Come To Life von Medusa ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Kurz nach der Konfrontation mit Braxton war Samuel hinter die Theke gekommen. Eline war sich nicht sicher, ob er etwas mitbekommen hatte oder es einfach Zufall war. Jedoch war es ihr auch nicht wichtig, denn sowohl ihre Nerven, als auch ihre Beine, waren dem Clubbesitzer unglaublich dankbar, als er sie erlöste. “Ich werde mich morgen mit Jules zusammen setzen, damit er mir ein wenig von dem Abend berichtet und dann werde ich mich bei dir melden, wenn du den Job noch möchtest”, er nahm ihr die schwarze Schürze hab, die sie bereits in den Händen hielt. In seinen Augen hatte die Brünette sich für den ersten Abend recht gut geschlagen und immerhin hatte sie Belle standgehalten, auch wenn diese in den letzten Minuten verschwunden schien. Samuel ersparte sich selbst lieber die Frage, wo sie war. “Natürlich, ich würde ihn gerne machen”, Eline schenkte Jules ein kurzes Lächeln, gab Samuel dann zum Abschied die Hand und verschwand in dem kleinen Raum hinter der Theke, um ihre Sachen zu holen. Sie war froh, dass Belle in diesem Augenblick nicht dabei war, sie hätte sich sicher über die positive Entscheidung geärgert. Nach der Begegnung mit Braxton war Eline sich jedoch nicht sicher, ob sie der Französin noch standhalten konnte. Ihre Finger zitterten leicht, als sie die wenigen Knöpfe der schwarzen Kurzjacke schloss und ihre Handtasche nahm. Sie blickte für einen Moment in den kleinen Spiegel, der an der Wand hing und fuhr sich durch die etwas zerzausten und feuchten Haare. Noch immer war ihr unerträglich warm, auch wenn ihre Hände sich eiskalt anfühlten und auch in ihrem Innere eine unangenehme Kälte herrschte, hatte sie doch noch immer die Worte und den Blick von Braxton vor ihren Augen. Auf vieles hatte sie sich an diesem Abend eingestellt, doch diese mögliche Begegnung war ihr für keine Sekunde in den Sinn gekommen. Sie hatte den jungen Mann aus ihren Gedanken, ihren Erinnerungen und ihrem Leben zu streichen versucht - ein Braxton ließ sich jedoch nicht einfach verbannen. Seufzend wandte sie den Blick von ihrem Spiegelbild ab, hatte sie doch sowieso nicht richtig hingesehen und verließ den Angestelltenraum. Jules schien darauf gewartet zu haben und legte eine Hand auf ihre Schulter, als sie vor ihm stand, ehe er sie anlächelte. “Wir sehen uns wieder, bestimmt.” “Ich hoffe es”, erwiderte sie, auch wenn ihr Lächeln matt und etwas gequält wirkte. Sie war dem Barkeeper dankbar für die Worte, für seine Unterstützung an ihrem ersten Abend. Ohne ihn wäre sie verloren gewesen, in einer Welt die ihr völlig fremd war. Doch es war genau das, was die Dunkelhaarige anzog; das Ungewisse, die Ablenkung, das Neue. Es vertrieb den Alltag - die Normalität. Es verwischte ihre Erinnerung, ließ die trüben Gedanken in weiter Ferne verschwinden; in einem dichten, undurchsichtigen Nebel, vor dem sie stehenblieb und nicht weiter ging, wie vor einer Wand. Irgendwann, wenn der Morgen kam, dann würde der Nebel seine Schwaden auflösen und ihr Blick auf ihre Erinnerungen und Gedanken würden wieder klarer werden...doch erst am Morgen - am Morgen. Samuel war nicht mehr zu sehen, ebenso wie Belle noch nicht wieder hinter der Theke war, was Eline einen kurzen Abschied ermöglichte. Noch nie war ihr die kalte, nächtliche Winterluft so angenehm vorgekommen, wie in dem Moment, in dem sie vor die Tür des Clubs trat. Sie streifte ihre warmen, geröteten Wangen und ließ einen Schauer durch ihren Körper fahren, als die Kälte ihren verschwitzten Nacken hinunter kroch. Dennoch atmete sie die frische Luft tief ein und schloss kurz die Augen, um den Geruch von Alkohol und Zigaretten zu verbannen. Der Weg nach Hause schien unendlich. Ihre Füße gingen nur widerwillig durch die Kälte, die sich mittlerweile eher wie tausend kleine Flammen anfühlte, die sie quälten. Es war unangenehm und oft hatte sie einfach stehen bleiben wollen, doch der Gedanke an ein weiches und warmes Bett ließen sie das unangenehme Gefühl für einen Moment vergessen, auch wenn ihre Beine sich dennoch wie purer Blei anfühlten, der sich kaum bewegen ließ. Eline wusste nicht, wann sie das letzte Mal so froh gewesen war die Haustür aufzuschließen. Die warme Luft, die ihr entgegen strömte, war verlockend und trotzdem hätte sie die Tür gerne wieder geschlossen, ohne dass Haus zu betreten. Mit der Wärme war auch der vertraute Duft zu ihr durchgedrungen, der zu diesem Haus gehörte. Er war ihr in den letzten Wochen nicht bewusst gewesen, hatte sie ihr Zuhause doch nie verlassen. Ihr Magen verkrampfte sich und ihre schlanken Finger umfassten die Türklinke etwas fester, die sie noch immer hielt. Umdrehen. Fliehen. Weglaufen. All diese Worte schrie ihr Herz ihr förmlich entgegen und widerwillig schüttelte sie den dunklen Haarschopf, in der Hoffnung sie vertreiben zu können. Sie zwang sich zu diesem einen Schritt, der sie den Flur betreten und die Tür schließen ließ, ehe sie sich erschöpft dagegen lehnte. Sie war Zuhause - ein Gedanke, den sie schnell wieder beiseite schob. In diesem Augenblick war es einfach, zerrte die Müdigkeit und Erschöpfung doch an ihrem Körper. Sie hatte noch duschen wollen; ungeachtet dessen, dass sie ihre Mutter vielleicht geweckt hätte. Der Weg ins Bad schien jedoch unüberwindbar für ihre Füße und Beine, war es schon eine Anstrengung die schwarzen Pumps abzustreifen und die letzten Schritte in ihr Zimmer zu gehen. Mit einem Seufzen ließ sie sich auf ihr Bett fallen und endlich dieses zerrende Gefühl von Müdigkeit die Kontrolle über ihren Körper übernehmen, ohne dass noch ein Gedanke über den Abend in ihr Bewusstsein dringen konnte. Sie hasste den Morgen. Er war grausam, kam viel zu schnell und ließ sich leider nicht wieder vertreiben. Bevor sie die Augen öffnen konnte, wurde ihr das unangenehme Dröhnen in ihrem Kopf bewusst, welches ihr ein leises Murren entlockte. Unweigerlich folgte der Geruch von Alkohol und Zigaretten, der wieder in ihre Nase stieg. Sie konnte ihn nicht einmal zuordnen, denn nur langsam kamen die Bilder der letzten Nacht wieder. Widerwillig setzte die Brünette sich auf und versuchte die wilde Mähne mit ihren Finger etwas zu bändigen. Für einige Sekunden saß sie einfach nur dort und sah aus dem Fenster, welches ihr direkt gegenüber war. Sie wollte aufstehen, doch ihre Beine verweigerten jegliche Bewegung. Ihr ganzer Körper schien sich quer zu stellen und forderte seine Ruhe ein, von dem sie ihm letzte Nacht zu wenig gegeben hatte. Widerwillig kroch Eline dennoch aus dem Bett und suchte einige Klamotten aus ihrem Kleiderschrank, ehe sie ins Badezimmer schlurfte. Sie schmiss ihre frischen Sachen auf den Deckel einer kleinen Truhe, in der ihre Mutter alles mögliche aufbewahrte. Glücklicherweise war diese bereits bei der Arbeit, somit musste Eline ihr nichts erklären und diese Situation wäre definitiv eingetreten, wie die Brünette feststellte, als sie in den Spiegel sah. Die dunklen Haare völlig zerzaust und behaftet mit dem Geruch von Alkohol und Qualm, das Make-Up vom Abend zog dunkle Spuren unter ihren Augen und sie hatte ihre Sachen nicht einmal mehr ausgezogen, wie ihr bewusst wurde, als die Pailletten des Kleides im Badezimmerlicht schimmerten. Die warme Dusche schien ihren geschundenen Körper etwas milder zu stimmen, zumindest fühlte sie sich danach etwas besser und fand sogar den Antrieb ein frisches Make-Up aufzutragen, welches letzte Spuren aus ihrem Gesicht verschwinden ließ. Nur ihre Beine straften sie mit leichtem Muskelkater, doch ein Job in einem Club war eben kein sitzendes Studentenleben im Hörsaal; sie hätte es wissen müssen. Eline war dabei sich ihren morgendlichen Tee zu machen, als es plötzlich an der Tür klingelte. Hatte ihre Mutter etwas bestellt? Der Postbote? Aliena? Kein anderer kam der Dunkelhaarigen in den Sinn, als sie die schwere Haustür öffnete. Der Anblick, dem sie sich dann gegenüber fand, erstickte ihr ‘Guten Morgen’ jedoch und ihre Augen weiteten sich überrascht. Sie sah einzig und allein diesen riesigen Strauß weißer Rosen, der ihre volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Erst eine unbekannte Stimme holte sie zurück in die Realität. “Eline Dónaill? Es wäre wirklich freundlich, wenn Sie mir den Strauß abnehmen würden.” Die Studentin nahm nur zögerlich den großen Strauß auf ihren Arm, während sie den Boten fragend ansah; wartend auf eine Erklärung, die er sicher für sie haben würde. Von wem war dieser Strauß? War er wirklich für sie? Nicht vielleicht für ihre Mutter? Niemand hatte ihr jemals so viele Blumen geschenkt, vor allem keine weißen Rosen. Der Bote schien ihren fragenden Blick zu verstehen. “Ich kann Ihnen keinen Namen nennen. Ich habe lediglich den Auftrag bekommen diesen Blumenstrauß bei Ihnen abzugeben. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.” Und dann war er auch schon wieder in seinem Auto verschwunden; ließ eine völlig überforderte Eline zurück, die irritiert die Haustür schloss und den großen Blumenstrauß auf den Küchentisch legte. Ihre Gedanken rasten. Von wem waren sie? Warum weiße Rosen? Was sollte sie davon halten? Sie wusste auf all das keine Antwort, während sie geistesabwesend eine große Vase suchte, die sie mit Wasser befüllte und in die sie dann die Blumen stellte. Erst in diesem Moment fiel ein kleiner Zettel auf den Küchentisch, nach dem Eline sofort griff. Sie ließ sich auf den Stuhl sinken und faltete das Stück Papier auseinander. Die grün-blauen Augen flogen über das eine Wort, das in schöner, gedruckter Schrift darauf stand: Unschuld. Immer wieder wiederholte sie dieses Wort in ihrem Kopf. Versuchte ihm etwas zuzuordnen - eine Person, ein Ereignis - irgendetwas. Doch keine Antwort fand sich in ihrem Kopf wieder, die ihr in irgendeiner Form logisch erschien. Es gab niemanden, der ihr solch einen Blumenstrauß schenken würde. Sie hatte nur noch Aliena. Seufzend lehnte sie den Zettel aufgeklappt an die Vase, sodass sie das Wort immer wieder lesen konnte. Nachdenklich erhob sich die Brünette und nahm ihren Tee von der Arbeitsfläche, ehe sie sich wieder setzte und ihr Blick erneut über die Buchstaben flog; über dieses Wort, welches für sie keinen Sinn machte. Es beunruhigte sie, wenn sie ehrlich zu sich selbst war. Wollte Braxton sie damit verunsichern? Braxton - die Erinnerung an den Abend wurde wieder präsent und sofort schlossen ihre Finger sich fester um die warme Tasse. Der letzte Tag, an dem sie eine weiße Rose in ihren Händen gehalten hatte, war ein Abschied gewesen. Ein schmerzhafter Abschied, der sie verfolgte und nicht losließ. Ein Abschied, der noch nicht vorüber war - nicht für sie. Und dennoch...Braxton konnte nicht von der weißen Rose wissen. An diesem Tag hatte sie nicht die Bedeutung ‘Unschuld’ getragen. Der zufällige Blick auf die Uhr machte Eline bewusst, dass sie ihre Sachen packen und gehen musste. Auch wenn der Gedanke an die ehemals alltägliche Situation zur Universität zu gehen sie quälte, so wollte sie Aliena nicht enttäuschen. Es hatte die Blonde Überwindung gekostet die Entscheidung ihrer besten Freundin zu respektieren und ihr den Abstand zu geben, den sie wollte und brauchte. Aliena war das Einzige, was ihr geblieben war; das Einzige, was sie aus ihrem alten Leben noch an ihrer Seite ertragen konnte. Sie wollte ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen und somit erhob sie sich von dem Küchenstuhl und suchte ihre Unterlagen zusammen. Bevor sie das Haus verließ, warf sie noch einen Blick auf ihr Handy, doch Samuel hatte sich bisher nicht gemeldet. Was erwartete sie denn auch? Die anderen hatten noch weiter gearbeitet, nachdem sie gegangen war und schliefen sicherlich noch. Vor dem Abend konnte sie wohl mit keiner Antwort rechnen und somit ließ sie das Mobiltelefon in ihre Tasche gleiten, ehe sie das Haus verließ. Der Weg zur Universität schien ihr nicht mehr so schwer zu fallen, wie am Tag zuvor, doch der Grund dafür war nicht angenehm. Ihre Gedanken fanden keine Zeit ihr das Widerstreben deutlich zu machen, denn immer wieder sah die Brünette sich um. Sie fühlte sich unwohl, beobachtet. Ihr Körper war angespannt und sie hatte die Trageriemen ihrer Tasche fest umschlossen. Der Abend hatte ihr in Erinnerung gerufen, dass Braxton noch immer dort war. Sie hatte ihn lediglich aus ihrer kleinen Welt verbannen können, solange sie in ihrem Zimmer gesessen hatte. Nun aber war er wieder da; so bewusst und präsent, dass Eline es nicht einfach beiseite schieben konnte, so gern sie es auch getan hätte. Seine Worte waren deutlich gewesen. Sein Blick hatte ihr deutlich gezeigt, dass es für ihn noch nicht vorbei war. Was war, wenn er sie verfolgte? Wenn die Rosen wirklich von ihm waren? Der Gedanke ließ Eline noch einmal zurückblicken, ob nicht vielleicht jemand dort war, doch sie sah kein Gesicht, dass sie beunruhigen müsste. Sie musste es sich einbilden, zumindest versuchte sie ihre Anspannung mit diesem Gedanken etwas zu mildern. Die Dunkelhaarige war erleichtert, als sie Aliena am Eingang der Universität sah. Sie musste auf sie gewartet haben, obwohl für keinen sicher gewesen war, dass Eline wirklich kommen würde - sie selbst hatte sogar daran gezweifelt. Auch die Blonde schien überrascht, doch die Freude überwog. “Guten Morgen, Liebes.” Sie gab der Brünetten einen Kuss auf die Wange, ehe sie lächelte. “Ich hatte wirklich Zweifel daran, dass du kommen würdest. Du siehst müde aus. Ist alles in Ordnung?” Eline musste ein wenig lächeln; immerhin war ihre beste Freundin ehrlich. “Ich habe nicht besonders gut geschlafen, sonst nichts. Lass uns hinein gehen, es ist kalt und ich muss sitzen. Meine Beine fühlen sich heute so schwer an.” Den genauen Grund dafür verschwieg Eline vorerst, in der Hoffnung, dass Aliena nicht weiter nachfragen würde. “Hast du gestern Sport gemacht?”, fragte die Blonde jedoch amüsiert, auch wenn sie sich das nicht vorstellen konnte. Ihre beste Freundin war nicht der sportliche Typ, allerdings hatte sie es auch nicht nötig, wie Aliena immer wieder feststellen musste. Die Freundinnen betraten den großen Hörsaal, der bisher kaum gefüllt war. Die meisten kamen erst kurz vor Beginn. Eline war froh darüber, denn somit ruhten nur wenige Blicke auf ihr, als sie den Raum betrat. Ihre Gedanken hingen noch immer den Geschehnissen der vergangenen Nacht und des Morgens nach. Sie wusste nicht, ob sie Aliena wenigstens von den Rosen erzählen sollte. Unsicher entschied sie sich dann aber doch dafür. “Ich habe heute einen Strauß weißer Rosen bekommen”, ihre Augen sahen prüfend zu der Blonden, als sie sich auf ihre Plätze setzten. “Oh! Das ist doch toll. Von wem denn?”, Aliena ahnte nicht, welche Bedenken in ihrer Freundin die Freude überwogen. Erst als sie ihren Mantel ausgezogen und den Blick wieder auf die Brünette gerichtet hatte, sah sie es ihr an. “Was ist los? Erzähl mir alles.” “Ich weiß nicht, wer sie mir geschickt hat”, gestand die Dunkelhaarige dann, “es gibt niemanden der Grund hätte mir solch einen Rosenstrauß zu schicken.” “War keine Nachricht dabei? Eine Karte? Ein Brief? Irgendetwas?”, die blauen Augen blickten sie prüfend an, doch das Kopfschütteln Elines entlockte Aliena bereits ein frustriertes Seufzen. “Das ist merkwürdig.” Von dem Zettel wollte sie momentan nicht erzählen. Ihre beste Freundin würde ebenso wenig damit etwas anfangen können, wie sie selbst. Letztlich würde sie sich vielleicht nur noch mehr Sorgen machen, als Eline selbst. Das wollte die Brünette vermeiden. Sie würde Aliena mehr erzählen, wenn sie sich selbst einen Reim darauf machen konnte. “Vielleicht hat sich nur jemand einen Spaß erlaubt”, versuchte sie weiteren Überlegungen zu entgehen und klappte den Tisch vor sich hinunter, erstarrte jedoch in diesem Moment. Verstört sah sie auf das Holz vor sich, auf dem in der oberen Ecke ein Wort geschrieben stand: Opfer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)