Wer suchet, der findet. von haki-pata (Ob der Fund zur Suche passt ist eine andere Sache) ================================================================================ Kapitel 6: Gefallene Engel -------------------------- Noch nicht einmal am Tatort quatscht Berger auf mich ein. „Richtig fies ekelhaft.“ meint er breit grinsend. „Ein paar von den Cops haben gekotzt. Die in der Uniform. Nix gewöhnt, die Schwachmaten!“ „Berger! Halt das Maul, oder ich stopfe es dir!“ verlange ich wenig höflich und zeige dem Uniformierten am Absperrband unaufgefordert meinen Ausweis. Netter Kerl. Er hebt für mich das Absperrband und lässt mich durch. Ich bedanke mich. Der nette Kerl nickt und lächelt, darum schaue ich kurz auf das kleine Messingschildchen an seiner Brust. Officer Aparo. Mein nächster Blick geht wieder in sein Gesicht. Leider ist nicht viel davon zu erkennen. Der tiefsitzenden Schirmmütze wegen. Ich sehe aber, er lächelt mich direkt an – Das ist kein ‚Du bist ein Cop, ich bin ein Cop‘-Höflichkeits-Lächeln! – und zwinkert kurz. Officer Aparo. Hm… Berger hat nicht dieses Glück, muss sich den Einlass selbst verschaffen. Liegt wohl an seiner Art mit Streifenpolizisten umzugehen. Nach ein paar Schritten bin ich am Fundort der Leiche – zwischen Haufen wild abgeladenen Mülls – und stelle mich zu Doktor Charlene Rush, unsere Pathologin. Sie kauert auf dem Boden und versorgt mich mit ihren Infos, die weit besser und professioneller sind, als das, was Berger von sich gegeben hat. „Unbekannt. Männlich. Schätzungsweise Anfang zwanzig. Wurde so aufgefunden. Bisher haben wir keine Kleidung entdeckt, die ihm gehören könnten. Seit etwa drei Stunden tot. Das Herz fehlt. Vielleicht mehr. Das kann ich erst nach der Obduktion sagen.“ Neben ihr gehe ich in die Hocke und stecke meine Hände in Einmal-Handschuhe aus Vinyl. Charlene gibt mir Zeit und Ruhe, die Leiche selbst zu begutachten. Unbekannt. Männlich. Schätzungsweise Anfang zwanzig. Nackt. In einer aufrecht sitzenden Position. Die Hände im Schoß gefaltet und die Blöße verbergend. Die Augen geschlossen und ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Es wirkt beinahe tröstend. Die einsetzende Totenstarre. Von Charlene verborgen hole ich tief Luft. Sicher. Ich habe schon viel gesehen. Dennoch bin ich froh, nicht abgestumpft zu sein. Jemand hat ihm die Kehle durchtrennt. Tiefer Schnitt. Ohne Zögern und mit der Absicht zu töten beigebracht. Die Arme und Hände des Mannes drehend suche ich die Haut ab. Keine blauen Flecke oder Schnitte. „Keine Abwehrverletzungen.“ murmele ich und höre Charlenes Zustimmung. „Er muss überrascht worden sein. Oder er kannte seinen Mörder. Oder beides.“ überlege ich weiter. Die Unversehrtheit der Arme und Hände steht im krassen Gegensatz zu dem Anblick, der sich mir noch bietet. Der Oberkörper wurde aufgeschlitzt. Vom Hals bis zum – wie ich erkenne – Unterbauch. Dann noch einmal quer unterhalb der Brust. Von links nach rechts. Die Haut ist nach allen vier Seiten weggeklappt. Die Rippen sehen so aus, als hätte jemand seine Faust reingerammt und das Herz im Anschluss einfach herausgerissen. Die Gedärme hängen halb heraus. Ein Teil der Innereien liegt neben dem jungen Mann verstreut. Eine Niere kann ich identifizieren. Ich singe leise. Das Totenlied meiner Heimat. Das tue ich immer. Für die Leiche, für mich. Nur die wenigsten machen sich noch darüber lustig. Im Grunde… Nur einer macht sich noch darüber lustig. Ja. Richtig geraten. ‚Ich kann das nicht‘-Berger, der den Gesang nicht versteht und darum falsch interpretiert. Seine blöden Töne gehen mir am Arsch vorbei. Soll er doch. Wisst ihr… Manche Opfer haben keine Familie. Keine Freunde. Keine Bekannte. Einfach niemanden. Ihr wärt überrascht, wie viel Einsamkeit es unter den Menschen gibt. Da sollte wenigstens einer ihren Tod besingen. Das bin dann halt ich. Die Sache mit dem sensibel. Zur Erinnerung: Ein Wort zu meinen Kollegen… Und ihr könnt euch einen ZWEITEN Bauchnabel piercen lassen! Drei Stunden tot. Am helligten Tag auf solch bestialische Weise umgebracht. Ungesehen? „Zeugen?“ „Wir suchen.“ erklärt Sergeant Hollister, einer der wenigen uniformierten Beamten vor denen Berger Respekt… Angst hat. Ich persönlich mag ihn. Seine Art. Sein Auftreten. Er hält auch nichts von vielen – vor allem leeren Worten. Wir verstehen uns gut. Genau genommen nenne ich Dave Hollister einen väterlichen Freund, der mir alles über Polizeiarbeit beigebracht hat. Seine Meinung ist mir weiterhin ziemlich wichtig, darum frage ich ihn danach. „Der Junge ist nicht von hier.“ Dave zeigt auf die Leiche. „Sieh dir die Haut an. Sauber und gepflegt. Aus dem Obdachlosen-Milieu kommt er nicht. Vielleicht ein Edel-Stricher aus einem der guten Bordells. Ich frag mal rum.“ „Du wärst ein Spitzen-Detective.“ sage ich ihm und stehe auf. „Einmal blauer Junge, immer blauer Junge.“ erwidert er und blinzelt mir zu. „Der bessere von uns beiden ist der Spitzen-Detective.“ Er hebt den Daumen und weist hinter sich. „Hab keinen Schimmer, wer ihn zum Detective gemacht hat.“ Berger ist mal wieder dabei, sich bei den Uniformierten unbeliebt zu machen und scheucht sie wie Leibeigene herum, mit der Forderung nach Kaffee und was Essbarem. „Hat sich hochgeschlafen.“ meint Charlene, lächelt und erhebt sich ebenfalls. „Er hatte mal was mit Staatsanwältin Gertrudes.“ Dave prustet. „So was lässt sie in ihr Bett?“ Und gibt einen Würgelaut von sich. „Da hätte ich ihr mehr Geschmack zugetraut.“ „Geschmäcker sind halt verschieden.“ gebe ich zu bedenken, wende mich an Charlene und bitte sie, mich zu benachrichtigen, sobald sie Neuigkeiten hat. Sie verspricht es mir. Ich gehe ein paar Schritte, sehe mir die Umgebung an und spreche mit ein paar Leuten. Cops und Obdachlose. Schließlich stehe ich etwa hundert Meter entfernt, lehne an der Hauswand und atmete tief durch. Wer kann einem jungen Mann so etwas antun? Warum? Officer Aparo, der nette Kerl vom Absperrband, ist mir gefolgt. „Kaffee?“ fragt er und streckt mir einen Pappbecher entgegen. Ich stemme mich von der Wand und verneine stumm. Kaffee ist nicht mein Ding. Er reicht mir den anderen Becher. „Kakao.“ erklärt er. Das kann ich eher gebrauchen. „Danke.“ Der erste Schluck tut gut und spült den Geschmack von Blut und Abfällen herunter, der mir seit Besichtigung des Leichnams auf der Zunge klebt. „Klar.“ meinte er nur und mustert mich. „Gehen Sie mit Männern aus, Detective?“ Die Frage verblüfft mich etwas. „In letzter Zeit nicht.“ gebe ich zu und nehme ihn genauer in Augenschein. Sportlicher Typ. Ein paar Zentimeter größer als ich. Nicht viel jünger oder älter. Die Schirmmütze hat er etwas in den Nacken geschoben und pechschwarze Haare lugen hervor. Seine strahlenden Augen sind von faszinierend goldener Farbe. Sein gebräuntes Gesicht ist markant, aber nicht zu sehr. Er sieht gut aus. Sehr gut. So wie die Typen, die für Modefotos posieren. Garantiert hat er einen Waschbrettbauch. Ich erwische mich bei dem Gedanken, es herausfinden zu wollen. „Gehen Sie mal mit mir aus?“ will er wissen und lächelt. Ein süßes, hoffnungsvolles Lächeln. Holla! Der? Und schwul? Dabei wirkt er nicht so. Andererseits… Ich wirke auch nicht wie schwul. Um der Wahrheit die Ehre zu geben… Meine Kollegen halten mich für den Aufreißer, weil ich oft mit Frauen ausgehe. Ist nur halbwegs richtig. Frauen gehen mit mir aus. Die Sache mit dem Kino und Leonardo DiCaprio und all das. Ja. Genau. Der zartfühlende Typ mit dem immensen Verbrauch an Taschentüchern. Ah ja… Für die, die es vergessen haben und versucht sind, da was zu tratschen… Der Typ mit der Kanone, der bin ich auch! „Nein.“ erwidere ich knapp. ‚Fang nichts mit Bullen an!’ lautet meine Devise. Offenbar die Devise der meisten homosexuellen Männer dieser Welt. Und ich wundere mich darüber, solo zu sein… „Bitte?“ lässt er nicht locker. „Nein.“ Meine zweite Ablehnung passt ihm nicht. Es ist unverkennbar. Das Lächeln verschwindet, die Augen sind zu Schlitzen verengt und Augenbrauen zusammen gezogen. „Nein?“ fragt er nach und klingt lauernd. „Nein.“ bestätige ich. Er reißt mir den Becher aus der Hand und wirft seinen und meinen zu Boden, packt mich am Kragen und schleudert mich an die Wand. Eine Sekunde bleibt mir die Luft weg. Ihm reicht diese Sekunde. Er stellt sich zwischen meine Beine – Ihm in die Kronjuwelen zu treten kann ich damit vergessen! – drängt sich an mich und drückt meine Handgelenke gegen die Ziegel. „Und wenn ich darauf bestehe?“ flüstert er, presst seinen Unterleib gegen meinen und reibt sich an mir. Ich merke da was. Hat er etwa…? Oh Mann! Er hat eine Latte! Devot und passiv ist gar nicht mein Ding, aber wenn er so weitermacht, kriege ich auch eine. Irgendwas reitet mich und aus reiner Provokation gebe ich ihm die gleiche Antwort. „Nein.“ Mann! Überall Leute. Da braucht nur einer rüber gucken. Keiner guckt. Bin ich deswegen beunruhigt oder nicht? Keine Ahnung warum ich es ihm erlaube, er darf meine Arme in die Höhe und über meinen Kopf zerren. Meine Handgelenke hält er mit einer Hand, mit der anderen hebt er mein Kinn und sieht mir in die Augen. „Na?“ Er lächelt erneut. Nicht nur süß, sondern triumphierend. „Wirst du noch einmal ‚nein‘ sagen?“ „Das werde ich!“ zische ich und muss mich anstrengen, beherrscht zu klingen. „Nein!“ Was er noch mit mir anstellt? Ich kann es kaum abwarten. „Schade.“ Ungefragt küsst er mir auf den Mund. Ein sanfter Kuss. Er versucht nicht, mir seine Zunge in den Hals zu schieben. Seine Lippen berühren meine Lippen. Mehr nicht. Und es ist wie eine Offenbarung. „Wo ich mich doch so um dich bemüht habe.“ Meint er sein Lächeln und Zwinkern? Das Anheben des Absperrbandes? Oder den Kakao? Sieht er so was schon als Date? Anscheinend ist er ein bisschen durchgeknallt. Anscheinend? Der ist garantiert ein bisschen durchgeknallt. Mann! Wir sind höchstens hundert Meter von einem Tatort weg! Hier wimmelt es von Bullen – seinen und meinen Kollegen! Und ich… Ich habe einen Steifen! Hart wie ein Brett! Er küsst mich ein weiteres Mal, genau wie eben. „Ich bin Julian.“ stellt er sich vor während seine Hand abwärts wandert und auf meinem Schritt liegen bleibt. „Und du bist…?“ „Aaron…“ keuche ich. Er massiert meine Beule und ich spüre, wie seine Finger den Knopf meiner Hose öffnen. Was tue ich hier? Ich lasse mich – Entgegen meiner Devise! – von einem wildfremden Polizisten vernaschen. Hundert Meter von einem Tatort! Devot und passiv! Ich muss auch ein bisschen durchgeknallt sein. „Soll ich deine Hose ganz aufmachen, Aaron?“ Seine Stimme ist heiser und lüstern und jagt mir wohlige Schauer über den Rücken. „Soll ich dich… anfassen?“ „Wichser!“ schimpfe ich leise. „Heißt das ‚ja‘ oder heißt das ‚nein‘?“ Seine Finger wandern über den geschlossenen Reißverschluss. Auf und ab und auf und ab. Ich stöhne und er genießt es sichtlich, mich… leiden zu sehen. „Na?“ „Ja, verdammt!“ fauche ich ungeduldig. „Mach sie auf! Fass mich an!“ Bei den Göttern! Bin ich dermaßen notgeil? Ja. Bin ich! Ich bin nicht ein bisschen durchgeknallt. Ich bin es vollkommen! Julian hat mich da, wo er mich haben will und er weiß das. Sein Blick ist herausfordernd, sein Lächeln ist wieder süß und triumphierend und seine Finger machen nur ihr auf und ab und auf und ab. „Was kriege ich dafür?“ „Einen Kuss…?“ locke ich atemlos und lecke mir über die Lippen. „Einen… richtigen… Kuss…?“ „Ja…“ Seine Finger lassen von meinem Schritt ab und berühren erneut mein Kinn. „Einen Kuss.“ Er hebt meinen Kopf, sein Atem weht in meinem Mund. Ich kann den Kaffee darin schmecken. Auf meinen Lippen prickelt es, meine Zunge erwartet seine voller Ungeduld. Ich will ihn an mich heranziehen, ihn endlich spüren. Geht nicht. Julian hält meine Hände noch immer. Gleich… Unsere Lippen berühren sich fast… „Hey!“ macht ein Brüllen die Stimmung voll knisternder Erotik kaputt. „Alle hier mal herhören! Hat wer den Silberrücken gesehen? Hey! Silberrücken! Komm raus!“ „Das bist wohl du, hm?“ fragt Julian ernüchtert und gibt meine Hände frei. Ihm ist – wie mir – blitzartig die Lust an mehr vergangen. Bergers Geschrei sei Dank. Wirkungsvoller als eine Dusche mit Eiswasser! „Hm, hm…“ Berger – Schießstand – Kugeln fangen. Mehr denn je! Frustriert schließe ich den Hosenknopf. Mini-Aaron hat sich beleidigt zurückgezogen. Ich habe keine Zweifel, Mini-Julian genauso. Das Gegenteil eines Aphrodisiakums? Na was! Berger! „Hör mal…“ Julian errötet. Mann! Er errötet! Und sieht absolut sexy damit aus. „Das ist sonst nicht meine Art.“ „Meine auch nicht.“ kann ich ihm voller Inbrunst versichern. „Echt. Jedem anderen hätte ich schon…“ Das Nasenbein ins Hirn getrieben, das Genick verschoben, die Wirbelsäule in zwei bis hundert Teile zerstückelt und den Rest eingestampft. Oder, verniedlicht und verharmlost ausgedrückt: „Niedergeschlagen.“ Julian greift in seine Brusttasche und reicht mir eine Visitenkarte. „Ruf mich an, ja?“ Er gibt mir einen weiteren Kuss und geht einen Schritt zur Seite, stellt sich vorgebeugt an die Wand und tut, als würde er gleich kotzen. „Der Spielverderber braucht nichts zu wissen.“ erklärt er. „Und über dich macht er sich schon genug lustig.“ Kurz lächelt er zu mir hinauf. „Also… Ich mag dein Haar.“ Ich bin sicher… Ich habe mich gerade verliebt. In einen Bullen! „Da bist du ja! Musst du Händchen halten?“ Berger kommt näher und grinst geringschätzend auf Julian herab. „Tja, ja. Die in Uniform halten nichts aus!“ Warum – Bei den Göttern! – sollte ich bis zum Schießstand warten? Hier und jetzt… Bergers Leiche lasse ich unauffällig verschwinden… In einem der Müllhaufen… Julian erpresse ich mit Sex zum Schweigen… Oder mache ihn zum Mittäter… Ne! Die Sache mit dem Sex! Meine Finger habe ich am Holster, ich brauche nur noch meine Waffe ziehen und… Was will der Typ eigentlich von mir? Meine Neugier rettet ihm das Leben. Meine Neugier hält mich von erpresstem Sex ab. Vielleicht sollte ich ihn doch…? Ich wäge ab. Neugier… Sex… Das Ergebnis ist klar. Ehe ich meine Waffe aus dem Holster habe, spricht er mich an. „Charlene sucht dich schon. Sie will wissen, ob du noch einen Blick auf das Schlachtfest werfen willst, bevor sie alles einpackt.“ Wie auf Kommando röhrt und würgt, hustet und spuckt Julian. Das Ganze enorm zielsicher und ich bin überzeugt, es ist seine Rache für den entgangenen Spaß. „Iih! Nicht auf meine Schuhe!“ empört sich mein werter Kollege und springt zurück. „Ja. Bin gleich da. Geh vor.“ weise ich an, was Berger nur zu gern befolgt. Er macht immer den harten Macker, nur… Kotzen kann er keinen sehen… „Von mir den Oskar.“ sage ich leise zu Julian, gebe ihm einen schnellen Klaps auf die Kehrseite und folge Berger. „Ruf an!“ flüstert er mir nach. Ohne mich umzusehen winke ich. Ich tue es. Ich rufe ihn an! Ich höre sein wohliges Seufzen. Und ein Murmeln: „Wow! Ich habe mich verliebt!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)