Träume der Sterne von Schattenprinz ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Kapitel 7 - Itaka Der Überfall dieses ‚Marineschiffes’ oder was auch immer das war, war mit das Schlimmste, was Chihiro jemals in ihrem ganzen Leben erlebt hatte. Nach den ersten Aufwärmschüssen oder wie auch immer sie das bezeichnen sollte flogen die Kanonenkugeln und Holzsplitter nur so durch die Luft. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte, überall rannten Leute umher oder wurde geschossen. Irgendwann klammerte sie sich einfach an Shisaye, der teilnahmslos an einem Mast lehnte, und blickte dem Gemetzel gespannt zu. „BEREIT MACHEN ZUM ENTERN!!“, rief Jäger neben ihnen so überraschend, dass sie zusammenzuckte. Gleichzeitig griff er nach einem Enterhaken und warf ihn mit so einer Wucht auf das andere Schiff hinüber, dass der getroffene ‚feindliche’ Seemann halb damit durchbohrt wurde, ehe er Blut spuckend zu Boden ging. Während sich Chihiro noch von dem Schock des Anblickes erholte, angelte sich Jäger eines der umherschwingenden Seile, die jemand vom Mast herab fallen gelassen hatte, nahm Anlauf und schwang sich mit einem lauten Schrei aufs andere Deck hinüber. Die menschenartigen Wesen auf der anderen Seite erwarteten ihn bereits, doch nachdem er sich seinen Speer geschnappt hatte, sah es schlecht für sie aus. Das Mädchen wollte gar nicht so genau hinsehen, was er mit ihnen anstellte. Plötzlich packte sie jemand an der Taille und nahm sie mit erschreckender Leichtigkeit unter den Arm. „Eine Piratenprinzessin gibt es hier also auch noch?“ Der Teil an Kleidung, den Chihiro erkennen konnte, ließ darauf schließen, dass es sich um einen der Marinesoldaten handelte. Sie kannte die Szenerie nur zu gut, was ihre Wut noch mehr anstachelte. Was bildeten die sich eigentlich ein! Sie war doch keine Trophäe, die man nach Lust und Laune mit sich herumschleppen konnte! Aufgebracht strampelnd versuchte das Mädchen sich zu befreien. „Lasst mich los! Ich habe nichts damit zu tun, also lasst mich in Frieden!“ Shisaye fauchte meinen neuen Kidnapper wütend an und schlug ihn mit einer Wucht an den Mast, die diesen erzittern ließ. Obwohl er seine Hände schon halb zu Drachenklauen verwandelt hatte und den Marinesoldaten mit einer Hand an den Mast nagelte, ließ er Chihiro nicht los. Als sie erkannte, warum dem so war, war es bereits zu spät. Sie schrie noch entsetzt auf, als ein weiterer Marinesoldat von hinten mit einem Säbel angerannt kam, doch Shisaye konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Der Krieger rammte ihm die Waffe in die Seite und verfehlte sein Herz auch nur deshalb, weil sich der Drache noch leicht umwenden hatte können. Shisaye keuchte auf und kämpfte einige Augenblicke lang sichtlich gegen die Ohnmacht an, die ihn in ihre zwielichtige Erlösung zu ziehen drohte. Dann knickten seine Knie weg und er fiel geräuschvoll aufs Deck. Mit vor Schrecken geweiteten Augen betrachtete Chihiro das Schauspiel, zum Nichtstun verdammt. Der Mann, der sie gefangen hatte, zögerte aber nicht mehr lange und rannte zu den Reling, um sich zurück auf das königliche Schiff zu schwingen. Auch jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie er immer schneller auf das Deckende zulief, währenddessen nach einem Seil griff und schon sah sie nur noch tiefblaues Meerwasser unter sich. „Schaut mal, was ich aufgegabelt habe!“, rief er seinen Kameraden schon von weitem zu, landete dann mit einer harten Erschütterung auf dem anderen Deck und ließ Chihiro kurzerhand zu Boden fallen. Hier konnte sie ihrem Schicksal ja nicht mehr entrinnen. „Argh, ein Mensch! Was hast du uns da nur angeschleppt?“ Einer der Matrosen, die sich in einem weiten Kreis um Chihiro herum versammelt hatten, betrachtete mich angewidert. Sie trugen alle altmodische Kleidungsstücke wie das Mädchen sie noch aus meinem ersten Besuch in Aburaya kannte. Auf jedem Bruststück befand sich allerdings ein großes, rotes Zeichen, das vermutlich das Wappen des Königreichs war, aus dem Shisaye kam und in dem sie fälschlicherweise gelandet war. „Was zur Hölle ist hier los?“, fragte eine barsche Stimme aufgebracht und links von mir wurden einige Krieger unsanft beiseite geschuppst. „Habe ich euch erlaubt, euren Posten zu verlassen?! Wir befinden uns mitten in einer Seeschlacht und ihr steht herum und gafft …“ Als er Chihiro erblickte, verstummte der etwas ältere, kräftige Mann abrupt. Er kniff die Augen zusammen, kam mit zwei forschen Schritten zu ihr, um sie am Genick zu packen wie einen Hund, und nach oben zu ziehen, bis sie auf seiner Augenhöhe war. „Was haben wir denn hier?“, fragte er lauernd und musterte mich von unten bis oben. „Wer ist für das hier verantwortlich?“, fragte er dann in die Runde. „Ich, Herr Kapitän“, erwiderte mein Kidnapper mit einer unterwürfigen Verbeugung. „Ich habe sie drüben gefunden und dachte, es sei vermutlich so etwas wie die Piratenprinzessin.“ Der Mann, der von dem anderen als Kapitän bezeichnet worden war, lachte so laut auf, dass es Chihiro kräftig durchschüttelte. „Eine Prinzessin? Piraten haben keine Prinzessinnen! Alles, was die dabeihaben, ist …“ Er murmelte etwas in seinen Stoppelbart und betrachtete das Mädchen mit einem Lächeln, das ihr Schauer über den Rücken laufen ließ. Irgendwie … anzüglich. „Ich bin eine Gefangene der Piraten!“, versuchte sie sich mit zitternder Stimme aus dem Schlamassel zu retten. „Sie haben mich aus der Stadt entführt und mit auf ihr Schiff genommen.“ Chihiro versuchte so gut es ging eine Verbeugung anzudeuten. „Vielen Dank, dass Ihr mich …“ Eine schallende Ohrfeige, die bei ihr alles klingeln ließ, unterbrach ihre Ansprache. „Ich habe es nicht gerne, wenn man mich anlügt, kleine Göre! Gefangene werden unter Deck gehalten und nicht einfach auf dem Schiff herumspaziert gelassen. Und ich bezweifle, dass mein Mann schon bis nach unten vorgedrungen ist“, keifte der Kapitän sie an. „Du wirst mitgenommen und dem Hauptmann von Opalra vorgeführt, falls dieser noch am Leben sein sollte. Aber keine Sorge.“ Er lächelte noch einmal böse. „In der Zwischenzeit kannst du es dir in meiner Kajüte bequem machen …“ Wie ein verängstigtes Tier huschten ihre Blicke durch die Reihe der Umstehenden. Die enttäuschten bis gehässigen Gesichtsausdrücke der Matrosen besagten nichts gutes. „Ihr seid nicht besser als die Piraten! Nein, eigentlich noch viel schlimmer!“, fuhr sie den Kapitän an, den das herzlich kalt ließ. „Verzeiht, ich störe ja nur ungern, aber ich fürchte, ich kann es nicht zulassen, dass unserem Gast etwas angetan wird. Mein Kapitän wäre darüber wenig erfreut.“ Der Kommandant des Marineschiffes wirbelte herum und Chihiro erkannte zu ihrer großen Freude Par, der plötzlich mitten unter den nun verängstigt dreinblickenden Kriegern des königlichen Schiffes aufgetaucht war. „Du wagst es, hier einfach so aufzukreuzen und mir auch noch Drohungen zu machen?“, fuhr ihn der Kapitän dieses Schiffes aufgebracht an. „Männer – verhaftet ihn! Er wird nachher von mir eigenhändig exekutiert!“ Fünf oder sechs Krieger stürmten mit gezückten Säbeln auf ihn zu, doch eine Handbewegung des Piraten brachte das Meer so sehr in Wallung, dass das Schiff zu schwanken anfing und seine Gegner zu Boden stürzen ließ. Gleichzeitig schlug eine Welle über Bord und anstatt auf sie alle niederzuprasseln, umgab das Wasser den Eindringling, den Marinekommandanten und Chihiro wie ein Schutzwall, der die anderen ausgrenzte. „Ein Drache des Wassers! Haltet ihn auf! Nehmt Seile und Holzstangen!“, brüllte der Kommandant, der das Mädchen mittlerweile losgelassen hatte, seinen Männern aufgebracht zu. „Dagegen kann er nichts ausrichten!“ Chihiro nutzte die Gunst der Stunde und rannte dem eigentlich unausstehlichen Par direkt in die Arme. „Danke, danke, vielen vielen Dank“, murmelte sie an seine Brust und spürte, wie er zögerlich einen Arm um ihren Rücken legte. „Lass mich los. Ich muss mich konzentrieren“, wies er sie dann sogleich barsch zurück. Plötzlich wurden von allen Seiten Stangen in den Wasserkreis gestochen; über den provisorischen Schutzwall flogen Seile. Sie alle trafen Par, der Chihiro sofort schützend in seine Arme geschlossen hatte, mit voller Wucht. Der Wasserwall brach augenblicklich nieder. Jubelnd stürmten die Männer auf sie zu, doch gleich darauf verschwanden sie aus der stark eingeschränkten Sichtweite des Mädchens. Par lockerte seine Umarmung und sie sah erstaunt auf. Alle waren auf einer eisigen Fläche ausgerutscht, genau dort, wo davor noch das Wasser gewesen war. Kaum dass sie versuchten, sich wieder aufzurappeln, schossen eisige Arme hervor und zogen sie in ihren kalten Griff. Keuchend versuchten die Männer, sich dagegen zu wehren, doch sie konnten nicht entrinnen. „Das … das ist unmöglich“, stotterte der erschrockene Kommandant, der als einziger im Umkreis um sie herum noch stand, und musterte Par mit Abscheu. „Ich bin kein Wasserdrache. Ich bin Pasashi Ryujin Tsukiyomi, der yukarische Aisu no Kami – der Gott des Eises.“ „Unmöglich“, keuchte der Mann entsetzt, als er das hörte. „Seit wann ist ein Gott mit Piratenpack im Bunde?“ „Das geht dich überhaupt nichts an.“ Plötzlich trat Zadara hinter ihrem Rücken hervor, während er sich sein blutverschmiertes Krummschwert an einem Kleidungsfetzen mit dem Wappen ihres Landes abwischte. „Jeder kann Pakte mit Göttern schließen, nicht wahr? Und so wie ich das sehe, habe ich es mehr verdient, von einem Gott geleitet zu werden, als du.“ Chihiro bemerkte mit Zadaras Erscheinen, dass Totenstille über dem Meer eingekehrt war. Die Schlacht war zu ende gegangen, während Par mit ihrer Rettung beschäftigt gewesen war. „Segele mit deinen verbliebenen Männern zurück nach Opalra.“ Der Piratenkapitän gab Par ein Zeichen, die immer noch mit eisigen Fesseln gefangenen Matrosen zu befreien. Dieser kam dem wortlosen Befehl ebenso wortlos nach. „Anstatt hier unsere Zeit zu verschwenden, hättet ihr lieber eure Stadt wieder aufbauen sollen. Zurück aufs Schiff, Männer.“ „Sollen wir ihn nicht erst noch …“ Der Gott des Eises blickte mit ebensolchen Augen auf den Kommandanten des Marineschiffes. „Dieser Mann hat es nicht verdient, am Leben zu bleiben.“ „Nein“, erwiderte Zadara scharf. „Du hast meinen Befehl gehört.“ Par senkte folgsam den Kopf, auch wenn seine Augen seinen Widersacher immer noch durchbohrten wie tausend spitzige Eiszapfen. Sie schwangen sich auf ihr Schiffsdeck zurück und kappten alle Verbindungen zwischen den beiden Seegefährten. „Wenn der Wind gut steht, müssten wir Itaka morgen erreichen“, erklärte Zadara Chihiro dann mit gewohnt guter Laune. „Dort werden sich unsere Wege dann trennen.“ „Was werdet Ihr tun?“, fragte sie den Piraten neugierig. „Zurücksegeln?“ Er lachte auf. „Natürlich nicht, dummes, kleines Mädchen. Wir sind weder ein Kreuzschiff noch eine Fähre.“ „Aber was wird dann aus Shisaye? Er muss doch zurück zu Amaya …“ „Es war seine Entscheidung, mit uns zu kommen. Und es ist ebenfalls seine Angelegenheit, wieder nach Yukari zurückzukehren.“ Erschöpft ließ sie sich auf eine Kiste sinken, die neben dem Eingang zur Kapitänskajüte befand. „Das ist alles nur meine Schuld. Wäre Shisaye mir nicht über den Weg geflogen, wäre er noch daheim bei seiner Geliebten und nicht mit einem One-Way-Ticket auf dem Weg in das gefährlichste Land Aburayas…“ „Won Wei Ticket?“, wiederholte Zadara schnaubend. „Hör auf, mit so seltsamen Begriffen um dich zu werfen! Und was die Wörter betrifft, die ich verstanden habe: Na und? Du hattest keinen Einfluss darauf, was machst du dir Gedanken?“ Er lehnte sich neben Chihiro an die Wand. „Nimm es einfach so, wie es kommt und sei froh drum. Was hätte ein junges Fräulein wie du schon in einem Land wie Itaka getan? Mit einem Drachen kommst du weiter als ohne. Was glaubst du, wie ich es mit Par halte?“ Er lächelte, als seine Gedanken in eine andere Richtung abwanderten. Chihiro betrachtete ihn nachdenklich. „Apropos Par. Es würde mich auch interessieren, wie es dazu kommt, dass du einen Gott … ‚besitzt’“ „Nun, um es einfach auszudrücken: Es war genau wie bei dir. Er ist mir über den Weg geflogen.“ Ein Schatten wanderte über sie hinweg und als sie sich umwandte, bemerkte sie Par, der gerade eben an ihnen vorbei marschiert war. „Glaub ihm kein Wort“, bemerkte er schnaubend, ohne dabei inne zu halten. „Ooooooh Schaaaatziiiii“, quietschte Zadara glücklich auf. „Sag nicht so einen Schwachsinn!“ Mit einem großen Satz war er bei dem Eisgott und wuschelte ihm durchs Haar. „Hehe. Hast du Regel Nummer Dreihundertvierundzwanzigtausendsiebenhunderteinundneunzig Absatz sechzehn vergessen? Alles, was der Käpt’n sagt, stimmt grundsätzlich immer. Alle haben mir zu gehorchen.“ Chihiro hörte Par noch seufzen und etwas erwidern, während sich die beiden entfernten. Ihr Blick wanderte zum Horizont. Morgen schon würde sie mit etwas Glück in Itaka sein … Danach war es nur noch eine vergleichbar kurze Strecke bis zum Badehaus. Und dort würde sich hoffentlich noch Haku befinden … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)