Ikiteru ★ Breaking the rules von Black_Melody (Die Regeln brechen) ================================================================================ Kapitel 29: Iolith ------------------ Ryouga seufzte unzufrieden, als der Wecker ihn wieder aus dem Schlaf riss. Er war nicht mehr müde, aber Lust aufzustehen, hatte er trotzdem nicht. Es konnte doch nicht schon wieder Zeit für die Schule sein. "Guten Morgen, Großer", flüsterte Nao ihm zu und küsste ihn auf die Wange. "Geht's dir besser?" "Alles super. Ich habe keinen Bock, aber sonst kann ich heute wieder los." Sanft strich der Jüngere seinem Freund über die Wange. "Danke, dass du dich so gut um mich gekümmert hast." "Ehrensache. Komm jetzt, duschen, stylen, und während du dich fertig machst, mache ich Frühstück." Ryouga nickte, küsste den Kleineren kurz und stand dann auf. Wirklich sicher fühlte er sich noch nicht auf den Beinen, aber das schob er einfach mal darauf, dass er am vorigen Tag etwas wenig gegessen und getrunken hatte. Wie auch, wenn er fast permanent geschlafen hatte. Und mittlerweile hatte er wirklich Hunger. Ryouga freute sich wirklich auf das Gespräch mit Reno. Vielleicht konnte er ja auch etwas über Shous plötzliche Freundlichkeit herausbekommen. Nicht, dass es ihn etwas anginge, aber interessant war sowas doch schon. Und wenn er selbst nicht an Informationen kam, würde Nao doch bestimmt recherchieren können. "Ryou, wie kommst du eigentlich darauf, dass Shou in Shin verliebt sein könnte?", fragte Nao plötzlich. "Reno meinte, Shou wäre seltsam nett. Na ja, Iv hat Saga ziemlich verändert, warum sollte das Prinzip bei anderen nicht auch aufgehen?", erklärte Angesprochener. "Aber das war nicht ernst gemeint. Wieso fragst du?" Nao schüttelte den Kopf. "Mir ist nur gerade etwas eingefallen, aber das ist eh bedeutungslos." "Spuck schon aus. Was ist es?" Der Ältere seufzte. "Montag war Shin am Lehrerzimmer und hat sich von Shou irgendwas erklären lassen, aber sie kamen sich ziemlich nahe. Es hat so gewirkt, als würden sie miteinander flirten, auch diese mehr oder weniger zufälligen Berührungen. Das kommt mir gerade jetzt so seltsam vor. Ich meine, wir beide, Saga und Iv, Reno und Hiroto. Das sind doch keine Zufälle mehr." Ryouga zuckte mit den Schultern. "Ich werde mal sehen, was ich aus Shin herausbekomme und wie komisch Shou sich wirklich benimmt. Wahrscheinlich übertreibt Reno oder Shou hat sich nur gefreut, dass ich nicht da war." "Letztes nicht. Er mag dich, wenn du dich benimmst. Sagt er." "Süßer, du bist manchmal einfach zu naiv", grinste Ryouga. "Bist du schon darauf gekommen, dass er das nur sagt, um dich nicht aufzuregen? Er hasst mich." "Das hast du von Saga auch behauptet, und ihr kommt gut miteinander aus. Das wird zwar auch noch von Iv beeinflusst, aber das geht auch so. Shou lügt nicht, ich kenne ihn." "Ist doch auch egal." Bestimmt zog Ryouga den Kleineren unter die Dusche und stellte das Wasser an. Sanft drängte er den anderen an die Wand, was diesen erschrocken die Luft einziehen ließ. Die Wandfliesen waren kalt. Zögernd küsste Ryouga ihn, als hätte der Größere Angst, ihn zu zerbrechen. Es war nur ein Kuss. Weiter würde Ryouga nicht gehen, auch wenn er schon gern mehr Nähe zu Nao genießen würde, aber sie hatten keine Zeit. Nach dem Anziehen gesellte Ryouga sich zu Nao in die Küche und sah den Älteren an, bevor er sich schweigend an den Tisch setzte und seinen Kaffee anstarrte. "Nao, was ist jetzt eigentlich los?" "Was meinst du?" Angesprochener stellte die Brotplatte in die Mitte des Tisches, ließ sich auf seinen Stuhl sinken und sah ihn fragend an. "Wir haben ein Problem und du wolltest mir noch erzählen, worum genau es geht", erinnerte Ryouga ruhig und nahm sich eine Scheibe Brot. "Ich habe ein Problem", bemerkte Nao leise und sah auf die Tischplatte. "Wir sind zusammen, wohnen zusammen und arbeiten zusammen, oder zumindest so etwas Ähnliches. Deine Probleme sind auch meine." "Süß von dir, aber ändern kannst du es nicht. Das Problem ist, dass ich noch an meinen Vermieter in London umgerechnet 115.000 Yen* zahlen muss, und die Firma, die meine Sachen hierher verschifft hat, will auch noch knapp 100.000 Yen** haben, in spätestens drei Monaten. Dann kommt aber die monatliche Miete und die Verpflegungskosten, und ich weiß nicht, wie ich das bezahlen soll. Ein paar Ersparnisse habe ich noch, und die werden dafür wohl weggehen, aber mach dir keine Sorgen. Ich kriege das hin." Aufmunternd lächelte er den Jüngeren an. "Wir kriegen das hin", korrigierte Ryouga und nahm seine Hand. "Wir können zum Beispiel günstiger leben, wenn wir nicht immer nur Essen bestellen." "Weil wir auch abends, während der einzigen Zeit, die wir für uns haben, Lust haben zu kochen", spottete Nao und schloss die Augen. "Wenn wir zusammen kochen, wird das bestimmt auch toll." "Kannst du kochen?", fragte Nao skeptisch. "Keine Fünf-Sterne-Menüs, aber für Spaghetti reicht es. Und alles Weitere kann ich lernen, Herr Lehrer." "Das allein wird aber nicht reichen. Lass mich nur machen, Ryou, ich schaffe das, auch wenn ich deine Unterstützung brauchen werde." Zart drückte Nao die Hand seines Freundes und sah dann wieder in seinen Becher. Schön wäre es, wenn er wirklich so leicht wieder aus der verdammten finanziellen Krisensituation herauskommen könnte, aber es musste gehen, ohne dass Ryouga etwas davon erfuhr, und genau dafür würde er alles tun, was nötig war. Zufrieden betrat Ryouga den Klassenraum und schlenderte zu seinem Platz neben Reno, der überraschenderweise auch schon anwesend war. Dabei hatten sie 'nur' Wirtschaft, also eigentlich nichts Spannendes. Seltsam, ließ Reno doch sowas eigentlich gern ausfallen. "Morgen", begrüßte Ryouga seinen besten Freund lächelnd. "Morgen. Hast du gestern gearbeitet?" "Nope. Wie kommt es zu deiner Anwesenheit?" Reno grinste. "Ich habe bei Hiroto geschlafen. Ich hatte die Wahl zwischen früh aufstehen, so dass er mich mitnimmt, oder ausschlafen und öffentliche Verkehrsmittel nehmen oder eineinhalb Stunden laufen." Skeptisch zog Ryouga eine Augenbraue hoch. "Und da erscheinst du pünktlich und streichst nicht lieber den ganzen Tag weg?" "Warum nicht? Na ja, egal. Kommst du in der Mittagspause mit zum Direktor?" "Muss ich?", seufzte Ryouga genervt und legte den Kopf in den Nacken. "Ja. Er hat sich nach dir erkundigt, ja? So schlecht ist er eigentlich nicht. Und er will mit dir reden." "Dann werde ich mich wohl der Höflichkeit halber bei ihm sehen lassen müssen." "Seit wann bist du höflich?", fragte Reno grinsend. "Seit keine Ahnung." "Tolle Antwort, Ryou. Wirklich." Lachend verschränkte der Größere die Arme vor der Brust. "Du meinst wohl seit Nao." Genervt verdrehte Ryouga die Augen und kramte seinen Block aus der Tasche. Nein, er hatte nicht vor großartig zu reagieren. Diesen Erfolg verdiente Reno nicht. Streng genommen hatte er nämlich recht. Seit Nao da war, hatte Ryouga sich sehr verändert, das war ihm auch aufgefallen. Aber es war nicht schlecht, es ging ihm gut damit. Er fühlte sich wohl damit, und so war doch alles in bester Ordnung. So lange Nao es auch so sah. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Himmel, war er verknallt. Wobei dieses Wort den Ernst seiner Gefühle nicht unterstrich. Wie sehr er Nao liebte. Zuhause ließ Ryouga sich sofort auf das Sofa fallen und legte den Kopf in den Nacken. Was für ein Tag. Ja, er war bei ihrem derzeitigen Rektor gewesen, allein, weil dieser es so gewollt hatte. Sie hatten sich unterhalten. Über auch private Dinge. Dinge, über die ein Rektor eigentlich nicht mit einem Schüler sprach. Uruha war die Ausnahme gewesen. Und der neue Rektor hatte eine Forderung an ihn gestellt. Unmoralisch, widerlich, einfach nicht zu rechtfertigen. Aber erfüllte er die Forderung nicht, gefährdete er ihren Plan. Trotzdem hatte er um Bedenkzeit gebeten. Das Argument, dass er in einer festen Beziehung war, hatte ihm nichts gebracht. Mit der Begründung, dass sein Freund ja nie etwas davon zu erfahren brauchte. Ganz toll. Also musste er nicht mit Nao reden, aber er würde es trotzdem tun. Es wäre verdammt unfair, es nicht zu tun. Eigentlich wollte er sowieso die Meinung seines Freundes dazu hören, aber vorher musste er selbst erst mal entscheiden, ob er bereit war, so weit zu gehen. Es war nicht so, dass er Angst oder so etwas hatte, aber allein bei der Vorstellung musste er an Nao denken und daran, wie sehr er diesen verletzen würde. Die Situation war einfach scheiße. Entweder gefährdete er den Plan oder seine Beziehung. Tolle Auswahlmöglichkeiten. Aber würde Nakamura länger Rektor bleiben, stand die Beziehung weiter unter großer Belastung, was sicher nicht gut wäre. Er stritt auch so schon genug mit seinem Mitbewohner, Lehrer und Freund, er musste die Situation nicht noch verschlimmern. Aber genau das tat er, wenn er auf die Forderung einging. Vielleicht gab es danach dann keine Beziehung mehr. Klar würde er dann um Nao kämpfen, aber ob es dann auch noch einen Sinn hatte, war fraglich. Gott, verdammt, wie kompliziert das Leben war, wenn man in einer festen Beziehung war. Da könnte man ja fast das Singledasein vermissen. Aber nur fast. Es war einfach zu schön, jemanden für sich zu haben. Auch wenn es ihn einschränkte, es war nichts Schlechtes. Ein leises Seufzen entkam ihm. Das Leben war immer schon schwierig gewesen, und er hatte gelernt, damit zurechtzukommen, nur war alles, seit er mit Nao zusammen war, nur noch komplizierter geworden. Er fragte sich, ob Beziehungen immer so schwierig waren. Wohl kaum. Das, was zwischen ihm und Nao war, war verboten. Sie versteckten sich zwar nicht, aber sie konnten auch noch nicht vor allen zu ihrer Beziehung stehen. Die 13 Jahre Altersunterschied waren zwar nicht schlimm, aber führten manchmal zu Missverständnissen. Nicht, dass es die nicht sowieso gab, aber trotzdem… So wurden sie noch gefördert. Warum bitte hatte er sich in einen so viel älteren Lehrer verliebt? Aber warum eigentlich nicht? "Ryou, was ist? Fühlst du dich nicht gut?" Nao sah seinen Freund schon eine Weile an. Er sah nachdenklich aus, was eigentlich nicht schlimm war, aber nach dem vorigen Tag wollte er kein Risiko eingehen. Er wollte allgemein nicht das Risiko eingehen, dass Ryouga etwas passierte. "Doch. Darf ich nicht auch einmal nachdenken?" Lächelnd schlug Ryouga die Augen auf und zog Nao zu sich, legte seinen Kopf auf dessen Schulter. "Klar. Aber trotzdem… Worüber denkst du nach?" Sanft strich Nao dem anderen über den Kopf. "Erzähl ich dir später, Samstag oder Sonntag. Ich muss das erst mit mir selbst ausmachen, aber dann rede ich mit dir darüber. Lass uns einfach nur den Nachmittag hier auf dem Sofa bleiben. In Ordnung?" Leicht nickte der Ältere und ließ sich auf Ryougas Schoß ziehen, der die Arme fest um seine Taille legte und den Kopf an seine Brust lehnte. Verwundert legte er die Arme um den Größeren und hielt ihn einfach nur fest. Wenn es das war, was er brauchte, konnte er es auch bekommen. Nao pustete ihm sanft über das Haar und schloss ebenfalls die Augen. Es tat ihm weh, dass der Jüngere nicht mit ihm reden wollte, zumindest noch nicht. Aber andererseits gab es auch Dinge, die er als älterer und vernünftiger Teil für sich behielt. In einer Beziehung sollte man offen und ehrlich sein. Wenn sie das jemals erreichen wollten, mussten sie noch viel lernen, was die Ehrlichkeit dem jeweils anderen gegenüber betraf. Irgendwann würden sie das vielleicht auch schaffen. Ryouga sah zur Uhr. Nur noch eine Viertelstunde, bis er Feierabend hatte und zurück zu Nao durfte, nur würde er diesen nicht mehr wach antreffen. Er hatte seinem Freund Aufstehverbot erteilt, mit der Begründung, dass er nicht wusste, wann er nach Hause kam. Lüge. Er hatte Nao damit angelogen, aber er wollte nur etwas Ruhe und Zeit zum Nachdenken haben. "Ryouga, was ist los? Vor ein paar Tagen konntest du gar nicht aufhören zu strahlen, und jetzt bist du so ruhig, dass es schon fast gruselig ist." Kazuki sah ihn fragend an. "Ist kompliziert", wich er der Frage aus. Lächelnd widmete er sich der Kundschaft. Ein Mädchen, das seltsamerweise nur bei ihm bestellte. Also hatte er mal wieder ein ganz persönliches Fangirl. "Schon wieder Krach mit Nao?", riet Kazuki, ohne das Mädchen zu beachten. "Nicht direkt." Ruhig stellte er der Kundin das Glas hin und wandte sich Kazuki wieder zu. "Soll heißen?", fragte der Kleinere weiter. "Mal angenommen, du würdest noch zur Schule gehen und wärst in einer festen Beziehung und jemand, der dir alles nehmen kann, würde verlangen, dass du mit ihm schläfst, obwohl du das gar nicht wollen würdest. Was würdest du tun?" Kazuki atmete lautstark aus. "Top oder Bottom, welchen Part würde ich übernehmen?" "Bottom." "Keine Ahnung. Scheiß Situation. Wenn ich mit demjenigen schlafen würde, würde ich meine Beziehung gefährden. Und würde ich es nicht tun, könnte derjenige auch für das Ende meiner Beziehung sorgen. Noch Randumstände?" "Du und dein Freund braucht Geld." Nachdenklich stützte Kazuki sich auf die Theke und sah auf das dunkle Material. "Ich würde mit meinem Freund reden, ob es für ihn okay wäre, wenn ich mit dem anderen schlafen würde. Und dann würde ich mich von dem Typen bezahlen lassen." "Wir sind uns zu ähnlich", stellte Ryouga trocken fest und schenkte sich ein Glas Whiskey ein. "Du auch?", fragte er seinen Kollegen, der ihn tadelnd ansah und den Kopf schüttelte. "Alkohol ist keine Lösung." "Ich weiß, aber vielleicht fällt mir im betrunkenen Zustand etwas ein. Cheers." Schnell kippte er den Inhalt des Glases hinunter. "Du weißt, dass du im Dienst noch zurechnungsfähig sein musst?" "Kazu, die meisten Gäste verschwinden eh schon und wir haben noch eine Viertelstunde. So schnell schaffe ich es nicht, mich zu betrinken." "Wer weiß. Ich fahre dich trotzdem nach Hause", entschied der Ältere. "Wenn du noch an einer Tankstelle vorbeifährst und für mich eine Flasche Vodka oder Whiskey oder was auch immer kaufst, gern. Ich gebe dir auch das Geld." "Du willst dich wirklich noch volllaufen lassen?!" Ryouga zuckte mit den Schultern und schloss die Augen. Der hohe Alkoholanteil des Getränks begann langsam, seine Wärme in ihm auszubreiten. Bis er wirklich genug intus hatte, um nichts mehr zu merken, würde es wohl noch eine Weile dauern, aber es war ein Anfang. "Wenn, dann richtig. Ich spendiere dir noch eines von den Päckchen mit fünf Kurzen und eine Flasche Vodka. Das Problemlösungspaket von Freund zu Freund, in der Hoffnung, dass du später im Notfall auch so was für mich tust." "Danke." Ehrlich lächelte Ryouga den älteren Barkeeper an. "Es ist schön, wenn man Leute hat, auf die man zählen kann. Wahre Freunde." "Du solltest hier lieber nichts mehr trinken, du wirst schon seltsam." Kazuki schüttelte grinsend den Kopf und nahm seinem jungen Kollegen das Glas weg. Deutlich benommen setzte Ryouga die Flasche an die Lippen und sah diese verwirrt an, als kein Tropfen mehr herauskam. Missmutig stellte er sie zu den kleinen Schnapsfläschchen, bevor er die nächste öffnete und einen kräftigen Schluck nahm. Trotzdem linderte es den Schmerz nicht. Schon seit einer Weile flossen Tränen über seine Wangen, er zitterte. Er hatte Angst, Nao zu verlieren, und normalerweise hätte der Alkohol ihn vergessen lassen, weshalb er sich betrank, aber sein Freund geisterte durch seine Gedanken. Aber er trank genau aus dem Grund immer mehr, hoffte zu vergessen. Noch nie in seinem Leben hatte er so viel Alkohol zu sich genommen, aber er dachte auch nicht darüber nach. Er wusste, dass schon Menschen an einer Alkoholvergiftung gestorben waren, aber daran wollte er nicht denken. Auch nicht, was mit Nao werden würde, wenn ihm etwas passierte. Nao rieb sich verwirrt über die Augen. Er lag allein im Bett. Wo war Ryouga? Fast ängstlich stand er auf und ging in den Flur. Die Schuhe des anderen standen da, aber trotzdem fühlte Nao sich unwohl. Zögernd ging er in das Wohnzimmer, blieb wie angewurzelt in der Tür stehen und sah zum Sofa. Auf dem Tisch standen eine leere Vodkaflasche und fünf kleine Schnapsflaschen, auf dem Boden lag eine zerbrochene Flasche, auch Vodka, oder vielleicht Whiskey. Schnell hockte er sich neben den Jüngeren und zog vorsichtig eine kleine Scherbe aus dessen Hand. Sein Herz schlug panisch. Er legte seine Hand an den Hals seines Freundes und seufzte erleichtert, als er spürte, wie das Blut durch die Adern des anderen gepumpt wurde. Behutsam rollte er diesen ganz auf das Sofa und begann, das Chaos zu beseitigen. Leise fluchte er, als er sich noch an einer Scherbe schnitt, nahm es aber in Kauf. Er wusste nur nicht, wie er mit Ryouga darüber reden sollte. Oder ob er seinen Freund überhaupt darauf ansprechen sollte. Schnell ging er nach dem Aufräumen in die Küche und schnappte sich Ryougas Handy. Reno oder einen anderen seiner Freunde anzurufen, hatte keinen Sinn. Wenn jemand wusste, was los war, dann einer seiner Kollegen. Kazuki oder Ray. Wobei Kazuki wohl doch mehr wusste, mit ihm war Ryouga enger befreundet. "Ryou, was ist? Ist ja noch mitten in der Nacht", nuschelte der Barkeeper am anderen Ende der Leitung. "Hier ist Nao. Was war gestern los? Kazuki, wach auf!", fauchte Nao und sah aus dem Fenster, kaute unruhig auf seiner Unterlippe. "Nao… Moment. Ruha, bringst du mir mal einen Kaffee? Danke, ich liebe dich auch. So… Was soll gestern losgewesen sein, Nao?" "Ryouga liegt völlig breit auf dem Sofa, und dabei entstehen zwei Fragen. Erstens: Warum hat er sich so abgeschossen? Zweitens: Wer bitte hat ihm Whiskey, Vodka und Kurze gekauft? Mit 17 kommt er da noch nicht ran." Kazuki räusperte sich. "Wie kommst du darauf, dass ich es dir sagen kann? Er ist dein Freund, wenn ich mich richtig erinnere." "Jetzt rede schon", knurrte Nao angriffslustig. "Also schön. Erstens: Er hat ein Problem, wenn ich alles richtig verstanden habe. Zweitens: Also…", der andere hustete leise, "das war ich. So machen Freunde das." "Spinnst du?", fauchte Nao in das Telefon. "Ich… Verdammt, er hat sich fast ins Koma gesoffen! Er lebt zwar, aber ich überlege immer noch, ob ich ihm keinen Krankenwagen rufen soll!" "Nao, das tut mir leid, aber woher hätte ich das wissen soll? Egal… Soll ich vorbeikommen und dir helfen? Vielleicht redet Ryouga über gewisse Dinge lieber mit mir als mit dir." "Nein, ich schaffe das schon und ich muss ihn sowieso dazu bringen, mit mir zu reden." "Wenn du meinst… Aber es könnte sein, dass das, was du hörst, dich ziemlich aus der Bahn wirft." Nao seufzte und legte den Kopf in den Nacken. "Das ist mir egal. Er muss nur endlich mit mir reden." "Dann macht das unter euch aus. Ich muss auflegen, ich habe auch noch meinen Freund, der meine Aufmerksamkeit will. Du kannst Ryouga von mir auch eine Schicht verpassen. Man sieht sich." Genervt legte Nao das Handy auf die Arbeitsplatte und stützte sich dann auf diese, ließ den Kopf hängen und schloss die Augen. Er zitterte vor Verzweiflung. Was bitte sollte er tun? "Morgen, Nao." Ryouga sah völlig fertig aus, als er sich auf einen Küchenstuhl fallen ließ. "Haben wir Kopfschmerztabletten?" "Badezimmer, Waschbeckenschränkchen, unterste Schublade." "Holst du mir die?" Flehend sah Ryouga ihn an. "Wenn du mir danach sagst, was los ist." Schweigend sah der Jüngere auf den Tisch. "Verflucht, Ryou, du besäufst dich doch nicht grundlos nach der Arbeit im Wohnzimmer! Was ist dein Problem?" "In Ordnung", seufzte Ryouga. "Erst etwas gegen Kopfschmerzen, dann die Erklärung." Unentschlossen sah Ryouga aus dem Fenster. Es war weitaus angenehmer, im Wohnzimmer zu reden als in der Küche. Gut, jetzt musste er nur noch den richtigen Anfang finden. Wenn das so leicht wäre. Nicht mal Reno wusste, was Nakamura von ihm verlangte, wie sollte er dann mit Nao reden? "Ryou, was ist jetzt?", bat der Ältere und legte ihm eine Hand auf den Arm. "Ich habe gestern mit Nakamura-san gesprochen, über Beziehungen und… Sex. Er hat mir erzählt, dass er gern mal wieder eine Frau im Bett hätte, aber im Zweifel auch einen Mann nehmen würde. Er wollte, dass ich ihm Tipps gebe…" "Und?" Ryouga schüttelte den Kopf. "Das willst du nicht hören." "Du machst mir Angst, wenn du daraus so ein Geheimnis machst", bemerkte der Kleinere und sah ihn an. "So schlimm kann es doch eigentlich nicht sein. Oder", plötzlich wurde er unsicher, "hat er etwas über unsere Beziehung herausgefunden?" "Nein." Gequält seufzte Ryouga und lächelte seinen Freund traurig an. "Er weiß, dass ich in einer festen Beziehung bin, aber nicht mit wem." "Dann sag schon." Ermutigend nahm der andere seine Hand und drückte sie. "Er will, dass", Ryouga holte noch einmal tief Luft, "dass ich mit ihm schlafe." _________________________________________________________________________________ *ca. 1050€ ** ca. 910€ Ja, ja, ich bin gemein zu euch. Ein Cliffhanger vom Feinsten. Aber ich muss ja Spannung erzeugen. xD Na, wer von euch hat geahnt, worauf der liebe Herr Übergangsrektor hinaus wollte? Gut, es war nicht schwer zu erraten. Aber doch sieht man nicht wirklich, wie Ryouga sich denn jetzt entschieden hat. Die Entscheidung ist auch nicht unbedingt leicht. Ich meine, wenn man zwei Möglichkeiten hat und beides nicht sonderlich verlockend ist, ist das ganze irrsinnig kompliziert. Viel spannender ist aber jetzt doch die Frage, was Nao dazu zu sagen hat. Ich bin sicher, dass einige sich denken können, wie seine Reaktion ausfällt. Aber das kommt alles in zwei Wochen und ich muss mal wieder zur Schule. Yay. =.= Wieso ich eigentlich noch hingehe, weiß ich selber nicht, aber ist ja auch egal. Hikari Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)