Reneé von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 3: Vorbereitungen ------------------------- Aramis richtete sich auf und zog sich die Hose hoch. Sie tastete blind nach ihrem Wams und strich die Haare glatt. Die blonden Haare standen in krausen Büscheln ab. Sie sah bestimmt aus, wie ein zerrupfter Löwenzahn in Blond. Sie seufzte resigniert und unbefriedigt. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Es war zu schnell gegangen, so hektisch und unpersönlich. Kein zärtliches Streicheln, kein langsames Erkunden, kein gegenseitiges Entkleiden. Die Wirkung des Alkohols war verflogen und zurück blieb mit ihr im Zelt die Leere. Was hatte sie sich denn erhofft, fragte sie sich ironisch. Dass Athos allein durch die Tatsache, dass sie sich ihm offenbarte, übersah wer sie war? Ein hosentragendes, kämpfendes Mannsweib, die so gut darin war den Mann zu spielen, dass niemand es durchschaute? Sie war der Begleiter, den man im Kampf gern an seiner Seite hatte, sie war der Zuhörer für derbe Sprüche, sie war der Freund, vor dem man über seine neueste Eroberung prahlte und ein willkommener Duellierpartner. Aber ganz sicher keine Frau, die begehrt wurde. Aramis rümpfte die Nase. Bei der Damenwelt sah das anders aus. Zu ihrer eigenen Verblüffung, empfanden die Frauen sie als sehr gutaussehenden Mann. Aber eben nur die Frauen. Aus tiefstem Herzen hatte sie sich etwas MEHR von Athos erhofft. Wir Frauen und unser dummes Herz, dachte sie, so schnell kann unser rationaler Verstand gar nicht arbeiten, wie wir das Hoffen anfangen. Aramis verfluchte den Rum und diesen Krieg, mit seinen Schrecken und dem ewigen Warten. Schuld an all dem, war das nerv tötende Kampfgejohle der Spanier. Seit Stunden hallte es schon durch die Wand aus Nebel und Regen zu ihrem Lager herüber und demoralisierte die ohnehin schon bedrückten Franzosen. Seit Wochen beobachtete sie, wie dieser undisziplinierte, überhebliche Haufen von Offizieren, versuchte unwissende Bauern zu Soldaten zu drillen und einen Krieg zu führen, von dem sie nichts verstanden. Dieser Feldzug verlangte einfach zu viel ab von ihr. Noch bevor es zu einer großen Schlacht kam, litt sie an den ständigen Menschen um sich herum, dem Lärm, den Dreck, der Rohheit. Das einzig Positive war die Aussicht gewesen, Tag und Nacht in Athos Nähe zu sein. Doch dann musste sie hilflos mit ansehen, wie er sich von ihr fernhielt und ihr auswich. Er und Porthos waren so etwas wie ihre zweite Familie geworden. Zwar nicht über Blutbande mit ihr verbunden, wohl aber durch die Jahre als Musketiere und Freunde. Sie hatte das nicht so gewollt, aber es war dazu gekommen und jetzt sah sie sich gezwungen, die Beiden Tag für Tag aufs Neue zu belügen. Sie vertrauten einander ihr Leben an, aber nicht die Wahrheit. Doch warum war sie bei Athos gewesen und nicht bei Porthos, um zu gestehen? Weil Porthos eben nicht so tiefgründige graue Augen besaß und Lippen die sie küssen wollte. Aramis seufzte erneut. Was hatte sie sich nur gedacht? Nun hatte sie einen Schritt in eine Richtung gemacht, der sie vielleicht für immer von Athos entfernen würde. Zu deutlich wurden ihr plötzlich die Konsequenzen ihrer Entscheidung bewusst. Wenn die Sache hier, wider erwarten, doch glimpflich für sie alle ausgehen würde, hatte sie die falsche Entscheidung getroffen und würde für den Rest ihres Lebens dafür büßen müssen. Der Alkohol hatte bei ihrem Entschluss zu Athos zu gehen und ihm alles zu gestehen, eindeutig zu viel mitzureden gehabt und sie zum Leichtsinn verführt. Oder war es doch ihre Einsamkeit und eine wirklich schwere Form von verliebtsein? Ich trinke nie wieder, dachte sie und verließ Athos Zelt. Und doch hatte Athos sie geküsst. Aramis blieb kurz stehen und strich sich lächelnd über die Lippen. Vor dem Zelt des Königs hielt sie dessen persönlicher Sekretär auf. „Soll ich auch an der Beratung teilnehmen?“ „Ich frage nach!“ Er wandte sich dem königlichen Zelt zu und tat genau dies. Henri d’Effiat hatte ein Organ wie eine Trompete, was man nicht gerade erwartete, wenn man einen menschlichen Kobold vor sich sah. „Sie sollen reingehen!“ Aramis nickte und trat ein. Als sie das Zelt betrat, stand Athos schon längst in der Nähe des Königs, zurückhaltend und souverän wie immer. Sein Gesicht verriet nichts. Sie sah ihn nicht an. Der Offiziersstab des Königs hatte sich zur Bestandsaufnahme im königlichen Zelt versammelt. Porthos war ebenfalls anwesend. Die drei Musketiere hatten es zu Befehlshabern von jeweils einem Bataillon geschafft. Allein, der Rangaufstieg zum Hauptmann, verschaffte ihnen nicht die Ehre, bei der militärischen Beratung des Königs und seinen Feldmarschalle anwesend zu sein. Es war, weil sie die „drei Musketiere“ seiner Majestät waren. Es war aber auch ein Umstand, den die anderen Offiziere nicht ganz verstanden, welche aufgrund ihrer Abstammung hohe militärische Posten innehatten. D`Artagnan litt leider an zu großer Jugend und war in die normale Musketierkompanie verbannt worden. Es war eng, im königlichen Zelt, wobei der breitschultrige Porthos einen nicht unerheblichen Teil davon in Anspruch nahm. Porthos sah ihr entgegen. „Wo warst du denn? Ich habe dich gesucht!“ „Ich bin herumgelaufen“, erwiderte sie und stellte sich neben ihn. Er sah sie lauernd an, dann erhellten sich seine Gesichtszüge. „Du warst bei einer Frau!“ Selbst wenn Porthos zu flüstern versuchte, war er laut. Nun sprach er mit seiner üblichen Lautstärke, worauf sich ihnen sämtliche Köpfe zuwendeten. Aramis entglitten die Gesichtszüge. Er haute ihr kräftig auf die Schulter, so dass sie nach vorne taumelte. „Na, endlich. Wurde auch Zeit!“ „Wie kommst du denn darauf?“ Ihr Gesicht brannte vor Scharm dunkelrot. „Du siehst so aus.“ Aramis sah aus, als bekäme sie ganz böse Kopfschmerzen. Sie strich sich peinlich berührt über ihr filziges Haar und war sich unangenehm der zerknitterten Jacke bewusst. Alle Anwesenden musterten sie pikiert. Nur Athos trug eine unbeteiligte Maske zur Schau. Warum sah Athos immer korrekt aus? „Kannst du das sein lassen?“, unterbrach ihn Aramis barsch. „Du meine Güte“, murmelte Porthos. „Welcher Hund hat dich denn gebissen.“ „Mein Gott, Porthos“ murmelte Aramis erbost zurück, „kannst du nicht einmal ein wenig Benehmen beweisen!“ Der Koloss schwieg beleidigt. „Ja, meine Herren, könnten wir uns jetzt wichtigeren Aufgaben zuwenden“, bemerkte der König ärgerlich und alle Köpfe wendeten sich ihm schuldbewusst zu. Ludwig blickte sorgenvoll, fast ängstlich seine Offiziere an. Er wusste, was für Frankreich auf dem Spiel stand. Neben ihm saß der Mann, der ihn zu diesem Feldzug getrieben hatte, nachdem Diplomatie und Geld versagt hatten. Richelieu war erst fünfzig und sah doch aus wie ein Greis, ausgemergelt, abgemagert und ergraut. Auch jetzt plagte er sich mit seinen Geschwüren und der Übermacht der Spanier. Die grauen Augen über der Habichtnase glänzten fiebrig. Der Kardinal reagierte auf schlechten Nachrichten mit Krankheit. „Was haben wir?“ „10 000 Fußsoldaten, 5 000 Reiter, 23 Kanonen, eure Majestät!“ „Und die Spanier?“ Oberfeldmarschall Herzog Bernard von Sachsen-Weimar räusperte sich. „13800 Infanteristen, 6200 Kavalleristen und 60 Kanonen.“ „Ist das sicher?“ „Ja, die Spanier wollten, dass unsere Spione das sehen. Sie wissen, dass sie in der Übermacht sind und sie wollen, dass wir das wissen.“ Die Musketiergarde begleitete ihren König auf seinen Feldzug und auch Richelieu hatte das Regiment mit seinen Leuten verstärkt. Aber hier stand Ludwig nun, mit einem viel zu kleinem Heer gegen die kriegserprobten Spanier und zerrte an dem Unvermögen seiner unfähigen Offiziere. Ein Teil seines adligen Majordomos hatte sich abgesetzt. In den Jahren seiner Macht als mächtigster Minister des Königs von Frankreich, hatte Richelieu erheblichen Ehrgeiz darauf verwendet, die Macht des Adels, mit seinen zahllosen alten Privilegien zu brechen, um die Autorität und die Macht der Krone zu stärken. Die Adligen nannten ihn das Ungeheuer und obwohl die Maßnahme aktiv in den Krieg einzugreifen mit dem König abgesprochen war, wussten sie, dass es Richelieus Feldzug war und so hatten sie ihm den Rücken gekehrt. Hinzu kam, dass Richelieu einen landlosen deutschen Fürsten den Posten des Oberbefehlshabers angeboten hatte. Mit dem Versprechen, dass Bernard von Sachsen-Wismar den Landteil Elsass einschließlich der Landvogtei Hagenau erhalten sollte, war der Herzog ein Mann von Richelieus Gnaden und damit ein willkommener Feind für den französischen Hochadel. „Wir bräuchten Charles d’Albert de Luynes und seine 1 500 Mann“, warf Richelieu ein. „Aber er ist noch in der Provence. Der Bote wird ihn und seine Männer nicht rechtzeitig zu uns bringen.“ „Können wir die Schlacht noch hinauszögern?“ „Nein, Majestät, die Spanier suchen die Entscheidung.“ „Und nun meine Herren“, fragte der König und ließ seinen Blick über die versammelten Männer schweifen und blieb bei seinem neuen Oberfeldmarschall hängen. Der Herzog bedachte die Anwesenden mit dem lauernden Blick eines Jägers. In jeder anderen Hinsicht, schien er ein Durchschnittsexemplar zu sein. Ein bisschen zu fett, ein bisschen zu kahlköpfig, ein bisschen zu untersetzt, aber ungemein ehrgeizig. „Gut, meine Herren, folgende Aufstellung. Bei der Stadt möchte ich vier Schwadrone Panzerreiter, 14 Kanonen davor, dazwischen Musketiere. Fünf Divisionen zu 1 000 Musketieren und Pikenieren im Zentrum und an ihren Seiten Reiter. Im linken Flügel Kavalleristen und Fußtruppen, sieben Kanonen, vereilt zu einer langen Kette. Reiter und Schützen in zweiter Reihe und ich will eine dritte Reservereihe!“ Dabei sah er sie alle so durchdringend an, dass es schwerfiel dem Blick nicht auszuweichen. Der König nickte. „Wir brauchen jedoch unbedingt einen Ersatz für d’Lynes als Leutnant.“ Sein Blick wandte sich synchron mit dem des Kapitäns der Musketiere Athos zu. Zwischen dem König und D`Treville hatte vorher eine Absprache stattgefunden. „Der Kapitän sagte mir, Ihr seid ein d'Autevielle, Athos.“ Athos schnappte erschrocken nach Luft. Alle Augen wendeten sich dem stillen Musketier zu, dem die Überraschung im Gesicht geschrieben stand. Athos machte den Mund auf und klappte ihn wortlos wieder zu. „Seid Ihr es nun?“, fragte der Ludwig ungeduldig. „Ja“, gestand Athos mit schwacher Stimme und unbehaglichen Gesichtsausdruck. „Aber nicht der älteste Sohn meines Vaters ….“ „ … und damit ohnehin für die Offizierslaufbahn vorgesehen“, mischte sich der Kapitän ein. „Kapitän!“, rief Athos heiser aus. „Ihr hattet mir versprochen, über meinen Namen zu schweigen.“ „Tut mir leid, mein Junge. Schwere Zeiten, erfordern schwere Maßnahmen. Wir brauchen gute Offiziere, aber wir können nicht einfach jeden beliebigen Soldaten ernennen.“ „Und Eure Familie leistet Frankreich schon seit vielen Generationen als Offiziere gute Dienste“, sagte Ludwig. „Ja, das ist richtig, aber …“ „Euer Vater war Leutnant, nicht wahr?“ „Ja“, erklärte Athos hilflos. Der König sah ihn fragend an: “Was habt Ihr, Athos? Warum wollt Ihr Euren Namen nicht tragen? Nur weil Ihr Eurem Vater nicht gehorchen wolltet? Ihr seid nicht der erste Sohn, der etwas anderes für sich will als seine Eltern.“ „Ihr kennt meinen Vater nicht, Majestät. Für ihn gilt nur sein Wort.“ „Nun, auf unser Wort wird er wohl hören! Nun gut, Monsieur d‘Autevielle, Ihr werdet die zweite Division befehlen!“, entschied er. „Hiermit ernenne ich Euch zum Leutnant. Ich brauche Euch als Befehlshaber. Euer Vater wäre sicherlich stolz auf Euch. Wenn diese Sache hier beendet ist, könnt Ihr meinetwegen bei unserer Rückkehr wieder nur Musketier sein.“ „Wie Ihr befehlt, Eure Majestät!“ Athos verbeugte sich leicht. Ludwigs erster Minister hüstelte gequält, wusste aber nichts einzuwenden, da sein eigener Gefolgsmann im letzten Gefecht verwundet wurde. Aramis sah, wie Athos Gesicht sich verschloss und er einen Schritt in den Schatten zurücktrat. Gehorsam, aber resigniert, war er in seine neue Position getreten. Ach, Athos, fragte sich Aramis, zu was wollte dein Vater dich zwingen? Vor welcher Vergangenheit bist du geflohen? Aber wir haben immer gewusst, dass das Musketierdasein zu klein für dich ist. Die Beratung war beendet und alle Anwesenden verließen das königliche Zelt. Es waren nur noch zwei Stunden bis zur Morgendämmerung. Mit Sonnenaufgang, sollte sich das französische Heer in Gefechtsbereitschaft befinden. Es war Anfang Mai und obwohl das Frühjahr 1636 ungewöhnlich kalt und mit späten Frosteinfällen einherging, verschwand die Nacht schon in der fünften Stunde nach Mitternacht. Athos hielt Aramis am Arm fest und zog sie von den Anderen weg. „Flieh!“ Aramis sah ihn verwundert an. Wegen der Dunkelheit konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht richtig lesen, aber seine Stimme klang mehr flehend, als fordernd. „Noch kannst du verschwinden!“ Sie schüttelte den Kopf, doch er unterbrach sie: „Aramis, du kannst sterben da draußen. Oder in deinem Fall noch schlimmer, verwundet oder gefangen genommen werden und was dann? Sie werden entdecken, dass du eine Frau bist.“ Aramis schwieg, mit einem dicken Kloß im Hals. Er sorgte sich um sie. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz vor heimlicher Freude einen Sprung machte. „Ich kann nicht“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme. „Außerdem hast du es doch gehört. Meine Einheit wird in der dritter Reihe stehen. Mein Bataillon ist als Reserveeinheit vorgesehen. Genauso gut kannst du dich um Porthos und D`Artagnan sorgen.“ „Das tu ich. Aber du bist eine Frau und um dich sorge ich mich mehr“, beharrte er. Aramis zog ärgerlich die Augenbraue zusammen. Er schloss die Hand fester um ihren Oberarm, „Ich weiß, dass du stur bist, aber du kennst den Krieg nicht. Im Kampf wird etwas in den Männern entfesselt. Sie morden, sie rauben, sie vergewaltigen, sie werden zu Tieren.“ „Athos, du machst dir um mich unnötige Sorgen. Ich werde wahrscheinlich den ganzen Tag hinter einem Pferdehintern stehen und mich fragen, wann die Schlacht zu Ende ist. Ich bin da hinten in der dritten Reihe vollkommen sicher glaub mir. Der Kapitän hat irgendwie dafür gesorgt, dass ich zu einer der Reservetruppen gehöre.“ „Der Kapitän? Weiß, der Kapitän, dass du eine Frau bist“, flüsterte Athos ungläubig. „Ähm, nun ja“, gab sie zu. Athos machte eine Pause. „Das vorhin im Zelt …“ Er unterbrach sich. Aramis hielt den Atem an. „Ja?“, fragte sie vorsichtig. „Du hast mich überrascht. Ich hoffe, wir können noch einmal in Ruhe REDEN, wenn das alles hier vorbei ist.“ Aramis nickte. „Mach dir um mich keine Sorgen und pass auf dich auf.“ Damit riss sie sich los und ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)