Lieben,Leben,Leiden von -cabor- (das leben ist komplizierter als gedacht) ================================================================================ Kapitel 3: Tour wider Willen ---------------------------- Tour wider Willen „Ist es normal, dass einen die Leute hier ständig anstarren?“ >Nein, nur wenn man so gut aussieht wie du<, dachte ich mir. Ich merkte nicht wie sehr ich mit meiner Antwort zögerte. Erst als er mich misstrauisch beäugte und offensichtlich an meiner geistlichen Gesundheit zu zweifeln begann überlegte ich mir eine passende Antwort. Wieso fiel mir in seiner Gegenwart nur nichts Schlaues ein? Ich gab die Grübelei auf und beschränkte mich darauf ihm überhaupt zu antworten: „Kann vorkommen.“ >Oh Gott wie geistreich<, warf ich mir in Gedanken vor. Sein misstrauischer Gesichtsausdruck zeigte mir, dass auch er eine andere Antwort erwartet hatte. „Na dann.“ >Was? Mehr nicht?< Schlagfertigere Worte als diese beiden brachte er nicht zustande? Naja was hatte ich auch groß erwartet. „Na was glaubst du denn? Du bist neu an der Schule. Frischfleisch sozusagen. Da muss man schon mal Blicke der anderen wegstecken.“ Na das klang doch schon eher wieder nach mir. Er konnte ein Grinsen nicht vermeiden und- so gerne ich auch mit gelächelt hätte- ich musste mich auf meine Aufgabe konzentrieren. „Also fangen wir mal mit der Höhle des Löwen an, nachdem du unsere Folterkammer von Mrs. Snowler heil überstanden hast“, sagte ich und betrat unsere Aula mit geschätzten 1000 Schülern, davon etwa 60% Mädchen, mit William im Rücken und einer Mischung aus Wut, Scham und Verzweiflung im Bauch. Was jetzt kam war so vorhersehbar gewesen wie der tägliche Sonnenuntergang, aber trotzdem wurde ich von der Reaktion der anderen überrascht: Jedes menschliche Individuum starrte uns an, ohne Ausnahme. Einige tuschelten wild, andere flüsterten hinter vorgehaltener Hand ihrem Nachbarn etwas zu, wieder andere sahen aus als würden ihnen jeden Moment die Augen herausfallen. „Oh man was hab ich mir da nur wieder eingehandelt?“, murmelte ich verzweifelt vor mich hin. Das gibt wieder Gesprächsstoff für die nächsten Wochen, und ich war- mal wieder unverhofft- Mittelpunkt des Getratsches geworden. >Na toll!< Ich bemühte mich William durch die überfüllte Aula zu verfrachten, was einfacher gesagt als getan war. Er bewegte sich keinen Millimeter, als ich bereits ein paar Schritte von ihm entfernt war, kam das Getuschel aus jeder Ecke. >Er sieht aus als wäre er entweder geschockt oder gegen eine Wand gelaufen und verwirrt<, sinnierte ich in Gedanken noch vor mich hin. „Kommst du?“, fragte ich ihn, doch keine Regung ging von ihm aus. >Na super.< Leicht gereizt trat ich auf ihn zu und packte ihn an der Hand- ein Gestöhne ging durch die Reihen, aber das nahm ich schon nicht mehr wirklich wahr- er blickte mir direkt in die Augen und für eine endlose Sekunde lang war ich unfähig mich zu bewegen. Ihm schien es genauso zu gehen. Mein Gehirn setzte aus. Alles um mich herum schien auf einmal völlig Belanglos zu sein, das Getratsche der anderen, das Gestöhne der Mädchen, die abfälligen Blicke einiger. Ich kann nicht genau sagen was mein Gehirn wieder zum Laufen gebracht hat, aber es erwachte langsam wieder und brachte mich zurück in die Gegenwart. „Gehen wir?“, fragte William und klang dabei etwas heiserer als vorher. „Gerne. Ich denke wir sollten da lang gehen.“ Ich zeigte in Richtung Schulhof. Ich brauchte dringend frische Luft um wieder klar im Kopf zu werden. Als ich mich in Bewegung setzte merkte ich, dass ich immer noch Williams Hand hielt, ließ sie verlegen und erschrocken los und marschierte hinaus an die frische Luft. Sie fühlte sich klar und kühl an, ich hatte keine Jacke dabei und merkte erst jetzt, dass es angefangen hatte zu schneien. >Naja besser als Regen aber trotzdem unangenehm für März.< Ich atmete einmal tief durch und begann zu sprechen. „Also, Herzlichen Glückwunsch. Du hast soeben den Löwenkäfig überlebt.“ Er lächelte. „Und das hier ist unser Pausenhof.“ Ich machte eine ausladende Geste, die den gesamten Platz einschloss, und trat hinaus in den herabfallenden Schnee. Die großen, weißen Flocken blieben in meinen Haaren hängen und schmolzen auf meinen Wangen. „Es ist schön hier“, sagte William mit leicht gedämpfter Stimme. „Ja, hier draußen ist es wirklich angenehm. Besser als die stickige Luft da drinnen.“ Ich nickte in Richtung Schulgebäude. William schritt an mir vorbei und blieb einige Schritte entfernt von mir stehen. Den Rücken zu mir gedreht begann er zu sprechen. „Das habe ich nicht gemeint, obwohl du recht hast“ >Was?< Ich war verwirrt. >Was hat er dann gemeint?< Er antwortete mir noch bevor ich ihn überhaupt danach frage konnte. „Es herrscht bei euch so etwas… Lebendiges.“ Er rang nach Worten. Was hatte das zu bedeuten? „Ich verstehe nicht … was du damit meinst“, gab ich verlegen zu. „Das Gemurmel der anderen, es ist so lebendig“, versuchte er zu erklären. „Mach dir deshalb keine Gedanken“, wollte ich ihn beruhigen, „ das hört wieder auf. Bestimmt. Sie müssen sich nur erst an dich gewöhnen.“ „Bist du dir sicher?“ „Naja ganz sicher bin ich mir nicht, aber solange du nicht ungewöhnlich auffällst, wird das kein Problem werden.“ Ich versuchte ihn aufmunternd anzulächeln, aber auf seine Antwort war ich nicht vorbereitet gewesen. „Und was ist, wenn ich das nicht will?“, grinsend drehte er mir sein Gesicht zu. Ich befürchtete schon ihn missverstanden zu haben, als er sich näherte und direkt vor mir zum Stehen kam. Da war es wieder. Dieses Gefühl der Zeitlosigkeit. Wir standen nur wenige Sekunden so im Schnee, aber dennoch kam es mir wie die Dauer eines ganzen Lebens vor. Ich war unfähig mich zu rühren und ihm schien es genauso zu gehen. Wir berührten uns nicht, bewegten uns keinen Millimeter und sprachen kein Wort. Und doch war es als ich ihm tief in die Augen blickte für mich ein solch intimer Moment, dass mir fast der Atem stockte. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwas an ihm faszinierte mich und jagte mir doch leichte Schauer über den Rücken. Er war nicht bedrohlich und ich verspürte keine Angst und doch beschlich mich eine dunkle Vorahnung auf ein drohendes Unglück. Mein ganzer Körper kribbelte und die Spannungen zwischen uns waren so intensiv, dass ich fürchtete man könne Blitze zwischen uns aufleuchten sehen. Ich konnte meinen Blick nicht von seinen atemberaubenden Augen lösen, die mich ebenfalls -mit allen Grüntönen dieser Erde- anstarrten. Ich schreckte vor der Intensität seines Blickes zurück und fiel somit wieder in das Hier und Jetzt. Ein heftiger Luftzug strömte an uns vorbei und wirbelte mir meine durchweichten braunen Haare um den Kopf. Ihm wehten die Schneeflocken direkt in sein Gesicht und er zuckte leicht zurück. In diesem Moment schaute ich ihm zum ersten Mal ins Gesicht. Ich riss meinen Blick von seinen Augen und betrachtete sein nun stark durchnässtes, verstrubbeltes, dunkelbraunes Haar. Er sah aus als wäre er gerade aus einem Schwimmbecken aufgetaucht, da der herabfallende Schnee mehr einem Regen glich. Ich befürchtete nicht besser auszusehen. „Lass uns reingehen, sonst sind wir am Ende beide krank. Und darauf kann ich gut verzichten.“ Sagte ich und ging in Richtung Eingangstür. Er folgte mir bereitwillig und wir betraten zum zweiten Mal die große Halle unserer Schule. Der Unterricht ging bereits für alle –außer uns- weiter. Auf dem Stundenplan stand Latein, aber wir hatten ja die Sondererlaubnis der Direktorin und somit blieb uns diese Tortur erspart. Ich zeigte ihm die ganze Schule, jeden einzelnen Raum von den Biologiesälen bis zum Astronomie-Raum, der leider seid einige Zeit nicht als solcher genutzt wurde und im Moment eher als Abstellkammer für Kleinkram diente. Ich erzählte ihm einige Streiche, die wir veranstaltet hatten um die Lehrerschaft und Mrs. Snowler in den Wahnsinn zu treiben. Wir lachten sehr viel und unterhielten uns ständig. Er erzählte mir von seiner alten Schule. Seine Familie und er lebten zuvor in Venedig, eine wunderschöne Stadt, wie ich fand, da ich selbst bereits einmal vor einigen Jahren mit meinen Eltern dort war. „Am Anfang habe ich mich noch ständig in den kleinen verwinkelten Gassen verirrt, aber irgendwie ich immer wieder zur Rialtobrücke zurückgefunden.“ erzählte er mir mit einem Lächeln auf den Lippen. „Macrise klingt aber irgendwie nicht sehr italienisch, wenn ich das bemerken darf.“ „Tja, Melody, das liegt daran, dass ich ursprünglich aus Irland stamme. Meine Familie und ich zogen vor einigen Jahren von dort weg und reisen seitdem viel umher.“ Etwas leicht Melancholisches klang in seiner Stimme mit und ich fand ein solcher Engelsklang sollte sich nicht traurig anhören. Also wechselte ich schnell das Thema. „Wie alt bist du eigentlich, William? Und hast du Geschwister? Wenn ja gehen sie auch von nun an auf diese Schule?“ >Ups. Zu viele Fragen auf einmal.< „ Ich bin 18 Jahre alt, habe drei Geschwister, die ebenfalls hier am Unterricht teilnehmen und wohne ab sofort hier in der Stadt, falls das deine nächste Frage gewesen wäre.“, antwortete er grinsend. „ Und jetzt bist du dran! Selbe Fragen.“, grinste er weiter verwegen vor sich hin. „Also gut. Ich bin erst 17 Jahre alt, Einzelkind und wohne etwas abseits in einem Vorort der Stadt. Wieso seid ihr von Venedig fort und Hier gelandet? Es ist nicht gerade aufregend hier und es passiert so gut wie nie irgendetwas Interessantes!“ „Genau das ist es ja. Wir hatten diesen Trubel satt. Ständig Touristen und dieser Lärm immer. Unerträglich sag ich dir! Wenn du mit deiner Familie jemals in einer Touristenbevölkerten Stadt gewohnt hast, weißt du wovon ich spreche.“ „Nein, das habe ich nie.“ Ich reagierte empfindlich auf das Thema Familie. Zumindest wenn es um meine eigene ging. Ich wollte es mir allerdings nicht anmerken lassen und ging schweigend den Korridor entlang in Richtung Bibliothek. Ich verkroch mich schon immer gerne an diesem Ort um nachdenkend durch die Regale zu schlendern. „Ich hoffe es macht dir nichts aus, aber ich muss noch schnell nach einem Buch suchen. Geht ganz schnell versprochen.“, gab ich vor und lief die Reihen mit Büchern ab. William sah sich etwas im Raum um. Es war sehr geräumig hier. Zwei Sofas standen mit mehreren Stühlen, Sesseln und anderen Sitzgelegenheiten um einen alten, kleinen Tisch herum. Die Ecke lud einen jedes Mal zum Verweilen ein und dort fand ich William dann auch nach guten 5 Minuten gemütlich auf einem Sofa sitzend. „Hast du dein Buch bekommen?“ „Was? Ach so, nein leider nicht.“ Ich hatte schon fast wieder vergessen weshalb wir angeblich hier waren. Ich war die ganze Zeit mit meinen Gedanken dabei gewesen, meine innere Gefühlswelt wieder in den Griff zu kriegen. Ich bekam das Bild seiner strahlenden Augen nichtmehr aus meinem Kopf. >Jack!< Ich zuckte bei dem Gedanken zurück. >Wieso habe ich so ein komisches Gefühl bei der Sache?< Irgendetwas stimmte hier nicht, da war ich mir sicher. Ich wusste nur noch nicht was genau es war. Als wir unseren Rundgang beendet hatten, war es bereits 10 Minuten nach Stundenwechsel zum vierten Unterricht und ich musste in Griechisch. „Was hast du für ein Fach, William? Griechisch oder Französisch?“ „Griechisch.“ Damit hatte ich nicht gerechnet. „Ich hätte dich auf Franzose geschätzt. Aber okay. Dann folge mir mal.“ „Kriegen wir denn keinen Ärger, wenn wir einfach so in den Unterricht reinplatzen?“ Ich musste lachen. „Nein, mach dir darüber mal keine Gedanken. Mr. Gregger macht das nichts aus. Der wird vermutlich nicht einmal merken, dass du neu bist.“, sagte ich und betrat das stickige, kleine Klassenzimmer der Griechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)