Zwischenwelten von Arle (-Sidestory X ~ Veleno-) ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Beginn: 20.03.2011 Ende: 16.04.2011 Kapitel 5 Als ich wieder zu mir kam, hatte der Mond bereits begonnen, seinen heiligen, ewig gleichen Weg am dunklen Nachthimmel zu beschreiten. Meine Glieder waren schwer wie Blei und selbst meine Gedanken schienen von jener großen Last ergriffen und wälzten sich träge durch meinen Geist. Kaum, dass ich sie geöffnet hatte, schloss ich die Augen wieder, ohne mich auch nur ein wenig bewegt zu haben. Er hatte mich nicht getötet. Ich war am Leben und außer einer beachtlichen Menge Blut fehlte mir nichts. Eine Weile verharrte ich so. Unbeweglich auf der Schlafstätte liegend, meine Gedanken ordnend und ein wenig Kraft schöpfend. Dann öffnete ich erneut die Augen und setzte mich auf. Der Raum schien zu schwanken, was mich erneut innehalten ließ. Ich betrachtete meinen Körper und konnte nicht umhin festzustellen, dass mein Gast wirklich ganz abscheuliche Tischmanieren hatte. Dass er sich nicht auf meine Kehle beschränkt hatte, war, in Anbetracht des Zustandes in dem er sich befunden hatte, durchaus verzeihlich und auch sonst störte es mich im Grunde nicht. Wäre er nicht so hungrig und daher kaum noch bei Verstand gewesen, man hätte es sogar als Fortschritt bezeichnen können - wo ihm doch die Gegenwart der Vampire derart zuwider war. Doch nicht einmal ich verfügte über genug Kraft zur Selbsttäuschung, um ernstlich daran zu glauben, dass es so war. Dennoch. Obwohl ich weit davon entfernt war, mich über seine Abwesenheit zu echauffieren, empfand ich es als ärgerlich, dass er es nicht einmal für nötig befunden hatte, die Spuren seiner Mahlzeit zu verbergen. Selbst einen Erschaffenen wie ihn konnte es kaum mehr als eine Geste oder eine beiläufige Berührung kosten, sie verschwinden zu lassen. Für gewöhnlich hätten meine Selbstheilungskräfte rasch für Abhilfe gesorgt, noch lange bevor der bleiche Mond sein Licht auf die Erde niederwarf. Doch mein Besucher hatte wenig Zurückhaltung gezeigt und der daraus resultierende Blutverlust hatte die Regenerationsrate meiner Zellen auf ein Minimum reduziert. Sie hatte genügt um die Wunden zu schließen, nicht aber um sie verschwinden zu lassen und so war mein Körper übersät von den Bissspuren, die seine Fangzähne hinterlassen hatten. Falls er blieb würde ich es ihm noch beibringen und falls nicht... Die Anwesenheit eines anderen Vampirs lenkte meine Aufmerksamkeit von den Gedanken an den jungen Mann ab. Er näherte sich langsam und auf eine Weise, die von Höflichkeit und Respekt zeugte. Er war keineswegs aufdringlich, legte zugleich jedoch Wert darauf, mich sein Erscheinen rechtzeitig bemerken zu lassen. Halb missmutig, halb nachdenklich zog ich die Brauen zusammen und legte sich meine Stirn in Falten. Ich erwartete keinen Besuch und im Augenblick kam er auch höchst ungelegen. Ich hätte viel lieber eine Nacht im Bett verbracht oder mir eine warme Mahlzeit gegönnt, als mich auf ein zweifellos unerfreuliches Gespräch mit einem mir mäßig bekannten Vampir einzulassen. Doch ich ahnte bereits, dass kein Weg daran vorbeiführte und so beeilte ich mich, mich wieder in einen zumindest einigermaßen akzeptablen Zustand zu versetzen und meinen Gast willkommen zu heißen. Der junge Mann, der an diesem Abend meine Gesellschaft suchte, war in mancherlei Hinsicht bemerkenswert. Vor einigen Jahren war er mir einmal als Steel vorgestellt worden – ganz offensichtlich ein Spitzname, den er jedoch zu seinem eigenen gemacht zu haben schien – was auch immer ihn dazu bewogen haben mochte. Ich erinnerte mich daran, dass ihn einmal einer der Älteren etwas ungehalten gefragt hatte, ob er denn keinen anständigen Namen besäße. Steel hatte ein fröhliches Lächeln an die Nacht gelegt und überraschend humorvoll erwidert: „Warum? Ich mag es, ein metallhaltiges Stoffgemisch zu sein.“ Er besaß – wie er an anderer Stelle bereits gezeigt hatte – einen feinsinnigen Humor, den er gelegentlich als eine Art Trumpf ausspielte. Gleichzeitig war er für sein Alter erstaunlich...abgeklärt? War das die richtige Bezeichnung? Jedenfalls war er intelligent und wusste sehr genau, wie er in welcher Situation mit den unterschiedlichsten Personen umzugehen hatte. Sein Gespür für die Angemessenheit eines Wortes oder einer Geste war bemerkenswert. Daher genoss er bei vielen der oberen Vampire einen gewissen Status. Soweit ich wusste, wurde er mit den unterschiedlichsten Aufgaben betraut. Meistens ging es dabei um Nachforschungen, das diskrete Beschaffen von Informationen. Steel besaß nämlich die unschätzbare Fähigkeit, sich in jede Umgebung nahezu perfekt einfügen zu können. Ganz gleich ob es um Vampire, welcher Klasse auch immer, oder um Menschen ging. Nach anfänglicher Skepsis hatten sich zahlreiche Personen für ihn erwärmen können und waren mittlerweile höchst dankbar für seine Existenz. Er war ein guter Beobachter, hatte erstklassige Manieren, bewahrte absolutes Stillschweigen über seine Auftraggeber und deren Wünsche und war frei von jeglichem vorstellbaren absonderlichen Temperament. Er kämpfte mit subtileren Mitteln und seine schärfsten Waffen waren, neben seinem Verstand, seine Zunge und sein Humor. Und so fanden sich nicht wenige, die seine Dienste nur allzu gern in Anspruch nahmen. Für so manchen war er ein wahrer Segen und eine echte Alternative für all jene, die Kenai nicht konsultieren wollten oder konnten. Denn im Gegensatz zu dem jungen Ichimura, bedeutete Steel keine Gefahr. Er erledigte seine Aufgaben gewissenhaft und effizient. Er schnüffelte nicht in Angelegenheiten herum, die ihn nichts angingen und behielt sich auch nicht das Recht vor, die Informationen nach belieben weiterzugeben. Es klopfte und ich eilte in die große Halle, um den Anderen willkommen zu heißen. Währenddessen ging ich im Geiste sämtliche Details und Informationen durch, die ich im Laufe der Jahre eher zufällig als gezielt über ihn gesammelt hatte und stellte mit mildem Erstaunen fest, dass es deutlich mehr waren als ich mir zugetraut hatte. Hätte ich sie jemandem geschildert, er hätte sich durchaus ein Bild von dem jungen Mann machen können. Noch bevor ihm eine höfliche Begrüßung über die Lippen kam, nahm sein Gesicht einen erstaunten Ausdruck an. Dann lächelte er beinahe schelmisch. „Eine wunderschöne gute Nacht, Meister Veleno. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Ihr seht mir recht mitgenommen aus.“ Ich betrachtete ihn ein wenig verstimmt. Ich erinnerte mich, ihn zuvor, wenn auch nur gedanklich, ob seines guten Spürsinns, seiner Feinfühligkeit gelobt zu haben. Offenbar lag das Problem also doch bei mir, wenn selbst ein so feinsinniger Vampir wie er glaubte, sich einen Spaß mit mir erlauben zu dürfen. Ich war wohl wirklich zu nachsichtig mit meinen Mitvampiren. Als er meinen Blick bemerkte, gewann sein Lächeln an Wärme und wie ein Zauberkünstler zog er eine Weinflasche aus seinem Umhang, um sie mir dann, wie ein beflissener Verkäufer, zu präsentieren. „Ich denke“, sagte er, „ein wenig von diesem köstlichen Tropfen wäre jetzt genau das Richtige für Euch.“ Gegen meinen Willen musste ich lächeln und bat ihn herein. Nach kurzem Protest ließ er sich von mir den Mantel abnehmen und offenbarte eine äußerst geschmackvolle Abendgarderobe, die seine schlanke, aufrechte Gestalt auf angenehme, unaufdringliche Art zur Geltung brachte. „Wer ist das?“, fragte er plötzlich und obwohl außer Zweifel stand wen er meinte, folgte ich unwillkürlich seinem Blick. Sofort zog sich Noël, dessen Erscheinen ich tatsächlich und zu meiner Schande nicht einmal bemerkt hatte, zurück. Milde erstaunt betrachtete Steel mich, so als suche er nach etwas an mir, das so erschreckend war, dass es einen anderen Vampir vertreiben konnte. „Ein junger Erschaffener, den ich vorübergehend hier aufgenommen habe.“ „Aha“, erwiderte mein Gast und schien zufrieden. Wenn ich seinen Blick richtig deutete, gefiel ihm Noël. Und auch wenn ich dies nicht unbedingt befürwortete, konnte ich es ihm doch nicht verdenken. Schließlich hatte er auf mich eine ganz ähnliche Wirkung ausgeübt. Ich führte meinen Besucher in die Bibliothek, stellte zwei Kristallgläser vor uns auf dem Tisch ab und überließ es ihm die Flasche zu öffnen und uns einzuschenken. Ein hervorragender Jahrgang, wenn es auch kein Wein war. Der Geruch des Blutes stieg mir in die Nase und ich hatte Mühe mich zu beherrschen. Doch nicht einmal der ärgste Hunger hätte mich dazu bewegen können, mir vor einem Gast eine solche Blöße zu geben. Nachdem er wieder Platz genommen hatte, musterte er mich eine Weile, lächelte dann und beide erhoben wir das Glas. Lange Zeit sagte keiner von uns ein Wort, ohne dass das Schweigen unangenehm gewesen wäre. Der Raum schien ihm zu gefallen, denn er wurde nicht müde seinen Blick schweifen zu lassen. Wir waren, so schien es, beide keine Freunde großer Worte, zumindest nicht, wenn es um entbehrliche Höflichkeitsfloskeln ging. Wir kannten sie, wir beherrschten sie und wussten es voneinander. Das genügte, um uns nicht unnötig damit aufzuhalten. Als ich ihn schließlich fragte, was ihn hierher führte, war die Flasche bereits zur Hälfte geleert. „Meister Urag weilt nicht länger unter uns und auch wenn niemand so recht Trauer zeigen will, gibt es doch einige besorgte Stimmen, die beruhigt werden wollen.“ Also doch, dachte ich im Stillen, während ich dabei zusah, wie er ein weiteres Mal unsere Gläser füllte. Sie wollten es genauer wissen. Selbst wenn Urags Tod sie nicht weiter kümmerte, schienen sie doch auf Nummer sicher gehen zu wollen. Und deshalb hatten sie Steel damit beauftragt herauszufinden, welche Narretei es gewesen war, die den Meister das Leben gekostet hatte. „Ihr wisst von wem ich spreche?“ Ich nickte. „Das tue ich.“ „Wie gut kanntet Ihr den Meister?“ Einen Moment lang betrachtete ich die Lichtreflexe, die sich in der tiefroten Glut des Blutes verfingen, dann sah ich ihn wieder an. „Nicht besonders gut. Die Nachricht seines Todes hat mich überrascht, aber wir standen uns nicht besonders nahe und auch wenn es grausam erscheinen mag, kann ich nicht sagen, dass sie mich ernstlich betroffen macht.“ Er nickte. Es schien ihn nicht zu überraschen, dass sich meine Anteilnahme lediglich in den engen Grenzen der Höflichkeit bewegte. „Wisst Ihr, wer es getan hat?“ Also nahm man nicht an, dass Urag Selbstmord begangen hatte. „Ich vermute es“, erwiderte ich langsam und stärker noch als zuvor sah ich das Interesse in seinen Augen aufblitzen. Alles andere an ihm blieb vollkommen ruhig. Ich musste vorsichtig sein. Er war kein Feind und ich bezweifelte, dass er mir schaden wollte und mir selbst lag es fern, ihn an seinem Vorhaben zu hindern, die Wahrheit herauszufinden. Allerdings war ich ebenso wenig dazu angetan Noël zu schaden. Wenn er fortging, konnte ich nichts mehr für ihn tun, doch solange er in meinem Haus verweilte, fühlte ich mich bis zu einem gewissen Grad für ihn verantwortlich und stand er unter meinem Schutz. „Würdet Ihr Eure Vermutung mit mir teilen?“, fragte mein Gegenüber höflich und sah mich mit einem verbindlichem Lächeln an. „Ich bin nicht sicher“, gab ich zurück, ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen worin meine Unsicherheit bestand. Er lächelte. Diesmal ehrlicher. Offenbar hatte er die ungeschriebenen Regeln dieses Spiels bereits begriffen. „Ist es jemand, den ich kenne?“ Ich wiegte den Kopf ein wenig hin und her, dann antwortete ich ihm. „Ich glaube nicht.“ Er stieß die Luft aus, doch schien es eher ein Zeichen von Amüsement, denn von Verärgerung oder Ungeduld zu sein. „Wisst Ihr, wo sich dieses Wesen gerade aufhält?“ Ich überlegte einen Moment, dann verneinte ich und musste dazu nicht einmal lügen. Zwar spürte ich Noëls Anwesenheit, doch wo genau er sich befand, wusste ich im Augenblick tatsächlich nicht zu sagen. Es gab jedoch etwas anderes, das zu erfahren für mich weitaus wichtiger war. „Was werdet Ihr tun, wenn Ihr dieses Wesen findet?“ Einen Moment lang musterte er mich, dann lehnte er sich mit einem leichten Schulterzucken zurück. „Nichts“, antwortete er und betrachtete dabei seine Fingerspitzen. Er hatte sie in einer nachdenklichen Geste aneinandergelegt, was nicht recht zu seiner sonst eher entspannten Haltung passen wollte. Ich hatte es nicht gewagt zu fragen, ob er ihn töten würde. Seine Antwort überraschte mich ein wenig, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass er log. „Seht“, begann er schließlich von neuem und richtete seinen Blick wieder auf mich, „es ist nicht meine Aufgabe über das Schicksal dieses Wesens zu entscheiden. Geschweige denn ein endgültiges und unwiderrufliches Urteil zu fällen.“ Welch hübsche Umschreibung für den Tod. Wirklich, es war ein Genuss sich mit ihm zu unterhalten. Und ich hätte es zweifellos genossen, wenn ich nicht um das Wohl Noëls hätte fürchten müssen. „Ich soll lediglich herausfinden“, fuhr mein Gegenüber fort, „ob Grund zu der Annahme besteht, dass jene Person noch weiteren Schaden anrichtet.“ Er fixierte mich, als befänden wir uns mitten in einem Verhör – was der Wirklichkeit vermutlich ziemlich nahe kam. Und ganz offensichtlich war ich, zumindest im Augenblick, nicht einfach nur ein Zeuge, sondern ein Verdächtiger. Natürlich nicht, was den Tod des Meisters anging, sehr wohl aber im Hinblick auf mein Wissen um den Mörder. Ich war sicher, hätte er es gekonnt, er hätte versucht meine Gedanken zu lesen. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen und machte mir auf sonderbare Weise bewusst, dass ich es mit einem intelligenten und äußerst gefährlichen Mann zu tun hatte. Er drohte mir nicht, aber es war anzunehmen, dass er bereits jetzt weit mehr wusste als er zugab. Gut möglich, dass er mich durchschaut oder bereits im Voraus eine Ahnung gehabt hatte. Jedenfalls vermutete ich das, denn er sagte: „Nun, dann möchte ich nicht weiter in Euch dringen. Ihr werdet zweifelsohne Eure Gründe haben, weshalb Ihr mich nicht ins Vertrauen ziehen wollt.“ Die hatte ich, fürwahr. Wenngleich sich meine Befürchtungen weit weniger auf ihn bezogen als auf seine Auftraggeber. Hätte es sich bei Urags Mörder um einen echten Vampir gehandelt, wäre die Wahrscheinlichkeit für weitere Verbrechen vielleicht tatsächlich ein Kriterium für die Urteilsfindung gewesen. Bei einem Erschaffenen jedoch, würden sie kein Risiko eingehen – und wenn er ihnen hundertmal versichert hätte, dass von Noël keine Gefahr mehr ausging. Schweigend und ohne erkennbare Regung erwiderte ich den Blick meines Gegenübers. Eine Weile verharrten wir in dieser Haltung, jeder stumm den anderen betrachtend, dann ergriff er erneut das Wort. „Ihr sagtet, Ihr hättet eine Vermutung um wen es sich handelt?“ Ich nickte. Er ließ mich nicht einen einzigen Moment aus den Augen. Seine Fingerspitzen tippten bedächtig aneinander. „Nun, Meister Veleno, ich halte große Stücke auf Euch, deshalb vertraue ich Eurem Urteil. Ich möchte Euch nicht länger mit dieser Sache belästigen, doch habe ich, wie Ihr Euch gewiss vorstellen könnt, einen Ruf zu verlieren.“ Zweifellos. Und wenn ich ihn richtig verstand und er gerade im Begriff war mir anzubieten, seine Nachforschungen an diesem Ort einzustellen, wenn ich ihm nur versicherte was er hören wollte, dann ging er damit ein erhebliches Risiko ein. Denn ich bezweifelte, dass seine Auftraggeber zu jenen Vampiren gehörten, die Fehler rasch verziehen – ganz gleich wie geringfügig oder selten sie auch sein mochten. „Könnt Ihr mir versichern, dass die Person, von der wir hier sprechen und die Ihr zu kennen glaubt, keine Bedrohung für andere Vampire darstellt?“ Der Ausdruck in seinen Augen war von bemerkenswerter Intensität. Es war als wollte er mich mit seinen Blicken durchbohren. Dennoch spürte ich keinerlei Aggressivität darin. Er hatte nicht vor mir zu drohen oder mir in irgendeiner Weise zu schaden. Sein Ansinnen bestand vielmehr darin, mich zu einer ehrlichen und endgültigen Antwort zu bewegen. „Ja“, antwortete ich ruhig und es kostete mich keine Mühe, Überzeugung in dieses eine, bedeutungsvolle Wort zu legen. Ohne dass ich einen akzeptablen Grund dafür hätte nennen können, glaubte ich fest daran, dass Noël niemandem schaden würde – außer vielleicht sich selbst. Solange er sich in meinem Haus aufhielt, konnte ich persönlich darüber wachen, auch wenn es mir nicht nötig erschien. Er war kein schlechter Vampir und im Gegensatz zu anderen Erschaffenen vollkommen bei Verstand. Solange man ihn nicht in die Lage brachte sich verteidigen zu müssen, war er, davon war ich überzeugt, niemand, von dem eine Bedrohung ausging. Steel lächelte. „Gut.“ Mehr sagte er nicht. Dann erhob er sein Glas, damit wir darauf anstoßen konnten. Ein wenig bewunderte ich ihn. Ich selbst konnte ihm meine Antwort mit ruhigem Gewissen geben, doch ich zweifelte nicht daran, dass dieselbe Vorgehensweise – das gemeinsame Trinken als ein Zeichen der Besiegelung eines stummen Vertrages – bei anderen sehr viel mehr Unbehagen auslösen konnte. Eine einfache, aber überaus effektive Methode zur Wahrheitsfindung – vorausgesetzt, man verfügte über einen geschulten Blick und ein gewisses Gespür für seine Mitvampire. Mit Genuss tranken wir unseren Wein, dann ergriff mein Gegenüber, nun offensichtlich wieder bester Laune, erneut das Wort. „Dann etwas anderes. Wer war noch gleich dieser bezaubernde junge Mann, den ich in der Eingangshalle gesehen habe?“ Amüsiert betrachtete er mich über den Rand seines Glases hinweg, in seinen Augen jedoch meinte ich einen Hauch von Begehren zu erkennen. Ich konnte es nicht genau einordnen, womöglich wollte er mich auch nur ein wenig aufziehen, doch zumindest zeigte er offenkundiges Interesse an Noël. Etwas, von dem ich nicht behaupten konnte, dass es mir gefiel. Aber was hätte ich dagegen tun, auch nur sagen können? Zumal ich keinen besonderen Wert darauf legte, das er meine Ablehnung missverstand. „Sein Name ist Noël“, erwiderte ich schließlich und, wie ich erstaunt feststellte, mit einigem Widerwillen. Und dann wurde mir bewusst, dass ich seinen Namen tatsächlich zum ersten Mal ausgesprochen hatte. In gewisser Weise ein wichtiger Moment, der jedoch in diesem Zusammenhang, wenngleich es um ernsthafte Themen ging, zur Bedeutungslosigkeit verkam. „Wie hübsch“, bemerkte mein Gast mit einem vergnügten Lächeln. Ich antwortete nicht darauf. Was hätte ich auch sagen sollen? „Er hasst seinen Namen“, bemerkte ich endlich, da es mir angesichts Noëls eigener Meinung irgendwie unpassend erschien, diesen Namen mit solcher Freude aufzunehmen. „Ach wirklich?“ Es klang amüsiert und interessiert zugleich. Da es zu diesem Thema nichts mehr zu sagen gab, entstand eine längere Pause. Ich nutzte sie, um mir noch ein wenig des ausgezeichneten Getränks zu gönnen und mein Gast quittierte es mit einem zufriedenen Lächeln. Er hatte sich ganz offensichtlich Gedanken darüber gemacht. Es war schließlich nicht ganz einfach, den Geschmack einer Person zu treffen, der man in seinem Leben nur zwei, drei Mal begegnet war. Er ließ ein wenig Zeit verstreichen, dann nahm er das Thema wieder auf. „Er stammt aus Urags Gefolge, nicht wahr?“ Ich nickte nur und nahm einen weiteren Schluck aus meinem Glas. Mittlerweile überraschte es mich nicht mehr, dass er auch das wusste. „Es gibt viele wie ihn und einige von ihnen sind bei Adligen der näheren und auch ferneren Umgebung untergekommen.“ Ich nahm die Information gelassen hin und wartete ruhig auf das, was nun kommen würde. „Sie sind ja sehr verschieden, aber unser junger Freund hier scheint nicht besonders beliebt gewesen zu sein. Bei diesen Mengen an Verfolgern...“ Also hatte er sie bemerkt. Nicht, dass das eine besondere Leistung gewesen wäre, aber der Punkt war, dass er die richtigen Schlussfolgerungen gezogen hatte. Und im Stillen fragte ich mich, ob er es nicht doch wusste, nicht zumindest ahnte, dass Noël derjenige war, den zu finden ihm aufgetragen worden war. Doch er wirkte ganz und gar nicht wie jemand, der im Begriff war einen Mörder festzunehmen. Er wirkte entspannt, sogar fröhlich und ich konnte auch keinerlei Täuschung in seinem Gebaren erkennen. „Auf mich wirkt er ja nicht gerade wie eine reißende Bestie. Ein wenig eigensinnig vielleicht, aber ganz sicher nicht gefährlich.“ Er lächelte und die Art wie er es tat, beantwortete all meine Fragen. Er wusste wer Noël war und was er getan hatte – und er betrachtete seinen Auftrag damit als abgeschlossen. Denn er hatte ihn gefunden und teilte meine Meinung, dass von dem jungen Mann keine Gefahr ausging. Ob und wie er seinen Auftraggebern davon berichten würde, wusste ich nicht, aber zumindest würde er Noël weder mitnehmen noch töten. Ich kam nicht umhin ihn bewundernd anzusehen. Was für ein erstaunlicher junger Mann. „Ziemlich eigensinnig“, bestätigte ich und klang dabei tatsächlich ein wenig mürrisch. Er lachte, wenn auch ein wenig verhalten, wohl, um mich nicht zu beleidigen. „Wenn er zu Urag gehört“, begann er von neuem, „dann hat er ein Mal am Körper. Daran wird ihn jeder erkennen.“ Ein wirklich aufmerksamer Vampir. Als hätte er meine Gedanken gelesen – was ich zum Glück ausschließen konnte – und wollte sagen: Ich werde ihn nicht töten, aber was, wenn andere es versuchen sollten? „Es wird verschwinden, sobald er einen neuen Meister wählt“, antwortete ich. „Und Ihr wollt dieser neue Meister sein?“ Ich konnte seinen Blick nicht recht einordnen. Eine Mischung aus herausforderndem Amüsement und etwas, das mir sonderbarer Weise wie Sorge erschien, aber auf eine strenge, beinahe tadelnde Art. „Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte ich und nippte an meinem Getränk. Es war nicht so, dass ich ernstlich, wenn überhaupt, etwas dagegen gehabt hätte, diese Rolle zu spielen, doch ich war Realist genug, um mir wenig Hoffnung zu machen. Er würde eine Weile bleiben und dann wieder verschwinden. Ganz einfach. Steel war in nachdenkliches Schweigen verfallen. Die Falte auf seiner Stirn gefiel mir nicht. Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass sie der Vorbote für etwas war, das ich nicht unbedingt hören wollte und das mir nicht gefallen würde. Nach einer Weile hob mein Gegenüber den Blick und sah mir direkt in die Augen. „Dürfte ich etwas dazu sagen?“, fragte er höflich, wenngleich seltsam drängend. „Bitte“, erwiderte ich und lehnte mich ein wenig im Sessel zurück. Trotz meiner Erlaubnis zögerte er, entschied sich dann aber offenbar doch für eine Fortsetzung des Gesprächs. „Was ich jetzt sage“, begann er langsam, „entspricht nicht unbedingt meiner eigenen Meinung.“ Ich betrachtete ihn aufmerksam, wenn auch ein wenig verwundert und gab ihm ein Zeichen, dass er fortfahren könne. „Vielleicht täusche ich mich“, begann er nach erneutem Zögern, „doch es scheint mir, als betrachtet Ihr diesen Erschaffenen wie ein streunendes Kätzchen. Ein hilfebedürftiges Wesen, das man aufnimmt, dem man Unterschlupf gewährt, ein wenig Nahrung gibt und Zuwendung schenkt.“ Hatte er recht? Das war gar nicht so unwahrscheinlich, auch wenn ich es gern geleugnet hätte. Doch vielmehr als das interessierte mich, worauf er eigentlich hinauswollte. „Eine Katze“, wiederholte er, den Blick auf die Tischplatte gerichtet. Dann hob er den Kopf und sah mich mit erstaunlich strengen Augen an. „Aber das ist er nicht. Vielmehr“, er machte eine Geste, als suche er noch nach einem treffenden Vergleich, „ist er eine Ratte.“ „Eine Ratte?“, fragte ich distanziert und mit mühsam unterdrückter Wut, doch er ließ sich davon nicht beirren. „Eine Katze würde man Euch zugestehen, auch eine streunende, wenn es denn sein muss. Ein Herr und sein Haustier. Respektiert oder geduldet – ganz gleich. Doch wenn Ihr Euch eine Ratte zulegt, Meister Veleno, dann erwartet man natürlich etwas anderes von Euch. Schließlich holt sich niemand freiwillig so etwas ins Haus. Denn wer weiß, wo dieses Ungeziefer überall hineinkriecht, sich häuslich einrichtet oder gar Mäuschen spielt. Daher kann ich Euch nur raten, Meister Veleno, nicht zu vergessen, dass Ihr nicht Besitzer, sondern Kammerjäger seid. Und gebt auf Euch und das Tierchen gut acht. Denn mir ist die Rolle des Rattenfängers zugedacht.“ Ich verstand nur zu gut was er meinte, auch wenn seine Art es in Worte zu kleiden etwas ausgefallen war. Doch er fasste sehr präzise zusammen, auf welche Weise man Noël und auch mich betrachten würde – wie wir aufzutreten, welchen Eindruck wir zu vermitteln hatten, wenn ich nicht wollte, dass mein Gast allzu schnell das Zeitliche segnete. Entweder ich machte glaubhaft, dass er zu mir gehörte und ich ihn im Griff hatte oder ich distanzierte mich von ihm und gab vor ihn zu überwachen. Alles andere würde unweigerlich den Rattenfänger auf den Plan rufen und wenn ich ihn richtig verstand, dann konnte selbst ich, der ich mich eines gewissen Einflusses und nicht unerheblicher Kraft erfreute, nichts mehr für ihn tun. „Ich werde es mir merken“, antwortete ich ernst und er lächelte freundlich. „Es ist sehr angenehm, mit Euch Gespräche zu führen, Meister Veleno. Ihr begreift sehr schnell.“ Ich hätte durchaus das Recht gehabt, mich an seiner Wortwahl oder dem, was seine Aussage implizierte, zu stören, doch ich ahnte, was er damit andeuten wollte und dankte ihm daher für das Kompliment. Man musste weiß Gott nicht lange darüber nachdenken, um ich vorstellen zu können, dass er ebenso häufig mit Personen zu tun hatte, für die Wortspiele und Gleichnisse ein Buch mit sieben Siegeln waren. „Nun“, sagte er und erhob sich, „dann möchte ich Eure wertvolle Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen.“ Ich warf einen kurzen Blick auf die große Standuhr und war erstaunt, wie spät es bereits war. Ich half ihm in seinen Mantel und wir waren gerade im Begriff uns zu verabschieden, als ich mich noch einmal mit einer Frage an ihn wandte. „Steel, sagt, wie ist eigentlich Eure Einstellung gegenüber Erschaffenen?“ Mit einem Mal schien sein Blick in weite Ferne gerichtet und umspielte seine Lippen ein dünnes, wehmütiges Lächeln. Dann war er wieder wie zuvor. „Ich habe durch einen von ihnen einmal einen sehr guten Freund verloren.“ Offenbar hatte ich ungewollt einen wunden Punkt berührt, doch ließ er es sich nicht anmerken. „Im wörtlichen Sinne?“, fragte ich und erhielt einen erstaunten Blick, gefolgt von einem wohlwollenden, wissenden Lächeln. „Nein.“ Eine Weile sahen wir uns an, dann reichten wir einander die Hände und umarmten uns flüchtig. Ich bedauerte es, ihn gehen lassen zu müssen. Er war ein kluger Kopf, ein angenehmer Gesellschafter und eine willkommene Abwechslung. Doch ich ahnte, dass ich mir seinen Besuch, zumindest in nächster Zeit, besser nicht wünschen sollte. Denn es hätte zweifellos negative Folgen für Noël bedeutet. Ihm schien ein ähnlicher Gedanke gekommen zu sein, denn anstelle eines baldigen Wiedersehens, wünschte er mir noch eine angenehme Nacht. Dann trat er hinaus in die kühle Finsternis und ich sah ihm nach, wie er stolz und aufrecht den Weg entlang schritt, bis ihn die Schatten verschluckten. Kapitel 5 - Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)