Venia Legendi Eudaimonía von KaethchenvHeilbronn (Die Erlaubnis zu lehren wie man glücklich ist) ================================================================================ Kapitel 124: ------------- Am Montagmorgen dreht sich Heinrich noch einmal um, als Alexander ihn weckt. Er kichert zwar leise, als die Küsse von seinem Gesicht in seinen Nacken wandern, aber macht keinerlei Anstalten, aufzustehen. „Wir müssen los, mein Schatz.“, erinnert ihn Alexander. Da dreht sich der Junge endlich zu ihm um und streckt ihm die Zunge raus. „Du vielleicht, ich nicht.“ Erstaunt sieht ihn der Professor an. „Was? Du kleiner Faulpelz hast jetzt schon frei?!?“ „Jahaa, bis nach Neujahr.“ „Du Glücklicher.“ „Wieso?“, meint Heinrich schmunzelnd, „Musst du noch zur Uni?“ „Bis zu eurer Prüfung in einer Woche, ja.“ „Och, du Armer.“, meint der Junge und wirft sich seinem Freund um den Hals, „Lass dich bedauern.“ Mit einigen Küssen versucht er, dem anderen sein Mitgefühl zu vermitteln. Davon jedoch spürt Alexander wenig, vielmehr, als Heinrich ihn unter sich auf der Matratze vergräbt, ein gewisses anderes Bedürfnis. „Du hast doch bestimmt noch ein bisschen Zeit für…“ Der Rest geht in einem innigen Kuss unter. „Mmmmmnein, Heinnnn~ “ „Och, doch.“ „Ich komm zu spät.“ „Du musst ja auch nicht kommen, nur ich will…!“ Der Ältere muss lachen, als der Junge sich eifrig an sein Becken reibt. „Du kannst mit unter die Dusche, da muss ich sowieso erst mal drunter.“ Heinrich nickt heftig und lässt sich von seinem Freund aus dem Bett ziehen. Unterm warmen Wasser wirft er sich wieder an ihn. Mit aller Mühe versucht Alexander sich darauf zu konzentrieren, seine Haare zu waschen, doch ein Heinrich, der ihn umschlungen hat und sich unaufhörlich an seinen Hintern reibt, macht die Sache nicht gerade einfach. Er spürt Heinrichs Lippen an seinem Rücken, die heiß über seine Haut streichen, spürt wie eine Hand des Jungen hinab zu seinem Steiß gleitet. „A-Alexander?“ Er spült sich noch den letzten Schaum aus den Haaren, bevor er sich zu seinem Freund herumdreht und ihn in die Arme schließt. Er hat ihn schon lange nicht mehr „Alexander“ genannt. „Was ist denn?“ „Ich wollte fragen…“ Alexander lacht leise und fährt ihm durch die nassen Haare. „Wir wollen uns doch alles sagen, …oder?“ „Ja, sicher.“, entgegnet der Ältere zutraulich und drückt ihm einen Kuss auf die Stirn, „Was gibt’s denn, mein Kleiner?“ Er merkt, wie Heinrich zögert. Schließlich sieht der Junge zu ihm auf. „Wieso…wieso nennst du mich immer „Kleiner“?“ Alexander muss lachen. „Weil du doch kleiner bist, als ich.“ „Und…weil ich dein Eromenos bin?“ „Ja, das auch.“ Er sieht nicht ganz, wohin sie das Gespräch führen soll. Heinrich senkt seinen Blick. „Aber…kann ein Eromenos nicht auch mal…ich mein…“ Alexander schaut ihn schmunzelnd an. „Rück damit raus, wir haben nicht mehr viel Zeit, wenn ich das hier noch beheben soll, bevor ich geh.“ Heinrich keucht auf, als er ihn im Schritt packt. „Also: Kann ein Eromenos auch mal was?“ „G-größer sein!“, bringt der Junge heraus, „Äh, genau, größer als der Erastes.“ Alexander sieht ihn erstaunt an. „Naja“, beginnt er, „In Platons Lehre heißt es, dass der Eromenos dem Erastes körperlich und geistig unterlegen ist.“ „Achso…“ „Muss aber bestimmt nicht immer so gewesen sein! Ich denke, dass sich sicherlich auch zwei ebenbürtige Männer zusammenschließen konnten, solange der eine vom anderen etwas dazulernen kon… Hörst du mir zu, Heinrich?“ Sofort hebt sich der Blick des Jungen, der an seiner Hüfte hing. „J-ja, äh…! Natürlich!“ Alexander fasst ihn schmunzelnd an der Wange und will ihn küssen, aber sein Freund entzieht sich ihm. „Beeil dich, du kommst sonst zu spät.“, sagt er mit einem halbherzigen Grinsen. „Und was ist mit dir?“, fragt der Ältere mit einem Blick in Heinrichs Lendengegend. „Ich komm schon alleine klar.“ „Ich hätte noch ein paar Min– “ „Geh!“, lacht der Junge und schubst ihn fast aus der Dusche. Als Alexander verloren im Bad steht, sein Freund mit geschlossenen Augen unterm Wasserstrahl, hat er das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Er schlingt sich ein Handtuch um den Körper. War seine Antwort nicht die, die der Junge hören wollte? Aber was wollte er dann hören? – Oder war es am Ende gar nicht die Frage, die Heinrich wirklich stellen wollte? Er seufzt. Heinrich beachtet ihn immer noch nicht. Im Schlafzimmer zieht er sich an, schnappt sich den Laptop und nimmt sich vor, alles bis heute Abend wiedergutzumachen. Während Heinrich den Montagmorgen unter der Dusche und mit Lernen verbringt, hält Alexander seine Vorlesung, die er heute besonders schnell beenden will. Die Pause, die er hat, verbringt er in seinem Büro mit Lesen und Drucken – das Ende des Kohlhaas verstört ihn dann so sehr, dass er erst einmal einen starken Kaffee braucht. Also packt er die bedruckten Blätter in einen Umschlag und seinen Laptop ein, und schaut noch mal kurz bei seinem Bruder vorbei. „Alexander! Ist was passiert?“ Lachend nimmt er am Schreibtisch Platz. „Nein, ich brauch nur nen Kaffee.“ Wilhelm rollt mit den Augen, bevor er seine Sekretärin, eine eigens von Caroline ausgesuchte Frührentnerin um die Sechzig, damit beauftragt. Als Alexander seinen Kaffee vor sich hat und einen kräftigen Schluck davon genommen, legt Wilhelm seine Unterlagen beiseite und sieht ihn so an, wie er es immer tut, wenn er ihn mit seinem Blick schon auf eine Moralpredigt einstimmen will. „Alexander.“ Angesprochener seufzt auf. „Ich weiß, dass du schon seit zwanzig Jahren nicht mehr mit deiner Familie Weihnachten gefeiert hast. Und ich hab dir diese Entscheidung auch nie wirklich übel genommen, auch wenn ich dich – naja, gelegentlich vermisst habe.“ Wilhelm muss schmunzeln, als Alexander ihn angrinst. „Jedenfalls“, beginnt der Ältere wieder ernst, „hat sich bei dir ja jetzt einiges geändert, und da ich Caroline davon überzeugen konnte, dass du dank deinem Heinrich nicht nur ein wenig Kultur nahegebracht bekommst, sondern auch wieder weißt, was familiäre Beziehungen und Verantwortung sind, würden wir uns freuen, dich und deinen Freund an Heiligabend bei uns zu haben.“ Alexander sieht seinen Bruder erst einmal baff an. Dann muss er sich räuspern. „Danke, das…das ist großzügig von meiner Schwägerin…obwohl ich immer noch schwul bin, Respekt.“ „Alexander.“, bittet ihn Wilhelm. „Heinrich würde es freuen.“ „Dich nicht auch?“ Der Jüngere seufzt. „Ich denke, er will Weihnachten aber auf jeden Fall mit seiner Mutter verbringen.“ „Natürlich!“, ruft Wilhelm, „Caroline besteht darauf, Frau Kleist endlich mal kennenzulernen.“ „Sie…ist geschieden, das weiß sie?“ „Ja, das haben wir mitbekommen. Caro hat unvorstellbar mit der armen Frau mitgefiebert, als sie von den tätlichen Übergriffen ihres Mannes gehört hat.“ Alexander lacht auf. „Unvorstellbar, ja.“ Wilhelm versucht den Kommentar zu ignorieren. „Frau Kleist hat mittlerweile aber einen Freund, ohne den sie sicherlich nicht Weihnachten verbringen will. Sie ist mit Michael zusammen.“ Wilhelm sieht ihn erstaunt an. „Der Michael von früher? Anwalt Haas?“ „Genau.“ „Prima!“, ruft der Ältere freudig, „Das wird Caroline gefallen. Den laden wir natürlich auch ein. Ihr dürft übrigens alle gerne bei uns übernachten, ich nehme an, die zwei Gästezimmer reichen.“ Alexander hebt seine Mundwinkel. „Ich denke auch.“ „Ist das eine Zusage?“ Der Jüngere weicht dem Blick seines Bruders aus. Er muss lachen. Kann jetzt wohl nicht nein sagen… „Ja, eine Zusage.“, antwortet er schließlich, „Ich hoffe, Caroline und ich werden dank des allseits bekannten Weihnachtswunders miteinander auskommen.“ Bei Wilhelm überwiegt anscheinend die Freude, sodass er die letzten Worte unkommentiert lässt. „Wie sieht’s mit der Prüfung aus?“, wechselt Alexander schnell das Thema, „Hat sich der Kollege bereiterklärt, die Klausur zu erstellen?“ Wilhelm nickt. „Alles bestens. Eggebrecht macht freiwillig die Aufsicht, sicherer geht’s also gar nicht.“ Alexander verdreht die Augen. Er trinkt seinen Kaffee leer, dann erhebt er sich. „Sorry, ich muss dann, hab noch was zu erledigen.“ „Oho, eine Seltenheit.“ „Haha.“ „Vergiss nicht, Heinrich die Einladung weiterzuleiten. Seiner Mutter könnt ihr es auch schon einmal mitteilen, wobei Caroline sie sicherlich nochmal anrufen wird.“ „Okay, ich warne sie vor.“, entgegnet Alexander mit einem Salut. „Wo geht’s denn hin?“, will Wilhelm wissen, als er den Umschlag unter Alexanders Arm bemerkt. „Wohnt Goethe noch in seinem Haus in der Alten Frankfurter?“ „Neiiin…ich weiß nicht, Tim…“ Gedankenverloren spielt Heinrich mit seinem Bleistift und schiebt sich den Telefonhörer von der einen Schulter zur anderen. „Doch, verdammt! Sag’s ihm, du Memme!“ Der Junge gibt ein Schnauben von sich. „Sagt der Richtige!“ „Hallo?!?“, kommt es vom Rothaarigen zurück, „Ich glaub, das ist schon noch mal was anderes, wenn du deinem Alex das sagst, als wenn ich ankomm mit: „Hey, Alex, cool, dass wir uns jetzt so gut verstehen, ich wollt dir nur sagen, dass ich bi bin und dich echt geil find. Ehrlichgesagt hab ich mir schon paar Mal mit dem Gedanken an dich einen runtergeholt, aber hey, kein Problem, wir können einfach weitermachen, wie vor meinem Geständnis.“!!!“ „Du übertreibst.“ Tim seufzt. „Sagt der Richtige…“ Das Haus erinnert mit der Hecke, die den wunderschönen und mit Sorgfalt angelegten Garten umschließt, schon ein wenig an ein römisches Landhaus. Alexander ist sich nicht sicher, ob Goethe zuhause ist; der silberne Mercedes steht immer in der Garage. Das grünschwarze Motorrad, das auf der Auffahrt steht, verrät ihm jedoch, dass er möglicherweise Glück haben könnte… Seine Studenten muss es wohl schon gewundert und Wilhelm auf den guten Einfluss Heinrichs geschoben haben, dass er heute eine ordentlich gebundene Krawatte zu seinem sorgfältig ausgewählten Anzug trägt. In der verglasten Eingangstür überprüft er noch einmal, ob noch alles sitzt und er auch ja keinen Fussel auf dem Stoff und keinen Kaffee im Gesicht hat, dann betätigt er die Klingen. Es dauert eine Weile, dann wird ihm tatsächlich geöffnet. Goethe steht an der Tür, wie immer schick gekleidet, sogar das Jackett geschlossen, nur seine Pantoffeln machen einen häuslich-gemütlichen Eindruck. Er blickt seinen Überraschungsgast erstaunt an. „Alexander!“, kommt es schließlich freudig von ihm, „Schön, Sie mal wieder zu sehen!“ „Freut mich auch.“, entgegnet Alexander und schüttelt die entgegengestreckte Hand. Freundlich bittet Goethe ihn ins Haus, schließt hinter ihm die Tür und führt ihn ins Wohnzimmer. Alexander ist nicht sonderlich überrascht, als er dort Schiller antrifft, der in einem ihm ein wenig zu weiten Pullover, dunkler Jeans und offenen Haaren auf der dunklen Couch liegt. Dass er zwar zugedeckt ist, aber weit und breit kein Kopfkissen zu sehen ist, lässt Alexander schmunzeln. Goethe hat ihm sicherlich die Decke gebracht, er hätte ihm auch ein Kopfkissen gebracht, wäre eines von Nöten gewesen. „Alexander!“ Sofort ist Schiller aufgesprungen und reicht ihm die Hand zu einem kräftigen Handschlag, „Das ist ja ne Überraschung!“ „Weniger, als dich hier zu sehen.“, lacht der Professor. Schiller grinst ihn an und streicht sich eine seiner langen Strähnen hinters Ohr. „Ja, ich…“ Er sieht zu Goethe. „Er wohnt hier.“, beendet dieser den Satz und läuft hinüber zum Tisch, wo er Alexander mit einer Geste bittet, Platz zu nehmen. Dieser kann sein Erstaunen nicht ganz verbergen. „Tatsächlich? Übergangsmäßig, oder…?“ Goethe seufzt, als er sich ihm gegenüber setzt. „Ich befürchte, so schnell werd ich ihn nicht mehr los…“ „Nie mehr, Goethe!“, lacht Schiller und legt seinen Kopf auf die Schulter des Älteren, „Nie mehr werden Sie mich los.“ „Nicht, Schiller. Bringen Sie uns lieber was zu trinken.“ Der Blonde lächelt ihn liebevoll an, bevor er aufsteht und in die Küche geht. „Sie…“ Alexander sieht Goethe verwirrt an. „Sie siezen sich noch?“ Goethe nickt amüsiert. „Ja. Schlafen in einem Bett, aber siezen uns.“ Alexander bemüht sich sehr, sein geschocktes Gemüt nicht auf sein Gesicht überspringen zu lassen. Goethe durchschaut ihn aber, wie immer. „Alexander…“, mahnt er ihn, „Sie sind doch Philosoph, ich dachte, Sie verstehen das.“ „In der Theorie jedenfalls.“, entgegnet er mit einem Lachen. „Naja, die Leute hingegen – und schon gar nicht die unsägliche Klatschpresse“, hier ziehen sich Goethes Augenbrauen vernichtend zusammen, „verstehen es nicht.“ Um das Thema zu wechseln, wendet er sich Richtung Küche. „Schiller! Wie lange braucht das denn?!?“ „Oh.“, fällt es da Alexander auf, „Haben Sie Ihrer Haushälterin gekündigt?“ „Auf Schillers Wunsch hin, ja.“, antwortet Goethe betont, damit es der Blonde auch hört. „Ich bin ja schon da.“, meint der, als er mit drei Gläsern und einem Krug Wasser endlich zurückkommt. „Ich würd dir ja gern was anderes anbieten, Alexander, aber Wein und Bier gibt’s nicht vor sechs Uhr abends und nur bis Elf, außer an Sonn- und Feiertagen zum Frühstück.“ Beeindruckt sieht Alexander zu Goethe. Als Schiller noch bei seinem Bruder studiert hat, hat er ihn als festen Trinker kennengelernt. „Das war eine Bedingung“, meint Goethe, „neben der Tatsache, dass Schiller nun Nichtraucher ist, stimmt’s?“ Der Blonde verzieht ein wenig das Gesicht und streicht sich die Haare mit einer Hand aus der Stirn nach hinten. Da muss Alexander Heinrich schon Recht geben…schöne Haare hat Schiller ja… Mit einem Lachen bringt ihn dieser in den Moment zurück. „Ich mach sie lieber wieder zusammen.“, sagt er und bindet sie mit dem Haargummi, das er von seinem Handgelenk streift, zu einem Zopf. Goethe sieht enttäuscht aus. Alexander räuspert sich. „Äh, ja, weswegen ich hier bin.“ Er zieht den Umschlag näher zu sich, den er auf dem Tisch abgelegt hat, „Ich möchte Ihnen ein Manuskript ans Herz legen, Herr Goethe, natürlich ausgedruckt, so wie sie’s lieber haben.“ „Für meinen Verlag?“ „Genau.“ „Wusste gar nicht, dass Sie Autoren fördern.“ Alexander muss schmunzeln. „Das Manuskript ist von meinem Freund.“ Schillers blaue Augen sehen ihn überrascht an. „Alexander hat einen Freund?! Weißt du überhaupt, was das ist?“ Der Professor grinst ihn verschmitzt an. „Wärst du auf der Prämiere deines Fieskos nicht so von anderen Dingen abgelenkt gewesen, hättest du ihn da schon an meiner Seite sehen können.“ „Der Kleine? Der Schwarzhaarige?“, kommt es von Goethe. „Genau. Heinrich Kleist.“ Der Ältere sieht ihn skeptisch an. „Sie nehmen mir die Päderastie aber hoffentlich nicht ein wenig zu ernst, Alexander, hm?“ „Er sieht jung aus, ja, ist aber schon einundzwanzig.“ „Hm.“ Goethe sieht ihn abwartend an, also schiebt er ihm den Umschlag hinüber. „Er hat einen eigenwilligen Schreibstil, aber die Idee ist wirklich phänomenal.“ Der Ältere lächelt ihn an. „Ein eigenwilliger Schreibstil muss ja noch nichts Negatives sein.“ „Nein, auf keinen Fall.“ Goethe wendet sich nun dem Umschlag zu. Ganz langsam holt er die ersten Blätter hervor und legt sie vor sich auf den Tisch. Alexander hält den Atem an. Als das nicht mehr geht, beginnen seine Finger auf seine Anzugshose einzutrommeln. Auf Goethes Gesicht erscheinen immer tiefer werdende Furchen. Kein gutes Zeichen…? „Gott, das ist ja…!“ Kein gutes Zeichen. „Entschuldigen Sie, Alexander, aber das einen eigenwilligen Schreibstil zu nennen, ist wahrlich untertrieben. Wie soll man denn bitteschön diese Sätze lesen können? Und was glaubt der Erzähler eigentlich, wer er ist?!“ „Man gewöhnt sich an die Sätze. Und das mit dem nur augenscheinlich neutralen Erzähler ist schon durchdacht, wirklich.“ „Nein.“ Goethe schiebt die Blätter zur Seite. „Tut mir Leid, aber ich denke nicht, dass ich damit etwas anfangen kann.“ Alexander sieht den anderen erstaunt an. Natürlich hat er riesigen Respekt vor Goethe, natürlich weiß er, dass er hohe Ansprüche hat und unbestreitbar Ahnung vom Geschäft, aber das hier…?!? „Herr Goethe“, fängt er vorsichtig an, „Sie haben eben nicht mal die erste Seite gelesen.“ „Ehrlichgesagt nur den ersten Abschnitt, ja, bei diesen Sätzen muss man ja immer wieder von vorne anfangen, weil man den Faden verliert.“ „Aber könnten Sie sich nicht wenigstens die Zeit nehmen, es ganz zu lesen? Ich lass Ihnen das Manuskript hier, ein USB-Stick ist auch im Umschlag.“ „Alexander, ich kann ja verstehen, dass Sie Ihren Freund unter– “ „Sie können sich so viel Zeit nehmen, wie Sie wollen! Nur lesen Sie es doch erst einmal ganz. Es wäre unfair, das Ganze schon nach zwei Sätzen abzuurteilen, meinen Sie nicht auch? Klar, dass die Sprache gewöhnungsbedürftig ist, aber der Inhalt, das was der Text transportiert…! Das darf man der Welt nicht vorenthalten!“ Flehend sieht Alexander sein Gegenüber an. Goethe seufzt nur, sichtlich nicht willig, nachzugeben. Da kommt plötzlich ein „Verdammt, ist das genial!“ von Schiller. Beide sehen sie den Blonden erstaunt an. „Ein Vater, der juristische Vergeltung sucht, nachdem seine Kinder vergewaltigt worden sind! Ich glaub’s nicht! Dass er die Schweine nicht einfach umbringt, nein! Wie der Erzähler am Anfang sagt, „einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ – wobei es mich höllisch interessieren würde, weiterzulesen, um zu erfahren, was ihn zum entsetzlichsten macht…“ Alexander strahlt ihn hoffnungsvoll an. Goethe scheint nun noch entsetzter. „Was?!?“, ruft er, „Vergewaltigung von Kindern auf den ersten zehn Seiten?! Das wird ja immer schöner!“ Schiller wendet sich ihm mit einem Lächeln zu. „Hmm…“, meint er, „Das erinnert mich an was… Gab’s da nicht mal ein ganz erfolgreiches Buch, Herr Goethe, dass Sie ebenfalls abgelehnt haben, weil darin Räuber ein Kloster überfallen und Nonnen vergewaltigen? Ist das nicht ein Bestseller geworden?“ Alexander muss sich ein Grinsen verkneifen, Goethe gefällt die Anspielung auf Schillers Räuber, die dann bei der Konkurrenz erschienen sind, nicht ganz so. „Das…das ist doch etwas vollkommen anderes.“, versucht er sich zu verteidigen, „Schauen Sie sich doch einmal Ihren Schreibstil an und…diesen hier!“ Schiller blickt ihm eindringlich in die Augen. „Der Junge kann sich nur entwickeln, wenn Sie ihm die Chance dazu geben. Und nach den ersten fünf Seiten hat man sich wirklich daran gewöhnt. Es macht das ganze sogar interessant. Man könnte es fast als Stilmittel werten.“ „Ich weiß nicht…“ „Stellen Sie sich vor, Goethe“, fängt Schiller erneut an, mit sanfter Stimme, und lässt eine Hand an Goethes Wange wandern, „niemand hätte sich mir erbarmt und mein Buch verlegt. Ich hätte Sie niemals so kennenlernen dürfen, wie ich Sie heute kenne. Wir stünden uns niemals so nahe. Außerdem…“ Alexander senkt seinen Blick, um die Schönheit der Szene nicht zu zerstören, als Schiller seine Stirn an die Goethes legt. „wäre es ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk für mich, dieses Buch in Ihrem Verlag lesen zu dürfen.“ Alexander hört, wie Goethe etwas erwidern will, hört, wie er verstummt. Als er vorsichtig aufblickt, liegt Schillers Daumen auf seinen Lippen. Er flüstert dem Älteren irgendetwas ins Ohr. Alexander nimmt einen Schluck Wasser, um so zu wirken, als hätte er etwas zu tun. Goethe räuspert sich. „Gut, ich lese es mir durch. Mehr kann ich aber nicht garantieren.“ „Vielen Dank.“, entgegnet Alexander. Schiller sieht den anderen glücklich lächelnd an, der noch etwas verbissen wirkt. Sicherlich ist es ihm auch ein wenig peinlich, wie leicht er sich vom Blonden umstimmen lässt. „Ich melde mich, wenn ich mich entschieden habe.“ „Wunderbar.“ Goethe erhebt sich, was Alexander als Zeichen sieht, ebenfalls aufzustehen. „Vielen herzlichen Dank noch einmal.“, betont der Professor, als er dem anderen die Hand schüttelt. „Versprechen Sie sich nicht zu viel davon.“ „Nein, natürlich nicht, ich hoffe nur.“ Auf das Gesicht des Älteren schleicht sich ein Schmunzeln, das man einem Kind schenkt, wenn es behauptet, ihm würde etwas gelingen, dessen Aussichtslosigkeit jedoch schon von Anfang an für den Erwachsenen zu erkennen ist. „Ich bringe dich zur Tür.“, meint Schiller und führt ihn hinaus in den Flur. An der Tür drückt er Alexander die Hand. „Keine Sorge, ich werd ihn noch etwas bearbeiten.“, versichert er und öffnet seinen Zopf, um sich die blonden Locken über die Schultern zu schütteln. Siegessicher zwinkert er Alexander zu, bevor er die Tür schließt. Als Alexander voller Zuversicht nachhause kommt, hat Heinrich panierten Fisch gebraten und serviert dazu Backofenpommes mit Ketchup. Zur Begrüßung bekommt der Ältere einen schmatzenden Kuss auf die Lippen und muss aufjaulen, als sein Freund ihm in den Hintern zwickt. „Aua! War ich heute Morgen so böse?“ „So böse, dass ich dich eigentlich auspeitschen müsste.“, entgegnet Heinrich ernst und wendet sich ab, weil er nicht weiter darüber reden will. „Das könntes…“ Alexander bricht ab, als er merkt, was er gerade sagen will. Schweigend senkt er den Blick und nimmt am Tisch Platz. „Ähm, ich…“, beginnt er, „Vielleicht kann ich es wiedergutmachen, indem ich dir erzähl, wo wir Weihnachten verbringen werden.“ Erstaunt sieht ihn der Junge an. „A-aber nicht in Südamerika, oder?! Ich brauch’s kalt an Weihnachten, und Schnee und…!“ Alexander unterbricht ihn mit einem Lachen. „Keine Sorge, wir bleiben in Berlin.“ Der Junge atmet erleichtert aus. „Wilhelm hat uns eingeladen.“ Heinrichs Augen weiten sich. „Nein.“ „Doch…“ „Awwwwwwww!!!“ Freudig springt der Junge auf und fällt ihm um den Hals, als wäre er für diese Einladung verantwortlich. „Das ist ja…! Sooo süß von ihm! – A-aber hat seine Frau nicht was gegen…ähm…?“ „Sie hält viel von dir, seit Wilhelm ihr erzählt hat, dass du mich ins Theater geschleppt hast.“ „Eeecht?!?“ Alexander muss grinsen, als er noch einmal durchgeknuddelt wird. Plötzlich sieht ihn Heinrich traurig an. „Aber Mama…“ „Ebenfalls eingeladen.“ „Nein!“ „Wenn ich’s doch sag.“ Wieder vollkommen glücklich kuschelt sich der Junge an ihn. „Und Michael darf natürlich ebenfalls kommen. Du kannst sie auch schon mal vorwarnen, dass die offizielle Einladung noch von Caroline persönlich am Telefon folgt.“ „Hihi, das werd ich machen. Ich glaub, ich geh sie morgen mal besuchen.“ „Mach das. Du hast ja frei.“ Grinsend sieht Alexander zu seinem Freund auf. „Tja…“ „Am Mittwoch kommt Tim wieder?“ „Jap, und dann nehmen wir was durch?“ Alexander hebt vielversprechend die Augenbrauen. „Ich nehme euch beide durch.“ Das amüsiert den Jungen und er drückt seinem Freund einen Kuss auf die Stirn. „Nein, Scherz, wir werden kurz Freud machen und uns dann auf die Stoa konzentrieren. Eudaimonía…Päderastie…“ „Auja…“ „Was weder Wilhelm noch Eggebrecht weiß, der sich übrigens als Aufsicht für die Klausur aufgedrängt hat“ „Ohnein!“ „dass mir der Herr Kollege aus Frankfurt Oder, der euch die Klausur erstellt, bestens aus gewissen Kreisen bekannt ist.“ „Oooh~“ Alexander zwinkert ihm zu. „Er wird garantiert den Schwerpunkt auf die Päderastie und die Bedeutung von Freundschaft für die Stoa legen. Nur damit er sich dann an euren eigentlich vollkommen unschuldig gemeinten Antworten beim Korrigieren ergötzen kann.“ Heinrich grinst seinen Freund an. „Ach, so einer ist das…Jetzt versteh ich, wieso ihr untereinander bekannt seid.“ Alexander streckt ihm die Zunge raus. Heinrich findet diese Idee super und küsst den anderen ausgiebig. „Hmmm…Hnnnrich…das Essen wird kalt…“ … „Upsi.“ ------------------ Ihr merkt, in VLE wird es erst nach Weihnachten weihnachtlich werden XD Weiß nicht, wie’s euch geht, aber ich bin nach Weihnachten bis Silvester sowieso mehr in Weihnachtsstimmung als davor (zu viel Hektik!)^^ Trotzdem wünsch ich euch allen schon mal Frohe Weihnachten und ein besinnliches Fest :3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)