love was lost on us von Herzkirsche (you're far away, but still so close.) ================================================================================ Kapitel 1: love was lost on us ------------------------------ Manchmal kann der Mensch das Gestern nicht vergessen. Das war die erste Regel, die man ihnen einschärfte, immer und immer wieder, lästig und auf eine Art auch hoffnungstötend, doch Blair hatte ohnehin ein gespaltenes Verhältnis zur Hoffnung. Ein gestörtes Verhältnis zur Liebe, schweigsam zur Treue und beinahe gleichgültig zum Tod. Blair fluchte, als sie sich mit aller Kraft gegen die Tür zum Tropfenden Kessel warf und sich irgendeinen Troll zu anderer Seite nur mühsam in Bewegung setzte, die Tür langsam aufglitt, sodass sie sich hindurchquetschen konnte. Es goss an diesem Abend in Strömen und ihre Laune sank kontinuierlich tiefer. Und tiefer, als sich ihr einer von Toms Aufpassern in den Weg stellte. Blair zog eine Augenbraue in die Höhe, den Gnom mit ausreichend Verachtung strafend, doch dieser hielt nur weiterhin unbeeindruckt die Handfläche auf. Zähneknirschend suchte Blair in den Taschen ihres Regenmantels nach ihren Ausweispapieren und warf sie ihm hinüber. Das war albern. Und Zeitverschwendung. Ihre Laune sank rapide. »Scheint alles in Ordnung zu sein«, murmelte der Typ und gab ihr die Papiere zurück. Für Blairs Geschmack hatte er eindeutig zu lange auf ihren Namen und ihre Maße geguckt - sollte er nun noch der Versuchung nachgeben, sie nach illegalen Waffen abtasten zu wollen, würde sie ihn verfluchen. So ein paar Jahre Azkaban würde sie verkraften. »Kein Ding. Ich werde jeden Tag mit einem Werwolf verwechselt«, erwiderte sie bissig und verdrehte die Augen, als sie ihren Weg durch das gut gefüllte Etablissement fortsetzte. Im Gehen zog sie sich die Kapuze vom Kopf – eine, die ihren Namen nicht verdiente. Ihre Locken waren pitschnass und klebten ihr unvorteilhaft im Gesicht. Während ihre Augen durch die Umgebung flogen, realisierte Blair drei Dinge – zum einen, dass Tom von Mal zu Mal mehr Aufpasser engagierte, zum anderen, dass vorwiegend junges Publikum an diesem Abend zu Gast war und zum dritten, dass nach der jüngsten Geschichte fast alle zum gewöhnlichen Tagwerk zurückgekehrt waren. In der Ecke sah sie eine bekannte Gruppe Auroren, aus deren Mitte James Potter hervorstach. Blair verzog den Mund zu einem Lächeln, als sie das Spiel erkannte, dem sich die jungen Männer hingaben und damit die Menge unterhielten. James Potter war schon immer politisch unkorrekt gewesen. Blair schob sich an die Bar und als ein Hocker frei wurde, griff sie sich ihn und ignorierte alle Proteste. Dann bestellte sie sich bei Tom ein Glas Milch, schälte sich aus der Jacke und wuschelte durch ihre feuchten Locken. Alles wie immer. »Jeden Tag der gleiche Ablauf«, kommentierte Jemand zu ihrer Rechten und Blair konnte nicht umhin, zu lächeln. Ihr Stimmungsbarometer stieg um einige beachtliche Meter in die Höhe. Nichts ging über kleine Erfolge. Ihre Augen flogen zu dem jungen Mann, neben den sie sich absichtlich gesetzt hatte. Heute und gestern und vorgestern…. Er hatte blondes Haar, das ihm in die Augen fiel und aristokratische Gesichtszüge, eine gerade Nase und volle Lippen, die sie erst einige Male Lächeln gesehen hatte. Zu selten. Er war groß, wenn man so winzig wie sie war, normal, wenn man verglich, wenn auch kein Vergleich zu einem Potter. Er trug jeden Tag schwarz. Nicht gerade vorteilhaft, wenn die Haut kein Tageslicht genoss, doch all das machte sein natürlicher Charme wett, der manchmal unter dem tauben Mantel der Einsamkeit hervorglitzerte. So vieles an ihm verströmte Kälte. Doch seine Augen borgen etwas Weiches in ihren eisigen Splittern. »Ich mag Routine«, erwiderte sie achselzuckend und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie er sein Glas in der Hand drehte und den Feuerwhiskey einen Wimpernschlag später hinunterkippte, als wäre es Wasser. Nun, für ihn war es das wohl auch. »Ich auch«, murmelte er und bestellte sich einen weiteren Shot. Blair zählte drei, ehe sie sich dazu niederrang, etwas zu sagen. »Ziemlich schnell heute, schlechter Tag?« Seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen, tauben Grinsen, ehe er sich langsam zu ihr hinüberlehnte. »Wie immer.« »Vielleicht kriegst du es heute auch hin, mir deinen Namen zu verraten, ehe du bewusstlos vom Stuhl fällst?«, fragte sie zuckersüß und zwinkerte ihm zu, doch sein Blick verlor sich schon und etwas in Blair zog sich schmerzhaft zusammen. Es war so schwer, nach unverbindlichen Worten zu suchen. Alle hatten sie eine Bedeutung. Alles, was ihr sagt, haben sie schon einmal gehört. »Du kennst mich«, murmelte er tonlos und Blair wusste nicht, ob es die Erfahrung war oder der Alkohol, der ihn zu diesen Worten bewogen hatte. »Nicht wirklich«, flüsterte Blair und nahm sich vor, einen Versuch zu unternehmen, sich mit Milch das Gehirn wegzudonnern. Und während die Stunden vergingen, schweigend und kriechend, wurde Toms Vorrat an Feuerwhiskey ärmer. Irgendwann wurde sie müde, zu müde, um zu fühlen, wie sich ihr Nebenmann den Rest gab, weswegen sie kurz nach zwei Uhr ihre Jacke anzog und gähnte, langsam vom Hocker glitt. »Ich bin Blair«, sagte sie wie jede Nacht. Er sah sie nicht an, sein Blick war glasig und rot, sein Geist nicht mehr im Tropfenden Kessel. Sie hatte den Zugang verloren, mal wieder. Blair biss die Zähne zusammen und schob ein paar Galleonen über den Tresen, ehe sie sich umdrehte. Jeglicher Erwartung zum Trotz spürte sie, wie sich seine Hand um ihren Oberarm schloss und er sie zu sich zog. »Mein Name ist Scorpius Malfoy«, flüsterte er. Erst dann kippte er bewusstlos vom Stuhl. Wie man es auch nahm, endlich hatte sie ihren Anfang. Blair verspürte ein befriedigendes Gefühl von Triumph. Wenn ihr einen Anfang habt, haltet ihn fest. »Blair?« Unaufdringlich. »Oh, hallo«, erwiderte sie angespannt und lächelte kurz, ehe sie sich wieder dem Sicherheitsbeamten zuwandte, der ihren Zauberstab untersuchte. Sie konnte dem sinnlosen Prozedere einfach nichts abgewinnen. »Scorpius Malfoy, richtig? Wow, ich hab dich noch nie nüchtern und gestriegelt erlebt.« Als man ihr den Zauberstab endlich übergab, seufzte sie. Alle sagten, sie seien nicht sicher. Ja, darum nahm man ihnen an jeder Ecke auch ihr einziges Verteidigungsmittel weg, um es auf schwarzmagische Aktivität zu überprüfen! Welch glorreicher Lösungsansatz! Blair verdrehte die Augen über diese Ironie, doch riss sie das kleine Auflachen aus den systemfeindlichen Gedanken. Hatte er soeben ernsthaft gelacht? Es war bei weitem nicht viel, geradezu winzig – doch es war menschlich. »Vielleicht wird das ein guter Tag«, sagte er und zuckte mit den Achseln, als sie gemeinsam in den Aufzug traten. Blair versuchte, die Skepsis von ihren Zügen zu vertreiben. »Was tust du hier?« »Ich bin die neue Masseuse vom Zaubereiminister«, grinste sie und zwinkerte – im Falle des Falls der Junge war ein humorloses Wrack. Doch Scorpius lächelte. »Um ehrlich zu sein, interessiere ich mich nur für die Stelle als Sekretärin im Verteidigungsbüro.« Räumliche Nähe ist nicht zu unterschätzen. »Und was machst du den ganzen Tag?«, fragte Blair und gähnte, während sich etliche Menschen aus dem dritten Stock in den viel zu kleinen Aufzug quetschten. Sie sah ihn an und musterte neugierig seine Erscheinung an diesem Morgen. Er sah aus wie immer, nur gepflegter. Wie ein Gentleman, so ganz in schwarz. Nachts war er eher Marke ‚abgefuckter Hottie‘. Blair wusste nicht, wie er es machte, aber man erkannte aus fünfzig Metern Entfernung, dass er ein Malfoy war. Wie bei den Pottererben. Oder jemandem vom Weasley-Clan. Sie alle hatten das gewisse Etwas. »Ich war mal Auror. Aber neuerdings sitze ich am Schreibtisch, mache Papierkram.« Seine Worte verloren sich. »Klingt langweilig. Wie Strafarbeiten«, kommentierte Blair unverblümt und lächelte, um ihren Worten ein bisschen Schärfe zu nehmen. »In gewisser Weise ist es genau das«, murmelte er, »eine Strafarbeit.« »Soso. Dann musst du etwas wirklich Schlimmes getan haben, wenn sie auf einen Malfoy verzichten, wo doch die Zeiten da draußen so hart sind.« Er zog eine Grimasse und Blair wusste, dass es eine jener wohl einstudierten war, die ihm schon zu Schulzeiten geholfen haben mussten. Weil sie gut ankamen. Liebenswürdig waren. Was man gut kann, behält man bei. »Das hab ich wohl«, erwiderte er wortkarg, doch die Erinnerung ließ etwas Seele in seinen Augen schimmern. Blair hob interessiert eine Augenbraue. »Also? Was hast du angestellt?« Scorpius lehnte sich an die Wand des nunmehr fast leeren Aufzugs und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Er zögerte kaum merklich, als kreiere er in diesem Moment eine Geschichte. »Beim letzten Außendienst ist ein bisschen was schiefgelaufen. Wir hatten eine richtig heiße Spur und wir hatten sogar Glück – in East London war ein Rudel so blöd auf die Jagd zu gehen. Sie haben das Melrose leergeräumt und ihre Beute verschleppt. Du weißt, was mit Frauen passiert, die ihren Nachwuchs zur Welt bringen müssen?« Er legte den Kopf schief. Wäre diese Geschichte und ihre auf der Hand liegende Richtung nicht so abscheulich gewesen, hätte Blair diese Geste als charmant gewertet. So nahm sie lediglich auf, wie kalt ihn das Beschriebene ließ. Als wäre es nichts. »Einwegfrauen. Geworfen und tot«, erwiderte Blair knapp und verschränkte die Arme vor der Brust. »Genau. Natürlich kamen wir zu spät, sie hatten schon gestreut. Aber egal, jedenfalls – Jackpot – war Greyback Junior mit von der Partie. Er war ein Arschloch, wie immer. Ich hab ihn gefoltert, damit er mehr Informationen preisgibt. Über die anderen, seinen Daddy. Ich hab seine Jungen gefoltert. Ich hab sogar die Frauen getötet, die seine Brut austrugen. Echt alles, ohne Erfolg. Das Ministerium wertete dies jedenfalls als unverzeihlich. Und jetzt bin ich hier.« »Nette Story«, sagte Blair sarkastisch und verdrehte die Augen, ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihm kein Wort glaubte. Greyback Junior? Wie unwahrscheinlich. Scorpius wirkte zufrieden mit sich und verließ ein Stockwerk früher das Abteil, Blair sah ihm unverwandt nach. Es war offensichtlich, dass er dachte, sie würde ihm kein Wort glauben. Doch für sie war es offensichtlich, dass die Geschichte stimmte. Auch wenn sich offenkundige Fehler hineingeschlichen hatten. Ab einem gewissen Zeitpunkt geht das meiste von allein. Blair wusste nicht, wann genau es so gekommen war, aber irgendwann saßen sie nicht mehr an der Bar, sondern wie zivilisierte Mitt-Zwanziger an einem Tisch im Tropfenden Kessel, etwas abgeschieden vom pulsierenden Leben, wenn auch mittendrin. Irgendwann war es für Scorpius Malfoy normal gewesen, sie um sich zu haben und er hatte es stillschweigend akzeptiert. Zweisamkeit war besser als Einsamkeit. An jenem Abend beobachteten sie amüsiert, wie ein paar Auroren – bei Merlin, natürlich mit James Potter an vorderster Front – sich mit Toms Aufpassern anlegten. Jeder wusste, dass diese es mit der Ernsthaftigkeit nicht genau nahmen, dickes Fell besaßen, spöttische Kommentare mit einem Augenzwinkern nahmen. Jeder wusste, dass viele ehemalige Auroren aussortiert wurden waren, um die offenen Stellen und Lücken im Sicherheitskreis zu füllen. Fast jede öffentliche Einrichtung musste sich schützen und Auroren galten noch immer als die qualifiziertesten Zauberer. Ein paar mit Namen hatten Glück gehabt – einen Potter oder einen Malfoy entließ man nicht so einfach aus dem Aurorenstatus. Ein paar andere jedoch weniger. Die Wut darüber saß tief, aber versteckt, doch sie köchelte über, wenn man es darauf anlegte. Und James Potter war ein Meister der Provokation. »Dieser Idiot«, murmelte Scorpius nur und als hätte er es vorhergesehen, fing der Pottererbe einen Wimpernschlag später schon den ersten Fluch. Blair konnte nicht anders, als kurz aufzuschreien, ehe sie von Scorpius unter den Tisch gezogen wurde. Sie hatte nicht wahrgenommen, wie genau und wie schnell aus harmlosen Neckereien solch Ernst geworden war. Die roten Lichtblitze zuckten durch den Raum und der hereinbrechende Tumult, fabriziert von einer unschuldigen Menschenmenge, erreichte ungewohnte Ausmaße. »Es geht doch nichts über ein bisschen Spaß«, grinste Scorpius und ehe Blair reagieren konnte, war er schon mittendrin. Sie rief ihm einige unschmeichelhafte Bezeichnungen hinterher, die jedoch allesamt im Lärm des Gefechts untergingen. Schließlich ging ihr die Puste aus, ihr Hals schmerzte und sie entschied, einfach abzuwarten, bis sich die Lage beruhigt haben würde. Alles was ihr braucht, ist unumstößliche Geduld. Er lachte den ganzen Weg durch die ausgestorbene Winkelgasse. Blair erschien es, als wäre er high – vom Adrenalin, vom Kampf, vielleicht sogar von der Nähe, mit der er den Tod gestreift hatte. In dieser Nacht sah sie das erste Mal, wie zerrissen seine Seele wirklich war. Ihre Laune war nicht die beste, verständlich. »Und du redest jetzt nicht mehr mit mir?«, stellte er sachlich fest, als das Gefühl der Euphorie langsam verflog. Blair runzelte die Stirn. »Ich frage mich einfach nur, seit wann wir uns untereinander angreifen. Ich frage mich, wo das alles enden wird, wenn wir uns gegenseitig abschlachten und als Feinde betrachten. Bei Merlin, gebt den verschissenen Werwölfen ihre Rechte zurück und wir können alle in Frieden leben! Ich vermisse die Gelassenheit der Menschen, die Lebensfreude. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann die Hoffnung angefangen hat zu sterben«, entlud sie ihre Wut und funkelte ihn böse an. »Das ist nicht so einfach«, sagte Scorpius leise, »wir können nicht mehr zurück.« »Man kann immer zurück und die Dinge geradebiegen. Oder es zumindest versuchen.« »Nein«, erwiderte er schlicht und es klang so endgültig, das Blair das Herz gefror. Sie sah ihn an. »Du könntest mir erklären, wie das alles angefangen hat.« Eine Weile herrschte taube Stille zwischen ihnen, bis Scorpius ihr die ganze Geschichte erzählte – nicht nur das, was das Ministerium über den Tagespropheten verbreitete. »Es begann alles damit, dass die Mysteriumsabteilung versuchte, den Verwandlungszyklus eines Werwolfs zu unterbrechen. Man suchte verbissen nach einer Heilung, obwohl die Medizin, die eine Verwandlung erträglicher macht und die Menschen bei Verstand lässt, seit zwanzig Jahren große Erfolge erzielt. Man hatte noch ein Stück Selbstkontrolle. Aber das war den Forschern nicht genug und sie versuchten das neugebildete Werwolfgen mit Magie zu verändern, zu beseitigen. Das verstößt jedoch gegen alle Naturgesetze und natürlich hatten sie keinen Erfolg. Stattdessen starben ihre Versuchsobjekte. Man kann nichts an einem lebenden Organismus dauerhaft mit Magie verändern, es ist zu gefährlich. Aber sie gaben nicht auf und Endprodukt war schließlich eine Mutation des Werwolfgens am lebenden Objekt. Das Vieh war schneller, stärker und brutaler als jeder normale Werwolf«, erzählte Scorpius und auf Blairs Haut bildete sich eine feine Gänsehaut bei der bloßen Vorstellung dieses menschenunwürdigen Verhaltens. »Es richtete ein Blutbad an und floh. Als man die Alarmsignale aus der Mysteriumsabteilung wahrnahm, war es schon zu spät. Diese Kreatur fand ihresgleichen und man vermutet, dass es geradewegs zum Kopf der Werwölfe geführt wurde – Greyback. Dessen Vater hatte eigens Voldemort gedient. Es wird dich nicht wundern, dass die negativen Eigenschaften in der Familie blieben. Jedenfalls erfuhr Greyback zwangsläufig von den Versuchen mit Werwölfen, die das Ministerium all die Jahre vertuscht hatte und die Werwölfe im ganzen Land rebellierten. Das strahlte mit der Zeit auf die ganze Welt aus. Überall kam raus, dass mit Werwölfen experimentiert wurden war. Greyback sah es als seine Pflicht, das Gleichgewicht seinerseits mit Mord und Totschlag an Muggeln und Zauberern wiederherzustellen. Natürlich geriet auch das außer Kontrolle. Die letzte Macht besaßen noch immer die Zauberer – das ganze System läuft unter uns, wir stehen über allen anderen Kreaturen. Man nahm den Werwölfen also kurzerhand alle Rechte, eröffnete die Jagd – was natürlich ziemlich bescheuert war. Seitdem herrscht Krieg zwischen den Mondgebundenen und den Magiern.« »Was ist mit der Mutation geschehen?«, fragte Blair und ihr graute vor der Antwort. »Das willst du nicht wissen«, entgegnete Scorpius und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Blair warf ihm einen gereizten Blick zu und schließlich sagte er: »Sie haben sie aufgefressen, weil sie hofften, davon stärker zu werden. Der Mutant wäre ohnehin gestorben. Werwölfe sich nicht die Klügsten.« Er zuckte mit den Schultern. »Die Seiten werden sich nicht so schnell einigen. Die Werwölfe sind in ihrem Stolz verletzt, weil man ihnen einfach so die Rechte genommen hat und mittlerweile finden sie Gefallen an ihrer Lebensform. Viele Muggel, die gebissen wurden, schließen sich ihnen blind an; viele gebissene Zauberer tun dies aus voller Selbstbestimmung. Es ist wohl zurzeit in, ein Tier zu werden und wie eines zu handeln.« Diese Vorstellung schien ihn zu belustigen, wie Blair keineswegs entging. Sie konnte nicht glauben, wie der Tagesprophet die Menschen dieser Tage in ihrer Meinung beeinflusste – indem er wichtige Details der Vergangenheit einfach verschwieg. Sie schluckte. »Okay, wie dem auch sei – im Endeffekt doch kein wirklicher Grund dafür, sein Leben blind aufs Spiel zu setzen und jeden Tag dem Tod ein Schnippchen schlagen zu wollen«, entrüstete sie sich und verschränkte im Gehen die Arme vor der Brust. Ohne es zu wollen, stellte sie sich vor, wie im nächsten Moment auf der menschenleeren Straße ein Werwolf erscheinen und sie in Stücke reißen würde. Na wenigstens hatte sie einen Malfoy dabei – in dieser Nacht sogar mit halbwegs klarem Verstand, wenn auch mit schizophrener Persönlichkeit. »Das ganze Leben ist ein Spiel. Entweder man gewinnt oder man verliert. Sei’s drum.« »Stell das Ganze nicht so hin, als ginge es nur um dich allein. Du bist nicht allein auf der Welt. Wenn du dein kleines Spiel verlierst, dann verlieren dich auch andere Menschen. Und tue nicht so, als ob dich das alles nicht kümmert. Die Welt ist so riesig, du wirst vielleicht denken, die Welt dreht sich nur um dich, aber lass dir gesagt sein, Malfoy – du bist nicht viel wert, wenn du allein bist.« Worte, die sie kennen. Blair schluckte und sah Scorpius an. Dieser wirkte so, als hätte sie ihn gerade geohrfeigt. Er starrte sie an, sprachlos und wie vom Donner gerührt. Damit hatte sie beinahe gerechnet, doch der Anblick setzte ihr mehr zu, als sie es erwartet hatte. »Was guckst du so?« Sie versuchte bissig zu klingen, doch ihre Stimme brach. Sie sah genau mit an, wie er schluckte und sich wieder einigermaßen fing. »Dein letzter Satz«, murmelte er irritiert, »genau das hat mir meine Freundin in der zweiten Klasse an den Kopf geworfen. Ich war ein ziemlicher Arsch, ich dachte, ich müsse sie ärgern, weil unsere Eltern nicht sonderlich viel voneinander hielten. Sie fand das albern, fast hätte ich alles ruiniert.« Sein Lachen klang hohl in ihren Ohren wieder. Es schmerzte. »Sie war schon mit zwölf so unglaublich erwachsen. Sie hat das Leben schon immer verstanden.« Blair fühlte, wie ihr Mund ganz taub wurde. »Lass mich raten, sie ist mittlerweile deine Exfreundin, weil du einfach nicht aus deiner Haut kannst und risikofreudig wie eh und je dein Leben aufs Spiel setzt. Weil du noch immer ein Kind bist.« Es stach ihr ins Herz. Sie war so gemein. Blair blinzelte, um sich zu besinnen. »Nein. Sie ist tot«, flüsterte Scorpius nur. 1 Jahr später »Ich weiß zu schätzen, was du tust und auf dich nimmst, Blair«, sagte Astoria Malfoy beiläufig und lächelte freundlich, während sie das Abendessen anrichtete. Blair saß in der riesigen Küche von Malfoy Manor und blickte irritiert von ihrem Brettchen auf. Scorpius‘ Mum setzte in puncto Kochen auf Handarbeit und verzichtete auf ihren Zauberstab und somit war es für Blair selbstverständlich gewesen, ebenfalls mit einem Messer das Gemüse zu schneiden. Wenn es so erfolgsversprechend weiterging, würden sie übermorgen essen können! »Kein Problem. Ich wünschte nur, meine Mum hätte das damals mit dem Kochen anders gehandhabt, dann wäre ich heute schneller. Wir haben eigentlich immer nur bei Madam Puddifoots Magical Kitchen bestellt.« Bei der Erinnerung musste Blair lächeln. Sie machte ihrer Mutter keinen Vorwurf, nie gelernt zu haben, wie man richtig kocht. Aber wenn man ihre Mutter kannte, dann wunderte es auch nicht sonderlich. Zunächst war sie eine elitäre Zicke gewesen, später dann ein Freigeist – da passte so etwas Triviales wie an der eigenen Kochkunst zu feilen wohl einfach nicht mit rein. »Eigentlich meinte ich die Tatsache, dass du dich mit meinem Sohn triffst. Es ist bestimmt nicht einfach, mit jemandem zusammen zu sein, der mit seinem Leben bereits abgeschlossen hat«, sagte Astoria weich und in ihrer Stimme lag kein Hauch von Verzweiflung – alles, mit dem Blair gerechnet hätte. Sie schluckte und konzentrierte sich auf die rote Paprika. Diese ganze Schneiderei war eine Wissenschaft, die es nicht zu unterschätzen galt. Und während sie noch überlegte, wie sie das Gemüse am besten anging, redete die Malfoy schon weiter. »Ich hoffe, das kam nicht so herzlos rüber, wie es mir erscheint«, sie lachte, »Ich will nicht, dass du denkst, das alles ließe mich kalt. Um ehrlich zu sein, zerreißt es mich zu sehen, wie es ihn Tag um Tag mehr absorbiert … diese Trauer. Aber ich kann ihm nicht helfen, das konnte ich noch nie wirklich gut. Ich liebe ihn abgöttisch und ich glaube, das ist das einzige, was ich tun kann, selbst wenn Liebe allein in unserer Welt oft nicht als die Macht anerkannt wird, die sie ist. Er kommt uns nicht oft besuchen, aber von Mal zu Mal erscheinen mir die Veränderungen gravierender. Ich bin ratlos. Es macht mich verrückt, ihm nicht helfen zu können. Ich bin dir unendlich dankbar, dass er nicht allein ist.« »Warum denken Sie, dass Sie ihm nicht helfen könnten?«, fragte Blair nachdenklich und blickte von ihrer Arbeit auf. Das interessierte sie wirklich. Ihre Mutter hätte wahrscheinlich alles Menschenmögliche und auch Magische unternommen, um ihr in einer solchen Situation zu helfen. »Ich habe es versucht, damals, kurz nach ihrem Tod. Ich habe mir mehr, viel mehr als die üblichen Floskeln überlegt, sogar versucht, Erklärungen für das zu finden, was passiert war. Ich wollte ihn dazu bewegen, sein Leben wieder aufzunehmen, aber es war, als rede man mit einer Puppe. Er reagierte auf gar nichts. Ich habe es mit Mitgefühl versucht, in Ruhe, andere Male habe ich ihn angeschrien, dann wieder etwas Magie geübt. Ich habe meine eingerosteten Zaubertrank Kenntnisse eingesetzt, um ihn zeitweilig wieder auf den Damm zu bringen, nur um ihn noch tiefer fallen zu sehen, als die Wirkung nachließ. Wenn man das Heute mit dem Damals vergleicht, dann könnte man fast sagen, er ist das blühende Leben. Ich kam ihm oft mit Rose und wie sie es wohl gewertet hätte, dass er sich so aufgab. Aber es kam mir jedes Mal falsch vor. Irgendwann hat er dann wieder begonnen, zu arbeiten. Aber ihn in London zu wissen, ließ mich auch nicht gerade friedlicher schlafen. Ich solle mir kein Urteil erlauben, hat er immer gesagt.« »Wieso das?« »Weil ich Rose ebenfalls geliebt habe.« »Es scheint mir fast so, als hätte das jeder«, erwiderte Blair freimütig und Astoria lächelte. »Vor allem diese Familie, glaub mir. Zu seiner Schulzeit hat Scorpius seinen Vater verachtet, weil er in Hogwarts mit Dingen konfrontiert wurde, die sich auf die Vergangenheit und die Todesserzeiten beriefen. Er musste sich oft rechtfertigen, erklären. Es war nicht immer einfach. Er gab seinem Vater die Schuld an allem und Draco war schon immer zu starrsinnig, um das ganze bedenkenlos als Phase vorbeiziehen zu lassen. Er war enttäuscht und verletzt, auch wenn er es nie zugegeben hat. Es war immer sehr belustigend, mitanzusehen, wie Rose zwischen den beiden vermittelt hat.« »War sie erfolgreich?« Astoria lächelte gedankenverloren. »Scorpius hat seinem Vater verziehen, nachdem er sah, dass dieser eine Weasley ins Herz schloss. Ich glaube, bis zu diesem Moment hatte er angezweifelt, dass sein Vater eines besitzt. Aber Rose hat es zum Vorschein gebracht, wenn auch auf eine freche Art und Weise. Sie wusste immer mit den Menschen umzugehen.« »Wie soll man dagegen ankommen«, murmelte Blair kopfschüttelnd und schob die ungleichmäßig gehackten Zutaten zu Astoria hinüber, die wiederum erschrocken ihren Blick suchte. »Oh Merlin, es tut mir so leid, Blair! Ich hätte nicht die ganze Zeit über Rose reden sollen, ich kann verstehen, wenn dir das unangenehm ist.« Sie wirkte ernsthaft empört über ihr Verhalten, wie Blair mit einem Schlucken zur Kenntnis nahm. »Nicht schlimm«, sagte sie eilig und hob entschuldigend beide Hände, ehe sie leicht von dem Hocker rutschte, auf dem sie gesessen hatte. »Ich bin über alles froh, was mir über Rose erzählt wird. Scorpius redet nie über sie. Und ich werde ihn auch nicht darum bitten-« Blair schluckte erneut, doch der Kloß in ihrem Hals wollte nicht verschwinden. Sie zögerte, verriet sich selbst. Je weiter ihr kommt, umso gefährlicher wird es für euch. »Aber… aber ich weiß nicht. Es ist schwierig jemandem am Leben zu erhalten, der phasenweise mit seinem Leben abschließt. Ich wünschte, ich könnte Ihnen garantieren, dass ich Scorpius retten kann, irgendwie, aber-« »Du kannst niemanden retten, dessen Leben schon tot ist«, vollendete Astoria ihren Satz, bevor eine einzelne Träne über ihre Wange lief, tanzte und vor Blairs Augen starb. Das Leid wird an manchen Tagen kleiner als ein Fingerhut sein, an anderen so mächtig wie eine Flutwelle. Ihr werdet ertrinken, ihr werdet gefressen, niemals werdet ihr mehr die Gleichen sein. 2 Jahre später Blairs Körper verkrampfte sich, sie bekam keine Luft. Ihre Finger um den Türgriff lösten sich, ehe sie langsam in die Knie sank und an der Tür herabrutschte. Das war es dann also. Sie würde sterben. Blair legte ihren Kopf auf die kalten Fliesen und konzentrierte sich auf das Pochen in ihrem Kopf. Vielleicht würde es endlich verebben, wenn sie starb, aber dann wieder war sie sich nicht sicher, dass sie überhaupt das Glück besitzen würde. »Blair, mach die Tür auf! Du hast einen Schock erlitten, also mach verdammt noch mal die Tür auf«, donnerte Scorpius‘ Stimme von der anderen Seite her und seine Hand, die beständig gegen die Tür schlug, ließ sie mehr als einmal zusammenzucken. Das war ein Albtraum, ihr persönlicher, lang gehegter und zwischen den Jahren wahrgewordener Albtraum. Blair zitterte, rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Stattdessen kauerte sie sich noch kleiner zusammen und versuchte seine laute Stimme auszublenden; vielleicht würde sie einschlafen, vielleicht sterben. In dieser Nacht war geschehen, wovor es ihr jahrelang gegraut hatte; eine Möglichkeit, die so gering war, wenn man den Weltmaßstab und Tabellen zu Rate zog und ihr dennoch widerfahren war. Es gab in ihrer Zeit nicht viel zu fürchten außer Werwölfe. Werwölfe, die langsam alle Macht absorbierten, die ihr Staat noch übrig hatte, und immer mehr unschuldige Seelen zu ihresgleichen machten oder ihnen einen grauenhaften Tod bescherten. Sie waren wilde Tiere, die Menschlichkeit war von tierischen Instinkten und Bedürfnissen zurückgedrängt wurden und obgleich die Wahrscheinlichkeit so gering war, klägliche Prozente betrug, obwohl doch so viel berichtet wurde – in dieser Nacht hatte man sie gefunden. Scorpius und sie waren einen Abend lang im Tropfenden Kessel gewesen, der guten, alten Zeiten willen und nichts war so kläglich normal gewesen, als sich mit Tom über Belanglosigkeiten zu unterhalten, die ihnen das Leben beschert hatte. Alles war so vertraut gewesen, wenn sie nun an die Gruppe Auroren zurückdachte, die wie immer zu letzter Stunde eine Auseinandersetzung mit Toms Aufpassern angezettelt hatten. Das war für sie der Startschuss gewesen, um zu gehen. Wenn Blair nun an den Abend dachte, so kam er ihr weit, weit weg vor, kaum greifbar, wie eine Illusion der Harmlosigkeit. Aber ihre gute Laune, die in ihr getanzt hatte, war rasch abgeflaut, als etwas ihnen mitten in der Winkelgasse in den Weg gesprungen war. Blair wusste nicht, was sie in dem Augenblick gedacht hatte, aber zunächst hatte sie keine Sorge oder Angst verspürt. Vielleicht hatte sie gedacht, es handle sich um einen Scherzartikel. Doch der schwarzen Gestalt waren noch drei gefolgt und der Mond hatte sein fahles Licht auf blitzende Zähne geworfen, leises, unmenschliches Knurren war an ihr Ohr gedrungen. Dann war ihr klar geworden, wer sie da mit dem nächsten Wimpernschlag angreifen würde. Ihr Körper hatte sich angespannt, war erstarrt und nur noch zu einer Bewegung war sie fähig gewesen – der, Scorpius Arm noch stärker und unnachgiebiger zu umklammern. Es lag auf der Hand, was man in einem solchen Moment tat, auch ohne regelmäßig den Tagespropheten zu lesen, wusste man, was in einer solchen Situation zu tun war – man apparierte der Gefahr davon. Man apparierte! Doch Scorpius hatte nichts dergleichen getan, sich nur aus ihrem Griff zu befreien gewusst und den Zauberstab gezückt. Einer gegen vier. »Alohomora«, hörte sie ihn nun sagen und gleichzeitig, wie sich der Schlüssel im Schloss auf ihrer Seite nachgiebig drehte. Im nächsten Moment war er bei ihr auf dem Boden, doch Blair schüttelte nur voller Abscheu seine Hände fort und rutschte von ihm weg. »Es tut mir Leid, Blair«, murmelte er und fuhr sich durch das blonde Haar, aber sie erwiderte seinen Blick nur eisig. »Das ist alles deine Schuld«, flüsterte sie und vergrub den Kopf in den Händen. »Ich kann nicht glauben, dass du das getan hast.« »Ich hätte dich nicht in so große Gefahr bringen sollen, es tut mir Leid.« »Nein«, murmelte Blair nur und Tränen verschleierten ihren Blick, hinterließen nasse Spuren auf ihren Wangen, kamen und gingen nicht wieder fort, »du hättest in diesem Moment mit mir apparieren müssen, das hast du nicht getan. Du wolltest kämpfen. Du wolltest heute Nacht sterben und bei deinem riesigen Malfoyego wäre es dir auch egal gewesen, wenn ich auch gestorben wäre. Du wolltest nicht gerettet werden. Und wenn Dominique jetzt stirbt, dann hast du ihr Leben zerstört und mit ihrem Tod zerstörst du Freds Leben und wenn das passiert, dann auch das von James. Alles was du tust, zieht Folgen nach sich, Scorpius. Du bist nicht alleine auf dieser verschissenen Welt, kapiert?« Ihre zitternde Stimme überschlug sich und starb, ließ nur bedrückendes, kaltes Schweigen zwischen ihnen zurück, das Scorpius nicht durchbrach. So vergingen Minuten, lang und zäh und Blair wünschte sich nichts mehr, als dass er sie endlich alleine lassen würde. Vielleicht hatte sie einen Schock erlitten, mit ziemlicher Sicherheit sogar, doch der über ihn saß tiefer. Obgleich sie ganz genau wusste, wie zerrissen seine Seele war; sie sah ihn in diesen frühen Morgenstunden dennoch zum ersten Mal – es wäre ihm egal gewesen, wenn sie auch gestorben wäre. Es wäre ihm egal gewesen. »Sie ist allein dort, wo sie ist, Blair«, murmelte er irgendwann und Blair blinzelte perplex, doch als sie verstand, bahnten sich immer neue Tränen ihren Weg über ihr blasses Gesicht. Sie wimmerte, vor allem aus Verzweiflung, aus purer und ehrlicher Hoffnungslosigkeit. »Ich danke dir für das, was du für mich getan hast, Blair«, sagte Scorpius und seine Stimme klang taub in ihren Ohren wieder, »aber am Ende des Tages vermisse ich sie so sehr, als wäre keine Zeit vergangen. Sie war all das, was mich zu einem besseren Menschen gemacht hat, sie war meine Hoffnung und mein Leben. Ich denke nicht, dass es ein langes Leben ohne sie für mich gibt. Alles, was ich war, ist in dem Moment gestorben, als Greyback ihr das Herz rausgerissen hat. Deshalb werde ich ihn finden, irgendwann, und dann werde ich ihn töten, Blair, selbst wenn es auch mein Leben kostet. Kannst du das verstehen?« Ihr müsst immer den Ausweg im Blick behalten, ihr dürft euch nicht verlaufen. Wenn das passiert, dann seid ihr am meisten gefährdet. In einem solchen Fall - steigt aus. Irgendwann hatte sie ihn verstanden, wenn auch widerwillig. Seitdem wusste sie auch, dass sie ihn nie würde retten können, egal was auch passierte. Seine Seele war nicht zu retten, sie war gefangen in der Vergangenheit und hing an einer längst von dieser Welt verschwundenen. Doch Blair war kein Mensch, der einfach so aufgab. Deshalb verließ sie den Mann an ihrer Seite auch nicht, sondern versuchte ihm beizustehen. Eine dieser Regeln, mit denen man ihre Nerven strapaziert hatte, lautete, den direkten Ausstieg zu suchen, wenn man merkte, dass die eigene Psyche nicht länger mitspielte, wenn die Nerven blank lagen. Wenn die Hoffnung tot war. Blair wusste, dass sie in jener Nacht nur allzu großes Recht gehabt hätte, auszusteigen. Doch sie blieb bei ihm. Auch wenn die Jahre darauf nur ein ewiges Warten voller Angst und Furcht waren auf den Tag, an dem Scorpius nicht wiederkehren würde. Je mehr Zeit verstreicht, umso größer wird eurer Elend, davon gehen wir stets aus. Manchmal nimmt es ab, lässt Platz für einen Neuanfang, der gelingt. Doch ebenso gut können euch Hoffnungslosigkeit und Depressionen heimsuchen. Und das letzte Jahr »Wow, sieben Jahre, mannometer, sowas sieht man hier nicht jeden Tag! Respekt!« Der junge Mann mit den Pockennarben überflog eifrig den Bericht, der nicht für seine Augen bestimmt war. Ein sensationsheischendes Funkeln lag in seinem Blick, das ihn widerwärtig wirken ließ. Blair schluckte den Ärger über sein unangemessenes Verhalten hinunter und zögerte dann, ehe sie ihre schwarze Sonnenbrille abnahm. »Ich will bei der Gelegenheit gleich mit dem Boss sprechen«, befahl sie ungerührt und der junge Mann, dessen Umhang ihn mit einem Schildchen auswies, auf dem Shaklebone stand, zwinkerte ihr wissend zu. »Ah, du willst jetzt bestimmt aussteigen. Ist ja aber auch krass, was du erlebt hast. Man, du hattest ja nicht mal ´nen Leben bei dem Psychopathen. Krass, ziemlich krass, meine Freundin macht ja genau das Gleiche wie du und die kriegt immer nur Menschen, die sich nach zwei Monaten das Leben nehmen. Krasse Welt, echt krass. Aber ich hab auch erst letztens gelesen, dass auf ein Jahrhundert nur etwa eine handvoll wirklich gute Seelenerhalter kommen. Fragt man sich nur, ob du dann gut oder schlecht bist, immerhin sind sieben Jahre echt ´ne lange Zeit und so, aber eben nicht gerettet«, feixte er und Blair spielte mit dem Gedanken, ihm einen Fluch auf den Hals zu jagen, ehe sich die breite Flügeltür hinter ihm öffnete. »Wir hatten ein Leben«, sagte Blair zum Abschied. »Natürlich habe ich davon im Tagespropheten erfahren, es ist nur allzu natürlich, dass du mich nicht über dein Versagen in Kenntnis gesetzt hast, obgleich Versagen natürlich das falsche Wort ist. Ich toleriere deine Trauerphase. Scorpius Malfoy war ein schwieriger Patient. Ich weiß natürlich, vor welch heikler Aufgabe du bei ihm standest und dass dieses Spiel unmöglich zu gewinnen war. Der Tod hatte ihn all die Jahre in der Hand, Blair, nicht wahr? Doch durch deine Hilfe ist Scorpius Malfoy nicht als Mann gestorben, dessen Herz verblutet ist, sondern als Held – er hat Greyback ermordet! Die Werwölfe sind ohne ihren Anführer orientierungslos und gehen sogar so weit, den Belangen des Zaubereiministeriums erstmals wieder ein offenes Ohr zu schenken! Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Situation beruhigt haben wird und man zu einer Einigung findet, die beide Seiten befriedigt. In gewisser Weise hat er uns also den Frieden gebracht und deine Arbeit hat Früchte getragen. Du kannst stolz sein, Blair.« »Nur die besten sterben jung«, erwiderte sie matt und vermied es, ihren Boss direkt anzusehen, denn dann wäre die Wahrscheinlichkeit nur umso größer gewesen, dass sie ihm voller Abscheu auf den teuren Eichenholztisch gekotzt hätte. »Aber für das nächste Mal würde ich mir wünschen, dass mich nicht die Zeitung über die neusten Ereignisse informiert, sondern gleich du, einverstanden?« »Es wird kein zweites Mal geben, ich steige aus«, eröffnete Blair ihm kühl und blickte das erste Mal von ihren Fingernägeln auf. Sein mit Falten überzogenes Gesicht blickte zunächst überrascht, doch kaum einen Wimpernschlag später schon gefasst und wissend zu ihr hinunter, ein Anblick, bei dem es ihr kalt den Rücken herunterlief. »Du solltest darüber nachdenken«, murmelte der alte Mann, von dem sie so viele Lektionen gelernt hatte und den der Beruf sichtlich abgestumpft und die vielen Galleonen elendig unglücklich gemacht hatten, sanft, ehe er einen kleinen, handgroßen Brief über den Tisch zu ihr herüberschob, so unschuldig weiß, dass Blair dem Papier nicht traute. »Bitte nimm es und überlege dir deine Entscheidung gut, Blair. Die Welt kann nicht auf dich verzichten.« Blair tat wie ihr geheißen und erhob sich, den Brief zwischen ihren Fingern drehend wie einen sehr kurzen, unförmigen Zauberstab. »Ich steige aus, so oder so«, sagte sie noch, ehe sie eilig das Büro hinter sich zurückließ. Als sie stürmisch auf den langen Gang trat, der hell erleuchtet wurde vom Licht eines angenehm warmen Junitages, stieß Blair zu ihrem Verdruss prompt mit einer Gestalt zusammen, die sie nur dank schneller Reflexe davor bewahrte, auf den Boden zu segeln. Die junge Frau blinzelte einige Male, ehe sie die vertrauten Züge und das schelmische Lächeln des Mannes erkannte, mit dem sie an diesem Tag wohl am wenigsten gerechnet hatte. »Lorcan, hey! Was machst du denn hier?« Blair umarmte ihren Freund aus Schultagen herzlich, ein wenig zu fest vielleicht, aber sie betrachtete sich auch ohne den Ehering in gewisserweise als Witwe, weshalb es unter den gegebenen Umständen durchaus zu verschmerzen war. »Hab mir einen neuen Auftrag geholt«, erwiderte er, die Augen verdrehend wie sie es gewohnt war, und wedelte mit einem geöffneten weißen Briefumschlag vor Blairs Nase herum. Sie atmete beinahe erleichtert aus, bis ihr einfiel, dass sie selber auch einen in der Hand hielt. Einen, den sie beschlossen hatte, unter keinen Umständen je zu öffnen, sondern damit zuhause ein wunderbares Feuer zu machen. »Und etwas Gutes?«, fragte sie freundlich, obwohl es eigentlich nicht interessierte. Sie verloren ja sowieso immer. »Das Beste, was ich je bekommen habe«, erwiderte Lorcan nur und reichte ihr seinen Briefumschlag, was einem unendlichen Vertrauensbeweis in ihren Kreisen gleichkam. Blair zog die kleine Karte heraus, auf der lediglich ein Name stand. Dominique Weasley. Blair spürte, wie ihre Miene hart und ihr Körper seltsam taub wurde. »Dann sind sie jetzt also auf der Liste«, stellte sie fest und gab ihm das Kuvert zurück. »War doch klar nach dem Tod von Fred, oder?«, erwiderte Lorcan achselzuckend und verschränkte die Arme vor der Brust, während er sich an die nächstgelegene Wand lehnte. So standen sie einige Minuten schweigend nebeneinander wie damals immer in Hogwarts nur beinahe neun Jahre später alleine auf einem verlassenen Gang, wobei der eine von ihnen sich nun der Aufgabe gegenübersah, das um drei Jahre ältere Mädchen zu beschützen, in das er seit seiner Schulzeit heimlich verliebt war, während sie vor wenigen Tagen den ehemaligen älteren Quidditchkapitän und Schulsprecher und Slytherinprinzen zu Grabe getragen hatte, denen in der Vergangenheit jeder ein besseres und längeres Leben vorausgesagt hätte, als sie im Endeffekt gelebt hatten. »Es wird dich umbringen, wenn du sie nicht retten kannst«, stellte Blair leise fest und versuchte, die Traurigkeit in ihrer Stimme zu verschleiern. Lorcan nickte nachdenklich, ehe sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht schlich. »Aber zuerst komme ich auf die Liste und dann wird irgendwer versuchen, mich am Leben zu erhalten.« Blair grinste, weil sie nicht anders konnte. »Nein, du hast null Qualitäten, die sie irgendwie gebrauchen könnten, mein Bester«, neckte sie frech und entwischte haarscharf seinen langen Armen. Sie lachte sogar, das erste Mal seit Scorpius gestorben war. »Ich steige übrigens aus«, eröffnete sie ihm schnell und Lorcan hielt in der Bewegung inne. »Wirklich? Ist das dein Ernst?«, er pfiff anerkennend, ehe sein Gesicht ernst wurde und er sie freundschaftlich an sich zog, »Es tut mir so leid, was passiert ist.« »Ist schon gut, ich habe ja gewusst, dass das eines Tages passieren würde. Er hat mir gesagt, was sein Ziel ist und ebenso absehbar war, dass er es erreichen würde und gleichsam, dass er dabei nicht überleben wollte. Ich konnte mich also darauf einstellen. Aber trotzdem … er war mein Freund in den letzten sieben Jahren. Wir waren uns so nahe, wir hatten eine Beziehung, zwar war er ein emotionales Wrack – und ich darf das sagen, denn ich liebe ihn – aber wir hatten viele schöne Momente. Erst nach seinem Tod ist mir bewusst geworden, wie viele schöne Dinge er mir ermöglicht hat, obwohl es total gegensätzlich zu dem stand, für das er die letzten sieben Jahre gelebt hat. Ich glaube, es tat ihm leid, dass er mich nicht mehr lieben konnte.« »Hat er gewusst, was du bist?« »Ich denke schon. Er war einfach zu klug, um es nicht zu wissen. Aber am Ende jeden Tages war es Rose, an die er gedacht hat und die er geliebt hat, und die Rache für ihren Tod, die ihn hat weiterleben lassen. Ich war in dieser Konstellation nur der Mensch, das Greifbare, jemand der existiert und sich sorgt und im Diesseits liebt und lebt.« Als die Abendstunden über London hineinbrachen und die Sonne hinterm Horizont verschwand, schlich Blair in der Wohnung, die nach Scorpius‘ Tod nun nur noch ihr gehörte, immer noch um das kleine Kuvert herum, nicht sicher, ob sie es öffnen sollte oder nicht. Stundenlang hatte sie das Für und Wider abgewegt. Es würde ja kein Problem sein, eine andere Anstellung zu finden – Möglichkeiten hatte sie viele und in den letzten sieben Jahren hatte sie auch ganz normal gearbeitet, um ihre wirkliche Tätigkeit zu vertuschen. Blair seufzte und trank in einem Zug das Weinglas leer, das sie in der Hand wiegte. Sie war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht wahrgenommen hatte, wie die Nacht hereingebrochen war, bis sie sich auf ihre Umgebung besann und bemerkte, dass nur noch dunkle Schemen die Möbel andeuteten. Sie fühlte sich nicht danach, das Licht anzuschalten, stattdessen öffnete sie die Tür zum Balkon und trat an die frische Luft hinaus. Sofort erinnerte sie sich daran, wie oft Scorpius und sie hier gesessen und in die Sterne geschaut hatten. Mit Scorpius hatte sie reden und schweigen können. Und noch etwas Wertvolles hatte sie aus dieser Beziehung mitgenommen. Sie hatte keine Vorstellung von Liebe gehabt, als sie ihren Job damals angetreten hatte. Nun hatte sie unzählige Eindrücke, traurige und schöne und schwierige und federleichte. Sein großer Verdienst war, dass er ihr beigebracht hatte, was es heißt, zu lieben, was Liebe war. Blair hatte sich der Fantasie hingegeben, dass alles an der Liebe stets schön und leicht war, insofern man doch den Richtigen gefunden hatte. Sie hatte den Illusionen aus Büchern und Filmen nachgehangen. Sie hatte geglaubt, wahre Liebe sei stets leidenschaftlich und elektrisierend und ewig und blütenweiß. Aber eigentlich war nichts so sehr mit dem Tod verwoben wie die Liebe, denn der Tod gewann erst an Bedeutung, wenn man liebte, wenn man fürchtete zu verlieren. Der Tod hätte ohne die Liebe keine Macht. Und die Liebe wiederum war ein hartnäckiges Spiel, zu selten so, wie man sie sich vorstellte, nicht wenn man sie mit dem Leben verwob und der Ewigkeit. Das Verliebtsein war vielleicht der Himmel auf Erden, doch wenn dieses Gefühl verebbte, dann war das Durchhalten, das Zusammenhalten hingegen allen Widerstandes das wahre Lieben. Dieses Wort bedeutete so viel mehr, als sie immer geglaubt hatte. Wahrscheinlich hing alles Wahre auch ebenso mit Verzweiflung und Angst zusammen. Blair blickte nachdenklich in die Sterne. Eine kleine Träne löste sich von ihren Wimpern und perlte von ihrer Wangen. »Ich hoffe, du bist da, wo du immer sein wolltest, ich hoffe, es geht dir dort besser«, flüsterte sie leise, »Du hast immer gesagt, dass sie dir so nahe vorkommt und doch nicht greifbar ist und genauso ist es jetzt mit dir. Ich kann dich fühlen. Aber ich sehe dich nicht. Wenn du dort oben irgendwas zu melden hast, dann schicke mir bitte Liebe, setz dich ein bisschen für mich ein. Nur ein bisschen Liebe, ein ganzes Leben lang. Es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche, Scorpius. Nichts, was ich mehr brauche. Ich weiß ja jetzt, worauf es ankommt, also verlange ich nicht den ganzen Kitschkram aus Filmen und Büchern, nur die Hoffnung auf ein langes und glückliches Leben mit vielen Tiefpunkten aus denen Höhen entwachsen. Von mir aus kann es auch schwierig werden. Ich will das alles, aber ich will nicht mehr verlieren. Ich muss einmal ein Gewinner sein, bitte lass nicht zu, dass ich wieder versage, dieses Mal nicht. Bitte, Scorpius, lass nicht zu, dass ich ihn sterben lasse. Ich könnte es nicht ertragen.« Ihre zitternden Finger öffneten den Briefumschlag, der zu Boden segelte, als sie das Kärtchen herauszog. Der Name verschwamm vor ihren Augen, als die Gewissheit sie traf und auch die Tinte verlief, als ihre Tränen auf das Papier tropften. Blair biss sich auf die Unterlippe und blickte hilfesuchend in den Sternenhimmel, ohne dass sich ihr ein Zeichen erschlossen hätte, bis sich plötzlich ein Stern vom Himmel löste. Sie blinzelte und weinte noch mehr, knüllte das Kärtchen zusammen und sank in die Knie. Sie glaubte an die Hoffnung, die sich in ihr Herz nistete. Sie würde ihn retten, weil jeglicher Misserfolg in dieser Sache sie umbringen würde. Weil ihr jemand zugelost wurden war, den sie seit sehr langer Zeit liebte. James Sirius Potter. Und manchmal, ja manchmal, da gewinnen auch wir. Als Seelenerhalter gelten die Hexen und Zauberer, die andere ihrer Art am Leben halten, nachdem diesen Schreckliches widerfahren ist; die Gesellschaft deren Verlust an den Tod jedoch in diesem Moment und auf langfristige Weise nicht verantworten kann, da jenen ein ungewöhnliches magisches Talent inne wohnt oder eine andere Begabung, die Hexen und Zauberern von großem Nutzen sein kann. Seelenerhalter agieren geheim und niemand weist sich als solcher aus, denn sie existieren im gewöhnlichen Gesellschaftsbild nicht, sondern sind einzig und allein Vertreter des Zaubereiministeriums im Auftrag des Zaubereiministeriums. Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)