Venia Legendi Eudaimonía von KaethchenvHeilbronn (Die Erlaubnis zu lehren wie man glücklich ist) ================================================================================ Kapitel 148: ------------- Alexander ist noch dabei, die Wäsche aus Köln in die Waschmaschine zu stopfen, während Heinrich ganz pflichtbewusst – natürlich nicht nur, um sich vor dem Kofferauspacken zu drücken – ihren Anrufbeantworter abhört. Sie haben drei neue Nachrichten. Nachricht Eins. „Guten Morgen, hier ist Goethe. Ich rufe an, weil ich gerne einen Termin mit Ihnen ausmachen würde, Herr Kleist, um die Verkaufsbilanz Ihres Buchs zu besprechen. Bitte rufen Sie baldmöglichst zurück.“ „Oooh…!“ Nachricht Zwei. „Hallo ihr beiden, hier ist Wilhelm. Ich hoffe, ihr seid gut zuhause angekommen und hattet ein schönes Wochenende. Ich wollt euch nur daran erinnern, dass heute der Universitätsball ist, so wie ich Alexander kenn, hat er sich seine E-Mails noch nicht vorgenommen, jedenfalls die, die er von mir bekommt. Würd mich freuen, euch heute Abend zu sehen. Bis dann.“ „Uiii~“ Nachricht Drei. „Goethe nochmals. Soeben habe ich mit Ihrem Bruder gesprochen, Alexander, und gehört, dass Sie heute Abend ebenfalls auf dem Ball sein werden. Wir unterhalten uns dort, Herr Kleist. Bis dann.“ „Ups.“ Grinsend tänzelt Heinrich zu seinem Freund ins Bad. „Alex, wir gehen heute Abend noch aus.“ Alexander scheint sichtlich verwirrt. „W-was?!?“ „Auf den Uniball! Wilhelm hat uns eingeladen.“ „Ochnein, Heinrich, wir sind doch so müde und morgen ist Uni– “ „Ich hab mit Goethe nen Termin dort, ich muss erscheinen.“ Alexander verschlägt es die Sprache. „Und wenn du nicht mitkommst, muss ich mich an Wilhelm halten.“ Alexanders Stirn legt sich in Falten. „Wenn’s sein muss…“, grummelt er. „Ooh, danke, danke!“ Freudig küsst ihm Heinrich die Hände, was den Älteren doch etwas überrumpelt und seine Stirn wieder glättet. „Was ist das für ein Ball? Wieso wusst ich bis vorhin noch nichts davon?“ Seufzend steigt Alexander neben seinem Freund im Anzug, in den er sich für diesen Abend noch gequält hat, die Treppen zum Haupteingang empor. „Die Universität unterstützt eine Wohltätigkeitsorganisation, für die Caroline schon sehr lange tätig ist. Die kümmert sich um Bildungseinrichtungen in Afrika. Und du wusstest bis vorhin noch nichts davon, weil ich die letzten Jahre um diesen Termin immer glücklich herumgekommen bin.“ „Aber Alex! So was muss man doch unterstützen!“ Alexander blickt seinen Freund skeptisch an. „Einen Abend in Gesellschaft von einem Dutzend Menschen, die sich wunderbar mit Caroline verstehen? Das ist keine Grundschule in Uganda wert.“ „Ach, sei nicht so theatralisch.“, tadelt ihn Heinrich und klopft ihm aufmunternd gegen den Arm, bevor sie den Saal betreten, an dessen Türen nette Damen ihnen ein Glas Sekt und einen Spendenzettel andrehen. Drinnen im Saal stehen ein paar Tische, es sind auch einige Sitzgelegenheiten vorhanden, aber anscheinend wird eher darauf gesetzt, dass die Gäste für kleine Häppchen und zum Tanzen hier sind, was auch das seicht aufspielende Streichquartett unterstützt. „Den offiziellen Teil haben wir zum Glück schon verpasst.“, raunt Alexander seinem Freund zu und nickt hinüber zu Caroline, die schon rege im Gespräch mit einigen anderen Frauen ist und nicht mehr auf der kleinen Bühne steht, die mit Luftschlangen und groß auf Plakate gezogenen Fotos von afrikanischen Kindern geschmückt ist. „Das find ich aber wirklich toll, dass sie sich für so was einsetzt.“, merkt Heinrich an. „Ich ja auch“, lenkt Alexander ein, „aber dass man gleich so ne Show draus machen muss…“ „Alexander!“ Heinrich hat ein Déjà-vu. Nur diesmal ist es zu seiner Erleichterung keine ehemalige Bettgeschichte seines Freundes, sondern nur Wilhelm. „Bruderherz! Heinrich! Ihr seid ja tatsächlich gekommen!“ Beide werden sie vom älteren der Humboldtbrüder in eine kurze Umarmung gezogen. „Ja, dank Heinrich“, nuschelt Alexander leicht genervt, „bevor du’s wieder selbst erwähnst.“ Wilhelm lächelt ihn nur an. „Dank Heinrich oder von selbst, das ist mir ganz egal, wieso ich dich so bald wiedersehen darf.“ Daraufhin wendet er sich dem Jüngeren zu. „Und, ich nehme an, das Wochenende war schön?“ „Ganz wunderbar.“, antwortet Heinrich begeistert und hakt sich bei Alexander ein. Den überkommt es bei Wilhelms Blick, die Hand des Jungen in seine zu nehmen und ihre Finger zu verschränken. „Und für morgen seid ihr auch fit, ja?“ „Mehr oder weniger.“, entgegnet Heinrich, fürs Gespräch mit seinem Universitätsleiter ziemlich dreist. Wilhelm lacht nur. „Was ist denn nun mit Goethe?“, mischt sich Alexander ein. Er hat das Gefühl, je schneller die Sache mit dem Verlag geklärt ist, desto schneller kommt er ins Bett. „Goethe? Der müsste noch dort drüben bei Frau Stein sein.“, meint Wilhelm und weist hinüber zur Bühne, neben der zwei kleine Grüppchen stehen, in der einen Caroline, in der anderen Goethe und besagte Frau. Heinrich vermutet, es ist die mit der hochgesteckten Frisur, die eine Pelzstola über ihrem Abendkleid trägt und Goethe unaufhörlich zum Nicken bringt. „Hm, sollen wir dann mal rübergehen, oder ist das unhöflich, ihn da zu unterbrechen?“, zögert der Junge. Alexander weiß es besser, aber behauptet: „Nein, wieso denn?“ Wilhelm räuspert sich. „Ihr könnt euch so lange ja mit Schiller unterhalten, zu dem wollte ich gerade hinüber gehen.“ „Auja!“, kommt es von Heinrich und die Sache ist beschlossen. Schiller, heute mit offenen Haaren, die mit ihrem Blond einen ansehnlichen Kontrast zu seinem dunklen Anzug bilden, sitzt halb auf einer der Heizungen an den großen Fenstern, von denen aus man in den Hof der Universität schauen kann, und nippt etwas lustlos an einem fast leeren Glas Sekt. Als er die drei Herren auf sich zukommen sieht, lächelt er sie jedoch an. Heinrich mag dieses Lächeln. Es müsste aufgesetzt wirken, da der Blonde bis eben wirklich nicht so aussah, als wollte er heute Abend lächeln, aber das tut es nicht. Mit einem ganz aufrichtigen Lächeln begrüßt er alle drei mit einem Händedruck, Wilhelm und Heinrich mit einem ziemlich herzhaften. „Wilhelm, wo warst du denn gestern Abend?! Ballett ist nicht so deins, hm? Iffland hätte deine Meinung gern dazu gehört. – Ah, und Heinrich, dich haben wir auch vermisst!“ Dieser Kommentar überrumpelt den Jungen etwas, nicht so sehr der Inhalt, vielmehr die Formulierung, sodass er erst mal kein vernünftiges Wort herausbekommt. „Oh, d-das-das…“ „Ah, tut mir Leid!“, lacht Schiller da, „Sie sehen so jung aus und du bist mir so sympathisch, da kommt das Duzen automatisch.“ Heinrich versucht seine überbordende Freude und Rührung im Zaum zu halten und läuft lediglich etwas rot an. „D-das m-macht gar nichts, H-Herr Schiller.“ „Friedrich.“, meint Schiller und reicht ihm noch einmal die Hand. „H-Heinrich.“, bringt der Junge heraus, und Alexander ist fast ein wenig eifersüchtig, wie mädchenhaft sein Freund den blonden Schriftsteller anzuhimmeln scheint. Gerade will er deshalb Heinrichs Autorenschaft ansprechen – gut möglich, dass nämlich auch Schiller Bescheid über Goethes Anliegen für diesen Abend weiß – aber da kommt der Verlagschef, begleitet von Caroline, die sich bei ihrem Mann einhakt, schon von alleine in die Runde. Heinrich fühlt sich etwas unwohl, als der Ältere ihn und Alexander begrüßt, schließlich hat er ihm bei ihrem letzten Treffen noch das Wort „Idiot“ an den Kopf geworfen… Doch Goethe scheint diese Sache schon gut verdaut zu haben, denn er lässt sich nichts anmerken und wendet sich stattdessen mit einem Lächeln und erhobenem Sektglas an ihn: „Gut, dass Sie Ihr Glas noch nicht ausgetrunken haben, Herr Kleist, stoßen wir an.“ „A-auf was…?“, hakt der Junge überrumpelt nach, da prostet Goethe ihm aber schon zu. „Auf fünftausend verkaufte Exemplare, wir lassen eine zweite Auflage drucken.“ Heinrich blickt sein Gegenüber regungslos an. Er glaubt noch an einen Scherz, als ihm Wilhelm schon anerkennend auf die Schulter klopft. Schillers Lachen holt ihn aus seiner Schockstarre. „Du hast schon richtig gehört, Heinrich. Ich hab mich auch gefreut, als ich das gehört hab, dass ich dich mit den Lesungen also erfolgreich unterstützen konnte.“ „A-a-aber…!“ „Glückwunsch, mein Schatz.“, gratuliert ihm Alexander entzückt und drückt ihm einen Kuss auf die Wange, „Mein Erfolgsautor.“ Heinrich wird rot. „Und ich hab das Buch immer noch nicht gelesen.“, meldet sich Caroline zu Wort, „Wilhelm, das musst du endlich mal rausrücken.“ „Ja, doch.“ „Du bist doch schon durch damit.“ „Ich kann nun mal nicht genug von der Abdecker-Szene bekommen…“ Mit einem Zwinkern schaut er zu seinem Bruder auf, der darauf mit einem genervten Schnauben antwortet. „Welche Abdecker-Szene?“, hakt Caroline nach, doch bevor sie Schiller, der schon dazu ansetzt, aufklären kann, lenkt Wilhelm das Thema gekonnt auf die Begrüßung der neuen Stiftungsmitglieder, die vorhin stattgefunden hat. Während Caroline also weit ausholt und vermeintlich die gesamte Aufmerksam ihrer kleinen Runde hat, wendet sich Goethe seinem Autorenkollegen zu. „Haben Sie nun etwas gegessen?“, fragt er Schiller, was dieser verneint. Der Ältere sieht ihn erstaunt an. „Wieso denn nicht? Sie hatten vorhin doch noch so Hunger.“ Schiller dreht sich ein wenig mehr zu ihm herum. „Ich wollte nur mit Ihnen zum Buffet, weil ich dachte, so könnten wir dem Trubel etwas aus dem Weg gehen.“ „Aber Schiller“, entgegnet der Ältere gedämpft, „Sie wissen doch, wie wichtig es ist, in Kontakt zu bleiben.“ „Natürlich.“, meint der Blonde noch, bevor er die Diskussion damit für beendet erklärt, indem er aufmerksam zu Caroline sieht. So wendet sich auch Heinrich gedanklich deren Erzählungen zu, augenscheinlich hat er ja gar niemandem anderen gelauscht, als Carolines hochinteressanten Neuigkeiten. „Wolltest du nicht tanzen, Liebling?“, unterbricht Wilhelm sie irgendwann, als sie eine kurze Pause macht. Entzückt lächelt sie ihren Mann an. „Gerne.“, meint sie und lässt sich von Wilhelm auf die Tanzfläche führen. Alexander sieht ihnen noch nach und Heinrich verspürt den Wunsch, ihnen mit seinem Freund zu folgen, da wendet sich Goethe an Schiller. „Wollen Sie auch tanzen?“, fragt er. Schiller blickt den Älteren nur wenig verständnisvoll an. „Goethe, wenn Sie sich weiter mit Frau Stein unterhalten wollen, dann können Sie das gerne tun und müssen mir keine Tanzpartnerin suchen. Darum kümmer ich mich bei Bedarf schon selbst.“ Jetzt sieht Goethe ein wenig verwirrt aus. Schließlich räuspert er sich nur und murmelt etwas, das so ähnlich wie „Selbstverständlich.“ klingt. Heinrich wirft dem Verlagschef einen skeptischen Blick zu. Einen sehr skeptischen Blick, den dieser nach einigen Sekunden bemerkt. Und tatsächlich, so ertappt, wie Goethe dreinblickt, lag der Junge also richtig, was dessen eigentliche Absicht angeht. Mit einem insistierenden Kopfnicken fordert er – unter Alexanders irritiertem Blick – sein Gegenüber dazu auf, die Sache richtig zu stellen. Goethe ringt mit sich, aber schließlich fasst er Schiller am Arm. „Mit mir.“, bringt er heraus und erntet erst mal nur Verwirrtheit, „Also, ich meinte – Was ich sagen – Ich wollte fragen, ob Sie mit mir tanzen wollen.“ Alexander hält den Atem an, während Heinrich augenblicklich grinsen muss. Schiller braucht einige Sekunden, dann schnappt er sich Goethes Hände und drückt sie sich sichtlich gerührt gegen die Brust. „Oh, so gerne will ich das!“, verkündet er freudig. Der Ältere schenkt ihm ein liebevolles Lächeln und zieht ihn mit sich Richtung Tanzfläche. „Ich führe selbstverständlich.“ „Selbstverständlich.“ Alexander schaut den beiden baff nach. Als er sich wieder gefasst hat, blickt er seinen Freund skeptisch an. „Wie hast du das geschafft, hm?“ Heinrich grinst ihn nur schelmisch an. Da huscht plötzlich jemand an ihnen vorbei, um sich mit wehendem Frack vor ihm zu verbeugen. „Gratulation zur zweiten Auflage, Señor Gedankenstrich.“ Überrascht begrüßt Heinrich den anderen mit einem kurzen Handschlag. „Heine! Du bist auch hier?!“ „Von der Presse.“, antwortet sein Namensvetter und verweist auf das schicke Schild, das er anstecken hat. „Oh, immer noch bei Campe? Ich dachte, du wolltest den Verleger wechseln.“ „Ich komm nicht von ihm los.“, gibt Heine mit kurz aufgesetztem gequältem Gesichtsausdruck zu, „Ach, der Meister Humboldt, n’Abend!“ „Guten Abend, bitte nicht so laut.“, begrüßt auch Alexander ihre neue Gesellschaft. „Sie müssen ja tüchtig stolz auf Ihren Kleinen hier sein, ne?“ Bevor Alexander etwas antworten kann, hat Heinrich abgewinkt. „Fünftausend Exemplare sind ja jetzt nicht soo viel.“ „Also“, fängt Heine an und stützt sich die Hände in die Hüfte, „Für nen blutigen Anfänger wie dich ist das schon ein Erfolg.“ „Najaa, aber ohne Schiller wär das niemals– “ „Jajaja“, unterbricht ihn Heine ein wenig genervt, „Hab ich mitbekommen, wie er sich „gefreut“ hat, dass er dich mit seinen Lesungen „also erfolgreich unterstützen konnte“… Dabei bist ganz allein du, dein geniales Buch und dein unschlagbares Interview für die sensationellen Verkaufszahlen verantwortlich!“ Alexander muss leise lachen, als er an dessen Zeitungsbericht darüber denkt, kassiert von Heine dafür jedoch einen bösen Blick. „Schon“, lenkt Heinrich ein, „Aber Schiller hatte das bei seinem letzten Buch zum Beispiel nicht nöti– “ „Schiller?!?“, kommt es von Heine, „Glaub bloß nicht, dass der ganz alleine für seinen Erfolg verantwortlich ist! Der bekommt’s von Goethe doch vorne und hinten reingeschoben!“ An dieser Stelle muss Alexander losprusten. Dieses Mal bleibt der böse Blick Heines aus, denn auch er hat anscheinend bemerkt, was er da gesagt hat. „Na!“, versucht Heinrich seinen Namensvetter zurechtzuweisen, kann sein Kichern aber nicht ganz unterdrücken. Amüsiert schaut er hinüber zum Zweigestirn des Bestsellerhimmels, und jegliche Gehässigkeit, war sie vorhanden, weicht aus seinem Grinsen, als er sieht, wie die beiden sich zur seichten Musik über die Tanzfläche bewegen, Schiller dem Älteren stets schon fast einen Schritt voraus, obwohl dieser ihn führt, Goethe seinen Kopf an der Schulter des Blonden, wo die Locken wallen, die Augen geschlossen. „What the fuck!“, unterbricht Heine diese zauberhafte Beobachtungschance, „Das muss auf die Titelseite!“ „Scht!“, hält ihn Heinrich auf, die Kamera hervorzuholen, und blickt ihn streng an, „Als du mir damals beim Interview aus der Patsche geholfen hast, dachte ich, du seist nicht so wie die anderen sensationsgeilen Paparazzi, sondern anständig.“ Ein wenig widerwillig lässt Heine von seinem Vorhaben ab. „Hast ja Recht…“ „Es reicht ja schon, dass nicht wenige der anderen Tanzpaare die beiden schief anschauen.“, bemerkt Alexander. „Dem sollten wir entgegenwirken.“, schlägt Heinrich vor und streckt dem Älteren grinsend seine Hand entgegen. „Das hab ich befürchtet.“, lacht dieser, aber als Heine noch einmal versprochen hat, die Kamera den weiteren Abend unbenutzt zu lassen, lässt er sich von seinem Freund auf die Tanzfläche ziehen. Heine schaut den beiden schulterzuckend nach. „Naja, vielleicht bin ich irgendwann derjenige, der das Interview zum Comingout führen darf…“ Ball der Stiftung »Bildung für Afrika« an der Humboldt-Universität überrascht nicht nur mit neuen Mitgliedern […] Darauf angesprochen meinte Goethe: „Es gibt Dinge, zu denen muss man in der Öffentlichkeit stehen, und dass ich mit Schiller lieber tanze, als mit irgendeiner Frau, ist eines davon.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)