Zeitlos -♠- von TommyGunArts (100 Storys -1-) ================================================================================ Kapitel 32: Das kleine Biest (Grey Mr. Grey) -------------------------------------------- »Der reißt dir gleich nen Arm ab!«, warnte Thomas. »Und wenn schon«, entgegnete ich meinem Partner Thomas Cip und begutachtete das Tierchen, das vor uns in einem dreckigen Käfig hauste. Es war nur so groß wie eine Ratte, besaß jedoch insgesamt sechs Beine, die mit scharfen Krallen gespickt waren. Umgeben war das Wesen von samtenem, weißen Fell, das glatt über seinen Körper verlief. Wären da nicht das kantige Gesicht mit den leeren Augenhöhlen und das Maul mit den unzähligen, messerscharfen Zähnen gewesen, so hätte man es beinah für niedlich halten können. Sogar das leise Fauchen, dass es jedes Mal ausstieß, wenn ich mich dem Käfig um ein Weiteres näherte, erinnerte eher an ein heiseres Schnurren. Dieses Tier faszinierte mich irgendwie, was mich dazu bewegte, weiter darauf zuzugehen. »Verdammt, Stix, lass den Scheiß!«, versuchte mich Cip zurückzuhalten, doch ich setzte unbeirrt einen Fuß vor den anderen. Was sollte so ein Winzling denn schon anrichten? Da konnten die Zähne noch so spitz sein – wenn sich das Maul nicht um das Dreifache vergrößerte, so würde das Biest kaum Schaden bei mir anrichten. Von wegen »er reißt dir den Arm ab!« Ha! Mit was denn bitte? Dem Kiefer, der nicht größer war als eine Kupfermünze? »Was tust du denn da?« Cip war außer sich und begann wild mit den Armen herumzufuchteln, wie es sich für einen guten Ermittlungsbeamten gehört, wenn er seinen Partner auf eine nicht vorhandene Gefahr hinzuweisen versucht. »Das gehört gar nicht zu unserer Aufgabe, Stix! Wir sollen hier bloß ein bisschen rumschnüffeln, uns aber doch nicht von einem verdammten Pilian fressen lassen!« Ich ignorierte Cip gekonnt und ging stattdessen noch näher an den Käfig heran, sodass ich beinah die Gitterstäbe mit der Nasenspitze berührte. Der kleine Pilian hatte sich in die hinterste Ecke verdrückt und zitterte am ganzen Leib. Er hatte ohne Zweifel Angst. Klar hatte ich davon gehört, dass diese kleinen Wesen ganze Menschenmengen ausrotten könnten. Auch gab es immer mal wieder Gerüchte darüber, dass sie einen Oger innerhalb einer halben Stunde auffressen könnten, wenn sie niemand daran hindere. Aber wie gesagt, das waren Gerüchte. Und wenn man diesen immer Glauben schenken würde, so müsste ich ein Monster sein, wie es schlimmer in keinem Märchen auftaucht, geschaffen, um willkürlich zu morden. Und da ich wohl selbst von mir behaupten kann, dass ich erst zwei Menschen in meinem ganzen Leben ermordet habe, wovon ein Mord ein Versehen war, kann ich auch sagen, dass die meisten Gerüchte eben nur Gerüchte sind, ohne Hand und Fuß. »Komm mal wieder runter! Das sind nichts weiter als Geschichten, die sich die Leute ausdenken. Das trübt deine Sicht«, sagte ich und begann die Käfigtür zu öffnen. Erneut ließ Cip sein »Was tust du denn da?« erklingen. Dann packte er mich an den Schultern und zog mich zurück. Da sich mein Finger noch am Türchen befand, ruckelte dieses kräftig als ich nach hinten gezogen wurde, und sprang schließlich auf. Meinem Partner entglitten die Gesichtszüge. Er riss die Augen panisch weit auf, stieß einen heiseren Schrei aus und floh ans andere Ende des Zimmers, um dort, wie ein Kaninchen im Lichtschein, zu erstarren. Ich seufzte und versuchte ihn zu beruhigen und ihm zu zeigen, dass seine Angst völlig unbegründet sei. »Sieh ihn dir doch nur mal an. Der Kleine hat mindestens so viel Angst wie du, Thomas!« »Von wegen!«, schrie er und presste sich noch dichter an die Wand. »Der tut nur so unschuldig, um gleich das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben, wenn er über uns herfällt!« »Du glaubst auch alles, was die Leute erzählen«, warf ich ihm vor, ging wieder zum Käfig und streckte dem Pilian die Hand entgegen. Ich gebe zu, ein bisschen mulmig war mir schon zumute. Was, wenn die Schwätzer mit ihren Gerüchten doch recht hatten? Was, wenn mir das Biest tatsächlich den Arm abreißen konnte? Was, wenn es wirklich nur so ängstlich tat? Aber wenn ich mir das kleine, zitternde Knäul so ansah, konnte ich mir das kaum vorstellen. Ich warf einen flüchtigen Blick über den Käfig und stellte plötzlich fest, dass er nicht nur pottendreckig war, sondern weder Wasser noch Futter beinhaltete. Armes Ding! Seinem Besitzer schien ja nicht gerade viel an ihm zu liegen. »Ich tu dir nichts, Kleiner«, sagte ich mit möglichst sanfter Stimme und streckte meine Hand noch weiter aus. War ich jetzt von allen Guten Geistern verlassen? Wie kam ich überhaupt auf diese dämliche Idee, dem Vieh einfach die Hand entgegenzustrecken? Wenn es tatsächlich ausgehungert war, dann würde es ohne weiteres über meine so freundlich gereichte Hand herfallen und womöglich nichts davon übrig lassen. Ich bot ihm ja förmlich an, sich daran gütlich zu tun. Ganz ehrlich, das war die dümmste und unüberlegteste Handlung, die ich seit Langem tat. So zugedröhnt war ich doch heute überhaupt nicht. Oder doch? Ich überlegte kurz, wie viel Traumpulver ich mir reingezogen und wie viel G-X ich geraucht hatte. Es musste doch mehr gewesen sein, als ich anfangs dachte, denn ich wusste auf die Frage »wie viel?« keine richtige Antwort. Ich konnte bloß grob schätzen. Während ich nachdachte und mit den Zahlen jonglierte, bemerkte ich nicht, wie der Pilian erst an meiner Hand schnupperte und schließlich mit einem Satz auf sie sprang. Ich erschrak und zog reflexartig den Arm zurück, blieb jedoch am Käfig hängen und riss ihn um. Unterdessen hatte das muntere Tierchen seine Krallen in meinen Mantel gebohrt und hangelte sich daran empor. Wie ein Blitz jagte es auf meinen Kopf zu. Cip mit seiner Pilian-Phobie kam mir natürlich nicht zu Hilfe geeilt, wie man es normalerweise von einem guten Partner erwartet, sondern schlug die Eingangstür auf und rannte davon. Ich schüttelte meinen Arm und versuchte somit dieses verdammte Biest loszuwerden, das es anscheinend auf meine Kehle abgesehen hatte. Doch es ließ einfach nicht locker! Es war so leicht, dass ich es kaum auf mir spürte, aber dennoch zweifelte ich keine Sekunde mehr daran, dass es mir den Arm abreißen konnte, so flink und gezielt, wie es sich bewegte. Einen letzten Versuch, den Pilian loszuwerden, unternahm ich, indem ich wahllos auf meinem Arm einschlug. Dabei machte ich Ausfallschritte nach links, rechts, vorn und hinten, drehte mich förmlich im Kreis und hüpfte sogar auf und ab. Von weitem musste es wie ein irrer Tanz mit mir selbst ausgesehen haben. Nach kurzer Zeit verlor ich nicht nur das Biest aus den Augen und den Hut vom Kopf, sondern auch das Gleichgewicht. Genauer gesagt verlor ich es eigentlich erst, als ich über den umgestürzten Käfig stolperte. Ich schlug hart am Boden auf. Für einen Moment tanzten Schwärze und Sternchen vor meinen Augen, bis sie vom Sonnenlicht, das durch ein Zimmerfenster schien, abgelöst wurden. Benommen richtete ich mich auf und rieb mir den Kopf, um wieder zu Verstande zu kommen. Die Wirrnis hatte mich für sich eingenommen, ließ mich aber schnell wieder los, sodass ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Sogleich fiel mir der Pilian wieder ein und ich begann hektisch meinen Körper abzutasten. Als ich nichts ertastete, atmete ich erleichtert auf. Vielleicht habe ich ihn ja zerquetscht, hoffte ich inständig. Vorsichtshalber sah ich mich noch einmal im Raum um. »Scheiße!«, entfuhr es mir. Erst jetzt bemerkte ich, dass das Zimmer, das Cip und ich eigentlich hatten durchsuchen sollen, ohne Spuren zu hinterlassen, nun aussah, als hätte eine Horde Orks eine Party vom feinsten veranstaltet. Der Käfig, den ich umgeworfen hatte, war so gut und hatte noch einen Tisch und die darauf stehenden Vasen mitgerissen, deren Inhalt sich nun auf dem teuren Teppich verteilte. Auch Cip hatte bei seiner Flucht einiges gerammt und zu Boden geworfen. Ich schluckte schwer. Das würde definitiv Ärger geben! Doch jetzt musste ich in erster Linie zusehen, dass ich hier wegkam, bevor mich jemand neugieriges sah, der den Lärm, den wir veranstaltet hatten, gehört hatte und nun der Ursache auf den Grund zu gehen gedachte. Nicht umsonst sollte es eine Verdeckte Ermittlung sein. Also schnappte ich mir meinen Hut, zog mir schnell noch ein bisschen Traumpulver durch die Nase – ich gebe zu, es war weder der optimale Zeitpunkt noch Ort, aber irgendwie musste ich ja mein rasendes Herz beruhigen! – und verschwand zur Tür hinaus, durch die auch Cip verschwunden war. In meiner Eile bemerkte ich nicht, dass ich vergessen hatte die Manteltasche zu durchsuchen, in der sich nun der leichte Pilian versteckt hielt und mich nach Hause begleitete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)