber Gary wäre nicht Gary, wenn er nicht erst einmal Informationen verlangen würde. Siberu wäre wahrscheinlich sofort aufgebrochen, aber er war nicht sein Bruder. „Du kannst es spüren? Wo kannst du es spüren – und vor allen Dingen was kannst du spüren?“ Gary konnte nämlich mal wieder nichts spüren: keine feindliche Aura, keine Anzeichen auf eine akute Gefahr. Nur eine unbestimmte Sorge um Green, die aber auf nichts Konkretem basierte, sondern einfach… sich selbst heraufbeschwor. „Eine Aura! In Green-chans Nähe ist eine gefährliche Aura!“ Es war doch wirklich nicht zu fassen, wie gut Pinks Gespür für Auren war: nicht nur, dass Gary keinerlei Anzeichen einer dämonischen Aura verspürte, Green war sicherlich auch nicht in Japan, sondern irgendwo anders auf der Welt - und Pink war dennoch in der Lage, es zu spüren? Das war wirklich… unglaublich. „Du kannst eine starke Aura spüren? Wo, Pink? Kannst du es irgendwie eingrenzen?“ „Nein, ich weiß nicht, wo es ist… ich weiß nur… ich spüre nur…“ Sie presste ihre kleinen Hände zu Fäusten und drückte sie aneinander: „… dass Green-chan weit weg ist! Am anderen Ende der Welt!“ Am anderen Ende der Welt? Okay, entweder Pink übertrieb oder sie konnte die Entfernung nicht einschätzen - oder ihre Fähigkeiten waren schlichtweg unglaublich. „Wir müssen uns beeilen!“ Pink griff nach Garys Händen: „Ich kann uns hinteleportieren!“ Ganz im Gegensatz zu Pinks Entschlossenheit legte Gary Zögern an den Tag: war es intelligent, so absolut ins Blaue aufzubrechen? Er hatte kaum Informationen und würde sicherlich auch nicht mehr aus dem aufgeregten Mädchen herausbekommen, das eifrig an seiner Hand zerrte - aber war das nicht egal? Wenn Green wirklich in Gefahr war, dann musste Gary mit dem arbeiten, was er hatte.     Green war auch dazu gezwungen, mit dem zu arbeiten, was sie hatte - und das war eine sehr schlechte Ausgangsposition. Nicht nur, dass die Kampfbedingungen für sie alles andere als optimal waren… so stand sie auch noch einem Gegner gegenüber, mit dem sie absolut keine Erfahrung hatte, denn dieser Dämon war anders als die anderen, die sie zuvor bekämpft hatte. Unweigerlich musste Green sich eingestehen, dass sie in Schwierigkeiten steckte - in großen. Am anderen Ende des Weihers stand nämlich ein Dämon vor ihr, der kein monströses Äußeres besaß. Er war ein Dämon mit kurzen, zotteligen roten Haaren, dessen linkes Auge ebenfalls rot war, während das andere, welches fast gänzlich von Haaren verdeckt wurde, schwarz war. Doch nicht nur in puncto Farbe unterschieden sich die beiden Augen, sondern auch in Größe und Form: das schwarze Auge war klein, während das rote groß und starrend war; die kleine Pupille war direkt auf sie gerichtet, womit sein Gesicht eindeutig nicht menschlich aussah - dafür aber sein Körper, bis auf die beträchtliche Körpergröße von rund zwei Metern. Damit war dieser Dämon Greens erster Dämon, von dem sie behaupten konnte, dass er ein menschliches Äußeres hatte – mit Ausnahme von Siberu und Gary natürlich. Und das war kein gutes Zeichen, wie ihr Grey erklärt hatte: Dämonen, die wie „Monster“ aussahen - wie die, die Green bereits bekämpft hatte - waren laut Grey Massenprodukte; Wesen, die von den Dämonen selbst geschaffen worden waren und meistens nur über geringe Intelligenz verfügten, damit sie steuerbar waren. Sie waren vergleichbar mit sehr monströs aussehenden Tieren; gefährlich zwar, aber noch gefährlicher waren jene, die diese „Tiere“ kontrollieren konnten - Dämonen wie der, der vor Green stand. Und daher befürchtete sie auch, dass sie kein leichtes Spiel haben würde. Green drückte ihr Glöckchen fester an sich, machte sich aber gleichzeitig auch bereit dafür auszuweichen, falls der Dämon sie als erstes angriff; noch aber wartete sie gespannt ab, die Zähne zusammen gepresst, denn der Dämon schien im Moment nicht im Sinn zu haben, sie anzugreifen. Sein rotes Auge starrte Green an, musterte sie auffällig, blieb an ihrem Glöckchen hängen, wie Green mit einem Knurren bemerkte – er musterte sie eindeutig etwas zu ausgiebig für Greens Geschmack. „Du bist also das Gör, das momentan die Hikari ist“, sprach er in einem klaren, aber sehr akzentbelasteten… Deutsch. Deutsch. Warum musste es Deutsch sein! Es war natürlich positiv, dass sie ihn verstehen konnte - obwohl, war es? - aber Green wollte kein Deutsch sprechen! Diese verdammte Sprache passte einfach zu gut zur momentanen Situation, zu dieser Umgebung, die nicht noch schrecklicher gemacht werden sollte… Aber auch wenn alles in Green sich dagegen sträubte, diese von ihr so verhasste Sprache zu benutzen, so antwortete sie dennoch: „Ja, ach ne. Hätte ich jetzt aber fast vergessen! Hast du es auf den Wächter der Erde abgesehen oder warum bist du hier?“ Green fluchte über sich selbst. In so einer Situation sollte sie vielleicht lieber gar nichts sagen, immerhin hatte sie keine Erfahrung mit richtigen Dämonen. Aber Informationsbeschaffung war doch… wahrscheinlich… das richtige? Immerhin war es doch komisch, dass so ein Dämon hier auftauchte - das würde Gary sicherlich auch sagen! „Hmpf, du bist ganz schön vorlaut - und naiv, wenn du glaubst, ich würde dir irgendetwas von meiner Mission erzählen“, antwortete der eigenartige Dämon mit einem verwunderten Stirnrunzeln, während er langsam vorwärts ging, als würde er die Spannung anheizen wollen. Green fand, dass es schon spannend genug war; sie spürte Schweiß auf ihrer Stirn, ganz gleich wie vorlaut sie war. Noch ging er zwar langsam über das Eis des Wassers, aber er konnte jeden Moment angreifen - war Green stark genug? Hatte sie schon genug gelernt? Eigentlich hatte sie doch nie alleine gekämpft… oh doch, einmal, auch während dieser verdammten Klassenfahrt. Aber das war gegen ein Dämon, der genauso dumm wie groß gewesen war - das konnte man wohl kaum vergleichen. Würde er gleich angreifen? Und die wichtigere Frage: war Green in der Lage, dem Angriff zu entgehen? „Aber ganz egal weshalb ich hier bin…“ Er grinste breit mit gelben, teilweise rötlichen Zähnen, die Green nicht gerade beruhigten: „… eine Hikari ist immer ein Jackpot!“ Und da war der Moment - der Moment, in dem Green beweisen musste, dass sie etwas gelernt hatte. Sie musste ihm ausweichen - ein Angriff war wahrscheinlich keine gute Idee --- ausweichen und dann so schnell wie möglich Grey anrufen --- vielleicht sollte sie den Dämon blenden, das würde ihr Zeit geben, sie hatte auf den Videoaufnahmen der anderen Hikari gesehen, dass es möglich war, dass es eigentlich ein Leichtes sein müsste--- aber konnte sie das? Sie, die doch schon froh darüber gewesen war, dass sie ein paar Funken erschaffen konnte---?! Seitlich ausweichen, seitlich ausweichen, nicht darüber nachdenken, einfach tun--- --- Der Dämon hätte sie unweigerlich getroffen, denn Green war nicht schnell genug gewesen. Aber er hielt inne. Kurz vor ihr, mitten im Flug - so kurz, dass Green seine ekeligen Augen von Nahem sehen konnte. Eine Übertragung, ein… Anruf schien ihn zum Innehalten gebracht zu haben, aber Green sah keinen Kommunikationsgegenstand - ah, da war ein Stöpsel in seinem großen Ohr. Egal! Was auch immer das für ein Telefonat war, was auch immer gesagt wurde, was auch immer den Dämon dazu brachte, verdrießlich das Gesicht zu ziehen, es war egal, denn diese Situationen musste Green ausnutzen für einen Angriff - ja, sie hatte vorgehabt nur auszuweichen, aber diese Chance durfte sie doch nicht verstreichen lassen - und das tat sie auch nicht! Aber gerade als sie ihren Stab beschwören wollte, geschah noch etwas gänzlich Unerwartetes - ein Schwert rauschte heran; ein Schwert, aus Wind geschmiedet, das nicht nur Greens Haare aufwirbelte, sondern auch den Dämon rücklings in den Himmel hinauf beförderte. Und dann landete ihr Bruder vor der verblüfft dreinsehenden Green; gekleidet in eine winterliche Uniform, das Schwert vor sich ausgestreckt, welches er plötzlich um sich schwang, einen Kreis zu malen schien, wodurch eine Kuppel aus wirbelndem Wind um sie herum entstand - um Grey und Green - und um Ryô herum, den sie eben hinter sich entdeckte. Bevor Green allerdings ihrer Verwunderung Luft machen konnte, drehte Grey sich auch schon zu ihr herum, die Hände auf ihre Schultern legend. In seinen blauen Augen lag etwas Verzweifeltes… Sorge und Reue. „Es tut mir so Leid, was ich dir ungewollt angetan habe, Green“, begann Grey ohne Umschweife, nicht auf Greens verwirrten Blick achtend: „Wenn ich es gewusst hätte, Green, ich schwöre dir, dann hätte ich dich niemals hierhin geschickt.“ Ein eigenartiges, widerwilliges Gefühl kam in Green hoch; verstand sie ihn gerade richtig? Sie erhielt nicht die Möglichkeit, ihn zu fragen, denn Grey schob sie schon zu Ryô: „Ryô, bringe Green bitte sofort in den Tempel zurück - ich übernehme das hier.“ Natürlich wollte Green nur zu gerne Ryôs warme Hand annehmen und in den Tempel zurückkehren, eine Tasse Tee und ein warmes Bad entgegennehmen, aber sie entschied sich dagegen - vehement. „Nein, ich werde hier bleiben, Grey!“ „Nein, Green, der Schnee…“ Sie hatte also recht gehabt mit ihrer Vermutung; Grey wusste es. Aber woher? Sie wollte nicht, dass er es wusste; dass Siberu und Gary es wussten war doch schon genug - das hatte ihr gereicht. Sie wollte nicht, dass er sie so besorgt ansah; so mitfühlend, als wäre sie… irgendeine Patientin, die schnell Heilung benötigte. Sie war keine Patientin. Sie benötigte keine Heilung. Sie lebte damit - also, irgendwie. „Lass uns zusammen kämpfen! Das ist doch auch genau das richtige Training für mich - oder nicht?“ Green sah deutlich in Greys Gesicht, dass er von dieser Trainingsmaßnahme alles andere als überzeugt war - aber er wurde nicht gefragt, denn genau in dem Moment, als Grey Green seine Bedenken mitteilen wollte, wurde der Boden und die Luft um sie herum von einem heftigen Beben erschüttert und kurz war die Kuppel aus Wind, die sie bis zu diesem Zeitpunkt beschützt hatte, in schwarz getaucht - ehe sie verpuffte und deutlich zeigte, dass der Dämon offensichtlich keine Lust hatte zu warten, denn als die beschützende Barriere verschwunden war, sahen die drei Wächter den rothaarigen Dämon, der nach wie vor seine schwarz pulsierende Hand zum Angriff erhoben hatte - und offensichtlich sofort weitermachen wollte. Grey hatte sein treues Schwert wieder gezückt, Ryô schob Green zurück, obwohl diese im Begriff war, ihr Glöckchen umzuwandeln, um genau wie sie es heraufbeschworen hatte an Greys Seite zu kämpfen - aber so weit kam es nicht. Denn der Angriff, den der Dämon - offensichtlich guter Laune angesichts des bevorstehenden Kampfes - just in diesem Moment entfesselte, verfehlte sein Ziel, ohne dass Grey etwas hatte tun müssen--- „Green-chan!“ Kurz war Green zu verwirrt, um zu verstehen was geschah, denn es geschah zu viel auf einmal: Sie wurde umarmt - von Pink, wie sie verwirrt feststellte; die Attacke des Dämons zerhackstückelte den Wald, wie sie deutlich hören konnte - Grey beschwerte sich oder fluchte gar und---- und---- „Gary!“ Green konnte es nicht fassen; sie konnte es nicht fassen, obwohl sie die Umarmung Pinks nicht deutlicher hätte spüren können, denn ihre erfreute Cousine erdrückte sie förmlich - dennoch, auch wenn Pink eindeutig hier war, glaubte sie ihren Augen kurz nicht zu trauen, als sie Gary sah. Gary, der immer noch in der Luft hing, wo er scheinbar gerade mit einem zielsicheren Tritt dafür gesorgt hatte, dass der Strahl des Dämons in den Wald gefeuert wurde, anstatt die Wächter zu treffen. Pink ließ Green genau im richtigen Moment gehen und Gary landete genau im richtigen Augenblick - und ohnehin hätte nichts Green davon abhalten können, sich von der kleinen Gruppe Wächter zu lösen, zu Gary zu rennen und sich dem Halbdämon, der sich gerade verdattert, weil Green in einer Gefahrensituation so etwas Unüberlegtes tat, zu ihr herum gewandt hatte, schwungvoll um den Hals zu werfen. Ihre Umgebung hatte sie gänzlich vergessen, zu sehr freute sie sich darüber, Gary wiederzusehen, ganz egal unter welchen Umständen - und der erstaunte, aber sofort finster werdende Blick ihres Bruders hätte ihr nicht egaler sein können.    „Gary!“, rief Green noch einmal, ihre Arme um seinen Hals schlingend: „Ich hab dich so vermisst!“ Es war gar nicht so lange her, dass sie Gary das letzte Mal gesehen hatte, aber es kam ihr dennoch wie eine enorm lange Zeit vor - und ganz egal wie lange es her war, sie spürte wie Tränen in ihren Augen aufstiegen, als sie ihr Gesicht in die Schulter Garys vergrub. Knallrot war Gary angelaufen und vergaß genau wie sie für einen kurzen Moment, dass sie sich in einer prekären Gefahrensituation befanden - allerdings vergaß er auch zu atmen, vergaß, dass er seine Hände für etwas anderes benutzen konnte, als sie nur starr in die Luft zu halten. Was war das, was er da in sich spürte und das ihn dazu brachte, seine Umgebung und seine Vernunft für einen kurzen Moment gänzlich zu vergessen? War das… war das Freude? Freude, weil Green ihn--- „Wo ist denn Sibi? Wo hast du Sibi gelassen?“ Gary blinzelte verwirrt – Silver? „Er ist nicht… hier. Er ist…“ Ja, glaubst du denn, sie würde so einen Langweiler wie dich vermissen? Gary schüttelte den Kopf, verwirrt über diesen plötzlichen Gedanken, von dem er nicht wusste, wo er überhaupt herkam… „G-Green, wir sollten vielleicht…“ Er stotterte, er musste sogar schlucken, fand seine Stimme nicht - aber dafür fand ein anderer Dämon seine Stimme wieder. „Hey, dich kenn ich doch“, begann er auf einer Sprache, die nur für Gary zu verstehen war, weshalb Green Gary nun auch fragend anblickte, während sie sich von ihm löste. Greens Blick war neugierig, als wartete sie auf eine Übersetzung; Greys Blick dagegen war skeptisch und misstrauisch beobachtete er nicht nur das Gespräch, sondern verfolgte es auch, denn anders als Green war er mit einem schwarzen Headset ausgerüstet, welches eine Übersetzungsfunktion besaß - etwas, was Gary nicht unbemerkt blieb, als er kurz zu Grey, Ryô und Pink herüber sah und natürlich sofort von den finsteren Augen des Windwächters durchbohrt wurde, der aber nichts zu tun wollen schien, um in den offensichtlich momentan pausierten Kampf einzugreifen. Gary konnte sich den Grund vorstellen; es ging Grey wohl darum, ob er irgendwelche nützlichen Informationen herausfiltern konnte, denn der andere Halbdämon schien tatsächlich nicht vorzuhaben, weiter anzugreifen - jedenfalls vorerst nicht: „Deine merkwürdigen Haare hab ich schon einmal gesehen… Black oder so?“ Greens Blick wurde immer verwirrter und immer deutlicher verlangte sie nach einer Übersetzung, aber anstatt ihr diese zu geben, antwortete Gary in seiner Landessprache: „Nein, Blue und du bist Relez, wenn ich mich nicht irre?“   „Knuddelst du öfter mit der Hikari?“ Gary wurde abermals rot. Halt doch die Klappe, dachte er und musste nun tatsächlich Greens Blick ausweichen. „…Das geht dich nichts an.“ Nun fühlte Green sich ernsthaft ausgeschlossen, denn natürlich wollte sie wissen, worüber die beiden sprachen - erst recht, wenn das, was sie sagten, dafür sorgte, dass Gary so rot wurde! Und wenn er ihrem Blick auswich, bedeutete das nicht… wieder folgte eine Antwort von dem anderen Dämon und immer mehr fühlte Green sich ausgeschlossen - besonders als ihr auffiel, dass Grey und Gary doch tatsächlich gleichzeitig rot wurden! Konnte Grey dieses Dämonisch, oder wie auch immer die Sprache genannt wurde, etwa verstehen, anders als sie? Was zur Hölle hatte dieser Dämon mit einem nun verschmitzten Grinsen gesagt, was sie beide zum Erröten gebracht hatte? Argh! Greens Neugierde wurde immer größer und dann war Garys Antwort auch noch ein empörter Aufruf! Was ging denn hier vor?!  „Gary! Ich will wissen, worüber ihr redet! Sofort!“   „Das ist unwichtig! Unwichtige, u-unwahre Dinge.“ Scheinbar fand Grey das nicht; offensichtlich fand er das absolut gar nicht, denn noch bevor Gary seine geschriene Antwort in die kalte Luft gespien hatte, hatte Grey es ihm gleichgetan, indem er Ryô aufgetragen hatte, auf Pink Acht zu geben - und schon fegte sein Schwert durch die Luft. Ein Schwert, das mit Eleganz und Präzision geführt wurde und das auch sein Ziel fand: den Hals des Dämons. In der Regel zielten Wächter immer auf den Hals oder den Kopf eines Dämons; dazu waren sie trainiert: so war ein sicherer und schneller Tod sicher. Doch der Dämon konnte gerade noch rücklinks ausweichen, womit Grey nur seinen Kragen traf - nein, noch mehr, denn ein dünner Streifen Blut schoss in die Luft, begleitet von einem erbosten Fluchen des Dämons, als er mit der Hand seinen Hals berührte und eine gerade Schnittwunde feststellen musste. „Green, ich möchte, dass du den Kampfort verlässt!“, rief Grey Green zu, die sich nun ernsthaft fragte, warum Grey so außer sich klang - es konnte doch nicht nur wegen dem Kampf sein, oder doch? „Und ich will wissen, was gesagt wurde!“ Weiter kam Green nicht mit ihrer Beschwerde, denn ein feuriger Strahl zwang die drei Kämpfer dazu, auseinander zu springen; scheinbar hatte der Dämon die Lust am Reden verloren. „Ich werde auf Green aufpassen!“, rief Gary Grey zu, doch der Blick des Windwächters zeigte deutlich, dass er mit dieser Aufgabenverteilung alles andere als zufrieden war - ihm blieb jedoch keine andere Wahl, denn Relez hatte es nun auf Grey abgesehen. „Erst einmal wirst du mir sagen, was ihr besprochen habt!“ „Green, ist das nicht wirklich der falsche Mome---“ „Jetzt!“ Der Boden unter ihren Füßen bebte, als eine Attacke vorbeifegte, dicht gefolgt von einer Greys; Greens Haare wirbelten abermals um sie herum, doch auch wenn Erde und Luft in Aufruhr waren - die Augen, in die Gary entgeistert starrte, waren es nicht. Dunkelblaue, inständige und entschlossene Augen, die den herumwirbelnden Schnee gar nicht mehr bemerkten. Augen, deren Wunsch er sich beugte. „Relez hielt uns für ein Paar.“ Beide wurden im selben Moment rot, aber noch war Gary nicht fertig, immerhin war es seine geschriene Antwort, die Green unbedingt wissen wollte. Ihr Herz klopfte schneller, aber die Hikari spürte es kaum - sie war gespannt, so gespannt. „Ich habe ihn aufgeklärt, dass wir nichts in diese Richtung sind, sondern Freunde - und dass ich deswegen nicht zulassen werde, dass er dir oder deiner Familie etwas antut.“ Green konnte nicht drum herum, ihn fassungslos anzustarren: hatte Gary gerade… vor einem seiner Artgenossen zugegeben, dass sie… Freunde waren? Sie, eine Hikari und er, ein Dämon?! Und das, wo er es vor knapp zwei Wochen nicht einmal ihr gegenüber zugeben wollte?! Green blinzelte noch einmal, immer noch völlig fassungslos - aber dann begannen ihre Augen plötzlich zu strahlen und sie sprang förmlich empor, den Schnee von sich schüttelnd, als wäre er nichts. „Ich zeig dir jetzt, was ich gelernt habe, Gary!“ Der Angesprochene kam gar nicht schnell genug hinterher; voller Tatendrang wich Green einer vorbeisausenden Attacke seitlich aus, dicht gefolgt von Gary, der der Attacke ebenfalls ausgewichen war und rannte zu Grey, der gerade mit seinen Füßen auf dem weißen Rasen gelandet war - seine Attacken und die von Relez hatten große Teile des Schnees davongefegt. „Du solltest auf Green aufpassen und dafür sorgen, dass sie nicht direkt in den Kampfaustausch hineinrennt, Halbling!“, fauchte Grey, der zwar aus der Puste, aber nicht verletzt war. „Wozu zur Hölle lässt du mich trainieren, wenn ich nicht kämpfen darf?!“, antwortete Green beleidigt an Garys statt, der eigentlich eine vernünftigere Antwort hatte wählen wollen; dass Relez eigentlich nur einer jener Halbdämonen war, der für Botengänge genutzt wurde und gar nicht so stark war und dass Green doch eigentlich nicht so schutzbedürftig war, wie Grey es hier gerade klingen ließ. Aber genau das bewies Green schon selbst, als sie vom einen Moment auf den anderen das Kommando übernahm: „Du sorgst dafür, dass er in die Mitte kommt und ich mache den Rest - okay? Gut!“ Für Grey war absolut gar nichts gut, aber da musste er einer weiteren Strahlenattacke ausweichen, was er auch schwungvoll tat, nachdem Green Gary schon am Arm gepackt hatte und wegzerrte, womit sie sich nun in der Nähe von Ryô und Pink befanden. „Green, was hast du vor?!“, rief Gary nun wieder, da der magische Schlagabtausch der beiden Kontrahenten den Ort mit lautem Zischen und Getöse völlig aushüllte, als würde man sich in einem schwarzen Wirbelsturm befinden. Kurz war Green vom diesem magischen Spektakel abgelenkt - sie hatte ihren Bruder offenbar unterschätzt. Er war nicht nur ihr strenger, kränkelnder Bruder; er war auch ein gut trainierter und talentierter Wächter. Den Attacken Relez‘ wich er gekonnt aus, noch kein einziger Angriff schien getroffen zu haben und das obwohl Grey schnell atmete. Aber er ließ sich nicht von seiner Gesundheit unterkriegen; genau wie Green sich gegen ihr Trauma wehrte, wehrte Grey sich gegen seine natürliche Schwäche und… tat das auch wirklich gut. Aber er zeigte sich nicht nur im Kampf sehr gekonnt; wenn Green sich nicht irrte - und sie glaubte nicht, dass sie das tat - dann sorgte Grey auch noch während des Kampfes dafür, dass keine der Attacken in die Richtung von Ryô und Pink ging, um sie absolut nicht in Gefahr zu bringen. War das… ein Exempel für die Worte, die Grey ihr so oft versucht hatte einzutrichtern? Dass „ein Wächter zu sein“ nicht nur bedeutete in der Lage zu sein, eine Waffe zu schwingen, töten zu können - sondern vor allen Dingen beschützen zu können? Es musste eine Harmonie geben; ja, das hatte Grey gesagt--- und das zeigte er hier auch. Genau wie Ryô es ebenfalls tat, denn er war nicht nur ein unbeteiligter Zuschauer - sie hatte sich offensichtlich in beiden geirrt! - denn als es Grey ein einziges Mal doch nicht möglich war, eine Attacke des Dämons so zu blocken, dass sie nicht in die Nähe der beiden anderen Wächter schoss, bewies Ryô, dass er nicht nur ein Tempelwächter war, der für das leibliche Wohl seines Herren zuständig war, sondern mehr konnte als das. Die Attacke blockte er nämlich gekonnt mit einem goldenen, vibrierenden Schild, einer Magie ähnlich der Itzumis, doch irgendwie… wärmer, wie es Green vorkam. Hatte Ryô nicht auch erwähnt, dass er oft mit Grey zusammen trainierte, dass er sein Trainingspartner war…? Jedenfalls hatte er Pink beschützt; sie war keine Sekunde lang in Gefahr gewesen. Grey konnte sich wirklich auf Ryô verlassen; wie deutlich das nicht auch ihr kurzer Blickaustausch beteuerte. „Dasselbe, was wir schon einmal getan haben!“, antwortete Green grinsend, sich die Haare aus dem Gesicht wischend.    „Zeigst du uns jetzt, was du alles gelernt hast, Green-chan!?“, ertönte Pinks begeistertes Rufen und Green warf ihr ein freudiges Grinsen zu: „Darauf kannst du dich verlassen!“ Gary wollte gerade anmerken, dass es doch in so wenigen Tagen gar nicht so viel sein konnte, was sie gelernt hatte und dass sie dann vielleicht ihren Stab beschwören sollte? – als Green schon seine Hand nahm und mit ihm zusammen losrannte, dabei zu den beiden Kämpfern blickend, die aber gerade über den Tannen kämpften und daher keine Gefahr für Gary und Green darstellten. Was war es für ein unverschämtes Glück, dass Grey fliegen konnte! Eine Fähigkeit, auf die Green wirklich eifersüchtig war, aber sie hatte nun einmal nicht das Element des Windes geerbt – und, zugeben, sie würde zu ihrem jetzigen Trainingsstand auch nicht so eine gute Figur abgeben im direkten Nahkampf… Kurz spürte Green, wie ihre Entschlossenheit bröckelte, als ihre Füße nun das Eis berührten – sie spürte die glatte, rutschige Oberfläche, eine kalte Oberfläche, die sie kannte, die sie schon so oft zu Fall gebracht hatte, die schon so oft für… Lachen gesorgt hatte. Aber nicht dieses Mal. Nur kurz war sie ins Stocken geraten; nur kurz hatte Green die Augen zusammengepresst, aber Gary hatte es bemerkt, obwohl er nur ihren Rücken sah – und diese kleine Entdeckung brachte ihn zum sofortigen Handeln. Er hob sie auf seine Arme. „Ich denke, du planst einen Luftangriff, Green?“ Perplex blinzelte Green ihn an, wartete darauf, dass Gary irgendetwas sagen würde; ihr Verhalten, ihre Schwäche irgendwie kommentieren würde, aber das tat er nicht – und es freute Green. Sie grinste, eine angenehme Wärme auf ihren Wangen spürend. Er war wirklich ihr Schutzengel – oder Schutzdämon, oder was auch immer! „Ja! Genau das habe ich vor – genau wie letztens in Tokio.“ „Aber Silver ist nicht hier, um dich wieder auffangen zu können“, erwiderte Gary einen ernsten Blick über die Schulter werfend, wo Grey immer noch in einen Nahkampf mit Relez verstrickt war: „Und auch wenn dein Bruder fliegen kann, so bezweifle ich, dass er…“ Gary kam nicht weiter mit seinen Bedenken, denn Green unterbrach ihn: „Ich habe auch etwas ganz anderes vor! Dafür müssen wir aber die Position ein wenig ändern; nämlich so, dass du deine Hände an meine Hüfte legst und mich so festhältst. Wir brauchen eine beträchtliche Höhe…“ Um ihre Worte zu untermauern, zeigte sie nach oben: „… Wir müssen in genau dem richtigen Moment aufsteigen und die richtige Höhe erreichen – ich muss über ihm sein.“ „Dann teleportiere ich uns lieber – das ist sicherer. Aber wenn du es so machen willst wie in Tokio – wer soll dich dann fangen?“ „Niemand.“ Green grinste den verdatterten Dämon an und antwortete lächelnd: „Dieses Mal musst du mir vertrauen!“     Green war schon immer ein Befürworter der praktischen Lernweisen; Theorie war für sie nichts. Sie neigte zur Vergesslichkeit, oder eher: sie neigte dazu, das auszusortieren, was sie nicht als interessant empfand, etwas, wo ihr Siberu absolut zustimmte, während Gary aufgebend mit den Augen rollte. Aber bei diesem Kampf stellte sich heraus, dass Green tatsächlich etwas dazugelernt hatte und dass sie dank diesem Kampf endlich in der Lage war, Theorie, schöne Reden und die praktische Wirklichkeit miteinander zu verbinden. Denn dass das Element eine Stimme hatte und dass es auf ihren Herzenswunsch antworten würde… das hatte Green – obwohl sie es für einen kurzen Moment selbst gespürt hatte – nur als schöne Worte empfunden; schöne Worte, die allerdings nichts mit der Wirklichkeit gemein hatten. Jetzt fand sie heraus, dass dies nicht nur schöne Worte waren. Jetzt spürte sie, dass ihr Bruder recht gehabt hatte – und jetzt wusste sie auch, wie sie diese Verbindung nutzen konnte, um das zu tun, was ein Wächter laut Grey zu tun hatte: nicht nur töten, sondern auch beschützen. Er zeigte es ihr in diesem Kampf so deutlich, dass Green den „Klick“-Moment in ihrem Kopf förmlich hören konnte und genauso deutlich wie dieses Empfinden war, genauso deutlich spürte sie auch… dass es ihr gelingen würde. Sie würde es schaffen. Auch wenn das selbstbewusste Lächeln auf Greens Gesicht bestehen blieb, obwohl es nur noch Sekunden sein konnten, bis Grey dafür sorgen würde, dass Relez sich in der Mitte der Lichtung befinden würde, so war Gary dennoch nervös. Er musste ihr vertrauen, aber er sah zu viele Gefahren, zu viele Risiken, für die es zu wenig Absicherung gab – viel zu viele Unsicherheiten! Warum nur ließ sich Green überhaupt auf diesen Kampf ein, wenn ihr Bruder Relez doch ohne Probleme alleine ausschalten könnte? Warum musste sie nur mal wieder kopfüber in die Gefahr springen; und warum machte er da auch noch mit!?   Vertrauen; er musste Vertrauen haben, aber er spürte Nervosität in sich – und das wo er nicht einmal wusste, dass Green bis jetzt nur kleine Fünkchen entstehen lassen konnte. Da Green ihren Stab nicht umgewandelt hatte, ging er davon aus, dass sie eine neue Attacke gelernt hatte – wenn er wüsste, dass Green noch gar nicht so weit war, irgendetwas eine Attacke zu nenne--- „Jetzt!“ Gary war sich im Nachhinein sicher, dass er in diesem Moment geflucht hatte. Aber jedes Fluchen brachte nichts; der Moment kam, in dem er sich zusammen mit Green über den Kopf  von Relez teleportierte, Relez somit gut acht Meter unter ihnen in der Luft war – und Gary dabei, sein Vertrauen in Greens Fähigkeiten zu testen. Bedachte man, dass Green bis zu diesem Moment noch keine richtige Attacke entfesselt hatte, so war Garys Nervosität wahrscheinlich absolut legitim – genau wie Greys schockiertes Gesicht, als er sehen musste, dass Green ihren Stab nicht hervorgerufen hatte, denn er wusste natürlich, dass Green noch nicht in der Lage war, Licht zu einer Attacke zu formen und er war garantiert kein Befürworter davon, Dinge direkt im Kampf, in einer Gefahrensituation zu erlernen, auch wenn man solchen Situationen bekanntlich nachsagte, dass sie einen zu mancherlei Dinge beflügelten und man sagte auch, dass das Element in einem Kampf am ehesten dazu gewillt war, zuzuhören – aber dennoch!? Niemals hätte er Green dazu geraten, es in einem Kampf darauf ankommen zu lassen, dass sie eine Attacke einsetzen konnte ---- und dennoch versuchte sie es?! Hätte sie nicht einen Light Spirit einsetzen können--- das hätte doch gereicht--- Aber Greys – der sich eben noch teleportieren wollte, um Green zur Hilfe zu eilen – und Garys Bedenken stellten sich als unbegründet heraus: Gary brauchte sich nicht einmal um das freigesetzte Licht Gedanken machen, das just in diesem Moment auf Greens ausgestreckten Handflächen erschien – denn das Licht…es… es schadete ihm nicht!? Greens Lächeln wurde breiter, erfreuter, ihre Augen strahlten im hellen Licht ihrer Handflächen --- die Augen Relez wurden nun beide klein --- Grey riss ebenfalls die Augen auf, genau wie Ryô und Pink, die ebenfalls zu strahlen angefangen hatte --- und Gary… Gary konnte es einfach nicht fassen, was da gerade geschah---- „HOTARU ATARASHII!“ --- das Licht dieser tausenden kleinen Funken, es sollte Gary schaden, genau wie es Relez deutlich schadete, als Green die zu einer Kugel geformten Funken gegen den Brustkorb des Dämons schmetterte und dieser unter dem brennenden Licht der Attacke auseinandergerissen wurde – aber es schadete ihm nicht; er spürte keine Schmerzen, auch wenn die gesamte Lichtung für einen kurzen Augenblick in gleißendes Licht gehüllt war. Es war nur… warm. Angenehm… warm. Da Gary immer noch Green an sich drückte, spürte er, dass sie schwer atmete, als sie ihre ausgestreckte Hand zurückzog; aber als sie sich herumwandte, grinste sie Gary an: „Hab ich… hab ich dich verletzt?“ Gary schüttelte nur den Kopf; zu erstaunt, um mit Worten zu antworten. Stattdessen brachte er sie auf die vereiste Oberfläche, ließ Green vorsichtig herunter, womit sie nun in einer sanft leuchtenden Lichtsäule standen – den Nachwirkungen der Attacke. „Wie hast du das gemacht, Green?“ Green lächelte, ein leuchtendes Lächeln, erleuchtet von dem Licht um sie herum, das sich auf dem vereisten Glas spiegelte – aber das Strahlen ihres Lächelns stammte nicht nur von dem Licht um sie herum, sondern auch… von einer Quelle in ihr. Eine Quelle, die nun auch irgendwie Gary zu einem Lächeln brachte. „Ich wollte dir nicht schaden. Also habe ich es auch nicht getan.“ Beide lächelten sie sich nun an – dort auf dem vereisten Glas des Sees, wo sie einst die Kälte der Welt gespürt hatte.     Ganz eindeutig war Green natürlich der Meinung gewesen, dass das eine Glanzleistung gewesen sei und dass sie nun alles Lob der Welt verdient hätte – der aufgeregt angerannt kommende Grey war allerdings alles andere als dieser Meinung und als er sofort mit einer Standpauke begann, pflichtete Gary ihm obendrein auch noch bei, als er nun hörte, dass Green vorher noch gar nicht in der Lage gewesen war, eine Attacke zu beschwören und dass diese Attacke ihre erste gewesen war… Ryô versuchte erfolglos, Grey zu beruhigen, der nur noch wütender zu werden schien, als Gary ihm recht gegeben hatte und Pink – Pink hatte nur gelacht und war natürlich die einzige, die Green absolut genial gefunden hatte. Und die letzte Person, die Person, die alles beobachtet hatte und nun langsam ihre behandschuhte Hand vom Baum heruntergleiten ließ, konnte nicht fassen, was da gerade geschehen war – aber noch weniger konnte sie fassen, dass… Green hier war. Sie wollte schon zu ihr rennen, aber genau in dem Moment, als sie diesen Entschluss gefällt hatte, war Green zusammen mit den anderen Personen verschwunden, als wäre sie nie dort gewesen. Sie blieb im Schnee stehen; mit großen, schockierten grünen Augen, gänzlich außerstande, das Gesehene zu verstehen – und drei Meter neben ihr, vergraben im Schnee, schlug unbemerkt ein kleines, weißes Gerät aus.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)