Venia Legendi Eudaimonía von KaethchenvHeilbronn (Die Erlaubnis zu lehren wie man glücklich ist) ================================================================================ Kapitel 43: ------------ Alexander sieht etwas müde aus, als sie schon zwei Stunden durch den Regenwald gelaufen sind. Er ist dann gestern Nacht doch nicht mehr so leicht eingeschlafen… „Kannst du noch?“, fragt er Heinrich, der kurz stehen geblieben ist. „Ja.“, antwortet der Junge und lehnt sich etwas nach vorne, um seinen Rucksack besser tragen zu können. „Wie weit ist es noch?“ Alexander holt seinen Kompass heraus uns sieht auf die Uhr. „Nicht mehr weit. Bald müssten wir am Waldrand ankommen. Von da führt eine breite Straße in die nächste Stadt. Vielleicht nimmt uns jemand mit, damit wir schneller Richtung Anden kommen.“ Und tatsächlich erreichen sie innerhalb der nächsten halben Stunde besagte Straße, an der sie erst einmal die Rucksäcke abstellen. Alexander bückt sich und holt aus der hintersten Ecke seiner Tasche das Handy heraus. „Wir haben wieder Empfang.“, verkündet er, doch Heinrich ist gerade damit beschäftigt, hinterm einzigen Baum zu verschwinden. Alexander muss grinsen. „Kann man dir helfen?“, fragt er. „Nee, danke.“, kommt es zurück. „Beeil dich, da vorne kommt ein Auto.“ „Oh, verdammt!“ „Warn Scherz.“ „Du…!“ Alexander lacht nur und wählt die erste eingespeicherte Nummer. „Alexander!“ „Melde mich gehorsamst, Sir. Wir sind noch vollzählig und alle wohlauf.“ „Sag mal, später hättest du dich nicht melden können, oder?!?“ „Wir haben jetzt erst wieder Empfang. Sind dann doch etwas länger in der Wildnis geblieben.“ „Mhm.“ „Wie geht’s dir so, Bruderherz?“ „Mir? Tu nicht so, als wenn dich das interessieren würd. Aber mir geht’s gut, ja, was soll schon sein?“ „Stimmt auch wieder.“ Alexander sieht sich kurz um und senkt seine Stimme etwas, da Heinrich soeben hinterm Baum hervorkommt. „Weißt du was vom Prozess?“ „Hm. Ja.“ „Ja, und?!“ „Du hättest Michael in den Verhandlungen erleben sollen…! So ernst und verbissen hat er noch nie einen seiner Jobs erledigt…“ „Verständlich.“, hört Heinrich Alexander sagen, als er wieder bei ihm ankommt. „Wilhelm?“, flüstert der Kleine, und sein Freund nickt kurz. „Sehr gut.“, spricht der weiter. „Ja, natürlich. Und die zwei anderen? – Ich bin erleichtert. Was ist mit dem Typen aus Berlin, der Blonde? – Auf Bewährung, hm.“ Heinrichs Augen weiten sich. Er fasst sich an den Hals, der auf einmal ganz trocken wird. Alexander bemerkt die Veränderung im Blick seines Freundes und greift mit seiner freien Hand nach dessen Schulter. Der Junge sträubt sich etwas, aber Alexander zieht ihn einfach an sich. „Wilhelm, ich ruf dich später noch mal an. – Bis dann.“, damit legt er auf und steckt das Handy weg, um sich voll und ganz Heinrich zu widmen. „Hey“, sagt er leise, fährt seinem Freund sanft über den Rücken. „Es ist alles gut ausgegangen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Als der Kleine nicht antwortet, nimmt ihn Alexander vorsichtig am Kinn und zwingt ihn dazu, aufzuschauen. „Willst du hören, zu was sie verurteilt wurden?“ Heinrich schluckt, weicht dem Blick des Älteren aus. Schließlich nickt er fast unmerklich. „Dein Vater…kommt für zwei Jahre ins Gefängnis. Sein Anwalt bekommt die Lizenz entzogen und drei Jahre Haft.“ Alexander stockt kurz, als Heinrichs Hände zitternd in seinem Hemd Halt suchen. „Die zwei Männer kommen auch ins Gefängnis. Und ich werd nicht zulassen, dass einer von denen je wieder auch nur in deine Nähe kommt. Okay?“ Der Junge nickt zaghaft. Alexander wischt ihm mit dem Zeigefinger die Tränen aus den Augen und schließt ihn wieder fest in seine Arme. So stehen sie dort eine ganze Weile am Straßenrand, bis von weitem das Brummen eines Motors zu hören ist. Langsam lässt Alexander seinen Freund los und sieht die Straße hinab. „Ein Laster.“, erkennt er. „Der kommt sicher von den Plantagen und fährt in die nächste Stadt.“ „Jetzt bin ich mal auf deine Spanischkünste gespannt.“, meint Heinrich und versucht ein kleines Lächeln, als er sich wieder den Rucksack aufzieht. „Sieh zu und staune.“, entgegnet Alexander, zieht sich ebenfalls seinen Rucksack auf – und stellt sich kurzerhand mitten auf die Straße. Der Lasterfahrer steigt in die Eisen und der Wagen kommt einen Meter vor dem Professor zum Stehen. Sofort lehnt sich der Fahrer aus der fensterlosen Tür und fuchtelt aufgebracht mit den Armen. „Eh, señor! ¿Que haces?“, ruft der Mann, der mit dunklem Schnauzer, schwarzen Augen und gebräunter Haut Heinrichs Vorstellung eines Südamerikaners schon nahe kommt. „No te molestes!“, antwortet Alexander gekonnt. „Solo quiero preguntar a donde vas?“ „Voy al San Carlos!“ „Puedes llevar nos? Te pago.“ Heinrich beobachtet, wie die Gesichtszüge des Mannes sich ändern. Er lacht und wirft ihm einen kurzen Blick zu. „Con tu pequeño amigo?“ Alexander schüttelt bestimmt aber mit einem kleinen Grinsen den Kopf und gibt eine Antwort. „No.“, versteht Heinrich, was eindeutig so viel heißt wie „nein“. Mehr versteht er leider nicht. Jedenfalls sieht der Mann kurz abwägend aus, dann nickt er schließlich und weist nach hinten auf seine Ladefläche. „Vámonos!“ „Gracias, señor. Muchas gracias.“, bedankt sich Alexander. „Wir können einsteigen.“, sagt er zu Heinrich, der ihm nach hinten folgt. „Kommst du rauf?“, fragt er den Kleinen, da die Ladefläche etwas hoch ist, und als Heinrich ihm keine Antwort gibt, sondern vergeblich versucht, sich hochzuziehen, packt ihn Alexander einfach an der Hüfte und drückt ihn nach oben. Selbst steigt er auf die Stoßstange und kann sich mit den Armen, die er auf der Ladefläche ablegt, hochhieven. Der Laster hat Bananenstauden geladen, zwischen denen Heinrich gelandet ist. Der will sich gerade über die Hilfe beschweren, da fährt der Laster aber so plötzlich an, dass er seinem Freund in die Arme fällt. „Huch, halt dich fest.“, lacht Alexander und kämpft sich mit dem Kleinen etwas weiter zwischen die Stauden, wo sie sich niederlassen können. Der Motor dröhnt und es ruckelt ziemlich, aber Heinrich muss trotzdem nachfragen. „Was hat der Mann gesagt?“ „Hm?“ Heinrich weiß nicht, ob Alexander ihn wirklich nicht verstanden hat. „Was hat der Mann gesagt?!?“, ruft er lauter. „Dass er uns mitnimmt.“ „Er hat doch zuerst gezögert.“ „Und dann hab ich ihm gesagt, ich bezahl ihn.“ „Und wieso hat er so zu mir geschaut?“ Alexander antwortet nicht gleich und weicht Heinrichs Blick aus. Der Junge versteht ihn nicht, als er leise vor sich hin murmelt. „Was?!?“ „Nichts!“ Heinrich seufzt und rückt etwas näher zu seinem Freund, um ihm eine Hand ans Knie zu legen. „Was hat er gesagt?“ Alexander fährt dem Kleinen mit seiner Hand in den Nacken. „Ob ich ihn mit „meinem kleinen Freund“ bezahlen will.“ Heinrich nickt, und zu Alexanders Erstaunen lächelt er leicht. „Gut, dass ich deine Antwort verstanden hab.“ „Ja?“ „Mhm. Das No.“ „Hättest du mir zugetraut, dass ich dich hergeb?“ Der Junge schmiegt sich an Alexanders Brust. „Niemals.“ Der Regenwald lichtet sich allmählich. Die Straße verläuft nun auf immer staubigerem Grund. In der Ferne ist eine Gebirgskette zu erkennen, über der sich einige Gewitterwolken gesammelt haben. „Ein stoischer Weiser hätte sich nicht besser verhalten als du, Heinrich.“ „Hm?“ Fragend schaut der Junge zu seinem Freund auf. Der sieht in die Ferne, wo die Straße mit ihren Biegungen im Staub verschwindet. Er wirkt nachdenklich. „Deine Ataraxía. Dir ist so etwas Schreckliches passiert und du hast dir nichts anmerken lassen. Hast mich ignoriert, hast alles um dich herum ignoriert, was deine Seele positiv oder negativ erschüttern und sie aus dem Gleichgewicht reißen könnte. Ein Leben frei von Affekten und Emotionen, das ist es, was einem die Eudaimonía bringen soll. Erinnerst du dich daran?“ Heinrich blinzelt ein paar Mal. Es ist wohl der Staub, den der Laster aufwirbelt, der seine Augen zum Tränen bringt. „Ja.“, antwortet er schließlich, während er ebenfalls in die Weite schaut, immer noch seinen Kopf an Alexanders Brust gelehnt. „Das hast du erwähnt, in einer deiner Vorlesungen. Bevor mir mein Ordner runtergefallen ist.“ Heinrich spürt, wie Alexander ihn kurz fester an sich drückt, und sieht zu ihm auf. Der Professor lächelt leicht. „Genau.“, sagt er leise, scheint den blauen Himmel nach einer Wolke abzusuchen. „Was sagst du aber dazu,“, fängt er an, „wenn ich behaupte, dass der Mensch ohne Emotionen und Affekte gar kein Mensch ist? Weshalb sonst soll er denn dazu fähig sein, Trauer, Schmerz, Erfolg, Zufriedenheit, Wut, Liebe, und all das andere zu fühlen?“ Endlich sieht er Heinrich an, blickt ihm mit einem sanften Lächeln in die Augen. „Ich denke, wenn man noch nie unglücklich in seinem Leben war, wenn man noch nie getrauert hat, noch nie geweint, sich noch nie geärgert hat, …dann kann man auch nicht die Glückseligkeit erreichen.“ Der Junge schluckt. „Was meinst du, Heinrich?“ „Ja.“, bringt er heraus und presst sein Gesicht an Alexanders Brust, während ihm stumme Tränen die Wangen hinab laufen. „Ich hab mich geärgert“, schluchzt er, „und ich hab geweint. Jetzt mach du mich glücklich. Bitte.“ Alexander fährt dem Kleinen zärtlich durch die Haare und legt seine Arme um ihn. „Natürlich. Das hab ich dir doch versprochen.“ --------------------------------- Seit Kafka löst das Wort „Prozess“ bei mir genau so einen Anfall wie hier eben bei Heinrich aus… XD Euch hoff ich, hat die kurze Rückkehr zur Philosophie gefallen^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)