Venia Legendi Eudaimonía von KaethchenvHeilbronn (Die Erlaubnis zu lehren wie man glücklich ist) ================================================================================ Kapitel 11: ------------ Alexander hat drei Kreise an die Tafel gemalt. „Nachdem wir jetzt besprochen haben, um was es in diesem Gastmahl von Platon im Allgemeinen geht, können wir die einzelnen Passagen, besser gesagt die einzelnen Lobesreden der verschiedenen Personen auf den Eros unter die Lupe nehmen. Ich möchte hier mit der Rede des Komödiendichters Aristophanes beginnen, der den Mythos des Kugelmenschen erzählt.“ Ein paar vereinzelte Studenten lachen hinter vorgehaltener Hand. „Nein, der Kugelmensch ist nicht die Folge übermäßigen Fastfoodkonsums. McDonald’s gab es zu Zeiten Platons noch nicht. Vielmehr ist mit dem Kugelmenschen die ursprüngliche Form des Menschen gemeint, der von den Göttern, aus Angst vor seiner Kraft und Stärke, entzwei geteilt wurde.“ Alexander zieht durch jeden der Kreise einen senkrechten Strich. „Es gab drei verschiedene Kugelmenschen. Einen androgynen, bestehend aus einer männlichen und einer weiblichen Hälfte.“ Er markiert die eine Hälfte mit dem Symbol männlich und die andere mit dem Symbol weiblich. „Einen rein-weiblichen, bestehend aus zwei weiblichen Hälften, und einen rein-männlichen, bestehend aus zwei männlichen Hälften.“ Wieder zeichnet er die Symbole ein. „Seit dieser Teilung haben beide Hälften Sehnsucht danach, sich mit dem jeweils anderen Teil wieder zu vereinen. Dieses Streben nach der Wiederherstellung der Ganzheit wird als Liebe, als Eros bezeichnet, der den einzelnen Hälften mit einem passenden Geliebten die höchste Glücksseligkeit ermöglicht, wo wir wieder bei der Eudaimonía wären. Ich möchte jetzt keine Umfrage starten, aber hieraus wird deutlich, dass es Frauen gibt, die es zum richtigen Mann, und Frauen, die es zur richtigen Frau hin zieht. Genauso ist es mit uns Männern.“ Alexander kann den Studentinnen in der ersten Reihe genau ansehen, dass sie jetzt gerne einen Kommentar dazu abgeben würden. Letztes Jahr hat er nach dieser Einheit nicht nur einen Liebesbrief mit „Ich bin Ihre verloren gegangene Hälfte!“ bekommen… „So, nun kommen wir zur nächsten Rede.“, macht er weiter. „Das wird einigen von euch nicht gefallen, was Platon seine nächste Figur sagen lässt. Der Adlige Pausanias spricht nämlich von zwei Formen der Liebe. Nach ihm gibt es einen gewöhnlichen und einen himmlischen Eros. Der gewöhnliche sucht nur körperliche Befriedigung. Dieser ist abzulehnen.“ Einige der Studenten geben wie vermutet ihr Uneinverständnis zu verstehen. „Ja, ja, aber die Philosophie ist eben hart. Also, vielleicht solltet ihr es mal mit dem himmlischen Eros versuchen, die bleibende Vereinigung mit der Wesensart des Freundes. Hört sich doch schön an.“ Die Mädchen nicken bestätigend. „Ja, unser weibliches Publikum hier vorne ist der Sache nicht abgeneigt, aber da muss ich euch leider enttäuschen, Mädels. Nach Platon, beziehungsweise Pausanias, ist diese Art von Eros nämlich nur unter Männern möglich.“ Die hinteren Reihen mit den meist männlichen Studenten beginnen gehässig zu lachen. „Hier ist der Begriff der Päderastie, der Knabenliebe, wichtig. Ihr würdet das vielleicht eher als „Pädophilie von Schwuchteln“ bezeichnen.“ Einige der Studenten grinsen erneut. „Nein, das ist jetzt ausnahmsweise nicht zum Lachen.“, entgegnet Alexander. „Macht euch das mal bewusst: Wir leben in einer Zeit, in der man es duldet, dass Jugendliche perverse Tierpornos auf ihren Handys hin- und herschicken, aber wehe einer deiner Kumpels ist homosexuell. Ich hab euch eben gesagt, was Platon davon gehalten hat, was man im antiken Griechenland damals von Knabenliebe gehalten hat: Ein himmlischer Eros. Der Knabenliebe wurde ein pädagogischer Wert beigemessen, junge Männer in eurem Alter waren in der Gesellschaft hoch angesehen, wenn sie einen Lehrer, einen Erastes hatten. Heutzutage eine frevelhafte und inakzeptable Vorstellung. Denkt darüber mal ein wenig nach bis zum nächsten Mal, damit wir dann…etwas weniger verkrampft…tiefer in die Thematik eindringen können – wer hier lacht, outet sich!“ Kichernd verlassen die Studentinnen den Saal, ihre männlichen Kollegen wirken noch etwas überfordert. Wie nicht anders zu erwarten, bleibt J bei Alexander am Pult stehen. „Herr Professor, darf ich Ihnen sagen, dass ich es ganz toll finde, wie offen Sie mit diesem Thema umgehen können.“, meint sie und blinzelt ihn scheinbar entzückt an. „Dankeschön.“, sagt er nur, während er sich die Kreide von den Händen reibt. „Aber vielleicht liegt das daran, dass Sie auch bei Männern sicherlich einige Verehrer finden würden.“ „Ach, ja?“ „Hmhm, kann ich mir denken. Die Armen tun mir ja so Leid, dass die Männerwelt auf Sie verzichten muss.“ Alexander bekommt mit Mühe ein Lächeln zustande. Wenn sie nur wüsste, wer hier auf wen verzichten muss… Da bemerkt er, dass Heinrich soeben den Saal als Letzter verlässt – wie wird er diese Nervensäge mit J jetzt am Besten ganz schnell los?!? Er könnte es ja mal mit vorgetäuschter Eile versuchen. „Oh, ich muss los, hab noch einen Termin in der Stadt.“ Hastig greift sich Alexander seine Tasche. „Ich bin mit dem Auto da, ich kann Sie fahren.“, bietet ihm J an, während sie mit einem vielsagenden Lächeln zu ihm aufblickt und ihre langen blonden Haare von der Schulter wirft. „Danke, nicht nötig, ich– “ Das, was sie ihm zuwirft, soll wohl ihr Schlafzimmerblick sein…?! Gut, denkt sich Alexander, dann eben in die Offensive. „Ich sollte nicht…“ Er macht einen Schritt auf sie zu und lehnt sich mit der Hand über ihrem Kopf an den Türrahmen. „…nicht mit dir alleine in diesem engen Auto sein…“, raunt er mit gesenkter Stimme. „Ich könnte für nichts mehr garantieren…“ Das hat sie so überwältigt, dass er ganz einfach an ihr vorbei aus dem Raum flüchten kann. Verdammt, wo ist jetzt Heinrich?! Alexander kommt der Gedanke, dass der Junge immer mit der Straßenbahn nachhause fährt. Mit der Fünf. Also schnell zur Haltestelle. Ein Glück geht er jedes Wochenende joggen, sonst würde ihn der Sprint ernsthaft überfordern. Aber da ist er. Abseits der größeren Studentengruppe steht er an der Haltestelle. „Heinrich!“ Leicht außer Atem macht er vor dem Jungen Halt. „Her Professor Humboldt, was – was machen Sie hier…?!“ Alexander grinst sein verwirrtes Gegenüber unbeholfen an. „Ich…ich hab mir Sorgen gemacht. Wieso warst du gestern nicht hier?“ „Ich war hier, aber nur für zwei Stunden.“ „Ah.“ Peinlich. Da hätte er nicht so viel nachgrübeln dürfen. „Ich wollte…kann ich kurz mit dir reden?“ Heinrich sieht hinüber zur Fahrtenanzeige und beißt sich auf die Unterlippe. „Gerne, nur meine Bahn…“ „Ich bin mit dem Auto da, ich fahr dich dann nachhause.“ Okay, jetzt ist es doch passiert. Macht nichts, er hat ja noch seine Grenze. Wobei er die letztes Mal meilenweit überschritten hat. Aber das mit dem Shirt hochziehen ist eine Ausnahmesituation gewesen. Und soll es auch bleiben. „Wo…worüber wollen Sie denn reden?“ „Ähm…setzen wir uns am Besten erst einmal in meinen Wagen.“ „Okay.“ Auf dem Weg zum Professorenparkplatz hinter der Universität überlegt Alexander, ob er Heinrich auch auf das Thema seiner Vorlesung ansprechen kann, oder es lieber lassen sollte. Nun, der Kleine wird ihn sowieso nicht plötzlich bitten, mit ihm eine päderastische Beziehung einzugehen, also muss er es nicht unbedingt versuchen. Alexander schließt seinen schwarzen Jeep auf. Er würde gerne die Klimaanlage einschalten, aber dazu müsste er den Motor zu lange laufen lassen. Heinrich hat neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz genommen und schaut sich beeindruckt um. „Sie sitzen ganz schön hoch.“ Hinten sind die Scheiben getönt und man kann die Sitze klasse nach hinten umlegen, fallen Alexander weitere Vorzüge ein, die er seinem Studenten dann doch lieber nicht an den Kopf werfen sollte. „Also“, beginnt er stattdessen. „Du hast mir ja verboten, etwas gegen deinen Vater zu unternehmen…“ „Sie – Sie haben aber nicht doch was getan?!“, entfährt es Heinrich voller Entsetzen. „Nein, habe ich nicht.“, entgegnet Alexander betont. „Auch wenn ich es immer noch nicht verstehe, wieso du dich nicht wehrst. Aber ich möchte dich fragen, ob du denn wenigstens weißt, warum er dich schlägt. Vorgestern hast du gesagt, weil du nicht brav gewesen bist. Was hast du denn getan, dass er dich so…so grausam behandeln muss?“ Voller Unverständnis schaut Alexander den Jungen an, doch die blauen Augen weichen seinem Blick aus. „Ich…ich hab…ich bin nicht…“ Er schlingt seine Arme um den Körper und macht sich ganz klein auf dem Sitz. „Vater will…er will, dass ich ein guter Sohn bin, aber…ich bin nicht so, wie er mich haben will…“ „Heinrich, aber das ist doch nicht– “ „Doch! Sie würden mich auch hassen, wüssten Sie bescheid!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)