Via Inquisitoris: Draculas Rückkehr von Hotepneith (der dritte Vampirkrimi) ================================================================================ Kapitel 7: Lehrer und Schüler ----------------------------- Als Sarah in die Hotellounge kam, entdeckte sie fast sofort Lord John und Sir Guy. Dieser war ein blonder Mann, scheinbar Mitte der Dreißig. Wie auch ihr „Vater“ trug er einen Anzug, wie er Ende des neunzehnten Jahrhunderts Mode gewesen war, aber auch heute nicht auffiel. Andere, weibliche Hotelgäste, die gerade vom Frühstück zurückkehrten, bemerkten mit unwillkürlichem Bedauern, mit welcher altmodischer Grandezza sich die beiden Herren erhoben, der eine ihr dezent die Hand küsste, der andere ihre Wange. „Meine teure Lady Sarah,“ meinte Sir Guy: „Ich habe natürlich von Ihrer Berufung gehört und muss sagen, dass es niemand Fähigeren geben könnte. Ich freue mich, Sie wieder zu sehen, auch, wenn es aufgrund einer gewissen Fehlleistung meines ...Williams ist. Ich bin froh, dass Sie mir über John die Möglichkeit geben das zu bereinigen. Der Junge ist ja noch nicht einmal geboren.“ Er bezog sich auf Andy und die Inquisitorin atmete unwillkürlich auf. Das hatte sie erhofft. Ihm war klar, dass Mr. Haines sich einer Verwarnung des Hohen Rates sicher sein konnte, aber er würde Andy helfen, sich in seiner neuen Welt, seiner neuen Art zurechtzufinden. Und es gab ganz bestimmt schlechtere Helfer als einen mehrere tausend Jahre alten Vampir. Wenn sie sich recht entsann, war er an die dreitausend, aber genau wusste sie es nicht. So lächelte sie Lord John flüchtig zu, ehe sie höflich erwiderte: „Danke, Sir Guy. Ich bin überzeugt, dass Sie ...Ihrem Enkel....helfen können.“ „Ich habe eine Idee. Können wir dann fahren?“ Sie war etwas überrascht, ehe sie begriff, dass der Kadash stets der ranghöchste der anwesenden Vampire war. Daran hatte sie sich noch immer nicht gewohnt: „Die Rezeption wird uns sicher gleich ein Taxi besorgen können. Kommen Sie.“ Sie warf ihrem Adoptivvater einen raschen Blick zu und war zusätzlich durch dessen leichtes Nicken beruhigt. Also hatten die beiden eine gute Idee, wie man Andy trotz seines so jungen, zu jungen, Meisters, einen guten Start in ein Vampirleben geben konnte. So saßen die Drei nur eine halbe Stunde später im Büro von Direktor Haines, der sich über den Besuch seines Meisters, eines Mitglied des Hohen Rates und der Inquisitorin sichtlich nicht freute, aber auch nicht wagte, dazu noch ein Wort zu verlieren. Zu sehr wusste er, dass er in der Klemme saß. Unwillkürlich hoffte er, dass Sir Guy ihm helfen würde und begrüßte alle drei ranghöheren Vampire höflich: „Gute Jagd. Bitte, setzen Sie sich.“ „Oh, William,“ sagte Sir Guy fast wenig traurig: „Dir ist klar, dass du gegen zwei Empfehlungen des Hohen Rates verstoßen hast und dir das zumindest eine Verwarnung eintragen wird.“ „Es sind aber nur Empfehlungen,“ gab der Direktor zu seiner Verteidigung zurück: „Sir Guy, Inquisitor, Lord John....wenn ich erklären dürfte...Ich sagte bereits zur Inquisitorin, dass Andy seinem Alter voraus ist. Er ist hochintelligent, selbstsicher und durchaus erwachsen. Im Übrigen möchte ich auch darauf hinweisen, dass auf unseren Schlachtfeldern der Rosenkriege bereits Vierzehnjährige als waffenfähige Männer galten und entsprechend behandelt wurden. Denken Sie an Lord Ruthland. Andy ist sechzehn und seinem Alter voraus.“ „Empfehlungen des Hohen Rates haben in aller Regel einen guten Grund,“ meinte Lord John ruhig, aber nachdrücklich: „Ja, im 14. Jahrhundert und auch davor galten andere Altersgrenzen. Aber die Empfehlung lautet auch: keinen Menschen zu verwandeln, der nicht volljährig ist. Früher wuchsen die Kinder anders auf, die Ausbildung war anders. Nie zuvor in allen Zeiten, die ich sah, wurden Kinder so spät erwachsen. Sie haben dafür auch eine behütetere Kindheit, nun, in dieser Gegend der Welt.“ „Mein teurer John,“ wandte Sir Guy ein: „Ich fürchte, William hat einen Punkt nicht gesehen. Es geht um die psychische Entwicklung, ja, da haben Sie völlig recht. Aber auch um die körperliche. Wenn man ein Kind mit vier außer Haus gibt, mit sieben dem Waffenhandwerk – oder einem anderen anvertraut, wird es anders auf seine Verwandlung reagieren, als eines, das nur in diesen Mauern lebt und auch nur hinter den Büchern sitzt. Würde man Andy jetzt in einen Vampir verwandeln, bliebe er immer auch körperlich so, wie er jetzt ist, er würde nie erwachsen werden. Will – das kannst du doch nicht gewollt haben!“ „Er...er sieht doch schon recht erwachsen aus....“ Aber Mr. Haines klang etwas kleinlauter. „Ja, er ist geschlechtsreif, aber doch noch nie ausgewachsen. Und ersterer Punkt wird erlöschen, sobald er vollständig zu einem Vampir geworden ist,“ erklärte Lord John: „Das unterscheidet die heutige englische Jugend von der des 14. Jahrhunderts. Andy muss nun vollständig umgewandelt werden, denn die Verwandlung ist nie mehr rückgängig zu machen. Aber es muss eine Entscheidung getroffen werden, die IHM passt.“ „Mein Vorschlag wäre, Will: du stellst dich der Verhandlung des Hohen Rates....“ Nun, täte er es nicht, würde die Inquisitorin eingeschaltet. Und diese saß ihm gegenüber: „Und Andy bleibt zunächst noch hier, bildet sich körperlich und geistig nach Menschensitte weiter. Das nächste Mal, wenn der Blutaustausch stattfindet, wird es in einem Jahr sein. Er ist ein Vampir und hat Jahrtausende vor sich. Alles in allem sollte der Blutaustausch in mehreren Jahren erst abgeschlossen sein, wenn er so einundzwanzig ist, mindestens. Danach wirst du hier dein Amt aufgeben und dann mit ihm zu mir ziehen. Du bist mein Schüler, er damit mit mir verwandt und wird auch zu mir eine Bindung eingehen können. - Der nächste Punkt. Du hast dich erdreistet ihn zu verwandeln, obwohl du selbst noch keine tausend Jahre bist. Wo sind deine magischen Fähigkeiten, deine Macht über Bannkreise, die zwingend erforderlich sind, um Schüler selbst daran führen zu können?“ Und diesmal klang der Meistervampir wirklich zornig. „Vater...“ sagte William Haines unwillkürlich: „Ich....Du weißt besser als ich, wie sehr ich immer Kinder ausbilden wollte, Schüler.“ „Weiter.“ Hu, dachte Sarah prompt, wenn ihr „Vater“ je mit ihr so geredet hätte, wäre sie vermutlich an das nächste Ende Londons geflüchtet. Der eisige Tonfall konnte ja einem Vampir das Gruseln beibringen. Aber schön, sie hatte zwar Fehler begangen, aber nie gegen eine Regel des Hohen Rates verstoßen, zumal gegen welche, die den Kadash interessieren könnten. Sir Guy fühlte sich wohl von seinem Schüler gegenüber dem Rat und der Inquisitorin bloßgestellt, wusste aber deren Entgegenkommen zu schätzen. Der Schuldirektor suchte nach Worten, während er nicht verhindern konnte, dass er seine Besucher durchaus unbehaglich musterte. Das wurde schlimmer, als er erwartet hatte. Und er war froh gewesen die menschliche Polizei loszuwerden? „Andy ist, von allen Kindern, Schülern, die je durch meine Hände gingen, der Beste, der Idealschüler. Er ist hochintelligent, dennoch sozial und weiß mit beiden Fähigkeiten umzugehen. Hinzu kam, dass er sich mit seinen Eltern so gar nicht verstand und ich ihm zunächst ja nur ein wenig den Vater ersetzen wollte. Doch je näher ich mich mit ihm beschäftigte, umso klarer wurde mir, dass er ein wirklicher Sonderfall ist. Ich weiß, dass die tausend Jahre in aller Regel vorgeschrieben sind, aber ich konnte ihn doch nicht einfach so gehen lassen...“ „Du wolltest nicht.“ Noch immer klang Sir Guy alles andere als freundlich: „Warum bist du nicht zu mir gekommen, oder hättest mich auch nur angerufen – diese neuen Techniken sind durchaus praktisch – und hast mich gebeten, die Verwandlung zu übernehmen?“ „Daran...daran habe ich nicht gedacht..Ich wollte ihm nur helfen....“ „Indem Sie ihn bei der Verwandlung oder spätestens in den kritischen Jahren verrückt werden lassen?“ fragte Lord John, keinen Deut freundlicher als sein alter Freund. „Wie ich bereits erwähnte, hat der Rat gute Gründe für seine Empfehlungen. In ihm sitzen seit es unsere Art gibt, stets die ältesten und erfahrensten Vampire. Glauben Sie wirklich, diese wüssten seit Jahrhunderttausenden nicht, was sie tun?“ Haines wusste nicht genau, wer der Vampir vor ihm war, aber er war ihm als Mitglied des Hohen Rates vorgestellt worden – und jeder wusste, dass der Rat den Kadash beauftragte. Die Inquisitorin saß auch an der Seite des Ratsmitgliedes. So meinte er höflich: „Nein, das hätte ich nie angenommen...ich...ich vermutete eigentlich, dass ich Andy dann durchaus durch die kritischen Jahre helfen könnte. Ich bin seit Jahrhunderten Lehrer.“ „Und ein verdammter Narr!“ Sir Guy atmete durch, eine durchaus menschliche Sitte, die kaum ein Vampir abgelegt hatte: „Wirklich, William, so musste ich mich in meinem gesamten nichtmenschlichen Dasein noch nicht schämen. Die Umwandlung eines Menschen in einen Vampir ist, trotz aller Ähnlichkeiten und gemeinsamen Wurzeln, stets eine riskante Sache. Geht sie zu schnell oder ohne die notwendige Magie seitens des Meisters von Statten, kann das Kind durchaus wahnsinnig werden, oder gar zu einem Gebissenen. Das Entstehen der neuen Lebensform ist wie ein Erwachen und bedarf der sorgfältigen und behutsamen Anleitung. Ich dachte, dass hätte ich dir beigebracht. Zum Glück hast du Andy bislang erst zwei Mal gebissen. Es ist jetzt immerhin noch nicht zu spät, dass ich damit weitermachen kann, ihn so schützen kann.“ Er bemerkte den Schatten, der über das Gesicht seines Schülers huschte: „Oh ja, ich weiß, dass du gern ein eigenes Kind hättest, das schon immer haben wolltest, aber es geht nicht um dich, sondern um das Kind. Andy ist als Vampir noch nicht einmal geboren und schwebt momentan zwischen den Zuständen. ER muss geschützt werden, soll er nicht zu einem dieser unseligen Gebissenen werden. Auch und gerade vor dir und deinen Wünschen. - Wären Sie mit der Lösung einverstanden, Inquisitor?“ „Ja,“ sagte Sarah unverzüglich. Für Andy würde es deutlich mehr Schutz geben und Hilfe bei der Umwandlung, später auch in den kritischen Jahren, wenn er bei Sir Guy lebte. Mitleid mit dem Direktor empfand sie keines. Allerdings musste sie wieder an ihre eigene Umwandlung denken. Was war da nur mit ihr passiert? Sie hatte ihr Gedächnis verloren, kein Meister hatte sich um sie gekümmert, stattdessen waren Gebissene über sie hergefallen. Und hätte sich nicht Lord John ihrer angenommen, wäre sie wohl wirklich verrückt geworden, wie sie selbst es damals bereits glaubte – und ein Fall für den Kadash, der zu der Zeit, 1838, sowieso in London gewesen war. Aber das würde sie wohl nie erfahren. Sie selbst hatte Don Fernando in Mexiko getötet, und alles, was Ikol als sein Auftraggeber, vermutlich sogar Meister, ihr vor seinem Tod gesagt hatte, war gewesen: ihre Verwandlung, ja, ihr Tod durch die Gebissenen, sei eine Gehorsamsübung gewesen. Warum nur? Aber sie sollte sich besser auf das Hier und Jetzt konzentrieren: „Dann übernehmen Sie auch die Verantwortung für Andy, Sir Guy?“ „Ja. Ich würde sagen, William, du stellst mich ihm vor und ich werde ihm erklären, wie die Sachlage ist – und dass er in Gefahr ist. Wenn er so intelligent ist, wie du behauptest, wird er verstehen, dass es nötig ist.“ Der Direktor biss sichtlich die Zähne zusammen, sagte aber nur: „Ja, Vater. - Wegen der Verhandlung vor dem Hohen Rat.....“ „Ich werde den anderen Mitgliedern eine Taube schicken,“ sagte Lord John, dem diese Frage galt: „Entweder sie wollen Sie persönlich sehen, dann findet die Verhandlung in ungefähr hundert Jahren bei der nächsten regulären Ratsversammlung am Tempel von Göbekli Tepe statt, wie er heute heißt. Die Ausgrabungen dort werden wohl bis dahin abgeschlossen sein, überdies vermag der Rat sich durch Bannkreise gegen Menschen zu schützen.“ Er bemerkte, dass Haines diesen Seitenhieb durchaus verstand: „Falls sie Sie nicht sehen wollen, es nur bei einer Verwarnung bleibt, wird sie Ihnen über Sir Guy als Ihren Meistervampir zugestellt.“ Sarahs Handy meldete sich und sie griff mit einer Entschuldigung hin: „Ja? Oh, Inspektor....Ja? Nein, ich bin soeben in einer Besprechung. Kommen Sie später zu mir ins Hotel? Ich bin neugierig zu erfahren, wer der Täter war, ehe ich es morgen in der Zeitung lesen. Danke.“ „Sie wissen, wer die beiden Mädchen tötete?“ erkundigte sich Lord John: „Lass mich raten: Dracula war es nicht?“ Aber ein leises, spöttisches Lächeln verriet ihn. „Nein. Ein Mensch unter Menschen. Genaueres sagt er mir später. - Sir Guy, Mr. Haines, ich wäre dafür, dass Sie sich jetzt um Andy kümmern, ihm die Neuigkeiten mitteilen und ihn auch warnen.“ Sie stand auf: „Ich darf bitten....“ Sie vergaß gerade vor Haines nicht, wer der Rangoberste der Anwesenden war. Als Lady Sarah und Lord John in das Hotel zurückkehrten, entdeckte die Inquisitorin fast unverzüglich den schottischen Interpolinspektor: „Kenneth...“ Sie war etwas überrascht, dass er schon hier war, aber das deutete darauf hin, dass der Fall abgeschlossen war: „Ich darf vorstellen, Vater, das ist Inspektor Kenneth Cuillin von Interpol, Inspektor, Lord John Buxton.“ „How do you do?“ Die automatische, nie beantwortete Frage wurde von beiden Männern gleichzeitig gestellt. Lord John fuhr fort: „Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Als Sie einmal Sarahs Gast waren, war ich ja selbst mit Gästen beschäftigt.“ „Danke, Lord John. - Ich darf Ihre Tochter entführen?“ „Natürlich. Ich werde mich auf mein Zimmer zurückziehen. - Morgen würde ich vorschlagen, dass wir nach York fahren, dem Ort der Eibenbäume.“ Und da er bemerkte, dass ihn sowohl Sarah als auch Mr. Cuillin verwirrt ansahen: „Als die Römer dort, wo heute York liegt, ein Lager errichteten, nannten sie es Eboracum, nach der vorherigen keltischen Siedlung dort, Eborako, was Ort der Eibenbäume bedeutet. Nachdem die Angelsachen...das war um 400 dieser Zeitrechnung, den Ort eroberten, benannten sie ihn erneut um, in Eoforwic. Das hieß Keiler-Siedlung, Keiler-Ort. Als dann die Wikinger kamen, wurde der Ort schon wieder umgetauft, nach der schwedischen Stadt Jorvik, was Pferdebucht bedeutet. Die Normannen nannten die Stadt dann nach 1066 York. Und dabei ist es tatsächlich mal geblieben.“ Sarah lächelte etwas verlegen: „Man merkt, dass deine Bibliothek sehr umfangreich ist.“ „Oh, es tut mir Leid, Mr. Cuillin,“ meinte der Londoner Meistervampir höflich: „Ich neige dazu, mein Wissen auszubreiten. Sarah ist diesbezüglich Kummer gewohnt.“ „Oh nein, Lord John. Es ist nach allem, was ich heute und in den letzten Tagen hören musste, sehr angenehm, einen Mann kennenzulernen, dessen Interesse dem Wissen und der Wissenschaft gilt. Auch ich beschäftige mich etwas mit Geschichte, freilich nur der caledonischen.“ Kenneth Cuillin neigte etwas den Kopf: „Und ich brauche mich nicht mehr wundern, von wem unsere teure Sarah den Hang zur Neugier hat. Das ist als Kompliment gemeint.“ „Danke. Bis morgen früh, mein Kind. Auf Wiedersehen, Mr. Cuillin.“ Seine Lordschaft zog sich zurück. ** Das nächste- und letzte Kapitel bringt die menschliche Auflösung und einen gewissen Sündenfall der Vampire... bye hotep Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)