Kalendermenschen von abgemeldet (Der Jahreskalender 2011) ================================================================================ Kapitel 5: Begegnung im Tal --------------------------- Mai war übel. Sehr übel. Nicht nur, dass ihre Werkzeuge nicht mehr funktionierten und ein absolut Durchgeknallter ihr einen Drohbrief geschrieben hatte, nein, noch dazu hatte das viel zu wechselhafte und unkontrollierbare Wetter ihre heiß geliebten Erdbeeren faul werden lassen. Müde, frustriert und mit verrenktem Magen schob sie sich eine weitere Frucht in den Mund. Dass das momentan absolut kontraproduktiv war, war ihr egal. Nur so konnte sie halbwegs vernünftig denken, Magenkrämpfe hin oder her. Was sollte sie nur tun? Sie war gerade damit beschäftigt, genug Tränenflüssigkeit für ihren nächsten Weinkrampf zu sammeln, als Januar hereingerannt kam. "Mai!", rief er, und riss die Tür fast mit ein, obwohl sie eigentlich schon offen stand. "Mai", wiederholte er und rüttelte das Häufchen Elend vor ihm, bis es ihn ansah. "Du musst uns helfen!", erklärte er in unverminderter Lautstärke. "Irgend jemand hat Mist gebaut und hat alle Wettermaschinen kaputtgemacht – und nun dürfen wir das alles ausbaden! Und wenn wir nicht schneller am verabredeten Zeitpunkt sind als Juni braucht, um seine Arbeit aufzunehmen, haben wir ein ernsthaftes Problem!" "Nun mal langsam", schniefte Mai und wischte sich das Gesicht mit einem kühlen Lappen ab. "Welcher Zeitpunkt, oder wahrscheinlich wohl eher Ort, ist denn gemeint? Wer ist wir? Und warum kommst du ausgerechnet hier her und schreist mich an? Du und deine Schreierei, ihr wart schon immer ein Traumpaar... Hast du ein Taschentuch?" Januar grummelte, zog eine Packung aus seiner Hosentasche und warf sie Mai zu. "Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um vor sich hin zu heulen wie ein kleines Kind", brummte er sie nicht unfreundlich an. Wir – das heißt, Februar, ich, März und April und du jetzt auch – haben keine andere Wahl, als uns zusammenzuraufen und uns zum Kupferfelsen und dann von da aus ins Kesselsirrental zu bewegen. Und du hast doch immer so gute Ideen", versuchte er ihr unbeholfen zu schmeicheln, "da dachte ich, ich frage dich einfach mal. Mai überlegte kurz. Januar hatte nicht unrecht. Sie hatte tatsächlich immer recht gute Ideen – spektakuläre Gewitter, Erdbeeren, lauter solche angenehmen Nebensächlichkeiten – und der richtige Zeitpunkt zum Weinen war es eigentlich auch nicht, daran ließ sich nicht rütteln. "Wir ... wir könnten meinen Teppich nehmen", schlug sie zögerlich vor. "Na, dann tun wir das doch einfach!", jubilierte Januar, und wollte nach draußen springen. "Nicht so hastig!", dämpfte Mai seine gute Laune und hielt ihn fest. "Wir haben da ein kleines Problem – es nennt sich 'Mottennest' und befindet sich leider genau in dem Schrank, in dem ich kluger Weise den Teppich untergebracht habe. Die Frage ist jetzt: Kannst du immernoch den Trick mit dem so leichten Eis, dass man damit Löcher stopfen kann?" Januar sah sie zweifelnd an. "Glaubst du allen Ernstes, das funktioniert?" "Es ist einen Versuch wert, oder?" Sie zuckte mit den Schultern. "Oder willst du durch die Löcher pusten, bis wir nicht mehr an Höhe verlieren?" "HÖHER! TIEFER! LINKS! Äh... RECHTS meinte ich... REEEECHTS!" Sie kamen voran. Nicht gut, aber sie kamen voran. Mai hatte schon so gut wie mit ihrem Leben abgeschlossen, aber noch lebten sie. Und das sollte auch möglichst lange noch so bleiben, wenn es nach ihr ging. Januar hatte die Aufgabe übernommen, am Bug des riesigen Teppichs zu stehen und zu steuern, während Mai immer wieder die Eisflicken auf ihre Standhaftigkeit überprüfte. Ein ungemein undankbarer Job, wie sie fand. "Sind wir bald da?", fragte sie bange. Ihre Übelkeit war in der Zwischenzeit nicht sonderlich besser geworden, und es bestand auch wenig Hoffnung, dass sich das bei Januars Fahrstil bald ändern würde. "Ja, ich sehe sie schon! Da vorne sind sie!" Na endlich, stöhnte sie innerlich. Schlimmer als bis jetzt konnte es kaum mehr werden. Jedenfalls hatte sie das gedacht, bevor sie die anderen Monate eingesackt hatten. April war nur am Herumalbern, Februar war nur am Meckern, März taute ständig die Eisflicken auf ohne es zu merken und Januar ließ sich seinen Spaß, am Steuer zu sitzen, um keinen Preis der Welt nehmen. So war Mai mehr als nur froh, als sie endlich im Tal angekommen waren. Doch dort erwartete sie eine herbe Enttäuschung. "Niemand hier", lachte April fröhlich. "Da scheint sich ein kleiner Schelm einen Scherz erlaubt zu haben!" "Ich finde das gar nicht lustig", knurrte Februar. "Was soll das Ganze?" Sie sahen sich um. Weit und breit kein Zeichen von dem, der die Briefe geschrieben hatte. Nichts außer Felsen, Staum und einem kleinen glitzernden Punkt in der Ferne. "Ist das Wasser?", fragte März leise. "Was glaubst du denn?", dröhnte eine ihnen unbekannte Stimme hinter ihnen und die Monate drehten sich erschrocken nahezu synchron um. Beim Anblick desjenigen, der hinter ihnen stand, furchte Mai wütend die Brauen. "DU steckst also dahinter!", rief sie. "Das hätte ich mir ja denken können!" "Warte...", murmelte Januar. "Aber... wenn ER das war...?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)