Come To Life von Medusa ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Der Weg nach Hause erschien ihr lang. Noch nie war er ihr so endlos vorgekommen, bis sie das ruhig und einladend wirkende Haus in Saint Andrews erreichte. Auch wenn sie nicht hatte gehen wollen, nun blieb sie inmitten des kleinen Gartentores stehen und sah den schmalen Weg hinauf, der bis zur Haustür führte. Ihre hellen Augen blickten zu dem Fenster, dessen weiße Vorhänge sich leicht zu bewegen schienen. Durch den milchigen Stoff erkannte sie die Silhouette einer Gestalt und Eline wandte den Blick sofort wieder ab. Sie hasste es, wenn ihre Mutter das tat. Sie war kein kleines Mädchen mehr, auf das eine Mutter am Fenster wartete, ob es auch pünktlich aus der Schule kam. Die Dunkelhaarige machte wieder einen Schritt zurück und schloss das Gartentor. Die zarten Finger hatten unter den Nägeln bereits eine leicht bläuliche Färbung angenommen. Ihre Handschuhe hatte sie in all ihrem Sträuben gegen den Alltag Zuhause vergessen. Ihr Körper hätte ihr die Wärme der vier Wände gedankt, doch ihr Herz wollte noch nicht wieder dort hinein. Es schien gegen sie selbst zu spielen; jede Handlung, die normal für sie gewesen wäre, schien es umgehen zu wollen. Mit einem Seufzen fügte Eline sich diesem Gefühl. Es hatte keinen Sinn diesen Kampf gegen sich selbst fortzuführen; sie konnte nur verlieren - ihr Körper oder ihre Seele - für diesen Augenblick entschied sie sich für die Niederlage ihres Körpers. Er würde die winterliche Kälte noch für eine Weile hinnehmen müssen, auch wenn sie selbst nicht wusste, wohin es sie eigentlich trieb. Der verschneite Weg führte sie in die Innenstadt von Saint Andrews. Die Angebote der Geschäfte hatten an diesem Tag nicht allzu viele Menschen aus ihren warmen Häusern gelockt. Das Wetter schien störend oder unter dem Weihnachtsbaum hatten - was ihr allerdings unmöglich erschien - ausnahmsweise einmal die richtigen Geschenke gelegen. Menschen waren aber doch eigentlich nie mit dem zufrieden, was sie letztlich bekamen. Eline schob es also doch wieder auf das Winterwetter, welches langsam lästig wurde. Die Brünette blieb vor einem kleinen Café stehen. Durch die große Fensterfront konnte sie einige Menschen beobachten, die genüsslich ihren warmen Kaffee oder Tee tranken, sich unterhielten oder eine Zeitung lasen. Ihr Blick fiel auf ein verliebtes Pärchen, das an einem Tisch saß und sich anlächelte. Für einige Sekunden betrachtete sie die Szenerie, wandte dann jedoch abrupt den Blick ab. Sie wollte so etwas nicht sehen. Sie wirkten so glücklich und zufrieden mit sich und ihrem Leben. Es war ein Anblick, den die Dunkelhaarige in den letzten Wochen für keine Sekunde hatte ertragen können und auch jetzt hatte sich nichts gebessert. Es war nicht erträglicher geworden. Alles, was sie ihr gesagt hatten, war eine Lüge gewesen. Der Schmerz ließ nicht nach, sie spürte ihn nur nicht mehr so deutlich, weil sie ihn Tag und Nacht an ihrer Seite hatte. Dennoch war der Anblick von Glück, Liebe und Zufriedenheit nicht erträglicher. Eline wusste, warum sie die letzten Wochen kaum einen Schritt aus dem Haus gemacht hatte. So etwas hatte sie sich selbst ersparen wollen. Es war auch ihr eigener Wunsch gewesen, dass Aliena in all den Tagen nicht bei ihr gewesen war. Die Dunkelhaarige hatte es ihr ausdrücklich mitgeteilt und sich strickt geweigert ihre Meinung zu ändern. Die ersten Wochen hatte sie sowieso mit niemandem gesprochen und sich in Schweigen gehüllt. Was brachte reden denn schon? Es änderte doch nichts an alldem, was geschehen war. Aliena hatte sich, wenn auch nur sehr widerwillig, geschlagen gegeben. Es war aber wohl eher ihre Angst, dass Eline die Freundschaft beendete, die sie hatte ausharren lassen, bis die Brünette von allein wieder in der Universität erschien. Sie war ihrer blonden Freundin dankbar gewesen, dass sie ihr Verhalten, nach anfänglichen Schwierigkeiten, einfach hingenommen hatte. Sie setzte ihren Weg langsam fort und vergrub die zierlichen Hände in den Manteltaschen. Eline hatte kein Ziel vor Augen. Sie hatte auch keine Lust in irgendwelche Geschäft zu gehen und sich ein wenig umzusehen. Lediglich hier und dort warf sie einen Blick durch die Schaufenster, betrachtete für einen Augenblick ihr Spiegelbild. War sie wirklich vor die Tür gegangen? Sie hatte sich geschworen, dass dieser Moment nicht einfach wiederkommen würde und nun war er da - einfach so. Sie hatte es nicht geplant, sie hatte es sich nicht vorgenommen; es war einfach passiert. Normalität. Ein weißer Aushang an einer Tür zog plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf sich. Eline wandte sich von dem Schaufenster ab und ging einige Schritte weiter, ehe sie das weiße laminierte Papier einen Moment betrachtete, ohne dass die schwarz aufgedruckten Buchstaben einen Sinn für sie ergaben. Erst nach einigen Sekunden ergaben die Buchstaben Worte, die Worte einen Sinn, der bis zu ihr durchdrang. Sie musste über sich selbst den Kopf schütteln und ein etwas spöttisches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Was dachte sie sich nur? Für einen Augenblick war ihr die Idee gekommen, dass dieser Aushang vielleicht ihr Weg sein könnte der Normalität zu entfliehen. Der Club, vor dem sie gerade stand und der zu dieser Zeit geschlossen war, suchte eine Aushilfe für die Nächte in den nächsten Wochen. Was für eine absurde Idee. Eline kam aus einem guten Hause; nie hatte sie einen Job neben der Schule oder dem Studium nötig gehabt. Sie war immer froh darüber gewesen, auch wenn sie vor anderen nicht damit prahlte. Sie hatte auch das Glück, dass ihre Eltern in Saint Andrews lebten und sie sich keine eigene Wohnung finanzieren musste. Die meisten Einwohner der schottischen Stadt waren Studenten der University of St. Andrews. Ein Grund, warum sie sich vorstellen konnte, dass der Club sicherlich gut lief. Der Besitzer würde es nicht schwer haben eine Aushilfsbedienung zu finden, was sollte also sie... - Genau in diesem Augenblick wurde die Tür vor ihr geöffnet und viel zu warme Luft schlug der Dunkelhaarigen entgegen. Der Geruch von Alkohol und Zigarettenqualm schien noch unterschwellig in ihr zu liegen und Eline kam nicht umher ihre Nase ein wenig zu rümpfen und ihre Augen ein wenig zusammen zu kneifen. Für jemanden wie sie, der um solche Orte eher einen Bogen machte, war dieser Geruch beißend und nur allzu deutlich. “Wenn du dich so anstellst, kannst du hier aber nicht arbeiten”, stellte der junge Mann vor ihr amüsiert fest und seine Augen musterten sie einen Moment, bevor er an der Zigarette zog, die er in seiner rechten Hand hielt und mit der linken Schulter an dem Türrahmen lehnte. Der Blick Elines schien ihn nur noch mehr zu unterhalten. Ihre dunklen Augenbrauen hatten sich gehoben und die großen Augen blickten ihn ziemlich verständnislos und empört an, während der zierliche Körper sich vor ihm aufbaute - soweit das eben möglich war. “Ich hatte nie vor für Sie zu arbeiten”, stieß sie dann hervor und bemerkte selbst ihren spitzen Unterton. Sie konnte schon immer leicht aus ihrer Haut fahren, war sehr temperamentvoll und manchmal etwas voreilig. Oft hatte sie sich mit spontanen Ideen in recht verzwickte Situationen gebracht. Doch nun hatte sie niemanden mehr, der ihr dort hinaus helfen würde. Sie wäre auf sich allein gestellt. Eline glaubte nicht, dass einer der Besucher des Clubs sie kannte - sie und ihre Geschichte. Niemand würde ihr diese besorgten Blicke zuwerfen, sie ansehen und über das Geschehene reden, ihr zaghafte Fragen stellen, als würde sie jeden Augenblick zusammen brechen. All das waren Dinge, vor denen sie fliehen konnte, wenn sie diesen unbedachten Schritt machte, den sie eigentlich schon ausgeschlagen hatte. “Ach, nun sei nicht gleich beleidigt. Wir haben doch eben telefoniert. Ich zeig dir alles”, er schmiss seine Zigarette vor seine Füße in den Schnee und trat sie aus, bevor er Eline einfach an sich vorbei in den düsteren Club schob. Er war bestimmt Mitte dreißig, wenn sie richtig schätzte. Vielleicht machte der leichte Bart ihn auch nur etwas älter. Sie war schlecht in so etwas. Seine dunkelblonden Haare waren etwas länger und er hatte sie im Nacken zusammen gebunden. Er trug eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd, dessen obere Knöpfe er nicht geschlossen hatte. In ihren Augen machte er den Eindruck, als würde er sich furchtbar gut aussehend und wichtig vorgekommen. Eline hegte eine gewisse Abneigung gegen solche Menschen, doch sie schwieg für den Moment. Sie würde immerhin jederzeit gehen können und ihn nie wieder sehen. Sie hatte ja nicht vor ernsthaft zu bleiben und den Job anzunehmen; hatte es auch nie mit einem Wort behauptet. “Mein Name ist übrigens Samuel. Deiner war..?”, er führte sie durch den großen Raum, der recht verwinkelt schien. Die Nischen boten Möglichkeit für Rückzugsplätze und weiter hinten entdeckte sie sogar eine kleine Tanzfläche. Sie kannte diesen Club nicht und konnte sich auch nicht daran erinnern je von ihm gehört zu haben. Er wirkte düster; die Einrichtung war vorwiegend aus dunklem Holz und die Beleuchtung nur indirekt und sehr spärlich. Für sie schien es wie ein Wunder, wenn hier nicht ein Kellner nach dem anderen auf der Nase lag, weil er irgendein Stuhlbein oder etwas anderes übersah. Seit langem war es das erste Mal, dass ihr so nichtige Dinge durch den Kopf gingen und sie tat sich schwer damit, sich endlich auf Samuels Worte zu konzentrieren. “Eline”, antwortete sie somit nur knapp und folgte ihm bis zu der langen Theke. Als wäre es etwas alltägliches, schwang sie sich auf einen der Barhocker und ließ ihre Augen über die ganzen Utensilien gleiten, die man für irgendwelche Cocktails brauchte. Sie wäre dort hoffnungslos verloren. Sie verstand überhaupt nichts davon. Langsam wurde ihr bewusst, dass sie die anscheinende Verwechslung deutlich machen sollte. “Du müsstest nicht viel machen. Wir haben einen Barkeeper für die Cocktails und noch drei Kellnerinnen. Aber an manchen Abenden sind die kleinen Arbeiten hinter der Theke einfach das, was alles aufhält und für die uns jemand fehlt. Gläser abspülen, einfache Getränke an der Theke rüber reichen und vielleicht hier und dort mal etwas zu einem Tisch bringen”, Samuel hatte sich ebenfalls auf einen der Hocker gesetzt und lehnte sich über die Theke, um nach zwei Gläsern und einer Flasche mit Cola zu greifen, deren Inhalt er in die Gläser füllte. Eines schob er zu ihr hinüber und musterte die junge Frau einen Moment, während er auf eine Reaktion von ihr wartete. “Es ist so viel los, dass drei Kellnerinnen nicht reichen?”, sie überblickte die Fläche unten noch einmal, doch dann bemerkte sie, dass Samuel in eine Ecke deutete, in der sie nun die Treppe bemerkte, die wohl noch ein weiteres Stockwerk auftat. Nun verstand sie auch, warum ‘kleine Arbeiten hinter der Theke’ störend sein konnten. “Habt ihr jeden Tag geöffnet? Wie lange müsste ich immer arbeiten?” Das war die absolut falsche Antwort. Sie hatte doch sagen wollen, dass es eine Verwechslung war und sie gar nicht als Kellnerin arbeiten wollte. Sie studierte Geschichte. Wie sollte sie denn da noch folgen, wenn sie sich in einer Bar die Nacht um die Ohren schlug? Sie riskierte gerade ihr Studium. Sie war verrückt geworden. “Wir haben sonntags und montags geschlossen. Ansonsten würde deine Schicht in der Hauptzeit liegen, so von zweiundzwanzig bis vier oder fünf Uhr morgens”, für einen Clubbesitzer waren das normale Arbeitszeiten, für Eline war das entweder Schlafenszeit oder sie lernte die halbe Nacht vor einer Klausur. Gut, vor ein Uhr ging sie eigentlich nie ins Bett, aber dann saß sie in ihrem Zimmer und arbeitete nicht - und das auch noch drei oder vier Stunden länger. Ihre Vorlesungen lagen, bis auf montags, immer auf dem späten Vormittag oder sogar erst Nachmittag. Möglich wäre es. Verrückt. “Ist alles in Ordnung? Oder kannst du es mit etwas anderem nicht vereinbaren?”, er bemerkte ihre Bedenken und ihr Zögern. Sie selbst wusste genau, was für einen Fehler sie gerade beging, doch es war wie eine rettende Flucht vor der Normalität, vor der sie sich fürchtete und die sie nicht wollte. Bevor Eline allerdings antworten konnte, trat eine junge Frau aus einer Tür hinter der Theke und blieb stehen, als sie die andere sah. “Soll sie die Neue sein?”, ihre blauen Augen musterten Eline für kurze Zeit und ihre Haltung war alles andere als offen. Sie schien vor der möglichen Kollegin nicht angetan zu sein und machte dies sehr deutlich. “Die männliche Kundschaft wird sich sicher etwas anderes gewünscht haben.” “Wenn sie nur so leichte Beute hier gewohnt sind, wahrscheinlich”, erwiderte Eline nur mit einem charmanten Lächeln und ihre Antwort kam für die andere offensichtlich sehr überraschend. Sie hingegen widmete sich ihrem Colaglas und nippte daran, während ihre Augen die Schwarzhaarige nicht aus ihrem Blick entließ. Samuel hatte sich ein Lachen verkneifen wollen, doch es misslang ihm. “Die Antwort war sehr gut. Schlagfertigkeit ist wichtig. Du darfst den Besuchern nur nicht das Gefühl geben, du willst sie beleidigen.” “Sam! Du kannst sie nicht einstellen”, die junge Frau hatte eine tolle Figur, war groß und schlank. Doch Eline störte etwas. Es war etwas, was in ihren Gesichtszügen lag, doch sie konnte es nicht definieren. “Ich finde die Kleine zauberhaft, Belle. Sei nett, fahr deine Krallen etwas ein und freu dich auf eure Zusammenarbeit”, Samuel leerte sein Glas und stellte es mit einem Grinsen ab. Eline sah zu ihm hinüber, bemerkte, in was für eine Lage sie sich gerade brachte. Belle schien hingegen darauf zu warten, dass sie Samuel absagte und somit schluckte die Dunkelhaarige ihre Worte doch hinunter und sah mit einem Lächeln zu ihrer neuen ‘Kollegin’. Sie war wirklich verrückt geworden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)