Unsterblich von Flordelis (My Immortal ~ Eternal Chronicles) ================================================================================ Prolog: Wenn Zauber fehlschlagen -------------------------------- Bläulich schimmernde Funken stoben in die Luft und verweilten dort als wäre die Schwerkraft an diesem Ort nicht präsent. Von der Szenerie erstaunt, hielt die Schreinmaid inne, um alles ausgiebig zu betrachten. Im Licht der Funken konnte sie einen riesigen, mit Moos bewachsenen Baum ausmachen, dessen Wurzeln und Äste sich weit in alle Richtungen erstreckten, die sie sah. Der Himmel war vollkommen schwarz, zu finster, um wirklich als Himmel bezeichnet werden zu können. Es war als hätte jemand eine samtene Decke über einen Käfig gelegt, in dessen Inneren sie sich befand. Käfig war wohl die beste Umschreibung, die sie für diesen Ort fand. Es war eine kleine, eine winzige Welt, die sich irgendwo im Nirgendwo befand; so versteckt, dass niemand sie je finden würde, so unscheinbar, dass selbst im unwahrscheinlichen Fall des Findens niemand Interesse daran fassen würde. Dass sie hier war, verdankte diese Welt auch nur dem einzigen Einwohner, der sie bewohnte. Sie brauchte seine Hilfe und sie hoffte, dass er zustimmen würde. Zwar glaubte sie nicht, dass er ablehnen würde, sobald er erfuhr, um wen es ging, doch es bestand die Gefahr, dass er nicht zu Hause wäre. Man hatte ihr gesagt, dass er nur sehr wenig Zeit an diesem Ort verbrachte, er reiste viel herum, da er es liebte, vor Publikum zu stehen und dieses mit seinen Auftritten zu erfreuen. Aber ihr war keine Zeit geblieben, ihn woanders zu suchen – und eine Vision hatte ihr gesagt, dass sie ihn antreffen würde. Blieb nur noch zu hoffen, dass es keine bloße Möglichkeit, sondern die endgültige Zukunft gewesen war. Die einsetzenden Klänge einer Zither fegten ihre Zweifel hinfort, aber ihre Erleichterung hielt sich dennoch in Grenzen. Die gespielte Melodie klang zwar nicht grauenvoll falsch, aber man merkte deutlich die unsichere Hand, die das Instrument führte und nach der falschen Saite griff. Sie setzte ihren Weg fort. Am Fuß des Baumstamms stand eine kleine Hütte, die einem kaum auffiel, wenn man sich nur auf den Baum konzentrierte. Im Vergleich zu diesem war sie wirklich geradezu lächerlich. Doch sie kümmerte sich nicht weiter darum, als sie endlich angekommen war. Gerade als sie die Hand hob, um anzuklopfen, wurde sie von jenseits der Tür aufgefordert, einzutreten. Sie hob ehrlich erstaunt eine Augenbraue, ehe sie eintrat. Im Inneren wurde sie von einer angenehmen Atmosphäre empfangen, für die nicht zuletzt der blaue Teppich und Vorhänge in derselben Farbe verantwortlich waren. Das im Kamin lodernde Feuer verbreitete nicht nur Wärme, sondern auch einen angenehmen Geruch, der ihr nicht im Mindesten bekannt vorkam, ungeachtet aller Welten, in denen sie bislang gewesen war. Die Melodie der Zither verstummte, dafür erklang die sanfte Stimme eines Mannes, die sich einem wie Balsam auf die Seele legte: „Ich bin erfreut über deinen Besuch. Womit habe ich diesen verdient, Tokimi Kurahashi? Oder soll ich dich... Orakel der Zeit nennen?“ Sie lächelte leicht. „Tokimi-san reicht vollkommen aus, Fuu-sama.“ Ihr Blick fiel auf den Magier, den wohl selten jemand so leger gesehen hatte, wie sie im Moment. Normalerweise trug er stets einen verzierten Zylinder auf dem Kopf, doch dieser lag nun auf einem kleinen Tisch, so dass man sein blondes Haar betrachten konnte. Der wuchtige Mantel, den er für seine Auftritte trug, hing an einem Haken und erlaubte damit einen freien Blick auf seinen schmächtigen Oberkörper. In seinen Armen ruhte eine Zither, die er mit seinen schlanken Fingern immer wieder zum Erklingen brachte. Probehalber zupfte er an einer weiteren Saite, das Lächeln auf seinem Gesicht ließ darauf schließen, dass er den Klang genoss. „Also, was kann ich für dich tun, Tokimi-san?“ Er betonte den Suffix derart, dass leicht zu erraten war, dass er einen solchen sonst nie benutzte und nur für sie eine Ausnahme machte. Die Handbewegung, die seine Worte begleitete, lud sie ein, sich auf den Sessel ihm gegenüber zu setzen, was sie auch sofort tat. „Seit wann spielst du Zither?“, fragte sie, ohne seine Frage zu beantworten. „Oh, noch nicht so lange. Eigentlich probiere ich gerade verschiedene Instrumente aus – jeder braucht immerhin sein Hobby.“ Sie hielt sich die Hand vor den Mund, als sie leise kicherte. „Vielleicht solltest du es eher mit einer Geige versuchen.“ „Ich werde mir diesen Vorschlag zu Herzen nehmen. Darf ich dir einen Tee anbieten, Tokimi-san?“, fragte er freundlich. Sie lehnte das Angebot ab, auch wenn es ihr schwerfiel, dieser Stimme zu widerstehen. Sie konnte verstehen, warum er derart beliebt bei Frauen war – und teilweise auch bei Männern. „Eigentlich wollte ich dich um einen Gefallen bitten.“ „Worum könnte es sich dabei handeln?“ Die Frage war so gedankenverloren gestellt, dass sie offensichtlich zu einem Selbstgespräch gehörte. „Vor kurzem verstarb ein Eternal, dessen Shinken ich gern beeinflussen würde, noch bevor er wiedergeboren wird..“ Das sanfte Lächeln schwand nicht einmal von seinem Gesicht, als er eine Augenbraue hob. „Und was soll ich für dich tun?“ „Es gibt einen Zauber, der das Shinken eines Eternal teilt, ohne dass er davon etwas weiß. Du kennst ja den Effekt, den ein geteiltes Shinken hat, oder?“ „Natürlich“, erwiderte Fuu, während er wieder an seiner Zither zupfte. „Es kann einen Eternal geradezu unsterblich machen. Ich kenne den entsprechenden Zauber, aber er ist sehr kompliziert. Warum gehst du nicht einfach zu dem Eternal und erklärst ihm, wie das Prozedere funktioniert, damit er das selbst durchführt?“ Der Einwand war berechtigt und er kam erwartet, so dass Tokimi direkt darauf antwortete: „Er wird sich wohl kaum an unsere einzige Begegnung erinnern und mir daher mit Misstrauen begegnen. Ich glaube nicht, dass er mir vertrauen und das tun würde, was ich ihm sage.“ Vor allem, wenn sie daran dachte, dass sie ihn damit nur ausnutzen würde. Immerhin plante sie, das Original an einem Ort unterzubringen, wo selbst sie sich nicht ohne Weiteres aufhalten könnte. Aber davon sagte sie Fuu nichts und überraschenderweise fragte er auch nicht weiter. „Mhm, als Eternal tut man wohl gut daran, misstrauisch zu sein. Aber dennoch... der Zauber ist komplex und es kann leicht zu Fehlern kommen. Sag mir, warum ich riskieren sollte, einen Fleck auf meiner makellosen Bilanz erscheinen zu lassen.“ Tokimi unterdrückte ein spöttisches Lachen. Offenbar galt seine Bilanz erst seit er erwachsen war, immerhin hatte sie gehört, dass seine Tricks als Kind oft fehlgeschlagen waren. „Wenn ich dir den Namen des Eternal verrate, wirst du bestimmt um einiges kooperativer.“ Erwartungsvoll ließ er wieder einige Töne der Zither erklingen. „Gyouten no Zetsu.“ Ein scharfer Misston erklang, als die Saite plötzlich riss. Tokimis Blick wanderte von der Zither wieder zu Fuus Gesicht. Erstaunt stellte sie fest, dass sein Lächeln erloschen war. „Hast du davon noch nichts mitbekommen?“ „Nun, ich muss zugeben, dass ich schon eine Weile nichts mehr mit ihnen zu tun hatte. Ich dachte, sie bräuchten meine Hilfe erst einmal nicht mehr. Ich habe mich wohl geirrt.“ „Du hättest ihm ohnehin nicht helfen können.“ Fragend sah er sie an, worauf sie sich zu einer Erklärung berufen fühlte: „Zetsu wurde an einem Ort angegriffen, an dem Mana neutralisiert wird, so dass sein Shinken nicht funktionieren konnte. Auch du hättest nichts unternehmen können.“ Er seufzte leise. „Was ist mit Leana?“ Tokimi neigte den Kopf. „Sie ist am Boden zerstört, aber ich werde sie zu ihm leiten, sobald das hier getan ist. Also?“ Mit einem erneuten Seufzen legte er die Zither beiseite. „Gut, ich werde dir helfen. Es geht wohl nicht anders.“ Er winkte sie mit sich in einen weiteren Raum, der Tokimi bislang nicht aufgefallen war. Womöglich war er gerade erst durch Magie erschienen. Aber darum kümmerte sie sich nun nicht weiter. Stattdessen beobachtete sie konzentriert, wie Fuu ein Fläschchen aus einem Regal zog, mit einem Blick auf das Etikett noch einmal sicherstellte, dass es wirklich das richtige war und dann den Korken entfernte. Er gab die grün leuchtende Flüssigkeit in einen Kessel, der auf einer kleinen Flamme stand. Bei den anderen Zutaten war er wesentlich unaufmerksamer, aber Tokimi dachte sich nichts dabei. Möglicherweise führte er einen derartigen Zauber öfter durch und das, was sie wollte, unterschied sich nur durch diese eine Zutat am Anfang – und an der Formel, die er vor sich hermurmelte. Ehrfurchtsvoll betrachtete Tokimi ihn dabei. Sie war selbst in der Lage, außergewöhnliche Dinge zu tun, doch da sie das seit über tausend Jahren tat, war es für sie schon vollkommen normal. Selbst als es am Ende einen lauten Knall gab und Fuu erschrocken zurückwich, wich Tokimis Ehrfurcht nicht. Erst als sie seine vor Sorge gerunzelte Stirn bemerkte, fiel ihr auf, dass etwas nicht stimmen konnte. „Was ist passiert?“ „Der Zauber ist fehlgeschlagen“, antwortete er. „Ich weiß nicht, warum, ich habe doch alles richtig gemacht...“ Kaum hatte er das ausgesprochen, fiel ihr auch auf, dass sich etwas verändert hatte. Eine kurze Vision zeigte ihr, wie sie an der Seite von Leana gegen drei Schwertkämpfer antrat – vor diesem Zauber war diese Vision nicht existent gewesen, eigentlich wäre sie der Eternal nie begegnet. Noch einmal nahm Fuu das erste Fläschchen in die Hand und sah auf das Etikett. Aber es war Tokimi, der etwas daran auffiel: „He, unter dem Etikett scheint noch eines zu sein.“ Vorsichtig zog er das Papier ab und betrachtete die richtige Beschriftung, ehe er leise seufzte. „Das darf nicht wahr sein.“ „Was ist los?“ „Jemand war hier und hat meine Utensilien manipuliert. Wenngleich ich ratlos bin, wie jemand hier hereingekommen sein soll.“ Da der letzte Satz nur gemurmelt worden war, beschloss Tokimi, ihn zu ignorieren. Außerdem ärgerte sie sich im Moment mehr darüber, dass sie nicht hatte vorhersehen können, dass es schiefgehen würde. In ihren Visionen war nur zu sehen gewesen, dass Fuu zustimmen würde, den Zauber durchzuführen. Wie hatte es also so schiefgehen können? Wer hatte die Zukunft derart beeinflusst? „Hast du nicht vorhergesehen, dass das geschehen würde?“ Tokimi zuckte zusammen und blickte ihn an. „In die Zukunft sehen zu können, ist keine exakte Wissenschaft; man kann nur Möglichkeiten vorhersehen und diese dann beeinflussen.“ Er gab sich mit dieser Erklärung sofort zufrieden, musste dafür aber eine Gegenfrage von Tokimi über sich ergehen lassen: „Wie hast du dabei versagen können?“ „Es ist ein sehr komplizierter Zauber...“, antwortete er ein wenig angegriffen, „da kann schon mal etwas schiefgehen. Aber ich werde es wieder richten, versprochen.“ Tokimi legte lächelnd die Hände vor ihrer Brust zusammen. „Dann werden wir jetzt wohl eine Weile zusammenarbeiten.“ Diese Tatsache freute sie über alle Maße. Normalerweise arbeitete sie stets allein, da war Teamwork zur Abwechslung mal unterhaltsam – besonders wenn es mit Fuu war. Einige der anderen Eternal würden sie mit Sicherheit darum beneiden. „Normalerweise bin ich ja ein Solo-Künstler... aber da es mein Zauber war, der schiefging, werde ich eine Ausnahme machen, Tokimi-san.“ Die Schreinmaid lachte vergnügt. „Gut, dann werden wir erst einmal herausfinden, was genau sich nun verändert hat und dann überlegen wir, was wir tun können.“ Fuu nickte zustimmend. Hätte er in diesem Moment gewusst, was seine Zusammenarbeit mit Tokimi für ihn bedeutete, hätte er mit Sicherheit nicht wieder sanft zu lächeln begonnen. So aber kehrte er arglos mit Tokimi wieder in sein Wohnzimmer zurück, wo sie beide herausfinden wollten, welche Folgen der Fehlschlag hatte und wie sie diese wieder bereinigen könnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)