Lieben,Leben,Leiden von -cabor- (das leben ist komplizierter als gedacht) ================================================================================ Kapitel 2: Der Neue ------------------- Der Neue „Klasse, das ist William Macrise. Er ist neu an unserer Schule und wird von Heute ab bei euch am Unterricht teilnehmen.“ Kaum hatte Mr. Aucker Williams Namen ausgesprochen war der Östrogenausstoß, der durch die Reihen der weiblichen Schülerinnen ging, in der Luft beinahe greifbar geworden. So gut wie jedes Mädchen lächelte ihn keck an oder gackerte hysterisch drauflos, was die Herren der Schöpfung nervte- und mich- aufs äußerste belustigte. Ich hatte starke Schwierigkeiten nicht vor Lachen auf meinem Tisch zusammenzubrechen und mich danach gackernd auf dem Fußboden wiederzufinden bei dieser Szenerie. Ich bemühte mich noch um Haltung als mich Mr. Auckers Worte aus allen Wolken fallen ließen. „Hinten in der letzen Reihe ist noch ein Platz frei, setzten sie sich doch bitte dorthin. Melody wird ihnen garantiert gerne sagen womit wir uns in letzter Zeit beschäftigt haben.“ Erwischt! Ein Eimer mit Eiswasser von den Tiefen der Antarktis mitten in meinem Gesicht hätte mich nicht wacher rütteln können. Ich hatte keine Ahnung von der letzen Stunde, da ich entweder damit beschäftigt war mich mit Frank und Joe, die vor mir saßen, über den Film zu unterhalten, der am Abend davor im Fernsehen lief, oder ich wiedermal weggepennt bin, bei einem sehr spannenden langatmigen Vortrag von Mr. Aucker über irgendein Gedicht der Sturm und Drang-Zeit. „Also, Mr. Aucker, ich finde ja, dass sie das viel …ehm… umfangreicher und wortgewandter widergeben können als ich dazu jemals in der Lage wäre“, versuchte ich mich herauszureden, „Und außerdem, wer wüsste besser über die Sturm und Drang-Epoche Bescheid als sie…sie habe sie ja schließlich selbst miterlebt.“ Ich hoffte, dass er den letzten Teil nicht verstanden hatte, da es mir mehr wie ein Flüstern über die Lippen gekommen war. Aber da hatte ich mich leider geirrt. Dieser Mann konnte für seine 55 Jahren noch sehr gut hören und, was noch viel schlimmer war, sich auch noch verdammt gut Dinge merken. Das hatte zur Folge, dass er sich noch daran erinnern konnte, wie ich in der vorherigen Stunde gegen Ende lautstark mit meinem Kopf auf den Tisch geknallt bin- im Vollschlaf versteht sich- und daraufhin etwas zu laut so etwas in der Art heraus geschimpft hatte, wie ein: „Verdammt! Erst unterbricht er einen ständig bei Privatgesprächen und dann wird man auch noch von dem ständig beim schlafen gestört. Das ist doch echt beschissen!“ Und nun wollte er mich bloßstellen, da ich offensichtlich Planlos war wovon er jemals gesprochen hatte. Nicht nur, dass ich sehr oft bei ihm einschlief, was eigentlich seit der 2. Stunde bei ihm ständig passiert ist, nein, ich verstehe gerade einmal so gut wie jedes zehnte Wort von ihm, wenn ich Glück habe, und das liegt nicht nur an meiner mangelnden Aufmerksamkeit. Dieser Mann schafft es in einem einfachen 10-Wörter-Satz mindestens 70% Akademie-Vokabular zu verwenden, was sogar bei einer 11. Klasse eines Gymnasiums regelmäßig zu absoluter und vollkommender Ratlosigkeit und Verständnislosigkeit führte. „Diese Tatsache ist mir durchaus bewusst, Ms. Saints. Aber da ich bereits an ihnen mein Wissen über die Epoche der Stürmer und Dränger ausgeführt habe, möchte ich nun von ihnen eine exakte Rezension meines Lehrpensums des letzten Quartals referiert haben.“ Da tat er es schon wieder. Wo ich mich noch anfangs über leichte Wörter aus seinem Mund gefreut habe, die jeder Idiot- und auch ich- verstehen konnte, machte er meinen Freudentaumel sogleich wieder mit seinem Fach-chargon zunichte und meine reflexartige Antwort fiel dem entsprechend einfach aus: „Hä?“ „Ach wie schön. Die perfekte Imitation eines Ausrufs des Homo Sapients. Sie könnten wirklich eine sehr gute Arbeit über jene Balz-Rufe und Gedankenäußerungen unserer Vorfahren schreiben, nur leider ist das nicht ganz unsere Epoche gewesen, die uns nun solange beschäftigte.“ Eine weitere Lieblingsbeschäftigung seinerseits. Unschuldige und wehrlose Schüler blamieren und beleidigen. Normalerweise hätte ich mich sofort auf ein kleines Wortduell mit einem Lehrer eingelassen, aber nur unter einem besseren Stern. Ich riskierte nämlich in letzter Zeit bereits ein paar Mal zu oft meine große Klappe, was mir neben regelmäßigem Nachsitzen auch tägliche Besuche bei unserer Rektorin einbrachte. Und da ich auch an diesem Tag wieder einen Termin bei ihr hatte, legte ich es nicht noch auf ein weiteres Streitthema an und ließ Mr. Aucker seine kleine Stichelei durchgehen. Aber das würde ich ihm schon noch heimzahlen, irgendwann. Es war ein offenes Geheimnis, dass Lehrer mich nicht besonders gut leiden konnten und mich deshalb bereits beim kleinsten Vorfall in der ersten Schulwoche an einen Einzelplatz in die letzte Reihe verbannten, wo sie mich ignorieren konnten und ich meine Ruhe hatte. Somit waren alle zufrieden. Die einzigen, die ich dort hinten stören konnte waren Frank und Joe. Aber das schien den Lehrkräften ebenfalls egal zu sein, da die Beiden nicht die hellsten Birnen im Leuchter waren und es unwichtig war, ob sie aufpassten oder sich mit mir unterhielten. Somit war der einzige freie Platz neben mir am Ende des Klassenzimmers, auch der Ursprung allen Übels genannt. Doch das war unserem Neuen noch nicht bekannt. Aber wirklich glücklich war ich nicht einen neuen Banknachbar zu bekommen. So gut er auch aussah, so unangenehm war es auch neben ihm zu sitzen. Ich konnte es noch nie leiden ungeniert angeglotzt zu werden, aber noch schlimmer war es hass- und neiderfüllt mit Blicken getötet zu werden. Ich konnte zwar nie Gedanken lesen, aber diese Blicke der Mädchen waren zu eindeutig: Jedes weibliche Individuum wollte in diesem Moment um jeden Preis meinen Platz haben und ich hätte ihn sofort der meist bietenden verkauft, wenn irgendeine Chance für eine Auktion bestanden hätte. Doch ich saß in der Falle. Mit einer stetig anschwellenden Wut im Bauch und einer wachsenden Paranoia, die nicht nur Verfolgungswahn sondern auch Todesängste einschlossen. Meine Befürchtungen nach dem Verlassen des Lehrers von 16 Mädchen geluncht zu werden machte es mir noch unmöglicher auch nur ein weiteres Wort von Mr. Aucker zu verstehen. Ich hatte nicht bemerkt wie verkrampft meine Finger ineinander verschränkt waren, bis der Grund allen Leidens das Wort an mich richtete. „Hey, kannst du mir vielleicht sagen, was das Problem dieses Lehrers ist? Der scheint ja irgendwie was gegen Schüler zu haben.“ Seine Stimme. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben gehört. Dieser weiche Klang eines heranwachsenden Jungen untermalt mit der Rauheit, die einen Mann ausmacht, verschmolzen in perfekter Harmonie zu einer Stimme, die besser zu einem Engel gepasst hätte als sie einem menschlichen Wesen jemals vergönnt gewesen wäre. Verwirrt löste ich meine schmerzenden steifen Finger voneinander und dann passierte es. Ich sah zum ersten Mal in Williams Gesicht und verlor mich prompt auf einem Pfad in den Tiefen seiner strahlend grünen Augen. Ich musste meinen Blick abwenden um überhaupt einen logischen Satz zustande zu bringen. So etwas war mir mit einem Jungen noch nie passiert. „Er hat ein Problem sich anderen Wesen zu öffnen. Speziell mit der Rasse Mensch hat er so seine Schwierigkeiten. Ich glaube, das einzige Lebewesen mit dem er klarkommt ist ein Fisch“, sagte ich meinen Fingern. „Wieso?“, wollte William wissen, ohne sich sein schiefes Grinsen verkneifen zu können. „Weil ihm Fische bei seinen endlos langweiligen Monologen nicht wiedersprechen, reinreden, Fragen stellen oder einschlafen, so wie das den Menschen ergeht, die gezwungen sind ihm zuhören zu müssen.“ Und da war es schon wieder. Dieses Lächeln, das er vermutlich einem Gott gestohlen hat. Ich bemühte mich auf die Uhr anstatt in sein Gesicht zu schauen und wurde dabei von dem erlösenden Stundenende gerettet. Doch die zweite Stunde würde ebenso langweilig werden wie die erste, was aber eher am Stoff als am Lehrer liegen würde. Obwohl Mr. Briegle sich für äußerst streng hielt wurde er von uns nur belacht, was ihn regelmäßig an den Rand eines Nervenzusammenbruchs brachte. Geschichte war für mich nie ein spannendes Fach gewesen, doch seit wir uns vorgenommen hatten diesen Lehrer eigenhändig raus zu ekeln wurden die Stunden wieder interessanter. Doch an diesem Tag hielt ich mich in Sachen psychologische Kriegsführung und Psychoterror zurück und beschränkte mich lediglich auf die gute alte Unterrichtverweigerung, was wie immer kollektiv dankbar angenommen wurde. 10 Minuten vor Stundenende beschloss ich, dass es genug sei für Heute und ging mit gepackter Tasche aus dem Klassenzimmer. Und da waren sie wieder, die verdutzten Blicke der anderen. Dieses Ritual hat sich bei mir nun schon so eingespielt, dass mir der darauf folgende Gang zur Direktorin so angewöhnt war, wie mein morgendlicher Kaffee. Und wie jeden Tag saß Mrs. Snowler bereits hinter ihrem Schreibtisch im Büro und wartete auf mich. „Ah Melody. Ich dachte schon sie hätten heute vor dem Unterricht bis zum Ende beizuwohnen.“ >Welch nette Begrüßung!< „Tja Sybille, ich war so knapp davor gewesen länger zu bleiben, aber ich musste aufs Klo und hatte kein ärztliches Attest dabei, da dachte ich mir, gehst besser gleich ganz raus.“ „Ah ja, das ist bei ihnen vermutlich auch besser, vor allem für die Nerven des Lehrkörpers.“ Ach ja, wie sehr liebte ich doch unsere Gespräche. Immer war ich in ihren Augen schuld, wenn ein Lehrer mal wieder durchdrehte oder einfach das Handtuch warf. Dabei lag meine Beteiligung nur bei etwa 95%, wobei die indirekten und Untergrund-Machenschaften so gut wie völlig von mir ausgingen. Nichts passierte an dieser Schule ohne mein Wissen und nur selten etwas ohne meine Zustimmung. Aber was sollte ich machen? Die anderen wären ohne mich aufgeschmissen. „Um was handelt es sich diesmal?“, fragte Sybille mit monotoner Stimme. Ihre tägliche Frage. Was sollte ich darauf antworten? Ich hatte- wie so oft- zu viel Ärger bereits bekommen und wusste daher nicht wegen welchem Vorfall genau ich bei ihr antanzen sollte. Ich entschied mich genervt zu schauen und mit gequältem Ausdruck im Gesicht zu antworten. „Ich denke mal es gab wieder Beschwerden über mich. Aber wieso genau ich hier bin weiß ich auch nicht zu sagen.“ >Unsere Diskussion kann beginnen.< „Mir wurde berichtet, dass sie mal wieder den Unterricht terrorisiert haben. Was soll ich bloß mit ihnen machen?“ >Wie wärs mit dem üblichen? Nachsitzen? Strafarbeit? Putzdienst bei dem Reinigungsteam? Dem Hausmeister helfen?<, dachte ich mir. Normalerweise fiel ihr immer etwas ein, daher irritierte mich ihre direkte Frage etwas. „Seit wann gehen ihnen denn die Foltermethoden aus?“, fragte ich verwegen grinsend. Doch eine Antwort blieb mir verwehrt. Mir war gar nicht aufgefallen, dass es bereits zur Pause geklingelt hatte, doch was jetzt geschah, darauf war ich nicht vorbereitet. „Entschuldigen sie bitte.“ -Diese Stimme, ich musste mich nicht umdrehen um zu wissen zu wem jene Worte gehörten.- „Ich soll mich bei einer gewissen Mrs. Snowler melden. Ich bin neu hier.“ Das Grinsen, das ihm vermutlich über die Lippen huschte, war sogar in seiner Stimme zu hören. „Ah, Mr. …?“ „Macrise.“ „Jaja danke. Herzlich Willkommen an unserer Schule. Haben sie sich denn schon gut eingelebt?“ „Ja natürlich. Sie haben eine wunderbare Lehranstalt hier.“ „Naja, Anstalt an sich ist eine interessante und treffende Wortwahl. Ich sehe man braucht mich hier nicht mehr. Wenn es euch also nichts ausmacht…“ Ich wollte mich gerade aus der Affäre ziehen und hoffte noch, dass der Auftritt des Neuen Mrs. Snowler solange ablenken würde bis ich aus der Gefahrenzone, dem Direktorat, entkommen wäre, doch leider lag ich damit ein bisschen falsch. „Ms. Saints, wo sind ihre Manieren geblieben? Man stellt sich doch jemanden vor und verlässt nicht fluchtartig den Raum…“ „Wir haben uns schon kennengelernt. Wir sind nun in derselben Klasse.“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Er mischte sich in den Redefluss der Direktorin ein um mir zu helfen? Ihm war wohl nicht klar, dass man die Leiterin dieser Schule besser nicht unterbricht. So etwas konnte fatale Folgen nach sich ziehen. Ich spreche aus Erfahrung. „Wie dem auch sei. Ihre Eltern haben wohl ihre Pflichten nie wirklich ernst genommen, Ms. Saints.“ >Das war ein Kommentar zu viel!Sie überschreitet nun eindeutig eine Grenze!< „Lassen sie meine Eltern da aus dem Spiel. Wenn sie ein Problem mit mir haben, geht das nur uns beide etwas an und sonst niemanden!“ Ich hatte gar nicht bemerkt, dass meine Stimme immer lauter wurde. Erst als ich den verdutzen Ausdruck auf dem Gesicht der anderen im Raum sah, wurde es mir bewusst. Doch schämen kam dafür nicht in Frage. „Ich denke zur Beruhigung sollten sie sich die nächste Stunde frei nehmen. Wir wollen doch nicht, dass sie in diesem Zustand wieder in die Klasse gehen. Der arme Lehrer!“ Das war doch nicht möglich. >Irgendetwas führt sie im Schilde. So viel steht fest.< „Und wo ist da der Hacken bei der Sache?“ argwöhnisch beobachtete ich, wie sich ein breites, schadenfrohes Grinsen auf ihrem Gesicht breit machte. „Im Gegenzug dazu zeigen sie unserem neuen Schüler hier die Schule.“ Das war zu viel verlangt. „Aber…!“, wollte ich protestieren, doch sie schnitt mir das Wort ab. „Keine Wiederrede! Sonst sehe ich mich gezwungen ihrem Meister…“ „Schon gut, schon gut. Ich machs ja! Aber lassen sie ihn aus dem Spiel. Wie gesagt, das geht nur sie und mich etwas an!“ „Schön, dass sie doch noch zur Vernunft gekommen sind, Melody. Mr. Macrise, folgen sie doch bitte Ms. Saints. Sie wird ihnen eine kleine Tour durch unsere Hallen geben. Und viel Erfolg an unserer Schule. Ich hoffe es wird ihnen hier gefallen.“ „Vielen Dank Mrs. Snowler. Das hoffe ich auch.“ Er meldete sich nun wieder zu Wort. Doch bevor ich mich von dem übertriebenen Gehabe Sybilles übergeben musste, marschierte ich- mit William im Schlepptau- nach draußen in die überfüllten Flure des Schulgebäudes. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)