Zwischenwelten von Arle (-Sidestory X ~ Veleno-) ================================================================================ Kapitel 14: ------------ Beginn: 12.09.2011 Ende: 05.02.2012 Kapitel 14 Ich bereute meine Entscheidung, noch lange bevor wir an unserem Zielort ankamen. Zugegebenermaßen war eine Kutschfahrt nicht unbedingt der Inbegriff einer aufregenden Reise und da wir beide – ich von Natur aus, Noël vermutlich aus Prinzip – wenig gesprächig waren, war es für einen jungen Vampir wie ihn vermutlich eher langweilig. Allerdings erklärte dies meiner Ansicht nach nicht seine ausgesprochen schlechte Laune, die er seit unserem Aufbruch mehr als deutlich zur Schau stellte. Und allmählich war ich es wirklich leid. Schließlich hatte ich ihn auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin mitgenommen. Wenn er dieses Verhalten in meinem Haus an die Nacht legte war das eine Sache, wenn auch ärgerlich genug, aber im Inneren einer Kutsche konnte man sich schwerlich aus dem Weg gehen. Doch anstatt ein wenig Konversation zu betreiben – ich hielt es zum Beispiel für nicht allzu abwegig, dass er mich zumindest nach dem genauen Ziel unserer Reise fragte – sah er mürrisch aus dem Fenster und strafte mich mit tödlicher Missachtung. Und zum ersten Mal seit, ich wusste nicht mehr wie langer Zeit, spürte ich ein Gefühl in mir aufsteigen, das ganz und gar untypisch für mich war – Zorn. Dieser Mann hielt mich zum Narren. Er war unkooperativ, egoistisch, undankbar und verweigerte beinahe jede Form der Interaktion. Ich war ein geduldiger Vampir, doch allmählich neigte sich auch meine Motivation zu wohlwollender Rücksichtnahme dem Ende. „Gibt es keine andere Art zu reisen?“, fragte Noël und endlich verstand ich, was ihn so verstimmt haben musste. Er war kein geborener Vampir, deshalb waren ihm viele unserer Denk- und Verhaltensweisen vermutlich noch nicht vertraut und es haftete ihnen auch gewiss der eine oder andere, von menschlicher Fantasie inspirierte Mystizismus an. Vermutlich hatte er also, bezüglich der vampirischen Art zu reisen, etwas anderes, spektakuläreres erwartet. Eine unangenehme Erinnerung stieg in mir auf und gewaltsam verbannte ich sie zurück in die Tiefen meines Gedächtnisses. „Du könntest laufen“, bemerkte ich kühl und mit einer nicht zu überhörenden Anspannung in der Stimme. Mein Begleiter bemerkte es ganz offensichtlich, denn der Ausdruck auf seinem Gesicht verlor merklich an Strenge und sogar seine Körperhaltung wirkte mit einem Mal weitaus weniger selbstbewusst. In den verbliebenen zwei Stunden Fahrt sagte keiner von uns mehr ein Wort. Anohas Landsitz war ein schönes, altes Gebäude und dazu von einer Größe, die keinen Zweifel an seiner gesellschaftlichen Stellung ließ. Ein wenig übertrieben vielleicht, doch solange ich das Innere des Hauses nicht gesehen hatte, wollte ich mir darüber kein Urteil erlauben. Noël schloss nur langsam zu mir auf, beschleunigte jedoch seine Schritte, als auch er das Läuten vernahm, das die Räume des Hauses erfüllte. Bald darauf hörte ich Schritte und nur wenig später öffnete mir ein junger Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte, die Tür. „Guten Abend, Sir“, begrüßte mich der Fremde höflich und mit einem wirklich ganz bezaubernden, wenn auch schüchtern-zurückhaltenden Lächeln. „Der Meister erwartet Sie schon. Bitte, treten Sie doch ein.“ „Undine?!“ Der überraschte Aufschrei Noëls ließ sowohl mich als auch den jungen Diener erstaunt inne halten. Undine? Ich musterte den Diener noch einmal genauer. Bleiche Haut, weiches braunes Haar und große rehbraune Augen. Er besaß eine ganz andere und weniger spröde Art der Schönheit als mein Begleiter - aber er war definitiv männlich. Und soweit mir bekannt war, handelte es sich bei Undine um einen Mädchen- und Frauennamen. Es dauerte jedoch nicht lange bis mir aufging, woher die beiden sich kennen mussten. Und wenn ich mit meiner Vermutung richtig lag, dann hatte Meister Urag wahrlich das schlechteste Gespür für Namen besessen, das mir jemals untergekommen war. „Noël?“, fragte der Andere nicht weniger erstaunt, bemerkte dann jedoch sein Versäumnis uns ins Innere des Hauses zu führen und beeilte sich mit eine hastig gemurmelten Entschuldigung dem nachzukommen. Er kam allerdings nicht mehr dazu, uns um unsere Mäntel zu bitten, denn kaum, dass wir die Empfangshalle erreicht hatten, stürzte sich Noël auch schon auf ihn und umarmte ihn innig. „Undine“, wiederholte er noch einmal und mit solcher Sanftheit, dass ich nur sprachlos daneben stehen konnte. Von meinem Standpunkt aus konnte ich sein Gesicht nicht sehen, wohl aber das des Mannes, den er gerade so glücklich in die Arme schloss. Der Diener lächelte ein sanftes, leicht wehmütiges Lächeln. Seine Hände berührten meinen Begleiter sehr viel zögernder und zurückhaltender. „Es heißt jetzt Hazel“, erklärte er und ich sah plötzlich einen Mann vor mir, der sich in alles, was sein Schicksal für ihn bereit hielt, fügte. Hazel, dachte ich und musste mich beherrschen, um nicht etwas Unpassendes zu sagen. Was für eine Verbesserung! Nun gut, es passte zu ihm, aber dass Anoha – denn ich ging davon aus, dass der junge Mann zu ihm gehörte – aus allen in dieser Welt existierenden Namen ausgerechnet diesen gewählt hatte... „Ich bin so froh! Ich dachte schon, du wärst vielleicht... Was machst du hier?“ Ich kam nicht dazu, mich über die erstaunliche Emotionalität meines Begleiters zu wundern oder mehr noch mich darüber zu ärgern, dass er sich mir kein einziges Mal so offenbart hatte. Denn in diesem Moment betrat der Hausherr die Szene und seine Stimme füllte den Raum. „Wen haben wir denn da? Wenn das nicht mein guter alter Freund Miguel ist.“ Seine Worte hatten diesen für ihn so typischen leicht spöttischen und dadurch häufig überheblich wirkenden Klang. Aber ich kannte ihn und wusste damit umzugehen. Der junge Diener dagegen wirkte mit einem Mal derart angespannt, dass kaum zu übersehen war, welche Art von Gefühl ihn mit seinem Meister verband. Anoha trat näher und während er es tat, richtete er das Wort an Hazel. „Na so etwas, haben unsere Besucher etwa noch ihre Mäntel an?“ Er gab sich betont überrascht, bemerkte es wie beiläufig, doch der Andere wusste ganz offensichtlich, dass eine unausgesprochene Drohung in diesen Worten lag. Ich konnte ein leichtes Zittern ausmachen, das binnen eines Moments seinen gesamten Körper erfasst hatte. Kein Zweifel – er fürchtete Anoha. Eilig löste sich der junge Mann von Noël. „Ich... Es tut mir sehr leid, ich bitte vielmals um Verzeihung!“ Erstaunlicherweise waren die Worte weniger an seinen Herrn als vielmehr an uns gerichtet. „Dir ist doch hoffentlich bewusst, dass du mit diesem Verhalten deinem Meister Schande bereitest?“ Die Augen des jungen Mannes weiteten sich und er zitterte so sehr, dass er kaum fähig war mir den Mantel abzunehmen. Ich bemerkte es und wunderte mich über die heftige Reaktion. Offenbar wusste Hazel, was Anoha betraf, mehr als ich, denn ich konnte in der Stimme meines Freundes nichts ausmachen, dass eine solche Furcht begründet hätte. Es mochte sonderbar und ganz sicher unangebracht sein, dass Anoha es sichtlich genoss, den Jüngeren derart aus der Fassung zu bringen, indem er ihm sein Versäumnis vorhielt, aber ich hatte keinerlei Drohung, ja nicht einmal ernstlichen Tadel aus seinen Worten herausgehört. „Du hast wirklich eine sonderbare Art von Humor“, bemerkte ich ein wenig verstimmt, doch auch das schien meinen Gastgeber zu amüsieren. „Danke“, erwiderte er mit einem Grinsen, während ich ihm mit einem Blick zu verstehen gab, dass es durchaus nicht als Kompliment gemeint gewesen war. Doch Anoha lachte nur ausgelassen, kam zu mir, umarmte mich und sah dann mit verschwörerischem Blick zu mir auf. „Und?“, fragte er, „Hast du mir etwas mitgebracht?“ „Du bist doch kein kleines Kind mehr“, erwiderte ich und tat, als hätte ich es absichtlich versäumt, ihm ein Geschenk mitzubringen. „Bah, das spielt doch keine Rolle! Also, hast du?“ Natürlich hatte ich das, aber ich fand es amüsant zu beobachten, wie er, erwartungsvoll wie ein kleines Kind, zu mir aufsah. „Mi-gu-el“, schmollte er und mit einem Lächeln überreichte ich ihm die Weinflasche. „Tadaa“, sagte ich, auch wenn es nicht sehr geübt klang. „Bitte sehr.“ Er nahm sie entgegen, hielt sie so, dass das Licht auf das Etikett fiel und betrachtete sie gespielt kritisch. „Wein! Nun mein Lieber, da hast du dich aber nicht gerade übernommen.“ Ich lächelte. „Würdest du deine Meinung noch einmal überdenken, wenn ich dir sage, dass es kein Wein ist?“ Er gab vor darüber nachzudenken und erwiderte dann: „Vielleicht.“ „Es ist dein Jahrgang.“ Sein Mund öffnete sich in sprachlosem Erstaunen und er sah mich mit großen Augen an. „Ist nicht wahr!“, sagte er und machte sich diesmal tatsächlich und ernsthaft daran, das Etikett zu studieren. „Ich glaub es nicht! Das ist ja der Wahnsinn!“ Seine Augen leuchteten vor Begeisterung und er drehte sich einmal um die eigene Achse. Ich bemühte mich, nicht zu lachen, jedoch mit nur mäßigem Erfolg. Es freute mich und erfüllte mich mit einem gewissen Stolz, dass ich seinen Geschmack auch nach all den Jahren noch gut genug kannte, um ihn zu einer solchen Reaktion zu bewegen. Nachdem er seine Drehung vollendet hatte sah er mich wieder an. „Aber im Ernst, ist das Zeug nicht inzwischen eingetrocknet und zu Staub zerfallen?“ „So wenig wie sein neuer Besitzer“, erwiderte ich mit einem Augenzwinkern, da es mir nicht gelingen wollte ihm vorzugaukeln, seine Bemerkung hätte mich beleidigt. „Fast 800 Jahre“, murmelte er fassungslos, „Wie machst du das bloß?“ Ich lächelte und schwieg. Wusste ich doch, dass ihn die Annahme einer geheimen Technik weit mehr faszinierte, als ihn die Aufklärung derselben interessierte. Plötzlich schlug etwas gegen das Fenster und alle Anwesenden zuckten erschrocken zusammen. Einen Moment lang herrschte Stille, dann brach Anoha in schallendes Gelächter aus. Der junge Mann, der sich als Hazel vorgestellt hatte, sah seinen Meister mit einer Mischung aus Furcht und Verwirrung an, während dieser sich vor Lachen bog. Es war doch wirklich nicht zu glauben. Missbilligend beobachtete ich das Verhalten meines Freundes, dann schritt ich zum Fenster, fasste hinter den Vorhang, wo ich die Apparatur vermutete und drehte an der kleinen Kurbel, um einen Teil der Glaswand zu öffnen. Pirikuan erschien wenig später, schwankte jedoch gefährlich und taumelte dann in einer großen Spirale abwärts. Es war nicht zu übersehen, dass das arme Tier sich sehr gründlich den Kopf gestoßen hatte. Dennoch gelang es ihm, auf meiner Schulter zu landen, nur um dort mit ausgebreiteten Flügeln liegen zu bleiben. Ich sah wieder zum Fenster hinauf und blickte direkt in Rosalies große, dunkle Augen. Für einige Sekunden betrachtete sie die Szene, dann glitt sie in den Raum und landete nur einen Flügelschlag später auf meinem ausgestreckten Arm. Ich hörte, wie ihre scharfen Krallen den Stoff durchschlugen und fühlte den Schmerz, als sie sich in meinen Arm bohrten. Rosalie war eine große, bezaubernd schöne Schneeeule und Anohas Bote für besonders wichtige oder schwere Fracht. Jetzt gerade gurrte das eindrucksvolle Tier wie ein Täubchen und schmiegte ihr weiches Gefieder an meine Wange. Keiner der beiden trug einen Brief oder etwas anderes bei sich, dennoch empfand ich es als ungewöhnlich und nicht weniger aufschlussreich, dass sie nicht sofort zu ihrem Meister geflogen waren. Anoha lachte noch immer. „Du liebst große Auftritt, was?“ Ich verzog das Gesicht zu einem säuerlichen Lächeln. „Nicht besonders“, erwiderte ich und versuchte Rosalie sanft aber bestimmt daran zu hindern, mein Haar in ein kuscheliges Nest zu verwandeln. Unser Gastgeber hatte sich wieder gefasst, das breite Grinsen auf seinem Gesicht blieb jedoch. „Tiere scheinen dich sehr zu mögen.“ Ich glaubte seinen Blick zu Noël wandern zu sehen. „Nun“, ich legte die Hände um Rosalies Flügel und hob sie vorsichtig von meinem Rücken, bevor sie weitere Versuche unternehmen konnte mir ins Ohr zu hacken, „womöglich liegt es daran, dass ich sie nicht quäle.“ Anohas Mundwinkel wanderten noch ein wenig weiter nach oben und eine Mischung aus Stolz und Selbstgefälligkeit lag in seinem Blick als er antwortete: „Sie gehören mir. Ich kann mit ihnen tun und lassen was ich will.“ „Gewiss. Und ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass du genau das tust“, erwiderte ich. „Würdest du sie jetzt bitte zurückrufen.“ Er schnippte mit den Fingern und augenblicklich verschwanden die Tiere, so schnell ihre Flügel sie trugen, aus unserem Sichtfeld. „Entschuldige, normalerweise sind sie nicht so aufdringlich. Ich fürchte, ich habe ihre Erziehung in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt.“ Diesmal galt sein Blick Hazel, der, so sehr er es auch zu verbergen suchte, erneut heftig zu zittern begann. „Hör auf damit“, knurrte ich und strich mir die Eulenfedern von der Kleidung. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich Noëls aufmerksamen und Hazels ängstlichen Blick. Anoha hob in einer abwehrenden Geste die Hände. „Was denn, was denn? Wenn man sie nicht erzieht, machen sie nur Unfug. Und sag mir nicht, das wäre geschmacklos. Wie du weißt besitze ich einen ganz ausgezeichneten Geschmack, schließlich schätze ich sowohl dich als auch die hier.“ Er streichelte liebevoll über die bauchige Weinflasche. Nun, zumindest hatte er diesmal eine diplomatische Reihenfolge seiner Aufzählung gewählt. Er betrachtete mich einen Moment und biss sich auf den Finger um nicht zu lachen. „Wie wär‘s? Wenn du willst kann Hazel dir die Haare kämmen. Er macht das wirklich ganz ausgezeichnet.“ Ich warf einen kurzen Blick auf den verschüchterten jungen Mann, dann öffnete ich mein Haarband und schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich bin es gewohnt das allein zu machen.“ Er beobachtete mich dabei, wie ich es erneut zusammenband und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Sie sind lang geworden“, bemerkte er und damit hatte er zweifellos recht. Für gewöhnlich trug ich sie selten mehr als schulterlang, doch nun reichten sie mir bereits bis zur Hüfte. „Ich werde sie mir bald wieder schneiden lassen“, antwortete ich. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wandelte sich langsam von Be- zu Verwunderung. „Weißt du was mir einfach nicht in den Kopf will?“ Er erwartete wohl keine Antwort, daher schwieg ich. „Du bist ein verdammt gutaussehender Mann, Miguel Veleno. Jetzt sieh mich nicht so an, du weißt ja wohl hoffentlich, dass ich recht habe. Ehrlich gesagt, je älter du wirst, desto besser siehst du aus.“ „Danke“, erwiderte ich, reichlich verwirrt. Ich war es nicht gewohnt, dass man mir Komplimente machte. Vor allem nicht zu meinem Erscheinungsbild, dass man gewiss als gepflegt, aber doch eher durchschnittlich bezeichnen konnte. „Was ich nicht verstehe, ist“, begann er von Neuem, „warum jemand wie du keine Frau an seiner Seite hat.“ Ich spürte wie mir das Blut ins Gesicht schoss und wandte den Blick ab. „Ich meine, du bist ja nicht festgelegt. Wenn du von Frauen erstmal nichts wissen willst, kannst du dir ja auch was anderes Hübsches suchen. Sollte für dich doch kein Problem sein. Auch wenn es beim letzten Mal nicht so gut geklappt ha-.“ „Könnten wir dieses Thema bitte auf sich beruhen lassen“, unterbrach ich ihn, bevor er noch mehr sagen konnte. Allein bei dem Gedanken daran, zog sich meine Brust schmerzhaft zusammen. Ich hatte nicht vergessen, was mein letzter Partner mir zum Abschied gesagt hatte, wenngleich ich es bis vor kurzem einigermaßen erfolgreich verdrängt hatte. Es herrschte unangenehmes Schweigen, dann fragte Hazel vorsichtig: „Meister, soll ich Eure Gäste in den Salon führen.“ „Sieh da, du setzt deinen Kopf ja doch manchmal zum denken ein. Nun gut, gehen wir.“ Die Bemerkung seines Meisters färbte das Gesicht des jungen Mannes dunkelrot. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen“, murmelte er und wir schlossen uns ihm wortlos an. Es dauerte eine Weile bis wir den Salon erreichten und Anoha wusste die Zeit mit einigen Anekdoten und wissenswertem über das Haus zu füllen. Es erstaunte mich, dass er sich so für Architektur interessierte, aber wahrscheinlich hatte er sich nur damit beschäftigt, um mir eine Freude zu machen. Er wusste, dass mich historische Gebäude faszinierten. „Ich hab mir den ganzen Mist echt nur eingepaukt, damit du dich freust“, murrte er und bestätigte damit meine Vermutung. „War nicht leicht, also freu dich gefälligst!“ „Danke, ich freue mich“, erwiderte ich lächelnd und er verzog ein wenig das Gesicht. Ich kannte Anoha lange und gut genug um zu wissen, dass dies seine Art war, sich für den Patzer, den er sich mit der Anspielung auf meine früheren Beziehungen geleistet hatte, zu entschuldigen und ihn wieder gut zu machen. Er hatte schon immer Schwierigkeiten damit gehabt, sich einfach direkt bei jemandem, dem er in irgendeiner Weise zu nahe getreten war, zu entschuldigen. Als wir wenig später den Salon betraten, war er jedoch wieder ganz der Herr des Hauses. „So mein lieber Miguel, nun erzähl mir doch mal, wer ist eigentlich dieser reizende junge Mann, den du da bei dir hast?“, fragte er, nachdem Hazel zwei Kristallgläser für uns bereitgestellt und, nachdem Anoha die Flasche entkorkt hatte, den Wein eingegossen hatte. Ich warf Noël einen kurzen Blick zu, doch seine Gesichtszüge waren vollkommen unbewegt. „Sein Name ist Noël.“ „Ja haben wir denn schon wieder Weihnachten?“, spöttelte Anoha und zwinkerte mir zu. „Und, ist er ein Geschenk?“ „Nun, wenn du mehr über ihn wissen möchtest, solltest du ihn vielleicht besser selbst fragen“, wich ich ihm aus und stellte leicht frustriert fest, dass ich ihm tatsächlich nicht viel mehr über Noël hätte sagen können. Anoha sah Noël an, doch dieser blieb stumm. „Also“, unser Gastgeber stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf die Hände, „wie wäre es, wenn du ein wenig von dir erzählen würdest?“ Ich bemühte mich, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen, da ich noch immer – und vermutlich weit mehr als Anoha – daran interessiert war, mehr über den jungen Erschaffenen zu erfahren. „Ihr seid nicht mein Meister. Ich bin nicht verpflichtet Euch zu antworten.“ Verblüfft sah ich Noël an und entdeckte, als ich mich wieder Anoha zuwandte, in dessen Gesicht den gleichen Ausdruck. Er fasste sich jedoch beinahe ebenso schnell wieder wie ich. „Also eigentlich bist du jedem Meister eine Antwort schuldig, wenn er dich etwas fragt. Insbesondere da du, wenn ich mich nicht sehr täusche, im Augenblick herrenlos bist“, meinte Anoha lächelnd. Noël verzog keine Miene, doch ich spürte die Feindseligkeit, die von ihm ausging. „Na wie auch immer. Ich bin Miguels Freund, daher kannst du ruhig mit mir sprechen.“ „Ein Freund? Was seid Ihr für ein Freund, wenn Ihr ihm gedankenlos solche Schmerzen zufügt?“, platze Noël heraus und einen langen Moment hatte ich das Gefühl nicht atmen zu können. Ich sah etwas in Anohas Augen aufblitzen, etwas gefährliches und ich fürchtete schon er würde sich zu einer unbedachten Reaktion hinreißen lassen, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen verzog Anoha das Gesicht und sah mich mit einer Mischung aus Mitgefühl und Enttäuschung an. „Wo hast du den denn aufgelesen? Wirklich Miguel, sag mir bitte, dass das nicht wahr ist. So einsam kannst du doch nicht gewesen sein.“ Ich sah die Röte auf Noëls Wangen und den Zorn in seinen Augen und wusste, dass Anoha genau das bezweckt hatte. „Ich meine, es ist so offensichtlich, dass er dir nicht gut tut“, er seufzte theatralisch und schüttelte den Kopf. „Ganz ehrlich, entweder erziehst du ihn anständig oder du setzt ihn schnellstens vor die Tür.“ „Das geht Euch überhaupt nichts an“, zischte Noël, seine Stimme war voll kalter Wut. „Ach? Nun, mein Kleiner, da irrst du dich. Ich bin nämlich Miguels Freund und als solcher komme ich nicht umhin zu bemerken, dass er schlechte Laune hat. Ich kannte ihn schon, da warst du noch gar nicht geboren, und in all der Zeit habe ich ihn noch nie so ungehalten gesehen. Und merkwürdig, irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du der Grund dafür bist.“ Einen Moment lang schien es, als wolle Noël etwas erwidern, doch er tat es nicht. Stattdessen biss er sich auf die Unterlippe und senkte den Blick. Seine ganze Haltung drückte Widerwillen und Ablehnung aus. Ich wusste, dass ich mich längst in diese Unterredung hätte einmischen sollen, doch Noëls Reaktion irritierte mich. Bisher hatte er, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wenig Interesse daran gezeigt, durch seine Anwesenheit einen positiven Beitrag zu meinem Leben zu leisten. Weshalb also traf ihn Anohas Hinweis darauf? Hazels husten unterbrach uns. Sein Zittern war wieder stärker geworden und seine Augen flackerten unruhig. „Meister, würdet Ihr es gestatten, dass“, er schluckte heftig und sein Gesicht wurde noch eine Spur bleicher, „dass ich mich zurückziehe?“ „Was ist mit ihm?“, fragte ich Anoha, den der erbarmungswürdige Anblick, den der junge Erschaffene bot, kaum mehr als nachdenklich zu stimmen schien. „Er hat Hunger“, erwiderte er und entließ den Anderen mit einer Handbewegung. Schon wandte sich Anohas Diener von uns ab, als sein Meister ihn noch einmal zurückbeorderte. „Hazel, nimm doch Noël mit. Miguel und ich haben noch einiges zu besprechen, ihr könnt ja solange spielen gehen.“ Für einen Moment sah ich Zorn die Besorgnis in Noëls Gesicht überlagern, dann sah er mich fragend an. „Geh nur“, sagte ich und meinte Erleichterung bei ihm zu bemerken. Dann war er auch schon an der Seite seines Freundes und verließ gemeinsam mit ihm den Raum. „Also, was genau bezweckst du damit?“, fragte ich, kaum dass sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte. „Was bezwecke ich womit?“, erkundigte sich Anoha betont unschuldig, doch ein Blick genügte um ihn davon zu überzeugen, dass es dem Frieden mehr diente, wenn er mir antwortete. „Ich wollte wissen wie er zu dir steht. Falls es dir nicht aufgefallen ist, vorhin in der Halle sah er aus, als wolle er Rosalie und Pirikuan am liebsten auffressen und der Blick den er dir zugeworfen hat war auch nicht gerade nett. Als ich dich umarmt habe schien er – wie würdest du es ausdrücken? – ziemlich verstimmt zu sein und seine heftige Reaktion auf ein paar kleine Wahrheiten spricht auch für sich, wie ich finde.“ Er grinste als er meinen fragenden Blick bemerkte und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. „Also, wenn ich es mal ganz grob zusammenfassen darf, deine Sorge, dass du ihm gleichgültig sein könntest, ist absolut unbegründet. Entweder kann er es nicht leiden, dass du ihn wie ein entlaufenes Kätzchen behandelst und – seiner Logik nach – damit auf eine Stufe mit Eulen und Fledermäusen stellst oder er ist total in dich verschossen – wobei das eine das andere nicht ausschließt“, fügte er nach kurzer Überlegung hinzu. Ich konnte ihn nur erstaunt anstarren. „Er ist, bitte was?“ Anoha verdrehte ungeduldig die Augen. „In dich verschossen, verliebt, verknallt, scharf auf dich.“ Zweifelnd sah ich ihn an, dann schüttelte ich den Kopf. „Anoha, ich verstehe wirklich nicht, worauf diese Annahme basieren soll. Er hasst geborene Vampire, ganz besonders adlige, was seine Reaktion dir gegenüber erklärt und womöglich auch die bezüglich deiner Tiere.“ „Also bitte“, sagte er vorwurfsvoll und in einer Weise, als fände er diese Interpretation der Dinge vollkommen abwegig. „Anoha, er weigert sich die meiste Zeit mit mir zu reden, ja selbst mit mir in einem Raum zu sein! Nimm es mir nicht übel, aber mir erscheint das nicht gerade als Liebesbeweis.“ „Was soll er denn tun?“, grummelte Anoha. „Sich dir an den Hals werfen und dir einen Heiratsantrag machen?“ „Nun“, antwortete ich resigniert, „er könnte damit beginnen mit mir zu sprechen.“ Anoha musterte mich aufmerksam. „Und du? Sprichst du denn mit ihm?“ Ich seufzte. „Ich habe es versucht, glaub mir, und ich versuche es noch, aber...“ Mein Freund machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich meine darüber wie du dich fühlst.“ „Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihn das interessiert“, erwiderte ich wahrheitsgemäß und er stöhnte, als hätte er einen besonders begriffsstutzigen Schüler vor sich. „Okay, okay. Weißt du was dein Problem ist?“ Ich war durchaus interessiert daran zu erfahren, auf welche meiner weniger liebenswerten Eigenschaften er anspielte und wartete gespannt darauf, dass er weitersprach.“ „Du bist viel zu gutmütig. Wenn du etwas willst oder dir etwas nicht passt, dann musst du das auch sagen.“ Da ich ihn nicht unterbrach fuhr er fort: „Hör mal, ich kenne dich jetzt schon ziemlich lange.“ „667 Jahre, 314 Tage, 22 Stunden, 18 Minuten und 7 Sekunden um genau zu sein.“ Es dauerte einen Moment, bis sich sein Erstaunen wieder legte, er den Mund schloss und seine Sprache wiederfand. „Äh, ja, kann schon sein, danke. Verdammt, worauf wollte ich hinaus?“ „Dass wir uns schon sehr lange kennen“, erwiderte ich lächelnd. „Nein, das davor!“ „Dass ich zu gutmütig bin.“ „Richtig, richtig! Also, die Sache ist die: Du bist nett, höflich, freundlich, zurückhaltend, hilfsbereit, verständnisvoll, gewissenhaft, pflichtbewusst, rücksichtsvoll und – abgesehen von deinem etwas abgefahrenen Faible für die Etikette der Vormoderne – ein grundaufrichtiger und liebenswerter Kerl.“ „Und...das ist ein Problem?“, fragte ich ein wenig irritiert, unschlüssig, ob ich mich für dieses Kompliment bedanken sollte. „Nein, ja, ach verdammt hör mir einfach bis zum Ende zu! Das Problem ist, dass du immer alles in dich hineinfrisst. Ich kenne dich schon ziemlich lange und deshalb kann ich die Zeichen die du gibst inzwischen ganz gut deuten, aber...“, er schüttelte den Kopf, „das kannst du von diesem Jungen nicht erwarten. Keine Ahnung was er angestellt hat, dass du so sauer bist, aber wenn du‘s ihm nicht direkt ins Gesicht sagst, wird er‘s nicht verstehen.“ Er machte eine Pause, dann begann er von Neuem. „Weißt du, was dein Problem ist?“ Ich wartete gespannt darauf, welches neue Problem er mir nun als das meine eröffnen wollte. „Du bist ein Sammler.“ Fragend musterte ich ihn. Ich verstand nicht recht, was genau daran problematisch sein sollte, zumal diese Eigenschaft für einen Bibliothekar geradezu charakteristisch war. Er fing meinen Blick auf und verzog das Gesicht. „Sieh mich nicht so an! Ich rede nicht von deinen verdammt...interessanten Büchern“, gelang es ihm im letzten Moment, seine eigentliche Aussage zurückzunehmen. „Es geht um deine Gefühle! Etwas ärgert dich und du sagst nichts. Jemand kränkt dich und du sagst nichts. Herrgott noch mal, selbst wenn du in jemanden verliebt bist sagst du nichts! Und immer überlässt du es anderen, deine Gesten zu interpretieren!“ Ich wollte etwas erwidern, doch Anoha hob abwehrend die Hand, noch bevor ich die leise Kränkung die ich empfand in Worte kleiden konnte. „Das ist kein Vorwurf, Miguel. Ehrlich, es ist sogar etwas, das ich ziemlich gerne an dir mag, aber du schadest dir damit vor allem selbst. Ich meine, es ist ja nicht so, dass du diese Gedanken und Gefühle nicht hättest. Aber weißt du, du zerdenkst immer alles. Du machst immer alles mit dir selbst aus. Die Gefühle stauen sich an und BUMM, irgendwann gibt es die große Explosion.“ Ich musste zugeben, dass er nicht unrecht hatte. Es war ganz zweifellos eine meiner Schwächen, dass ich zu viel über bestimmte Dinge nachdachte, ohne sie jemals zur Sprache zu bringen. Gedankenverloren sah ich vor mich hin und schrak zusammen, als Anoha plötzlich heftig mit der Hand auf den Tisch schlug. „Da! Du tust es schon wieder. Sag doch einfach was du denkst!“ „Vielleicht hast du recht“, erwiderte ich langsam, doch er unterbrach mich. „Danke, aber warte, ich gebe dir ein Beispiel. Erinnerst du dich daran, wie du mir damals eine Ohrfeige verpasst hast?“ Betroffen senkte ich den Blick. Es dauerte einen Moment, bis ich ihm antworten konnte. „Ja und ich schäme mich noch heute dafür.“ „Und das ist falsch“, sagte er und als ich den Kopf hob sah ich, dass er mit dem Finger auf mich zeigte. „Du hattest nämlich allen Grund dazu. Ich hatte sie verdient. Und weißt du was das Gute daran war?“ „Nein.“ „Dass ich es in diesem Moment kapiert habe. Dass ich ein verdammter, unsensibler, egoistischer Klotz war, der nur Müll geredet und überhaupt nicht verstanden hat, wie sehr dich die Trennung von Sarah verletzt hat. Du warst so ruhig und gefasst, dass ich einfach nicht begriffen habe, dass es dir verdammt noch mal das Herz gebrochen hat. Dass ich in einer klaffenden Wunde herumgestochert, ach was, gewühlt habe, die du so mühsam versteckt hattest. Und ich hatte dich auch noch dazu gebracht etwas zu tun, das du eigentlich strikt ablehnst – Gewalt anzuwenden und jemandem Schmerzen zuzufügen. Glaub mir, ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so schäbig gefühlt, wie in diesem Moment. Weil ich die verdammten Zeichen, die du mir gegeben hast, nicht gesehen habe. Weil ich auf dir herumgetrampelt bin, anstatt dir aufzuhelfen. Weil ich – weil du immer so aufrecht vor mir standest – nicht bemerkt habe, dass du längst am Boden lagst.“ Er hielt inne und der Raum war erfüllt von bedrückendem Schweigen. Es war lange her, dass ich so deutlich an jene Ereignisse erinnert wurde. Und mit den Erinnerungen, kehrte auch der Schmerz zurück. Nicht so stark wie früher, nein, bei weitem nicht so stark, aber er waren immer noch da. Meine Gedanken drohten abzudriften, sich erneut in den Ereignissen jener Zeit zu verlieren, doch Anohas Stimme holte mich in die Gegenwart zurück. „Da habe ich dich zum ersten Mal weinen sehen. Ich weiß noch wie mir der Kopf dröhnte, wie meine Wange glühte und deine Hand zitterte. Das war der einzige große Gefühlsausbruch, den ich jemals bei dir erlebt habe.“ Wieder schwieg er, doch diesmal kaum mehr als einen Atemzug lang. „Und deshalb, also, ich weiß ja nicht, was du mit dem Jungen vorhast, aber bevor du irgendetwas unüberlegtes tust oder eine deiner lang erwogenen, aber wieder mal nur mit dir selbst ausgemachten Entscheidungen fällst, sprich mit ihm. Bind ihn an einen Stuhl oder fessel ihn ans Bett wenn es sein muss, aber rede mit ihm.“ Er schnaubte missbilligend. „Obwohl ich persönlich ihn ja mit einem Tritt in den Hintern vor die Tür setzen würde. Und ich hoffe sehr, dass du das auch tust, falls das Gespräch nicht das bewirkt, was du dir erhofft hast.“ Ich musste lachen. Er erinnerte mich so sehr an den Anoha, wie er früher gewesen war. Zu einer Zeit, in der wir uns verstanden und einander häufig Gesellschaft geleistet hatten. „Ja, das wäre wohl das Vernünftigste“, erwiderte ich und wusste, dass er recht hatte. Ich musste ohnehin irgendwann eine Entscheidung treffen. „Eben“, bekräftigte er, bevor ich wieder in Grübelei verfallen konnte. „Aber hör mal Miguel.“ „Noch ein Problem, das ich habe?“, fragte ich augenzwinkernd und er grinste. „Nein, weil ich es zu lösen gedenke, bevor es eines wird.“ „Oh?“ „Ich weiß du bist einsam und dass obwohl wir beide wissen, dass dir das nicht gut bekommt. Leugnen ist zwecklos. Wenn du dir so einen Charmebolzen ins Haus holst und dich auch nach Monaten noch nicht nach einer anderen Unterbringungsmöglichkeit umgesehen hast, spricht das ja wohl für sich.“ „Verzeihung“, unterbrach ich ihn, „was war das für ein Wort? Das mit Charme am Anfang.“ Anoha winkte ab. „Ach schon gut, schon gut, spar dir das dozieren. Ich weiß, dass meine Ausdrucksweise nicht die beste ist.“ Etwas, das sie auch nie gewesen war. Ich lächelte ihn entschuldigend an. „Nein, du missverstehst mich. Ich wollte dich fragen, was es bedeutet.“ Er musterte mich zweifelnd, als sei er nicht sicher, ob er diesen Begriff meinem Wortschatz hinzufügen sollte. „...Dass er keinen Charme besitzt und zwar in dem Sinne, dass er ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse ist.“ „Charmebolzen“, wiederholte ich nachdenklich und er verfiel in ausgelassenes Gelächter. „Wenn du es sagst, ist es echt zum Brüllen!“ Ich verzog ein wenig pikiert das Gesicht und er beeilte sich, mich wieder zu besänftigen. „Schon gut, schon gut. Also, was ich eigentlich sagen wollte, ist, du kannst ruhig öfter vorbeikommen. Außerdem kenne ich eine Menge interessanter Leute. Ich könnte dir ein paar ganz reizende junge Damen vorstellen.“ „Ich fürchte, das ist keine besonders gut Idee“, bemerkte ich mit leichtem Zweifel in der Stimme, lächelte jedoch. Es freute mich, dass er so um mich und mein Wohl besorgt war. „Wieso? Zweifelst du an meinem Geschmack?“ „Nein, es ist nur... Ich denke nicht, dass ich besonders interessant bin – schon gar nicht für junge Damen.“ Mit einer einfachen Handbewegung schob er meinen Einwand beiseite. „Du siehst gut aus, du hast Geld und im Gegensatz zu mir sind deine Manieren tadellos. Und wenn du jemanden liebst, dann tust du es mit absoluter Hingabe. Was kann sich eine Frau denn mehr wünschen?“ Eine ganze Menge, dachte ich, sprach es jedoch nicht aus. Stattdessen fragte ich ihn: „Denkst du nicht, dass du mir ein wenig zu sehr schmeichelst? Deine Erfolge bei Frauen sprechen für dich.“ Mein Freund verzog sehr eindrucksvoll das Gesicht. „Wusstest du übrigens, dass es dir an Selbstvertrauen mangelt?“ „Bevor ich hierher kam, war mir gar nicht bewusst wie viele Probleme ich habe“, bemerkte ich lächelnd. „Nun, dafür hast du ja mich.“ Ich lächelte still vor mich hin und wir schwiegen eine Weile, bis Anoha schließlich mit einem Ausdruck der Entschlossenheit auf dem Gesicht in die Hände klatschte. „So, und nun genug von all den ernsten Themen. Darüber werde ich immer ganz trübsinnig.“ Ich konnte es mir nicht vorstellen, nicht bei Anohas Charakter. Er war ein zu positiv denkender und in gewisser Weise auch leichtfertiger Mann, als dass er jemals über etwas trübsinnig geworden wäre. Aber ich wusste, dass er von jeher schlecht mit Problemen umgehen konnte und es daher vorzog, ihnen aus dem Weg zu gehen. Und da es in diesem Fall bedeutete, von meinen charakterlichen Schwächen abzulenken, hatte ich auch nicht das Geringste dagegen einzuwenden. In den folgenden Stunden sprachen wir über alles mögliche und wie üblich kam Anoha nicht umhin, mich über alle nennenswerten Ereignisse innerhalb der herrschenden Familien zu informieren. Nachdem wir die Flasche Wein, die ich ihm als Geschenk mitgebracht hatte, geleert hatten, wechselten wir zu einem ausgezeichneten Whisky. Vermutlich, weil er den Vergleich scheute und auch tatsächlich eine gewisse Gefahr bestand, dass in dieser Nacht jeder andere Wein schal schmecken würde. „Sag mal, wie findest du eigentlich meinen Kleinen?“ Ich lächelte still in mich hinein. Ich hatte mich bereits gefragt, wann er dieses Thema anschneiden würde – denn ich war sicher gewesen er würde es tun – und jetzt, da er schließlich auf Hazel zu sprechen kam, war Anoha bereits merklich angeheitert. „Er wirkte sehr nervös.“ Anoha machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist er immer. War er schon immer. Sonst noch was?“ Ich wusste, was er hören wollte und beschloss, ihn nicht länger auf die Folter zu spannen. „Nun, er ist hübsch.“ „Das ist alles?“, fragte er sichtlich enttäuscht, da ihm mein Lob zweifellos nicht überschwänglich genug gewesen war. „Was möchtest du denn hören?“ Anstatt zu antworten leerte er sein Glas in einem Zug und schenkte sich erneut Whisky nach. Er musterte mich, dann neigte er sich zu mir, seine Stimme hatte einen leisen, vertraulichen Klang. „Möchtest du ihn mal ausprobieren?“ „Anoha!“, erwiderte ich streng und auch ein wenig vorwurfsvoll. Ich wusste, dass diese Art zu denken von Anohas Bekanntschaften auf diversen Partys herrührte. Von Freunden, die ihm meiner Meinung nach nicht gut taten und die der Grund dafür waren, dass Anoha und ich uns auseinander gelebt hatten. „Was denn?“, fragte er und schmollte dabei wie ein kleines Kind. „Er ist wirklich gut. Er würde dir gefallen und da du mein Freund bist, würde ich es dir erlauben.“ Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Was sollte ich dazu sagen? Einerseits war es sehr nett von Anoha, dass er mich so offen als seinen Freund bezeichnete, einen Status den ich bereits verloren zu haben geglaubt hatte. Und auch die Tatsache etwas mit mir teilen zu wollen, das für ihn offensichtlich einen nicht zu unterschätzenden Wert besaß, war durchaus ein feiner Zug von ihm. Nur, dass wir hier von einer Person sprachen und ich ihm klar machen musste, dass dieses Angebot ziemlich daneben war. „Du weißt, dass ich sowas nicht mag.“ „Ja, ja. Er hätte dir trotzdem gefallen“, schmollte er noch immer und so beschloss ich, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Ist ja gut. Du sagtest, er sei schon immer so gewesen. Also kanntest du ihn von früher?“ „Ja. Ich war zwei, drei Mal bei Urag eingeladen, da hab ich ihn gesehen – und auch mal mit ihm gesprochen. Da hieß er noch Undine. Bescheuerter Name, oder?“ Ich nickte zustimmend. Mir war ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf gegangen. „Na jedenfalls war er da auch schon so. Hat kaum die Kiefer auseinander gekriegt, als ich mich mit ihm unterhalten habe. War immer darauf bedacht ja alles richtig zu machen. Ich fand ihn süß, aber Urag wollte ihn natürlich nicht rausrücken. Also hab ich im Scherz zu ihm gesagt, dass er ihn zu mir schicken soll, wenn er irgendwann mal genug von ihm hat. Dem Kleinen hab ich‘s auch gesagt. Und dann stand er eines Nachts vor meiner Tür. Da hab ich erst erfahren, dass Urag tot ist.“ „Noël gehörte auch zu Urags Gefolge. Hast du ihn dort nie gesehen?“ „Ach Miguel. Der Mann hatte dutzende von Sklaven, wahrscheinlich sogar hunderte.“ Er klang wenig hoffnungsvoll, dennoch war ihm anzusehen, dass er ernsthaft darüber nachdachte. „Warte mal... Doch, da war etwas...“ In gespannter Erwartung betrachtete ich meinen Freund und hoffte, dass seine Erinnerung noch ein wenig mehr zutage fördern würde, als mir bisher bekannt war. Eine Weile dachte er angestrengt nach, dann schnippte er plötzlich mit den Fingern und sah mich mit einem Ausdruck des Triumphs an. „Ha! Ich hab's! Urag hat damals irgendeine Bemerkung über Gehorsam gemacht. Undine hat er lobend erwähnt, während er ihn begrapscht hat und dann sagte er irgendetwas davon, dass es letztlich nur eine Frage der richtigen Erziehung sei – oder so ähnlich. Na egal, jedenfalls dreht er sich dabei halb nach hinten um und sagt mit einem ekelhaften Grinsen „Nicht wahr Noël?“. Ich bin vorhin nicht drauf gekommen, weil er es ganz anders ausgesprochen hat als du. Wirklich, jetzt wo ich daran denke, er hatte eine Art diesen Namen auszusprechen, dass man eine Gänsehaut davon bekam.“ „Du hast ihn nicht wiedererkannt.“ „Nein, es war ja nur ein kurzer Moment. Außerdem sah er damals ganz anders aus. Urag hatte da gerade so ein Faible für Rothaarige, deshalb hat er allen die Haare färben lassen. Außerdem sah der Junge aus, als wäre er unter eine Kutsche geraten. Ich hab ja nur sein Gesicht und seine Hände gesehen, außerdem war das Licht schlecht, aber ich wette, du hättest alles finden können, was der Farbkasten hergibt.“ Ich schauderte. „Eigentlich mochte Urag Gerede, also ich meine, wenn etwas los war und es hoch herging. Deshalb habe ich auch nicht kapiert, warum sie damals alle nicht geredet haben. Ich wusste ja von anderen Besuchern, dass sie es sehr wohl konnten. Undine, Hazel, hat mir später erzählt, dass das auch so eine Marotte von Urag war. Obwohl Marotte es wohl nicht so ganz trifft. Er hat sich immer neue Dinge einfallen lassen, um seine Dienerschaft zu schikanieren. Bei meinem Besuch damals hatte er gerade die Grabesstille ausgerufen. Niemand spricht, außer er wird von Urag persönlich dazu aufgefordert. Na, du kannst dir sicher vorstellen wie lustig das die feinen Herren fanden, die dort vorbeikamen. Haben sicher viel Spaß dabei gehabt sie dafür zu bestrafen, dass sie nicht höflich antworteten, wenn sie was gefragt wurden. Übrigens waren Laute jeglicher Art in jeglicher Situation verboten.“ Es brauchte nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, was das für die Erschaffenen bedeutet hatte. Mir lief ein Schauder über den Rücken und mit einem Mal fiel mir das Schlucken schwer. „Hazel hält sich übrigens bis heute daran. Alles richtig machen und bloß nichts falsches sagen.“ „Warum hast du...“, begann ich, doch er fiel mir ins Wort. „Warum ich ihnen damals nicht geholfen habe?“ Er schnaubte. „Weil es mich nicht interessiert hat und ich wusste, dass es sowieso nichts nützen würde. Urag hatte sie geschaffen, sie waren sein Eigentum und er konnte mit ihnen tun und lassen was er wollte. Du weißt genauso gut wie ich, dass sie keine Rechte haben. Jetzt da Urag tot ist regen sich alle auf, aber wer hat denn etwas gegen ihn unternommen? Jeder wusste von ihm und davon, was er tat. Manche weniger, andere mehr, aber gewusst hat es jeder. Auch du, Miguel.“ Ich senkte betreten den Blick. Er hatte recht und ganz gleich wie viel Reue ich auch empfinden mochte, ich konnte es nicht ungeschehen machen. „Mach dir nichts draus, es hätte sowieso nichts geändert. Selbst wenn er den Unwillen der Obrigkeit erregt hätte, dann hätte er eben vorübergehend niemanden mehr eingeladen oder sie zum Stillschweigen verpflichtet. Was soll‘s? Er hätte genau so weitergemacht wie bisher, nur eben ohne Publikum.“ „Das meinte ich nicht“, sagte ich und spülte den bitteren Geschmack in meinem Mund mit einem Schluck Whisky hinunter. „Was?“ „Ich wollte dich eigentlich etwas anderes fragen.“ „Oh.“ Er wollte es mir gleich tun, doch sein Glas war bereits leer. Wortlos schenkte ich ihm nach. „Danke. Also, was wolltest du wissen?“ „Wenn du es weißt, ich meine, wenn du weißt, was Urag ihm angetan hat, warum ängstigst du ihn dann noch mehr?“ Er drehte das Glas in seiner Hand und sah mich eine ganze Weile wortlos an. Dann beugte er sich plötzlich vor und begann in rasantem Tempo zu sprechen: „Okay, ich gebe es zu, ich hab Spaß daran. Ja, es macht mir Spaß Streiche zu spielen, wie das vorhin mit dem Fenster. Und ja, ich mag es Leute aufzuziehen und nochmal ja, ich finde es einfach umwerfend, wenn er mich mit seinen großen Rehaugen anschaut und zittert wie ein frierender Welpe. Okay? Das find ich so fantastisch, dass ich ihn am liebsten auf der Stelle flachlegen möchte, klar?“ Ich war sprachlos. Sein plötzliches Geständnis hatte mich vollkommen aus dem Konzept gebracht. Bevor ich jedoch die Zeit hatte mich zu sammeln, begann er bereits mit einer Erklärung. „Aber ich mache ihm verdammt noch mal nicht absichtlich Angst, okay? Erinnere dich bitte an unser Gespräch in der Empfangshalle. Was hast du gedacht als ich mit ihm gesprochen habe und du seine Reaktion gesehen hast?“ Ich überlegte kurz, dann antwortete ich: „Dass er offenbar mehr weiß als ich. Er hat gezittert wie Espenlaub, obwohl ich keine Drohung aus deinen Worten herausgehört habe.“ „Eben! Ich habe ihm auch nicht gedroht. Ich habe ihn ein bisschen aufgezogen, weil er so fahrig war und das obwohl er doch immer so darum bemüht ist alles perfekt zu machen. Dass er mir Schande bereitet, weil er euch 10 Sekunden später als üblich die Mäntel abnimmt! Ha! Wer glaubt denn sowas?“ „Er hat es geglaubt“, erwiderte ich ruhig und sofort lenkte Anoha, sichtlich zerknirscht, ein. „Ich weiß, ich weiß! Verdammt ich weiß, dass ich nicht ganz einfach bin und ich war auch bestimmt nicht immer nett zu ihm, aber ich schwöre dir, ich habe ihn nicht ein einziges Mal bestraft!“ Ich dachte einen Moment darüber nach, dann sagte ich: „Aber er schläft mit dir.“ Anoha blickte grimmig drein. „Nein, ich schlafe mit ihm.“ „Du zwingst ihn doch nicht dazu?“, fragte ich, ebenso ruhig wie zuvor. „Nein! Ja. Ich weiß es nicht, verdammt! Er lehnt nicht ab und er wehrt sich nicht, okay? Und wenn du sehen könntest, wie er mich dabei anschaut und umarmt, dann hättest du keinen Zweifel daran, dass es ihm gefällt.“ Ich dachte eine Weile darüber nach, dann fragte ich ihn: „Möchtest du eine Vermutung hören?“ „Sicher, ich bin ganz Ohr.“ Ich verschränkte die Finger ineinander und neigte mich ein wenig nach vorn. „Also erstens, er hat Angst vor Bestrafung, vermutlich gewaltsamer, körperlicher Art.“ „Da bin ich sicher, akzeptiert.“ „Zweitens, womöglich hat er gar keine Angst vor dir, sondern davor dir lästig zu werden und dass du das Interesse an ihm verlieren und ihn verstoßen könntest. Das würde ihn mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben kosten. Und wenn er dich mag, dann hat er noch weitaus mehr zu verlieren.“ Anoha starrte mich an, als hätte ich ihm den heiligen Gral auf einem Silbertablett gereicht. „Meinst du wirklich? Ich meine, das hältst du für möglich? So habe ich es noch nie betrachtet.“ Er hatte sich ganz offenbar auf den zweiten Teil meiner Aussage konzentriert und ich wollte ihn weder entmutigen, noch ihm falsche Hoffnungen machen. „Wie gesagt, es ist nur eine Vermutung. Aber warum fragst du ihn nicht selbst?“, fügte ich neckend hinzu und er verzog augenblicklich das Gesicht. „Mit den eigenen Waffen geschlagen! Was bin ich doch für ein Glückskind! Weißt du was mein Problem ist? Ich pflege Freundschaft mit einem Mann, der so verdammt intelligent ist, das ich mir neben ihm immer wie ein Idiot vorkomme.“ Ich lächelte. „Wie nett. Stellst du ihn mir mal vor?“ „Besser nicht. Ihr könntet euch verstehen“, erwiderte er grinsend und ich nahm das Kompliment mit einem stillen Lächeln entgegen. „Aber sag mal, warum fütterst du ihn nicht, wenn er so hungrig ist?“, nahm ich das Thema wieder auf und als Antwort seufzte mein Freund tief. „Wenn das so einfach wäre! Manchmal denke ich, Hazel wäre in einem Kloster bestens aufgehoben. Aber wer weiß, wo Urag ihn aufgelesen hat. Mir persönlich macht das Füttern sehr viel Spaß, aber er zögert es immer so lange hinaus, bis er wirklich kaum noch stehen kann. Keine Ahnung ob er sich etwas beweisen will oder einfach Angst hat, sich jemandem so auszuliefern.“ „Oder dir lästig zu werden“, erinnerte ich ihn und er warf mir einen mürrischen Blick zu. „Blödsinn!“ „Sag es ihm“, erwiderte ich freundlich und bemerkte das Unbehagen, das diese Forderung bei ihm auslöste. „Jedenfalls ist er dann jedes mal völlig entkräftet und sehr anschmiegsam.“ Er unterstrich seine Worte mit einem genussvollen Schnurren. Dann beugte er sich plötzlich nach vorn und sah mich mit einem Ausdruck größten Interesses an. „Wie ist das bei euch?“ Diesmal war es an mir, meine Mundwinkel in Richtung meines Herzens zu bewegen. „Beim ersten Mal hat er mich fast umgebracht:“ Anoha zog die Brauen hoch. „Wow, liebenswertes Kerlchen.“ „Ansonsten... Ich weiß nicht, es kommt mir eher wie eine Pflichtübung vor.“ Er sah mich ungläubig an. „Echt? Also ehrlich und du behältst ihn bei dir, weil?“ Ich lachte verlegen. „Wie du schon sagtest, ich fürchte, die Einsamkeit bekommt mir nicht besonders gut. Aber noch mal zu etwas anderem. Ich habe kürzlich mit Kenai Ichimura über die Erschaffenen gesprochen.“ „Tatsächlich?“, fragte er interessiert. „Erzähl!“ Ich berichtete ihm, was Ichimura mir über die Erschaffenen erzählt hatte und Anoha hörte aufmerksam zu. Das freute mich, weil es bedeutete, dass ihm wirklich etwas an Hazel lag. Nachdem ich meinen Bericht beendet hatte schwiegen wir beide und als mein Freund schließlich wieder das Wort ergriff, klang er sehr nachdenklich. „Klingt, als sollte ich dafür sorgen, dass Hazel seine Essgewohnheiten noch einmal überdenkt.“ „Möglich, da kann ich dir leider nicht weiterhelfen. Ihr werdet selbst herausfinden müssen, was für ihn am besten ist.“ „Hm“, er nickte nachdenklich, dann hielt er inne und sah zu mir auf. „Was ist?“ „Ich dachte nur, es ist schön, dass du jemanden gefunden hast, der dir so am Herzen liegt“, antwortete ich und lächelte ihn sanft an. „Du liegst mir auch am Herzen“, murrte er und auf seinen Wangen zeichnete sich eine bemerkenswerte Röte ab. „Danke.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Keine Ursache.“ Erneut verfielen wir in Schweigen, jeder in Gedanken versunken. „Sag mal, stimmt es, dass Urag von einem seiner eigenen Gefolgsleute ermordet wurde?“ Ich hatte das Gefühl als würde sich ein schwerer Gegenstand in meiner Kehle festsetzen. „Warum fragst du?“ „Die Sache wurde so hochgeputscht. Steel – du kennst ihn doch? – war hier und hat Fragen gestellt. Hazel hat gesagt er wüsste nicht wer es getan hat, aber ich vermute, er hat ihm nicht geglaubt.“ „Und du?“ „Ich?“ Er seufzte. „Ich weiß nicht. Er selbst war es nicht, dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen. Er ist viel zu ängstlich und würde keiner Fliege etwas zuleide tun. Er hätte auch gar nicht die Kraft dazu, einen Vampir wie Urag zu überwältigen. Nein, er war es nicht, da bin ich mir absolut sicher.“ Nachdenklich starrte er einen Moment ins Leere, dann fuhr er fort: „Vielleicht weiß er wirklich nicht wer es getan hat. Es würde allerdings zu ihm passen Stillschweigen zu bewahren, besonders wenn er die Person gut kannte. Es gab wohl nicht sehr viele Überlebende aus Urags Gefolge und Steel hatte vor sie alle zu befragen.“ „Ja, bei mir war er auch.“ „Und, was hat Noël dazu gesagt?“ „Er hat nicht mit ihm gesprochen. Steel und ich haben uns unterhalten.“ „Aha. Und was hat Noël nun dazu gesagt?“ „Er schien nicht gerade traurig darüber zu sein, dass Meister Urag getötet wurde“, antwortete ich nach einigem Zögern. Ich bedauerte es sehr, meinem Freund nicht die Wahrheit sagen zu können, auch wenn ich ihn nicht belogen hatte. Im Augenblick war es einfach zu gefährlich, ihn in die ganze Geschichte einzuweihen. Glücklicherweise hakte er nicht weiter nach. „Hah! Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Nimm‘s mir nicht übel, aber der Mistkerl hat bekommen was er verdient! Gelobet sei die Hand, die uns von ihm befreite, Amen!“ Diesmal sah ich davon ab ihn zu tadeln. „Nebenbei, wo hast du ihn eigentlich gefunden?“ Ich schilderte ihm in knapper Form die Ereignisse jener Nacht. Die Details, die Aufschluss darüber hätten geben können, dass Noël derjenige war, dem Urag sein Ableben zu verdanken hatte, ließ ich jedoch aus. Vielleicht würde ich Anoha eines Nachts ins Vertrauen ziehen, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Anoha nahm einen Schluck aus seinem Glas und ich folgte seinem Beispiel. „Anoha“, fragte ich ihn nach einigen Minuten des Schweigens, „hast du Hazel eigentlich zu deinem Gefolgsmann gemacht?“ „Nein. Urag ist tot, es erschien mir unnötig.“ Nachdenklich wog ich das Glas in meiner Hand. „Vielleicht solltest du es tun. Meister Urags plötzlicher Tod hat für ziemlichen Wirbel gesorgt und ich werde das Gefühl nicht los, dass Steel nicht der Letzte war, der sich für die von ihm Erschaffenen interessiert.“ Anoha schien einen Augenblick darüber nachzudenken, dann stimmte er mir zu. „Vielleicht hast du recht. Ich habe nicht vor, ihn mir von irgendjemandem streitig machen zu lassen. Nach dem was du berichtet hast bleibt nur zu hoffen, dass ich mächtiger bin als unser Freund Urag es war.“ Ich nickte ernst und fügte dann mit leisem Bedauern hinzu: „Ich wünschte, ich könnte das Gleiche für Noël tun.“ Er grinste. „Na hör sich das einer an. Du willst dir den kleinen Drachen also echt halten? Ich fange ja lieber mit einem Kätzchen an, aber wenn du natürlich mehr auf die großen bösen Fleischfresser stehst...“ Ich spürte wie mein Gesicht heiß wurde. Ich hatte es gar nicht laut sagen wollen, aber nun war es zu spät. „Ach sei still!“, murrte ich. „Ich übernehme die Verantwortung, das ist alles.“ Noch während ich es sagte wurde mir klar, dass ich es selbst nicht glaubte – und Anoha selbstverständlich auch nicht. „Ja natürlich“, meinte er ironisch, indem er das ‚ü‘ unnötig in die Länge zog. Dann fragte er, diesmal ernster: „Mal im Ernst, willst du mit ihm schlafen?“ „Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nicht nachgedacht“, gestand ich. „Mach keine Witze! Im Ernst? Grundgütiger, an dir hat der Himmel echt eine unschuldige Seele verloren.“ „Sehr komisch.“ „Nein, im Ernst! Glaubst du ich hab Hazel hier aufgenommen, weil ich braune Augen so mag? Nein, nein. Ich wollte ihn schon flachlegen, da hat er noch ganz und gar Urag gehört.“ „Und ich bin ein Idiot, weil ich nicht andauernd daran denke mit jemandem ins Bett zu steigen?“ „Na ja, zumindest ein hoffnungsloser Romantiker.“ Das Grinsen auf seinem Gesicht wurde noch eine Spur intensiver. „Und dafür hast du dir absolut zielsicher den Falschen ausgesucht. Ich wette der Kleine steht drauf richtig hart genommen zu werden. Die Kuscheltour kannst du bei dem vergessen.“ „Da er kein Interesse hat, wird nichts dergleichen stattfinden“, erwiderte ich, bemüht meine Stimme distanziert klingen zu lassen. Doch so leicht ließ sich Anoha nicht abschütteln. „Aber du hast Interesse?“, bohrte er weiter. „Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte ich ausweichend, doch er grinste nur und ich fühlte mich dabei äußerst unbehaglich. Von fern drang der Klang einer Kirchenglocke an mein Ohr und verkündete die vierte Stunde. „Was denn, so spät schon? Ist ja nicht zu fassen“, stellte Anoha fest und streckte sich. Er wirkte in Gedanken versunken, doch nur einen Moment später war er wieder voller Tatendrang. „Na schön, da ich weiß, dass du es sowieso aufschieben wirst, wirst du mir jetzt hoch und heilig versprechen, dass du mit Noël darüber redest was du denkst und was du willst. Klar?“ Ich lächelte. „Und du wirst mir versprechen, dass du aufhörst Hazel zu ängstigen und ihm sagst, dass du ihn viel zu gern hast, als dass du ihn wegschicken würdest.“ Anoha verzog das Gesicht. „Miguel. Das ist nicht fair“, quengelte er, doch ich blieb unerbittlich. „Aber vermutlich das Beste, das wir beide im Augenblick tun können.“ Ich streckte ihm die Hand entgegen und nach einigem Zögern ergriff und schüttelte er sie. Damit war das Versprechen besiegelt. „Schön, dass du mich mal wieder besucht hast“, sagte Anoha, hielt dann jedoch argwöhnisch inne. „Was lächelst du so komisch?“ „Ach, es ist nur, ich freue mich zu sehen, dass du dich doch nicht allzu sehr verändert hast. Als ich deine Einladung bekam, war ich ziemlich skeptisch.“ „Du verschickst ja keine“, grummelte er und ich gelobte feierlich Besserung. „Tja dann“, bemerkte er zufrieden, „danke nochmal für den Wein. Und kommt gut nach Hause ihr beiden.“ Gemeinsam erhoben wir uns – und erstarrten im selben Moment. Wortlos sahen wir einander an, die Augen in unausgesprochenem Erstaunen aufgerissen. „Miguel?“, fragte Anoha vorsichtig, wohl um sich zu vergewissern, dass er sich nicht irrte, dass ich es ebenso bemerkt hatte. Der Klang seiner Stimme löste mich aus meiner Starre und ich stürzte zur Tür. Kapitel 14 - Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)