Lost Emotion von Losy ================================================================================ Kapitel 1: ~ ------------ ‚Menschen können sich verändern‘ Genau so wird es immer wieder gesagt. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich mich nicht verändert habe. In diesem Moment damals, als ich realisierte, dass du fort warst, starb etwas in mir. Ich habe es gespürt und es tat wahnsinnig weh. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, frage ich mich, ob dieser Schmerz jemals aufgehört hat. Wahrscheinlich habe ich mich im Laufe der Jahre einfach nur daran gewöhnt. Es war normal für mich, dieses bestimmte Gefühl in mir zu tragen. Ein Druck aus Sehnsucht, Hoffnung und Angst. Angst, dich nie wieder sehen zu können. Seit du verschwunden warst, konnte ich nicht mehr so weiter leben, wie gehabt. Mit deiner Abwesenheit wurde irgendwie alles so nichtig, so unwichtig und demnach ertragbar. Es interessierte mich einfach nicht mehr, was die anderen Kinder anstellten. Ich hasste sie. Aber auf eine andere Art und Weise. Ihnen verging der Spaß daran, als sie merkten, dass ich nicht mehr auf ihre Demütigungen reagierte. Verständlich. So sind Kinder nun mal. Im Laufe der Jahre ließen sie mich in Ruhe, wurden selbst reifer und akzeptierten einfach, dass ich anders war, als sie. Doch irgendwann wendete sich das Blatt. ‚Anders‘ zu sein wurde cool. Es war erstrebenswert. Und plötzlich scharte sich ein Haufen blutleckender Schüler um mich herum. Wie Kakerlaken bündelten sie sich und versuchten meine Aufmerksamkeit zu erlangen, meine Gunst. Verübelst du mir, dass ich es damals genoss? Ich weiß nicht, wie genau es passierte, doch ich fand Freunde. Gute Freunde, die ihr Leben für mich riskieren würden, da war ich mir sicher. Doch noch immer fühlte ich mich so tot innerlich. Es verging kaum ein Tag, an dem ich nicht an dich denken musste. Schlimmer noch, mit jedem weiteren Tag, mit jedem weiteren Monat, jedem Jahr, stieg das Verlangen dich wieder zu sehen. Ich wurde reifer. Ich entdeckte meine Sexualität. Mir wurde klar, dass ich dich liebe. Doch wie sollte ich dich jemals wieder finden? Meine Geschichte scheint ziemlich filmreif. Ich habe die Schule damals nicht beendet, weißt du? Anfang der Highschool bin ich gegangen. Zusammen mit zwei von meinen Freunden. Wir hatten Größeres vor. Ich weiß nicht, wie ich in diese Szene reingeraten bin, ich weiß es wirklich nicht mehr. Doch zu dieser Zeit war die Straße mein Leben. Wir waren eine eingeschweißte Gruppe, die sich einen Namen machte. Wir wurden bekannt unter all den Kleinkriminellen, die durch die Tokyoter Unterwelt geisterten. Und wie sollte es auch anders kommen? Zwangsläufig trafen wir auf die Yakuza. Ich hatte wirklich einen heiden Respekt vor diesen Kerlen. Anfangs. Heute ist das anders. Heute gehöre ich zu ihnen. Sie sind wie Kakerlaken… Ich habe nie recht verstanden, warum mir die Leute so hinterherliefen. Eigentlich wollte ich nur meine Ruhe haben, einzig und allein meinen Freunden gegenüber, konnte ich gesellig sein. Relativ zumindest. Meine Art hat mir einen hohen Rang eingebracht, musst du wissen. Ich habe keinerlei Skrupel eine dieser dreckigen Maden umzulegen, die unsere Straßen verschmutzen. Sie haben es nicht anders verdient. Ich bin einer genauen Gegend zugeteilt. Meine Untergebenen sind ungefähr zwanzig Mann. Ich weiß es nicht mal genau. Dafür sind sie mir zu egal, schlimmer noch, teilweise ekeln sie mich an. Wie sie um jeden Preis versuchen, mich zu beeindrucken. Meine Gunst zu erlangen und in der Hierarchie aufzusteigen. Wie kann man so etwas nur anstreben? Niederträchtiges Gesindel… Das einzige was ich anstrebe ist die Kälte aus meinem Inneren zu vertreiben. Anfangs dachte ich, mir würde schon irgendjemand über den Weg laufen, der mich vergessen lassen würde. Vergessen, wie gut sich deine Nähe angefühlt hat. Doch passiert war das nie. Nenn mich Pessimist, doch ich war irgendwann an einem Punkt angelangt, an dem ich mir sicher war, dass ich bis an mein Lebensende auf diese Weise weiterleben würde. Wie groß war schon die Chance, dich wieder zu sehen? Mein Name war nirgends registriert, ich war abgetaucht und in einer Szene untergekommen, in die du dich niemals verirren würdest. Das hoffte ich zumindest. Es war Winter. Zwar fiel kein Schnee, doch es war so kalt, dass ich sehen konnte, wie sich mein Atem in die kalte Luft schlug. Die Menschen um mich herum waren hektisch. Natürlich. Ich lebte inmitten von Tokyo. Hektik war hier ein ständiger Begleiter. Ich stand an einer Ampel, sie war rot und ich wartete eigentlich nur darauf, dass sie umspringen und mich näher Richtung meiner Wohnung bringen würde. Die Straße war nicht sonderlich voll, ungeduldige Passanten neben mir wären am liebsten einfach bei Rot los gelaufen. Doch das wäre nicht anständig. Wen das interessiert? Mich jedenfalls nicht. Ich lief los, betrat als erster die Straße und merkte, wie vielerlei Augenpaare auf mir lasteten. Doch es kümmerte mich nicht. Wenige Sekunden später sprang die Ampel auf Grün und auch die restliche Masse setzte sich in Bewegung. Wie die Kakerlaken… Ich weiß nicht, was mich dazu veranlasst hatte, nach vorn zu schauen. Direkt in die Menschenmasse zu blicken, die förmlich auf mich zu geschwommen kam. Doch ich bin froh, dass ich es getan habe. Etwas Weißes zog mein Augenmerk auf sich. Es kam immer näher, langsam, doch konnte ich sofort das weiße, flauschige Fell des Mantels erkennen, der den schlanken Körper vor der Kälte schützen sollte. Diesen Moment, in dem ich dich erkannte, kann ich nicht in Worte fassen. Es ging zu schnell und gleichzeitig zu langsam, als dass ich wirklich hätte realisieren können. Ich weiß nur, dass meine Schritte langsamer wurden, dass ich dich anstarrte als seist du eine Erscheinung. Und das warst du auch… In diesem Moment waren all die nervigen Umgebungslaute verstummt. Das einzige was ich hörte, war mein eigener Herzschlag, der immer schneller und heftiger gegen meinen Brustkorb schlug. Da standest du. Du. Du. Du. Da warst… Du. Ich sah wie deine Lippen meinen Namen formten, wie sich deine Schritte beschleunigten und du deine Hand nach mir ausstrecktest. Du wirktest verzweifelt, sehnsüchtig und ich sah, wie Tränen über deine Wangen rannen. „Tooru“, drang deine sanfte, zerbrechliche Stimme in mein Gehör und in diesem Moment wurde es mir schlagartig bewusst. Das warst du. Endlich… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)