Schuld - Bis du mir verzeihst... von Phase (RobertxJohnny) ================================================================================ Kapitel 11: Zusatz: Der Anfang ------------------------------ Zusatzkapitel: Der Anfang Ich schaffe es nicht rechtzeitig zum Flieger, tut mir leid. Mit gereizter Miene ließ Johnny sein Handy sinken. Er hatte es nicht anders erwartet, als kurzfristig eine SMS-Absage zu erhalten. Wieso hatte er sich überhaupt falsche Hoffnungen gemacht? Es war ja nicht so, als hätten sie eine Beziehung. Und trotzdem, trotzdem hatte er sich irgendwie darauf gefreut, ihn wieder zu sehen, auch wenn ihm vollkommen schleierhaft war, wie genau er wohl auf Robert reagiert hätte, sofern er gekommen wäre. Ihr Verhältnis zueinander war zugegebenermaßen reichlich kompliziert. Was auch immer es war, das sie verband, es war eine gefährliche Mischung aus Unsicherheit, einem gewissen Grad von Abneigung und einer kleinen Prise Zuneigung. Zumindest würde Johnny auf diese Art und Weise seine eigenen Gefühle beschreiben. Was Robert betraf, wusste er nicht, wie er über die ganze Sache dachte. Allem Anschein war es ihm nicht ganz so wichtig wie dem jungen Schotten. Andernfalls wäre er, wie abgemacht, gekommen und hätte nicht einfach so gekniffen. Johnny hatte ziemlich an sich gearbeitet, wieso wusste er nicht genau. Vermutlich versprach er sich zu viel von alldem, und er hatte einfach nicht riskieren wollen, dass Robert ihn einfach sitzen ließ. Er hatte mit jeder Frau, mit der er in den letzten Monaten eine Beziehung oder Sex gehabt hatte, erklärt, dass er Schluss machen müsste. Und das war teilweise mitunter sehr schmerzhaft gewesen, da er so manche Ohrfeige hatte kassieren müssen. Aber er war der Ansicht gewesen, dass es die Sache wert war. Als nächstes war er zum Arzt gegangen. Er wusste nicht, wann er sich das letzte Mal auf Geschlechtskrankheiten hatte untersuchen lassen. Das war womöglich ein wenig unvorsichtig gewesen, aber glücklicherweise wurde nichts Schwerwiegendes festgestellt. Nichtsdestotrotz war er sich relativ sicher, dass es noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde, ehe Robert sich dazu herabließ, auch ohne Kondom mit ihm zu schlafen. Robert. Er ballte seine Hände zu Fäusten und verzog das Gesicht. Natürlich war er wütend, dass Robert abgesagt hatte! Vielleicht war es dämlich, aber er hatte sich Hoffnungen gemacht. Er hatte sich extra frei genommen, damit er Zeit hatte, und er hatte eingekauft. Für gewöhnlich hatte er nicht viel in seiner Wohnung vorrätig, aber er hatte sich diesmal wirklich Mühe gegeben, damit er keinen schlechten Eindruck machte. Ja, er hatte es sich zum Ziel gemacht, Robert zu beeindrucken. Er hatte keine Ahnung, wie er ihn anders dazu bringen sollte, ihn ein wenig ernster zu nehmen. Jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, was ihn dazu brachte, sich überhaupt auf Robert einzulassen, mit einem Kerl zu schlafen, der ihn in der Vergangenheit derart verletzt hatte, den Versuch zu unternehmen, mit ihm so etwas wie eine Beziehung zu führen, und dabei alles, was sein Leben die letzten Jahre ausgemacht hatte, aufzugeben, kam er zu keinem wirklichen Ergebnis. Es war ein Bauchgefühl und nicht wirklich zu erklären. Und trotzdem ärgerte er sich jedes Mal über sich selbst, dass er es versuchte. Sie hatten sich insgesamt etwa fünf Wochen lang nicht gesehen und mittlerweile war es August. Nach einer Woche ohne Kontakt zu Robert, hatte Johnny sich von seiner Arbeit Roberts Handynummer besorgt – und war damit das Risiko eingegangen, dass man ihn feuerte, sofern man ihn erwischte. Glücklicherweise blieb seine Handlung unentdeckt und die nächsten Abende brachte er damit zu, sich dazu durchzuringen, Robert anzurufen. Währenddessen schoss ihm immer wieder die Frage durch den Kopf, warum der Deutsche sich nicht bei ihm meldete. War es für ihn doch nur ein Fick für Zwischendurch gewesen? Würde Robert nach Allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, tatsächlich das Risiko eingehen, nur mit ihm zu spielen? Irgendwann hatte er tatsächlich angerufen. Und sofort wieder aufgelegt, als jemand abgenommen hatte. Sein Herz hatte furchtbar gerast und er hatte sich mehr als nur einmal gefragt, warum er versucht hatte, Robert zu erreichen. Aber auch, warum er im entscheidenden Moment aufgelegt hatte. Es folgten ein paar weitere Versuche, doch jedes Mal kniff er im entscheidenden Moment und als Robert irgendwann plötzlich zurückrief, starrte er gebannt das Handy in seiner Hand an und wagte es nicht, sich irgendwie zu rühren. Bis der Klingelton endlich verstummte. Danach hatte er es nicht mehr gewagt, bei Robert anzurufen, auch wenn dieser ihn ein paar Mal angeklingelt hatte. Und irgendwann, als er Mittagspause gehabt und auf einen Anruf von der Autowerkstatt gewartet hatte, hatte er nicht aufgepasst und war ran gegangen. Er erinnerte sich noch gut an das Gespräch. „Jonathan McGregor“, hatte ihn Roberts vorwurfsvolle Stimme begrüßt, „Du legst jetzt nicht auf!“ Er hatte erschrocken inne gehalten und sein Telefon angestarrt, während er sich selbst verfluchte, dass er zum einen den Anruf angenommen hatte, es zum anderen nicht wagte einfach aufzulegen. „Bist du noch dran?“ „Du hast doch gesagt, ich soll nicht auflegen“, hatte Johnny die Situation trocken kommentiert, wenngleich er große Angst hatte, dass Robert ihm wegen der zahllosen Anrufe Vorwürfe machen würde. Stattdessen hatte Robert lediglich gefragt: „Ist alles in Ordnung mit dir?“ War es Sorge gewesen, die er zu dem Zeitpunkt durch den Hörer wahrgenommen hatte? „Ja“, wie er Robert die ganze Lage erklären sollte, wusste er nicht, doch glücklicherweise blieb ihm das auch erspart. „Gut. Ich war wirklich besorgt, weil du mich die letzten vier Tage fünfzehn Mal angerufen hast“, war die Antwort gewesen. Und dann: „Ich habe jetzt keine Zeit für ein langes Gespräch, da ich gerade eigentlich eine Besprechung habe. Heute Abend melde ich mich noch mal. Bis dann.“ Der Schotte hatte nur schweigend das Handy sinken lassen und sich gefragt, ob er damit klar kam und er es sich gefallen lassen sollte, dass er derart abgewimmelt wurde. Am Abend rief Robert tatsächlich noch einmal an und sie führten ein relativ kurzes Gespräch über ein paar unwichtige Dinge, das dazu führte, dass sie sich in die Haare bekamen. Warum auch immer. Und das war jedes Mal der Fall, wenn sie miteinander sprachen. Die SMS, die Robert Johnny von Zeit zu Zeit zukommen ließ, las er zwar, aber er machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Nicht etwa, weil er wütend auf Robert war, sondern weil er ihm nicht das Gefühl geben wollte, dass er ihm besonders Interesse zukommen ließ. Vor einer Woche hatte er dann eine SMS bekommen, die ihn ein wenig geärgert hatte: „Ich komme am 7.August für ein paar Tage vorbei. Wenn es in Ordnung geht, brauchst du nicht zu antworten. Robert.“ Es war die erste Textmitteilung gewesen, auf die er reagiert hatte, indem er zurückgeschrieben hatte, ob Robert sich wohl einbilde, dass er nichts Besseres zu tun hatte. Nach einigem Hin und Her hatte er jedoch trotzdem zugestimmt. Obwohl er sich so abweisend gab, freute er sich insgeheim enorm über Roberts Ankündigung. Einfach, weil es ihm zeigte, dass er nicht vergessen hatte, das er bald Geburtstag hatte. Aber er wollte es nicht offen zeigen, denn er hatte große Angst gehabt, versetzt und dadurch verletzt zu werden. Nach all diesem Stress hatte Robert letzten Endes doch noch in letzter Minute abgesagt. Mit einer unheimlichen Wut im Bauch marschierte Johnny zu seiner Wohnungstür und schnappte sich seine Sommerjacke vom Jackenständer, ehe er seine Wohnung und das Haus verließ und sich in Richtung Kneipe aufmachte. Es musste am letzten Abend ziemlich spät geworden sein, denn anders konnte sich Johnny nicht erklären, warum er so müde und geschafft war und so starke Kopfschmerzen hatte. Er richtete sich ein Stückchen auf und fasste sich mit der Hand an die Stirn, in der Hoffnung, seine Gedanken ein wenig zu ordnen, ehe er langsam und vorsichtig mit einem leisen Stöhnen aus dem Bett stieg. Wenn denn nur endlich dieses verfluchte Hämmern in seinem Kopf aufhören würde! Nur in Shorts bekleidet und mit gequältem Gesicht trottete er in Richtung Küche und hoffte inständig, dass er am letzten Abend nichts Blödes getan hatte. Wie lange war es her, dass er sich das letzte Mal ordentlich betrunken hatte? „Guten Morgen“, die Worte, die ihn begrüßten, als er den Raum betrat, ließen ihn erstarren und er blickte den Eindringling erschrocken an. Robert klappte das Buch, in dem er bis eben gelesen hatte, zusammen und schob es bei Seite, während er Johnny andeutete, sich zu setzen. „Irgendwie ist das ja vermutlich alles meine Schuld“, meinte Robert, bevor sein Gegenüber irgendetwas sagen konnte, und erhob sich von seinem Platz, um Johnny einen Kaffee zuzubereiten, „Immerhin habe ich meine SMS nicht mit den Worten ‚Lies den Text zuerst fertig‘ begonnen. Hättest du die SMS nämlich zu Ende gelesen, hättest du mitbekommen, dass ich den nächsten Flieger nehmen und dir lediglich Bescheid geben wollte, dass du mich nicht am Flughafen abzuholen brauchst. Aber die Diskussion hatten wir ja gestern Abend schon einmal, nicht wahr?“ Johnny musste gestehen, dass er keine Ahnung hatte, von welcher Diskussion Robert sprach und so entschied er sich dazu, besser den Mund zu halten. Er wollte nicht wissen, wie es gewirkt haben musste, als er irgendwann in der Nacht sturzbesoffen in die Wohnung zurückgekommen war. Es war ihm peinlich, denn genau diesen Eindruck wollte er Robert nicht von sich vermitteln. Möglichst unauffällig ließ er seinen Blick zur Küchenuhr schweifen, nur um festzustellen, dass es bereits ein Uhr Mittag war. Schuldbewusst starrte er die Tasse Kaffee an, die Robert ihm reichte. Einige Zeit herrschte Schweigen zwischen ihnen und der junge Schotte trank ein paar Schlucke von seinem warmen Getränk, während Robert ein Glas aus dem Schrank holte und die Packung Aspirin aus dem Medizinkörbchen fischte. Als sich die Tablette im Wasser auflöste, wandte sich der Deutsche wieder Johnny zu. „Ist es sehr schlimm?“ Ein verschlafener und fragender Blick war die Antwort. „Ich meine deine Kopfschmerzen.“ Die einzige Reaktion war ein Schulterzucken. Robert seufzte leise, trat zu Johnny und stellte das Glas vor ihm ab. „Ich hoffe, dass es nur an deinem Kater liegt, denn wenn du die ganzen nächsten Tage so gesprächig bist, dann wird es wohl ein wenig kommunikativer Aufenthalt für mich.“ Johnny schnaubte und blickte ihn skeptisch an: „Selbst wenn wäre es nicht schlimm. Du scheinst ja genug für uns beide zu reden. Wo übernachtest du nun eigentlich?“ „Dein Bett ist groß genug für uns Beide, meinst du nicht?“, während er sich sein Buch vom Tisch schnappte, bedachte er den Schotten mit einer nachdenklichen Miene, „Sonja weiß nicht einmal, dass ich zur Zeit in Glasgow bin.“ Johnny blickte ihn kurz düster an, fast so, als wolle er ihm Vorwürfe machen, dass er ihn vorher nicht um Erlaubnis gebeten hatte, verzog dann jedoch sein Gesicht und stützte seinen Kopf auf seine Hände. Robert trat neben ihn und zog vorsichtig seine Hände beiseite, ehe er mit besorgter Stimme fragte: „Tut es sehr weh?“ Es war das erste Mal, seit dem Beginn ihres Gesprächs, dass Johnny ihm direkt in die Augen sah, dann nickte er langsam. Was genau der Deutsche mir seiner Frage bezwecken, oder worauf er hinaus wollte, wusste er zwar nicht, aber zumindest konnte er keinen bösen Willen erkennen. Sehr sanft strich Robert ihm mit der rechten Hand ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, ehe er sich mit seinen Lippen Johnnys Stirn näherte, sachte dagegen blies und ihn dann auf die gleiche Stelle küsste. „Jetzt wieder besser?“ Johnny erstarrte und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Seine Überraschung kam ihm von daher sehr ungelegen, denn er lief rot an und Robert verließ mit seinem Buch und einem Grinsen auf dem Gesicht das Zimmer. Wie oberflächlich oder tiefgehend ihre Beziehung auch sein mochte, zumindest war der Sex gut. Dessen war sich Johnny ziemlich sicher. Dennoch fragte er sich immer häufiger, ob ihm das auf Dauer genügen würde. Hatte ihn diese Überlegung bisher meist eher nebensächlich beschäftigt, war sie nun mit Roberts Anwesenheit allgegenwärtig. Bei den ganzen Mädchen, mit denen er zusammen gewesen war, war es für ihn nie von sonderlicher Bedeutung gewesen. Aber bei Robert war es anders. Er beschränkte sich beziehungstechnisch auf eine einzige Person. Eine Person, die ihm früher viel bedeutet hatte, und für die er vermutlich immer noch starke Gefühle hatte. Auch wenn er sich das nicht wirklich eingestehen wollte. Aber trotzdem wusste er, dass die Gefahr groß war, dass er irgendwann auch überdrüssig von Robert werden würde, wie bei all den Frauen auch... Die ersten beiden Tage vergingen viel zu schnell. Neben zahlreichen Auseinandersetzungen hatten sie es tatsächlich auch geschafft, etwas gemeinsam zu unternehmen, ganz abgesehen von so mancher intimen Erfahrung. Und obwohl Johnny es jedes Mal wiederum genoss, fragte er sich insgeheim, ob Robert ihn vielleicht doch nur als Matratze benutzte. Er selbst hatte das mit so vielen Frauen getan und sich damals eingeredet, dass er ihnen doch gab, was sie wollten und es deshalb nicht schlimm war, aber nun, da er selbst in dieser Position war und so große Zweifel hatte, kam ihm das alles einfach nur noch grausam vor. Würde Robert so etwas tun? In den letzten beiden Tagen hatte sich der Deutsche sehr liebevoll und nett, aber auch ein wenig distanziert gezeigt. Er war zudem wahnsinnig schwer zu durchschauen. Konnte er dem Frieden trauen? Wollte er dem trauen? Während er über all das nachdachte, versank sein Geist immer mehr im Reich der Träume und das Letzte, an das er sich erinnerte, waren zwei Arme, die sich sanft um ihn legten. Es war vielleicht gerade einmal acht Uhr, als Johnny am nächsten Morgen aufwachte. Draußen war es bereits hell und noch bevor er realisieren konnte, welcher Tag es war – nämlich der zehnte August – hatte Robert ihm einen Kuss auf die Stirn gegeben. „Alles Gute zum Geburtstag.“ Überrascht blickte Johnny ihn an, ehe er ein Lächeln zustande brachte, seine Arme um Roberts Hals schlang und ihn auf den Mund küsste. Ein Außenstehender mochte sie vielleicht für ein verliebtes Pärchen halten, doch der Schotte wusste es besser. All das waren nichts weiter als einstudierte, oberflächliche Zärtlichkeiten, die keine größere emotionale Bedeutung hatten. Vermutlich war in der Tat das größte Problem, das sie hatten, dass keiner von beiden sich auf den jeweils anderen einlassen konnte, aus Angst davor, Opfer einer Täuschung und falscher Hoffnungen zu sein. Johnny verdrängte die Gedanken aus seinem Kopf. Es war sein Geburtstag und er hatte nicht vor, diesen mit Grübeleien zu verbringen. Stattdessen war er gespannt, was Robert ihm wohl schenken würde. Robert hatte doch ein Geschenk, oder? Düstere Erinnerungen wurden wach, wenn Johnny an die Geburtstagsgeschenke seiner zahllosen Verehrerinnen dachte. Essbare Unterwäsche, persönliche Nacktfotokalender, Liebesbriefe, Sex. All das und noch viel mehr unnützen Kram hatte er über die Jahre hinweg immer und immer wieder geschenkt bekommen und wenn er ehrlich wahr, konnte er mit all dem relativ wenig anfangen. Allgemein hatte er seinen Geburtstag als einen sehr stressigen Tag in Erinnerung, an dem er schon immer große Schwierigkeiten gehabt hatte, alle seine Freundinnen unter einen Hut zu bekommen, so dass keine von der jeweils anderen etwas erfuhr. Doch diesmal war es anders. Diesmal gab es nur Robert. Der Deutsche hielt ihm eine kleine, hübsch verpackte Schachtel unter die Nase und meinte mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht: „Ich hoffe es gefällt dir. Heute Nachmittag habe ich außerdem noch eine Kleinigkeit für dich.“ Johnny sah ihn kurz skeptisch an, begann dann jedoch damit, vorsichtig das Päckchen zu öffnen und dabei das rote Geschenkpapier nicht allzu sehr zu beschädigen. Es kam eine kleine Box hervor, auf der der Name eines Juweliers stand und der Beschenkte runzelte die Stirn, ehe er langsam den Deckel anhob und augenblicklich erstarrte. Schlagartig schoss ihm eine exakte Summe durch den Kopf: 6357 Pfund. So hoch war zumindest der damalige Preis gewesen. Johnny schluckte und starrte das kleine Ding an. Wie lange war das nun her? Er erinnerte sich noch gut daran, als er Robert vor so langer Zeit die Kette gezeigt hatte, die ihn damals so fasziniert hatte. In seinen Augen wahnsinnig teuer, aber jeden Cent wert. Sie war relativ schlicht gehalten, hatte ein etwas gröberes und nicht zu langes Kettenband aus reinem Silber, an dem unübersehbar ein verzierter Rubin-Anhänger in Form einer stilisierten Flamme hing. Die Kette war äußerst fein und eine tadellos bearbeitete und einmalige Handarbeit eines wahren Meisters. Damals hatte er sie sich von seinen Eltern zum Geburtstag gewünscht und er hatte so sehr gehofft, sie zu bekommen. Leider war ihm der Wunsch nicht erfüllt worden. Robert hatte ihn damals gefragt, warum er sie sich nicht einfach selbst kaufe. Daraufhin hatte Johnny ihn skeptisch angesehen und lediglich „Ich bin doch kein Mädchen und kaufe mir eine Kette“ geantwortet. Zudem wären es einige Monate Taschengeld gewesen. Und nun lag diese wunderschöne Kette vor ihm, sie schien noch viel schöner als damals zu sein. Wie war Robert nur an die Kette herangekommen? Und wie kam er dazu, so viel Geld für ihn auszugeben? Johnny starrte mit einer Mischung aus Begeisterung und Verstörung auf das Geschenk. Was sollte er davon halten? „Gefällt sie dir?“, erkundigte sich Robert und wirkte ein wenig unruhig. Es fiel ihm schwer, Johnnys Reaktion zu deuten und er hoffte wirklich, dass er den Schotten nicht verärgert hatte. Der Angesprochene nickte langsam, brauchte etwas Zeit um sich zu fassen, ehe er Robert anblickte und nach einem kurzen Zögern meinte: „Sie ist wunderschön, Danke.“ Wie hätte er reagieren sollen? Er fühlte sich schlecht, dass er nicht angemessener auf das Geschenk reagiert hatte. Robert hielt ihn nun wahrscheinlich für undankbar und dreist. Aber eine Umarmung oder ein Kuss war ihm in diesem Augenblick so... falsch und unehrlich vorgekommen. Warum fiel es ihm so schwer, zuzugeben und zu zeigen, wie sehr er sich über die Kette freute? Robert schien diese Antwort jedoch zu genügen, und er lächelte, richtete sich auf und streckte ihm die Hand entgegen: „Möchtest du frühstücken?“ Erstaunlicherweise trug Robert bereits Shorts, woraus Johnny schloss, dass er bereits aufgestanden war und vermutlich etwas zum Essen vorbereitet hatte. Johnny legte das Geschenk sorgsam neben sich, ehe er mit beiden Händen sanft Roberts Hand umschloss und ihm in die Augen sah: „Danke.“ Was war das nur für ein dämliches Gefühl, das ihn erfasste? Sein Gegenüber küsste ihn sanft auf den Mund und heftiger denn je wurde Johnny von starken Zweifeln geplagt. War es eine ernst gemeinte Geste oder eine hohle, bedeutungslose Reaktion gewesen? Was von all diesen oberflächlichen Berührungen waren wahre Gefühle? Nach dem Frühstück hatte Johnny sich zunächst zwei Mal geduscht – es hatte sich als wenig erfolgsversprechend herausgestellt, gemeinsam mit Robert zu duschen – sich umgezogen und die Kette angelegt. Danach hatte Robert ihn aus der Wohnung geführt, denn er hatte ihm ja eine Überraschung versprochen gehabt, und Johnny hatte ihm gezeigt, wo er sein Auto geparkt hatte, einen roten, sportlich-schnittigen Wagen. Es war danach zu einer Diskussion gekommen, da Robert darauf bestand, zu fahren, und Johnny die Augen zu verbinden. Johnny wollte ihn jedoch nicht mit seinem Wagen fahren lassen, wobei Robert anmerkte, dass er nicht in ein Auto stieg, wenn Johnny mit verbundenen Augen hinterm Steuer saß. Nach einigem Gezanke hatten sie sich dann trotzdem soweit einigen können, dass Robert den Wagen heute benutzen durfte. Ausnahmsweise. Sie waren einige Zeit unterwegs gewesen, als Robert den Wagen anhielt und „wir sind da“ sagte. Johnny wusste nicht genau, was ihn erwartete, und so war er sehr nervös, was Robert nun genau mit seiner Überraschung meinte. Als er die Augenbinde abnahm, erstarrte er augenblicklich. „Das kann nicht dein Ernst sein.“ „Ja genau. Deswegen wollte ich fahren“, kommentierte Robert mit einem leisen Seufzen. „Das kann doch wirklich nicht dein Ernst sein!“, wiederholte sich Johnny, wobei er diesmal ernsthaft aufgebracht wirkte. Der Tag hatte so gut begonnen und jetzt... das! Er stierte Robert böse an, allem Anschein nach in der Hoffnung, dass dieser zurück zu seiner Wohnung fahren würde. Fehlanzeige. „Hör‘ zu, ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast, aber es war eine saublöde Idee!“ „Johnny, beruhige dich. Du brauchst mich nicht anzuschreien, ich höre dich auch so.“ „Das ist-...“ „Was haben dir deine Eltern getan?“ Roberts Frage brachte Johnny zum Schweigen, denn er wusste keine genaue Antwort. Damals war er von zu Hause abgehauen, weil er mit allem überfordert gewesen und er wütend auf sich selbst und auf Robert gewesen war. Er hatte mit allem abschließen wollen. „Ich habe die ungeöffnete Post im Mülleimer gesehen“, fuhr Robert fort, doch er wurde unterbrochen. „Ach so, das ist es also. Fühlst du dich schuldig? Willst du etwa für mich die Verantwortung übernehmen, oder was? Ist das der Grund, dass du mich fickst? Schadensbegrenzung?“ „Nein, ist es nicht“, während Robert das sagte, durchbohrte er Johnny mit bösem Blick, „Das hier hat ganz alleine mit dir zu tun! Du musst das mit deinen Eltern in Ordnung bringen.“ Und in Gedanken fügte er hinzu: Sie haben dir nichts getan, der Schuldige war ich. „Ich muss gar nichts!“ „Irgendwann sind sie nicht mehr da“, er packte Johnny am Arm und zog ihn ein Stückchen näher zu sich, „Und dann wirst du dich ärgern, weil du so stur warst und dich ohne irgendeinen Grund mit ihnen zerstritten hast! Aber dann wird es zu spät sein.“ „Ich bin nicht du, Robert!“ „Genau. Deswegen solltest du auch zu ihnen gehen.“ Johnny verzog das Gesicht und öffnete mit einem Schnauben die Beifahrertür. „Wann holst du mich wieder ab?“, fragte er mürrisch, als er ausstieg. „Sobald du anrufst.“ Zum Abschied nickte er Robert nur kurz mit grimmiger Miene zu. Mit einem leisen Seufzen und allen Mut, den er zusammen nehmen konnte, trat Johnny langsam auf das Eingangstor des Herrenhauses seiner Eltern zu. Während Johnny nun vermutlich beim Mittagessen mit seinen Eltern saß, hatte sich Robert dazu entschieden, einen Überraschungsbesuch zu seiner Schwester zu unternehmen. Als Sonja die Tür öffnete, starrte sie ihn überrascht an: „Robert, was machst du hier? Ich habe absolut nicht mit dir gerechnet!“ Sie ließ ihn in das Haus eintreten und musterte ihn weiterhin verwirrt. „Ich habe das Gästezimmer nicht hergerichtet und-...“ Er brachte sie mit einer kleinen Geste zum Schweigen: „Mach dir bitte keine Gedanken, ich bleibe nicht lange. Ich wollte nur einmal vorbeischauen und gucken, wie es euch so geht.“ Seine Schwester nickte zögerlich, wenngleich sie ihn immer noch skeptisch besah. „Wir wollten gerade zu Mittag essen, möchtest du auch etwas?“ „Ja, gerne.“ In dem Moment, als er das Esszimmer des Hauses betrat, erfassten ihn zwei Paar Kinderaugen und ein erfreutes Jauchzen ertönte: „Onkel Robert!“ „Hallo ihr beiden!“, freundlich lächelte der Begrüßte seine beiden Neffen an. Der Tisch war bereits für vier Personen gedeckt und Sonja seufzte leise, als sie sich zu ihrem Platz begab und Robert anbot, sich zu setzen. „Ich denke nicht, dass Tobias heute zum Essen kommt, du kannst dich gerne an seinen Platz setzen.“ „Mama, wir haben dir gleich gesagt, dass Papa nicht kommen wird“, murrte Henry mit verschränkten Armen und Robert blickte fragend in die Runde, ehe er sich gehorsam dazu setzte. Den Nachmittag spielte er mit den Jungen und als die beiden abends im Wohnzimmer einen Film ansehen wollten, zog er sich ins Esszimmer zurück, um mit Sonja zu sprechen. Für gewöhnlich wäre er wohl bei den Kindern geblieben und hätte sich anschließend kurz mit ihnen über den Film unterhalten, doch diesmal hielt er es für wichtiger, sich um seine Schwester zu kümmern. Zumal er die DVD, die die beiden Jungs sich anschauen wollten, kannte und wusste, dass sie relativ harmlos war. „Ich habe mich von deinen beiden wunderbaren Kindern losreisen können“, meinte er, als er den Raum betrat, und Sonja hob den Blick. Sie saß über einigem Papierkram gebeugt und wirkte müde und erschöpft. „Und jetzt würde ich mich gerne mal ein bisschen mit dir unterhalten“, er schnappte sich einen Stuhl und ließ sich darauf sinken, Sonja lehnte sich ein wenig zurück, schien jedoch immer noch nicht das Bedürfnis zu haben, zu antworten. „Es ist ja sonst nicht meine Art, mich in Beziehungen einzumischen, aber ich habe das Gefühl, dass irgendetwas mit Tobias und dir nicht so gut läuft.“ Seine Schwester schnaubte und wirkte für einen Moment verbittert, als sie sprach: „Ich kann verstehen, dass Tobias arbeiten und Geld verdienen möchte, dass er sich nicht auf meinem Erbe ausruhen möchte. Ich habe dafür vollstes Verständnis. Aber er arbeitet Tag und Nacht, lässt sich kaum sehen, überlässt mir im Haus die ganze Arbeit und er beschäftigt sich kaum mit Henry und Tim. Was soll ich groß dazu sagen?“ Robert wollte den Mund öffnen, um etwas zu erwidern, doch in diesem Moment klingelte sein Handy. Er verfluchte Johnny in Gedanken für sein schlechtes Timing und seufzte. „Geh‘ ruhig ran“, meinte Sonja mit einem Lächeln. Allem Anschein nach war der Anruf für sie eine willkommene Unterbrechung. Mit einem kurzen Nicken erhob er sich von seinem Stuhl und ging ein paar Schritte, ehe er das Telefonat entgegennahm. Seine Schwester musterte ihn interessiert und er war sich durchaus bewusst, dass er bei dem Gespräch nicht die Privatsphäre haben würde, die er gerne gehabt hätte. „Ja, Robert hier?“ „Hallo Robert, hier ist Johnny...“ „Wie geht es dir? Wie war dein Tag? Ist alles gut gelaufen?“, ehrliches Interesse schwang im Klang seiner Stimme mit und er hoffte, dass Johnny ihm nun keine Vorwürfe machen würde, weil er ihn dazu gezwungen hatte, mit seinen Eltern zu sprechen. Wenn es allerdings schlecht gelaufen wäre, hätte er ihn vermutlich schon wesentlich eher angerufen. „Ja, es war...“, ein kurzes Zögern folgte, „...schön.“ Robert konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, doch Johnny sprach weiter: „Hör zu, wärst du sehr böse, wenn du mich erst morgen abholst? Ich würde gerne noch ein wenig bleiben.“ „Das ist kein Problem, mach dir deshalb keine Gedanken. Also hole ich dich morgen Vormittag ab? So um Elf?“ „Ja, das wäre gut.“ „Dann hoffe ich doch, dass du noch einen schönen Abend und eine gute Nacht haben wirst.“ Am anderen Ende der Leitung herrschte kurze Zeit Schweigen, ehe Johnny wieder sprach: „Robert...?“ Er hörte, wie Johnny langsam einatmete. „Danke.“ Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde ein wenig breiter. „Gerne geschehen.“ „Robert, ich-...“, erneut zögerte der Schotte, „Bis morgen, ja? Gute Nacht.“ „Gute Nacht und pass auf dich auf.“ Ein leises Klicken signalisierte ihm, dass das Gespräch beendet war. Johnny war auch ein Kapitel für sich, bei dem er sich nie wirklich sicher war, ob er gut daran tat, es zu lesen oder nicht. Ob das Ganze ein gutes Ende nehmen würde? Auch wenn er sich nach wie vor nicht sicher wahr, ob und wie stark er etwas für den starrsinnigen Schotten empfand, so wusste er zumindest, dass er ihn vermisst und sie sehr darauf gefreut hatte, ihn wiederzusehen. Genauer konnte er es jedoch nicht umschreiben, denn es war eher ein Bauchgefühl gewesen, als ein greifbarer Gedanke. „Du hast also doch jemanden gefunden!?“ Wiedergefunden traf es vermutlich besser. „Nicht so wirklich“, murmelte Robert und runzelte nachdenklich die Stirn. „Nicht so wirklich?“, wiederholte Sonja mit skeptischer Miene und Robert seufzte leise. „Es ist... kompliziert.“ Seine Schwester lächelte. „Wann ist Liebe schon einmal einfach?“ Doch Robert konnte ihre Begeisterung nicht wirklich teilen. „Ich würde nicht von Liebe sprechen. Wirklich nicht.“ „Was ist es dann?“ Robert bedachte Sonja mit einem nachdenklichen Blick. Was konnte er ihr erzählen? Was wollte er ihr erzählen, ohne sämtliche Selbstachtung zu verlieren? „Ich würde es umschreiben als... eine auf zerstörtem Vertrauen basierte Beziehung, die eine gefährliche Mischung von positiven und negativen Gefühlen enthält.“ Sein Gegenüber hob beide Augenbrauen und blickte ihn verwirrt an. „Wie ich bereits sagte, es ist kompliziert und relativ ungesund.“ „Für mich ist es ziemlich eindeutig“, murmelte Sonja und warf ihm einen kurzen Blick zu, „Am Telefon klangst du recht zufrieden und glücklich. Und wer hat gesagt, dass die Liebe einfach ist?“ „Wenn es denn nur so einfach wäre...“ Mit seiner rechten Hand fuhr sich Robert durch die Haare und versank in einem tiefsinnigen Grübeln. Wenn es eine Sache gab, die ihn in letzter Zeit beschäftigte, dann war es seine Beziehung zu Johnny. Ein leidiges Thema. „Meinst du, Tobias hat eine Affäre?“, der Versuch eines Themenwechsels. Nicht unbedingt ein erfreuliches Thema, aber Robert war es wichtig, Sonjas Gedanken zu hören. Sie schüttelte langsam den Kopf. „Wenn man im Unternehmen um diese Uhrzeit anruft, geht er immer sehr schnell ans Telefon. Er arbeitet wirklich so hart, denke ich.“ Robert hatte sich nach dem Abendessen von seinen Neffen und von Sonja verabschiedet und war mit Johnnys Auto in Richtung Innenstadt gefahren. Obwohl es schon spät war, und es wohl besser gewesen wäre, wenn er zur Wohnung zurück gefahren wäre, hatte er sich zum hiesigen Sitz seines Unternehmens aufgemacht, um mit Tobias zu sprechen. Zum einen konnte er es nicht ertragen, seine Schwester mit gebrochenem Herzen zu sehen, zum anderen wusste er, dass seine Neffen sehr darunter litten, dass ihr Vater nie Zeit für sie hatte. Während der Fahrt kreisten seine Gedanken allerdings um ein ganz anderes Problem. Er hatte es zum ersten Mal laut ausgesprochen und seitdem war ihm bewusst geworden, dass das eigentliche Problem zwischen Johnny und ihm das fehlende Vertrauen war. Keiner konnte sich auf den jeweils anderen einlassen, weil immer der Verdacht einer Hinterlist oder einer Bloßstellung bestand. Lange würde das nicht gut gehen. Irgendeiner musste den ersten Schritt machen, dann wiederum war Robert sehr unsicher: Meinte Johnny die Beziehung ernst? Oder war es für ihn bloß eines seiner Spiele, ein Zeitvertreib, um Robert auflaufen zu lassen und sich so an ihm zu rächen? Er schüttelte den Kopf. So viel zum Thema ‚Vertrauen‘. Zumindest hatte ihm sein Geschenk gefallen, dessen war er sich ziemlich sicher. Und es war wirklich nicht leicht gewesen, es zu besorgen. Beim Sex unter der Dusche war Johnny für seine Verhältnisse erstaunlich entspannt gewesen, was er ebenfalls als gutes Zeichen gedeutet hatte. Ob Johnny also in der Tat mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatte? Zumindest würde das seinen Betrunkenen Zustand erklären, in dem er sich befunden hatte, als er nachts zur Wohnung zurückgekehrt war, während Robert besorgt auf ihn gewartet hatte. War es ein Frust-Trinken über die mögliche Absage gewesen? Oder war es einfach Johnnys Art? Wenn er recht darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, wie wenig er eigentlich über Johnny wusste. Sie waren sich relativ fremd und außer ihrer Vergangenheit verband sie vermutlich kaum etwas. Wo war er da nur hineingeraten? Noch während er das Unternehmens-Gebäude mit Hilfe seines Ausweises betrat, dachte er über die Problematik einer tiefergehenden Beziehung zu Johnny nach. Vermutlich war es ein wenig verwerflich, aber generell hatte er keine Probleme, mit der Vorstellung, etwas mehr aus der ganzen Angelegenheit zu machen. Er kam im siebten Stock an und hielt auf das Büro von Tobias zu. Es brannte noch Licht und er klopfte an die Tür, ehe er eintrat. „Ich hoffe, ich störe nicht?“ Der Angesprochene blickte verwundert auf und wirkte sichtlich überrascht. „Robert? Was machst du hier?“ Robert zuckte mit den Schultern, ehe er seine Arme vor der Brust verschränkte und meinte: „Schon lustig. Das Gleiche wollte ich dich gerade fragen.“ Vielleicht war es kontraproduktiv, dass er als Leiter und Besitzer dieses riesigen Unternehmens nun seine Mitarbeiter aufsuchte und ihnen Vorwürfe machte, dass sie abends noch arbeiteten, aber es war eindeutig das Menschlichste, was er tun konnte. Bevor Tobias antworten konnte, fuhr er fort: „Hör mir zu, so kann es wirklich nicht weiter gehen. Es kann nicht sein, dass du den ganzen Tag nur am Arbeiten bist.“ Tobias blickte ihn kurz etwas geknickt an, dann stierte er auf seinen Schreibtisch. „Die Arbeit muss ordentlich erledigt werden.“ „Das stimmt“, nickte Robert, „Aber die Arbeit läuft auch nicht weg. Das ist das Schöne an ihr: Sie bleibt liegen, bis man sie erledigt.“ „Aber sie wird nicht weniger.“ „Du bist nicht der Einzige, der hier arbeitet. Und in deiner Position, hast du alles Recht, jemanden einzustellen, der dir bei deinen Arbeiten hilft. Das ist kein Zeichen von Schwäche“, Robert hielt kurz inne, als sich vor ihm allmählich die einzelnen Puzzleteilchen zu einem Gesamtbild zusammensetzten, „Aber das ist das Problem, oder? Du willst zeigen, dass du den Job durch deine Fähigkeiten und nicht durch Beziehungen erhalten hast, nicht wahr?“ „Ich weiß doch, was die Leute sagen“, murmelte Tobias und wirkte unangenehm berührt. „Und? Hat deine harte Arbeit irgendetwas daran geändert?“ Schweigen. „Wenn Leute über jemanden lästern und ihm seine Arbeit schlecht reden wollen, dann tun sie das auch, egal wie sehr man sich bemüht. Willst du dich wirklich kaputt arbeiten, nur um ihnen etwas zu beweisen, dass sie zwar sehen, aber nicht akzeptieren wollen? Du hast die Stelle, weil du gut bist, nicht weil du der Mann meiner Schwester bist. Deine Eigenleistung ist enorm, aber du versuchst Ansehen bei Leuten zu bekommen, denen du nichts bedeutest. Dabei steht so viel mehr auf dem Spiel. Und zwar deine Beziehung zu den Menschen, die dich lieben.“ Tobias starrte ihn an. „Sonja würde doch nicht-...“ Robert zuckte lediglich mit den Schultern: „Ich würde es ihr nicht verübeln. Ganz im Ernst: Du lässt sie und die Kinder im Stich. Irgendwann sind sie groß und du wirst bereuen, dass du nie für sie da warst. Alles hat seine Zeit. Und wenn du deine so verschwendest wegen irgendwelchen Nichtigkeiten, kann ich nur den Kopf schütteln.“ Mit einem Seufzen nahm Robert Tobias Familienfoto aus einem Regal und stellte es vor ihm hin. „Geh‘ nach Hause. Mach‘ deine Familie nicht kaputt. Sonst stehst du irgendwann alleine da und hast nichts mehr. Und Menschen, die dich lieben können dir so viel mehr geben, als dieser Arbeitsplatz hier. Aber nur, wenn du sie lässt.“ Es dauerte einen Moment, ehe sich Tobias langsam erhob und seine Tasche und seinen Mantel nahm. „Danke, Robert.“ „Schon gut“, meinte Robert mit einem Lächeln, „Und jetzt verschwinde von hier. Ich will dich außerhalb der regulären Arbeitszeiten nicht mehr hier sehen.“ Die Wohnung wirkte ohne Johnny eigenartig leer. Mit einem leisen Seufzen schloss Robert die Tür hinter sich und fragte sich, ob Johnny eigentlich bewusst war, wie gefährlich es sein konnte, wenn er den Ersatzschlüssel außerhalb der Wohnung aufbewahrte. Tatsächlich beschäftigten ihn jedoch seine eigenen Worte. Menschen, die dich lieben können dir so viel mehr geben. Aber nur, wenn du sie lässt. Es war leicht jemandem so etwas zu sagen. Aber hielt er sich auch selbst daran? Prinzipiell war alles leichter gesagt als getan. Aber wenn er an sein eigenes Arbeitsverhalten dachte, unterschied er sich außerhalb seiner freien Tage, die er sich von Zeit zu Zeit nahm, kein bisschen von Tobias. Er arbeitete von früh bis spät, weil er das Gefühl hatte, irgendjemandem irgendetwas beweisen zu müssen, auch wenn er nicht genau wusste, was es war. Vielleicht konnte er deshalb das Alles so gut nachvollziehen. Im Gegensatz zu Tobias hatte er jedoch keine Familie. Johnnys Gesicht erschien vor seinen Augen und Robert zögerte. Sonst stehst du irgendwann alleine da und hast nichts mehr. Müde und erschöpft ließ sich Robert in Johnnys Bett fallen. Vielleicht war es besser, wenn er sich erst einmal an die eigene Nase fasste. Es war elf Uhr, als er mit dem Auto vorfuhr und Johnny stand bereits an der Treppe des Herrenhauses und wartete. Als er sein Auto in der Auffahrt erkannte, brachte er ein Lächeln zustande und er kam Robert ein Stück entgegen. Während er einstieg, meinte er: „Ich bin erstaunt. Mein Auto lebt ja noch.“ Robert verdrehte genervt seine Augen. „Ich freue mich auch, dich zu sehen. Willst du fahren?“ Der Schotte schüttelte mit einem Grinsen im Gesicht den Kopf und hob wie zur Verteidigung beide Hände: „Schon in Ordnung.“ „Du scheinst ja heute Morgen extrem gute Laune zu haben“, kommentierte Robert, während er das Auto anließ. Doch ehe er losfahren konnte, packte Johnny ihn mit beiden Händen am Hemd und zog in zu sich. Erschrocken würgte Robert das Fahrzeug ab und trat eilig auf die Bremse, damit es stehen blieb. Johnny nutzte derweil die Gelegenheit, ihm seine Lippen auf den Mund zu drücken und ihn in einen heißblütigen Kampf um die Oberhand zu verwickeln. Abgelenkt von den äußeren Umständen, war es ein Leichtes, über Robert zu siegen und Johnny schien sämtliche Register zu ziehen, sodass Robert nach dem innigen Kuss nur ein „Wow“ zu entlocken war, während er keuchend versuchte, seine Sinne und das Schlagen seines Herzens unter Kontrolle zu bekommen. Der Schotte grinste zufrieden und blickte aus dem Seitenfenster. Robert machte sich nicht die Mühe, ihn darauf hinzuweisen, wie gefährlich die ganze Aktion eigentlich gewesen war. Das war ihm vermutlich durchaus bewusst gewesen. Mit einem Seufzen startete Robert das Auto erneut und es herrschte einige Zeit Schweigen. „Sag mal, Robert“, murmelte Johnny irgendwann und blickte Robert nachdenklich an, „Mal angenommen, nur so rein theoretisch. Wenn ich dir irgendwann mal eventuell sagen würde, dass... dass ich mich vielleicht in dich verliebt hätte. Was würdest du tun?“ War das ein Test? Ein Trick? Was genau erwartete Johnny als Antwort? Unter normalen Umständen hätte Robert ihn vielleicht angesehen, um seinen Blick besser deuten zu können. Aber im Stadtverkehr war ihm das nur schwer möglich. Menschen, die dich lieben können dir so viel mehr geben. Aber nur, wenn du sie lässt. In Gedanken überlegte er, ob es sich darauf einlassen, ob er sich eine Blöße geben sollte. Lügen wollte er nicht, und das Ganze abzustreiten oder ein überschwängliches Liebesgeständnis abzulegen, wäre ebenfalls nicht die Wahrheit gewesen. Er empfand irgendetwas für Johnny. Dessen war er sich sicher. Ziemlich sicher sogar. Verliebt sein? Vielleicht kam das sogar besser hin, als er es sich eigentlich eingestehen wollte. Erst jetzt fiel ihm auf, wie lange er geschwiegen hatte. Das warf nicht unbedingt ein gutes Licht auf ihn. Er räusperte sich. „Nun ja“, begann er und zögerte, „Ich würde mich wohl freuen.“ Eine dämlichere Antwort war ihm wohl nicht eingefallen! „Weil“, fuhr er fort, um sich zu retten und er spürte Johnnys Blick auf sich ruhen, „Weil es wohl auf Gegenseitigkeit beruhen würde.“ Aufgrund des Verkehrs konnte er Johnny nicht ansehen, wie er reagierte und er fragte sich, ob er seine Antwort nicht geschickter hätte formulieren können. Eine rote Ampel zwang ihn dazu, anzuhalten und zu schalten. Johnny nutzte die Gelegenheit und ergriff sanft seine Hand. Als Robert ihn jedoch verwundert ansah, blickte der Schotte aus dem Fenster. Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte sich Roberts Aufmerksamkeit wieder dem Straßenverkehr zu, während er sich eingestehen musste, dass sie Beide, was die Liebe und eine Beziehung betraf, wohl noch absolute Anfänger waren. Aber sie standen ja auch erst am Anfang ihrer Beziehung. ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)