Rainbow von Rainblue (Gebrochenes Licht) ================================================================================ Kapitel 7: Das wahre Licht -------------------------- „Ich könnte es nicht ertragen, einen von euch an die Dunkelheit zu verlieren.“ „Natürlich. Ich würde nie zulassen, dass so etwas mit ihm geschieht.“ „Er ist nicht so schwach, wie Ihr denkt.“ „Dass er deinen Meister beerdigt hat, geht dir doch wohl gegen den Strich, oder?“ „Terra wird dir beweisen, dass er stark genug ist!“ „Ihm wird nichts passieren. Er wird der Dunkelheit nicht erliegen.“ „Terras Herz wurde ausgelöscht. Ausradiert von der Dunkelheit in ihm.“ „Die Dunkelheit darf dich nicht bekommen!“ „Vielleicht sollte es ja auch hier enden, hier in der Dunkelheit…“ So fühlte es sich also an. Wenn die Finsternis ihren Zugang bekommen hatte und ins Herz hineinströmte. Wie ein Virus, der in kürzester Zeit alles befiel. So also war es Terra ergangen… Aqua rührte sich nicht. Warum auch? Es machte keinen Unterschied mehr, ob sie lief oder liegen blieb. Was war geschehen? Sie wollte sich erinnern, aber jedes Mal, wenn die Bilder in greifbare Nähe rückten, sorgte ein Stechen im Kopf dafür, dass sie wieder entglitten. Konnte die Dunkelheit tatsächlich Erinnerungen wegwaschen? Oder war es ihr eigener Geist, der ihr verbot, sich den Ereignissen zu entsinnen? Aus Angst vor irgendetwas? Sie schloss die Faust um den Wegfinder, der in ihrer Hand lag. An einer der spitzen Ecken klebte etwas, wie fest getrockneter Schmutz. Erneut tastete sie in ihrem wirren Gedächtnis nach einem Hinweis darauf, wie es dort hingekommen war. Aber die schrillen Blitze, die sie durchzuckten, vertrieben alles, was sich zu materialisieren begann. Das hatte keinen Sinn. Also hob sie möglichst schonend die schweren Lider und musste alle Konzentration aufbringen, um die Bäume, den Erdboden und den schwarzen Himmel zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Sie war wieder beim Palast. Wieder? War sie denn weg gewesen? „Au“, wimmerte sie und die Erinnerungen lösten sich von neuem auf. Zwecklos. Sie musste sich wohl oder übel mit dem zufrieden geben, was sie noch wusste. Ein bizarrer Traum, eine Gestalt in schwarzem Mantel und… Terra? „Terra…“ Sie legte den Wegfinder auf ihr Herz, unvorstellbar erleichtert, dass es ihr gelang, sein Gesicht komplett hervorzurufen. Nur alles, was nach dem Traum geschehen sein musste, hatte sich unzusammensetzbar zergliedert. Sonderbar. Sie hatte geglaubt, die Dunkelheit würde sie verschlingen… Aber es schien noch immer ein kleiner Rest Licht in ihrem Herzen zu glimmen. Vielleicht war das kein Zufall und sie hatte die Erinnerungen wie als Effekt eines Schutzmechanismus verloren. Um diesen schwachen Funken zu bewahren… Und wenn es so war? Konnte das dann ein Zeichen dafür sein, dass jemand sie dazu aufforderte, weiterzumachen? Verdammt noch mal nicht aufzugeben? Weil sie dem Ziel näher kam… Wie zur Bestätigung schimmerte der Glückbringer zart auf. „Genau…“, murmelte sie mit einem halben Lächeln und dachte an die Worte zurück, die sie damals an jenem See in die Asche geschrieben und die der unspürbare Wind sicher längst verweht hatte. Es gibt noch Menschen, die auf mich warten und Menschen, die mich vermissen. Wieso war ihr das nicht früher klar geworden? Sie war nicht allein. Das war sie niemals gewesen. All jene, die sie liebte, waren diesen Weg mit ihr gegangen und würden es auch weiterhin tun. Sie erhob sich, hielt den blauen Talisman hoch und konnte durch das Glas sehen, wie die Wolken am Himmel ein klein wenig aufbrachen und Farbstiche durchscheinen ließen. Es war nicht vorbei. Noch lange nicht. Und auch wenn sie zersprang, es gab sehr wohl jemanden, der sie dann wieder zusammensetzen würde. So oft es nur nötig war. Sie selbst. Wenn alles um dich herum in den Schatten versinkt, öffne die Augen und fürchte dich nicht. Denn erst in der tiefsten Dunkelheit findest du das wahre Licht. Die Tage zogen dahin. Jahre verstrichen in einem Blinzeln, Sekunden nach tausenden Schritten. Und alles wirbelte ineinander. Seit Aqua im Reich der Dunkelheit war, kam es ihr so vor als balanciere sie auf einem Drahtseil. Unter ihr kein Netz, sondern der schwarze Nebel der Finsternis, in den sie ohne Wiederkehr versank, würde sie fallen. Nur einen falschen Schritt tat. Die Arme ausgestreckt, hatte sie zitternd einen Fuß vor den anderen gesetzt und sich nicht erlaubt, hinunter zu sehen, aus Angst das Gleichgewicht zu verlieren. Das Ende war zu weit entfernt gewesen, um es zu erkennen. Und sie hatte fest geglaubt, nur den Abschluss des Seils erreichen zu müssen, damit alles wieder gut wurde. Aber nur durch den Sturz war ihr klar geworden, dass das Ziel nicht dort gelegen hatte. Wahrheit ist nur selten sichtbar, weil sie sich hinter dem Offensichtlichen versteckt hält. Sie hatte erst fallen müssen, um sich ihrer starken Flügel bewusst zu werden. Nun konnte sie fliegen und musste nicht länger mutlos und erschöpft versuchen, die Balance halten. Das würde sie nicht noch einmal vergessen. Und eines Tages, es schien kein besonderer zu sein, ging sie über eine Steppe aus schwarzem Sand, auf der überall verstreut Felsen lagen, als ein leises Geräusch an ihre Ohren drang. Eine seltsame Vertrautheit lag darin, sodass sie ihre Schritte beschleunigte. Die wehmütige Melodie wurde lauter, bekam festere Umrisse, bis Aqua sich sicher war, sie zu erkennen. Es war das Rauschen von Wellen. Sie blieb vor einer Steinbarrikade stehen, die zu hoch aufragte, um das dahinter liegende sehen zu können. Aber das Säuseln der Brandung war jetzt so nah, dass ihr Herz mehrere Sprünge machte. Sie eilte am Wall entlang, bis sie schließlich eine Lücke fand, die breit genug war und schob sich hindurch. Auf der anderen Seite schlug ihr der kühle Küstenwind entgegen. Am Horizont flimmerte noch immer der Lichtpunkt, der keiner war. Alles war unverändert, als hätte die irreale Zeit an diesem Ort hier stillgestanden. Es war das gleiche Ufer. Der gleiche traurige Küstenstrich, den sie damals in ihrem Traum gesehen hatte und… Sie hielt den Atem an. Auf dem Stein – genau demselben Stein – saß eine Gestalt, verhüllt von einem schwarzen Ledermantel, und sah zum Meer hinaus. Aqua schloss die Augen, fühlte deutlich den Druck des Wegfinders in der Tasche und öffnete sie dann entschlossen wieder. Sie straffte sich – hob das Kinn, Augen geradeaus, nicht blinzeln – und ging auf den Mann, der einsam am Strand saß, zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)