Zwischenwelten von Arle (-Sidestory X ~ Veleno-) ================================================================================ Kapitel 10: ------------ Beginn: 01.05.2011 Ende: 04.05.2011 Kapitel 10 Die Straßen waren ungewöhnlich belebt, was dafür sprach, dass die Menschen etwas zu feiern hatten, und so machten sie es mir leicht, ein geeignetes Opfer zu finden. Ich liebte die Öffentlichkeit nicht, doch war es mir weitaus lieber, es inmitten einer jauchzenden Menge auszusuchen und dann galant in eine Seitengasse oder einen Gasthof zu entführen, als einem panischen Menschen nachzujagen und ihn wie ein Stück Vieh zu Tode zu hetzen. Der kraftvolle Klang ihrer Herzen, der Leben verheißende Strom ihres Blutes, ihre Stimmen, ihr Geruch – all das umgab und erfüllte mich. Überall waren Laternen, brannten Kerzen und erhellten die finstere Nacht mit den leuchtenden Farben ihrer vernichtenden Flammen. Ich bewegte mich durch die Menge, bewegte mich mit ihr, ließ mich treiben, nur um mich wieder aus ihr herauszulösen. Blicke folgten mir, andere wichen mir aus. Fremde Körper streiften meinen eigenen – manche nur zufällig, andere begehrlich. Sie wurden mutig, es musste Alkohol geflossen sein. Ich entzog mich ihnen mit spielerischer Leichtigkeit und zog mich in den Schutz der kleinen Bars zurück, die ein paar Stunden zuvor noch winzige, beschauliche Cafés gewesen waren. Tief sog ich die Nachtluft ein, die die Hitze der Leiber in ihrer Mitte angenommen hatte und schloss die Augen. Wo war das Wesen, das heute Nacht meinen Hunger stillen würde? „Guten Abend, schöner Mann.“ Ich öffnete die Augen und wandte mich dem Ursprung jener weiblichen Stimme zu. Die Frau, zu der sie gehörte, war von jener Art, bei der es schwer fiel ihr ins Gesicht zu sehen, ohne zugleich ihr üppiges Dekolleté zu bemerken. Sie mochte Mitte dreißig sein, reichte mir gerade bis zur Schulter und besaß, soweit ich es ersehen konnte, die Rundungen an den richtigen Stellen. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, das ihre Körperformen vortrefflich, wenn auch für meinen Geschmack ein wenig zu sehr zur Geltung brachte. Ihre Schminke war etwas zu grell um schön zu wirken, doch aus ihrem von langen braunen Locken umrahmten Gesicht blitzten mich erstaunlich lebhafte Augen neugierig an. „Meine Dame“, erwiderte ich, nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. Sie kicherte wie ein kleines Mädchen, doch ihr Blick zeigte nichts von dieser Unschuld. Sie war nicht hier, um nur ein wenig mit mir zu plaudern. Sie wollte etwas ganz anderes. „Da Ihr so ein ausgesprochener Gentleman seid“, sagte sie mit einem unverwechselbaren Augenaufschlag und aufreizender Stimme, „würdet Ihr mich begleiten?“ Ich lächelte. Wie amüsant einmal einer Frau zu begegnen, die mich zu entführen gedachte. Nun, weshalb nicht? Es mochte der Jagd ja ein wenig ihren Reiz nehmen, aber ein so offensichtliches Angebot wie dieses, würde ich deshalb gewiss nicht ablehnen. Ich mochte den künstlich parfümierten Duft, in den sie sich gehüllt hatte und sie besaß eine so wunderbar weiche Haut, wie sie sonst nur Kindern eigen war. Und meine Fähigkeiten zur Verführung, konnte ich genauso gut ein anderes Mal auf die Probe stellen. Sie nahm mich bei der Hand und ich folgte ihr in den Schutz der Nacht, in die Dunkelheit und Anonymität einer kleinen Seitengasse. Es war ein überraschend angenehmer und unerwartet sauberer Ort. Ich hatte schon ganz anderes gesehen und war immer wieder aufs neue erstaunt darüber, dass Menschen an solchen Orten überhaupt in Stimmung kamen. Dann wiederum war ihr Geruchssinn bei weitem nicht so ausgeprägt wie der der Vampire und ihre Augen bei Nacht im Vergleich zu den unseren geradezu blind. Dennoch, in gewisser Weise passte es zu ihnen. Dass sie etwas, das sie so oft schon als schmutzig und verwerflich beklagt hatten und das sie doch mehr liebten als sie es fürchteten, an einem schmutzigen Ort taten. Die Menschen waren eine sonderbare Spezies, deren Gedankenwelt mir auch nach so vielen Jahrhunderten ihrer Existenz noch immer ein Rätsel war. Wesen, die sich des Besitzes des Verstandes rühmten und doch so selten davon Gebrauch zu machen schienen. Früher einmal hatte Noël zu ihnen gehört, war er einer von ihnen gewesen. Bevor ihn Urag, vermutlich gegen den Willen des jungen Mannes, aus jener Welt der Sterblichen herausgerissen und in die unsrige hineingeworfen hatte. Er hätte mir gewiss von den Menschen erzählen können. Eine Welle des Hungers durchströmte meinen Körper, doch das Gefühl der Anwesenheit anderer Vampire ließ mich zögern. Die Jäger waren hier. Die ungewöhnliche Aura ihres Spähers war, wenngleich er sie gewiss gut verbarg, für mich spürbar – wie eine leise Ahnung drohenden Unheils. Die Jäger selbst verstanden es besser, ihre Anwesenheit zu verbergen. Sie beziehungsweise ihre genaue Position ausfindig zu machen, hätte ein wenig mehr Anstrengung bedurft und ich bemühte mich nicht darum. Denn es gab etwas, das mich im Augenblick weitaus mehr beschäftigte als eine Gruppe jagender Jungvampire. Gleichwohl implizierte ihre Anwesenheit an diesem Ort etwas, das auch mich nicht vollkommen unberührt lassen konnte. Wenn sie hier waren und sich, wie es schien, kaum bewegten, dann sicher nicht, um gemeinsam mit den Menschen zu feiern. Wenn sie hier waren und sich nicht bewegten, bedeutete das vor allem eines: Die Anwesenheit eines oder mehrerer Dämonen. Zwei Hände, die sich sanft auf meine Schultern legten, erinnerten mich daran, weshalb ich hier war. Und ohne dass sie es wusste, hatte meine nächtliche Begleiterin recht. Es gab andere Dinge, um die ich mich kümmern sollte. Die Dämonenjagd war nicht meine Aufgabe und nichts lag mir ferner, als Vampiren wie ihnen ihre Daseinsberechtigung zu nehmen, indem ich mich um die Vernichtung dieser Geschöpfe kümmerte. Ich wandte mich wieder der Frau im blauen Kleid zu. Sie sah mich an und das Begehren in ihren Augen ließ sie erstrahlen wie die Sterne des Nachthimmels. Wann hatte mich zuletzt jemand so angesehen, mich auf diese Weise betrachtet? Ich war kein Heiliger und nicht frei von der Eitelkeit, mich an einem solchen Blick zu erfreuen. Und ich war es leid zu warten. Nicht nach einer Einladung wie dieser. Und auch mein Lächeln verlor, so es sie denn jemals besessen hatte, an Unschuld. Ich legte die Arme um ihre Taille und zog sie an mich, spürte, wie die Hitze ihres Körpers auf mich überging. Ich fühlte ihre Hände in meinem Nacken, neigte mich zu ihr herab und küsste sie. Sanft zuerst, darauf bedacht, sie mit meinen Fangzähnen nicht zu verletzen. Doch es dauerte nicht lange und meine Hände ließen sie jede Gefahr, jede Vorsicht und mehr und mehr auch sich selbst vergessen. Nun bedurfte es keiner Zurückhaltung mehr. Sie würde es nicht einmal bemerken, wenn ich ihr einen so leichten Schmerz wie den des Ritzens ihrer Haut zufügte. Ich drückte sie gegen die Hauswand und küsste sie, als sei sie es, der all mein Verlangen, mein Begehren galt. Sie zitterte vor Erregung und begrüßte jede Berührung meiner Hände mit einem bald leidenschaftlichen bald flehenden Seufzen. Ein Klang, der den Jäger in mir auf den Plan rief und mich, anders als menschliche Männer, vielmehr bei Verstand hielt als mich um diesen zu bringen. Und ich war nicht hier um sie zu lieben. Sacht löste ich mich von ihr, küsste ihren Hals, ihr Schlüsselbein und wandte mich schließlich jener verheißungsvollen Kehle zu, die in dieser Nacht meinen Durst stillen würde. „Na, na, was wollt Ihr denn mit so einer? Ist sie nicht ein bisschen zu gewöhnlich für Euch?“ Ich blickte auf. Die Stimme gehörte einem jungen Mann, dessen Schönheit und Ausstrahlung der eines Vampirs der oberen Ränge glich. Das rabenschwarze Haar bildete einen irritierenden Kontrast zu seiner bleichen Haut. Seine Augen waren wie die Abgründe der finstersten Tiefen der Hölle. Anziehend, fesselnd, schwarz wie die Nacht und voll sündiger Verheißungen. Meine Begleiterin schien wenig erfreut über die Unterbrechung, eine Ansicht, die ich durchaus mit ihr teilte, und schien zudem, trotz ihrer momentanen Verfassung, bemerkt zu haben, dass man sie soeben beleidigt hatte. Schon öffnete sie den Mund zu einer empörten Erwiderung, doch ich legte ihr einen Finger auf die Lippen und brachte sie so zum Schweigen. Dann trat ich von ihr zurück und ging zu dem Fremden hinüber. „Was willst du?“, fragte ich ruhig und musterte ihn. Eine schwierige Frage, doch was auch immer ihn hierher geführt haben mochte, ich war nicht bereit meine Beute zu teilen, geschweige denn sie ihm zu überlassen. Er lächelte süffisant, sein Blick voll verbotenem Vergnügen. „Die Frage ist doch, was Ihr wollt.“ Ein schmeichlerische Stimme, Worte, die Unterwürfigkeit suggerierten, wo doch Dominanz und Selbstgefälligkeit herrschten. Ein Kuss, der einem den Atem raubte und Menschen in den Wahnsinn treiben konnte. Er küsste gut, das konnte ich nicht leugnen und die Hände, die mehr als nur spielerisch über meinen Körper strichen, waren fähig, mich meinen Durst vergessen zu lassen. Ich spürte die Blicke der Jäger und seufzte. „Überschätzt du dich selbst oder unterschätzt du mich?“ Erstaunt sah er mich an, dann ging sein Blick in ein ungläubiges Starren über. Gemeinsam sahen wir auf meinen Arm herab, der seinen Körper nur wenige Zentimeter unterhalb des Herzens durchbohrt hatte. Zeitgleich hoben wir den Blick wieder und sahen einander an. Seine Lippen waren ein wenig geöffnet und ein dünnes Rinnsal Blut floss aus seinem Mundwinkel. „Wolltest du so den Jägern entkommen? Tut mir leid, aber einen Dämon wie dich, kann ich unmöglich am Leben lassen.“ Einen Moment lang empfand ich so etwas wie Bedauern, dann riss ich ihm das Herz heraus und schlug ihm den Kopf von den Schultern. Und kaum, dass er zu Boden fiel, sein Blut die Steine berührte, krochen aus allen Ritzen, jedem Schatten der Nacht Dämonen hervor. Wütende, fauchende Gestalten, von denen nicht eine einzige auch nur annähernd menschlich wirkte. Und die Jäger rührten sich noch immer nicht. Nur ein paar Sekunden, mehr bedurfte es nicht, um die Gefolgschaft und Nachhut des Dämons auszulöschen. Etwas, das ganz eindeutig die Aufgabe der Jäger gewesen wäre. Und in dem Moment, in dem auch der letzte der Dämonenhorde verschwand, löste sich die Angststarre meiner nächtlichen Begleiterin und begann sie zu schreien, wie nur menschliche Frauen es vermögen. Ich wandte mich zu ihr um und blickte in Augen, die in mir nur noch das sahen, was ich für ihresgleichen war: ein Monster. Vorbei der Zauber, vorbei die süße Lüge. Ihre Arme würden sich nicht mehr für mich öffnen, mich umfangen wie einen Geliebten und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick. Sie würde mir keine Zärtlichkeiten mehr schenken. Ich war bei ihr, noch bevor sie einen einzigen Schritt in Richtung der belebteren Plätze wagte. Es war leicht, sie zum Schweigen zu bringen. Eine Hand auf ihren Mund gelegt, damit sie nicht schrie und schon tat die Angst ihr übriges und verlor sie das Bewusstsein. Die Haut an ihrem Hals war wie Samt so weich und jetzt, da sie reglos in meinen Armen lag, bot sie mir jede erdenkliche Angriffsfläche. Ich trank von ihr, ohne Freude, ohne Genuss. Genug, um meinen Durst zu stillen, mich zu sättigen, doch zu wenig, als dass sie ernsthafte Schäden hätte davontragen können. Sie würde sich an nichts erinnern. An das Fest vielleicht, dass sie getanzt und gelacht hatte, nicht aber an den Mann, den sie zu verführen geglaubt hatte. Nicht an mich und niemals an das, was an diesem Ort geschehen war. Ich würde sie in einen der nahegelegenen Gasthöfe bringen und dann dort zurücklassen. Man würde sie ruhen lassen, ihr helfen, sollte es nötig sein und niemand würde sich an mehr als eine Gentleman erinnern, der einer Dame in Not beigestanden hatte. Oder einen Perversen, der nicht bereit war, sein Spielzeug länger als nötig in seiner Nähe zu dulden. Was wusste ich schon davon, was die Menschen über mich dachten. Noch einmal wandte ich mich um und sah zu jener Stelle hinauf, an der ich die Präsenz der Jäger spürte. Vielleicht hätte ich ihnen noch ein wenig mehr meiner Aufmerksamkeit geschenkt, doch als ich spürte, wie die Furcht ihre Tarnung verblassen ließ, sah ich davon ab. Ein anderes Mal vielleicht. Jetzt gab es für mich wichtigeres zu tun. Vorsichtig hob ich die bewusstlose Frau auf meine Arme und trug sie zurück in die Welt, in die sie gehörte. Kapitel 10 - Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)