Vom Kätzchen zur Katze von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Ein verlockendes Angebot ----------------------------------- „So Mädels, hopp hopp, noch einmal kurz dehnen und dann raus!“ Ich ächzte, rutschte noch ein bisschen weiter in die Grätsche und beugte mich so weit nach vorn, dass ich das Gefühl hatte, mein Rückgrat würde jeden Moment reißen. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass meine Freundin Alina dasselbe tat. Wir befanden uns in den letzten zwei Minuten vor der selbst inszenierten Aufführung von Cats unserer kleinen Tanzgruppe. Zwar waren einige Szenen herausgekürzt und die Tänze nicht ganz so ... ähem ... professionell, aber dann doch wieder professionell genug, um sechs Monate Proben zu benötigen. Alina rollte sich elegant aus der Verrenkung, eilte kurz zu dem schweren, purpurroten Bühnenvorhang und schielte hinaus. Ich ließ mich der Einfachheit halber nach hinten kippen, rollte mich auf den Bauch und rappelte mich auf. Martina, unsere Tanztrainerin winkte uns hektisch an den linken Bühnenrand. Da Bühnenbild, Make-up und Kostüme nicht annähernd so perfekt waren wie im echten Musical, sollte laut ihr wenigstens die Show gut werden. Alina huschte neben mich und flüsterte: „Da draußen kenn ich jemand nicht!“ „Wie sollst du denn auch alle Eltern kennen, die da sind?“, wisperte ich zurück und dehnte noch einmal unauffällig meine Fußgelenke. „Zumindest vom Sehen kenne ich doch die meisten. Aber da ist so ein Kerl mit Glatze und Brille. Der hat ein Klemmbrett auf dem Schoß! Das ist nie im Leben irgendein Vater!“ „Vielleicht ein Onkel?“ Ich wusste nicht, was die Aufregung sollte. Die Aufführungen unserer Tanzgruppe waren zwar ausschließlich für Verwandten, aber auch die konnte Alina nicht alle kennen. Und selbst wenn sie nicht wusste, wer der Unbekannte war, dann war das Wichtigste doch sowieso, dass ihm die Show gefiel. Außerdem konnte meine Freundin nicht mehr antworten, weil der Vorhang aufging. Während sich Alina in ihrer Rolle als Bombalurina sofort in den Vordergrund aufmachte, blieb ich im Style der Jemima diskret im Hintergrund. Wie immer. Alina drängte sich nach vorn, ich folgte ihr zaghaft. Das fing schon bei unserem Aussehen an: Zwar hatte ich dieselbe wuschelige Kurzhaarfrisur, aber ich hätte mich nie getraut, mir meine schokobraunen Haare lila-rot zu färben. Nur über meine Leiche würde ich es wagen, giftgrüne Leggins mit pinken Sneakers und einem zerrissenen schwarzen T-Shirt zu kombinieren und auch nur anzunehmen, dass es gut aussah. Und nicht mal hier auf der Bühne, hinter all dem Make-up, das verheimlichte, wer ich war, traute ich mich, eine dominante Rolle anzunehmen. Eigentlich ziemlich armselig. Und doch eines der wichtigsten Merkmale meines Charakters. Aber jetzt war nicht die Zeit, über solche auf der Bühne nebensächlichen Dinge nachzudenken. Ich konzentrierte mich auf die Musik und lieferte meine Show ab. „Oh Kinder, hat irgendjemand eine Schrotflinte dabei? Bitte erschießt mich!“, jammerte Alina, wankte zu ihrer Tasche und ließ sich schwer auf die Holzbank fallen. Ich ignorierte ihre Melodramatik, wickelte mich aus dem großen Frotteetuch und streifte mir mein Sweatshirt über. Aus meinen nassen Haaren tropfte mir das Wasser auf die Schultern, ich rubbelte hastig mit einem Handtuch hindurch und schlüpfte in meine Jeans. „Na los Alina, mach hinne, deine Eltern werden nicht ewig warten, nur weil du die schmerzenden Muskeln nach dem Tanzen immer gleich als Katastrophe aufspielst.“, trieb ich sie zur Eile an. Murrend und demonstrativ langsam stand sie auf und begann ebenfalls, sich anzuziehen. In der Eingangshalle des winzigen Theaters standen schon Alinas Eltern. Heute ausnahmsweise ohne die Begleitung meiner, die waren schon nach Hause gefahren, da sie noch mit Freunden verabredet waren. Ein paar Schritte vor ihnen stand auch der Fremde, der Alina schon vor der Show aufgefallen war. Ich hatte ganz vergessen, ihn im Publikum zu suchen. Jetzt steuerte er geradewegs auf mich zu. Was wollte der Typ? „Entschuldigung! Darf ich Du sagen?“, sprach er mich an. Ich nickte irritiert. „Erik Grünwald, Casting Director von der aktuellen Mannheimer ‚Cats’-Produktion. Ich habe aus persönlicher Quelle erfahren, dass dies heute eine Eigenkreation des weltberühmten Musicals ist, einstudiert von einem kleinen Tanzclub. Da wir noch händeringend eine Jemima suchen, habe ich mich heute ins Publikum geschmuggelt. Ich muss sagen, ich bin begeistert! Der Gesang, der Tanz, nicht ganz so hochgradig professionell wie in der echten Aufführung, aber für ein Mädchen deines Alters doch höchst ansprechend. Kannst du die vorstellen, bei den Aufführungen hier mitzuwirken?“ Herr Gründwald strahlte mich an, als wäre ich der heilige Gral persönlich. Völlig überrumpelt stammelte ich etwas vor mich hin, was der gute Mister Casting Director wohl großzügig als Ja interpretierte. Er drückte mir nämlich eine dicke Mappe in die Hand. „Fantastisch! In vier Monaten soll die Premiere sein, das ist leider aktuell alles etwas hektisch, ich weiß, aber vier Monate sind im Normalfall genug Zeit. In dieser Mappe hier sind die Texte und vorläufigen Choreografien, sowie eine DVD mit einer Videochoreografie. Außerdem der Vertrag. Besprich doch alles mit deinen Eltern und schicke, wenn du zusagst, den Vertrag in den nächsten drei Tagen an meine Adresse, ich habe sie auf die Innenseite der Mappe geschrieben. Denn wenn du ablehnst, haben wir zumindest noch etwas Zeit und eine einigermaßen qualifizierte Jemima zu finden. Ist das so in Ordnung?“ Vor lauter Verwirrtheit brachte ich keinen Ton heraus, bis Alina mir mit ihren Boots mit voller Wucht auf den Fuß trat. Das brachte mich aus meiner Trance und ich stammelte hastig ein Ja. „Wunderbar! Sollte ich deine Zusage erhalten, setze ich mich umgehend mit dir in Verbindung und teile dir erste Probentermine mit! Schönen Abend noch!“ Dann rauschte Herr Grünwald nach draußen und ich blieb verwirrt stehen. „Gott was war das denn? Der hat ja nicht mal meinen Namen wissen wollen.“, fragte ich mehr mich selbst, doch Alina hielt es scheinbar für nötig, mir zu antworten. „Tja Mina, ich schätze, du gehörst jetzt sozusagen zum aktuellen Cats-Cast! Herzlichen Glühstrumpf!“ Sie strahlte mich an und zog mich ohne ein weiteres Wort nach draußen. Halleluja. Wie sollte ich das nur meinen Eltern erklären? Doch die nahmen die Tatsache, dass ihre sechzehnjährige Tochter nun ungeplant in eine Musicalproduktion katapultiert worden war, überraschend gelassen auf. Trotzdem saßen sie längere Zeit grübelnd über dem Vertrag von Herrn Grünwald, während ich mich schon, immer aufgeregter und fröhlicher werdend, mit den Texten und Choreografien für die Jemima vertraut machte. Irgendwie war die Idee, in einem weltberühmten Musical mitzuspielen, ziemlich cool. Außerdem konnte ich einen Großteil der Rolle ja schon durch unsere kleine Eigeninszenierung. Doch wie immer zählten für meine Eltern nur die Noten. „Wie willst du das denn machen mit der Schule? So wie das hier steht, beginnt die Show da immer um 17:00, du musst zwei Stunden früher da sein. Wo bleibt denn da Zeit für Hausaufgaben und lernen?“, fragte meine Mutter beim Abendessen. Ich seufzte in meinen Nudelauflauf. War ja klar, dass die Frage kam. „Na ja, ich bin ja immer um viertel nach eins zuhause, bis halb eins habe ich gegessen, da hab ich noch anderthalb Stunden Zeit, mich um die Schule zu kümmern!“, antwortete ich. Damit wäre meine Mutter entwaffnet. Und mein Vater war sowieso schon so gut wie überzeugt. Er betonte immer wieder, wenn ich zum Tanztraining ging, dass er seinerzeit auch immer zum Musical gewollt hatte. Wahrscheinlich nickte er deswegen jetzt auch langsam. „Gut. Du hast dir das allem Anschein nach gut überlegt. Ich wollte auch immer so gern ins Musical, hatte aber nie die Gelegenheit dazu. Ich finde, wir sollten dir diese Chance nicht vorenthalten. Wir unterschreiben gleich den Vertrag, dann kannst du den Brief morgen auf die Post bringen!“ Gesagt – getan. Ich brachte am nächsten Tag mithilfe der moralischen Unterstützung von Alina den Briefumschlag zum nächsten Briefkasten. Das braune Papier schien unter meinen Fingern zu glühen, als ich den Umschlag einwarf. Danach gönnten wir uns einen Frappuchino im Starbucks und warteten ab. Es dauerte nicht mal zwei Tage, da wurde ich von Herrn Grünwald persönlich angerufen und darüber informiert, dass ich in einer Woche zur Probe kommen durfte. Ich notierte mir die Adresse und besorgte mir sofort Baldriantabletten, da ich wusste, dass ich die nächsten sieben Nächte kein bisschen würde schlafen können... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)