Schattenlichter von abgemeldet (Für -striped- ^^) ================================================================================ Kapitel 1: - ------------ Regungslos verharrte ich im hohen Gras und beobachtete meine Beute, die an einem Stück Fallobst knabberte. Sie ahnte nichts. Lautlos kroch ich näher. In Gedanken schmeckte ich bereits das zarte Fleisch auf meiner Zunge. Ich verlagerte mein Gewicht, um mich auf mein Essen zu stürzen, da knackte ein Zweig. Ich wirbelte herum. Meine Beute sprang erschrocken weg. Ich beachtete sie nicht. Mit den Augen versuchte ich das Unterholz zu durchdringen. Irgendwer war dort . . . Ich streckte meinen Kopf vor. Versuchte jedes Detail aufzusaugen. Etwas schien sich zwischen den Stämmen zu bewegen, ein verstohlener Tanz der Schatten. Geduckt schlich ich näher. Ich hatte vor, demjenigen, der mich um meine Beute gebracht hatte, eine Lektion zu erteilen. Ich huschte um einen Baumstamm herum und erstarrte. Das konnte nicht sein . . . Meine Gedanken rasten. Da war einer aus dem Dämmerungsclan . . . auf unserem Gebiet! Dem Aussehen nach sogar ein Krieger! Wut staute sich in mir auf. Er hatte hier nichts verloren. Der Krieger wandte mir den Rücken zu und schien auf etwas zu warten. Schnell zog ich mich zurück. Nur nicht vorsichtig genug. Ich trat auf einen dürren Ast, der unter meinem Gewicht sofort alles andere als leise zersplitterte. Der Dämmerungskrieger fuhr herum. Seine Augen glitten einen Moment lang suchend über die Baumstämme, dann erblickte er mich. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Wen haben wir da? Ein Schattenkriegerchen!“, scheinbar entzückt kam er auf mich zu. Ich war wie erstarrt und verfolgte seine Bewegungen mit geweiteten Augen. „Weißt du, dass ich genau jemanden wie dich gesucht habe?“ „Verschwinde von hier!“, erwiderte ich und hoffte, dass es drohend klang. Während sich der Dämmerungskrieger Zeit mit seiner Antwort ließ, schätzte ich, welche Chancen ich bei einem Kampf gegen ihn haben würde. Er war viel größer und muskulöser als ich . . . „Wieso sollte ich verschwinden?“, schnurrte er, immer noch näher kommend. Ich wich einen Schritt zurück. Inzwischen dachte ich längst nicht mehr an einen aussichtslosen Kampf mit ihm, sondern an meine Flucht. Ich musste die anderen meines Clans warnen . . . vielleicht standen wir kurz vor einem Angriff der Dämmerungskrieger. „Du bist auf dem Gebiet der Schattenkrieger, du hast hier nichts verloren!“, stieß ich mit zittriger Stimme hervor. Der Dämmerungskrieger lachte laut auf. Dieses laute Lachen erschreckte mich mehr als alles andere, es bedeutete, dass noch andere feindliche Krieger sich in der Nähe befanden . . . sonst würde er sich kaum so sorglos verhalten. „Weißt du, das kümmert mich nicht . . .“ Ich glaubte es ihm. Angstgeweitet blieb mein Blick in seinen eisblauen Augen haften. „Es gibt etwas, das dich jedoch kümmern sollte“, fuhr der Dämmerungskrieger fort, um abrupt zu fragen, „Weißt du wer ich bin?“ Stumm schüttelte ich den Kopf. Ehrlich gesagt, wollte ich es auch gar nicht wissen. Das einzige, das ich wollte war, weg von hier! „Dann sag ich es dir“, er trat noch einen Schritt vor, jetzt betrug der Abstand zwischen uns nicht mehr ganz einen Meter, „Ich bin Shigeru.“ Okay, jetzt war ich wirklich gelähmt. Shigeru . . . dieses eine Wort dröhnte in meinem Kopf. Ein paar Sekunden später war ich endlich soweit zu fassen, was das für mich bedeutete. Shigeru war der Sohn des Clanoberhauptes der Dämmerungskrieger und das hieß: Ich steckte nun wirklich in Schwierigkeiten. Ich war schon knapp davor, mich einfach umzudrehen und feig davonzulaufen, als Shigeru etwas sagte, dass mich davon abhielt. „Weißt du, Yamato, ich will diesen Krieg zwischen unseren Clans nicht.“ „Woher kennst du meinen Namen?“, dieser Dämmerkrieger war mir mehr als unheimlich, „Und was heißt, du willst keinen Krieg zwischen unseren Clans?“ Das erste, was man uns gelernt hatte, war: Traue nie einem Dämmerkrieger. „Genau so wie ich es sage“, Shigeru lächelte freundlich, was mich noch misstrauischer machte, „Jetzt gerade ist mein Vater mit seinen treusten Untergebenen auf den Weg zu eurem Clanoberhaupt, um ihnen unser Friedensangebot vorzulegen.“ Ungläubig klappte mein Mund ein Stück weit auf. „Das ist nicht dein ernst?“ „Doch“, sagte Shigeru bestimmt, „Ich und ein paar andere haben den Auftrag die Leute des Schattenclans ausfindig zu machen, die sich nicht im Lager aufhalten“, er machte eine kurze Pause, in der er mich erwartungsvoll ansah. Was auch immer Shigeru von mir erwartete, ich tat es nicht. Eine Spur enttäuscht, doch weiterhin so enthusiastisch wie zuvor, sagte er: „Also komm mit, Yamato, . . . du willst das Abschließen des Vertrags doch nicht verpassen?“ Stumm nickte ich. Das Ganze klang einleuchtend, doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass er sich heimlich über mich lustig machte. Weiteres störte mich das Übergehen meiner anderen Frage . . . woher wusste er wie ich hieß? Aber ich hatte keine andere Wahl, als mit ihm ins Lager zu gehen, wenn ich erfahren wollte, was wirklich los war. Friedensvertrag . . . das klang eigentlich nicht einmal so schlecht. Unsere Clans kämpften schon seit Generationen gegeneinander, wir hatten beide schon viele Verluste zu betrauern gehabt, . . . Friede wäre da gar nicht einmal so schlecht. Anfangs gingen wir nebeneinander, ständig drängte Shigeru, wir sollten uns beeilen und schlussendlich liefen wir. Schon nach wenigen Minuten erreichten wir die Lichtung auf der wir (ich meine nicht Shigeru) unser Lager errichtet hatte. Erstaunt bemerkte ich, dass Shigeru offenbar die Wahrheit gesagt hatte. Soweit ich sehen konnte waren wirklich alle anwesend. Sie scharten sich um den Rednerfelsen, auf dem zwei Gestalten, deren Silhouetten sich gegen die weiße Scheibe des Mondes abhoben, standen. Ich blickte hoch und erkannte Shizuka, die seit vier Jahren unsere unangefochtene Clanführerin war und einen mir unbekannten Krieger, bei dem es sich nur um Kaien, den Clanoberhaupt des Dämmerclans, handeln konnte. Shizuka und Kaien redeten leise miteinander, als sie Shigeru und mich erblickten, verstummten sie. Shizuka trat einen Schritt vor. Augenblicklich trat Stille ein. „Nun da wir alle hier versammelt sind“, ihr Blick blieb kurz auf mir hängen, „Kann Kaien nun endlich seine Ankündigung machen . . . soviel ich weiß, ist es etwas, auf das wir alle schon lange warten.“ „Die Dämmerungskrieger unterwerfen sich!“, rief eine Stimme aus der Menge. Begeistertes Gejohle folgte dem Ruf. Shizuka schüttelte stumm den Kopf und Kaien trat neben sie. „Angehörige des Schattenclans, hört mich an!“ Seine Stimme war nicht laut, doch konnte man sie problemlos verstehen, obwohl es eindeutig nicht mehr ganz so leise war, wie zuvor. „Ich bin gekommen, um euch einen Vertrag zu unterbreiten . . .“ Kaien wartete bis er sich der Aufmerksamkeit aller sicher sein konnte, dann fuhr er fort: „Einen Friedensvertrag.“ Einige ältere Krieger schnaubten verächtlich auf, doch das Clanoberhaupt der Dämmerungskrieger ignorierte sie. „Nie wieder soll es Krieg zwischen unseren Clans geben . . . Dem sinnlosen Morden soll ein Ende gemacht werden!“ Die meisten stimmten ihm begeistert zu. Auch ich ließ mich von ihnen anstecken. Wieso auch nicht? Kein Krieg mehr, nicht ständig Angst haben müssen, mit durchtrennter Kehle aufzuwachen, das war doch etwas. „Alle, die für Frieden zwischen unseren Clans sind gehen dort hinüber“, Kaien wies auf die rechte Seite des Lagers, „Die, die dagegen sind, auf die andere Seite.“ Ich schloss mich denen an, die dafür waren. Shigeru folgte mir (zum Glück!) nicht. Als sich alle für ihre Seite entschieden hatten, stellte ich überrascht fest, dass alle bis auf sechs ältere Krieger und Kriegerinnen, unter denen auch meine Eltern waren, für Frieden waren. Aber sie waren in der Minderheit. Überstimmt. Gespannt richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne, um zu sehen, wie es nun weiterging. „Nun da ihr euch entschieden habt, können wir die Einzelheiten des Vertrags diskutieren.“ Unwillige Stimmen wurden laut. Shizuka wandte sich an Kaien. „Welche Einzelheiten?“, fragte sie mit ihrer seidenweichen Stimme. Ein flüchtiges Lächeln, bei dem es mir kalt den Rücken runter lief, huschte über sein Gesicht: „Nun . . . Wir, der Dämmerungsclan, wir waren einstimmig für eine Zusammenlegung unserer beiden Clans.“ „Was?“, entsetzt blickte Shizuka ihn an und wich einen Schritt von ihm weg, „Niemals!“ Ich war wie vom Donner gerührt. Dieser Typ da oben, wollten unsere Clans zusammenlegen? War der noch ganz dicht?! Vermutlich würde dann sein Clan bevorzugt werden . . . Shizuka hatte völlig recht, eine Vereinigung unserer Clans . . . niemals! „Ist das dein letztes Wort?“, fragte Kaien einschmeichelnd, „Willst du den Clan der neuen Nacht im Keimen ersticken . . . willst du wirklich deine Augen vor der Zukunft verschließen?“ „Wenn die Zukunft so aussieht, ja“, erwiderte Shizuka und funkelte Kaien wütend an, „Der Schattenclan wird niemals dein Clan der neuen Nacht!“ „Schade . . . wirklich schade“, und dann tat Kaien etwas, das uns alle das Blut in den Adern gefrieren ließ. Blitzschnell stieß er vor und versetzte Shizuka einen Stoß. Sie taumelte. Haltsuchend glitten ihre Finger durch die Luft. Doch da war nichts, wo sie sich festhalten konnte. Sie fiel. Ein Aufschrei ging durch die Reihen der Versammelten. Viele wollten zu Shizuka vorstürzen, doch auf einmal waren überall Dämmerungskrieger, die sie zurückdrängten. Die Krieger des Dämmerungsclans bildeten einen Kreis um Shizuka und dem Redefelsen. Mir gelang es einen kurzen Blick auf Shizuka zu werfen. Leblos lag sie auf dem Boden. Sie konnte doch nicht tot sein! Vor Entsetzten gelähmt bemerkte ich erst, durch wütende Aufschreie anderer, dass wir von Dämmerungskriegern umzingelt waren. Vermutlich waren sie schon die ganze Zeit dagewesen, dachte ich bitter und ein säuerlicher Geschmack machte sich auf meiner Zunge breit, als mir Shigeru einfiel. Klar, dass er die gesucht hatte, die nicht im Lager waren . . . sonst entkamen sie ja und . . . „Angehörige des Schattenclans!“, rief in diesem Moment Kaien. Wutgeheul erhob sich. Zahllose Krieger hätten sich auf ihn gestürzt, wenn da nicht die Schattenkrieger gewesen wären. „Wer von euch, will das Schicksal Shizukas teilen? Wer von euch stellt sich gegen den Clan der neuen Nacht?“ Totenstille. Die Botschaft in diesen Worten war klar und deutlich: Stellst du dich gegen uns, so bist du tot. Jeder warf seinem Nachbarn einen fragenden Blick zu. Sollte man sich gegen die Übermacht der Schattenkrieger stellen oder sollte man sich unterwerfen? „Ich“, sagte plötzlich eine feste Stimme. Ich erschrak, als ich die Stimme erkannte. Es war die meines Vaters. „Ich auch.“ „Und ich.“ Erklangen vier weitere Stimmen, die der Krieger und Kriegerinnen, die zuvor schon gegen den Friedensvertrag gewesen waren. Jetzt wartete ich darauf, dass sich meine Mutter ihnen auch anschloss, aber sie tat es nicht. Überrascht blickte ich hinüber. Mein Vater stand hoch aufgerichtet dort, neben ihn Akihikio, der aufgrund einer Verletzung humpelte, Yosuke, Toki und Kouji. Nur meine Mutter fehlte. Besorgt blickte ich um mich. Wo war sie? „Sonst niemand?“, Kaiens Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte hoch und erkannte, dass Shigeru neben seinem Vater stand. Hasserfüllt starrte ich ihn an. Er erwiderte meinen Blick gelassen. Schnell richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Kaien, der immer noch auf eine Antwort wartete. Doch alle schwiegen. „Ich denke, das ist auch eine Antwort“, sagte er schließlich und wie es mir vorkam, ziemlich zufrieden. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Nun denn . . .“ „Yamato“, wisperte eine Stimme in mein Ohr. „Mutter“, hauchte ich erleichtert. „Hör mit gut zu . . . wir werden sie kurz aufhalten können . . . du musst fliehen.“ „Ich kann euch doch nicht alleine las- . . .“ „Flieh“, befahl meine Mutter, „Willst du, dass wir umsonst sterben?“ „ . . . Dämmerungskrieger, ihr wisst, was ihr zu tun habt!“ Mehrere Dämmerungskrieger lösten sich aus dem Kreis der anderen und näherten sich den fünf Kämpfern, die Verteidigungshaltung annahmen. Wie gebannt starrte ich zu dem beginnenden Kampf. Ein kräftig aussehender Krieger stürzte sich auf meinen Vater. „Geh“, wisperte meine Mutter ein letztes Mal in mein Ohr. Nur mit Mühe gelang es mir, mich von dem Kampf loszureißen. Geduckt schlich ich nach hinten. Hoffentlich sah mich keiner! Ich huschte vorbei an Bekannten, Freunden mir ziemlich sicher seiend, dass ich sie nie wieder sehen würde. Schließlich war ich ganz hinten. Gegenüber von mir standen zwei äußerst grimmig dreinsehende Dämmerungskrieger. Was sollte ich jetzt tun? Sie hatten mich noch nicht bemerkt. Ihre Aufmerksamkeit galt einzig und allein den Kämpfenden. Ein schrilles, schmerzerfülltes Jaulen ließ mich zusammenzucken. Krampfhaft versuchte ich nicht zurückzublicken. Plötzlich schob sich jemand an mir vorbei. Meine Mutter! „He, ihr da . . .“, sie blieb zwei Metern vor den Dämmerungskriegern stehen, die jetzt ihre Blicke von dem Kampf losrissen. „Verschwinde“, knurrte der eine, „Sonst . . .“, er bleckte seine Zähne, sodass wir einen guten Blick auf seine dreckigen Reißzähne bekamen. „Kämpfst du immer mit Mundgeruch?“, stichelte meine Mutter, „Ich glaube, du tust es.“ „Werd lieber nicht zu frech“, warnte der andere. „Was . . . kämpfst du dann auch mit Mundgeruch?“, spöttelte sie. Jetzt waren beide kurz davor sich auf sie zu stürzen. „Ich weiß, Mundgeruch ist so eine tolle Waffe, die ist gegen Karies völlig . . .“ Plötzlich spürte ich eine Berührung an meiner Seite. Ich wandte den Kopf. Ich weiß nicht, wen ich erwartet hatte, aber ganz sicher nicht sie. „Yuna“, hauchte ich völlig verdattert und vergaß einen Moment lang, dass meine Mutter gerade dabei war, sich einen Kampf mit zwei Dämmerungskriegern zu liefern, den sie nur verlieren konnte. „Wer denn sonst?“, selbst in dieser Situation kam ihr überhebliches Wesen zum Vorschein, „Ich glaub, wir sollten jetzt gehen . . . deine Mutter ist nicht stark genug und . . .“ „Schon gut, ich hab verstanden“, schnauzte ich zurück, und blickte rechtzeitig wieder nach vorne um zu sehen, wie einer der Dämmerungskrieger meiner Mutter eine klaffende Wunde bei der Schulter zufügte. Ich huschte los, einen Bogen um die Kämpfenden schlagend. Erstaunlicherweise schienen sie wirklich so begeistert davon vom Sich-Stücke-aus-dem-Fleisch-Reißen, dass sie uns keinerlei Aufmerksamkeit schenkten. Nur meine Mutter bemerkte uns und zwinkerte mir kurz zu, bevor sie ihre Fangzähne in einem der Dämmerungskrieger versenkte. Wir verließen unbemerkt die Lichtung und tauchten in die tröstliche Schwärze des Waldes ein. Fort. Fort für immer. Du hast sie sterben lassen . . . Du warst zu feig etwas dagegen zu unternehmen . . . Nur wegen dir leben sie jetzt nicht mehr . . . Diese Sätze wiederholten sich immer wieder in meinem Kopf, während ich starr vor mich hinstarrte und den Regentropfen zusah, die nur wenige Zentimeter vor mir den Erdboden in einen Sumpf verwandelten. Mich konnten die Tränen des Himmels nicht treffen, da ich im Eingang der Höhle, in der wie Schutz gesucht hatten, hockte. Aber das war auch gar nicht nötig. Ich weinte meine eigenen Tränen, die den Boden salzten. „Wie lange willst du noch untätig rumsitzen?“, rief Yuna von weiterhinten. Sie hatte sich ganz im Gegensatz zu mir, tief in den sicheren Schatten der Höhle zurückgezogen. Ich zögerte mit der Antwort, die unweigerlich war. Wir beide wollten Rache . . . Rache für das, was uns die Dämmerungskrieger angetan hatten . . . was sie aus unserem Clan gemacht hatten. Ich spürte den lodernden Zorn der in mir hochkochte als ich Shigeru dachte. Er . . . er sollte am meisten dafür büßen . . . Er und kein anderer! Denn er war derjenige gewesen, der mich in die Falle gelockt hatte, in die ich ihm so breitwillig gefolgt war. „Yamato?“ Ich konnte hören, wie Yuna auf mich zukam und irgendwo rechts hinter mir stehen blieb. „Ich habe dich etwas gefragt!“ Innerlich seufzend drehte ich mich um. Mein Blick begegnete ihren, der mir wie der Zwilling von meinem erschien – jedoch ungezügelter, wilder und gnadenloser. „Wollten wir nicht den Tag abwarten und erst in der Nacht schauen, wie die Dinge stehen?“ „Ach, komm! Hast du etwa Angst? Schreckt dich das bisschen Helle und diese paar Tropfen ab?!“, zischte sie mich an. „Nein, nur . . .“, doch ließ Yuna mich nicht ausreden. „Willst du nicht wissen, was aus deinen Eltern geworden ist? Sind sie dir denn egal . . . Machst du dir denn kein bisschen Sorgen um sie?!“ „Sei still!“, fauchte ich sie wütend an. Wie konnte sie es wagen?! Mich derart zu bleidigen . . . Doch Yuna ging noch weiter. „Wahrscheinlich bist du auch noch froh darüber“, fuhr sie unbeeindruckt fort, „Schließlich kontrollieren sie dich jetzt nicht mehr jeden Augenblick . . . Muss doch ein tolles Gefü - . . .“ Jetzt reichte es mir endgültig. Ich stürzte mich auf sie. Unter der Wucht des Aufpralls stürzten wir beide zu Boden, wo wir miteinanderringend umher rollten. „Sie . . . sind . . . dir egal!“, stieß Yuna keuchend mit zusammengebissenen Zähnen hervor. „Sind sie nicht!“ Ich versetzte ihr einen harten Stoß, der sie von mir wegschleuderte und erbarmungslos gegen die kalte Felswand der Höhle prallen ließ. Als sie regungslos am Boden liegen ließ, erstarrte ich. Hatte ich sie etwa ernsthaft verletzt oder gar umgebracht? Besorgt stürzte ich auf sie zu und beugte mich über sie. Doch noch bevor ich meine Hand nach ihr ausstrecken konnte, erwachte Yuna aus ihrer Erstarrung. Ihr Kopf zuckte blitzschnell vor. Ihre nadelspitzen Zähne bohrten sich in meinen Fuß. Vor Schmerz jaulte ich auf und stolperte rückwärts. Yuna vergrub ihre Zähne noch tiefer in meinem Fuß. Verzweifelt bemühte ich mich, sie abzuschütteln, doch aus unerklärlichen Gründen schien sie gerade einen Heißhunger auf Yamato-Fuß-Roastbeef bekommen zu haben. Lecker. „Kannst du nicht leise sein?“, fuhr ich Yuna an, die dem Begriff leise gerade eine andere Bedeutung begab. „Wenn du schneller bist!“, erwiderte sie patzig. Genervt verdrehte ich meine Augen. Diese nette Diskussion führten wir schon seit etwa einer halben Stunde, in der wir das Wort mucksmäuschenstill auf elefantenleise abgeändert hatten und damit durch den Wald schlichen. Wenigstens hatte bei unserer kleinen Auseinandersetzung zuvor niemand gewonnen, weswegen wir im schwachen Licht der schwindenden Sonne aufgebrochen waren. Leider war es ihr nach dem Regen nicht gelungen, die Sümpfe zu trocknen, weswegen wir von einer liebreizenden Schlammschicht bedeckt waren. Ich schätzte, dass wir noch einmal eine halbe Stunde oder auch länger brauchten, um unser ehemaliges Clanlager zu erreichen. Ich wusste nicht, wie es Yuna erging. Aber mir graute ganz schön davor, das Lager zu betreten. Möglicherweise die Leichen meiner Eltern zu finden . . . Also hoffte ich insgeheim, dass uns irgendetwas dazwischen kommen würde. Irgendetwas . . . egal was! Das war doch nicht zu viel verlangt . . . das konnten doch die Sternengötter, die sich bisher glänzend aus der Sache rausgehalten hatten, erfüllen! Jedoch schienen die Götter wie immer mit etwas Anspruchsloserem als uns beschäftigt zu sein. Vielleicht entwarfen sie ja neue Wolkenformen, ein Hobby bei dem sie ihre Kreativität freien Raum lassen konnten . . . „Warte, ich hab etwas gehört!“ Ich verharrte regungslos und versuchte mich auf den Laut zu konzentrieren, den ich natürlich nicht gehört hatte. „Was? Wo?“, Yuna blieb götterseidank stehen und blickte sich nervös um. „Dort“, hauchte ich und deutete kurzentschlossen nach links. „Ich . . . ich glaub, dort ist wirklich wer“, wisperte Yuna angespannt. Was?! Dort war wirklich jemand? So ganz glauben konnte ich es nicht. Sie tat es offenbar, denn geduckt huschte sie los. „Yuna?!“ Alles andere als begeistert folgte ich ihr. Bei einem regennassen, kräuterumwucherten Baumstamm holte ich sie endlich ein. Zuerst begriff ich nicht, wieso sie stehen geblieben war, doch dann bemerkte ich ihn auch. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Meine Kehle fühlte sich mit einem Mal wie zugeschnürt an. Das konnte und durfte nicht wahr sein! Ich warf einen trotzigen Blick hinauf zu den Sternengöttern. Anklagend schrie ich ihnen lautlos lauthals entgegen: Wieso? Wieso ausgerechnet er?! Zwanzig Meter von uns entfernt stand Shigeru. Er schien in ein angeregtes Gespräch mit einer langbeinigen Schönheit vertieft. Yuna warf mir einen stummen Blick zu. Was machen wir jetzt? Ich deutete zurück. Keine Ahnung, was fragst du mich, du bist doch die, die alles so gut weiß. Ach, ich dachte, du wärst hier der Schlaumeier. Ich sandte ein kurzes Gebet zu meinen geliebten Sterngöttern hoch: Bitte helft mir! Dann beendete ich unsere kleine Blick-Gestenunterhaltung mit einem letzten Blick und einem Kopfdeuten. Verschwinden wir von hier, sollte er bedeuten. Ich würde ihnen viel lieber den Kopf abreißen, erwiderte Yuna. Sie konnte es einfach nicht lassen, immer musste sie das letzte Wort behalten. Auf Zehenspitzen schlichen wir zurück. Hoffentlich bemerkte uns Shigeru nicht. Hoffentlich bemerkte . . . Die ganze Situation erinnerte mich unangenehm an mein erstes Treffen mit Shigeru. Damals schien er mich gesehen, oder sonst irgendwie gespürt zu haben . . . kurz und bündig; er hatte gewusst, dass ich hier war. Was wenn er es jetzt wieder wusste? Gut, das letzte Mal war ich auch auf einen trockenen Ast getreten und . . . Auf alle Fälle war er damals . . . gestern . . . nicht sonderlich überrascht gewesen mich zu treffen, also hatte er es gewusst und . . . Kracks. Ich erstarrte. Mein Blut schien auf einmal zehnmal so langsam wie sonst durch meinen Körper gepumpt zu werden. Ganz langsam drehte ich den Kopf und blickte vorwurfsvoll zu Yuna, die betreten auf pulverisierten Ast am Boden starrte. „Sei still, ich hab etwas gehört!“, Shigerus Begleitung neigte lauschend den Kopf und trat einen Schritt von ihm weg. Mein schockierter Blick blieb in Yunas entsetztem hängen. „Du bist dir sicher, dass du etwas gehört hast?“ „Ja, hundertprozentig . . . da war so ein Geräusch . . .“, langsam näherte sie sich zu unserem Versteck. Ich drückte mich flacher auf den Boden. Neben mir tat Yuna dasselbe. Der würzige, intensive Duft der Waldkräuter brannte bei jedem Atemzug in meiner Kehle. Hoffentlich überlagerte er unseren Geruch. „Ach, komm, da ist nichts!“, hörte ich Shigeru genervt sagen, „Airi, komm!“ „Lass mich wenigstens noch dort hinten schauen“, erwiderte Airi. Ich konnte sie zwar im Moment nicht sehen, aber ich war mir fast sicher, dass sie auf unser Versteck deutete. „Wer sollte das überhaupt sein? Ein Kaninchen?“ Shigerus ungeduldige Stimme klang als ob er sich entfernen würde. Mach weiter so, dachte ich stumm, geh, verschwinde von hier! „Ich gehe jetzt jedenfalls. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich will rechtzeitig zur Versammlung kommen und falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, ist die in unserem Clanlager, das ein bisschen weiter weg ist!“ „Hätte ja sein können, dass es ein Schattenkrieger ist“, erwiderte Airi patzig, doch registrierte ich erleichtert, dass sie auf Shigeru zu hören schien und verschwand. „Das war knapp“, japste Yuna als sie sicher sein konnte, dass die beiden weg waren. „Wem sagst du das“, knurrte ich und dachte an den kleinen Zweig. Sie überging meinen beschuldigenden Tonfall und fuhr mit schwer zu begreifender Begeisterung in ihrer Stimme fort: „Hast du gehört, sie haben eine Versammlung in ihrem Lager . . .“ „Ich bin nicht taub.“ Nein, ehrlich nicht. „Ach komm, Yamato, das heißt unser Lager ist verlassen. Du weißt doch, was das bedeutet!“ Es ist ja nicht so, dass ich nicht darauf gekommen wäre. Echt nicht. Doch schluckte ich meinen Groll hinunter und sagte stattdessen: „Was machen wir dann noch hier?“ Je näher wir dem Lager kamen, desto langsamer wurden wir. Als wir nur noch wenige Meter vom Lagereingang entfernt sein konnten, standen wir fast still. Die hohen schlanken Fichten streckten sich wie die Arme Ertrinkender nach oben. Hoffend auf Rettung, die sie nie mehr bekommen würde. Nebel hing zwischen ihnen und verdeckte die Sicht. Irgendwo schrie ein Käuzchen. Ein zweites antwortete. Dann herrschte wieder Stille. Stille, die von bedrohlichem Geflüster erfüllt zu sein schien. Meine Nackenhaare sträubten sich. Yuna trat näher an mich heran. Vor uns lag die Lichtung. Wir tauschten einen kurzen angsterfüllten Blick, dann atmete ich tief durch und trat aus dem Wald. Yuna folgte mir und blieb dicht hinter mir, als ich weiter ging. Mit schreckgeweiteten Augen nahm ich all die Bilder auf, die auf mich zustürmten. Das zertrampelte Gras, wo gekämpft worden war. Getrocknetes Blut, das teilweise den Boden wie Schnee bedeckte. Haarbüschel mit denen der Wind spielte. Mein Blick irrte umher. Suchend. Suchte Leben und konnte es doch nirgends finden. Aber noch hatten wir nicht das gesamte Lager abgesucht. Zögernd gingen wir weiter. Nebelschwaden waberten um uns herum. Ich war ihnen gleichermaßen dankbar und verfluchte sie. Sie verhüllten die grausame Wahrheit, versteckte sie vor unseren Augen, aber waren wir doch gekommen, um sie zu erfahren . . . Plötzlich blieb ich stehen. Vor mir ragte der Rednerfelsen aus dem weißen Nebelmeer. Ich sah Shizuka wie sie mit Kaien redete. Glaubend, dass bald wirklich ein Clanfrieden existieren würde. Dann ihr Begreifen, das zu spät kam. Kaien, der sie hinabstieß. Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder, um diese schrecklichen Erinnerungen zu vertreiben, doch sie blieben. Kalt und grausam lauerten sie am Rand meines Bewusstseins und warteten darauf, dass ich ihnen wieder verfiel. „Yamato“, sagte auf einmal Yuna hinter mir. Ihre Stimme klang belegt. Ich begann etwas Schlimmes zu ahnen. „Da ist etwas, dass du sehen musst.“ Widerstrebend folgte ich ihr, als sie mich vom Rednerfelsen wegführte. Aber wir mussten nicht weit gehen. Überrascht bemerkte ich, dass Yuna mich zu den Wohnhöhlen geführt hatte. Die schwarzen Löcher der Eingänge schienen mich anklagend anzustarren. Sie waren wie die gierigen Augen von Ungeheuern, die auf ihre Beute lauerten. „Und jetzt?“, fragte ich, als Yuna stehen blieb und nicht mehr weiter ging. Ein immer stärker werdendes Gefühl bemächtigte sich meiner. Es sagte, dass es falsch war, hier zu sein und ich glaubte ihm. „Dort hinein“, Yuna nickte zu einer der schwarzen Öffnungen hin. Unwillig setzte ich mich in Bewegung. Am Eingang blieb ich noch einmal stehen, als ich bemerkte, dass Yuna mir nicht mehr folgte. „Kommst du nicht mit?“ Sie schüttelte stumm den Kopf und blickte mich an. Das, was ich in ihren Augen sah, erschreckte mich zutiefst. Es war eine namenlose Angst, die mich frösteln ließ. Eine Angst, die ich noch nie bei jemandem gesehen hatte und ich hoffte, dass ich sie nie wieder sehen würde. Hastig riss ich mich von ihrem Blick los und betrat die Höhle. Die Kälte traf mich mit voller Wucht. Normalerweise war es kühl in den Höhlen, aber heute erschien es mir, als ob sie von einer abweisenden Kälte erfüllt seien. Zögernd ging ich weiter. Meine Schritte hallten unangenehm laut auf dem harten Untergrund wieder. Suchend blickte ich mich um, auf der Suche nach dem, was Yuna so erschreckt hatte. Mit meinen Augen durchdrang ich die Dunkelheit, doch entdeckte ich nichts. Hatte sie gelogen? War hier nichts? Ich klammerte mich an diese Hoffnung, die so absurd war. Denn die Angst, die ich in ihren Augen gesehen hatte, konnte man nicht vormachen. Langsam ging ich tiefer in die Höhle hinein. Zuerst war es nur eine Ahnung, die zu Gewissheit wurde, als ich es roch. Blut. Die ganze Höhle war erfüllt vom süßlichen, vertrauten Geruch des Bluts. Blut, das nicht von einer Beute herrührte. Ich schauderte. Jetzt wollte ich nichts sehnlicher, als nach draußen an die frische Luft, doch meine Beine gehorchten mir nicht mehr. Unaufhaltsam trugen sie mich weiter. Bis sie abrupt stoppten und ich die Gestalten sah. Sie lagen auf dem Boden, wild durcheinander, teilweise übereinandergestapelt. Ich spürte den kalten Angstschweiß, der meinen Rücken hinunter rann. Ich musste es tun . . . Ich konnte nicht anders . . . Ich musste es wissen . . . Meine Augen begannen zu brennen, als ich daran dachte, wie sie früher ausgesehen hatte. Lebensfroh und wagemutig waren sie beide gewesen . . . so glücklich und stolz, als sie mich zum ersten Mal mit auf die Jagd genommen hatte . . . Ich schniefte leise. Das war jetzt alles vorbei. Gehörte einer Vergangenheit an, die nie mehr wirklich werden konnte. „Lebt wohl“, flüsterte ich mit kratziger Stimme und musste mich zwingen, ihre Körper nicht anzusehen. Ich wollte sie jetzt nicht mehr sehen. Ich wollte sie so in Erinnerung behalten, wie sie gewesen waren, als sie noch gelebt hatten. Als ich fortfuhr sprach ich nicht nur zu meinen Eltern, sondern auch zu Shizuka, die vermutlich auch unter den Toten weilte, wie so viele meines Clans und allen anderen Angehörigen des Schattenclans, die jetzt in einem neuen Clan als Abschaum leben mussten: „Ich werde euch rächen, das schwöre ich euch!“ „Ich auch“, sagte Yuna, die unbemerkt die Höhle betreten hatte. Gierig sog ich die frische Luft ein und atmete die abgestandene, blutdurchtränkte der Höhle aus. „Hast du gesehen, was sie mit ihnen gemacht haben!“, ich schrie Yuna fast an. Sie wich einen Schritt vor mir zurück und nickte unglücklich. „Ich hab es gesehen.“ „Wie kann man so etwas nur tun?!“, schrie ich auf die verlassene Lichtung hinaus. Der Nebel schien unter meinen Worten zusammenzuzucken und wenn er es nicht tat, dann tat es wenigstens Yuna, die immer noch mit schreckgeweiteten Augen neben mir stand. „Wer kann so etwas tun?“ „Ich“, sagte eine kalte Stimme, bei der sich mein Magen umdrehte. Suchend drehte ich mich im Kreis. Wo steckte dieser . . . dieser . . . Es gab einfach kein Wort mehr für ihn. Yuna entdeckte ihn als erstes. Sie stieß ein ersticktes Keuchen aus. Ich wirbelte herum. Da kam er. Der Nebel schien sich vor ihm zu teilen und hinter ihm wieder zu schließen. Er blieb wenige Meter vor uns stehen. Ein eisiger Schauer rann meinen Rücken hinunter. Gleichzeitig loderte alles verzehrende Wut in mir auf. Wut, die ich dieses Mal nicht mehr zurückhalten würde. Ich konnte es nicht einmal. „Shigeru“, stieß ich hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. Er lächelte, wobei er mir seine scharfen Reißzähne, die ich ihm zu gerne alle miteinander ausgerissen hätte, zeigte. „Wenn das nicht unser feiger Yamato ist.“ Ich ignorierte seine Worte. „Du bist ein Mörder“, sagte ich und versuchte so viel Kälte und Abscheu wie möglich in meiner Stimme mitzuschwingen lassen. „Ich weiß“, wieder lächelte er. Klar, dass es dazu beitrug, mich noch wütender zu machen. Vermutlich war sein Lächeln auch dazu gedacht, mich zu provozieren. Ich spannte meine Muskeln an und überlegte wie viel Schwung ich brauchte. Yuna schien zu ahnen, was ich vorhatte. Leise wisperte sie in mein Ohr: „Bitte lass uns abhauen. Tu es nicht. Du bist der einzige, der mir geblieben ist.“ Ihre Augen suchten flehend meine. „Ah, ist das etwa deine kleine Freundin?“, spottete Shigeru, „Sie ist wirklich etwas klein geraten.“ Yuna warf ihm einen vernichtenden Blick zu, der sogar für einen kurzen Augenblick die Angst ganz aus ihren Augen vertrieb. Doch das hielt nicht lange an. „Shigeru“, sagte ich mit klarer Stimme, die ich versuchte, möglichst zitterfrei hinzubekommen. „Diese Sache . . .“ Mit dem Kopf nickte ich zu der Höhle hin. „ . . . geht nur uns zwei was an. Lass Yuna gehen.“ An Yuna gewandt fuhr ich fort: „Bitte geh . . . bring dich in Sicherheit.“ Sie sah mich nicht gerade überzeugt an. „Wieso bin nicht ich auf den Gedanken gekommen?“, Shigeru schüttelte den Kopf über seine augenscheinliche Dummheit, dann hob er wieder den Kopf und blickte mich an. „Von mir aus, du kannst gehen! Yamato hat recht, das geht nur uns zwei was an.“ Irgendetwas an seinem Blick gefiel mir ganz und gar nicht . . . Doch darum musste ich mich später kümmern, jetzt galt es etwas Wichtigeres zu erledigen. Ich drehte mich wieder zu Yuna um, die immer noch wie festgefroren dastand. „Geh jetzt endlich, hau ab!“ „Ich . . . ich will hier bleiben!“, trotzig hob sie ihr Kinn. „Nein . . .“, dann fuhr ich mit einem bedrohlichen Unterton fort, „Muss ich dir erst etwas antun, damit du endlich verschwindest?“ Verschreckt sah sie mich an. Offenbar musste ich eine ziemlich abschreckende Wirkung auf sie haben, denn sie starrte mich noch eine geschlagene Sekunde lang an, dann wirbelte sie herum und rannte weg. Ich wartete noch bis ihre Schritte verklungen waren, bis ich sicher sein konnte, dass sie nicht doch irgendwo hinterm Nebel versteckt zusah. „Was ist, Yamato, bringen wir es hinter uns?“ „Darauf kannst du Gift nehmen, Shigeru.“ Ich betonte seinen Namen, als ob es irgendeine ansteckende Krankheit wäre, straffte meine Schultern und machte mich auf den Angriff bereit. Shigeru blickte mich an. Seine kalten Augen ruhten auf mir. Ich erwiderte seinen Blick eisig. Vor meinem Inneren Auge sah ich meine Eltern, all die anderen Toten. Dann stürzte ich ohne Vorwarnung auf ihn zu. Okay, vermutlich war es nicht ganz ohne Vorwarnung . . . Denn Shigeru wich mir spielerisch anmutend aus und versetzte mir einen Hieb, der mich zu Boden schleuderte. Dort schlitterte ich noch gut zwei Meter weiter, ehe es mir gelang, meinen Schwung abzubremsen. Ich blieb noch einen Moment lang regungslos liegen, um festzustellen, dass ich bis auf ein paar oberflächliche Schürfwunden unverletzt war. Dann sprang ich mit einem Satz in die Höhe und wirbelte zu Shigeru herum. Dieser stand immer noch auf derselben Stelle wie zuvor und betrachtete mich abschätzend. „Leben tust du noch“, stellte er schließlich fest. „Ich glaub schon, dass man das seh- . . .“ Weiter kam ich nicht, denn jetzt stürzte sich Shigeru ohne Vorwarnung auf mich. Und ich meine, wirklich ohne jegliche Vorwarnung. Die Wucht des Aufpralls riss uns beiden den Boden unter den Füßen weg. Ich landete hart mit dem Rücken auf der harten, von vielen Füßen festgestampften Erde. Shigeru auf mir. Unfähig etwas mich zu wehren, starrte ich zu ihm hinauf. Er holte zu dem alles vernichtenden Schlag aus. Ein letztes Mal blickte er bedauernd auf mich herab – Ade schöne Welt –, dann schlug er zu. Ich weiß nicht, ob ich es schade finden soll oder nicht, aber in jenem Augenblick schlug Shigeru nicht mich sondern die Erde, neben meinem Kopf. Fassungslos starrte ich ihn an. Wieso hatte er mich nicht umgebracht? Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich schon den Richtigen geschlagen! „Nein, das kann ich nicht“, sagte in diesem Moment Shigeru, „Ich bin kein Mörder.“ „Das sagt der, der meine Eltern und so viele Freunde von mir auf dem Gewissen hat?!“, ich starrte ihn entsetzt an. Langsam bekam ich es wieder mit der Angst zu tun. Er hatte mich zwar noch nicht ermordet, aber ich ahnte, dass das nur mehr eine Frage der Zeit war. „Genau genommen, hab ich sie nicht alle ermordet, sondern es waren auch Leute des Clans der neuen Nacht“, stellte Shigeru richtig. „Ach, und das ändert leicht, dass du sie kaltblütig niedergemetzelt hast und ihre Leichen in der Höhle zur Schau stellst?!“ Eigentlich sollte ich ja meinen Kopf aus der Schlinge ziehen, aber so wie die Dinge gerade standen. Niemals! „Also bist du dagegen.“ Täuschte ich mich, oder klang seine Stimme resigniert? „Gegen wen?“, wiederholte ich spöttisch, „Gegen dich? Das solltest du schon ein bisschen länger wissen.“ „Nein, du verstehst nicht“, er schüttelte den Kopf. „Was versteh ich nicht?“, trotzig blickte ich ihn an. Hoffentlich brachte er es bald hinter sich. Ich hatte keine Lust noch länger auf dem harten kalten Boden zu liegen, darauf wartend, umgebracht zu werden. Das war mir nämlich echt zu blöd. Doch Shigeru blieb, wo er war. „Du stellst dich gegen den Clan der neuen Nacht“, sagte er bedauernd, „So wie all jene, die dort in den Höhlen liegen“, er nickte zu besagtem Ort, „Da du dich auch gegen uns stellst, bleibt mir keine andere Wahl. Ich muss dich auch . . .“ Shigeru brach ab und tat etwas womit ich nicht gerechnet hätte. Er stand auf und trat zur Seite. Mehr beiläufig registrierte ich, dass er zu lauschen schien. Mein Hauptaugenmerk war nämlich darauf gerichtet, mich möglichst lautlos aufzurappeln und mich auf einen Angriff vorzubereiten. Ich straffte meinen Körper und verlagerte mein Gewicht nach hinten, um mich im nächsten Moment nach vorne zu katapultieren. Als ich mitten im Flug war, drehte sich Shigeru plötzlich um. Mein Blick begegnete seinem, es war so, als ob die Zeit eingefroren wäre. Mitten in der Luft schien ich stillzustehen, während sich unsere Blicke verhakten. Shigerus wirkte nicht überrascht, er schien mit meinem Angriff gerechnet zu haben. Doch da war auch noch etwas anderes in seinen Augen. Etwas, das ich von ihm nie erwartet hätte und das mir hauptsächlich von jemand anderem vertraut war. Es war . . . Jäh schmolz das Eis, das die Zeit angehalten hatte und ich prallte gegen Shigeru. Der Schwung meines Sprungs warf uns beide um. Mit meinem Gewicht nagelte ich den Dämmerungskrieger auf dem Boden fest. Ein triumphierender Schrei stieg meine Kehle empor, während ich nach vorne stieß, um den Mörder meiner Eltern die Kehle durchzubeißen. „Wunderst du dich denn gar nicht, dass ich nicht versuche, mich zu wehren?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)