Venia Legendi Eudaimonía von KaethchenvHeilbronn (Die Erlaubnis zu lehren wie man glücklich ist) ================================================================================ Kapitel 13: ------------ „Du bist ja wieder pünktlich.“ Alexander lässt sich kommentarlos auf seinen Stuhl vor dem Schreibtisch fallen und nimmt einen Schluck Kaffee. Noch schön warm. „Hast du dich beruhigt, hm?“ „Weniger.“ „Der Junge ist erwachsen, Alexander. Du bist nicht sein Vater. Ich hab dir immer gesagt, du bist ein Mensch, der eigentlich Kinder bekommen sollte.“ „Wilhelm. Ich will ihm keine Gutenachtgeschichten vorlesen, ich will mit ihm ins Bett.“ „Wieso hast du’s dann noch nicht getan?! Wenn der Junge sich von seinem Vater schlagen lässt und schweigt, dann wird er auch seinen Mund halten, wenn du dir einfach nimmst, was du willst, oder?!“ „Wilhelm!“ Entrüstet schaut Alexander seinen älteren Bruder an. So etwas hätte er von ihm niemals erwartet. Aber Wilhelm grinst ihn nur an. „Siehst du. Genau das ist es. Du willst eben nicht einfach nur mit ihm ins Bett. Du machst dir Sorgen um ihn. Bis jetzt warst du auch nicht so zimperlich mit den Typen, die dir von Berlin aus nachgejammert haben, nachdem du sie nach einer Nacht sitzen lassen hast. Dich hat weder interessiert, was vor, noch was nach dir in ihrem Leben war, oder? Wieso jetzt also auf einmal so sentimental? – Weil er dir endlich mal wirklich was bedeutet! Eigentlich eine Schande, dass ich dir so was erst sagen muss.“ Alexander blickt über den Kaffeetassenrand zu seinem Bruder auf. Er kommt sich vor, wie in seiner Kindheit, morgens beim Frühstück, als Wilhelm ihm erklären musste, was das bedeutet, wenn ein Mädchen ihm einen Liebesbrief schreibt. „Du müsstest dann los.“ „Oh.“ Alexander steht zögerlich auf. Er wirft Wilhelm ein Grinsen zu. „Danke.“ „Keine Ursache.“ „Grüß mir deine Frau.“ Als Alexander den Hörsaal betritt, fühlt er sich irgendwie frei. Das hat er gebraucht. Endlich Klarheit über seine Gefühle, auch wenn das nicht heißt, dass er demnächst von Heinrich loskommen wird und wieder seinen gepflegten Wochenendausflügen in Berlin nachgehen kann. Heinrich sitzt übrigens wie immer an seinem Platz. Er kritzelt irgendwas auf seinen Block. Damit er nicht aufschauen muss? „Guten Morgen.“ Außer den freudigen Rufen der Studentinnen erreicht ihn eher unmotiviertes Gebrummel. „Ich staune, dass die Herrenriege sich vom Thema nicht abschrecken lassen hat und auch heute so zahlreich erschienen ist.“, meint er mit einem Grinsen. „Und das, wo wir uns heute ja näher mit der Päderastie, der philosophisch wertvollsten Liebe befassen wollen. Hat irgendjemand zufällig Vorkenntnisse?“ Die Mädchen kichern und drehen sich erwartungsvoll zu ihren männlichen Kommilitonen um. „Nein? Auch gut, dann können wir ganz von vorne anfangen. Am besten ihr macht euch zu Beginn noch einmal klar, dass Päderastie eben keine Pädophilie ist. Der jüngere Partner in einer päderastischen Beziehung war nämlich keineswegs ein Kind. Im Grunde handelte es sich um Jugendliche in der Pubertät, also grob im Alter von zwölf bis zwanzig, die durch diese Beziehung zum Erwachsenen erzogen werden sollten. Der Jüngere wurde als Eromenos, als Geliebter bezeichnet, während der Ältere der Erastes, der Liebende war, für welchen keine Altersgrenze existiert. Wichtig ist nur die altersbedingte physisch-psychische Überlegenheit. Wie ich schon letztes Mal erwähnt habe, hatten solche Beziehungen einen ernorm hohen pädagogischen Wert, und der Eromenos eines angesehenes Mannes zu sein, brachte dem Jüngling eine ebenfalls hohe Stellung in der Gesellschaft ein. Solche Bindungen sollten dazu dienen, den Eromenos weise und gut zu machen, in Vernunft und der übrigen Tugend zu fördern, und Bildung und die übrige Weisheit zu vermitteln.“ Eine der Studentinnen in der ersten Reihe meldet sich. „Hach, eine Meldung! Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. Bitte, sprich.“, fordert Alexander sie guter Dinge auf. „Ja, ich wollte nachfragen…“, fängt sie an und stützt blinzelnd ihr Kinn auf ihre Hände. „Was Sie bis jetzt erzählt haben, hört sich für mich nach der Beziehung an, die Sie zu jedem von uns haben. Gibt es da noch eine sexuelle Komponente…?“ Alexander muss kurz auflachen. Ja, sie sieht so aus, als würde sie sich das wünschen… „Das ist ja weniger philosophisch, soll ich das wirklich noch erwähnen?“ Von den Studentinnen kommt eindeutige Zustimmung. „Gut.“, meint Alexander mit einem Zwinkern. „Aber nur, weil die Herren da hinten so aussehen, als könnten sie gerne drauf verzichten.“ „Schenkelverkehr?!“ Alexander muss über das Unverständnis der Stundenten schmunzeln. „Ja, Schenkelverkehr. Jetzt sagt bloß, ihr könnt euch darunter nichts vorstellen“ Nein. Er wird der wild blinzelnden Dame mit J nicht anbieten, es ihr nachher zu zeigen. „Was wird Mann da wohl an den Schenkel reiben?“ Ein Raunen geht durch die Bänke. „Na, bitte. Jetzt hat es auch der Letzte verstanden. Also, generell ist zu sagen, dass jegliche Art von sexueller Befriedigung erlaubt war, solange der Erastes dem Jungen dadurch einen Dienst erfüllt, der ihm hilft, Weisheit und Güte zu gewinnen.“ Einige Studenten schmunzeln. „Ja, ich weiß, das kann man weit auslegen, aber es stand wirklich immer der pädagogische Nutzen im Vordergrund.“ Bei diesem letzten Satz klingelt es. „Punktlandung, würde ich sagen. Könnt ihr mir einen Gefallen tun, und bis nächsten Montag Platons Symposion lesen? Müsste im Internet oder sogar bei Reclam zu finden sein. Ansonsten schönes Wochenende.“ Irgendwie war es zu erwarten, dass Alexander nicht aus dem Saal kommen würde, ohne nicht erst von J und ihrem heute nicht mehr ansehnlich ausgeschnittenen Top konfrontiert zu werden. „Herr Professor…“ „Ja?“ „Nach dem, was Sie letztens zu mir gesagt haben…“ Ach ja, da war ja das mit dem Auto gewesen… „Ich glaube, diese Beziehung, die Sie uns eben erklärt haben, würde auch mir einen immens größeren pädagogischen Nutzen bringen, als der Frontalunterricht...“ Alexander grinst seine Studentin an. Wie kann man bloß so dreist sein?! „Da tut es mir aber Leid, Schatz, dass du kein Junge bist.“, sagt er trocken und lässt sie einfach stehen. Draußen auf dem Gang sieht er sich nach Heinrich um. Wieso hat er nicht auf ihn gewartet?! Die Tasche umgehängt sprintet er wieder durch die Gänge hinaus auf den Campus. Unten an der Treppe erwischt er ihn. „Heinrich.“ „Oh, hallo.“ „Wieso wartest du denn nicht auf mich? Hast du schon aus für heute?“ Der Kleine läuft weiter und Alexander müsste schauen, wie er hinterherkommt, wäre da nicht die physische Überlegenheit. „Ich wollte…ich wollte Sie nicht stören, wie Sie mit…mit Ihrer Studentin……reden.“ Alexander muss lachen. Ihm wird innerlich warm, weil er sich einbildet, Eifersucht in der Stimme des anderen zu hören. „Hast du dir übrigens überlegt, ob du mir verraten willst, warum du ein ganz ungezogener Junge bist?“ „Nein.“ „Du hast es dir nicht überlegt?“ „Ich will es Ihnen nicht verraten.“ „Darf ich dich dann wenigstens nachhausefahren?“ „Ich würde nur in die Stadt gehen, was essen. Nachher hab ich noch Physik.“ Alexander muss mit Missfallen bemerken, dass sein Student heute ziemlich abweisend ist. Auch kein Wunder, wie er ihn das letzte Mal begrabscht hat… „Gut, dann…“ Er fühlt sich richtig schäbig, fährt sich planlos durch die Haare. „Ich könnte dich zum Essen einladen. Als Entschuldigung.“ Heinrich schaut zu ihm auf. „Für was?“ „Na, wegen irgendwas bist du doch grad nicht so gut auf mich zu sprechen.“ Der Junge runzelt die Stirn. „Ja, dafür könnten Sie sich wirklich mit einem Mittagessen entschuldigen.“, meint er und legt sich einen Finger an die Lippen. „Sehr gut.“, ist Alexander erleichtert. „Darf ich dich fahren?“ „Das wäre das Mindeste.“ Er muss lachen und holt die Autoschlüssel heraus. „Was hätte der junge Mann denn gerne? Italienisch, Französisch, Griechisch? Oder doch lieber Chinesisch oder Indisch?“ „McDonald’s.“ „Okay. Wär mal was anderes.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)