Das Dilemma der Puppenmacher von Motzi_die_Katze (Eine Megamind-Fanfiction) ================================================================================ Kapitel 3: Der Puppenmacher --------------------------- Ein weiterer Tag, ein weiterer Notfall. Seit einer Woche wurden Megamind und Minion fast täglich zu einem weiteren eingestürzten Gebäude gerufen und immer war es dasselbe Schema: Über Nacht stürzten Häuser ganz oder teilweise ein, manchmal wurde sogar eine ganze Gasse in Schutt und Asche gelegt, und niemals fand sich auch nur ein Hinweis auf irgendeinen Sprengkörper. Mittlerweile war sich Megamind fast sicher, dass es sich wirklich um einen Superschurken handeln musste und zwar um einen von der gefährlichen Sorte, denn es schien ihn oder sie nicht im Geringsten zu interessieren, ob in den Häusern, die er oder sie zum Einsturz brachte, noch Menschen waren. Dementsprechend wurden immer wieder Leichen aus den Trümmern geborgen, wenn auch keiner dieser Leute auf dieselbe Art gestorben waren wie der Tote aus dem Arbeiterviertel. Bei dem Toten hatte sich in der Zwischenzeit herausgestellt, dass das Innere seines Brustkorbes regelrecht pulverisiert worden war. Die Rippen waren nur noch eine Ansammlung von Splittern gewesen, das Herz und die Lungen waren merkwürdig zusammengequetscht und das alles durch einen einzigen Schlag vor die Brust. Es gab den Forensikern Rätsel auf. Mit einem Schaudern erinnerte sich Megamind an die Bilder, die ihm Rebecca Jones geschickt hatte, in der Hoffnung, dass er sich einen Reim darauf machen könnte. Doch bislang war ihm keinerlei Idee gekommen, er hatte diese Art des Tötens noch nie gesehen. Erst hatte er es mit Eisenstangen versucht, die er gegen eigens dafür von ihm angefertigten Dummys ausprobierte, dann mit Roboterarmen und schließlich hatte er sogar Minion gebeten, der diese Aufgabe nur unter großem Sträuben und Jammern ausführte. Danach hatte er sich eine kleine Standpauke von Roxanne anhören dürfen, zu der Minion geflohen war, nachdem er seinen Arm nicht mehr aus der klebrigen Masse im Innern der Puppen befreien konnte. Doch alle Versuche waren fehlgeschlagen, Megamind konnte einfach nicht die Bedingungen herstellen, die nötig waren, das Innere so zu zerquetschen, dass von außen nur ein blauer Fleck zu sehen war. Zu allem Überfluss verweigerte ihm das Krankenhaus jedweden Zutritt zum Krankenzimmer des fremden Mannes, den sie im Versteck gefunden hatten, mit der Begründung, dass nur nahe Verwandten das Krankenbett besuchen dürften. Megamind argumentierte daraufhin, dass keine Verwandten kommen würden, da sie vermutlich noch nicht einmal wussten, dass er im Krankenhaus lag, und dass es wirklich, wirklich wichtig war, dass er ihn sobald wie möglich spräche. Letztendlich - und nach einer ziemlich langen Diskussion, bei der er alle Mühe hatte, ruhig zu bleiben - gab er klein bei und hinterließ Roxannes Telefonnummer mit der Bitte, dem Verletzten diese zu geben, damit er mit ihm sobald wie möglich in Kontakt kommen könne. Missmutig stampfte Megamind zurück zum Unsichtbaren Wagen und ließ sich in den Beifahrersitz fallen. "Nach Ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, war es wohl kein sonderlicher Erfolg", stellte Minion fest und sah seinen Herrn voller Mitgefühl an. "Nein, aber ich habe Roxannes Nummer hinterlegt", brummte Megamind und starrte aus dem Fenster. "Es ist echt zum Verrücktwerden! Da weiß ich endlich mit Sicherheit, dass der Mann tatsächlich bei dem ersten Gebäudeeinsturz vom letzten Montag dabei gewesen war und ich kann ihn noch nicht einmal dazu befragen, weil sich die Belegschaft des Krankenhauses querstellt!" "Nun ja, Sir, sie dürfen eben nur Familienangehörige in die Intensivstation lassen", versuchte Minion ihn zu beschwichtigen. "Bestimmt werden sie Sie kontaktieren, sobald der Mann zu einem Gespräch bereit ist." "Ich wage anzuzweifeln, dass sie ihm die Nummer überhaupt geben werden." Megamind kaute verärgert auf seiner Unterlippe. "Wahrscheinlich haben sie den Zettel schon längst in den Papierkorb geworfen. Und von selbst wird der Mann wohl kaum auf die Idee kommen, uns oder die Polizei zu kontaktieren, wenn er endlich aus dem Krankenhaus entlassen wird." "Nun sehen Sie nicht immer alles so pessimistisch, Sir!", meinte Minion aufmunternd. "Diese Menschen haben bestimmt gesehen, wie wichtig Ihr Anliegen ist. Und Sie haben ja sogar die De-Waffe im Wagen gelassen, um nicht so gefährlich auszusehen." "Ein schwerer Fehler", erwiderte Megamind schlecht gelaunt, hob aber sogleich beschwichtigend die Hände, als Minion empört "Sir!" ausrief. "War nur ein Witz, nur ein Witz!" Der Fisch sah ihn argwöhnisch an, zuckte dann aber seufzend mit den Schultern und richtete den Blick auf das Lenkrad. "Wo soll es jetzt hingehen, Sir? Soll ich Sie zu Miss Ritchi fahren?" Megamind schüttelte den Kopf. "Nein, sie ist noch bei der Arbeit und in letzter Zeit hatte sie nicht mal Zeit für eine Mittagspause. Dieser Sender scheucht sie wirklich von einem Tatort zum nächsten. Als könnten die Nachrichten irgendetwas außer Panik zu diesem Fall beitragen!" Er musste sich wirklich zusammenreißen, um nicht mit Schmollen anzufangen. "Oh, das ist zu schade, Sir", meinte Minion mitleidig. "Soll ich dann zurück zum Versteck fahren?" "Ja", seufzte Megamind schwer. "Es bleibt uns ja nichts anderes übrig. Ich muss ein paar der Brainbots reparieren, die beim letzten Einsturz beschädigt wurden. Ich kann nur hoffen, dass die Newsbots keine neuen Nachrichten haben." "Zumindest keine schlechten", fügte Minion fröhlich hinzu und fuhr los. "Gute Nachrichten wären mir sehr willkommen." "Nicht nur dir, Minion", erwiderte Megamind müde. Als sie in die Straße einbogen, die zu ihrem Versteck führte, fiel ihnen sofort der Wagen des KMCP 8-Nachrichtensenders auf, der vor dem Hologramm stand. "Oh, sehen Sie nur, Sir, ich glaube, Miss Ritchi hat heute früher gehen können", sagte Minion. Megaminds Miene hellte sich auf, verfinsterte sich aber gleich wieder, als ihm ein Gedanke kam. "Ist vermutlich nur jemand vom Sender, der gehört hat, dass wir hier in der Nähe leben und nun versucht, eine Reportage darüber zu machen", murmelte er. "Wird Zeit, dass wir uns ein neues Versteck suchen, Minion." Minion seufzte resigniert. "Sir, Sie müssen wirklich aufhören, alles so negativ zu sehen, nur weil es im Moment nicht so gut läuft. ...Auch wenn ich die Idee mit dem Umzug gar nicht so schlecht finde", fügte er nachdenklich hinzu. Er fuhr durch das Hologramm hindurch und parkte den Wagen wie üblich vor Megaminds "Ideenwand", vor der gerade der rote Vorhang gezogen war. Megamind stieg aus und sah sich misstrauisch in der Fabrikhalle um. "Hm, sieht nicht so aus, als hätten sie den Weg hineingefunden." "Nun, selbst wenn ein unerlaubter Besucher hier hereingefunden hätte, hätten die Brainbots ihn oder sie bestimmt sofort abgefangen", meinte Minion. Wie auf Stichwort kamen die kleinen Roboter angesaust und umringten ihren Erfinder aufgeregt. Megamind lächelte und streichelte die Brainbots der Reihe nach. "Habt ihr Daddy vermisst? Aber natürlich habt ihr das! Ihr seid gute kleine Roboter!" Ein leises Lachen ließ ihn hochfahren und die Arme abwehrend vor die Brust heben. Er beobachtete, wie der Vorhang zur Seite gezogen wurde und atmete erleichtert aus, als er erkannte, wer es war. "Roxanne! Ich dachte, du wärest noch auf der Arbeit", sagte er und schloss sie in eine Umarmung. "Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass es Miss Ritchi ist, Sir", meinte Minion augenrollend und verscheuchte die müßig herumschwebenden Brainbots. "Aber mir glaubt mal wieder keiner." "Mein Chef hat befürchtet, dass ich wahrscheinlich bald mit einem Anwalt anrücken werde, wenn er mich weiter von Montag bis Sonntag arbeiten lässt", erklärte Roxanne lächelnd. Megamind grinste glücklich zurück. "Ich glaube, er sollte lieber befürchten, dass er dehydriert wird, wenn er dir so viel Arbeit aufhalst", scherzte er. "Sir!" Minion sah ihn missbilligend an. "So etwas machen wir nicht mehr! Wir gehören jetzt zu den Guten!" Jetzt verdrehte Megamind ebenfalls die Augen. "Oh, reg dich doch nicht so auf, Minion! Das war nur ein Scherz!" Roxanne löste sich aus seiner Umarmung und stemmte eine Hand in die Hüfte. "Und? Habt ihr beiden irgendetwas Neues herausgefunden? Oder konntet ihr wenigstens mit dem Verletzten reden?" Das Lächeln verschwand von Megaminds Gesicht so schnell wie es gekommen war und er zog mit einem Ausdruck vollkommener Hilf- und Ratlosigkeit die Schultern nach vorne. "Von wegen!", erwiderte er. "Nur ein weiterer Gebäudeeinsturz ohne Hinweise. Und das Krankenhaus lässt mich immer noch nicht zu ihm. Ich habe deine Nummer hinterlegt, aber ich wage anzuzweifeln, dass er sie je zu Gesicht bekommt." "Muss ich also wieder Rezeptionistin für euch beide spielen?", fragte Roxanne und sah amüsiert dabei zu, wie ihr Freund verlegen eine Entschuldigung murmelte. "Ist schon in Ordnung, Megamind, es macht mir nichts aus. Ich wollte dich nur aufziehen." Megamind atmete erleichtert aus. Er war sich nie ganz sicher, ob sie es ernst meinte oder nicht. Roxanne drehte sich zu seiner Ideenwand um. "Also, wie ist der Stand der Dinge? Gibt es irgendein System hinter diesen Anschlägen?" "Ich bin mir nicht sicher, ob da wirklich ein System dahintersteckt, aber eines weiß ich", meinte Megamind und zeigte auf einen Stadtplan, den er an eine Pinnwand gesteckt hatte, "die Anschläge nähern sich immer mehr dem Stadtzentrum. Dabei scheint es dem Täter egal zu sein, ob das Gebäude ein Wohnhaus oder ein Geschäft ist. Er bringt die Gebäude wahllos zum Einsturz und das ist das eigentlich Gefährliche hier." "Es hat auch bisher keine weiteren Zeugen gegeben, da die Anschläge immer nachts begangen werden", fügte Minion hinzu. "Die einzige Personenbeschreibung, die wir haben, ist die von Mrs. Bearhunter und die ist mehr als vage." "Also müssen wir auf die Aussage des Verletzten warten, um Genaueres zu erfahren", erwiderte Roxanne nachdenklich. "So sieht's aus", murmelte Megamind und zog einen der Notizzettel zu sich heran. "Ich habe bereits die Brainbotpatrouillen erhöht und die Newsbots sind dauerhaft bei Polizei und Feuerwehr stationiert. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das ausreicht." Er sah sie niedergeschlagen an. "Vielleicht solltet ihr die Bürger dazu aufrufen, nach verdächtigen oder seltsam aussehenden Personen Ausschau zu halten", schlug Roxanne vor. Seine Miene verfinsterte sich. "Am Ende werde ich angezeigt." Sie lachte. "Seltsamer aussehend dann eben. Aber für mich sieht es so aus, als ob ihr ein paar Hinweise gebrauchen könntet." "Das ist eine gute Idee, Sir, wir sollten darüber nachdenken", meinte Minion. "Am besten verteilen wir Flugblätter oder sowas." "Die liest doch keiner", sagte Megamind augenrollend. "Die Leute werfen sie immer gleich in den Papierkorb. Außerdem will ich hier keine Massenpanik auslösen." "Mag sein, aber ihr könnt die Leute auch nicht im Dunkeln lassen, während ein womöglich gefährlicher Verbrecher in der Stadt sein Unwesen treibt", argumentierte Roxanne. "Im Moment greift er nur Gebäude an, aber wir haben gesehen, was er Menschen antun kann." "Stimmt schon", murmelte Megamind nachdenklich, hielt dann aber inne und sah sie misstrauisch an. "Warte mal. Woher weißt du eigentlich, was mit dem Toten passiert ist?" Roxanne verdrehte die Augen. "Ihr zwei seid nun wirklich nicht besonders begabt darin, solche Sachen geheimzuhalten. Ich weiß doch, dass du einen Dummy gebaut hast, um die Szene nachzustellen. Es braucht nicht viel, um da eins und eins zusammenzuzählen." "Oh", machte er überrascht und grinste sie verliebt an. "Du bist eben doch die schlauste Person, die ich kenne." Roxanne erwiderte das Lächeln und zog ihn zu einem Kuss heran. "Schmeichler." Minion verdrehte die Augen beim Anblick der beiden. "Ich lasse euch zwei Turteltauben dann mal allein", sagte er. "Wenn Sie beide schon so anfangen, bekommen wir heute sowieso nichts mehr gebacken." "Jaja, sehr schön", murmelte Megamind abgelenkt, offenbar nicht im Geringsten mitbekommend, was sein Freund gerade gesagt hatte. Minion schüttelte amüsiert den Kopf und entfernte sich leise vom Ort des Geschehens. Als er die Augen öffnete, lag er in einem komplett weißen Raum auf einem relativ unbequemen Bett. Verwirrt blinzelte er zu der Deckenlampe hoch, die direkt über seinem Bett hing, und versuchte sich aufzusetzen. Dies erwies sich allerdings als unmöglich, da an seinem gesamten Oberkörper und unter seiner Nase Schläuche und Kabeln befestigt waren. Er stieß einen Seufzer aus und sah sich nochmal um. Rechts neben seinem Bett war ein EKG aufgestellt worden, das in regelmäßigen Abständen ein leises Piepsen von sich gab. Es fing bereits an, ihn zu nerven. Unter den zugezogenen Vorhängen schimmerte golden das Licht der Nachmittagssonne hervor und von draußen drang das Geräusch von Schritten herein. Als er versuchte, seinen rechten Arm nach dem Gerät auszustrecken, fiel ihm auf, dass die Gliedmaße mit einer Schlinge an seinen Oberkörper gebunden war. Wann war denn das passiert? Und wie kam er in diesen Raum? Soweit er sich erinnern konnte, hatte er sich doch in eine verlassene Fabrik gerettet. War vielleicht jemand vorbeigekommen und hatte ihn dort liegen sehen? Ehe er noch weiter darüber nachdenken konnte, wurde die Tür seines Zimmers geöffnet und eine Krankenschwester mittleren Alters trat ein. Als sie bemerkte, dass er wach war und sie beobachtete, rief sie etwas in den Flur hinaus und wenige Minuten später standen drei weitere Menschen vor seinem Bett. Ohne ihn auch nur nach seinem Wohlbefinden zu fragen, richteten sie ihn auf und drehten ihn hin und her, während sie sich miteinander unterhielten. Sie lösten die Schläuche und Kabel von seinem Körper und drückten ein Stethoskop gegen seine Brust und seinen Rücken. Dann wurde er aus dem Zimmer gerollt, es ging den Gang entlang, in einen Fahrstuhl hinein, einen weiteren Gang hinunter und wieder in einen neuen Raum. Man forderte ihn auf, sich auf eine Liege zu legen, die Schlinge um seine Schulter nahm man ihm ab, eine Matte wurde auf seine Beine gelegt und ihm wurde aufgetragen, sich nicht mehr zu bewegen. Und immer noch hatte ihn niemand gefragt, wie es ihm ging oder wer er war. Nach einer Weile wurde ihm gesagt, dass er wieder aufstehen dürfte, sein Arm wurde abermals in die Schlinge gesteckt und ein Rollstuhl wurde hereingebracht. Mit äußerstem Widerwillen setzte er sich hinein, verärgert darüber wie ein Invalide behandelt zu werden und wieder ging die Fahrt durch das Gebäude los. Das Zimmer, in das man ihn nun rollte, war bereits von einer weiteren Person bewohnt. Der ältere Herr hatte sein gebrochenes Bein in einer Schlinge über seinem Bett baumeln und hob nicht einmal den Kopf von seiner Zeitschrift als sie hereinkamen. Er ärgerte sich immer mehr über die Unhöflichkeit dieser Leute. Die Krankenschwester, die seinen Rollstuhl geschoben hatte, half ihm auf sein neues Bett und steckte die Decke um ihn herum fest als wäre er ein kleines Kind, ehe sie das Zimmer wieder verließ. Eine unangenehme Stille erfüllte den Raum. Er sah aus dem Fenster und erkannte, dass die Sonne mittlerweile ziemlich tief über den Häusern stand. Vermutlich war es sieben oder acht Uhr, aber da es in diesem Zimmer keine Uhr gab, konnte er sich nicht sicher sein. Müßig strich er mit den Fingern seiner linken Hand über die Bettdecke und fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, sich schlafend zu stellen und anschließend die Flucht zu ergreifen. Nachdem er eine Viertelstunde in vollkommenem Schweigen verbracht hatte, öffnete sich die Tür wieder und eine neue Krankenschwester schob ein Wägelchen mit zwei Tabletts darauf herein. Sie stellte jeweils eines vor ihn und den anderen Patienten. Argwöhnisch piekste er mit der Gabel das Essen an, ehe er auf den Zettel aufmerksam wurde, den irgendjemand unter das Tablett geklemmt hatte. Er entfaltete ihn und sah einen Namen und eine Nummer darauf stehen. Verwirrt wandte er sich an die Krankenschwester. "Äh, was-" "Mr. Megamind wünscht Ihren Anruf, sobald Sie sich dafür bereit fühlen", erklärte die Schwester ihm. "Wenn Sie wollen, kann ich ihnen ein Telefon bringen..." Er nickte und sie verließ das Zimmer. Abermals betrachtete er den Zettel. "Roxanne Ritchi" stand mit Bleistift in Großbuchstaben geschrieben und zu seiner größten Verwirrung war unter der Nummer ein kleines Herz eingezeichnet und dann wieder wegradiert worden. Was sollte das? Die Tür öffnete sich wieder und die Krankenschwester kam herein, ein schnurloses Telefon in der Hand. "Bitte schön", sagte sie und drückte ihm das Gerät in die Hand. "Danke", murmelte er und versuchte sich an einer Verbeugung. Die Frau lächelte und schloss beim Hinausgehen die Tür hinter sich. Er gab die Nummer von dem Zettel in das Telefon ein und hielt es sich ans Ohr. Nachdem es dreimal geklingelt hatte, wurde am anderen Ende abgehoben und eine Frau meldete sich: "Hallo, Roxanne Ritchi am Apparat?" "Ah, allo, hier ist, äh, Ansgar Geberic", antwortete er unsicher. "Ein gewisser, äh, Megamind wollte mich sprechen?" Das Unsichtbare Auto schlängelte sich zwischen den anderen Verkehrsteilnehmer hindurch in Richtung des Metro City Hospital. Es war zwölf Uhr mittags und Megamind hatte die Nacht über kaum schlafen können, doch das konnte seine gute Laune nicht trüben. Dies war ein hervorragender Tag, fand er. Bisher hatte es keine neuen Notfälle gegeben, die Sonne schien und am Tag zuvor hatte er endlich den Anruf bekommen, auf den er so lange gewartet hatte. Bestimmt standen sie kurz vor der Auflösung dieses blöden Falles! "Sir, bitte setzen Sie sich gerade hin", bat Minion ihn nervös. "Wenn Sie die ganze Zeit vor und zurückwippen, kann ich mich nicht auf den Verkehr konzentrieren." Megamind verdrehte die Augen und setzte sich aufrecht hin, die Arme vor der Brust verschränkt. "Könnt ihr beiden nicht endlich einmal Anschnallgurte installieren?", fragte Roxanne von der Rückbank her und krallte ihre Nägel in das Lederpolster ihres Sitzes. "Oder wenigstens etwas langsamer fahren? Mr. Geberic läuft uns so schnell nicht davon." Kaum hatte sie das gesagt, kam auch schon das Krankenhaus in Sicht und Minion verringerte gehorsam das Tempo. Er schaltete die Unsichtbarkeit aus und parkte den Wagen ordnungsgemäß auf dem Besucherparkplatz. Mit zitternden Knien stieg Roxanne aus und lehnte sich gegen das Auto. "Ich hätte doch zur Arbeit gehen sollen", murmelte sie. "Kein freier Tag der Welt ist diese Fahrt wert." "Also das verstehe ich nicht", meinte Megamind und stützte sich mit dem Unterarm am Wagen ab. "All meine Todesfallen überstehst du ohne mit der Wimper zu zucken, aber vor Minions Fahrstil hast du Angst?" Roxanne warf ihm einen scheelen Blick zu. "Deine 'Todesfallen' waren doch sowieso nicht echt!" Aufgebracht schnappte er nach Luft. "Bitte?! Was ist denn mit den Alligatoren? Und dem Sägeblatt? Oder dem Maschinengewehr?" "Die Alligatoren waren so weit von mir entfernt, dass ich schon hätte reinspringen müssen, um mich zu verletzen", erklärte sie augenrollend. "Dasselbe gilt für das Sägeblatt. Und was das Maschinengewehr angeht... Das Ding war doch sowieso nicht geladen!" Ehe Megamind etwas darauf antworten konnte, räusperte sich Minion. "Ich unterbreche Sie beide ja nur äußerst ungern bei Ihrem Geplänkel", sagte er, "aber wir haben noch etwas zu tun." Megamind drückte sich schmollend von dem Auto weg und folgte Minion mit Roxanne ins Innere des Krankenhauses. "Oh nein, nicht der schon wieder!", sagte der Rezeptionist bei Megaminds Anblick, offenbar lauter als er beabsichtigt hatte, da er im nächsten Moment puterrot anlief. "Doch, ich schon wieder", erwiderte Megamind gut gelaunt. "Aber diesmal darf ich zu Mr. Geberic." Der Rezeptionist sah ihn ausdruckslos an. "...Wem?" "Der Mann, den wir in unserem Versteck gefunden haben", erklärte Megamind geduldig in dem Ton, mit dem man normalerweise schwerfällige Kinder anspricht. "Raum Hundertneun, Ansgar Geberic." Der Rezeptionist gab den Namen in den Computer ein. Ein paar Augenblicke später nickte er. "Sie können durchgehen", seufzte er. "Die Raumnummer haben Sie ja schon." "Vielen Dank", sang Megamind gut gelaunt und ging an der Rezeption vorbei, sein Schritt beinahe hüpfend. "Meinst du nicht, wir sollten uns eine Wegbeschreibung geben lassen?", fragte Roxanne besorgt und blickte über die Schulter zurück. "Wäre ziemlich blöd, wenn wir jetzt die Orientierung verlieren würden." "Meine liebe Roxanne, ich habe mir gestern Abend den Lageplan angesehen", erwiderte er lachend. "Ich weiß, wo Raum Hundertneun ist." "Hm, ich glaube, ich sehe mich schon mal nach jemandem um, der uns weiterhilft", murmelte sie, wurde von ihm aber ignoriert. Einige Abbiegungen später standen sie tatsächlich vor Raum Hundertneun. Megamind warf ihr einen triumphierenden Blick zu, was sie mit einem Augenrollen quittierte. "Na schön, na schön", sagte sie. "Du hattest Recht." Grinsend drehte er sich zu Minion um ... nur um festzustellen, dass sein Fischfreund fehlte. "Wo ist Minion hin?", fragte er aufgeregt und drehte den Kopf in alle Richtungen. "Eben war er doch noch hinter uns!" Roxanne sah sich ebenfalls um, konnte aber auch keine Spur von dem Fisch finden. "Vielleicht wurde er an der Rezeption aufgehalten", mutmaßte sie. "Er ist zwar dein Helfer, aber für das Krankenhauspersonal ist er vermutlich nur ein Tier. Und Tiere sind im Krankenhaus nicht erlaubt." Seine Miene spiegelte Besorgnis und Enttäuschung wider. "Ich gehe ihn holen", beschloss er und wollte den Gang wieder hinuntergehen. "Lass gut sein, Megamind, er wartet sicher am Eingang auf dich", erwiderte sie und hielt ihn am Arm fest. "Du hast so lange darauf gewartet, mit dem Mann zu reden, da solltest du dich nicht von solch einer Kleinigkeit aufhalten lassen. Mr. Geberic wartet auch schon auf dich." Als er keine Anstalten machte, das Krankenzimmer zu betreten und noch verunsicherter aussah als zuvor, seufzte sie. "Wie wäre es damit? Ich gehe zurück und sehe nach Minion und du gehst ins Zimmer und redest schon mal mit Mr. Geberic. Vermutlich habe ich sowieso mehr Erfolg damit, sie zu überzeugen." Einen Moment lang dachte er darüber nach, dann nickte er. "Na gut, aber beeil dich!" "Keine Sorge", meinte sie lächelnd. "Du Kleinkind!" Megamind streckte ihr die Zunge raus, ehe er die Tür zu Raum Nummer Hundertneun öffnete. Das Zimmer war ein schmuckloser Raum mit zwei Betten, zwei Nachttischen und zwei Stühlen vor den Betten. Beide Betten waren besetzt, das eine von einem Mann von etwa sechzig Jahren, dessen gegipstes Bein in einer Schlinge hing und der in einer alten Zeitschrift blätterte und das andere von einem schwarzhaarigen Mann von zwanzig Jahren, dessen rechter Arm in einem Gilchristverband steckte. "Sie sind Megamind, nehme ich an?", fragte Letzterer in einem Ton, bei dem sich Megamind sofort aufrechter hinstellte. Dieser Ton hätte besser zu einem alten Universitätsprofessor gepasst, nicht aber zu einem solch jungen Menschen. "Äh, ja", antwortete er etwas lahm. "Und Sie müssen Ansgar Geberic sein, oder?" "Das müssten Sie eigentlich wissen, oder?", erwiderte Ansgar. "Schließlich haben Sie mich doch gerettet." "Nun, bei unserem letzten Treffen konnten Sie mir Ihren Namen nicht sagen", sagte Megamind amüsiert lächelnd. Ansgar starrte auf die Bettdecke. "Ah ja", murmelte er. "Das war mir wohl entfallen. Wir hatten unsere Papiere vergessen." "Wir?" Der monotone Ton dieses Jungen machte Megamind immer nervöser. Konnte er nicht wenigstens etwas mehr Regung zeigen? Ansgar nickte, vollkommen ahnungslos von der Unruhe seines Gesprächpartners. "Fulco und ich. Wir wurden so schnell abkommandiert, dass wir kaum etwas mitnehmen konnten." Einen Moment lang herrschte Stille im Raum, nur unterbrochen von dem Rascheln der Zeitschriftenblätter, wenn eine weitere Seite umgeschlagen wurde. "Und... Wo ist dieser Fulco jetzt?", fragte Megamind schließlich. "Wenn Sie auf einer Mission oder ähnlichem waren, sollte er doch sicher nach Ihnen suchen, wenn Sie verloren gehen." "Ich hatte eigentlich gehofft, Sie könnten mir das sagen", erwiderte Ansgar und zum ersten Mal kam so etwas wie Emotion in seine Stimme. "Dachte, dass das der Grund ist, warum Sie so dringend mit mir reden wollten, dass Sie sogar das Personal aufgescheucht haben." Megamind hob erstaunt die Augenbrauen. "Sie wissen davon?" "Eine der Krankenschwestern - die Rothaarige, um genau zu sein - ist ein ziemliches Plappermaul", erklärte Ansgar. "Sie hat mir alles erzählt." Er sah Megamind fest in die Augen, ehe er abermals fragte: "Können Sie mir wirklich nichts über Fulco sagen?" Megaminds Hals fühlte sich auf einmal ziemlich trocken an und er schluckte hörbar. Er hatte so das Gefühl, dass er die Identität des Toten aus dem Arbeiterviertel jetzt kannte. "Es ... kommt darauf an", sagte er schließlich und kramte in der kleinen Tasche, die er an seinem Gürtel befestigt hatte. "Ist das Fulco?", fuhr er anschließend fort und reichte Ansgar das Foto. Der junge Mann starrte einige Augenblicke lang auf das darauf abgebildete Gesicht, während denen Megamind unruhig von einem Fuß auf den anderen trat. Schließlich nickte er und gab Megamind das Bild zurück. "Ja, das ist er. Ich hatte gehofft, dass er Ihm vielleicht entkommen ist, aber..." "Ihm?", fragte Megamind. "Also wissen Sie, wer Sie beide angegriffen hat!" Ehe Ansgar darauf antworten konnte, ging die Tür auf und Roxanne und Minion eilten herein. "Pfuh, war das aufregend", meinte sie lachend. "So etwas habe ich nicht mehr gemacht, seit ich dreizehn war." "Sie sind wirklich eine hervorragende Schleicherin, Miss Ritchi", erwiderte der Fisch ebenfalls hoch amüsiert. "War mir noch gar nicht aufgefallen." Aus den Augenwinkeln sah Megamind, wie Ansgar Minion mit großen Augen ansah und auch der alte Mann mit dem gebrochenen Bein lugte jetzt hinter seiner Zeitschrift hervor. Schließlich fand Ansgar seine Stimme wieder. "Ein ... Fisch", murmelte er ungläubig. "Ein sprechender Fisch ... in einem Gorillakörper." Megamind fing an zu lachen. "Was? Sie sehen doch, wie ich aussehe und da ist Minion derjenige, der Sie aus der Fassung bringt?" Ansgar musterte ihn von oben bis unten, ehe er sagte: "Natürlich ist mir klar, dass Ihre Hautfarbe, nun, nicht von dieser Welt ist, um es mal poetisch auszudrücken. Aber ein sprechender Fisch ist nun wieder etwas völlig anderes. Aber da fällt mir ein: Ich rede schon die ganze Zeit mit Ihnen, ohne Ihnen einen Stuhl angeboten zu haben", fügte er hinzu und sah sich um. "Sind aber nur zwei Stühle da." "Das macht nichts", versicherte Minion ihm. "Ob ich stehe oder sitze spielt eigentlich keine große Rolle. Schließlich bin ich ein Fisch." Megamind musste ein Lachen unterdrücken und nach Roxannes Gesichtsausdruck zu schließen ging es ihr ähnlich. Nachdem sie es sich um das Bett herum bequem gemacht hatten, fragte Megamind nochmals: "Also, Sie sagten vorhin etwas von wegen Sie hätten gehofft, dass Fulco ihm entkommen sei. Wen meinten Sie mit 'ihm'?" "Wer ist Fulco?", wollte Minion verwirrt wissen und hielt Ansgar somit abermals davon ab, sich zu erklären. "Wie unhöflich", sagte er und der Fisch duckte sich beschämt in seinem Glas. "Fulco ist der Mann, den wir im Arbeiterviertel gefunden haben, Minion", erklärte Megamind resigniert. "Aber jetzt sei bitte still, sonst sitzen wir morgen noch da." "Jawohl, Sir." Ansgar sah vom einen zum anderen, um sicher zu gehen, dass er kein weiteres Mal unterbrochen wurde, ehe er fortfuhr: "Nun, Er hat keinen Namen, da Er weggelaufen ist, ehe man Ihm einen geben konnte." "Warum ist er denn weggelaufen?", fragte Roxanne und erntete einen entnervten Blick von dem jungen Mann und ein weiteres "Wie unhöflich". "Dazu wollte ich gerade kommen", erwiderte er, doch zögerte dann. "Vielleicht ... ist es besser, wenn ich es nicht sage", fuhr er fort. "Mal abgesehen davon, dass es ein Geheimnis ist, werden Sie mich wohl für verrückt halten, wenn ich es Ihnen sage." Megamind runzelte die Stirn und sah zu dem Mann herüber, der sich wieder in seine Zeitschrift vertieft hatte, aber offensichtlich jedem Wort zuhörte. "Sollen wir woanders hingehen?", schlug er vor. "Damit Sie ungestört reden können, meine ich." Ansgar sah ebenfalls zu seinem Zimmergenossen herüber und schüttelte dann den Kopf. "Nein, ich darf das Zimmer nicht verlassen. Offenbar habe ich mir bei meinem Sprung ein paar böse Verletzungen zugezogen und die Ärzte wollen nicht, dass ich mich zu viel bewege." "Sprung?", wiederholte Megamind erstaunt. "Wollen Sie damit sagen, Sie sind ins Wasser gesprungen?" "Ja, von so einer Ruine aus", erwiderte Ansgar nickend. "Muss wohl einst ein Observatorium gewesen sein." "Wie haben Sie den Aufschlag überhaupt überlebt?", fragte Roxanne ungläubig. "Uns wurde gesagt, dass Sie davor ziemlich übel verprügelt wurden. Selbst wenn Sie davor unverletzt gewesen waren, hätten Sie das wahrscheinlich nicht überlebt." Er zuckte mit den Schultern. "Ich war schon immer sehr widerstandsfähig. Und schließlich bin ich noch jung, da hält man schon ein wenig mehr aus. Außerdem hat der Schlag, den Er mir versetzt hatte, nur meine Schulter ausgekugelt. Oh, und mir Gesicht und Ohr zerkratzt." "Sie tun gerade so, als würde es Ihnen nichts ausmachen, so misshandelt zu werden", sagte sie besorgt. "Oh, natürlich macht es mir was aus", versicherte er ihr. "Aber es hätte weitaus schlimmer sein können. Ich lebe und ich wurde auch nicht verschleppt und als Spielzeug zweckentfremdet." "Ich bin mir sicher, dass dem so ist", meinte Megamind verunsichert. "Aber es ist wirklich von unschätzbarem Wert für uns, dass wir herausfinden, wer der Mann ist, der Sie angegriffen hat, und warum er in der ganzen Stadt Häuser zum Einsturz bringt." Der Mann im Bett nebenan ließ vor Schreck seine Zeitschrift fallen. Niemand achtete auf ihn. "Warum er das macht?", wiederholte Ansgar und zuckte gleichmütig mit den Schultern. "Aus Spaß. Er ist wie das Kind auf dem Spielplatz, das durch die Sandkästen rennt und dabei die Sandburgen der anderen Kinder zerstört." Geschockt sahen sich Megamind, Minion und Roxanne an. "Aber dabei sterben Menschen!", rief Ersterer aus, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte. "Ist ihm das vollkommen gleichgültig?" Ansgar zuckte abermals mit den Schultern. "Ja. Er sieht Menschen nicht als Lebewesen an. Bei ihm ist in der Produktion so ziemlich alles schief gegangen, was schief gehen konnte." Megamind fand, dass das eine merkwürdige Art war zu sagen, dass jemand ein Psychopath war. "Warten Sie mal", sagte Roxanne beunruhigt. "Warum Produktion? Ich dachte, er wäre ein Mensch!" "Er sieht aus wie ein Mensch, bewegt sich wie ein Mensch, klingt wie ein Mensch, aber Er könnte nicht weiter von einem entfernt sein", sagte Ansgar, ganz die Ruhe in Person. "Und das ist der Grund, warum ich der Meinung bin, dass Sie mich für verrückt halten werden, wenn ich Ihnen sage, was Er ist." Die Drei sahen sich ratlos an. "Ich verspreche, dass wir nicht lachen werden", meinte Megamind schließlich. "Aber es ist von äußerster Wichtigkeit, dass wir so viel wie möglich über ihn herausfinden." Ansgar sah sie der Reihe nach an, ehe er seufzte und zustimmend nickte. "Nun gut, dann versuche ich es mal so zu erklären, dass es jeder versteht." Er holte tief Luft. "Er ist das, was mein Volk gemeinhin als Puppe bezeichnen. Ich glaube, außerhalb unseres Einflussbereiches nennt man einen wie ihn 'Golem'. Wir nennen uns Puppenmacher, da wir schon seit Generationen damit beschäftigt sind, das Leben zu imitieren und Leblosem Leben einzuhauchen. In Ihrer Welt nennt man uns 'Alchemisten' oder 'Monstermacher'. Letzteres aber eher von Menschen, die schon mal mit uns in Berührung gekommen sind. Verstehen Sie jetzt, warum ich mich mit Ihnen darüber nicht unterhalten will?" Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille im Raum, während die Anwesenden versuchten, das eben gesagt zu verarbeiten. Dann atmete Megamind tief ein und langsam und stockend wieder aus. "Also ist er ... so etwas Ähnliches wie ein Roboter?", fragte er vorsichtig. Es war verrückt und hätte man ihm vor einer Woche diese Geschichte aufgetischt, hätte er schallend darüber gelacht, aber was Ansgar da gesagt hatte... Es passte perfekt zu Mrs. Bearhunters Beschreibung der dritten Person. "Ein Gesicht wie das einer Schaufensterpuppe", hatte sie gesagt. "Ich glaube, das kommt so hin", bestätigte Ansgar. "Wir können das Leben nämlich immer noch nur imitieren, wirklich Leben erschaffen können wir nicht." "Verunsichert das die Leute nicht, dass Sie versuchen, Leben zu erschaffen?", fragte Roxanne, wie üblich ganz die Reporterin. "Ich weiß ja, wie Menschen, die zum ersten Mal in die Stadt kommen, auf die Brainbots reagieren. Da müsste die Reaktion auf Ihre Arbeit doch noch weitaus schlimmer ausfallen." "Nunja, deswegen leben wir auch im Untergrund und vertragen keine direkte Lichteinstrahlung." Ansgar schielte in Richtung des Fensters, durch das die Sonnenstrahlen immer näher an sein Bett kamen. "Genau genommen sind nur unsere Augen besonders empfindlich, aber versuchen Sie das mal den Leuten hier klarzumachen ohne ausgelacht zu werden." Ohne ein Wort zu verlieren ging Minion zum Fenster und zog die Vorhänge davor, vollkommen die Proteste von Ansgars Zimmergenossen ignorierend. "Ist das besser?", fragte er anschließend und trat wieder ans Bett. Ansgar nickte. "Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen. Ich hätte mich auch einfach wegdrehen oder die Augen schließen können, sobald das Licht hierher kommt. Das eigentliche Problem hier sind diese blöden Taschenlampen, mit denen mir die Ärzte in die Augen leuchten. Und danach wundern sie sich, warum ich gegen Wände laufe und verdonnern mich dazu, den ganzen Tag im Bett zu liegen, weil sie denken, mein Kreislauf wäre instabil." Megamind seufzte. "Nun gut, ich will das eigentlich nicht fragen, aber vermutlich bleibt mir keine andere Wahl." Er sah den jungen Mann durchdringend an. "Können Sie irgendwie beweisen, dass Sie der sind, für den Sie sich ausgeben?" "Sie meinen, ob ich etwas vorführen kann?", fragte Ansgar. "Eine Puppe backen kann?" Er schüttelte den Kopf. "Nein, tut mir leid. Ich bin noch zu jung dazu. Außerdem dauert es Jahre, bis eine Puppe fertig ist. Deswegen ist Er doch so eine Enttäuschung für uns und vor allem für seine Erschafferin." Megamind horchte auf. "Warten Sie mal", sagte er und starrte an die Wand. "Das ist doch der Beweis, den Sie erbringen können! Wenn es so ist, wie Sie sagen, dann können Sie uns sicherlich sagen, wo genau ihre Leute wohnen und vor allem, wo diese, äh, wie hieß sie noch?" "Ich hatte noch keine Namen genannt", erwiderte Ansgar mit hochgezogenen Augenbrauen. "...Ihr Name ist Kalliope. Kalliope Astraea. Er war ihre zweite große Schöpfung und er hat sich gegen sie gewandt und sie niedergeschlagen. Dabei behandelt sie ihre Puppen ausgesprochen gut. Wenn Sie sie sehen, könnten Sie ihr bitte schöne Grüße ausrichten?" Den Weg zum - im Moment sichtbaren - Unsichtbaren Auto verbrachten Megamind, Minion und Roxanne in nachdenklichem Schweigen. Erst als sie wieder im Auto saßen, fragte Minion: "Wo soll ich jetzt hinfahren, Sir? Gleich zurück zum Versteck oder doch lieber zu Miss Ritchis Apartment?" Megamind überlegte einen Moment lang, ehe er sich in seinem Sitz zurücklehnte und antwortete: "Nein, fahr uns bitte aus der Stadt heraus. Und in einem annehmbaren Tempo für Roxanne dahinten", fügte er hinzu und grinste sie an, woraufhin sie ihm die Zunge rausstreckte. "Sehr erwachsen." "Das sagt gerade der Richtige", erwiderte sie und lehnte sich ebenfalls zurück. "Und ich plädiere weiterhin auf Anschnallgurte." Megamind schüttelte amüsiert den Kopf. Es dauerte nicht lange, ehe sie den Stadtrand erreicht hatten und auf einem holprigen Landweg entlang fuhren. "Also, wo genau soll ich jetzt fahren, Sir?", fragte Minion und blickte ratlos nach vorne. "Hier gibt es nichts außer Gras." "Nur noch ein bisschen weiter gerade aus bis wir zu einem roten Haus kommen", erwiderte Megamind gelassen. "Willst du dahin, wo ich glaube, dass du hinwillst?", fragte Roxanne misstrauisch. "Was willst du denn bei ihm?" "Geduld ist eine Tugend, Miss Ritchi", antwortete er verschmitzt grinsend. Wenige Minuten später tauchte auch tatsächlich das kleine rote Haus mit den Worten "Lil' Gifted School For Lil' Gifted Children" über der Tür auf. Abrupt trat Minion auf die Bremse, sodass sowohl Megamind als auch Roxanne nach vorne geschleudert wurden. "Au!", riefen beide gleichzeitig aus. Megamind rieb sich den Kopf, wo er ihn sich an der Fensterscheibe gestoßen hatte. "Was sollte das denn, Minion?" Roxanne währenddessen rieb sich das Knie und meinte resigniert: "Das ist der Grund, warum ihr beiden endlich Gurte installieren sollt!" Minion starrte immer noch auf das Haus und sagte keinen Ton. "Minion?", Megamind richtete sich in seinem Sitz auf und wedelte mit der Hand vor Minions Fischglas. "Ollo? Nun sag schon was!" Ganz langsam drehte sich der Fisch in seinem Glas um und starrte seinen Herrn aus schreckgeweiteten Augen an. "Warum sind wir hierher gekommen, Sir?" "Das frage ich mich auch", sagte Roxanne von der Rückbank her. "Wir brauchen jemanden, der zu Ansgars Leuten geht und dort bescheid sagt", antwortete Megamind. "Und die Brainbots kann ich wohl kaum dorthin schicken. Die erregen zu viel Aufsehen." "Und ein fliegender Mann tut das nicht?", fragte sie amüsiert. "Er kann ja auch seinen Hyperschallgang benutzen, um ungesehen dorthin zu kommen." "Und was macht dich so sicher, dass er dich nicht wieder abweist?" "Einen Versuch ist es wert", meinte Megamind achselzuckend. "Ansonsten muss ich doch die Brainbots schicken." Der Gang runter zu Music Mans Versteck stellte sich als schwieriger heraus, als sie gedacht hatten, da sich Minion immer wieder sträubte, sich aber auch weigerte, am Auto zu warten. "Minion!", zischte Megamind schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen, als sie bereits fast an der schweren Stahltür angekommen waren. "Hör auf, dich wie ein Babyfisch zu benehmen!" "Lass ihn doch einfach da stehen", schlug Roxanne vor. "Lange bleiben wir sowieso nicht weg." Megamind seufzte und wandte sich wieder der Stahltür zu. Ehe er jedoch dagegen klopfen konnte, wurde sie auch schon aufgerissen und sowohl er als auch Roxanne in eine rückenzerschmetternde Umarmung gezogen. "Meine Güte, euch habe ich ja ewig nicht mehr gesehen!", freute sich Music Man. "Verstehst du jetzt, warum ich glaube, dass mein Plan funktionieren könnte?", keuchte Megamind und versuchte sich vergeblich aus der Umarmung zu befreien. Roxanne nickte nur, während sie ebenfalls versuchte, ihrem alten Freund ihre missliche Lage klar zu machen. "Wayne!", schnaufte sie. "Wir bekommen keine Luft mehr!" Dies schien den ehemaligen Superhelden wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen und er setzte die beiden wieder auf dem Boden ab. "Also, was ist los?", fragte er grinsend. "Was für eine seltsame Idee hatte der Kleine hier jetzt schon wieder?" "Hast du in letzter Zeit das Fernsehen eingeschaltet? Oder die Zeitung gelesen?", erwiderte Roxanne noch immer nach Atem ringend. "Du meinst diese Einstürze überall in der Stadt?" Music Man nickte. "Ja, was ist damit? Ich kann da wirklich nicht mehr helfen, jetzt da die Stadt weiß, dass ich in Rente bin." "Nein, damit wollen wir auch gar keine Hilfe", schnaufte Megamind. "Aber wir haben jetzt einen Anhaltspunkt, woher die Probleme kommen. Der Haken bei der Sache ist aber: Diejenige, die uns mehr dazu sagen könnte, lebt in Übersee. Meine Brainbots können solche weiten Strecken über Wasser nicht zurücklegen, außerdem brauche ich jeden einzelnen von ihnen." Music Man sah ihn nachdenklich an. "Wo genau lebt er oder sie denn?", fragte er schließlich. "Das Dorf ist in den Alpen gelegen, vermutlich irgendwo in Tirol", antwortete Roxanne. "Deswegen ist es den Brainbots auch nicht möglich, dorthin zu kommen. Wahrscheinlich frieren sie ein bevor sie überhaupt dorthin kommen." "Oh, und es ist unter Tage", fügte Megamind hinzu. "Wer baut denn ein Dorf unter Tage?", wunderte sich Music Man. "Lange Geschichte", murmelte Megamind. "Für die wir jetzt keine Zeit haben." Er kramte ein Blatt Papier hervor und hielt es seinem ehemaligen Rivalen hin. "Ihr beide wisst schon, dass ich nur englisch spreche, oder?", fragte Music Man unsicher. Megamind zuckte mit den Schultern. "Ich glaube nicht, dass das ein Problem sein dürfte, laut Ansgar Geberic sind seine Leute häufig auf Reisen. Und wenn ein Zwanzigjähriger, dessen Muttersprache nicht Englisch ist, es fast perfekt sprechen kann, muss es auch andere geben, die es können." Er sah ihn bittend an. "Bitte? Roxanne zuliebe?" "Warum mir zuliebe?", fragte Roxanne verwirrt. "Na, weil mir zuliebe nur Minion etwas macht", erwiderte er augenrollend. "Das solltest du eigentlich wissen." Nach einem langen Moment der Stille, die sowohl Megamind als auch Roxanne wie eine Ewigkeit vorkam, nickte Music Man. "Na gut, ich glaube, ein wenig Bergluft könnte mir gut tun." Die beiden atmeten erleichtert aus. "Aber zuvor müsst ihr mir sagen, wie die Person heißt, die ich hierher bringen soll", meinte Music Man. "Ich kann ja schließlich schlecht in dieses Dorf gehen und fragen: 'Wer ist für das Chaos in Metro City verantwortlich?'" "Die Frau heißt Kalliope Astraea", antwortete Roxanne. "Der Rest steht schon auf dem Blatt." "Okay, dann will ich mich mal reisefertig machen." Music Man klopfte ihnen beiden zum Abschied auf die Schultern, sodass sie ein wenig in die Knie gingen. "Ich habe gehört, in den Bergen kann es zu jeder Jahreszeit kalt werden." Mit diesen Worten schloss er die Stahltür und ließ die beiden allein im Gang stehen. "Tjaaa", machte Roxanne. "Tjaaa", wiederholte Megamind. "Äh, wie wär's, wenn wir Minion jetzt erstmal loseisen?" Lachend schoben sie den Fisch wieder die Stufen hoch nach draußen. Nachts waren die Straßen von Metro City seit einigen Tagen wie ausgestorben. Niemand traute sich mehr nach draußen, seit immer häufiger Häuser einstürzten und ein mutmaßlich gefährlicher Verbrecher durch die Gassen strich. Richard Stephens, ein Bankangestellter von achtunddreißig Jahren, hielt nichts von diesen Angsthasen. Er fand, dass man eher davor Angst haben musste, nachts in seinem Bett zu schlafen, wenn man nie wusste, wann und wo das nächste Haus einstürzte. Wenigstens schienen auch alle anderen Kriminellen sich bedeckt zu halten, aus Angst, dem Unbekannten vor die Füße zu laufen. So konnte er ungestört auch zu später Stunde seinen Spaziergang machen. An einer Bushaltestelle hielt er inne. Dort auf einem der Bänke saß trotz der vorangerückten Stunde eine fremde Gestalt. Sie hatte sich vornüber gebeugt und schien sich nicht zu rühren. Sich seiner Erziehung erinnernd ging der Mann auf die Gestalt zu. Vielleicht war er oder sie ja dem Unbekannten begegnet und brauchte Erste Hilfe. "Ähm, hallo?", sagte Richard, als er direkt vor dem anderen Mann stand. "Ist alles in Ordnung mit Ihnen?" Der Fremde sagte keinen Mucks. "Wurden Sie angegriffen?", fragte Richard weiter. "Brauchen Sie ärztliche Hilfe?" Immer noch nichts. Irgendwie war das unheimlich. Seinen ganzen Mut zusammennehmend streckte er die rechte Hand aus, um den Mann an der Schulter zu berühren. Und zuckte vor Schreck zusammen als der Fremde plötzlich sein Handgelenk festhielt. "Pfuh, Sie sind ja doch wach", sagte Richard erleichtert. "Äh, könnten Sie jetzt bitte meinen Arm wieder loslassen?" Der Fremde verstärkte seinen Griff. "Hören Sie, das ist nicht mehr lustig!", meinte Richard und spürte Panik in sich aufsteigen. "Würden Sie mich jetzt bitte gehen lassen?" Ehe er wusste, wie ihm geschah, wurde er von dem Fremden quer über die Straße geschleudert und kam schmerzhaft auf der anderen Seite auf. Sein linker Arm wurde unter ihm begraben und gab ein übelkeiterregendes Knacksen von sich. Mit einem unterdrückten Schmerzensschrei hielt Richard seinen Arm fest und sah, dass der Fremde jetzt aufgestanden war und auf ihn zukam. Seine Augen, klein, schwarz und leblos, blitzten vor Mordlust und der merkwürdig steif aussehende Mund verzog sich zu einem Lächeln. "Ich warne Sie!", keuchte Richard und versuchte vergeblich, sich wieder aufzurichten. "Wenn Sie nicht sofort verschwinden, werde ich um Hilfe schreien!" Verdammt, warum hatte er sein Handy nicht mitgenommen?! Der Fremde schien von dieser Drohung vollkommen unbeeindruckt und kam weiter auf ihn zu. "Hilfe!", schrie Richard und kroch so schnell er konnte von seinem Angreifer weg. "Hilfe! Hört mich keiner?!" Keiner antwortete. Und der Fremde war schon beinahe bei ihm angekommen. Mühsam zog sich Richard an der Häuserwand hoch, wobei er die Luft schmerzerfüllt durch die Zähne einsog. "Hilfe!", rief er noch einmal, aber jetzt gedämpft durch seine Schmerzen. Kurz glaubte er, ein elektrisches Surren gehört zu haben, doch gleich darauf war es wieder verschwunden. Auch schien sein Angreifer sich keine Mühe zu machen, schneller zu laufen... Richard stolperte die Häuserwand entlang. Wenn er wenigstens bis zu seinem Wohnblock kommen könnte... Dort kannte man ihn wenigstens und würde ihm sicherlich helfen. Als er an eine Abzweigung kam, fiel er hin und im nächsten Moment stand der Fremde direkt hinter ihm, immer noch dieses unirdische Grinsen auf dem Gesicht. "Lassen Sie mich in Ruhe!", schrie Richard ihn an. Oh, warum war er nicht zuhause geblieben so wie alle anderen? Plötzlich hielt der Fremde inne und schaute nach oben. Verwirrt folgte Richard seinem Beispiel und erkannte einige Brainbots auf Patrouille. Ein erleichterter Seufzer errang sich seiner Kehle. "Hier!", rief er nach oben. "Hier bin ich!" Der Fremde warf ihm einen wütenden Blick zu, rührte sich aber immer noch nicht. Richard brachte wieder etwas Abstand zwischen sie beide. Einer der Brainbots sah nach unten und stupste seine Kollegen an, sodass ihre Glaskuppeln gegeneinander stießen und sauste nach unten. Kurz darauf folgten ihm auch die drei anderen. "ALARM!", schirpten sie und umschwirrten Richards Angreifer. "ALARM!" Verärgert schlug der Fremde nach ihnen und schleuderte zwei von ihnen gegen eine Hauswand, wo sie zerbrochen liegen blieben. Doch gleich darauf sausten noch mehr Brainbots heran und verbissen sich in den Armen und Beinen ihres Feindes, was diesem überhaupt nichts auszumachen schien. Mehr und mehr der kleinen Roboter kamen an, einige, um ihre gefallenen Kameraden abzutransportieren und andere, um den Fremden zu umschwirren. Richard sah voller Erstaunen, wie sein Angreifer immer weiter zurückgedrängt wurde bis er sich schließlich umdrehte und davoneilte. Einige Brainbots wandten sich jetzt ihm zu und untersuchten vorsichtig seinen gebrochenen Arm, während der Rest dem Fremden nachstellte. Erlösende Bewusstlosigkeit begann Richards Sinne zu betäuben, sodass er nicht mehr mitbekam, wie ein Knall die Straße erschütterte und eines der Häuser unter lautem Ächzen in sich zusammenstürzte. ____________ So, ein extralanges Kapitel heute. @ : Eigentlich wollte ich mit dem Klischee vom immer abgeneigten Vater nur das Klischee von der teuflischen Ritchi-Mutter im Megamind-Fandom umgehen. Im Gegensatz zur Mutter wird der Vater dort zumeist nämlich als absolut offen dargestellt, deswegen wollte ich das mal auf den Kopf stellen. Wegen Mrs. Bearhunter: Bei ihr ist es so, dass ich eine absolut exzentrische alte Dame erschaffen wollte, die von Megaminds und Minions Aussehen nicht abgeschreckt wird, Metro Man aber für ein Produkt überbordender Fantasie hält. Und der starke Händedruck... Nun, wenn ich sie irgendwann nochmal einbringen kann, werde ich das erklären. Aber zur Zeit ist das einfach nur etwas, das Megamind an ihr überraschend findet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)