Zwischenwelten von Arle ================================================================================ Kapitel 3: Ewigkeit ------------------- Beginn: 26.08.2009 Ende: 30.08.2009 Kapitel 3: Ewigkeit Die Ewigkeit, dachte Luca während er unverwandt die Decke anstarrte, als gäbe es dort etwas Besonderes zu sehen. Was selbstverständlich nicht der Fall war, es sei denn man fand weiße Raufasertapete aufregend. Shuka war schon vor einer guten Viertelstunde gegangen, vor Glück den Tränen nahe und unendlich dankbar. Die Ewigkeit – an dieser Stelle hatte er wirklich übertrieben. Niemand zweifelte daran, dass die beiden ein wunderschönes Paar sein und über viele Jahrzehnte hinweg in Liebe miteinander verbunden sein würden. Niemand, der sie sah, hätte auch nur eine Sekunde daran gezweifelt. Er selbst war immer auf der Suche nach einem solchen Partner gewesen und mittlerweile zu der deprimierenden Erkenntnis gelangt, dass es ihn nicht gab. So etwas wie Ewigkeit existierte nicht und ganz sicher nicht im Hinblick auf Gefühle. Denn es war gerade ihre Flüchtigkeit, die sie so besonders, so faszinierend machte. Und nur deshalb besaßen sie eine solche Macht. Die Menschen konnten sich dieser Illusion hingeben. Ihre Lebenszeit war, gemessen an der seinen, so kurz, dass sie ohne große Schwierigkeit daran glauben konnten. Doch ihre Ewigkeit war für ihn kaum mehr als ein Augenblick. Gefühle waren nicht von solcher Langlebigkeit. Die Vampire wussten es, ebenso wie die Götter und die Dämonen. Selbstverständlich konnte er seine Beziehungen nicht zum Maß aller Dinge erklären, aber er hatte – was Beständigkeit anging – seine Erfahrungen gemacht. Und manchmal wünschte er sich, dass er wenigstens jenen Moment hätte erleben dürfen, in denen sie von leidenschaftlicher Liebe in eine Art liebevoller Kameradschaft, sogar Routine übergingen. Vielleicht hätte er einfach darauf warten sollen, in dem sicheren Wissen, dass er nicht daran zugrunde gehen, nicht sterben würde, ganz gleich wie traurig und schmerzhaft es auch immer sein mochte. Tatsächlich schien er jedoch Oberflächlichkeit magisch anzuziehen und so waren seine bisherigen Beziehungen eher von animalischer Lust als von liebevoller Zärtlichkeit geprägt gewesen. Nicht alle, weiß Gott nicht alle, aber wahrscheinlich hatte sein letzter Partner einfach einen zu tiefen Eindruck hinterlassen. Vielleicht fiel es ihm deshalb schwer, die anderen angemessen zu beurteilen. Geliebt hatte er sie, auf die eine oder andere Art und Weise, alle. Aber Vampire waren nicht einfach, Luca war nicht einfach und das kollidierte nicht selten mit den Interessen seiner Gefährten. Obwohl er zu seiner Verteidigung durchaus gerechtfertigterweise hätte anbringen können, dass es wohl nicht besonders viele Wesen gab, die von sich behaupten konnten einfach zu sein. Vor langer Zeit hatte er einmal jemanden geliebt, so sehr, dass dieses Gefühl sein ganzes Wesen ergriffen und vollkommen durcheinander gewirbelt hatte. Aurelio war viel älter gewesen als er, aber das spielte in einer Welt wie der ihren keine Rolle. Sie hatten viele Jahrzehnte miteinander verbracht und je länger sie zusammenlebten, umso deutlicher trat der Unterschied in ihrer Art zu lieben zu Tage. Es gab dieses Gefühl zwischen ihnen, daran hegte er bis heute nicht den geringsten Zweifel. Aber Aurelio war so viel erfahrener gewesen, hatte so unendlich viel Wissen besessen, dass Luca sich ihm immerzu unterlegen gefühlt hatte. Ganz gleich was er für ihn empfand, wie wichtig der Ältere für ihn auch war, er konnte dieses Gefühl einfach nicht ablegen. Das war es, das ihre Beziehung langsam und schleichend vergiftet hatte. Und er konnte es nicht ändern. Selbst dann nicht, als er spürte wie es begann ihn wütend zu machen und die Bande zwischen ihnen ganz allmählich aufzulösen. Sie hatten Zärtlichkeiten ausgetauscht, waren aber nie bis zum Äußersten gegangen. Damals hatte Luca geglaubt, in Aurelios Verhalten eine Art von Liebe zu erkennen, die sich von derjenigen unterschied die er selbst für ihn empfand. Und das war ihm schier unerträglich. Er wollte Aurelio als seinen Liebsten. Er wollte derjenige sein, der immer bei ihm war – der Partner für die Ewigkeit. Wie töricht, wie menschlich und naiv er damals gewesen war. Aurelio dagegen hatte in Luca stets das Kind gesehen, das er nun einmal war und ihn geliebt wie ein Vater. Ein Vater, der gelegentlich dem Drängen eines störrischen Kindes nachgab und ihm ein wenig Zärtlichkeit schenkte. Sie waren keine Menschen und sie waren nicht verwandt. Die Liebe zu Knaben war zu dieser Zeit nichts ungewöhnliches und niemand hätte sich daran gestört. Gedankenverloren lächelte Luca in die Leere des Raumes hinein. Niemand hätte sich daran gestört. Das hatte er damals wirklich geglaubt. Und das obwohl der Rangunterschied so offensichtlich war. Nie hätte er auch nur den Blick zu einem Mann wie ihm heben dürfen. Aber davon hatte er damals noch nichts gewusst – oder nichts wissen wollen. Heute, einige Jahrhunderte später, sah Luca die Dinge mit anderen Augen. Obwohl er außer den verbliebenen Erinnerungen keinerlei Beweis dafür hatte, glaubte er, dass Aurelio ihn wirklich geliebt hatte. Und das alles andere als leidenschaftslos. Aber er war klug genug gewesen ihn nicht zu fesseln, ihn nicht an sich zu binden in dem Wissen, dass ein so junger Vampir wie er den Stimmen ihrer Welt nicht gewachsen war. Wahrscheinlich war er es bis heute nicht, aber er verstand es jetzt besser. Ein sanfter, liebevoller Beschützer – das war es, was Aurelio gewesen war. Ein mitfühlender, zärtlicher Mann. Ein rücksichtsvolles, liebendes Monster. Seine Art zu töten hatte wenig von der Zurückhaltung ahnen lassen, die er sonst zu zeigen pflegte. Er hatte es nie vergessen. Dass auch er ein Jäger war und eine sehr grausame Seite besaß, die er so gut wie niemandem zeigte. Luca hatte sie gesehen und er erinnerte sich an den Ausdruck in Aurelios Augen, als dieser begriff, dass er es wusste. Diese unendliche Traurigkeit und tiefe Resignation. Als ob er sich einem Schicksal ergebe, das er so lange abgelehnt, gegen das er sich so verzweifelt gewehrt hatte. Es hatte ihn verändert. Es hatte sie beide verändert, doch er war damals zu sehr mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt gewesen, als dass er die Aurelios ernsthaft hätte begreifen können. Er glaubte nur es zu tun, ohne zu verstehen wie schmerzhaft diese Oberflächlichkeit für den anderen sein musste. Luca hatte nicht sehen können, nicht sehen wollen was so offensichtlich war. Während er eigensinnig auf seinen Gefühlen beharrte und sich darüber beklagte nicht genug geliebt zu werden, musste Aurelio alles allein tragen. Verantwortung, Angst, Zorn, Missbilligung, Verachtung. Luca war zu jung und zu unaufmerksam gewesen um zu erkennen, dass die schweigsame Zurückgezogenheit dieses Mannes, das sanfte Lächeln hinter dem sich so vieles verbarg, seinem Schutz diente. Zu jung um zu verstehen, dass Aurelio in jenen Tagen seine Hilfe gebraucht hätte. Ein wenig Trost, ein paar sanfte, liebevolle Worte. Stattdessen hatte er nur Vorwürfe zu hören, nur Wut zu spüren bekommen. Und Aurelio hatte ihm stumm verziehen. Jedes einzelne Wort. Schon damals. Nie hätte er ihm irgendeine Schuld an den Ereignissen gegeben. Vielleicht weil er sie – ohne die Gabe der Hellsicht oder des Gedankenlesens zu besitzen – immer schon vorhersah. Seufzend schloss Luca die Augen und als er sie wieder öffnete war er zurück in der Gegenwart. Es war lange her. Welche Wunden auch immer ihre Trennung hinterlassen hatte, sie waren verheilt. Manchmal schmerzten die alten Narben, doch es war ein wohltuender Schmerz, der ihn an die gemeinsame Zeit erinnerte. Eine schöne Zeit, trotz allem. Luca warf einen Blick auf die Wanduhr, deren Geschmacklosigkeit ihn stets aufs Neue in Erstaunen versetzte. Auf dem zifferlosen Ziffernblatt hatte man einen Friedhof abgedruckt, die Spitzen wie auch die Enden der Zeiger waren mit Totenköpfen versehen. Zu jeder vollen Stunde gab sie ein anderes Lachen von sich, das nach Einschätzung der Menschen wahrscheinlich furchteinflößend und gruselig sein sollte. Er persönlich fand es eher albern. Davon abgesehen gelang es diesem vermaledeiten Ding tatsächlich immer wieder ihn zu erschrecken. Empfindliche Ohren waren eben auch nicht immer von Vorteil. Er hätte doch für die rosafarbene Uhr mit Herzchen stimmen sollen. Dann hätte man wenigstens einen offensichtlichen und nachvollziehbaren Grund sich zu schämen. Es war vier Uhr morgens. Die Sprechstunde ging in diesem Moment zu Ende und er war dankbar dafür. Offenbar hatte man nicht vor, ihn mit weiteren unangemeldeten oder ungebetenen Besuchern zu strafen. Er schob die Arbeiten zur Seite und wühlte in seinen Unterlagen. Schließlich fand er, was er suchte, und drapierte es exakt in der Mitte seines Schreibtischs. Ein Briefumschlag, altes Papier, edel, sündhaft teuer und ein Siegel, wie es nur der höchste Adel sein Eigen nannte. Früher, als diese Farbe noch etwas besonderes war, war es purpur gewesen. Jetzt war es blutrot. Luca achtete nicht auf den Namen des Absenders, er wusste von wem der Brief stammte. Jedes Jahr erreichten ihn etwa vier davon und keinen von ihnen hatte er je geöffnet. Lange starrte er auf das Siegel, dann nahm er den Brief vom Tisch und trat an einen der zahlreichen Kerzenständer heran. Lange starrte er unbeweglich in die Flammen. „Verzeih mir“, flüsterte er leise und für einen langen Moment berührten seine Lippen das feste Papier. Dann übergab er den Brief dem Feuer. Einzig ein wenig Asche und ein paar rote Tropfen Siegelwachs blieben am Boden zurück. Möge Gott verhindern, dass wir uns jemals wiedersehen, flüsterte er in Gedanken und starrte in die Flammen. Sollte ich mich jemals wieder so verlieben, dann werde ich sterben. Kapitel 3 - ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)