Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 21: Dämon-Sein ---------------------- Es war selten, dass irgendetwas Siberu die Sprache verschlagen konnte – sehr, sehr selten fand er sich in Situationen wieder, in denen er keine Worte fand. Das war so gar nicht er, so kannte er sich selbst gar nicht, so wollte er sich auch gar nicht kennenlernen. Es kam ihm so eigenartig vor, links neben Green her zu gehen, ohne dabei mit ihr herumzualbern, ihre Hand zu halten, seinen Arm um ihren Arm zu schlingen. Er hatte solcherlei Annäherungsversuche jetzt nicht probiert, hatte auch gar nicht versucht, die Stimmung aufzulockern – er spürte unterbewusst, dass das jetzt nicht angebracht war. Aber das änderte nichts daran, dass er es nicht mochte; das graue Tokio, die Kälte um sie herum, die den baldigen Schnee ankündigte, Greens sturer Blick geradeaus, Mundwinkel, die schwer nach unten hingen und nicht zu einem Grinsen finden konnten ... all dies gefiel ihm nicht, ließ das sonst so vertraute Beisammensein befremdlich wirken. Was war nur los? Warum ließ sie ihre Wut nicht einfach an ihm aus und dann war die Sache gegessen, vergessen, hinter ihnen und sie konnten wieder lachen? Warum schwieg Green so? War das ihre Art, ihn zu bestrafen? Wusste sie, wie sehr ihn dieser schweigsame Spaziergang durch Tokio quälte? Wie er litt? Dass er sie am liebsten anschreien wollte, nur um sie zu provozieren, um das Schweigen endlich zu vertreiben? Warum nur war Gary nicht mitgekommen...  er kannte doch für alles eine Lösung. Obwohl – war das hier, das soziale Miteinander – nicht eigentlich Siberus Gebiet? Was war es, das ihn in diesem Moment so ohnmächtig werden ließ? War es wirklich Greens Schweigen? Reichte das aus, um so ein Unwohlsein in ihm hervorzurufen? Sie sollte damit aufhören … er wollte dem Ganzen ein Ende setzen; sie tatsächlich direkt konfrontieren, obwohl jeder Zentimeter ihres Körpers ihm sagte, dass sie nicht angesprochen werden wollte… aber als er seinen Mund öffnete, um ihren Namen zu sagen, brachte er keinen Ton über die Lippen, war wieder zum Schweigen verflucht und als hätte ihn das Leben tatsächlich verdammt, starrte er tatenlos auf den Fußgängerweg, als wäre das das einzige, was er in diesem Moment noch tun konnte. Er sah nun einfach nur auf den Boden unter sich, auf seine sich vorwärts bewegenden Füße, Greens eigenes Fortbewegen von der Seite aus beobachtend.   Das Größenverhältnis stimmte nicht. Er war natürlich viel größer geworden seit… damals… er war rechts von ihr gegangen… damals. Aber Green und sie waren gleich groß. Ihre Schritte klangen gleich, die langen auf und ab hüpfenden Haare, die leicht angespannte Körperhaltung. Das Schweigen. Das Nichtansehen. Das Ignorieren.    Siberu war das bis jetzt nicht aufgefallen. Ob es seinem Bruder aufgefallen war? Bis auf die roten Haare… sahen Green und die Frau, die er gerne mit einem warmen Gefühl „Mama“ nennen würde, sich ähnlich.   Auch dieses Gefühl war ähnlich. Aber es sollte sich nicht ähneln! Siberu mochte das nicht; er mochte nicht an damals denken, mochte sich nicht daran erinnern, wie lange seine Mutter ihn angeschwiegen hatte… auf dem Weg nachhause… als Siberu einen weiteren Fehler begangen hatte… er beging viele Fehler. Einen. Nach. Dem. Anderen.   „Green-chan!“ Siberu wollte das nicht mehr, er wollte es unterbrechen – er wollte nicht zurück denken, wollte nicht mehr schweigen, wollte nicht mehr über Gleichheiten nachdenken, über Fehler, die nicht mehr gutzumachen waren, Dinge, die nie wiederkehren würden, Fehler, die begangen worden waren---   Siberu war stehen geblieben, aber Green blieb nicht stehen. Sie ging weiter; deutete eine eher genervte Kopfbewegung an und von fern, als gehörten sie nicht in dieselbe Welt, dieselbe Realität, hörte er, wie sie sagte, dass sie sich irgendwo hinein setzen wollte, es würde bald anfangen zu schneien, das spüre sie…   „Jetzt rede endlich mit mir! Dieses Schweigen halte ich nicht aus! Sag was!“ Aber da packte er ihr Handgelenk und zwang sie so dazu, stehenzubleiben – etwas zu hart, wie er an ihrem vergeblichen Versuch sich loszureißen und an ihrem Blick bemerkte, als sie sich zu ihm herumwandte, ihn zuerst verärgert anfunkelte – aber dann veränderte sich der Ausdruck in ihren Augen. Was war das? Ihre Augen brachten sein Herz zum Rasen – deutlich konnte er sehen, wie sie sich langsam weiteten, voll Überraschung, Erstaunen. Aber sehr … negativ; war das schon Entsetzen? „Deine … Augen, Sibi, was ist mit deinen …“ Aber weiter kam sie nicht. Die Luft um sie herum veränderte sich plötzlich, erstarrte – und was auch immer Green so schockierend an Siberus Augen gefunden hatte, so lenkte ihre Umgebung sie nun ab. Alles um sie herum erstarrte; die Autos, die Menschen, die Vögel am weit entfernten Himmel, selbst die Lichter hörten auf zu leuchten – als wäre die Zeit eingefroren. „Was zur Hölle – ist das etwa Kaira?!“, fragte Green die einzige Person außer er selbsst, die sich noch bewegen konnte. „Keine Ahnung! Das ist auf jeden Fall ein Zeitbann, das könnten auch andere Wächter sein…aber ich spüre keine Aura-“ Schneller als ihm lieb war, spürte er allerdings eine und ohne, dass er es verhindern konnte, wurde ihm Greens Handgelenk entrissen. Er rief ihren Namen, aber es ging alles zu schnell. Irgendetwas von gewaltiger Größe traf ihre Magengegend, schleuderte sie über den Fußgängerübergang und schon kollidierte Greens Rücken mit einem in der Zeit eingefrorenen Auto. Der Schmerz lähmte ihren Körper, Blut sammelte sich in ihrem Mund, aber noch bevor sie sich wundern konnte, dass ihre bereits nicht mehr klar sehenden Augen nicht nur einen riesigen Dämon vor Siberu auszumachen glaubten, sondern auch einen… sie glaubte es jedenfalls… Wächter… ergab sich ihr Körper den Schmerzen. Ihr Kopf sackte auf ihre Brust und sie wurde ohnmächtig.     Von all dem bemerkte Gary nichts. Nach der Aufforderung Greens, er solle sich alleine auf den Heimweg machen, hatte er kurz gezögert, war aber dann doch in seine und Siberus Wohnung zurückgekehrt. Ein wenig Sorgen machte er sich schon um seinen Bruder – Green konnte immerhin eine wahre Furie sein – aber wenn er es sich genauer überlegte, hatte Siberu es auch nicht anders verdient. Anstatt sich also nun einem unbekannten Gegner zu stellen, machte er sich, seinen eigenen Gedanken nachhängend, einen Kaffee und entschloss sich dazu, dass er die ungewohnte Ruhe mit Lesen verbringen würde – und das, obwohl der Kampf nur wenige Kilometer von ihm entfernt stattfand. Aber davon spürte der sonst so achtsame Gary nichts, denn das Vorhandensein des Bannkreises blockierte jedes Herausdringen der Auren, weshalb es für Gary nicht möglich war, die magischen Aktivitäten zu erspüren. Dennoch. Ein ungutes Gefühl hatte sich in ihm eingenistet. Aber eben dieses versuchte er nun in den Seiten seiner Lektüre und dem starken Kaffee zu vergessen, während Siberu sich nicht nur einem ziemlich großen Dämon, sondern auch noch einem Wächter gegenüberstehen sah.     Langsam verstand Siberu die Situation, in die Green und er unbeabsichtigt hineingestolpert waren: jedenfalls glaubte er, dass er sie verstand. Der Wächter hatte den Dämon wohl verfolgt und deswegen den Zeitbann gelegt – die Wächter waren ja immer so sehr um die Bewahrung der Umgebung bemüht – und in diesen waren Green und er blindlings hineingerannt. Der blauhaarige Wächter sah offensichtlich nicht nur Siberus Augen, sondern spürte auch seine Aura, womit er nun zwei Dämonen zu seinen Gegnern zählte. Wenigstens sorgte das große Ungetüm nicht dafür, dass der Wächter glaubte, die beiden Dämonen würden irgendwie zusammengehören oder gar zusammenarbeiten, denn nachdem die ohnmächtige Green für den Dämon nicht mehr von Interesse war, widmete er sich nun Siberu. Dieser wich dem Asphalt vernichtenden Schlag des Dämons geschickt aus, drehte sich um seine eigene Achse, um Schwung für einen Gegenangriff zu erhalten, als er bereits bemerkte, dass das nicht nötig war. Ein markerschütternder Aufschrei ertönte, als ein türkisfarbener Blitz  dem Dämon den linken Arm abriss – noch bevor er zu Boden krachen konnte, löste er sich in viele kleine Funken auf, womit der erstaunt dreinblickende Siberu nun freie Sicht hatte auf die von Blitzen umgebene Hand des Wächters ihm gegenüber. Er hatte Siberu ganz gewiss nicht helfen wollen – er war einfach geschickt und erfahren genug gewesen, um den Moment zu nutzen, in dem der Dämon durch Siberu abgelenkt gewesen war. Haha, wahrscheinlich war es klüger, das Ganze einfach diesem Wächter mit den langen, ultramarinen Haaren und der vornehmen Uniform zu überlassen; sich einfach Green zu schnappen und die Fliege zu machen, denn er hatte sicherlich genau dasselbe mit Siberu vor wie mit dem anderen Dämon – und wenn er so daran dachte, wie der Wächter mit einem felsenfesten, entschlossenen Blick den anderen Dämon mittels seiner Blitze förmlich auseinandergerissen hatte… ah, nein. Musste nicht sein.   Es war nicht so, dachte Siberu, während die schwarzen Reste des anderen Dämons sich in Funken auflösten, dass er glaubte, dass er schwächer als der Wächter war… es war nur… Siberus Augen huschten zu Green herüber. Sie könnte jeden Moment wieder aufwachen, ihre Verletzung war nicht… ach, egal, nicht nachdenken – handeln! Siberu hatte schon die Hand auf den kalten Stahl der Straßenabsperrung gelegt, wollte gerade über diese springen, um zu Green zu gelangen, um sich mit ihr davon zu teleportieren, seinem Bruder Bericht erstatten… als ein genau vor seinem Gesicht auftauchender Blitz ihn von diesem Vorhaben abhielt. Siberu spürte eine sehr starke Magie von dem türkisfarbenen Blitz ausgehen und er wollte wirklich nicht herausfinden, was passieren würde, wenn der Blitz seiner Haut zu nahe kam – scheinbar war das aber nicht die Absicht des Angreifers, denn anstatt ihn genauso auszulöschen wie er den anderen Dämon ausgelöscht hatte, schien es, als würde er ihn stattdessen gefangen nehmen wollen: der vor Siberu aufgetauchte Blitz veränderte blitzend und vibrierend seine Form, verlängerte sich und umschloss den Rotschopf, womit dieser sich nun nur noch in einem sehr kleinen Radius bewegen konnte, da der Blitz ihm nur sehr wenig Freiraum ließ. „Beweg dich nicht“, befahl der Wächter auf Englisch, was es nur noch deutlicher machte, dass er Siberu gefangen nehmen wollte, anstatt ihn zu töten – aber warum? Siberu wusste es nicht und eigentlich machte er sich darüber auch keine sonderlich großen Gedanken; das Vorhaben des Wächters war deutlich und genauso bewusst war sich Siberu, dass er sich garantiert nirgendwohin verschleppen ließ – ganz egal wohin und weshalb. Daher antwortete Siberu ihm auch nicht, obwohl er seine Worte schon sehr wohl verstanden hatte; stattdessen drehte er sich langsam zu dem entschlossenen Wächter herum, darauf achtend, nicht in Kontakt mit den Blitzen zu kommen, die von der ausgestreckten Hand des Wächters geführt wurden. Bei dieser Bewegung fiel sein Blick auf sein Spiegelbild rechts von ihm in dem Schaufenster einer Boutique. Jetzt sah man ihm deutlich an, dass er kein Mensch war. Seine Augen hatten sich verändert, der rote Ton seiner Augen trat deutlicher hervor, die Pupille war dünner; ein kleiner schwarzer Riss in einem dunklen, roten Meer. Bei Halbdämonen nannte man diese - eigentlich willentlich - herbeigeführte Veränderung des Körpers umgangssprachlich „Dämonenmodus“. In diesem Fall war es allerdings nicht willentlich geschehen, denn er hatte nicht gewollt, dass Green es sah, aber manchmal geschahen Ausrutscher – manchmal entglitt einem die Menschlichkeit, siebte durch die Finger wie Wasser. Seufzend wandte Siberu sich von seinem Spiegelbild ab, schloss kurz die Augen, ehe er sie entschlossen dem fremden Wächter zuwandte und ihm auf Englisch antwortete: „“Nicht bewegen“? Sorry, aber das kann ich nicht. „Nicht bewegen“ passt nicht zu meinem Image.“ Entweder Siberu ließ sich gefangen nehmen – oder er tat das, was Dämonen nun einmal taten und am besten konnten.         Das erste was Green bemerkte, als sie die Augen wieder öffnete, war ein ekelhafter, metallischer Geschmack in ihrem Mund – und Schmerzen besonders im Rücken, was sie zu einem schmerzhaften Stöhnen brachte. Noch ziemlich benebelt suchten Greens Hände nach Halt und langsam hievte sie sich auf die Beine, den Kopf immer noch gesenkt, darum bemüht, wieder vollends zu Bewusstsein zu kommen. Was war eigentlich…   Dann stockte ihr der Atem und mit aller Härte kehrte sie zurück in die unbarmherzige Realität, auch wenn sie im ersten Augenblick nicht glauben konnte, was sie da sah – sie wollte es auch nicht, sie wollte nicht wahrhaben, dass die Person, deren Spiegelbild sie im Schaufenster sehen konnte, deren Gesicht von mehreren roten Sprenkeln gemustert war und deren Augen in der grauen Wirklichkeit förmlich zu leuchten schienen, zu „ihrem Sibi“ gehörten – und dass dieser stoßweise atmend gerade vor dem leblosen Körper eines Wächters stand, dessen Brust von einem blutenden See entstellt wurde. Green hatte bis jetzt schon viele Dämonen umgebracht, hatte mittlerweile auch schon oft gesehen, wie Gary oder Siberu es getan hatten und natürlich waren sie dabei oft dreckig geworden … sie hatten dabei oft sinnlos herumgealbert … sie und Siberu … es immer mehr wie ein Spiel abgetan … aber jetzt, in diesem Moment, hatte Green nicht das Gefühl, als wäre es ein Spiel. Zum ersten Mal, obwohl sie und ihre Freunde schon oft getötet hatten, hatte sie das Gefühl, bei einem Mord dabei zu sein. „…Sibi?...!“ Siberu reagierte nicht auf ihre Stimme; er machte absolut gar keine Anzeichen darauf, irgendetwas anderes wahrzunehmen als den Wächter vor ihm – und dass dieser nicht tot war und das es somit kein Mord war, fand Green schnell heraus. Es war nur ein kurzer Moment der Stille gewesen, eine kurze Verschnaufpause und ohne, dass einer der beiden Notiz von Green nahm, ging der Kampf in die zweite Runde. Für den Moment war das einzige, was Green tat, sich an dem Griff der Autotür festzuhalten; zu sehr war sie abgelenkt und eingenommen von dem, was sie sah – der Kampf… er sah… anders aus. Ganz anders als die Kämpfe, an denen sie selbst teilgenommen hatte. Ganz besonders Siberu sah anders aus: es waren nicht seine Augen, die der Grund für dieses „Anderssein“ waren, sondern die Art, wie er kämpfte. Verbissener, ernster – keinen Augenblick lang entdeckte Green ein Grinsen auf seinem Gesicht; er hatte keinen Spaß. Er kämpfte nicht aus Spaß; er kämpfte, um den Wächter zu töten. Und das gelang ihm nicht. Der Wächter war talentiert, das sah auch Green mit ihrer mangelhaften Kampferfahrung – Siberu war zwar schneller als er, aber der blauhaarige Wächter besaß eine gute Verteidigung und war stets i­n der Lage, Siberus Angriffe mit seinen Blitzen zu blocken. Ein Gedanke streifte Green; war das Blut auf seiner Schulter vielleicht gar nicht seins? Er wirkte nicht so, als wäre er aus der Puste oder als ob er Schmerzen hätte; er wirkte sehr souverän … war das Siberus Blut? War er verletzt? Green konnte es nicht beurteilen, denn Siberu war trotz einer möglichen Wunde immer noch zu schnell … Und Green starrte auch eher auf sein Gesicht. Dieser Gesichtsausdruck … dieser Wille, zu töten … das war einfach … „Jetzt hör auf, Sibi! Das bringt doch nichts!“ Green hatte gehofft, dass sie Siberu würde erreichen können, aber stattdessen reagierte der Wächter auf ihre Stimme; vielleicht weil er sie wegen ihrer Sprache für eine japanische Passantin hielt, einen Menschen, den er verteidigen musste … jedenfalls drehte der blauhaarige Wächter den Kopf zu ihr – und Siberu reagierte schnell und wusste diese Ablenkung, die erhoffte Lücke, zu nutzen. „SIBI, NEIN! NICHT!“ Endlich bemerkte Siberu seine Freundin und seine roten Dämonenaugen huschten zu ihr – doch es war zu spät. Er hatte sie zu spät bemerkt und zwar erst in dem Moment, als seine schwarzleuchtende, zu Klauen geformte Hand mit der linken Brust des Wächters kollidierte. Der heftige Aufprall der Attacke warf den Wächter rücklings in die Fensterscheibe der Boutique, in deren zerbrochener Schaufensterscheibe er reglos hängen blieb. Auch Green stöhnte auf; die Magie, Siberus Magie, hatte auch sie getroffen. Sie hatte zu nah gestanden, die Magie hatte zu weit ausgestrahlt und schon schoss Greens Hand an ihren Hals. Der Querschläger hatte den Stoff ihres Rollkragenpullovers zerrissen und einen vertikalen Kratzer an ihrem Hals hinterlassen. Nicht tief, aber… was war das für eine brennende Magie? Dieser kleine Kratzer schmerzte fürchterlich, stärker und intensiver als jede andere Attacke, die sie in ihrer Laufbahn als Wächter bereits eingesteckt hatte – lag es nur an der Platzierung der Wunde? Nein, sie war schon früher einmal am Hals getroffen worden… es war Siberus Magie, die stärker und schmerzlicher war als alles, was sie vorher gespürt hatte. Absolute Stille trat ein. Green starrte auf den Körper des Wächters, die Glasscherben auf dem Boden, den im Glas festhängenden rechten Arm des Wächters, seine zerrissene Uniform, die geschlossenen, halb von seinem ultramarinen Haar verborgenen Augen… und das Blut – das Blut auf seinem Oberkörper, das Blut an den Scherben… das Blut in Siberus Gesicht, als er sich von dem Wächter abwandte und zu Green sah, deren eigene Wunde im Takt seiner Drehung pulsierte. Zuerst schien er sie am liebsten ignorieren zu wollen, doch dann wandte er sich langsam zu ihr herum, sah über die Schulter hinweg zu ihr, die roten Dämonenaugen von seinem roten Haar teilweise verborgen. Er sagte nichts. Seine Augen durchbohrten sie einfach. War das der Grund für ihre Gänsehaut? Oder war es der Schmerz? „Sibi … er wird ja wohl nicht … der Wächter, er ist nicht … oder?“ Es war nicht Siberu, der ihr eine Antwort auf diese verzagte Frage gab, sondern der Wächter selbst: anscheinend hatte Greens Stimme Siberu noch rechtzeitig erreicht und den Wächter nur für eine kurze Zeit bewegungsunfähig gemacht, denn nun riss er seinen von Schrammen und Kratzern übersäten Arm heraus – was allerdings nur Green sah, denn Siberu hatte immer noch wie hypnotisiert seine Freundin fixiert, unfähig, sich von ihr abzuwenden oder auf seine Umgebung zu achten. Seine Dämonenaugen nahmen einen reuevollen Ausdruck an, er schien etwas sagen zu wollen, aber darauf achtete Green in diesem Moment nicht. Greens Körper erlaubte ihr noch nicht die gewünschte Schnelligkeit und so war sie nicht schnell genug, um zu Siberu und dem ihn angreifen wollenden Wächter zu gelangen; das ganze Gebiet leuchtete türkis, die Blitze schossen auf Siberus Kopf zu, er wirbelte herum, das Licht spiegelte sich in seinen roten Augen – aber auch wenn es Greens Körper nur gelungen war, wenige Meter nach vorne zu hechten, so war ihre Stimme schnell genug gewesen: „Halt!“ Wieder war es ihre Stimme, die einen Wächter zum Innehalten brachte und da Green die Wirkung ihrer Stimme wegen dem Treffen mit Kaira nicht vergessen hatte, fügte sie entschlossen hinzu: „Ich befehle es!“ Ihre Stimme zeigte zwar die Entschlossenheit, die dieserlei Worten Wirkung verlieh, aber die Worte fühlten sich sehr eigenartig an auf ihrer Zunge, ungewohnt und falsch. Aber wenn sie etwas Falsches tun musste, um Siberu davor zu bewahren, von einem Blitz erschlagen zu werden, dann war das wohl das richtige. Der Wächter hatte tatsächlich innegehalten und sah sie nun skeptisch an, nachdem er die Überraschung über ihr Einmischen abgelegt hatte. Aber darauf achtete Green im Moment nicht – um einiges weniger entschlossen, sondern viel mehr erleichtert, dass ihre Stimme ein weiteres Mal Unheil unterbunden hatte, stolperte sie auf Siberu zu, packte den erstaunten Dämon am Arm und zog ihn zurück, beschützend hinter sich schiebend. Er sagte nichts, tat nichts – er sah sie mit diesen ungewohnten Augen einfach nur verdattert an. Der Wächter war es, der zuerst seine Stimme wiederfand – doch obwohl Greens Stimme Effekt gezeigt hatte, so war er nach wie vor in Angriffsposition und seine Blitze tänzelten immer noch ihren ruckartigen Tanz um seine Hand und seinen Oberarm herum. „Wer seid Ihr? Gebt Euren Rang und Eurer Element preis.“ Green musterte den zwar schwer verwundeten, aber dennoch kampfbereiten Wächter vor ihr eingehend, aber sie war sich sicher: sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Gut, das war wahrscheinlich auch nicht verwunderlich; so viele Wächter kannte sie immerhin noch nicht. „Mein Name ist Green. Kurai Yogosu Hikari Green“, fügte sie noch hinzu, da ihr kompletter Name in diesem Fall wohl angebrachter war und seine Augen weiteten sich auch für einen kurzen Moment, besonders als Green, um ihre Worte zu untermauern, ihren Stab umwandelte: „Ich bin die Wächterin des Lichts.“ Das schien der Wächter jedoch nicht zu hören; er starrte ihre Waffe an und stieß überrascht hervor: „Aber das ist ja eine Waffe von Asuka-dono! Das bedeutet… Dann seid Ihr ja…“ Sein verwirrter Blick widmete sich Green, dann wieder Siberu – eine Kombination, die er nicht zu verstehen schien: „Wenn Ihr wirklich unsere Hikari seid … warum schützt Ihr dann einen Dämon?“ „Weil er mein Freund ist. Meistens jedenfalls – das tut hier aber auch gar nichts zur Sache! Kehren Sie zurück in den Tempel, erstatten Sie Bericht… oder so. Hier ist ja jetzt alles in Ordnung, oder?“ Immer noch sah er sie entgeistert an, aber langsam legte sich die Verwirrung – eigentlich ungewöhnlich schnell, als würde er plötzlich irgendwelche Zusammenhänge verstehen, die ihm vorher schleierhaft gewesen waren. Die Blitze verschwanden und er nahm plötzlich eine entspannte Haltung an, die Siberu und Green dazu brachte, sich einen verwirrten Blick zuzuwerfen – damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Aber noch weniger hatte Green die Frage seinerseits kommen gesehen, die er lächelnd vortrug: „Wenn ich mir noch eine letzte Frage erlauben darf, Hikari-sama: in genau einem Monat findet die Hochzeit meiner Frau und mir statt. Ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn Ihr kommen würdet.“ „Eine … Hochzeit? Uhm, ja, klar, warum nicht?“ Green verwirrte diese Bitte, aber da sie ihn so schnell wie möglich loswerden wollte, sagte sie einfach zu, was sein höfliches Lächeln noch breiter machte – ehe er sich verbeugte und sich dann tatsächlich endlich davon teleportierte. Genau in dem Moment verlor auch der Zeitbann seine Wirkung: die Zerstörung um sie herum verschwand, nichts war mehr davon zu sehen und Menschen und Autos setzten wieder ihren gewohnten Gang fort.     Der Name des Wächters war Shitaya, Kikou Docere Shitaya, ein Klimawächter wie Tinami, einer der obersten Kommandeure der Wächterstreitmächte und nicht nur einer der talentiertesten Wächter des Wächtertums, sondern auch überaus intelligent. Er lebte gewissenhaft nach den heiligen Regeln und diente den Hikari treu – was ihn allerdings nicht daran hinderte, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, weshalb er auch nun nicht im Tempel war, um irgendeinen Bericht zu erstatten, sondern, nachdem er sich in aller Eile hatte verarzten lassen, auf dem Weg zu seinem besten Freund und baldigem Trauzeugen. Die Abenddämmerung hatte sich über die schwebende Insel gesenkt und rotgoldenes Licht durchflutete die stillen Säulengänge, in denen weder gerannt noch laut gesprochen wurde. Alles hatte seine Ordnung und auch wenn Shitaya überaus aufgeregt war, so hielt auch er sich an diese und unterdrückte den Impuls, rennen zu wollen. Erst als er in einem der vielen Innenhöfe des großen Gebäudekomplexes ankam, begann er über das Feld zu rennen, um zu seinem Freund zu gelangen, der eine Gruppe von jungen Wächtern im Licht der Abendsonne beim Trainieren überwachte. Der hochgewachsene junge Mann mit den kurzen, violetten Haaren trug eine ähnlich vornehme Uniform wie Shitaya und wandte sich mit wehendem Umhang zu ihm herum, als er seinen Freund kommen hörte. Seine dunklen, braunen Augen entdeckten sofort Shitayas Verletzung und die zerrissene Kleidung, weshalb er sich doch einen neckischen Kommentar nicht verkneifen konnte: „Ach, hat der Held des Wächtertums Probleme, mit einem C-Dämon fertig zu werden?“ Die Neckerei verging ihm allerdings schnell, denn er sah an Shitayas Blick, dass die Situation sehr ernst war. „Wäre es möglich, kurz ein Gespräch unter vier Augen zu führen, Cebir?“ Argwöhnisch verengten sich die Augen des Angesprochenen, dann wandte er sich ohne weitere Fragen an die in Reih und Glied trainierenden Wächter und erklärte das Training kurzerhand für beendet. Unter dem verdatterten Blick von Shitaya und der ersten Verwirrung der Schüler verließen diese nun den Platz. „Das wäre jetzt nicht nötig gewesen …“ „Wir waren sowieso schon fünf Minuten über der Zeit.“ Cebir beobachtete aus den Augenwinkeln, wie die letzten Wächter den Hof verließen, dann setzte er dazu an, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, seinen Freund zum Reden auffordernd. Die Erzählung Shitayas machte auch Cebir skeptisch: „Und du bist dir ganz sicher, dass es sich bei dem Mädchen um unsere Hikari gehandelt hat?“ Shitaya deutete ein Nicken an. „Sie war unzweifelhaft White-samas Tochter; die Ähnlichkeit war verblüffend. Aber der deutlichste Beweis war ihre Waffe. Tinami-dono hat mir einst die Skizzen für diese Waffe gezeigt. Damals erklärte sie mir, dass es die Waffe für die zukünftige Hikari sei… und dass das Mädchen sie benutzen konnte, beweist, dass sie die Hikari ist, für die sie geschmiedet worden ist. So unglaublich das auch sein mag.“ „Das erklärt auch, warum sie der Öffentlichkeit noch nicht vorgestellt worden ist. Eine Hikari, die sich mit dem Feind verbrüdert …“ Cebir machte ein abfälliges Geräusch: „Ist denn das zu fassen! Da bist du echt über etwas Großes gestolpert… viel größer als jede Information, die wir dem Halbdämon hätten entnehmen können, wenn du ihn gefangen genommen hättest. Unsere Hikari lebt nicht nur und führt irgendwo in der Menschenwelt ein munteres Leben, sie bandelt auch noch mit Dämonen an! Für deine Frau und ihre Klatschpresse ist das wirklich ein gefundenes Fressen. Warum lassen die Hikari so eine Schmach nur geschehen?!“ Shitaya antwortete darauf nicht; nachdenklich hatte er die Stirn in Falten gelegt und schwieg für eine kurze Weile, bis er seine Gedanken preisgab: „Ich habe sie zu meiner Hochzeit eingeladen.“ Cebir warf seinem Freund einen verdutzten Blick zu, was Shitaya jedoch nicht beachtete. „Sie wusste nichts von der Feier, obwohl es eine sehr große Feierlichkeit sein wird und sie als Hikari eigentlich Ehrengast sein sollte … Das Mädchen scheint genauso wenig über uns zu wissen wie wir über sie. Ich frage mich, warum die Hikari diese Isolation wünschen, wenn sie es denn überhaupt sind, die diese herbeiführen.“ Diese Worte brachten Cebir dazu, stehen zu bleiben und Shitaya erstaunt anzusehen. Es war allerdings nicht nur er, der in diesem Moment stehen geblieben war – am anderen Ende des Ganges, in den dunklen Schatten der Säulen, war eine weitere Person verharrt, die nun langsam den weißen Kopf zu ihnen drehte. „Das verstehst du nicht? Also das einzige, was ich nicht verstehe, ist, warum das Mädchen noch am Leben ist! Auf Verbrüderung mit dem Feind steht die Todesstrafe!“ Die weißen Augen der Person weiteten sich kurz überrascht über das, was sie da gehört hatte – allerdings nur kurz, denn schon löste sie sich nun aus dem Schatten, doch die beiden Wächter waren zu sehr mit ihrem Gespräch beschäftigt, als dass sie es bemerkt hätten. Cebir merkte nur, dass er zu laut gesprochen hatte, weshalb er seine Stimme nun mäßigte: „Jeder andere Wächter wäre vom Kriegsgericht schon längst für schuldig befunden worden; nur weil sie eine Hikari ist, ist sie noch am Leben. Eine Hikari lässt man nicht so einfach hinrichten …“ „Guten Abend.“ Beide Wächter fuhren erschrocken zusammen, als sie diese ruhige Stimme hinter sich hörten, plötzlich nervös werdend, besonders als sie entdeckten, wem die Stimme gehörte: dem Hikari Hizashi. Dieser lächelte breit, als hätte er zwei Schulkinder bei etwas Unartigem entdeckt und die Schatten der Abendsonne verliehen seinem weißen Gesicht etwas Bedrohliches, als er gemächlich die Hände faltete. „Folgen Sie mir bitte in mein Büro.“             Siberu hätte Green und sich auch nachhause  teleportieren können, aber das hatte er nicht getan. Einem unterbewussten Impuls folgend hatte er sie an einen Ort gebracht, den er schon lange, lange nicht mehr aufgesucht hatte. Green kannte diese Gegend von Tokio nicht, weshalb sie sich auch sehr verwirrt in der Wohngegend umsah, wo ein Haus aussah wie das andere, mit dicht aneinander gereihten Grundstücken umgeben von hohen Mauern, um die Häuser von den Blicken der Passanten und den Geräuschen der Autos abzuschirmen. Es wirkte alles genauso grau wie der dunkle Himmel über ihnen, die Straßen waren kaum befahren, nur wenige Bewohner waren unterwegs. Im Gegensatz zu Green kannte Gary diese Gegend allerdings sehr gut – gerade deshalb wunderte es ihn sehr, dass Siberus Aura ihn dorthin geführt hatte. Er hatte sich natürlich nicht wie erhofft auf sein Buch konzentrieren können und der Kaffee war kalt geworden, ohne dass er viel davon getrunken hatte, denn sein ungutes Gefühl hatte ihm keine Ruhe gelassen. Nun, da der Zeitbann aufgelöst worden war, hatte er Siberus und Greens Aura wieder erspüren können, wobei ihm mit pochenden Herzen nicht unbemerkt geblieben war, dass die Aura seines Bruders sich unmerklich schwächer angefühlt hatte.  Noch hatte er die beiden allerdings nicht gefunden. Er war einige Straßen und Ecken von ihnen entfernt; genau wie Siberu hatte auch er seine Schritte verlangsamt. Green tat es ihm gleich, womit sie nun einige Meter hinter ihm stand. Sie wollte ihn gerade fragen, wo sie seien, ob der Ort nur ein Zufall sei oder ob Siberu diese Gegend kannte, als er sich zu ihr herumwandte. Er hätte den Dämonenmodus deaktivieren können, aber das hatte er nicht getan. Es war wahrscheinlich ein Fehler; er sollte sie nicht provozieren, es war immerhin deutlich, dass Green seine Augen so nicht mochte – aber vielleicht tat er es gerade deshalb. Denn auch jetzt bemerkte er, dass Green seine Augen anstarrte, dass sie nicht in der Lage war, sich von diesen abzuwenden. Aber sie sagte nichts, sie musterte ihn einfach nur verwirrt, ein wenig argwöhnisch und besorgt. „Sag etwas“, forderte er sie genau wie zuvor auf und wieder hörte Green Verzweiflung auf der Oberfläche seiner Stimme, besonders als er sie ein weiteres Mal aufforderte. Verzweiflung und Wut: „Sag etwas, Green-chan! Was siehst du?! Warum starrst du mich so an, was ist es, was du siehst?!“ Green antwortete ihm immer noch nicht; seine so offensichtlichen Gefühle verschlugen ihr die Sprache, aber Siberu war noch nicht fertig: „Vorhin warst du doch noch so wütend auf mich – ist der Kuss etwa schon vergessen?! Willst du deswegen gar nichts mehr sagen, mich deine Wut nicht spüren lassen?!“ Green musste zugeben, dass sie den Kuss in der ganzen Aufregung tatsächlich vergessen hatte – deswegen jetzt noch wütend zu sein, kam ihr ziemlich läppisch vor. Aber Siberu wartete nicht darauf, dass sie dies sagen konnte: „Und gerade eben – da hattest du Angst vor mir, oder?! Das solltest du auch – Angst und Wut sind die richtigen Gefühle, man sollte sich von mir fernhalten. Ich bin ein Dämon, ich töte und nehme mir die Dinge, die ich will. Das ist es, was ich bin und das ist es auch, was du in meinen Augen siehst.“ Seine Haltung verlor an Anspannung, die Wut war verschwunden, nur die zu Fäusten geballten Hände zeugten von seiner inneren Zerrissenheit und seine Augen, die Greens Blick nicht mehr standhalten konnten, aber von ihrer Stimme wieder aufgerüttelt wurden: „Sag mir nicht, was ich zu sehen habe, Sibi!“ Siberu gelang es gerade noch, verwirrt den Blick zu heben, als sein Kopf schon von zwei kalten Händen gepackt und angehoben wurde, womit es nun er war, der in Greens tiefe, dunkle Augen starrte und nicht umgekehrt. Ihre Augen, die Verbissenheit, eine Spur Wut und ein wenig Sorge widerspiegelten und die ihn mit diesen Gefühlen förmlich bewegungsunfähig machten.    „Das einzige, was ich denke, wenn ich diese Augen sehe, ist, dass du mit deinen normalen besser aussiehst! Ich bin nicht Rui …“ Sie löste die eine Hand von seinem Gesicht, schüttelte ihren Ärmel aus und begann ihm grob das Blut aus dem Gesicht zu wischen, ohne auf seine eher halbherzigen Proteste zu achten. „… und ich ziehe deine normalen Augen vor. Die stehen dir einfach besser. Ich habe mich…“ Ihre reibenden Bewegungen wurden ein wenig langsamer und deutlich erkannte Siberu mit pochendem Herzen, wie Green plötzlich selbst auch ein wenig rot wurde: „… damals nämlich besonders in deine Augen verliebt.“ Siberus Augen weiteten sich und er spürte, dass die Freude über diese Aussage, deren Tragweite Green sich in diesem Moment nicht bewusst war, ihn durchspülte, jeden negativen Gedanken verblassen ließ und sogar der grauen Welt um sie herum ihre Farbe zurückgab. Aber Green bemerkte es nicht, die Röte war aus ihrem Gesicht verschwunden, sie fluchte über die Hartnäckigkeit des Blutes und setzte ihre Beschwerde wieder verbissen fort: „Und ja, ja! Ich hatte Angst, aber nicht vor dir, du Idiot! Ich hatte Angst um dich. Ich meine, die Hikari haben mich schon im Visier, aber sie müssen nicht auch noch ihre weißen Stieraugen auf euch richten – und wenn du irgendeinen ihrer Wächter umbringen würdest, oh Gott, ich will gar nicht wissen, was dann passiert. Ich weiß, ich weiß… ich hätte in diesem Moment lieber um den Wächter besorgt sein müssen.“ Green zog ihre Hand zurück und ein ironisches Lächeln tauchte auf ihrem Gesicht auf, welches Siberu nach wie vor von Nahem mit roten, fast glühenden Wangen betrachten konnte: „Ich bin wahrscheinlich einfach zu egoistisch und trage meinen Namen als unreine Hikari sicherlich zu Recht, aber ich bin nun einmal kein Gutmensch, das brauche ich auch nicht mir selbst vorzuheucheln. Was interessiert es mich, wenn eine Person stirbt, die ich gar nicht kenne… Sibi?“ Für einen kurzen Moment war sie abgelenkt gewesen, weswegen sie auch erst jetzt sah, dass die Dämonenaugen, die sie einige Minuten vorher noch so wütend angestarrt hatten, jetzt plötzlich glasig geworden waren – und noch ehe sie etwas tun konnte, warf er sich plötzlich in ihre Arme, so stürmisch, dass es sie beide zu Boden riss. Verzagt klammerte der plötzlich sehr klein wirkende Rotschopf sich an Green, schlang seine Arme um ihren Körper und nachdem Green aufgehört hatte, ihn überrascht anzusehen, bemerkte sie etwas, was sie nicht geglaubt hatte, jemals von Siberu zu sehen; seine Schultern bebten und obwohl er den Kopf gegen ihre Brust gesenkt hielt, spürte sie, dass er weinte. Aber warum hatte sie geglaubt, dass sie es niemals sehen würde? Sie war dumm gewesen. Jetzt verstand sie plötzlich, dass der sonst so cool-tuende, eingebildete, immer grinsende Junge, der gerne das andere Geschlecht um den Finger wickelte, eigentlich immer noch ein Kind war – er war Dämon, er war Mensch. Aber eigentlich nur ein Kind, das mehr Trost und Wärme benötigte, als Green ihm jemals geben könnte, auch wenn sie jetzt versuchte, ihm eben dies zu geben, damit er zu seinem Grinsen zurückfinden konnte: jetzt durfte er seine schwächste Seite zeigen. Jetzt war alles gut.          „…Das Ganze ist irgendwie doch zu deinen Gunsten verlaufen, Sibi. Ich wollte nämlich eigentlich wirklich sehr lange auf dich wütend sein.“ Der sich an sie klammernde Rotschopf hörte ihre halb geflüsterten Worte gar nicht; er bemerkte auch nicht, wie Gary um die Ecke gebogen kam, anders als Green, die kurz aufsah und ihm mit einem Blick zu verstehen gab, dass sie ihn bemerkt hatte und dass alles „in Ordnung“ sei. Sanft legte sie mit einem Lächeln den einen Arm um Siberu, während sie mit der anderen seinen Kopf streichelte, ohne sich davon stören zu lassen, dass sich somit das Blut Siberus auf ihrer Kleidung verteilte. „Aber du musst mir versprechen, dass du dich bei Firey entschuldigst. Ich mag dich zwar so wie du bist, aber ihr gegenüber kannst du schon ein ganz schönes …“ Siberu nickte einfach zustimmend – er hätte ihr in diesem Moment wohl alles versprochen. Seinen Bruder bemerkte er nach wie vor nicht; er bemerkte auch nicht, dass es angefangen hatte zu schneien, anders als Green, die nun, während sie Siberu beruhigend über den Kopf strich, in den dunklen Himmel hinauf sah – bis sich ein Regenschirm vor ihr Blickfeld schob und Gary und sie sich ansahen. Auf den ersten Blick sah er ernst wie immer aus, aber während er so auf die beiden eng ineinander Verschlungenen hernieder blickte, kam es Green so vor, als würde sie Erleichterung in seinen dunklen, grünen Augen sehen. Dankbar für den Schutz vor dem Schnee grinste sie ihn an und fragte leise, mit neckischem Unterton, ob Siberus Verhalten normal wäre. Gary seufzte ruhig und umgeben von seinem eigenen, weißen Atem in der kalten Luft blickte er in eine andere Richtung – nicht um sich von ihr abzuwenden, wie es ihr schien, sondern als suchten seine dunklen Augen einen bestimmten, längst verblassten Ort dort zwischen den Häusern, über deren Mauern die kahlen Kirschblütenbäume lugten. „Nein, normal ist sein Verhalten nicht. Aber längst überfällig.“         Kaum, dass Siberu und Green sich voneinander gelöst hatten, machte sich der Halbdämon die größte Mühe, sich überhaupt nichts von seinen vergossenen Tränen anmerken zu lassen und versuchte auch, die Spuren selbiger aus seinem Gesicht zu wischen, was ihm nur schwer gelang, doch Green und Gary hatten schweigend und einstimmig beschlossen, ihn nicht damit aufzuziehen. Als sie allerdings alle drei mittels Teleportation im Eingangsbereich ihres Wohnhauses landeten, rückten auch schnell andere Themen in den Vordergrund.   „Aniki, du spürst es sicherlich auch, oder?“ Green warf einen verwirrten Blick zu den beiden, denn sie konnte nichts Konkretes spüren und verstand darum nicht, warum Gary nickte: „Ja, es befinden sich drei unbekannte Auren in Greens Wohnung.“     Fertiggestellt: 04.07.14 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)