25 Perlentaucher Weihnachtsmärchen Reloaded / A New Year - A New Session von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Advent, Advent ... ----------------------------- Ein neues Jahr geht wieder zuende und Perlentaucher hat es sich nicht nehmen lassen, auch in diesem Jahr das Fest mit ein paar weihnachtlichen OneShot zu feiern. Eine Reihe von Autoren hat sich die Zeit genommen, sich den etwas anderen Themen anzunehmen, die wir ihnen vorgegeben haben, und daraus wunderbare Geschichten gezaubert. --------------------------------------------------------------------------------- Advent, Advent, ein Lichtlein brennt ... by Lyrah Advent, Advent, ein Licht entbrennt, Die Feder kratzt auf Pergament. Des Schreibers Kunst wird nun entfacht Wie eine Flamme in der Nacht, Und bringt das Licht, den hellen Schein Durch Tinte in die Welt hinein. Einfallsreichtum, kühner Mut, Sie sind des Winters wahre Glut. Mehr als die Kohlen im Kamin Solln Worte in der Seele glühn. Erwecken eine Melodie Der Freude und der Fantasie, Die treueste Begleiterin Für süße Stunden reich an Sinn. Und wenn die Augen fallen zu, Dann lösch das Licht, dann geh zur Ruh. Gehüllt in warme Dunkelheit Vergeht die Angst, der Schmerz, das Leid. Im tiefen Schlummer wartet nur Der schönen Worte zarte Spur, Die lockend führt durch Zeit und Raum, Durch Alt und Neu, durch deinen Traum. Und dort beginnt nun ungefähr Die Perlentaucher Weihnachtsmär. --------------------------------------------------------------------------------- Perlentaucher wünscht allen, groß und klein, jung und alt, Schreibern und Lesern, einen fröhlichen 1. Advent! Kapitel 2: A Christmas Carol - Part I ------------------------------------- Oh dear, the First of December is near. Und pünktlich zum Weihnachtsmonat liegt auch noch überall dicker Schnee. Der eine mag's, der andere nicht. Auf jeden Fall bringt es uns besser in Stimmung, jeder Weihnachtsschreck freut sich bestimmt über die großen Flocken :') Aber weil das immer noch nicht genug für uns ist, geht's hier rechtzeitig mit der passenden Geschichte weiter. Let's go! ************************************************************************************ A/N des Autors: Habt bitte Erbarmen mit der Länge dieser Geschichte :‘D Da eine so relativ plotdichte Story schlicht und einfach zu lang für ein Fensterchen in diesem Kalender ist, wird diese Geschichte zu zwei Teilen gepostet. Der nächste Part folgt am 5.12. (Dazu lieber Dank an Lebkuchenherz!) Größter Dank geht an dubdug, die sich hier durchquälen durfte und der tollste Motivationspusher ist. Thanks so much my dear ♥ Versteht dies als eine kleine Hommage und einen Wink an Mr. Dickens, dessen Geschichte wohl jedermann bekannt ist. (An dieser Stelle will ich auch nochmal Bill Murray danken. :D) _________________________________________________________________________________ A Christmas Carol – Eine Weihnachtsgeschichte by papillon00 „Die Wege der Menschen deuten ein bestimmtes Ende voraus, auf das sie hinführen, wenn man auf ihnen beharrt. Aber wenn man von den Wegen abweicht, ändert sich auch das Ende“ Charles Dickens * Es mochte vielen Menschen bekannt sein, dass Weihnachten im üblichen Sinne das Fest der Liebe sei. Das Fest der Vergebung. Das der Christen. Es sei das Fest von Jesus Christus. Es geht um Pfefferkuchen, heiße Schokolade, Zuckerstangen, Bäume, Eierlikör und Geschenke. Jeder Menge Geschenke. Wenn man sich aber eher auf die allseits verbreitete Grußkartenmentalität mit den kitschigen, zuckergussartigen Sprüchen und Bildchen voll mit verkleideten Tannen oder Lebkuchenherzen verstand, dann glaubte man an Liebe. Edward Cullen war keiner dieser Menschen. Edward Cullen war ein Macher, ein Genie. Geschäftstüchtig, Profitabel denkend, Gewinnmaximal handelnd. Er war ein Mensch, der keinen Wert auf Riten oder Traditionen legte; Feste waren ihm zuwider und Liebduseleien jeglicher Art ließen ihn in regelmäßigen Abständen brechen. Tatsächlich war er kein Mann großer Worte. Nun ja, vielleicht doch großer Worte, wenn auch nicht unbedingt angenehmen. „Verfickte Scheiße, Jessica“, brüllte er in sein Handy, „komm mir nicht mit diesem Weihnachtsschwachsinn. Es ist mir scheißegal, dass deine Familie am Flughafen sitzt, es ist mir auch scheißegal, ob deine Nichte Asthma hat oder dein Bruder gerade aus Afghanistan zurückgekehrt ist. Du hast andere Prioritäten, so lange du für mich arbeitest!“ Der Mann im streng geschnittenen Anzug eilte im Laufschritt durch die mit Menschen gefüllte City, nahm an Ellenbogen der Passanten mit, was er nur konnte und grub sich mit seinen eigenen einen Weg durch die mit Weihnachtspanik beladene Menge. Ein Blick auf seine Uhr ließ ihn, wenn es denn noch möglich war, noch gehetzter gehen und haufenweise stille Flüche denken. Sehen Sie, Edward Cullen war normalerweise kein Mann, der sich zu derartigen Gegebenheiten herablassen musste. Dafür hatte ein so wichtiger Mann wie er einen Fahrer. Unglücklicherweise verstarb Andrew an jenem Morgen, weshalb der Mann dieser Geschichte – „…gezwungenen war, mir mit zwei fetten Dickärschen ein beschissenes Taxi teilen zu müssen! Hast du eine Vorstellung davon, wie furchtbar das ist? Nein, hast du nicht. Und was soll das heißen, du hast Urlaub? Ich habe es mir anders überlegt, ich brauche dich doch. Siehst du das nicht, Mädchen?“ Mister Cullen warf einen schnellen Blick nach links und nach rechts während er vor der Kreuzung stand, auf deren Straßen sich ein wahrscheinlich noch viel aufreibenderes Szenario zuspielte, als auf den Wegen vor den großen Einkaufshäusern und Boutiquen. Das wilde Hupkonzert im Dialog mit „Arschloch, Verpiss dich“ überhörte er geflissentlich. So cool überquerte er dann die Kreuzung, dass ein Jedermann der diese dreiste Tat beobachten konnte, für einen Moment lang den Gang, die Souveränität, die darin lag und den steinharten Gesichtsausdruck im Kopf festzuhalten versuchte, um es dann später zu Hause vor dem Badezimmerspiegel zu üben, und ignorierte damit alle Autos, die ihm möglicherweise umfahren könnten. Sehen Sie, Mister Cullen brauchte keine Regeln. Er war die Regel. „Nein, Jessica, mein verdammter Fahrer ist mir nach all den Jahren einfach verstorben, verstehst du nicht, wie ich mich fühle?“ Als er seinen Bürokomplex erreichte, fühlte sich Mister Cullen jedoch schon ein bisschen besser. „Ja, es ist schwer. Eine verfickte Tragödie. Und dann auch noch so kurz vor Weihnachten“, seufzte er und fuhr sich mit einer genervten Geste durchs Haar. Edward sog in diesem Moment den Anblick des prächtigen Businesstower, in dem sein Unternehmen die Hälfte davon in Beschlag genommen hatte, ein. In seinen Augen gab es keinen schöneren Anblick in ganz London, der ihn dieses Gefühl verspüren lassen konnte. Nicht die versteckten kleinen Parks rund um Islington, nicht die Themse am Morgen - nicht mal Jemima in seinem Bett verschaffte ihm so viel Befriedigung, wie das schwarze im Licht funkelnde Gebäude. Ein geschmackvoller Schriftzug zierte die Front mit dem Emblem, das weit über das Vereinte Königreich hinaus bekannt war. Push/ Cullen Corporate „Es ist so ein Verlust. Wie soll ich denn Andrew innerhalb eines Tages ersetzen können? Ich brauche einen Fahrer, Jessica. Hast du eine Ahnung, wie viel mir das an Arbeit aufbrummt? Hat dein kleiner blonder Kopf nur die geringste Idee, wie schwierig es ist, einen Tag vor Heiligabend einen passenden Fahrer zu finden? Ich schwöre dir, solltest du es auch nur eines Tages wagen wollen, wie Andrew einfach so zu versterben…“, Edward hielt die Luft an, „dann komme ich höchstpersönlich, mach dich lebendig, nur um dir in den Arsch zu treten“. Sie mögen diese Ausbrüche von Mister Cullen als lächerlich empfinden, gar grotesk, aber ich kann Ihnen versichern, dass dieser solche Aussagen weder selten noch unbesonnen von sich gibt. Und vielleicht gibt Ihnen das bereits einen kleinen Einblick darüber, mit welchen Mitteln Mister Cullen sein Personalmanagement betreibt. Miss Jessica Stanley, seine jüngste Assistentin, könnte Ihnen gewiss Auskunft darüber geben. „Also, Jessica, ich möchte, dass ich bis heute Abend einen neuen Fahrer habe. Punkt 18 Uhr. Ach, und ich brauch dich auch nochmal für die Listen. Ich habe mir wieder einiges anders überlegt. Ich sehe dich dann um“- er blickte auf seine Armbanduhr-, „sagen wir, in einer Stunde. Dann hast du genügend Zeit, einen Fahrer aufzutreiben und mit mir die Listen neu zu schreiben. Denk nur eins, Jess: Weihnachtsbonus.“ Miss Stanley nicht mehr zu Wort kommen lassend legte er auf und schob grinsend das Handy in seinen Mantel. Es bereitete ihm die größte Freude, geschäftliche Angelegenheiten mit dem Nützlichen zu verbinden, und er fand, dass ihm dies äußerst gut gelungen war. Seine Laune befand sich auf einem Höhepunkt, als er die schwarzen Granitstufen des imposanten Gebäudes erreicht hatte, und noch mal besser wurde sie, als er sein Spiegelbild in den hohen blank geputzten Glastüren erblickte. Sein mahagonifarbenes Haar, das mit den entsprechenden Pflegeprodukten einen derzeit angesagten „out of bed“ Look verkörperte; seine perfekten weißen Zähne; die entsprechende schwarz getünchte Sonnenbrille des angesagtesten Designers der Stadt; sein Haarnadel scharf geschnittener Anzug in Anthrazit und schließlich sein stählerner Körper, den er unter all dem verbarg, erinnerte ihn daran, wie zurecht sie alle Edward Anthony Cullen vergöttern sollten. Er schlug die hohen, schweren Türen auf, und alle Angestellten, sobald sie ihn in der mit schwarzem Marmor ausgelegten Eingangshalle erblickten, huschten etwas geschäftiger, noch wichtiger und noch betriebsamer durch den Raum, auf dem Weg zu etwas, was nach Arbeit aussehen konnte und wünschten ihrem Chef mit zusammengebissenen Zähnen ein `Guten Morgen, Mister Cullen!‘. Edward war ein sehr entspannter Mann, nach all dem furchtbaren Stress in der Frühe, als er wortlos an ihnen vorbei ging und in den Fahrstuhl stieg. * Es gab eine wichtige Regel bei Cullen Corporate – keine Weihnachtslieder. Und keine Weihnachtsmänner. Im Grunde durfte das Wort Weihnachten nicht wirklich im Wortschatz eines Mitarbeiters auftauchen. Erst recht keine Weihnachtsmänner mit weißen Wattebärten und dicken Bäuchen. Weder Mistelzweige, Weihnachtssterne, ja selbst Kaffeebecher, die auch nur erahnen lassen könnten, sie würden etwas mit diesen Feiertagen zu tun haben, wurden vorsorglich vor den wachsamen Augen ihres Arbeitgebers versteckt. Ironisch, wenn man bedachte, dass Cullen Corporate ein Konzern war, der sein Produkt, ein Cola Energygetränk namens Push, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft stets auf den Gipfel der Umsätze brachte. Es war das letzte Meeting vor der Premiere des Weihnachtsspots morgen, über den sich die meisten armen Schäfchen des Unternehmens zuvor monatelang den Kopf zerbrochen hatten. Nun berieten sie sich weiter, inwiefern die groß gehandelte Reklame, die stets zu Weihnachten ausgestrahlt wurde, noch kurzfristige Änderung bedurfte. Im Zuge dessen kamen Marketing, Statistik, Vertrieb, Marktforschung und die Akquise an den großen gläsernen Tisch im schalldichten Raum zusammen. Und jedes Jahr wieder wurde dieses Treffen mit gemischten Gefühlen besucht. Das eine Gerücht lautete, dass ein paar herausragende Köpfe mit einer satten Gehaltserhöhung, Weihnachtsbonus und einer Beförderung rechnen konnten. Das Andere jedoch, dass proportional dazu Köpfe rollen würden. „Unnützes Fett streichen“, beschrieb Mister Cullen dieses. „Wenn wir wollen, dass Push europaweit an der Spitze des Marktes steht, können wir nur so gut sein, wie die schwächsten Glieder in dieser Kette. Und wenn wir weltweit an die Spitze kommen wollen – nun, dann muss das Fett weg. Radikal. Ich will kein Übergewicht, keine Herzleiden, keine Schwitzer. Ich will Kompetenz, Agilität, Aggressivität. Ihr arbeitet für Push, wessen verfickter Slogan Push It ist, verdammt! Ich pushe. Tut ihr das auch?“ An dieser Stelle, wie alle Jahre wieder, trat betretenes Schweigen in den Raum. Und als gehörte es zum festen Ablauf der Sitzung, konnte man in diesem Moment den erhöhten Herzschlag in Jedermanns Brust schlagen hören, die Angst in der Luft riechen und die Stoßgebete erahnen. „Ladies, Gentlemen. Es ist nun an der Zeit, die Leute ihren entsprechenden Anteil zukommen zu lassen, den sie verdient haben.“ Mister Cullen atmete hörbar ein und es war deutlich zu erkennen, wie sehr er diesen Augenblick genoss. Mit Verlaub, dieser Mann scherte sich nicht um Weihnachten, aber diese Tradition war etwas, auf das er sich jedes Mal freute. „Nun“, sein Blick wanderte reihum auf das gute Dutzend angespannter Menschen am Tisch, die in diesem Augenblick schon überlegten, in welchem Pub sie sich nach der Kündigung volllaufen lassen würden oder wie sie es ihren Partnern und Familien beibringen würden. Und wie sie eine Kündigung zum Heiligabend überstehen sollten. Edward sah kurz zu Jemima und Jessica, die beide zu seiner Rechten saßen. Letztere völlig ramponiert und mit gefühlt zwanzig Laufmaschen in der Strumpfhose und wirren Haaren – Heathrow war nicht unbedingt ein Ort, an dem man schnell von dem einem ans andere Ende der Stadt kam – knabberte nervös an ihren Fingernägeln und brauchte wohl bald eine Papiertüte, da ihre Atmung in bedenklichem Tempo anstieg. Jemima, direkt daneben, war das völlige Gegenteil. Aufrecht und völlig entspannt sitzend verkörperte die dunkelhäutige Exotin das Ebenbild der Ruhe. Und verdammt, dachte er, seine Sekretärin erwies sich nicht nur am Schreibtisch als Genie. Natürlich konnte sie gelassen da sitzen, weil sie genau wusste, dass ein Mann wie Edward einen solchen Glücksfang im Bett nicht einfach vor die Tür setzen würde. Nein, Jemima war nicht mal eine Überlegung wert. Blowjob war das Stichwort. Jessica hingegen… „Miss Stanley“, begann er ausgesprochen förmlich, und fast hatte er schon wieder Mitleid mit dem Mädchen. Für dreiundzwanzig Jahre stellte sich die junge Frau gar nicht so dumm an. „Miss Stanley, Sie sind nun seit einem Jahr bei uns. Wären Sie doch bitte so freundlich, uns noch einmal ins Gedächtnis zu bringen, was genau Sie dazu beigetragen haben, damit dieser Werbespot das Land, wie wir es kennen, verändert?“ Das Mädchen, das den Schock von heute Morgen erst vor ein paar Stunden verdaut hatte, wurde erst weiß, dann grün, dann rot. Miss Stanley war zum Heulen zumute. Sie war als persönliche Assistentin, im Fachjargon als „Chief Assistant“ eingestellt. Ihr Boss wusste haargenau, dass sie in dem letzten Jahr nichts anderes als Zeitungen geholt, Literweise Kaffee aus dem kleinen Bistro am Ende der Straße besorgt, seine Termine erledigt, Jemimas übrig gebliebene Korrespondenz, sowie alle weiteren Nebensächlichkeiten, für die dieser Mann keinen Kopf hatte. Von allen Anwesenden hatte Jessica am wenigsten mit der Kampagne der Werbung zu tun gehabt, und er verlangte dennoch eine Antwort, wie von jedem anderen am Tisch auch. Mister Cullen war sich diesem Aspekt selbstverständlich vollends bewusst, was die Sache noch niederträchtiger gestaltete. „Ich… äh…“ Ihre Stimme zitterte und ihre Wangen wurden noch roter, als sie die mitleidigen oder hämischen Gesichter ihrer Kollegen am Tisch auf sich spürte. „Ich… ich habe…“ Der jungen Frau war die Panik deutlich anzusehen. Aber was sollte sie schon sagen? Papiere ordnen war nun nicht eine Antwort, die der Tyrann hören wollte. Und jedes falsche Wort könnte sie sofort ihren Job kosten. „Ja, Miss Stanley?“ Sein Gesicht umspielte ein Lächeln, von dem man wissen konnte, dass es alles andere als aufrichtig gemeint war. „Meine… Meine Aufgabe besteht darin…“ „Ja, Miss Stanley?“ Er nickte aufmunternd, was ebenfalls nicht ernst gemeint war. „Nun, also, sie besteht darin, dass ich… also… ich meine, wir alle… unseren… Beitrag leisten für… und ich… unterstütze…“ „Gott, Jessica, hör bloß auf.“ Edward’s scheinheiliges Lächeln fiel und der Mann verdrehte die Augen. „Du bist wirklich erbärmlich, weißt du das? Mir war klar, dass dir nicht ein vernünftiger Satz einfallen würde. Du bist ein Jahr lang hier, und hast keine Ahnung davon, was du eigentlich tust, oder täusche ich mich?“ Mit der Maske und Anrede fiel auch zugleich die Temperatur im Raum. Dort, wo vorhin zumindest noch eine spielerische Wärme anzutreffen war, wich diese nun der Kälte in seinem Tonfall. „Aber ich schätze, dass man von Menschen wie dir so etwas wahrscheinlich nicht erwarten kann, oder?“ Die Spannung im Raum war unerträglich und die Luft so dick, als könnte man sie schneiden. „Nun, jeder hat seine Position im Leben. Es lässt deutlich blicken, warum du es nicht weiter als zu einer bloßen Assistentin bringen wirst.“ Edward trank einen bedeutungsvollen Schluck von dem stillen Wasser direkt vor ihm und nahm eine Haltung ein, als hätte er soeben bloß über das Wetter gesprochen. Er hatte eine vage Ahnung, dass seine Bemerkung die junge Frau vermutlich ein wenig aus der Fassung gebracht hatte, aber er beschloss, sich darüber keine weiteren Gedanken zu machen. Das Letzte, was er brauchte, war ein heulendes Weibsbild mitten in seinem viel zu teuren Büro. Jessica, nicht fähig, überhaupt ein Wort herauszubringen, standen die Tränen in den Augen, obwohl sie doch so sehr versucht hatte, sie nicht zu zeigen. Der Kloß im Hals war unerträglich groß. Edward seufzte. „Herrje, Jessica, lass dir zur Abwechslung ein Rückgrat wachsen. Und nein, das war nicht deine Kündigung“, fügte er nach einer kurzen Pause augenrollend hinzu. Das erstaunte Raunen seitens der Kollegen war nicht zu überhören – das demütigende Spiel war ihnen Zeichen genug gewesen, dass Miss Stanley heute ihre Sachen packen würde. „Wenn es etwas gibt, das Sie alle wissen müssen, dann dass ich mir nicht in die Karten schauen lasse.“ Und während Miss Stanley mit großen Augen versuchte den Umstand zu erfassen, dass sie ihrer Mutter nun doch nicht erklären musste, weshalb sie kurz vor Heiligabend gefeuert wurde, fuhr Mister Cullen mit seinem liebsten Weihnachtsspiel fort und kündigte stattdessen sechs anderen, weitaus hochqualifizierten Leuten. Merry Christmas. * Es schneite. Schneite so stark wie schon lange nicht mehr in London. Edward stand am Fenster seines großzügigen Apartments irgendwo Kensington und blickte mit einem Glas Scotch in seiner Hand hinaus auf die Straßen, die nicht minder leerer waren als heute Morgen. „Ach was“, entfuhr es ihm. „Schöne Scheiße.“ Die Flocken tänzelten in stummer Melodie nieder, sodass Edward einen kleinen Moment lang einen Stich irgendwo unterhalb seiner Brust verspürte. Zu schwach, um zu erahnen, was dies bedeutete, und zu kurz, um sich daran festzuhalten, wischte er diese Empfindung fort. Denn was nützte es, sich von nostalgischer Anwandlung leiten zu lassen? Mister Cullen war gewiss nicht einer von jenen Männern, die sich letztendlich vom sozialen Druck an Weihnachten weich kochen lassen würden. Es war schon spät, und der anstrengendste Tag des Jahres lag hinter ihm. Der Mann trat vom Fenster weg, schenkte sich ein weiteres Glas ein und schlenderte mit gelöster Krawatte und wirrem Haar in sein Wohnzimmer. In seiner Wohnung umher trottend, die in minimalistisch schwarzen Grundzügen gehalten war – können Sie ein Muster erkennen? – rieb er sich müde die Augen und fiel plump auf die Couch. Sein beeindruckender Flachbildfernseher, selbstverständlich von der Größe und des Preises eines Heimkinos, surrte belanglose Zweideutigkeiten gemischt mit nervtötenden Werbespots. Er überlegte kurz, Jemima anzurufen, tat den Gedanken jedoch schnell ab, als ihm einfiel, dass diese trotz ihrer sonst so unbekümmerten Art die bevorstehenden Feiertage tatsächlich widerlich ernst nahm. Edward musste seufzen. Der Mann hatte wirklich kein Problem damit allein zu sein, aber Jemima war eine wirklich willkommene Abwechslung für seinen ratternden Kopf. „Nichts, nichts, nichts, scheiße, nichts, Gott nein, nichts, ugh.“ Er zappte sich durch die schier endlosen Möglichkeiten an Kanälen. „Ich zahle die Summe eines Kleinautos ab, damit ich einen Haufen Scheiße sehe“, murmelte er sich selbst genervt zu. Frustriert schmiss er die Fernbedienung vor sich und blieb auf dem letzten gewählten Programm hängen. Ein Weihnachtsspecial auf einem Musikkanal. Verdrossen über noch mehr Weihnachtsmusik, die er eigentlich nicht willig war sich anzuhören, schloss er einen Augenblick lang seine Lider. Nur kurz. Sein Kopf schmerzte höllisch, und dieses ganze rührselige, sentimentale Verhalten und der Blick von Jessica und die wutentbrannten Gesichter der Leute… Nur ein paar Sekunden in völliger Dunkelheit versinken, nur ganz kurz… Mister Cullen hatte noch nie verstanden, seinen Beruf draußen auf der Fußmatte vor seiner Tür zu lassen, daher war es keine Überraschung, dass ihn sein Verstand, egal zu welchem Zeitpunkt auch bis nach Hause verfolgte. Selbst beim Dösen. Sie verstanden eben nichts vom Geschäft… Nein, keiner tat das… Nur er wusste, wie man das Geld und den Erfolg ranschaffte… Nur er… Edward fuhr ruckartig hoch. Was war das? Das Geräusch von platzendem Glas hallte ihm noch in den Ohren. Er sah sich um und blickte auf die Uhr. Er musste eingenickt sein, stellte er verwundert fest… Verwirrt rieb er sich die Augen und starrte auf das kaputte Glas auf dem Boden. Sein Scotch muss vom Tisch gefallen sein, dachte er. Auch wenn er sich ziemlich sicher gewesen war, dass er ihn mittig darauf gestellt hatte. Ach, wie falsch der Held unserer Geschichte nur lag! Denn während Edward mühselig und fluchend die Scherben zu seinen Füßen aufsammelte, bemerkte er nicht den äußerst furchterregenden Umstand, dass jemand in seiner Wohnung war. Jemand, den er vor ein paar Jahren zu Grabe getragen hatte. Die Gestalt stand einfach nur im Flur und mit der alten verwitterten und ziemlich löchrigen Kleidung, die er am Leibe hatte, wirkte der Mann, der früher einmal wohl sehr hübsch gewesen sein musste, zugegebenermaßen ziemlich deplatziert. Die Hände in die Hosentaschen gesteckt wirkte er lässig und amüsiert zugleich, und wären da nicht die dunklen Höhlen unter seinen Augen, oder die vielen Brandnarben auf seinem gespenstisch weißen Gesicht, könnte man meinen, der Mann würde einem Freund bloß einen einfachen Besuch abstatten. Aber Edward Cullen war nicht auf das gewappnet gewesen, was ihm in jeder Nacht bevorstand. „Na, Gorillahure?“, wurde Edward begrüßt. „Hey Eierlutscher“, gab dieser geistesabwesend zurück. Es war zwar schon lange her gewesen, aber dieser Gruß war ihm so fest im Gedächtnis verankert, dass er auf die Floskel automatisch reagierte. Nun, man brauchte aber kein Genie zu sein um zu bemerken, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmen konnte. So auch nun Edward, der zu einem Stillbild erstarrte. „Was?“ Und als dieser sich schließlich umdrehte, meinte er, nicht richtig bei Sinnen zu sein. „Heilige Scheiße!“ Edward wich zurück und prallte gegen den gläsernen Couchtisch. „Wer verfickt nochmal sind Sie? Was soll die Scheiße?“ Seine Atmung ging stoßweise und tief. Nie im Leben hätte er erwartet, Jasper Hale nochmal zu sehen. Oder was dies auch immer darstellte. Er überlegte. Vielleicht war es ja eine Art Halluzination? Oder… vielleicht war es aber auch eine der Nachwirkungen der vielen Drogen, die er Ende der 90er konsumiert hatte? Er hatte es ja immer befürchtet, dass sich diese ausschweifende Lebenszeit eines Tages rächen würde. Doch Jasper Hale, der tote Untote, der grinsend vor ihm stand, blickte sich nur geringschätzend in dem Apartment um. „Du hast dich in all den Jahren nicht verändert, Ed. Du bist und bleibst die Pussy, die du immer schon warst.“ Mister Cullen stand der Mund offen, er konnte nicht begreifen, was mit ihm passiert war. Panisch rieb er sich die Augen und versuchte sich gleichzeitig zu erklären, wann und wie er sich eine so furchtbare Kopfverletzung zugestoßen haben konnte, dass er nun seinen verstorbenen Freund und Geschäftspartner in seinem Wohnzimmer plaudern sah. „Hübsche Wohnung. Ein bisschen sehr kalt, aber ich sehe, dass du es dir ziemlich gut gehen lässt.“ Die Erscheinung blieb vor einer scheußlichen weißen Vase auf einer Anrichte vor dem Fenster stehen. „Aber du hast immer noch keine Ahnung, was man mit seinem Kapital anstellen soll. Meine Fresse, dieses Ding sieht aus wie gigantischer Darm.“ Er hielt das abstrakt wirkende Gefäß vor sich und drehte es zu allen Seiten um, ehe er es angewidert auf seinen ursprünglichen Platz stellte. Edward indes blieb weiterhin der Mund offen. Er konnte einfach nicht verstehen, was sich in diesem Moment hier in seinem Wohnzimmer abspielte. „Willst du nicht mal irgendwas sagen?“, schmunzelte Jasper und trat wieder zu ihm hin. Doch der Angeredete war immer noch erstarrt, wägte weiterhin die Promillezufuhr und die Auswirkungen auf seinen Geisteszustand ab. „So was wie, ‚Oh mein Gott, wer verarscht mich hier? ‘ Oder, ‚Jasper, selbst als unruhige Seele aus dem Jenseits siehst du immer noch besser aus als ich!‘“ Der Geist grinste selbstgefällig und wirkte etwas enttäuscht, als sein ehemaliger Kumpel immer noch nicht reagierte. „Hat es dir derart die Sprache verschlagen, Ed? Nun reiß dich aber mal am Riemen.“ Jasper knuffte ihn in die Schulter. „Affengesicht“. Das schien nun doch endlich den gewünschten Effekt zu erzielen: Edward taumelte von seiner sitzenden Haltung in eine stehende Position. „Was in aller Herrgottsnamen hat dieser Zirkus hier zu bedeuten!? Was soll das? Wer sind Sie? Haben Sie eine Ahnung davon, wie sehr Ihnen meine Anwälte den Arsch aufreißen werden, dafür, dass Sie sich in geschmackloser Kostümierung Eintritt zu meiner Wohnung verschaffen? Das ist Einbruch! Hausfriedensbruch! Ruhestörung!“ Da Mister Cullen sich wenig gern beleidigen, verarschen und am allerwenigsten eine mentale Störung nachsagen lassen wollte, trat er zu der bleichen Gestalt, die seinem Freund so ähnlich sah, dass es ihn beinahe ein bisschen schmerzte und versuchte es mit Konfrontation. „Was wollen Sie?“ Das seltsam verzerrte Lächeln auf Jaspers Gesicht fiel mit einem Mal. „Was ich will? Edward, ich will dich zur Besinnung bringen!“, sagte er mit Nachdruck, den Schalk gänzlich verloren. Edward verdrehte die Augen. „Was soll das? Willst du mir wirklich ernsthaft weismachen, du wärst als ein verschissener Geist zu mir gekommen? Ausgerechnet zu mir, um meine Seele zu retten, oder was?“ Mister Cullen wusste nicht recht, woran es lag, weshalb er insgeheim zu kleinen Teilen glauben wollte, dass es sich um seinen besten toten Freund handelte. Und vielleicht war er auch nur einfach viel zu müde und doch zu betrunken, um diese lächerliche Diskussion abzubrechen, aber der ernsthafte Ausdruck in den Augen von Jasper… nun, den konnte niemand einfach so nachahmen. Er griff nach der Flasche schottischen Whiskey und nahm einen großen Schluck. Alkohol, der süße Freund und Verführer würde ihm bestimmt helfen. „Nein“, antwortete Jasper auf die Frage, die noch unbeantwortet im Raum stand. „Ich will dir ein Schicksal ersparen, wie ich es hatte. Noch ist es nicht zu spät.“ Seinen Nasenrücken drückend und tief schnaubend ließ sich Mister Cullen mit der Flasche in der Hand in einen Sessel direkt neben der Couch fallen. „Jazz, ich bezweifle, dass du echt bist, spreche aber dennoch mit dir. Aber dieser Bullshit… dein Schicksal… das glaube ich dir nun wirklich nicht.“ „Was glaubst du eigentlich, weshalb ich hier bin? Weil es mir so gut da unten gefällt, dass ich nun Werbevertreter bin?“ „Das ist doch Unsinn!“, unterbrach ihn Mister Cullen laut. Er empfand es als äußerst schizophren, sich mit seinem toten Kumpel zu unterhalten… aber es war ja seine Entscheidung gewesen, die Stunden beim Seelenklempner nicht mehr wahrzunehmen… Die Frau hatte ihn immer davor gewarnt, dass ihn seine Arbeit noch auffressen würde… Nun, wenn dies seinen ersten Nervenzusammenbruch darstellen sollte, dann würde ihn Edward Cullen auch gleich voll zelebrieren und dieses Spiel mitspielen. „Du hattest einen beschissenen Autounfall damals! Inwiefern soll mich das bewahren? Herrgott, ich sitze nicht mal in einem Wagen!“ In seinem Freund schien eine Menge vorzugehen, hauptsächlich war es Wut, die ihn dazu veranlasste, Edward sprichwörtlich am Kragen zu packen. Und zwar so, dass er tatsächlich ein paar Zentimeter über seinem Sessel in der Luft hing. „Hör mir mal ganz genau zu, du Sitzpisser! Du hast keine blasse Vorstellung davon, wie sehr dein Arsch in der Scheiße steckt!“ Seine Stimme war für einen toten Mann noch ausgesprochen kräftig, möchte man hier hinzufügen. „Du hast“ – seine tattrige Hand griff fester um den Kragen – „nicht den leisesten Schimmer, wie sehr du dein Leben wegwirfst, weil du ein arroganter, ignoranter Wichser bist!“ Mister Hale ließ Edward langsam los und deutete mit der verrunzelten und von Brandnarben übersäten Hand auf sein Herz. „Ich wünschte“, begann er, „ich hätte eine Warnung erhalten damals. Ich hätte alles anders gemacht“, endete er leise und der Klang seiner Stimme wurde sanft, sogar traurig. Edward, rot im Gesicht von der Kraftanstrengung, sah ihn mit großen Augen an. Ganz sicher musste er halluzinieren. Der Jasper, den er gekannt hatte, hätte so etwas nie behauptet. „Was meinst du damit? Scheiße, du warst mein beschissenes Vorbild! Du hattest alles! Wir hatten alles! Du hattest erst die Idee mit der Firma, und sieh, wie erfolgreich wir waren! Geld, Frauen, Autos… Nenn mir einen Wunsch eines jeden Mannes – wir beide hatten ihn, und ich habe ihn noch! Und jetzt kommst du“ – er schnappte nach Luft, „jetzt kommst du daher und führst dich auf, als sei es das Schlimmste gewesen! Wie zum Teufel kannst du das nur bereuen?“ Mister Cullen atmete hastig; solche Ausbrüche in dieser Form hatte man schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er verstand es nicht. Verstand nicht, worauf Mister Hale hinaus wollte. Jasper jedoch schaute ihm in die Augen. „Weil es mich damals zu dem Mann gemacht hat, an dessen Beerdigung man kaum wirklich Trauer gezeigt hat“, sagte er einfach. Edward schluckte – so einen Satz hatte er nicht erwartet. „Ich hatte nichts, und du hast auch nichts“, fuhr Jasper fort und ging ein paar Schritte gedankenverloren umher. „Sieh dich an. Dein feines Apartment gefüllt mit einer ganzen Ladung voller Bullshit aus Nichts.“ Dann drehte er sich zu ihm und sagte mit sanfter Stimme: „Dies soll dir nicht passieren, Ed. Ich bin die Warnung.“ Es wurde einen Moment still im Apartment, bis sich Mister Cullen mit einem Räuspern in der Stimme äußerte. „Was für eine Warnung?“ Jasper - nicht wirklich tot, aber auch nicht richtig lebendig; gefangen in der Zwischenwelt von Jenseits und Leben - näherte sich seinem ehemaligen Partner und packte ihn bei der Hand. Die durchdringende Kälte, die Edward in diesem Moment verspürte, war alles andere als angenehm. Mit einem Ruck versuchte er, sich der ungewöhnlich harten Berührung zu entziehen. „Was zum Teufel... Lass mich los! Was willst du?!" Doch Jasper lächelte nur grimmig und sagte, bevor er seine verbrannte Hand zum Schnipsen ansetzte: „Ich bringe dich zurück". Und das tat er, als sich plötzlich eine tiefe Dunkelheit in dem Raum ausbreitete, die alles erfasste und Mister Cullen für einen glückseligen Moment lang in dem Glauben ließ, dass seine Halluzination ein Ende fand. Aber das tat sie nicht. * Edward wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er wieder zu sich kam. War es eine Sekunde? Oder doch eine ganze Stunde? Der Mann, immer noch in Hemd und gelöster Krawatte, öffnete die Augen und schaute im horizontalen Blickwinkel auf eine ziemlich heruntergekommene Straße, die ihn seltsamerweise sehr an jene erinnerte, in der er meinte, schon mal gelebt zu haben. Wo war er? Was war passiert? „Wow, sieh dir das an. Wer hätte gedacht, dass du aus einer so üblen Gegend stammst?" Jasper. Der tote Freund stand - und je öfter Edward ihn so in dieser Haltung sah, desto stärker bekam er das Bedürfnis, diesem Aas von einem Geist die Nase zu brechen - erneut in einer furchtbar gelassenen Pose und blickte ihn von oben herab an. Und erst jetzt fiel Mister Cullen auf, dass er inmitten eines Gehweges einer verwahrlosten Gegend lag. Die Szenerie hatte sich deutlich verändert. Dies war nicht sein Wohnzimmer. Und dies war wohl vermutlich auch nicht mal London. Alles wirkte irgendwie anders und gleichzeitig doch so fürchterlich vertraut, dass es einer Art verdrehtem Déjà-Vu glich. Insgesamt war dem Geschäftsmann so, als würde er sich eine alte Platte rückwärts anhören. Es war eine unglaublich kalte Nacht; selbst sein Atem schien in der eisigen Luft zu gefrieren. "Ach, was zum verfickten Scheiß nochmal", fluchte er und stand mit wackeligen Beinen auf. Er befreite seine Hose von dem Schmutz der Straße. "Bitte, sag mir, dass meine Halluzination bloß nur eine weitere Stufe erreicht hat. Gott, ich bin doch nicht etwa im Koma, oder? Sag mir, dass ich nicht im Koma liege!", Ein Gedanke, der ihm im Laufe dieser Begegnung schon öfter gekommen war. Doch Jasper lachte nur. "Haha, folge mir, mein Freund." "Hey... hey, wo willst du hin?" Mister Hale erwiderte nichts, sondern trottete gemächlich voraus. Mister Cullen, dem nichts Weiteres übrig blieb, als ihn zu geleiten, marschierte widerwillig mit. Und wirklich, alles war anders, und doch so unglaublich vertraut. Während sie schweigend den Bürgersteig entlang schritten, wurde Mister Cullen eigenartig bewusst, dass er nicht nur sprichwörtlich den Pfaden seiner Vergangenheit folgte, sondern sich, sofern es denn in Komas oder Halluzinationen möglich war, tatsächlich auf diesen befand. Aus vorbeifahrenden Autos dröhnte "Do They Know Its Christmas" und in den Häusern, in denen man hineinsehen konnte, standen ziemlich retroartige Dinge... "Erkennst du das Haus hier?" Aus seinen Gedanken gerissen staunte der Angesprochene nicht schlecht, als er sich plötzlich wieder mit der Bleibe seiner Kindheit konfrontiert sah. "Heilige Scheiße", entfuhr es ihm. "Hier... hier habe ich einmal gewohnt!" "Ich weiß", grinste Jasper und trat an das Mehrparteienhaus, dessen vergilbte Front und der kleine, ausgetrocknete Weihnachtskranz an der Tür einen eher abschreckenden Anblick boten. "Was- was... du willst doch nicht rein?", entfuhr es Edward. "Denkst du, ich hab dich mitgenommen, um die so liebliche Stimmung hier zu bewundern?", erwiderte Jasper augenrollend. Dieser hob die Hand zur Tür. "Nein, hey.. warte!", entfuhr es Edward erneut. "Was?" "Du kannst da nicht so einfach anklopfen, Arschloch!" Er hatte einen recht logischen Einwand, fand er. Immerhin geschah es nicht alle Tage, dass man in sein Geburtshaus stolperte. Mister Hale setzte eine ernste Miene auf. "Nun sein nicht albern, Ed. Ich klopfe doch nicht." Erleichtert atmete der Bronzeschopf aus. Anscheinend gab es in dieser verquerten Hirntotwelt doch so etwas wie Gerechtigkeit. Jaspers vernarbtes Gesicht formte sich zu einem hintertückischen Lächeln. "Ich gehe hindurch ", sagte er, und als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, glitt er - wie es Geister wohl tun - durch die Tür... Dort, wo er sich eigentlich fürchterlich den Kopf hätte stoßen müssen, war nichts als Materie, die ihn irgendwie durchließ. Jasper verschwand, sehr zu Edward's Verblüffen, hinter der Limonengrünen Tür. Mister Cullen war - wie würde es die Queen sagen? - not amused. "Oh ich bitte dich, soll ich dir jetzt applaudieren für dieses Scheißtalent?" Der Mann begann mit den Armen und Beinen wedelnd und einer hohen Tonlage aufsetzend, seinen toten Kollegen nachzuäffen. "Ohh, seht mich an, ich bin ein Scheißgeist und ich kann durch Türen laufen! Ich bin tot aber hey, lasst uns einfach die Gesetze der Physik und alle dieser Welt brechen!" Hinter der Tür ertönte Jaspers amüsierte Stimme. "Bist du jetzt fertig, oder willst du deinen Arsch nicht endlich mal hier rein bewegen?! Oh und ", setzte dieser nochmal an, "ich an deiner Stelle würde die Tür richtig benutzen". Wenn es eines gab, das Mister Cullen aus tiefstem Herzen hasste, dann waren das Ratschläge und Anweisungen. Edward brauchte keine Ratschläge oder Anweisungen, nichts dergleichen. Er hatte so etwas noch nie gebraucht.. Aber aus einem ihm unbekannten Grund hatte er verstanden, sich das eine Mal auf diese Sache einzulassen. Ihm war bewusst, dass er sich aus diesem Limbo der Kopfverletzungen nur heil herausbringen konnte, wenn er Jasper glaubte. Und das bedeutete in diesem Falle wohl auch, die Kontrolle abzugeben. Er brummte fast, so sehr ging es ihm gegen den Strich. Seufzend und äußerst ungern öffnete er die unverschlossene Tür und begab sich in seine Kindheit. "Willkommen im Jahr 1984, Ed!" Es war unglaublich. Nein, es war schier faszinierend. Äußerst wahnwitzig und ziemlich besorgniserregend, wenn man für einen Moment länger darüber nachdachte, welche Form von Freakshow dieser Abend angenommen hatte… Aber in erster Linie war es ziemlich beeindruckend. Da stand er, Edward Anthony Cullen, in all seiner zweiunddreißig Jahre alten Pracht im ehemaligen Wohnzimmer seiner Eltern - und da saß er nochmal: eine viel kleinere und viel unschuldigere Version von ihm selbst. Ziemlich blond, sehr pausbäckig und mit einer Plastikfigur, die Edward sofort als "He-Man" identifizieren konnte. Edward Anthony – damals noch Masen- saß vor der kleinen Plastiktanne im engen Wohnzimmer und spielte. "Scheiße, du warst ein dickes Kind?“ Jasper stand feixend neben ihm und kam nicht umher, als der älteren Version ziemlich grob in die Wange zu kneifen. "Hat der kleine Eddie gern genascht?" Doch Mister Cullen war viel zu sehr von sich selbst in den Bann gezogen, als diese Spielerei ernsthaft böse nehmen zu können. "Halt die Klappe, das war alles Babyspeck", erwiderte er halbherzig. "Sie können uns nicht sehen, oder?", flüsterte er. Jasper schüttelte den Kopf. "Du solltest jetzt aufpassen", meinte sein Freund und deutete auf die Tür zum Nebenraum, in dem eine junge Frau, mit einem schreienden Baby auf dem Arm und den Tränen nahe, das brüllende Bündel wiegend zu beruhigen versuchte. "Meine Mutter", murmelte Edward verblüfft. Er ging auf sie zu. "Mum?" Er betrachtete sie eingehend und kam zum dem Schluss, wie sehr doch die Jahre vergangen sein mussten. Seine Mutter, nicht älter als fünfundzwanzig, war das Bild der Jugend - so kam es ihm zumindest vor. Das rötliche Haar, das ihr damals noch bis zu den Schultern reichte, war glatt und seidig; ihr Teint um einiges faltenfreier, als er es zuletzt in Erinnerung hatte, und die Augen – wenn auch verweint und rötlich, strahlten eine Form der Jugendlichkeit aus, die er später nie bei ihr gesehen hatte. Keine große Überraschung, wenn man bedachte, dass Klein-Edward zu jenem Zeitpunkt gerade einmal sechs Jahre alt gewesen war. „Wieso weint sie?“, fragte er Jasper. „Warte ab“, meinte er. Und wirklich, als hätte er gewusst, was passieren würde, trat in diesem Moment ein großer braunhaariger Mann in einer ausgefransten Jeansjacke und einer braunen Papiertüte donnernd durch die Haustür. Edwards Mutter Esme setzte einen erleichterten Gesichtsausdruck auf. Mit dem Baby auf dem Arm beobachtete sie angespannt, wie ihr Mann seine Jacke und Schal achtlos auf den Boden warf. "Um Himmels Willen, Anthony. Wo warst du so lange? Es ist Heiligabend." Edward, mit einem jähen Schrecken auf dem Gesicht, beobachtete seinen Vater. Er hatte ihn vollkommen vergessen. Nicht verwunderlich, wenn man überlegte, dass sich sein werter Herr schon ziemlich bald aus dem Staub gemacht hatte. Hatte er wirklich immer so ausgesehen? Anthony, kaum älter als seine Frau, roch nach billigem Schnaps und Tabak, als er etwas taumelnd zu der Angeredeten schritt. Edward rümpfte die Nase und mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie sehr er diese Duftnote immer verabscheut hatte - das billige Pint Bier aus dem Pub und die von Qualm benetzte Kleidung. "Was für ein Bild", meinte Jasper stirnrunzelnd. "Geht dich 'nen Scheißdreck an, wo ich war. Ich bin hier, 's doch alles was zählt, oder?" Anthony sah seine Frau missbilligend an und winkte verständnislos ab. "'S ja doch immer dasselbe mit dir, Mädchen." Esmes Augen wurden noch glasiger. Verzweifelt wiegte sie das Kind in den Armen hin und her. "Du bist ein einziger Scheißkerl. Ein verdammter Nichtsnutz." Doch Anthony hörte gar nicht mehr zu. "Sieh zu, dass das Kind still ist, davon krieg ich Kopfschmerzen. Ich habe den ganzen Tag gearbeitet." "Gearbeitet! Ha, als ob! Und weißt du, vielleicht würde Alice nicht so schreien, wenn ihr Nichtsnutz von Vater ab und zu dafür sorgen würde, dass hier Essen im Haus wäre!" Esme drehte sich frustriert um und verschwand in das kleine Nebenzimmer, das, wie sich herausstellte, das Schlafzimmer der beiden war. "Wieso versteckt sie sich? Wieso bietet sie ihm nicht die Stirn? So ist meine Mutter überhaupt nicht", sagte Edward in den Raum hinein. "Weil sie denkt, dass es zwecklos ist. Außerdem", er lächelte seinen Freund warm an, "hat jeder Mensch die Möglichkeit, sich zu verändern, Ed. Deine Mutter hat es wohl getan." Edward wandte sich von seinem Freund ab und folgte seinem leiblichen Vater, den er eigentlich doch schon so sehr aus seinem Gedächtnis verbannt hatte. Der Mann, sehr groß und mit demselben grünen Klecks Farbe in den Augen, die schon jeder an Mister Cullen bewundert hatte, setzte sich zu Klein-Edward in das Wohnzimmer. "Hey Daddy", grüßte der Junge. Er stolperte zu ihm an den Sitz. "Hast du mir etwas mitgebracht?" "Hallo Bursche." Anthony patschte dem Kind unbeholfen auf dem Kopf und griff nach der Fernbedienung. "Wieso sollte ich dir etwas mitgebracht haben?" Edward kam nicht umher, den Blick seines jüngeren Selbst zu sehen. Die freudige Erwartung in den Augen des Jungen, die mit einem Mal erloschen war . "Weil heute Heiligabend ist?" Anthony lachte. "Ja, und? Geschenke gibt‘s erst am ersten Feiertag, morgen." Mit diesen Worten und dem Blick auf den Fernseher gewandt, holte er aus der braunen Tasche, die er bei sich getragen hatte, einen Flachmann. Klein-Edwards Augen wurden groß. "Und was ist das?" " 'S is‘ meine Medizin." "Bist du krank?" Der braunhaarige Mann lachte, und Mister Cullens Bedürfnis, seinem eigenen Vater das Gesicht zu zertreten, war mit einem Mal überwältigend. "Nein, Bursche. Daddy ist nicht krank. Daddy sorgt nur vor, dass er nich‘ krank wird, verstehst du?" Sein Sohn nickte, offenbar hatte er verstanden. Anthony nahm einen großen Schluck aus dem Gefäß und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. „Dad?“ Anthony seufzte. „Was, Sohn? Musst du nicht schon längst im Bett sein? Herrgott, deine Mutter kann auch nichts richtig machen." Klein-Edward schluckte. "Was bekomme ich denn zu Weihnachten?" Sein Vater sah ihn verdutzt an. "Wer sagt, dass du 'was bekommst? Kriegen nicht nur artige Kinder Geschenke?" Daraufhin wusste der Junge nicht, was er antworten sollte. "Was für ein Drecksack", murmelte Edward. "Erwarte bloß nichts von ihm", sagte er dem Jungen zugewandt. "Frag bloß nicht weiter, er ist ein Arschloch." Jasper sah ihn an. "Er kann dich weder hören noch sehen, das weißt du doch." "Vielleicht tut er's ja doch", antwortete Mister Cullen grimmig. Sie verstummten, als der dickliche Junge wieder antwortete. "War ich nicht artig gewesen, Dad?" Und der Mann, der sich offensichtlich lieber dem Fernsehprogramm zugewandt hatte, verdrehte ein weiteres Mal die Augen. "Nein Ed, das warst du nicht." "Aber... aber... bekomme ich kein Geschenk?" Anthony, der überall sonst lieber gewesen wäre, anstatt sich hier den Fragen seines Sohnes stellen zu müssen, rieb sich die Augen. "Esme!", brüllte er. "Nimm den Jungen und pack ihn ins Bett!" Klein-Anthony aber, dickköpfig und stur, fing an, am Saum des Hemdes seines Vaters zu rütteln. "Daad! Bekomme ich kein Geschenk?" Sein Vater zog die Hand von sich weg und schubste den Jungen mit einer weiteren Bewegung von sich. "Edward, verschwinde in dein Zimmer. Nein, du kriegst kein gottverdammtes Weihnachtsgeschenk! Jetzt mach dich vom Acker!" Es passierte, was passieren musste. Der kleine Junge fing an zu weinen. "Ich will aber mein Geschenk! Und ich war artig!" Wenn das Baby vorhin laut gewesen war, so war Edward das genaue Gegenteil - nämlich stumm und leise. Nur die Tränchen auf dem nassen Gesicht verrieten ihn. "Herrgott, verzieh dich jetzt! Los, oder muss ich dich erst übers Knie legen, damit du gehorchst?", drohte der deutlich angetrunkene Mann. Ihm war so ein leidliches Betragen zuwider und er hatte keine Lust, sich der Quengelei seines Sohnes auszusetzen. Klein-Edward jedoch war stur; mit der klobigen Actionfigur in seiner Hand und einem Blick, der nach dem Wort "Gerechtigkeit" schrie, blieb er trotzig vor ihm stehen. "Aber ich war artig, Dad! Und ich will meinen Schnee!" Anthony sah ihn, sofern der Alkohol ihn noch nicht gänzlich getrübt hatte, verdutzt an. "Was soll das heißen, Schnee? Ist das etwa dein Wunsch? Dein... Geschenk?" Mister Masen brach in schallendes Gelächter aus. Edward, der das Spektakel auf diese Weise wieder neu durchlebte, ballte unwillkürlich die Fäuste. "Ich würde ihn wirklich gern die Fresse polieren, Jasper. Kannst du das nicht irgendwie möglich machen?" Jasper schüttelte aber nur traurig den Kopf. Der Mann in dem Sessel lachte noch immer über seinen Sohn, der nicht verstand, was so falsch an seiner Aussage war. "Junge, ich erzähle dir mal was über das Leben. Geschenke verdient nicht jeder, und wenn du doch einmal eins hast, dann wird es dir bald weggenommen. 'S so. Und es ist wirklich das... bescheuertste, was ich je gehört habe. Du kommst so nach deiner Mum, Eddie." Anthony wischte sich, immer noch gackernd, ein paar Tränen vom Gesicht. "Schnee. Denkst du, ich bin so mächtig, dass ich Schnee vom Himmel fallen lassen könnte? Gott, wenn ich das wäre, dann würde ich aber grüne Scheine vom Himmel regnen lassen. Aber doch nicht deinen blöden Schnee." Klein-Edwards Tränen versiegten. Er wusste nicht, was sein Vater damit meinte, aber er hatte sehr wohl verstanden, dass er kein Geschenk kriegen würde. Vermutlich verstand er noch eine ganze Menge mehr, aber das konnte nur Mister Cullen selbst wissen. Unglücklich ließ der Junge seinen Kopf hängen. "Ich war artig", murmelte er, und wirklich - würde Mister Cullen nicht selbst dort stehen, und nicht wissen, dass es sich bei dem kleinen Jungen um sein jüngeres Selbst handeln würde - er hätte es ihm trotzdem auf der Stelle geglaubt. "Ich war artig", wiederholte er und verschwand in ein Zimmer am Ende des Flures. "Ja, klar. Und ich bin die Queen", lästerte Anthony grinsend, nahm noch einen Zug aus seinem Flachmann und widmete sich nun erleichternd dem Fernseher. Es wurde still in der kleinen Wohnung, lediglich das permanente Flackern und monotone Getöse aus dem Apparat bedeckten die Ruhe. Jasper räusperte sich, als sie beide eine ganze Zeit lang auf die braune Tür starrten, hinter die sich der kleine Edward vorhin zurückgezogen hatte. "Wir sollten gehen", meinte er und ging ein paar Schritte voraus. "Ach, jetzt willst du gehen, oder was?", meinte Edward aufgebracht. "Ich würde gern wissen, wie es weiter geht." Der Geist seufzte leise. "Ed, du weißt doch, wie es weitergeht. Komm", forderte er den sichtlich aufgewühlten Mann zum Gehen auf. Natürlich hatte Mister Hale Recht; Edward wusste, wie es weiter ging. Tief in sich hatte er es nie vergessen. So erinnerte er sich, dass jenes Weihnachtsfest tatsächlich ohne Geschenke jederart ausgefallen war. Dass es nicht geschneit hatte, genau wie sein Vater es ihm prophezeit hatte. Dass seine Mutter und sein Vater sich so sehr gestritten hatten, dass er die Polizei hatte rufen müssen. Und dann erinnerte sich Mister Cullen auch daran, dass sein Vater, den er schon bald mit viel Wut begegnet war, eines Abends nicht mehr nach Hause gekommen war. . "Edward, komm. Wir haben noch was vor". Einen letzten Blick auf die Person richtend, die Edward damals gelehrt hatte, auf nichts vertrauen zu können, folgte er Jasper hinaus und ließ, so hoffte er, diese Erinnerung und diesen seltsamen Traum ein für alle Mal zurück. Doch wieder einmal musste er sich täuschen. "Du warst echt ein dickes Kind, Mann", bemerkte sein toter Freund schmunzelnd und schubste ihn aus dem Jahr 1984. * "Was zum-?", rief Edward aus, als er aus der Tür fiel. Richtig, er fiel. Aber nicht etwa auf die Straße, von der sie gekommen waren – nein, Mister Hale tat sein Bestes, Mister Cullen stets auf seine eigene Weise zu überraschen. Er fand sich nach einem ziemlich dumpfen Aufprall nämlich nicht auf der Straße wieder, von der sie zuvor gekommen waren. Nein, Mister Hale tat sein Bestes, Mister Cullen stets auf seine eigene Weise zu überraschen. "Das ist doch jetzt nicht dein Ernst", schimpfte er, als die Szenerie vor ihm langsam Gestalt annahm. "Oh doch, Ed. Oh doch. College", grinste Jasper, als sie inmitten eines langen Flures standen, auf dem sich eine Menge lachender junger Menschen bewegten; viele mit diversen Gegenständen und Kleidungsstücken in den Händen ausgerüstet. "Das ist doch jetzt nicht mein altes Wohnheim", seufzte Edward genervt. "Was hast du gegen das Wohnheim? Wenn ich mich richtig erinnere, hattest du hier die Zeit deines Lebens." Innerlich musste Mister Cullen wahrlich aufstöhnen: Sein Koma dauerte anscheinend doch noch länger an. Wann war denn genug? "Ich verstehe nicht, warum ich das hier jetzt sehen muss. Ja, es war toll, aber was soll ich hier? Jasper, ich will verdammt nochmal zurück. In MEIN ZURÜCK zurück." Jasper schlenderte jedoch wieder vor ihm, ignorierte ihn weiter und blickte dann und wann stets in offenstehende Zimmer, in denen sich Jungs und äußerst hübsche Mädchen einen Drink genehmigten. „Welches Jahr?“ „1999“, antwortete er und blieb vor einer Zimmernummer stehen. „Du erkennst doch sicher das hier, oder?“ Mister Cullen stöhnte gequält auf, als er auf die Zahl sah. 24A. „Jasper, du bist ein verdammtes Arschloch!“ Doch der Geist kicherte nur. „Du, ich liebe dich auch nicht. Aber ich muss schon sagen, ihr hattet hier eine Menge hübscher Mädchen“, grinste er durchtrieben, als eine junge Frau neben ihnen entlang wackelte, deutlich angetrunken und mit nichts mehr, als ihrer knallpinken Unterwäsche auf dem Leib. Jasper seufzte. „Auch etwas, was ich vermisse, Ed. Hast du eine Vorstellung davon, wie es ist, mit einem Dauerständer herumzulaufen, und nichts machen zu können?“ Mister Cullen verzog angewidert das Gesicht. „Du hast doch gar keinen Ständer.“ „Ja, aber es ist das ewige Gefühl eines Ständers! Glaub mir, das ist die wahre Hölle.“ Der Geist wirkte in dem Moment etwas betrübt, und es schien, als würde er kurz den so offensichtlich schöneren Zeiten hinterhertrauern. „Nun, wir sind schon reichlich spät dran. Folge mir einfach.“ Jasper glitt wie vorhin schon einfach durch die Tür und ließ Edward davor stehen. „Wenn du nicht schon tot wärst, Jasper, ich schwöre dir… ich würde dich jetzt einfach töten“, schüttelte Mister Cullen seinen Kopf. Er atmete einmal tief durch, fragte sich, welche Art von morbidem Scherz in Form einer Erinnerung er sich nun antun sollte, und öffnete 24A. Und mit einem Mal war er wieder da. Mister Cullen war erschrocken darüber, dass sein Körper schneller als sein Verstand begriff und reagierte – sein Herz, das scheinbar ohne jeglichen Grund anfing, zu rasen; der Geruch in der Nase, etwas von Sandelholz und Vanille, das bewirkte, dass er sich entspannte… Es war schon so lange her, und doch war es jetzt hier… dieses Gefühl und das Mädchen… „Du bist ein Arschloch, Jasper“, meinte Edward nach kurzer Zeit und ließ sich erneut auf das Geschehen vor seinen Augen ein. In dem kleinen Raum, an dessen beiden gegensätzlichen Enden sich zwei Betten befanden, saß auf einem Sofa, mitten im Zimmer, ein Mädchen unter einer dicken Decke vergraben. Mit einem Buch in der Hand und der Beleuchtung, die von einer kleinen, um eine Zimmerpflanze gewickelten Lichterkette ausging, war Mister Cullen für einen Moment wie gebannt von dem Schein, der sie umgab. Sie war keine Schönheit im herkömmlichen Sinne, aber man kam nicht umher, dass die junge Frau, so gefangen von einem Buch im dämmernden Licht, einen faszinierenden Anblick bot. Was Mister Cullen so bezauberte, war die Tatsache, dass er seine Jugendfreundin nach so vielen Jahren von allen Situationen, wie er sie hätte antreffen können, ausgerechnet in dieser vorfand. Mit einem unordentlichen Dutt auf dem Kopf, der ihr haselnussbraunes Haar nicht wirklich vorteilhaft betonte, und der schwarzen Brille auf der Nase, die ihr schon immer viel zu groß gewesen war, an der sie jedoch damals so festgehalten hatte. „Ich muss nicht viel sagen, oder?“, meinte Jasper und setzte sich auf einen Stuhl an einem Schreibtisch. „Du bist ein Saftsack“, erwiderte Edward. „Ja, das ist Bella. Und?“ Der Mann schluckte, aber er wollte nicht, wie vorhin schon, den Eindruck machen, als würde ihn dies sonderlich beeindrucken. „Ach, tu nicht so“, winkte Jasper ab und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf. Mister Cullen versuchte vergebens, seine angemessene Haltung zu bewahren, was ihm nicht sonderlich gut gelang. Stattdessen schaute er sich ein wenig in dem kleinen aber gemütlichen Zimmer um. „Ich habe völlig vergessen, wie klein diese Bruchbuden waren“, stellte er fest. „Ich hoffe übrigens, dass dir klar ist, dass das nicht mein Zimmer ist.“ Er hielt einen violetten BH in die Höhe und grinste. „Also, der war nicht von Bella. Daran würde ich mich erinnern.“ Jasper grinste verwegen. „Ja, du hast in allen Punkten Recht. Der ist auch von ihrer Mitbewohnerin.“ Sofort ließ Mister Cullen das besagte Kleidungsstück fallen und drehte sich zu ihm um. „So, und was sollen wir hier? Spanner bei einer Studentin spielen? Ich verstehe ja, dass du Druck hast, aber das ist ein bisschen Zeitverschwendung.“ „Ed, du scheinst nicht mal deinen eigenen Film zu kennen, in dem du die Hauptrolle spielst. Du bist so eine Arschgeige. Warte ab, es geht “- Mister Hale schaute auf die Uhr – „ jetzt los“, endete er und lehnte sich in einer entspannten Haltung zurück. Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür und – wie sollte es auch anders sein – Mister Cullen erschien. Die 1999-Version, besser gesagt. „Buh!“, grölte der junge Mann, der mit einem Mal ins Zimmer platzte. Das Mädchen auf dem Sofa schreckte hoch und ließ ihr Buch zufallen. „Musst du das immer machen? Ich habe mich zu Tode erschrocken!“, quietschte Bella heftig atmend, die Hand an ihrer Brust gelegt. Der junge Mister Cullen – man erkannte ihn sofort an den Augen, die genau die Art von spitzbübischem Funkeln inne hatten, wie sie der alte Cullen ab und an noch zeigte – warf sich lachend auf das Sofa und umarmte seine Freundin. „Es macht einfach so viel Spaß“, antwortete er und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ja, das sehe ich“, antworte sie leicht genervt; das Lächeln konnte sie jedoch nicht verbergen. „Du trägst zu einem ziemlichen großen Anteil an meiner Heiterkeit bei.“ Der jugendliche Cullen griff nach einer großen Reisetasche, die er mit sich gebracht hatte und stellte sie zwischen sich und Bella. „Rate, was hier drin ist“, forderte er sie auf. Seine Augen leuchteten vorfreudig und er fuhr sich nervös durch seine blond gefärbten Strähnen in den längeren Haaren – gewiss ein gewöhnungsbedürftiger Anblick für all jene, die sonst den so perfekt gestriegelten Stil des Arbeitsmenschen kannten. Jasper räusperte sich. „Du siehst total scheiße aus.“ Edward verdrehte die Augen. „Für jemanden, der einem getoasteten Hähnchen gleicht, würde ich an deiner Stelle wirklich die Fresse halten.“ Nun, aber ganz Unrecht hatte sein Freund nicht. Was in alle Herrgottsnamen hatte er sich damals nur dabei gedacht? Ihm war schleierhaft, warum er seine Haare so verschandelt hatte. Mister Cullen fand, dass er eher einem Teenager aus einer Boyband glich. Wie unsagbar peinlich. Der Mann wollte am liebsten für einen Moment im Erdboden versinken und sich dieser Schmach der Endneunziger abwenden… Dann fiel sein Blick auf die Kleidung, und in diesem Moment wollte er noch ein paar Zentimeter tiefer versinken. Ein beiges, überlanges Hemd über einem weißen Shirt, noch dazu eine beigefarbene Hose. Und dann die Schuhe… Mister Cullen fragte sich ernsthaft, ob er damals nicht bereits einer Kopfverletzung erlegen gewesen sei… Doc Martens? Seufzend schüttelte er leicht den Kopf. Alles an ihm war so unglaublich… beige. Bellas Stimme veranlasste ihn dazu, sich wieder auf das Pärchen zu konzentrieren. „Woher soll ich wissen, was in deiner Sporttasche ist? Ähm… dein verschwitztes Dreckzeug?“ Sie streckte ihm die Zunge raus und stand vom Sofa auf. „Willst du Tee? Ich setz einen Kessel auf.“ In einer Ecke, anscheinend die kleine Kochnische, die aus nichts weiterem als einem kleinen Kühlschrank, einer elektronischen Kochplatte und einem Wasserkocher bestand, füllte sie Wasser auf und griff nach zwei Tassen, die noch als gerade so sauber durchgehen konnten. Edward auf dem Sofa machte es sich gemütlich. „Ich hätte eigentlich lieber gern ein Bier, aber da du schon stehst…“ Er lächelte und öffnete die Tasche. „Rate weiter.“ „Ist es vielleicht ein Auto? Oder eine Ladung Kondome? Hm, vielleicht ist da auch endlich das Pony, dass sich meine Eltern nie leisten konnten?“, grinste Bella und drehte sich an der Anrichte anlehnend zu ihm um. Und dem älteren Mister Cullen verschlug es in diesem Moment kurz den Atem, denn so, wie Bella Swan in diesem Augenblick stand, hatte er sie auch schon damals am liebsten gesehen. Sie war zwar in grauen Jogginghosen und einem großen schwarzen Hoodie gekleidet, aber wenn er ehrlich war, war dies ihm stets die liebste Aufmache gewesen. „Nun komm schon, Baby. Gib dir etwas Mühe“, sagte der junge Edward mit der Zunge schnalzend. Bella setzte sich wieder zu ihm auf das Sofa und atmete tief durch. „Okay… ist da vielleicht etwas für mich drin?“ Sie schenkte ihm ein neckisches Lächeln als sie versuchte, einen Blick in dem schwarzen Bündel zu erhaschen. Edward verdeckte ihr die Sicht. „Nein, ohne schummeln.“ Das braunhaarige Mädchen verdrehte die Augen. „Jesus, nun sag es mir schon. Und überhaupt, warum bist du eigentlich noch hier? Wieso bist du nicht auf der Flurparty? Oder mit den Jungs unterwegs? Ich hätte nicht erwartet, dich vor dem neuen Jahr nochmal zu sehen.“ „Meinst du wirklich, ich würde mich nicht von dir verabschieden?“ Der junge Edward lehnte sich erneut zu dem Mädchen hin und nahm ihr Gesicht äußerst zärtlich in seine Hände. „ Ich kann dich doch nicht ohne ein Weihnachtsgeschenk zurücklassen“, flüsterte er und küsste sie mit einer sanften Hingabe. Mister Cullen bemerkte desweilen nicht, wie sich ein unwillkürliches Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. „Ein Geschenk also“, antwortete Bella, als sie sich lösten. „Ich dachte, wir hatten abgemacht, uns nichts zu schenken? Weil ich doch so sterbensarm und du so unglaublich reich bist, und wir nicht wollten, dass dieser widerliche Unterschied hier reingetragen wird?“ Miss Bella war sichtlich skeptisch. „Ach, ich hab ein Hintertürchen gefunden“, schmunzelte der Junge und gewährte seiner Freundin einen Blick in die Tasche. Die junge Frau sah hinein und holte stirnrunzelnd eine kleine, in Plastikfolie umwickelte Jungtanne im Topf hervor, dessen Stiel samt Erde mit Alufolie umwickelt war. „Eine Tanne?“ „Los, da ist noch mehr“, beharrte Edward. Nach und nach holte Miss Swan nun eine Menge recht weihnachtlicher Sachen hervor: Eine bunte Girlande, kleine Plastikkugeln in den unterschiedlichsten Farben, ein paar Schokoriegel, Kakaopulver zum Aufbrühen, eine Weinflasche, zwei Fertiggerichte Deluxe sowie einen Umschlag, den sie noch nicht öffnen durfte. „Edward, ich verstehe nicht… was hat das zu bedeuten?“ Bella saß mittlerweile etwas ratlos zwischen all den seltsam anmutenden Gegenständen und versuchte sich zu erklären, was das Sammelsurium sollte. „Du kommst wirklich nicht drauf, oder?“ Sie schüttelte den Kopf und besah die Rückseite des Mikrowellengerichts. Der junge Mister Edward erhob sich und befreite die Tanne aus ihrer Verkleidung. „Ich habe mir überlegt, da wir beide nun zu Weihnachten nicht zusammen sein können und unser Leben fürchterlich grausam ist… Bringe ich eben Weihnachten zu uns.“ Die Augen des Mädchens wurden groß und einen Augenblick lang schien sie sprachlos zu sein. „Aber… Weihnachten ist doch erst in drei Tagen…“ Ihr Freund steckte die Lichterkette aus der Steckdose, die auf einer Yucca Palme befestigt war, und dekorierte währenddessen die Jungtanne um. „Scheiß auf Daten. Morgen ist der letzte Uni Tag vor den Trimesterferien – und wir werden uns wohl erst im neuen Jahr wieder sehen. Es sei denn, die Katastrophe tritt ein wie alle behaupten, und die Welt hört auf zu funktionieren, weil alle Computer sterben.“ Er lächelte sie verschmitzt an und griff nach dem Beutel mit den Plastikkugeln. „Und da dachte ich… scheiß drauf. Wir werden zusammen unser Weihnachten haben. Es ist zwar nicht der Vierundzwanzigste, aber es spielt doch keine Rolle. Das wird unser letztes und einziges Weihnachten in diesem Jahrtausend sein. Und ich meine, dass das sicher Grund genug ist, oder? Wir haben zwar keinen richtigen Baum, und was wir haben, reicht vielleicht nicht für ein fünf Sterne Dinner… aber Baum ist Baum, und Essen ist Essen. Und wir beide sind hier“, endete er schließlich. Miss Swan stand nur so da und wusste nicht, was sie antworten sollte. Ihr blieb die Sprache weg, so sehr berührte es die junge Studentin. „Du schenkst mir ein Weihnachtsfest?“ „Ja“, erwiderte ihr Freund schulterzuckend und behängte die kleine, ziemlich armselig wirkende Tanne. „Ich kann doch nicht das letzte Weihnachten im Jahrtausend ohne dich feiern.“ Wenn man nun den Blick auf den älteren Mister Cullen richtete, der sich immer noch mit reichlich Distanz diese Szene ansah, dann würde man mit Sicherheit den melancholischen Gesichtsausdruck erkennen. Es war eine Sache, sich an alte Jugendfreundinnen zu erinnern, aber eine andere, einen gewählten Moment aus dem Leben erneut zu sehen. Es war zudem auch eine noch viel speziellere Angelegenheit, wenn die Frau, die man beobachtete, die Einzige war, die man in seltenen schwachen Momenten hinterhertrauerte. Dies würde Mister Cullen jedoch keinem verraten. „Sieh an, sieh an“, meldete sich Jasper mit einem neckenden Unterton in der Stimme zurück. „Du warst ja ein echter Romantiker, Ed. Es rührt mich so sehr, dass ich beinahe weinen möchte“, fügte er trocken hinzu. „Halt bloß deine Klappe.“ „Du hast sie wirklich gemocht, oder? Ich wette, dass du an dem Abend noch zum Zuge gekommen bist. Bestimmt hat sie dir nicht nur den Marsch geblasen.“ Jasper grinste verschwörerisch. „Hey! Halt bloß den Ball flach, Jasper. So redest du nicht über sie.“ Er blickte wieder auf das Mädchen, die wohl im Zuge der recht einfühlsamen Rede ihren Freund mit einer so stürmischen Umarmung überrascht hatte, dass sie nun beide kichernd auf dem Boden lagen. „Bella war eben Bella.“ Sein toter Freund, der die nachdenkliche Stimmung sehr wohl deuten konnte, ließ aber nicht locker. „Woran ist es dann gescheitert?“ Mister Cullen seufzte genervt. „Was geht dich das an? Es ist eben so, wie es ist, Menschen trennen sich, wenn sie merken, dass es nicht mehr passt. Es hat… einfach irgendwann nicht mehr gepasst.“ Diese vage Beschreibung hielt jedoch noch einige Dinge mehr vor, als er bereit war, zuzugeben. Mister Cullen wusste genau, woran es lag. Denn so harmonisch es in diesem Augenblick noch wirkte, so sachlich wurde die Beziehung zwischen seinem jüngeren Selbst und Miss Swan nach Neujahr. Während er sich als äußerst zielstrebiger BWL-Student Jobs suchte, die ihn beruflich bedingt weiterbringen würden, wollte Miss Swan nichts anderes, als Lehrerin zu werden. Die Ideale hatten sich überschritten – Edward wusste genau, weshalb er Geld wertschätzte, und Bella wusste, warum sie das eben nicht tat. Es war der klassischste und langweiligste Grund für eine Trennung, aber in diesem Fall war es für Mister Cullen zugleich der Furchtbarste: Sie hatte ihn mit all ihren Wertvorstellungen und Prinzipien überholt, und so wurde er schließlich für sie zu dem Menschen, den sie stets so gefürchtet hatte. „Es war ein langer Abend, Ed“, meinte Jasper schließlich und erhob sich streckend von seinem Platz aus der Ecke. „Und wir sind furchtbar spät dran.“ „Ich würde eigentlich noch gerne bleiben“, sagte der nun ziemlich abgespannt wirkende Mann und sah auf sich in der Ausgabe von 1999. „Ich will noch sehen, wie sie den Umschlag aufmacht.“ „Mein Freund, … mach es dir nicht schwerer, als die ganze Scheiße schon ist. Außerdem ist dein Abend noch längst nicht vorbei.“ Dieser Satz brachte Mister Cullen wieder zur Vernunft. „Was soll das heißen? Wie, der Abend ist nicht vorbei? Hör mal, die Halluzination oder Erscheinung oder was auch immer das hier alles ist – ist ja wirklich total nett, aber ich hab gottverdammt keine Lust mehr!“ Mister Cullen wirkte müde, es war so viel, was er heute Nacht gesehen hatte. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als in seinem weichen Wasserbett zu liegen und zu schlafen. Und an nichts mehr denken zu müssen. „Du kennst den Spruch nicht? Aller guten Dinge sind Drei.“ „Verfluchte Scheiße, du Idiot. Kannst du dich nicht einmal ohne deine idiotischen Bemerkungen ausdrücken? Was soll das heißen?!“ Mister Hale trat zu ihm und griff, wie heute Abend in seiner Wohnung auch, nach seinem Arm, auf dem sich die heimtückische Kälte wie ein Schleier legte. „Es bedeutet“, begann Jasper langsam, „dass ich nicht der letzte Geist bin, der dich heute besucht.“ Er zwinkerte und drückte Mister Cullen, dessen Geduld nun wirklich ein Ende fand, freundschaftlich die Schulter, „Mach’s gut, Ed. Gorillahure. Ich hoffe, dass du was lernen konntest.“ Jasper Hale schnipste mit den Fingern, und Edward Cullen wurde in der Zehntelsekunde, bevor sich die seltsame Schwärze über ihn legte, auf eine sehr nervenaufreibende Art bewusst, dass sein verhasster Komazustand offenbar noch weiter gehen würde. Großartig. -------------------------------------------------------------------------- Am 5.12. geht’s weiter… Vielen Dank fürs Lesen! Kapitel 3: Drabble, Drabble, Drabble ... ---------------------------------------- On December the Second our muses just beckoned. Denn dieses Mal gibt es ein paar niedliche Drabbles, die uns bei den zweistelligen Minustemperaturen (*bibber*) ein wenig Wärme spenden sollen. ******************************************* Drabble #I by die-peggy Du sitzt dort neben dem Christbaum und ich sehe dir dabei zu, wie du vorsichtig das Geschenk auspackst. Deine Augen funkeln, deine Wangen werden rot. Du ziehst bedächtig den Brief aus dem Umschlag und liest aufmerksam die Worte, die ich dir geschrieben habe. Du wolltest kein Geschenk, doch ich musste dir etwas geben. Etwas, das nur dir gehört und immer dir gehören wird. Ich begegne deinem Blick, du hältst mich darin gefangen und ich verliere mich in dem samtenen Braun deiner wunderbaren Augen. „Ich liebe dich auch“, flüsterst du und mein Herz scheint für einen unendlichen Moment wieder zu schlagen. ~*~ Drabble #II by lebkuchenherz Weihnachten. Für mich war es, dank meiner Familie, schon immer etwas Besonderes gewesen. Aus diesem Grund wollte ich mich in diesem Jahr endlich bei ihnen revanchieren und gab mir deswegen besonders viel Mühe. Eine Idee war schnell gefunden, sie vor Dad und Alice geheim zu halten jedoch nicht so einfach. Aber auch nicht völlig unmöglich. Die Freude am Heiligen Abend war natürlich umso größer. Das Glänzen in Moms Augen, Onkel Emmetts Jubelrufe und Grandmas Umarmungen werde ich wohl nie vergessen. Meine Überraschung war ein voller Erfolg gewesen und das Gefühl, etwas zurückgegeben zu haben, bescherte auch mir ein unvergessliches Weihnachtsfest. ~*~ Drabble #III by lebkuchenherz "Paul! Lass die Finger davon!" Mist! Hatte sie es doch bemerkt? Dabei hatte ich mich so angestrengt, nicht auf das Sofa zu krümeln. Das würde Ärger geben! Aber ihre frischen Plätzchen hatten so himmlisch nach Zimt geduftet. Ich hatte nicht wiederstehen können. "Entschuldige, bitte", entgegnete ich reumütig. "Schon gut. Und jetzt stell den Esel wieder zurück in die Krippe!" Verwundert ging ich ihrem Wunsch nach. Hatte sie das fehlende Gebäck doch nicht bemerkt? "Wo wir gerade dabei sind, haben dir meine Zimtsterne geschmeckt?", erklang ihre Stimme direkt hinter mir und ich erstarrte. Da hatte ich mich wohl zu früh gefreut. ~*~ Drabble #IV by lebkuchenherz Kalter Wind peitschte mir ins Gesicht, als ich die steilen Klippen hinaufstieg. Weiße Flocken wirbelten durch die Luft und verflüchtigten sich wieder, sobald sie meine heiße Haut berührten. Ich hielt dein Weihnachtsgeschenk in meinen Händen und stellte mir erneut vor, wie ich es dir überreichen würde. Doch meine Phantasie würde niemals Realität werden. Für mich gab es keinen Platz mehr in deinem Leben. Für dich hatte es immer nur einen Weg gegeben. Den ich erst zu spät erkannt hatte. Nun war ich wieder allein. Dein Geschenk in meiner Hand. Es zerbrach, ehe es in die dunklen alles verschlingenden Wellen fiel. ~*~ Drabble #V by dubdug Ich zog mir die Bettdecke bis zur Nase. Irgendetwas lauerte vor meinem Fenster. Die Hoffnung, es mir nur eingebildet zu haben, war längst dahin. Dort draußen war kein Schatten, es war die Silhouette eines Mannes. Meine Hand verkrampfte sich um das Messer. Ich würde es einsetzen. Wenn es darum ging, mein Leben zu retten, würde ich es einsetzen. Langsam und wie aus dem Nichts öffneten sich die Flügel des Fensters. Ein blasses Gesicht tauchte im Mondschein auf und dazu ein Hauch aus Bronze. "Was willst du?", schrie ich. "Nichts", sagte er und stieg ins Zimmer. „Nur dein Blut.“ ~*~ Drabble #VI by dubdug „Ich möchte nicht!“ „Jetzt komm schon, wenigstens mal probieren.“ „Ich habe Nein gesagt!" „Bitte, nur einen Löffel.“ „Nimm den Löffel weg! Ich will nicht!“ „Aber es ist mein Lieblingsessen!“ „Das ist mir egal! Ich möchte nicht!“ „Wenigstens mal pro-“ „Nein!“ „Du hast es nicht mal versucht.“ „Edward, ich muss kein Pumablut probieren, um zu wissen, dass ich es nicht mag!“ Er ließ den Löffel sinken. „Ach, mann.“ Kapitel 4: Capture The Essence ------------------------------ And now get lured on December the Third. Ernsthaft, mir gehen die Worte aus. Allerdings darf man bei dieser Geschichte auch nicht zu viel vorwegnehmen :] That’s why: Just get started and have fun! ****************************************************** Capture The Essence – Das Wesentliche by feane Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, wie meine Kinder es geschafft hatten, mich zu dieser Sache zu überreden. Natürlich hätte ich Nein sagen können. Aber dann hätte ich mein Wort gebrochen, und wenn es eine Sache gab, die noch schlimmer war als das hier, dann war es ein Mann, der seine Versprechen nicht hielt. Ich hätte mich einfach gar nicht erst auf eine Wette mit Edward einlassen sollen. Aber ich war ein Vampir. Es war immerhin ein Leichtes für mich, in die geschlossene Schule zu gehen – einbrechen hörte sich so gesetzeswidrig an –, um diesen merkwürdigen Gegenstand zu suchen. Das hätte ich auch tun können, wenn die Schule mit Menschen gefüllt gewesen wäre, man hätte nicht auf die Weihnachtsferien warten müssen. Ungesehen wäre ich in beiden Fällen geblieben. Und nun stand ich hier, war renommierter Arzt des Forks Hospital und versteckte mich im Halbdunkel hinter einer Wand im Schulflur. Wer konnte auch damit rechnen, am Vorweihnachtsabend ausgerechnet hier einen Lehrer anzutreffen? Ich hätte ihn ignorieren und mich einfach weiter auf die Suche nach dem Gegenstand machen können. Aber irgendetwas hielt mich hier fest; ich war neugierig auf das, was Mr. Banner zu dieser Uhrzeit an so einem Ort veranstaltete. Er machte sich ja noch nicht mal die Mühe, das Licht ganz anzuschalten. Ich beobachtete, wie er in eines der Klassenräume ging, bepackt mit einer großen Tasche, die sehr viel Ähnlichkeit mit einer Reisetasche besaß. Sie musste ziemlich gut gefüllt sein, so wie Mr. Banner das Tragen zu schaffen machte. Ich wagte es nicht, bis hinein ins Klassenzimmer zu gehen. Die Gefahr war zu groß, entdeckt zu werden, selbst wenn ich ein lautloser Untoter war. Dort gab es nicht die Möglichkeit, sich hinter einer Wand oder dergleichen zu verstecken. Aber ich konnte ihn immer noch hören und auch gewisse Dinge riechen. Seinen Schritten nach zu urteilen ging er den Raum ständig auf und ab, alle paar Sekunden blieb er stehen und – wenn ich es richtig interpretierte – wühlte in seiner Reisetasche. Ich konnte einige Gerüche ausmachen: Schokolade, Plastik, Papier und … war das Zimt? Hin und wieder mischte sich ein lieblicher Duft dazwischen, genau bestimmen konnte ich ihn aber nicht. Und die Kombinationen wechselten auch jedes Mal. Und dann … nach ungefähr einer halben Stunde verließ er den Raum und trottete mit seiner Reisetasche zum nächsten. Das wiederholte er einige Male, mittlerweile war es draußen schon kurz vor Mitternacht. Ich folgte ihm jedes Mal, versteckte mich hinter diversen Wänden, Schränken oder auch Spinten. Erst nach gewisser Zeit fiel mir auf, dass seine Tasche mittlerweile leichter geworden sein musste. Dabei hätte ich eher das Gegenteil erwartet. Mr. Banner strengte sich nicht mehr so sehr an, sie zu tragen. In gewisser Weise konnte ich mir fast denken, was genau er hier tat, wenngleich ich mir dessen auch nicht hundertprozentig sicher sein konnte. In Fällen wie solchen wäre eine Fähigkeit wie die von Edward von Vorteil. Als Wissenschaftler war ich nur in der Lage Vermutungen anstellen, die bisweilen durchaus frustrierend sein konnten. Und da mich diese Ungewissheit einfach nicht in Ruhe ließ, tat ich das, was dem am ehesten entgegenwirkte: Ich wartete, bis Mr. Banner im aktuellen Klassenzimmer fertig war und in das nächste ging. Dann schlich ich lautlos in ebendiesen Raum, passte auf, dass die Tür nicht knarrte, lehnte sie sachte an, ohne sie ganz zu schließen und sah mich um. Auch wenn die einzige Lichtquelle der Schein des Vollmonds war, konnte ich mich hier bewegen, als wäre es helllichter Tag. Ich folgte den Gerüchen, die von jedem Platz auszugehen schienen. Jeder einzelne mit einer leicht abgewandelten Note. Ich spionierte Mr. Banner nicht nach – keineswegs. Dass ich mich in diesem Raum umsah, hatte einzig damit zu tun, den Gegenstand ausfindig zu machen, wegen dem ich eigentlich hier war. Nicht einmal Beschreibungen hatten sie mir auf den Weg gegeben, keinen einzigen Hinweis, in welchem Teil der Schule er sich befand. Wie hatte Jasper gesagt gehabt? Wenn du ihn siehst, wirst du wissen, dass er es ist. Schon als ich unter den ersten Tisch schauen wollte, lenkte mich ein Glitzern im Augenwinkel ab. Ich sah in die Richtung, aus der das Funkeln kam und richtete mich wieder auf. In der Nähe der Fenster lag etwas auf dem Boden, etwas Silbernes. Ob das eventuell der Gegenstand war, nach dem ich suchen sollte? Langsam ging ich darauf zu und wollte diesen bereits in die Hand nehmen, als ich hörte, wie Mr. Banner seinen Klassenraum verließ. Ich hielt in meiner Bewegung inne und lauschte den plumpen Schritten auf dem Linoleum. Eigentlich ging ich davon aus, dass er sich entfernen würde, immerhin lagen die Zimmer, in denen er noch nicht war, entgegen meinem Standort. Doch wie es schien, kam er zurück. Wollte er etwa noch einmal in diesen Raum? Auch wenn es nur ein paar Meter bis hierher waren, hatte ich normalerweise genügend Zeit, mir ein Versteck zu suchen. Und doch gestaltete sich dieses Vorhaben schwieriger als erwartet, denn wirklich viele Möglichkeiten gab es nicht. Wenn es denn überhaupt welche gab. Schnell sah ich mich um und musste letztendlich feststellen, dass das einzige Versteck, das einigermaßen sinnvoll war, sich hinter den schweren Vorhängen befand. Als Mr. Banner die Tür öffnete, war ich bereits erfolgreich hinter dem dicken Stoff verschwunden. Durch die Nähte konnte ich das Licht seiner Taschenlampe erkennen, wie es eilig hin und her wanderte. Der Lehrer brummte stetig vor sich hin, offenbar hatte er etwas verloren. Und dann blieb der Lichtkegel reglos stehen – und leuchtete in meine Richtung. Es war unmöglich, dass Mr. Banner mich entdeckt hatte und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass wenn mein Herz noch schlagen könnte, es jetzt vor Anspannung und Aufregung vermutlich heftig gegen meinen Brustkorb klopfen würde. Mein Puls wäre doppelt so hoch und meine Nerven womöglich blank. Aber ich blieb ruhig. Ich konzentrierte mich noch stärker darauf, keinen Laut von mir zu geben und mich wie eine Statue zu verhalten – obwohl das im eigentlichen Kontext normalerweise unmöglich war. Mr. Banner kam mit sehr lahmen Schritten auf mich zu. Jedenfalls dachte ich das am Anfang. Sein Blick war aber gar nicht auf mich gerichtet, vielmehr zielte er auf den Boden zu meinen Füßen; oder den Säumen der Vorhänge. Auch die Taschenlampe deutete nicht mehr auf mich. Und dann wurde mir bewusst, wonach er suchte. Den glitzernden Gegenstand, den ich selbst noch vor ein paar Minuten entdeckt hatte. Der Lehrer beugte sich nach unten und hob ihn auf. Ein paar Sekunden lang starrte er ihn an, wendete ihn in seiner groben Hand, ehe er ihn in seine Reisetasche steckte. Er sah sich ein paar Mal um, als wollte er sichergehen, auch von niemandem entdeckt zu werden, wo er doch normalerweise davon ausgehen konnte, mutterseelenallein zu sein. Es war völlig absurd und dennoch hielt ich instinktiv die Luft an, als er - für einen viel zu langen Zeitraum, meiner Meinung nach – noch einmal in meine Richtung blickte. Erst als er sich allmählich zum Gehen aufmachte, entspannte ich mich ein wenig, und als er den Raum ganz verlassen hatte, wartete ich noch einen Augenblick und lauschte, wie er sich entfernte, ehe ich hinter dem Vorhang hervorkam. Obwohl ich wusste, dass er das Objekt mitgenommen hatte, starrte ich auf die nun leere Stelle auf dem Boden. Mr. Banners Motiv wollte mir aber nicht so richtig in den Kopf, denn dieses kleine Ereignis warf meine ganze Theorie seiner Anwesenheit über den Haufen. Ich musste sichergehen, dass ich mich nicht geirrt hatte, und wenn ich recht behalten sollte, würde ich eben noch herausfinden müssen, was er mit dem glitzernden Gegenstand vorhatte. Ich ging noch einmal die Reihen der Sitzplätze durch, nahm die Gerüche auf und beugte mich dann anschließend hinunter, um unter die Tische sehen zu können. Und als ich erkannte, was sich in den Zwischenablagen befand, bildete sich ein kleines Lächeln auf meinen Lippen. Denn so sehr ich es auch vermutet hatte, so sehr wollte es auch nicht in meinen Verstand, dass ausgerechnet Mr. Banner tatsächlich zu so etwas fähig sein sollte. Ich blickte unter jeden Tisch, um mir ganz sicher zu sein. Je mehr ich entdeckte, desto mehr bestätigte sich meine Theorie. Mr. Banner verteilte kleine, bunte, viereckige Geschenke. Sorgfältig legte er unter jedem Tisch eines ab. Platz für Platz. Raum für Raum. Ich musste die restlichen Zimmer nicht mehr kontrollieren, ich wusste nun, was er am Vorweihnachtsabend hier tat. Und in gewisser Weise ehrte ihn das als Lehrer. Ich hatte nie große Stücke auf ihn gehalten, er war mir immer etwas plump und engstirnig vorgekommen. Doch das hier musste ich ihm zugute halten. Es steckte doch mehr in diesem kurzen Mann, als ich erwartet hätte. Und nun gab es eigentlich nur noch ein Rätsel zu lösen. Ich folgte Mr. Banner weiterhin, beobachtete, wie er die restlichen Klassenzimmer mit Geschenken ausstattete und sogar in den Lehrerzimmern für jeden einzelnen eine Kleinigkeit hinterließ. Sein letztes Ziel war das Eingangsfoyer der Forks High, in dessen Mitte ein bis an die Decke reichender Tannenbaum stand. Er war festlich geschmückt und unter ihm hatte man schon jede Menge dekorative Geschenke verteilt – ohne Inhalt natürlich. So ganz war mir noch nicht klar, was er wollte, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass er die leeren Geschenkattrappen füllen oder austauschen wollte. Seine riesige Tasche musste zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich so gut wie leer sein. Und dann fiel mir auf, was hier noch fehlte – und was demnach der glitzernde Gegenstand gewesen sein musste. Mr. Banner stellte seine Tasche ab und ging hinüber zum Hausmeisterbüro. Von dort holte er eine ausfahrbare metallene Leiter heraus und stellte sie vor dem Weihnachtsbaum ab. Bevor er aber hinaufkletterte, holte er das silberne Objekt und ein Messer aus seiner Tasche. Ich musste kurz die Stirn runzeln, weil ich nicht gleich hinter seinen Plan stieg. Aber dann erkannte ich, dass die Spitze des Baumes so weit an die Decke reichte, dass für eine Figur kein Platz mehr war. Und dass sich Mr. Banner nun mit dem Messer daran zu schaffen machte. Ich beobachtete seine Bewegungen haargenau, denn von meinem Standpunkt aus kam mir das Ganze ziemlich wackelig vor. Doch entgegen meiner Ängste kürzte er die Spitze erfolgreich ein paar Zentimeter und steckte dann mit – und das verblüffte mich noch mehr – ehrfürchtiger Miene den Gegenstand auf den abgeschnittenen Zweig. Und nun, da ich freie Sicht auf ebendieses Objekt hatte, realisierte ich auch, was es darstellte. Eine silberne Weihnachtskugel. Mr. Banner kletterte die Leiter wieder hinab, brachte sie ins Hausmeisterbüro und kam dann zurück, um sich gedankenverloren vor den Baum zu stellen und sein Werk zu betrachten. Auch ich starrte eine Weile auf das nun komplette Weihnachtsbild vor mir, dachte über vergangene Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte nach, und bemerkte nur im Augenwinkel, wie es draußen leise anfing zu schneien. Während Mr. Banner irgendwann seine Sachen zusammenräumte und sich auf den Weg nach Hause machte, blieb ich noch eine Weile an Ort und Stelle. Gut, vielleicht verließ ich auch mein Versteck und tat genau das, was eben noch der Lehrer meiner Kinder getan hatte. Ich stellte mich vor den Baum und bestaunte die Komplettierung, die zwar klein war, dessen Wirkung aber umso immenser wirkte. Aus der Entfernung mochte es für die Menschen nur eine schlichte Kugel sein, doch untersuchte man sie genauer, entdeckte man all die winzigen Verzierungen, von denen eine kunstvoller war als die andere. Jede von ihnen gab es nur ein einziges Mal, auch wenn sich manche an einigen Stellen vielleicht ähnelten. Mir kamen wieder die kleinen Geschenke in den Sinn, welche die Schüler nach den Weihnachtsferien unter ihren Tischen entdecken würden, und an die Ausdrücke in ihren Gesichtern, die sie dann bekämen. Ich lächelte. Jetzt war mir auch klar, warum mich meine Kinder hierher geschickt hatten. Der Gegenstand, den ich suchen sollte, hatte keine materielle Konstante. Es war das, was Mr. Banner tat – vermutlich sogar jedes Jahr. Edward konnte Gedanken lesen, natürlich wusste er, dass ich den Lehrer heute Abend an diesem Ort antreffen würde. Und er wusste auch, was dieser hier vorhatte. Es war also kein Zufall. Meine Familie wollte, dass ich genau das sah. Mochte sein, dass ich ein Befürworter der Menschen war, mich in sie hineinzuversetzen versuchte, mit ihnen mitfühlte. Das änderte aber nichts daran, dass auch ich manchmal den Blick für das Wesentliche verlor. Ich konnte noch so viel Mitgefühl für sie empfinden, konnte mir über all die Jahrhunderte einreden, dass sie es nicht besser wussten, dass sie irgendwann aus ihren Fehlern lernen würden. Und trotzdem musste ich mir jetzt eingestehen, dass ich dieses Verständnis in den letzten Jahrzehnten viel zu weit zurückgeschraubt hatte. Mr. Banner war einer von diesen Menschen, bei denen ich gar nicht erst versucht hatte, hinter die Fassade zu sehen. Ich respektierte ihn und erkannte seine Arbeit an, doch für einen genaueren Blick hatte ich nie das Verlangen besessen. Nun also dieses Schauspiel miterlebt zu haben, gab mir das Gefühl zurück, das mich am meisten ausmachte und welches ich im Laufe meines zweiten Lebens scheinbar aus den Augen verloren hatte. Ein besseres Geschenk hätten mir meine Kinder nicht machen können. Kapitel 5: Die sieben Leben des Mäusekönigs - Part I ---------------------------------------------------- Behind the fourth door of December you might find this tale to remember. Uhh, die Temperaturen gehen wieder ein bisschen in die Höhe. Und trotzdem fällt permanent Schnee. Ebenso kontinuierlich wie die Flocken, die vom Himmel kommen, geht’s auch hier weiter mit einem Märchen. Dieses Mal ist es jedoch eine kleine Überraschung und keines unserer vorgegebenen Themen :] Let yourself be mesmerized! *********************************************************************** A/N des Autors: Inhalt: Bella Swan bekommt in ihrem Ballettensemble die Rolle der Clara. Ein Glücksfall, denn ausgerechnet ihr Schwarm Mike Newton wird den Nussknacker spielen, mit dem zusammen sie den bösen Mäusekönig bekämpfen wird. Doch was genau hat es mit diesem siebenköpfigen Monster auf sich? Am Abend träumt Bella von der ursprünglichen Geschichte und taucht dabei tiefer in das Land der Süßigkeiten ein, als sie es beabsichtigt hatte. Beruht auf dem Ballett „Der Nussknacker” von Pjotr Iljitsch Tschaikowski, welches die Erzählung „Nussknacker und Mäusekönig“ von E.T.A. Hoffmann vertont. Disclaimer: Die Personen gehören S. Meyer, die teilweise in die Rollen von E.T.A. Hoffmann schlüpfen. Begleitet werden sie von Musik von P.I. Tschaikowski. Ich habe lediglich die Handlung ein wenig verändert, ansonsten gehört mir nichts und ich verdiene auch kein Geld mit dieser Geschichte. Anmerkungen: Die McCaw Hall in Seattle ist eine etwas größere Möglichkeit für Konzert-, Theater und Ballettaufführungen. Eigentlich sogar fast noch ein bisschen zu groß für unsere Prima Ballerinas ;) Die Musik soll möglichst zum Inhalt passen, aber da jeder unterschiedlich schnell liest, kann ich leider für nichts garantieren. Aber ich hoffe natürlich für das Beste! ------------------------------------------------------------------------------------------------------------ “I always felt kind of bad for this Clara chick for she’s saving the Land of Sweets, but the Nutcracker gets off with this fairy chick.” Die sieben Leben des Mäusekönigs – Part I by lachmaus Akt Eins - Ouvertüre ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=CtOzjI7giJc ~*~ Esme Evenson, unsere Trainerin, legte die CD ein, schloss den Deckel des kleinen Players und drückte auf Wiedergabe. Augenblicklich begannen die ersten Töne durch die Lautsprecher zu schallen. Es war das Vorspiel, die Einstimmung auf das kommende Ballett, die Ouvertüre zu Tschaikowskis „Der Nussknacker“. Wir Tänzer waren in diesem Stück noch nicht an der Reihe, aber bereits die ersten Klänge brachten alle dazu, sich in ihre Positionen zu begeben. Befänden wir uns schon auf der Bühne, wären wir in diesem Moment noch vom Vorhang verborgen, damit die Aufmerksamkeit des Publikums allein auf dem Orchester und der Musik ruhte. Dann ständen die anderen noch gute fünf Meter weiter von mir entfernt und ich hätte dreimal so viel Platz für meine kommenden Sprünge. Wir würden perlenbesetzte Kostüme anstatt schwarzer, pinker und weißer Bodys tragen und unsere Herzen würden vor Aufregung und Anspannung aus unserer Brust zu hüpfen drohen. Aber unsere Aufführung fand erst in gut vier Monaten statt. Das war gut. Sehr gut sogar. Man konnte nie gut genug vorbereitet sein. Die Proben unseres Ensembles fanden in einer alten Lagerhalle statt, deren Miete wir selbst übernehmen mussten. Als unsere Gruppe noch zur ‚Schule für Freie Künste zu Seattle‘ gehört hatte, hatten wir einen ordentlich ausgestatteten Trainingsraum zur Verfügung gestellt bekommen, aber vor zwei Jahren war Esme mit der Verwaltung aneinandergeraten und gegangen. Und wir mit ihr. Nun probten wir direkt am Hafen in einem Gebäude, in dem es zwar nach Fisch stank, der aber glücklicherweise nicht mehr darin gelagert wurde. Stattdessen war die Hälfte des Raumes mit alten Fässern, Palletten und Kisten, die sich bis zur Decke stapelten, zugestellt. Die andere Seite hatten wir notdürftig mit Spiegeln an einer Wand und alten Sportmatten auf dem Boden auskleidet. Es war nicht ganz einfach, als selbstständiges Ballettensemble finanziell über die Runden zu kommen, aber alle fünfzehn Mann kannten sich seit Jahren und waren praktisch miteinander aufgewachsen. Da ich niemand anderen hatte außer meine Mum, die im Appartement gegenüber wohnte, und meinen Dad, der immer noch in seiner Heimatstadt Forks lebte, waren diese Menschen praktisch meine Familie und diese Halle mein zweites Zuhause. Wir probten fünf Mal die Woche, denn wir hatten alle ein großes Ziel vor Augen: Wir wollten die Besten werden. Und wenn uns keiner helfen wollte – das war uns egal. Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich über viele Hürden hinweg hatte zusammenraufen müssen, bis nur noch wir übrig geblieben waren. Gerade bereiteten wir uns auf eine Aufführung vor, die uns unserem Traum wieder ein Stück näher bringen würde. Denn dieses Mal würden wir nicht in einer Turnhalle einer kleinen Schule, begleitet von blechernen CD-Tönen, auftreten. Esme hatte es geschafft, uns auf die Bühne der McCaw Hall zu bringen. Wir wussten nicht wie und sie wollte es uns auch nicht verraten, aber Fakt war, dass wir einen Abend hatten, um das Publikum von uns zu überzeugen. Um ihnen zu zeigen, dass wir trotz unseres Alters und unserer mangelnden Mittel alles erreichen konnten. Wir würden es schaffen, ihre Herzen zu bewegen – dazu waren wir fest entschlossen. ‚Wir‘ waren vor allem meine beste Freundin und Esmes Tochter Alice Evenson und ihre Cousine Rosalie King, die in diesem Moment auf dem rechten Rand der Matten neben mir ihre Plätze einnahmen. Während Alice öfter vier Jahre jünger eingeschätzt wurde – und so locker alle Kinderparts in unseren Stücken übernehmen konnte – war Rosalie schon immer sehr frühreif gewesen. Auch wenn wir drei erst vierundzwanzig waren, strahlten ihre gerade Haltung und ihr immer kunstvoll zusammengestecktes, blondes Haar etwas überdurchschnittlich Erwachsenes aus. Direkt mir gegenüber, an der anderen Seite der Mattenfläche, hielt sich Angela Weber bereit. Eine liebenswerte Person, die bescheiden, aber gerne und talentiert in den Nebenrollen fungierte. Flankiert wurde sie von Jessica Stanley und Lauren Mallory auf der einen und Leah Clearwater und ihrer Cousine Emily auf der anderen Seite. Die Zwillinge Rachel und Rebecca Black zogen noch schnell ihre Schläppchen über, die sie bei der beinahe einstündigen Erwärmung wie immer weggelassen hatten, bevor sie sich ebenfalls neben ihnen und Tyler Crowley einreihten. Der einzige, der auf ihrer Seite fehlte, war der kleine Bruder von Rebecca und Rachel, Jacob Black. Ausgerechnet er hatte sich beim letzten Training den Fuß verstaucht, obwohl ihm Esme gerade mit der Rolle des Mäusekönigs besetzt hatte. Aber wir waren guter Hoffnung, dass er in paar Tagen wieder auf den Beinen sein würde. Neben Tyler und Jake hatten wir noch zwei weitere männliche Mitglieder. Proportional zu unserer Gesamtzahl waren das überdurchschnittlich viele. So standen auf Alice‘ und meiner Seite neben der rothaarigen, leidenschaftlichen Victoria noch Jasper Hale und Mike Newton. Mike. Ich konnte es nicht verhindern, dass ich zu ihm sah. Das passierte jedes Mal, vor jedem Auftritt und jeder Probe. Beim Training konnte ich es meistens unterdrücken, doch in letzter Zeit fiel es mir schwerer. Bei meinem kurzen Blick zu ihm, entging mir nicht, wie Alice mit ähnlichem Ausdruck zu Jasper schielte. Grinsend piekste ich sie in die Seite. Sie drehte sich zu mir, ehe sie ertappt starr geradeaus schaute. Es sah ihr überhaupt nicht ähnlich, sich nicht einmal verteidigen zu wollen, aber offensichtlich wusste sie, dass sie damit bei mir ohnehin keine Chance hatte. Was Jasper Hale anging, hatte ich sie längst durchschaut. Was Mike Newton anging, war mein kleines Geheimnis glücklicherweise noch ungelüftet. Zumindest von Mike. Als ich mit leicht erröteten Wangen von ihm zurück zu Angela sah, musste sie genauso über mich lächeln wie ich über Alice. Die beiden waren die Einzigen, denen ich von meiner kleinen Schwärmerei erzählt hatte – vor drei Jahren. Eigentlich hatte ich schon, so lange ich mich erinnern konnte, eine Schwäche für seine blonden, wuscheligen Haare, die blauen Augen und seine sorgenfreie Art gehabt. Bei jeder kleinen Unterhaltung tanzte mein Inneres eine kleine Pirouette und von jedem Scherz, den er mit mir machte, würde ich meinen Freundinnen am liebsten so lange erzählen, bis es ihnen zu den Ohren raushing. Mike und ich kannten uns seit knapp zehn Jahren, doch wir waren niemals mehr als Freunde gewesen. Ich wusste, dass er mich mochte, aber als Mädchen sah er mich nicht. Ich sprang fast täglich in hautengen Turnklamotten vor ihm herum und ihn kümmerte es kein Stück; ich erzählte ihm von meinen Lieblingsbüchern und er leitete das Gespräch auf die dazu gehörenden Verfilmungen um, obwohl ich Filme nicht mochte; ich lud ihn auf einen Hot Dog ein und er schleppte die ganze Mannschaft mit. Es war nicht so, als würde er es absichtlich machen. Er war einfach nur zu nett. Er war der Typ Junge, der der alten Oma die Einkäufe nach Hause trug, dem seine Träume, wie das Balletttanzen, wichtiger waren als sein Image zwischen seinen Collegefreunden und der dich auf seinem Gepäckträger nach Hause fuhr, wenn die Straßenbahn ausfiel. Mike war freundlich und zuvorkommend, dabei immer zu einem witzigen Spruch aufgelegt und wusste trotzdem genau, wohin er wollte. Er war niemand, der lustlos im Bett lag oder gern auf der Tasche seiner Eltern lebte. Und wenn er tanzte... so gern ich mein geliebtes Ballett jedem uneinsichtigen Amateur dieser Welt ins Herz drücken wollte, musste auch ich zugeben, dass nicht jeder dafür gemacht war. Dabei waren nicht nur Beweglichkeit, Kraft, Ausdauer und ein Mindestmaß an Taktgefühl ausschlaggebend, sondern – wie bei jeder anderen Kunst – Hingebung, Mühe, Arbeit und Liebe. Es mussten sowohl physische als auch emotionale Aspekte stimmen. Und bei Mike stimmte alles. Er war perfekt. Noch wusste ich nicht, wie ich es anstellen sollte, ihm meine Meinung über ihn möglichst unkitschig und auf eine nicht entwürdigende Art und Weise vermitteln sollte, aber ich setzte all meine Hoffnungen in unser neues Stück. ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=XEvcag9BskA ~*~ Die Ouvertüre ging zu Ende und der erste Akt begann mit der ersten Szene unter dem Weihnachtsbaum. Bei fünfzehn Leuten mussten ein paar Rollen doppelt und dreifach besetzt werden, vor allem bei den Gruppenchoreografien. Alice und Rosalie setzten im richtigen Moment ein und sprangen in die Mitte der Matten; Lauren und Angela kamen ihnen parallel entgegen. Ihre Schritte hallten laut über die Musik hinweg, das Schleifen ihrer Fußspitzen über den Boden mischte sich zur Melodie und sogar ihre kraftvollen Armbewegungen erzeugten Geräusche in der Luft. Als Kind hatte ich die Vorstellung, der lautlos über die Bühne gleitenden Ballerina, geliebt, aber inzwischen wusste ich, dass Tanzen auf Spitzenschuhen sowie in den einfachen Schläppchen alles andere als leise war. Ohne das Klacken und Scharren wäre es für mich inzwischen schon gar nicht mehr das Gleiche. Es dauerte nicht lang und mein Einsatz kam. Im Gegensatz zu allen anderen Mädchen war ich die Einzige, die nur eine Rolle besetzte. Selbst Jessica, die später im schönsten aller Kleider als Zuckerfee tanzen durfte, musste jetzt als Teil der Gruppe fungieren. Aber nachdem Mike zum Nussknacker berufen worden war, war mir klar gewesen, welche Rolle ich in diesem Stück würde übernehmen müssen. Zwei ganze Wochen hatte ich neben den üblichen Proben und meinen Vorlesungen dafür geübt, dass ich an seiner Seite tanzen durfte. Bis ich es geschafft und die Rolle der Clara ergattert hatte. Gerade als ich zum ersten Sprung ansetzen wollte, wurde abrupt die Musik leise gedreht und Esme klatschte schallend in die Hände. Vor lauter Schwung fiel ich beinahe vorneüber und konnte mich gerade noch in der Bewegung abfangen. Verwundert lösten sich alle aus ihren Positionen und sahen zum CD-Player an der Wand. Neben Esme stand niemand geringerer als Carlisle Cullen, mein Patenonkel. Er war ein guter Freund meiner Mutter und seit ich als Kind aufgrund meiner Tollpatschigkeit beinahe wöchentlich dem Krankenhaus einem Besuch hatte abstatten müssen, war Dr. Carlisle Cullen fast zu einer Art Vaterersatz für mich geworden. Seit ich mit Ballett angefangen hatte, hatte sich an meinem Gleichgewichtsgefühl glücklicherweise einiges getan, doch Carlisle war trotzdem ein enger Vertrauter von mir und meiner Mutter geblieben. Es war nicht unüblich, dass er zu unseren Proben dazu stieß – jedoch weniger wegen mir, sondern viel mehr um seine rare Freizeit mit Esme zu verbringen. Unsere Trainerin hatte sie vor einigen Jahren in den gutaussehenden, blonden Arzt verguckt und es hatte nur wenige Monate gedauert, bis aus ihnen das Traumpaar geworden war, welches nun vor uns stand. Dass sie uns aber mitten im Training unterbrachen, war mehr als unüblich. Erst auf den zweiten Blick sah ich, wie sie beide leise etwas miteinander diskutierten. Esmes Stirn war in Falten gezogen und ihre Mundwinkel hingen nach unten. Esme Evenson war sonst eine wirklich hübsche Frau, genau wie ihre Tochter. Ihr Markenzeichen war, dass sie vom Alter her unsere Mutter hätte sein können, aber locker als unsere große Schwester durchging. Wenn sie ihre dunklen Haare nicht – wie auch in diesem Moment – beim Training immer zu einem lockeren Dutt zusammengebunden hatte, fielen sie ihr in leichten Wellen über die Schultern und umrahmten dabei ihr herzförmiges Gesicht. Doch nun waren ihre femininen Züge vor Sorge verzerrt. „Kommt bitte alle mal her“, rief sie uns zu und binnen weniger Sekunden hatten wir uns um die beiden herum versammelt. „Mom, was ist passiert?“, fragte Alice sofort. In Momenten wie diesem, sprang einem die Ähnlichkeit zwischen ihnen praktisch ins Auge; wie sie die Schultern nach vorn schoben, das Gesicht verzogen und an ihren Fingernägeln spielten. „Es ist Jacob“, erklärte Carlisle. Normalerweise hätte er mich bereits in eine kurze Umarmung gezogen oder mir zumindest ein kleines Lächeln geschenkt, aber heute sah er mich lediglich eindringlich an, als ob ich nicht auch so schon längst verstanden hätte, dass etwas nicht in Ordnung war. „Was ist mit ihm? Wie geht es seinem Fuß?“ Die Zwillinge sahen sich besorgt an, während ich angespannt auf meiner Unterlippe kaute. Alice griff mit ihrer kleinen Hand nach meiner. Leah Clearwater, von der wir alle wussten, dass sie heimlich ein bisschen verliebt in ihn war, überspielte ihre Sorge, indem sie seufzend die Augen verdrehte. „Ich komme gerade aus dem Krankenhaus.“ Carlisle schüttelte den Kopf. „Das Röntgenbild hat gezeigt, dass sein Knöchel nicht nur verstaucht ist. Es ist ein Bruch.“ Ein Stöhnen ging durch unsere Gruppe; vereinzeltes Fluchen kam von den Jungs. „Wie lange wird er ausfallen?“ – „Muss er einen Gips tragen?“ – „Wann kann er wieder tanzen?“, kam es von allen Seiten. Carlisle und Esme tauschten einen besorgten Blick aus. Schließlich atmete mein Patenonkel tief durch und antwortete: „Er hat jetzt einen Gips; den muss er mindestens acht Wochen tragen. Und dann kann er erst mit der Krankengymnastik anfangen.“ „Scheiße“, murmelte Alice leise und sprach damit meine Gedanken aus. Noch nie hatte ich die fröhliche Musik im Hintergrund unpassender gefunden. „Was machen wir jetzt? Wir brauchen einen neuen Mäusekönig“, stellte Lauren fest. Sie war das einzige Mädchen, mit dem ich nie vollständig warm geworden war, obwohl sie mit Jessica sehr gut auskam und in diesem Moment meine Gedanken exakt wiederholte. Natürlich sorgten wir uns alle um Jakes Gesundheit, aber mit seinem Ausfall brachte er nicht nur die Vollständigkeit unserer Gruppe, sondern auch unsere Aufführung ins Wanken. „Wir würden gerne zu ihm ins Krankenhaus fahren“, meldete sich Rebecca zu Wort. Esme seufzte tief und nickte. „Ich würde das Training für heute gerne generell beenden.“ Sofort brach ein lautes Raunen los, was sehr viel lauter war als das Tuscheln von eben. „Training beenden?“, flüsterte Angela. „Ich musste mir für heute extra freinehmen.“ „Ruhe, Kinder!“ Esme hielt beide Handflächen nach oben und sah uns alle der Reihe nach an. „Das ist nicht das erste Mal, dass jemand von uns ausfällt und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Ich möchte, dass jetzt alle bis auf die Jungs nach Hause gehen. Macht bei euch noch ein paar Trainingseinheiten, dehnt euch, übt die kleinen Sachen und Schritte, verinnerlicht einfach schon mal weiter die Abfolgen. Wir vier“, sie nickte Mike, Tyler und Jasper zu, „trainieren jetzt noch mal zusammen und gucken, ob wir eine andere Lösung finden. Einer von euch muss jetzt für Jacob einspringen; mal sehen, wie wir das tauschen.“ „Alles klar.“ Die drei nickten und gingen zurück auf die Matte, um sich wieder aufzuwärmen. „Mom!“, flüsterte Alice, als die anderen sich nach und nach Esmes Anweisungen fügten und zu ihren Trainingstaschen zurück gingen. „Das ist eine Katastrophe.“ „Ich weiß.“ Esme schüttelte niedergeschlagen den Kopf. „Der Mäusekönig ist eine komplizierte Rolle, Jake war die ideale Besetzung. Tyler und Jasper brauche ich eigentlich unbedingt in den anderen Positionen. Fritz, Drosselmeyer, der Cavaliere der Zuckerfee und all die kleinen Parts... wir wechseln ohnehin schon zu viel. Gott, wie mache ich das bloß?“ Der letzte Teil war nur mehr ein Murmeln zu sich selbst, während sie sich mit beiden Händen über das Gesicht fuhr. Carlisle legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an seine Brust. „Esme, wenn wir irgendetwas tun können… ein paar von uns könnten ja auch in die männlichen Rollen schlüpfen“, bot ich leise an, auch wenn ich so gut wie sie wusste, dass das bei tragenden Parts wie dem Mäusekönig praktisch unmöglich war. Sicher, Alice könnte man irgendwie in das Kostüm des kleinen Fritz zwängen, aber sobald eine Hebefigur in der Schrittabfolge auftauchte, schloss das jedes Mädchen automatisch aus. Was man im Training zwischendurch mal üben konnte, war in keinem Fall eine wirkliche Option für einen Auftritt. Besonders nicht bei einem solchen Auftritt. „Danke Bella.“ Esme lächelte matt und tätschelte mir den Arm. „Geht am besten nach Hause, Mädchen. Ich spreche mich mit den Jungs ab, wir werden schon eine Lösung finden.“ Stumm sahen Alice und ich uns an, ehe wir zu Carlisle blickten. Der zog uns beide in eine kurze Umarmung und murmelte: „Wehe, ihr übt nicht zuhause.“ Alice gab ihrer Mutter noch ein Küsschen auf die Wange, bevor wir ihr zuwinkten, zögerlich unsere Taschen griffen und mit den anderen die Halle verließen. Ein paar Minuten standen wir noch versammelt vorm Eingang, ehe wir missmutig aufgaben und unsere Heimwege antraten. Ich fuhr mit Jessica zusammen in der Metro. Jessica Stanley wohnte nur einen Block von mir entfernt und wir waren schon seit den Kinderschuhen miteinander befreundet. Sie hatte braune, lockige Haare, die sie ein ganzes Stück größer wirken ließen, als sie eigentlich war, und riesige Hundeaugen, die sofort jeden Beschützerinstinkt weckten. Zusammen hatten wir unsere ersten Ballettstunden genommen und die ersten Jahre der Mittelschule hinter uns gebracht. Jessica war weitaus femininer als ich und hatte sich auch schon lange vor mir für Jungs und Makeup interessiert, wodurch sich unsere Interessen irgendwann sehr stark voneinander unterschieden hatten. Unsere Freundschaft war zwar längst nicht mehr so eng wie noch vor ein paar Jahren, aber ich wusste, dass ich mich immer auf sie verlassen konnte. Wenn wir zusammen zum Training fuhren, brachten wir uns gegenseitig mit den wichtigsten Neuigkeiten auf den aktuellen Stand und gingen somit auf Nummer Sicher, dass wir uns niemals wirklich vollständig aus den Augen verloren. Es gab selten Tage, an denen Jessica wirklich mürrisch oder zickig war, weswegen man ihr auch einfach nicht böse sein konnte, falls ein solcher Fall mal eintrat. Es gab jedoch Momente, in denen ich glaubte, dass Jessica schlicht und ergreifend zu einfältig war, um richtige Wut zu empfinden. Selbst nach diesem Nachmittag hielt ihre Besorgnis nur wenige Stationen an. Schon bald schwärmte sie wieder davon, wie sehr sie sich darüber freute, mit mir zusammen die weiblichen Hauptrollen tanzen zu dürfen. „Es ist so lange her, dass wir so etwas zusammen gemacht haben! Ich weiß ja, dass Esme sich einfach immer um Gleichberechtigung bemüht, aber manchmal ist es trotzdem ganz schön schade, dass, wenn man ein Mal eine wichtige Rolle eingeheimst hat, die nächste erst wieder in hundert Jahren kommt. Und dass es dann dieses Mal uns beide trifft... das wird so großartig, Bella! Großartig!“ Obwohl ich ihre Freude darüber teilte, konnte ich mich nicht lange darauf konzentrieren, ihr zu folgen. Ständig schweiften meine Gedanken zurück zu Jake und der Aufführung. Vielleicht würde ich ihn am kommenden Tag vorm Training auch besuchen. Es musste furchtbar sein, sich das Bein zu brechen, wenn man so kurz vor einer Hauptrolle gestanden hatte. So wie ich Jake kannte, machte er sich außerdem sicherlich Vorwürfe, uns mit seiner Verletzung im Stich zu lassen. Und so gerne ich ihm das dann ausreden würde – irgendwie tat er das auch. „Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich die Zuckerfee tanze?“ Jessica unterbrach mit dieser seltsamen Frage meine Gedankengänge. „Ähm… nein?“ Ich wusste nicht, woher diese Sorge jetzt kam. „Na ja, nur… weil, du weißt schon. Der Nussknacker im Stück ja mit der Zuckerfee zusammen ist.“ Hö? Mit der Zuckerfee? Meinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, musste ich wirken, als hätte sie mir eben eröffnet, dass ich bei der Geburt vertauscht worden war. „Der Tanz am Ende? Im Finale?“, sagte sie langsam. „In dem Ballett sind der Nussknacker und die Zuckerfee verlobt?“ Sie wartete darauf, dass der Groschen bei mir fiel. Tat er aber nicht. Davon hörte ich zum ersten Mal. Aber der Nussknacker war doch für Clara bestimmt. Sie musste sich irren. Mike und ich, wir sollten doch… Realisierend, dass sie immer noch auf eine Antwort von mir wartete, murmelte ich schnell: „Nein, macht mir überhaupt nichts aus.“ Jessica sah mir einen Moment noch mal eindringlich in die Augen, um sicher zu gehen, dass ich die Wahrheit sagte, aber ich war immer noch zu beschäftigt damit, herauszufinden, ob ich mich so sehr vertan hatte. Dann lächelte sie breit und griff nach meiner Hand. „Wow, bin ich erleichtert. Ich dachte schon, du wärst böse. Denn ich freu mich da so sehr drüber! Weißt du, das ist wie ein Omen, ein Zeichen! Mike und ich, also der Nussknacker und die Zuckerfee… Ich weiß ja, dass du früher mal in ihn verliebt gewesen bist, deswegen hatte ich Angst, du wärst vielleicht sauer. Denn ich möchte nicht, dass das irgendwie zwischen uns steht.“ Jetzt machte es Klick. Ich war nicht die Einzige. Ich schluckte und während ich ihre großen, glänzenden Augen sah, rasten die Gedanken in meinem Kopf an mir vorbei, ohne dass ich sie wirklich greifen konnte. Das veränderte die gesamte Situation. Was sollte ich denn nun machen? „Nein, kein Problem“, wiederholte ich abwesend. Sie wollte gerade ansetzen, weiter zu reden, aber ich wollte ihr am liebsten die Hand über den Mund schlagen. In einer Kurzschlussreaktion stand ich auf, erfand eine Entschuldigung, dass ich schon früher aussteigen und etwas in der Stadt für meine Mutter besorgen musste, und sprang beim nächsten Stop aus der Metro. Benommen setzte ich mich auf die Bank zu den anderen Wartenden, bis die nächste Bahn kam. Ich hatte zwar ein schlechtes Gewissen, Jessica angelogen zu haben, aber um diese Neuigkeiten zu verarbeiten, brauchte ich erstmal einen Moment. Oder eine Stunde. Oder einen ganzen Abend. Warum war mir das nicht früher aufgefallen? Warum wusste ich davon nichts? Was bedeutete das für mich? Was bedeutete das für Mike? Wie sollte ich damit umgehen? Die paar Minuten Extra-Nachhauseweg brachten mir keine Erleuchtung. Zuhause angekommen klingelte ich nicht bei Mom, sondern schloss gleich die Tür zu meinem Appartement auf. Die Einsamkeit der Zweizimmerwohnung war genau das Richtige und nach einem winzigen Abendbrot, kroch ich sofort in meinen Schlafanzug und damit ins Bett. Bis ich das erste Mal einnickte, dauerte es leider noch mehrere Stunden. Mein Verstand wollte einfach nicht zur Ruhe kommen. Gott, ich hoffte, Mike würde mein Nussknacker bleiben. Akt Zwei – Der Kampf Die ganze Nacht verbrachte ich damit, mich von einer Seite auf die andere zu drehen. Sobald ich die Augen schloss, sah ich Mike und Jessica vor mir. Am liebsten hätte ich laut geschrien oder zumindest ein Kissen gegen die Wand geworfen, aber ich konnte den beiden einfach nicht böse sein. Wie auch, es gab ja nichts, worüber ich mich aufregen konnte. Es war nicht gesagt, dass zwischen den beiden irgendwas lief und selbst wenn, dann wäre ich nur selbst schuld, wenn ich bisher nichts davon gemerkt hatte. Wie sollte ich Jessica vorwerfen, in Mike verliebt zu sein, wenn ich selbst tausend Gründe nennen konnte, weshalb sie gar keine andere Wahl hatte? Doch das Schlimme war, dass ich wusste, dass ich nicht gegen meine Freundin antreten konnte. Weder war ich auf so etwas Unreifes scharf, wie sich über einen Jungen zu streiten, noch wollte ich – ebenso wie Jessica – meine Freundschaft zu ihr wegen sowas aufs Spiel setzen. Wo ich doch gegen sie ohnehin keine Chance hatte. Sie war nicht nur hübsch und tänzerisch talentiert, sondern auch wirklich nett. Himmel, sie hatte mich sogar gefragt, ob es mir was ausmachte, dass sie mit Mike tanzte! Und ich hatte verneint! Wie dumm konnte ein Mensch sein? Außerdem wollte mir dieser Fakt immer noch nicht in den Kopf: Warum sollte der Nussknacker am Ende mit der Zuckerfee zusammen kommen? Ich hatte extra die Originalerzählung gelesen und da hatte das alles ziemlich eindeutig geklungen: Clara bekam von ihrem Patenonkel einen hölzernen Nussknacker geschenkt, und kämpfte mit ihm und den Zinnsoldaten ihres Bruders gegen die Armee des Mäusekönigs, der den Holzmann umbringen wollte. Sie besiegten den Mäusekönig; brachen damit den Fluch, der auf dem Nussknacker lag; er verwandelte sich in einen Prinzen und zusammen reisten sie in das Land der Süßigkeiten, in dem sie glücklich bis an ihr Lebensende zusammen waren. Immerhin befreite Clara ihn von diesem Zauber und rettete damit das sein ganzes Königreich – es war doch nur logisch, dass sie auch mit ihm glücklich werden würde. War das im Ballett etwa anders ausgelegt? Konnte es sein, dass ich das übersehen hatte? Ich hatte so hart trainiert, damit ich Mikes Clara werden konnte – brachte mir das am Ende gar nichts? Diese Gedanken wanderten mir so und anders die ganze Nacht durch den Kopf und ließen mich kaum schlafen. Es verging Minute um Minute, wobei mir meine Küchenuhr immer wieder leise die vollen Stunden schlug. ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=7pd-_Mc4i24 ~*~ Es war kurz vor Mitternacht, als es begann. Meine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt und ich konzentrierte mich gerade auf das leise Geräusch, das die Äste von sich gaben, die der Wind immer wieder gegen meine Scheibe drückte. Zuerst dachte ich, ich würde es mir einbilden, als ich etwas aus der Küche hörte. Für eine Sekunde hielt ich den Atem an und blendete das kratzende Gesträuch aus. Es klang wirklich so, als wäre da was in meiner Wohnung. Ich schluckte. Für einen Einbrecher war es zu leise und überhaupt hatte ich Schwierigkeiten, das leise Knarren und Schirren irgendwie zuzuordnen. Mich beruhigend, dass ich bestimmt nur das Fenster in der Küche offengelassen hatte und irgendwas umgefallen war, schob ich erst ein und dann das andere Bein aus dem Bett, stand auf und tapste im Dunkeln durch mein Schlafzimmer. Von hier trat ich in den winzigen Flur, der direkt zu meiner offenen Kochzeile führte. Das Licht unter der Abzugshaube war an und warf wie immer einen friedlichen Schein über den Raum. Alles wirkte ganz normal. Ich lachte leise über meine Schreckhaftigkeit. Diese ganze Nacht voller wirrer Ideen hatte mich offensichtlich total durcheinander gebracht. Kopfschüttelnd holte ich mir ein Glas aus dem Hängeschrank und füllte es mit Leitungswasser. Aber gerade als ich den ersten Schluck nahm, hörte ich es wieder. Es war ein Piepen und Fiepen, kleines Scharren und Huschen – und als ich dieses Mal auf den Boden blickte, sah ich sie: Mäuse. Nicht nur zwei oder drei, sondern viele. Richtig viele. Sie waren überall; unter dem Tisch, den Stühlen und Schränken, unter und auf der Heizung. Da waren dunkle Knäule in jeder Ecke und sie bewegten sich und krabbelten flink und geschickt überall hin. Es waren mehr, als ich zählen konnte. Ich schrie auf und überschüttete mich mit Wasser, was wiederum die kleinen Nagetiere zu erschrecken schien, denn für einen kurzen Moment schien es, als würden sie alle in der Bewegung innehalten. Inmitten dieser absurden Situation schlug meine kleine Küchenuhr über dem Esstisch Mitternacht. Eine unheimliche Stille breitete sich während des Glockenschlags aus. Schwer atmend drückte ich mich rücklings an meine Küchenzeile; das Glas hatte ich einfach in die Spüle gleiten lassen. Wo kamen all diese Tiere her? Mein Blick fiel auf die immer noch läutende Uhr. Sie war ein Reisegeschenk von Carlisle gewesen und hatte die Form eines Uhus, der beim Glockenschlag seine Flügel ausbreitete. Noch nie war sie mir so unheimlich vorkommen wie in diesem Augenblick. Als das Läuten verklang, traute ich meinen Augen nicht. Es sah aus, als würde anstatt der gruseligen Eule Carlisle selbst auf der Uhr sitzen und mit einem irren Blick immer wieder die Seiten seines Kittels öffnen und schließen. Um mich herum huschten immer noch die Mäuse umher und als ich das erste Kitzeln an meinem Fuß spürte, schrie ich abermals auf. Ich zuckte zurück und drückte mich noch enger an die Theke. Die Nager schienen angriffslustiger zu werden und immer öfter streifte mich eine, bis eine besonders Mutige sogar vom Hängeschrank auf mich runter sprang. Ich quiekte, hob schützend die Arme und flüchtete mich auf die andere Seite des Raumes. All meinen Mut zusammengenommen, tapste ich durch die krabbelnden, kitzelnden, piepsenden Massen zum Fenster und öffnete es. „Los, raus!“, rief ich, doch keiner schenkte mir Beachtung. Stattdessen taten sie merkwürdige Sachen. Es war beinahe so, als würden sie sich in Gruppen zusammen finden und sich der Reihe nach aufstellen. Angewidert nahm ich ein paar der kleinen Monster und setzte sie draußen auf dem Notausgang ab. Aber in Windeseile waren sie auch schon wieder drin und nahmen ihren vorigen Platz in der Aufstellung ein. Plötzlich knallte es hinter mir. Mit einem Aufschrei fuhr ich herum und entdeckte eine kleine Rauchwolke auf dem Tisch. Sie war rot und lila und stank fürchterlich nach Schwefel. Ich blickte zurück auf die Mäuse, die sich wie eine Armee um den Tisch versammelt hatten und immer weiter darauf zu krochen. Doch so schnell wollte ich nicht aufgeben. Noch einmal und noch einmal versuchte ich, die Tiere vor meinem Fenster auszusetzen, warf sie zum Teil hinaus, scheuchte sie, aber die Mäuse wurden lauter und kämpften sich ihren Weg immer wieder zurück in das Innere meiner Wohnung. Es schien aussichtslos. Mittlerweile saßen sie auf den Küchenstühlen und als ich zu meinem Tisch sah, hatte sich die Rauchwolke verzogen und gab mir den Anblick auf das Widerlichste frei, was ich jemals gesehen hatte: Es war eine Maus, fast so groß wie mein Unterschenkel. Sie ging aufrecht und wirbelte mit einem Schwert umher, während ein kleiner Umhang um ihren hässlichen Körper flatterte. Doch das Schlimmste waren ihre Köpfe: Sie besaß sieben davon, jeder mit einer kleinen Krone. Sie stießen ekelhafte, grunzende Geräusche aus und kämpften gegenseitig um die Dominanz. Sie schien den kleineren Nagern Befehle zuzurufen, denn plötzlich wandten sie sich gegen mich und kamen auf mich zugewuselt. Eine biss mich in den Fuß, worauf ich aufstampfte und sie am Schwanz erwischte. Die anderen kamen ebenfalls und umzingelten meine Beine. Mir drangen die Tränen in die Augen. Blindlings tastete ich nach einer Waffe, bis meine Hand den Toaster auf der Anrichte zu fassen bekam. Ich zerrte ihn aus der Steckdose und warf ihn mit einem ohrenbetäubenden Geräusch auf den Boden. Der Angriff hatte geklappt, denn sie schreckten alle in die äußerste Ecke des Raumes zurück. Einen kurzen Moment überlegte ich, durch das Fenster zu flüchten, aber ein Blick die fünf Etagen die Feuerleiter hinunter reichte, um diesen Plan aus meinem Kopf wieder zu verbannen. Ich wandte mich zurück zur Küche und zu meinen Angreifern. Die Mäuse kamen näher, während ich panisch den Kopf hin und her drehte, um auch keinen unvorhergesehenen Angriff zu verpassen. Immer wieder schielte ich zur Tür, aber die vielen Mäuse versperrten mir den Weg. Machte ich einen Schritt nach vorn, kamen sie mir ebenso entgegen. Ich atmete tief durch, schloss die Augen und machte mich darauf gefasst, von ihnen angefallen zu werden. Blitzschnell bewegte ich mich nach vorn, doch schon beim ersten Tritt stolperte ich über irgendwas und fiel gegen die Wand und direkt in die pelzigen Biester. Sie schrien und quiekten und krabbelten über mein Gesicht, was ich so schnell wie möglich versuchte, mit meinen Armen zu verdecken. Als ich die Augen wieder aufmachte, um die Nager von mir zu stoßen, wirkten sie auf einmal viel größer. Ich schrie, aber meine Stimme ging in dem Gewusel unter. Sie wurden immer größer und größer und erst als ich zu dem riesigen Stuhlbein zu meiner Rechten sah, wurde mir bewusst, dass ich schrumpfte. Der Tisch erhob sich über mir und die Anrichte war wie ein gigantischer Berg. Der Weg zur Tür schien unerreichbar fern. Meine kleinen Glieder schmerzten, als ich mich aufrappelte und mich plötzlich mit Monstern konfrontiert sah. Es gab nur noch eine Möglichkeit: Die Flucht. Ich wollte so schnell laufen, wie ich konnte, aber allein der Weg von einem Stuhlbein zum nächsten war wie ein 100-Meter-Lauf. Die Mäuse kreisten mich ein, griffen mich aber nicht an. Vielleicht waren sie von diesem bösen Zauber, der mir meine Größe geraubt hatte, genauso eingeschüchtert wie ich. „Geht weg!“, schrie ich so laut, wie es ging. „Lasst mich gehen, bitte!“ Doch sie kamen meinem Flehen nicht nach. Stattdessen reckten sie ihre großen Köpfe mit den langen Schneidezähnen nach oben. Als ich ihrem Blick folgte, konnte ich das siebenköpfige Ungetüm sehen, das von zwei seiner Untertanen den Tisch hinunter getragen wurde. Es war beinahe eine majestätische Prozedur, wie er mit wehendem Umhang von der Tischplatte nach unten glitt und die Mäuse ihren Anführer feierten. Ich nutzte den Augenblick der Ablenkung und rannte zu dem Handfeger in der Ecke und versteckte mich dahinter. Sobald die Missgestalt auf dem Fußboden angekommen war, bemerkten die Nagetiere mein Verschwinden und begannen nach mir zu suchen. Ich hielt den Atem an – obwohl der unter dem ganzen Piepen und Rascheln ohnehin nicht zu hören war – und drückte mich so eng es ging zwischen die Borsten des dreckigen Besens. Aber das war in diesem Moment mein kleinstes Problem. In Gedanken betete ich, dass sie mich nicht fanden, dass das alles nur ein schlechter Traum war und ich wenigen Sekunden in einer nagetierfreien Wohnung aufwachen und wieder groß sein würde. Bitte, bitte, es sollte schnell vorbei sein! Gerade als ich eine schnüffelnde Schnauze neben mir hörte und schon mit dem Schlimmsten rechnete, tat es einen weiteren Schlag. Ich zwang mich, ein Auge zu öffnen, von denen ich nicht gemerkt hatte, sie zugekniffen zu haben, und sah wie sich die gesamte Armee von mir weg zu meinen Küchenschränken gewandt hatte. Hinter den verschlossenen Türen rumpelte und donnerte es, als würde mein Geschirr und Hausrat zum Leben erwachen. Als die Türen aufflogen, bewahrheitete sich meine Vermutung, Angst und Hoffnung. Die Teller und Tassen flogen in hohem Bogen aus den Regalen, gefolgt von Besteck und Töpfen. Ich presste mir die Hand auf dem Mund, um nicht laut aufzuschreien, und beobachtete starr wie die Borsten neben mir, wie das Geschirr nicht in tausend Stücke zersprang, sondern sich in Reih und Glied den haarigen Biestern gegenüber aufbauten. Die Mäuse reagierten ebenfalls und nahmen Hals über Kopf ihre Kampfpositionen wieder ein. Und dann sah ich ihn. Wo er herkam, wusste ich nicht, aber zwischen den Tassen und Gläsern kam er plötzlich hervorgetreten. Der Nussknacker. Er trug eine rote Uniform mit goldenen Knöpfen, die im Licht des Abzughaubenlichts glänzten, weiße Hosen und schwarze Stiefel. Sein Kopf war viel zu groß – er hatte riesige Augen, Nase und Zähne – und schien für seinen normalen Körper viel zu schwer. Ich blickte hoch zu meiner Uhr und sah erneut meinen Patenonkel, wie er anstatt des Uhus die Szenerie von oben mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete. Wie konnte er nur so gelassen sein? Trotz, dass ich mir nicht erklären konnte, wie ich in diese Situation gekommen war, war nun eindeutig, dass es sich um die Geschichte des Nussknackers handeln musste. Das furchtbare Biest, das den armen Holzmann weit überragte, konnte demnach niemand anderes als der Mäusekönig sein. Ich wusste noch nicht wie, aber irgendwie musste ich auf die andere Seite meiner Küche zu der Armee aus Küchenzubehör kommen. Den ganzen Körper angespannt, beobachtete ich, wie sich die beiden Parteien, gegenüber voneinander aufbauten. Während bei den Mäusen alles drunter und drüber ging, sie sich gegenseitig bissen und übereinander sprangen, lief auf der anderen Hälfte alles sehr organisiert ab. Vorne positionierten sich die Gabeln mit den Zinken zu ihren Gegnern, dahinter die Tassen und Gläser. Die Untertassen bewaffneten sich mit den Messern, dann ging es der Größe nach aufwärts, bis mein einziger großer Eintopfkessel den Abschluss bildete. Der Nussknacker gab genauso wie der Mäusekönig vereinzelte Anweisungen, sah aber immer wieder hinter die Reihen der Nager. Hoffentlich, um mich zu entdecken. Vielleicht wusste er, dass es mich gab. Die ersten Angriffe gingen los. Die Mäuse stürzten sich gegen die Teller und die Gabeln gegen die Mäuse. Tassen zerbrachen und schleuderten ihre Stücke quer über den Boden. Eins rutschte mir direkt vor die Füße. Während ich angstgelähmt dabei zusah, wie der Mäusekönig seine Diener in den Kampf schickte, zog mich plötzlich jemand am Arm. Mein Kopf wirbelte herum und mein Herz rutschte mir bis in die Kniekehle. Doch als ich ihn erkannte, spürte ich zum ersten Mal wieder Hoffnung. „Mike!“, rief ich. „Clara!“, entgegnete der Nussknacker und sah schnell nach links und rechts. „Ich bin der Nussknacker. Hab keine Angst, ich beschütze dich.“ Er erkannte mich nicht, aber für den Moment war das in Ordnung. Hauptsache er brachte mich hier raus. Schnell wand ich mich zwischen den Borsten hervor und versteckte mich hinter ihm, während er begann, uns an der Wand entlang mit einem Zahnstocher einen Fluchtweg freizukämpfen. Immer wieder fiel ich zusammenzuckend zurück, wenn ich erneut hörte oder sah, wie Maus und Geschirr aneinander stürzten. Es war Chaos; ein wildes Durcheinander von piepsenden Mäusen und klackerndem Porzellan. Eine Reihe nach der nächsten rückte nach vorne und prallte aufeinander. Überall sah man kämpfende Paare; pelzige Biester, die sich mit Löffeln duellierten, und Gläser, die versuchten, ihre Gegner unter sich zu begraben. Gerade warf sich einer der Nager auf meine Lieblingstasse, sodass ich am liebsten nach vorne gesprungen wäre, als der Holzmann vor mir abrupt zum Stehen kam. Ich rannte direkt in ihn hinein und erkannte erst jetzt, dass der Mäusekönig selbst sich vor uns aufgebaut hatte. Er zischte und zeterte und zog sein glänzendes Schwert. Mike stieß mich hinter sich und zückte ebenfalls seine mitleiderweckende Waffe. Sie sprangen je einen Schritt nach links und dann nach rechts und versuchten, den nächsten Schritt des anderen vorauszuahnen. Aus der Geschichte wusste ich, dass es an mir lag, dieses Ungetüm zur Strecke zu bringen. Es war schließlich Claras Schuh, den sie zur rechten Zeit warf, der ihrem Nussknacker das Leben rettete. Eilig rappelte ich mich hinter den beiden auf – und bemerkte dabei, wie uns die anderen Mäuse bereits wieder umkreisten – und griff an meinen Fuß. Doch ich trug keine Schuhe. Innerhalb von Sekunden schossen kleinere Mäuse an ihm vorbei und auf mich zu und ehe mich der Nussknacker davor bewahren konnte, hatten sie mich an den Ärmeln und Hosenbeinen meines Schlafanzuges gepackt und mit sich gezerrt. „Clara!“, rief der Holzmann, doch schon im nächsten Moment fiel eine Maus über ihn her und er verschwand aus meinem Blickfeld. „Du kommst mit mir“, zischte jemand neben mir und griff meine Hand und erst als es schon zu spät war, erkannte ich, dass es der Mäusekönig selbst war, der mich, begleitet von all seinen quietschenden Untertanen, unter die dunkle Küchenanrichte zog. ---------------------------------------------------------------------------------- Part II folgt am 10.12. ******************************************************************************************************** Kapitel 6: A Christmas Carol - Part II -------------------------------------- December the Fifth has begun and the first two-parter is done! Das heißt also, eine der Geschichten, die euch für ein paar Tage auf dem Trockenen haben sitzen lassen, geht hier in ihre zweite Runde. Gerade passend, denn wer ist Sonntag schon unterwegs? Es ist 2. Advent, macht euch ne heiße Schokolade oder nen Kaffee (oder auch nen Glühwein), schnappt euch ne Decke und haut euch mit eurem Laptop vor den Kamin :] Enjoy yourselves! ************************************************************************************* A/N des Autors: Erstmal möchte ich mich bei all den tollen Reviewern bedanken - Ich werde euch bald antworten, ich kam leider noch nicht dazu - Aber seid euch gewiss, dass mir die Augen ausfielen.:) Dann ist da noch eine Sache. So ein bisschen muss ich mich nämlich meinem Vorredner widersprechen - dies ist nun leider Gottes doch nicht der letzte Part... Ich beiße mir an der Christmas Carol schlichtweg die Zähne aus, was die Länge und den Plot betrifft - und hach, ihr habt jetzt im folgenden Part 2 von 3. I'm honestly sorry, die Geschichte wird nun doch leider länger als gedacht. Wichtig zu wissen ist nun folgendes: Der letzte Part wird im Laufe der nächsten Tage in dieses Kapitel editiert, also an den Schluss gesetzt. Erschien mir jetzt ehrlich gesagt als die beste Lösung dieser blöden Angelegenheit... Ihr werdet eine Anmerkung vorfinden, sobald der letzte Teil online ist. So, nun echt genug geredet. Viel Spaß! Alle Rechte an der Marke "Push" und all meine Love gehen an dubdug, die in Rekordzeit Ordnung in den Wust dieser Story brachte. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------- A Christmas Carol - Eine Weihnachtsgeschichte - Part II by papillon00 Kennen Sie das Geräusch der Stille? Das Dröhnen des Nichts? Ist Ihnen das Summen im Gehörgang geläufig, dass einen, wenn man sich zu lange darauf konzentriert, wahnsinnig machen kann? Dem Mann dieser Geschichte, Mister Edward Cullen, hallte dieser Ton derart im Ohr nach, dass er sich laut räuspern musste, um die ihn so eindrückende und beklemmende Lautlosigkeit abzustreifen. Edward lag inmitten seines cremefarbenen Wohnzimmerteppichs, mit dem Gesicht zu Boden gedrückt. Wie er dort hingekommen war, wusste er nicht – alles was ihm im Gedächtnis verblieben war, war die tiefe und kalte Dunkelheit, die er zuletzt aufgrund der Berührung von Mister Hale empfangen hatte. Langsam richtete er sich auf, völlig desorientiert, aber dennoch unglaublich erleichtert. Nie hätte er gedacht, dass ihn der Anblick seiner weißen Stehlampe, die er einmal auf einer Auktion erstanden hatte, so viel Freude bereiten würde. Sicher, das Ding war ein Einzelexemplar, sehr ungewöhnlich aussehend und teuer; Kriterien, auf die der Mann als erstes achtete, sobald er einen Kauf in Betracht zog. Aber diesmal… Sie haben keine Vorstellung davon, was es für Edward bedeutete, so einen simplen Gegenstand der Realität zuschreiben zu können, nach allem, was er heute durchlebt hatte. „Oh Gott, danke“, murmelte er leise. „Danke, danke, danke!“ Er überlegte für einen Augenblick, den Boden zu küssen, unterließ es dann aber, als ihm einfiel, dass das doch etwas übertrieben war. Erschöpft wanderte er langsam im Apartment umher, denn Mister Cullen war es wichtig, den Ort wirklich als das herleiten zu können, was es war – das Jahr 2010, sein echtes Apartment, keine weiteren Halluzinationen, kein Jasper… Im Bad wusch er sich das Gesicht mit kaltem Wasser, um wieder vollkommen zu sich zu kommen. Was war das alles gewesen? Hatte er bloß geschlafen? Sich den Kopf angestoßen, als er die Scherben aufzusammeln versucht hatte? Aber Mister Cullen hatte weder eine Beule auf dem Kopf, noch irgendeinen Kratzer im Gesicht. Lediglich die Hose wies Schmutz auf… Aber das hätte von jeder Gelegenheit herrühren können, versuchte er sich einzureden. Er sah in den Spiegel, sah auf sich und versuchte wieder Ruhe in seinen Verstand zu bringen. Mister Cullen war ein guter Lügner. Er musste das sein, eine so wichtige Aufgabe, wie er sie hatte, verlangte dies zu jedem Moment. Werbekunden, Bilanzen, Steuern, Gehälter. In allen Bereichen musste er die Leute in dem Glauben lassen, sie würden nichts richtig tun. Angst und Panik waren Empfindungen, die sich als geradezu perfekte Motoren erwiesen, um Spitzenleistungen abrufen zu können, und durch seine geschickten Lügen trieb er somit nicht nur alle um den Verstand, sondern auch zum Besten. Andere Leute zu manipulieren, ihnen ein X für ein U vorzumachen – Mister Cullen konnte dies wie kein anderer. Offenbar nahm er sich von dieser Regel selbst nicht aus, was er an diesem Abend, während er in den Spiegel blickte, nicht begriff. Mister Hale war tot, ein für alle Mal… Aber dennoch... was war das heute? Wenn dies eine Halluzination gewesen war, dann verdammt … war sie eine unglaublich echt wirkende gewesen. Er befeuchtete sein Gesicht mit noch mehr kaltem Wasser; er musste wieder zu sich kommen, das Gefühl des schlechten Traumes abschütteln; sich von Jasper befreien. Und mit Jasper all die seltsamen Eindrücke von sich waschen. Anthony; das verweinte Gesicht seiner jungen Mutter. Das schreiende Baby, der Geruch von stechendem Alkohol… Bella verdrängen, er hatte doch so lange schon nicht mehr an sie gedacht… Vergessen, wie sich kleine Lachfalten um ihre Augen bildeten, wenn sie kicherte… Den Vanillegeschmack auf der Zunge schnellstens runterschlucken, vergessen, wie froh er einmal war… Alles wegwaschen, nichts anderes wollte er… Wie in Rage spritzte sich der Mann immer mehr Wasser ins Gesicht, ganz so, als wollte er aufwachen, klar werden. Ausspülen, was er in den Jahren zuvor so gut verdrängt hatte. Sie möchten vielleicht nun bemerkt haben, dass dies eine ziemlich untypische Gefühlswelt war, in der sich Mister Cullen befand. Aber was sollte man erwarten, wenn einem die Geister der Vergangenheit mit solcher Wucht, wie er sie heute hatte spüren müssen, heimsuchten? Nach ein paar Minuten, als er sein Gesicht kaum noch spüren konnte, drehte er den Wasserhahn des hochwertig gearbeiteten Waschbeckens zu, und nahm sich ein Handtuch, um sich das nasse Gesicht abzutrocknen. Wie dies aber nun mal in allen Geschichten so ist – währte diese ruhige Sekunde der Zufriedenheit selbstverständlich nicht lange. Denn während sich Mister Cullen, bewusst verdrängend von allen Gedanken, die ihn belasten könnten, das Gesicht trocken rieb, bemerkte er nicht, wie jemand hinter ihm stand. Edward, gerade im Begriff sein Ebenbild im Spiegel reflektiert zu sehen, erschreckte wieder einmal, als dort, wo eigentlich eine der feinen Schieferplatten zu erkennen sein sollte, ein fürchterlich blasser alter Mann zu bemerken war. „Fuck!“ Mister Cullen rutschte erneut bei dem Schreck sein Herz in die Hose und er fuhr kurz zusammen. „Andrew?!“ Er drehte sich um und starrte wieder einmal in das Gesicht eines Geistes, das ihm außerordentlich bekannt vorkam. „Könnt ihr mich nicht wenigstens für dieses eine Mal vorwarnen? Ist es so verdammt schwer, an die Tür zu klopfen?“ Edward schien ein kleines bisschen verzweifelt – er hatte so sehr gehofft, dass das, was er heute durchlebt hatte, ein für alle Mal vorbei gewesen wäre. „Sir? Guten Abend“, meldete sich der untersetzte kleine Mann zu Wort, der Mister Cullen bis gestern sechs Jahre lang als Fahrer gedient hatte, bis er von einem Herzinfarkt dahingerafft worden war. In seinem schwarzen Anzug und der eleganten Kappe auf dem Kopf stand der Mittsechziger da, als würde er heute bloß seinen Vorgesetzten abholen. „Scheiße… Andrew… was soll das? Bin ich tot? Ich hatte doch noch so viel vor!“ Der alte Herr, dessen Gesicht in einem starken Kontrast zu dem stand, welches Edward sonst gewohnt war – keine tiefen Ringe unter den Augen, keine blauen Lippen, oder ganz allgemein gesprochen, der Glanz in den dunklen braunen Augen, der dort nicht mehr zu finden war – lächelte nur höflich. „Sir, Ihr Wagen steht bereit. Sie werden bereits erwartet.“ „Moment mal… mein Wagen… aber… du hast doch heute abgedankt…“, erwiderte Edward nicht unbedingt taktvoll. „Und… Gott, mag mal einer von eurem kleinen Männerverein, oder was ihr auch immer seid, sich dazu erbarmen, mir mitzuteilen, was zum Teufel eigentlich los ist? Aber weißt du was, du scheiß Ausgeburt meines überarbeitenden Hirns? Ich ziehe da einfach nicht mehr mit.“ Innerlich traf er den Entschluss, die alte Telefonnummer der Quacksalberin so schnell wie möglich wieder aufzutreiben und einen erneuten Termin bei der Psychologin zu machen. Wenn das ein Zeichen war, was er inständig hoffte, dann hatte er es verstanden. Dem Mann langte es, und zwar eindeutig. Frustriert warf er das klamme Handtuch zu Boden und stapfte in tosenden Schritten aus dem Raum. „Ich kann auch einfach so tun, als seist du gar nicht da, Andrew“, sagte er trotzig. In der Küche stehen bleibend – wo sollte er denn auch hin? – öffnete er den Kühlschrank und redete stur weiter. „Macht man das nicht auch bei Schizophren-Kranken?“, sprach er mit sich selbst und holte eine Packung kalt gestelltes Takeaway, was schwer nach Chinesisch aussah, heraus. Sich eine Gabel schnappend redete er weiter. „Besteht da nicht die Therapie, den Leuten einzureden, sie würden sich den Kram nur einbilden?“ Er stopfte sich eine Gabel voll undefinierbarer Pampe in den Mund, einfach nur so, damit er einer völlig normalen Beschäftigung nachging, die in der Gesellschaft als äußerst durchschnittlich bezeichnet werden konnte. Normale Menschen aßen und normale Menschen rannten bestimmt durch ihre Wohnung mit einer eingedrückten Packung chinesischem Essen umher. Und normale Menschen redeten auch sicherlich die ganze Zeit mit sich selbst, um ihren toten Fahrer, den sie in der Vergangenheit nicht sonderlich herzlich behandelt hatten, aus dem Weg zu gehen. Sicher. Ich kann Ihnen versichern, dass dies ein ziemlich abstruses Bild abgab: Mister Cullen, der von einem Zimmer ins andere schritt, immer weiter mit sich redend, nur um bloß nicht in die Arme von Mister Andrew zu laufen. Das perfide an der Sache jedoch war, dass, egal welchen Raum Edward betrat, immer schon Mister Andrew dort auf ihn wartete: Lief er vom Arbeitsraum in die Waschküche, saß Andrew schon Beine baumelnd auf dem Trockner und deutete auf die Uhr. Tat Mister Cullen eine rasche Kehrtwende und lief in sein Schlafzimmer, so wartete dort der Geist, die Wassermatratze ausprobierend, auf seinem Bett. „Herr im Himmel, kann ich denn nirgendwo meine Ruhe haben?!“, rief der Geschäftsmann verzweifelt. Ja, es war eindeutig. Edward Anthony Cullen war im Begriff verrückt zu werden. Würde Mister Cullen eine Geisteskrankheit nur nicht so unsagbar peinlich finden, dann wäre es vermutlich gar nicht so übel, sich dem hinzugeben. Im Augenblick wusste er jedoch nicht, was schlimmer wäre: Diese Geister als echt zu befinden, und damit all die seltsamen Erinnerungen als Realität anzunehmen – oder aber den Umstand zu akzeptieren, dass er einfach hochgradig gestört war… Edward wusste nicht, was ihm lieber war. „Sir“, unterbrach der graubärtige Mann Mister Cullen aus seinem Gedankenfluss, als dieser vorhatte, sich in der Abstellkammer zu verschanzen. „Sir, ich muss Sie nun wirklich bitten… Wir haben keine Zeit! Der Wagen wartet.“ „Andrew, lass mich doch bitte in Frieden! Siehst du nicht, dass die Arbeit schon getan ist? Ich hab es verstanden, ich werde gleich am Montag einen Termin machen! Ich sehe es ja ein, ich arbeite zu viel und mir geht es schlecht! Ja ja, ich habe es bei Jasper schon verstanden!“ Der Geist sah ihn einen Moment sprachlos an. „Wenn es das ist, was sie aus dem Abend an Schlüssen gezogen haben, dann muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie noch gar nichts begriffen haben.“ Mister Cullen runzelte frustriert die Stirn. „Ich habe sehr wohl verstanden. Ich arbeite zu viel.“ Andrew blickte ihn darauf so hart an, wie es Edward noch nie zuvor gesehen hatte – vielleicht hatte er es auch nur nicht bemerkt; Mister Cullen hatte es nicht so wirklich mit einer gesunden Arbeitgeber/Arbeitnehmer Beziehung. Andrews Augen funkelten ihn argwöhnisch an, und es trat eine fürchterliche Stille ein: Edward verspürte kurz Angst, weil die seltsame Lautlosigkeit, die ihn vorhin aus seinem Delirium geweckt hatte, scheinbar nun wieder von ihm Besitz ergriff. Aber es war nicht nur das – es war, als befände sich zwischen den beiden Gestalten ein Vakuum, als herrschte in diesen Sekunden eine Art unausgesprochene Ladung aus Etwas, von dem Edward spüren konnte, dass dieses Etwas nicht angenehm auslaufen würde. Sie ahnen ja nicht, wie sehr Mister Cullen Recht hatte. Andrews Augen wurden rot, sein Gesicht verschmolz zu einer furchterregenden Maske an. Er öffnete seinen Mund und die schwarze Dunkelheit, die daraus zu kommen schien, ließ den Mann wirklich klein werden. „Sie haben mich nie gefragt, warum ich gestorben bin, Mister Cullen“, flüsterte Andrew. Edward schluckte und tippelte rückwärts gegen die Tür der Abstellkammer. „Ähm… Andrew… altes Haus… Sie hatten einen Herzinfarkt, dachte ich?“ Der Geist lächelte verwegen. Er wusste, dass man einen Menschen wie Mister Cullen nur mit den eigenen Mitteln schlagen konnte. „Das war der Grund, ja… Aber… wussten Sie, dass ich zur Hysterie neige?“ Der eisige Atem, der nach kaltem Moder roch, ließ Edward übel werden. Er kicherte nervös. „Nein… Nein, Andrew, das haben Sie nicht gesagt.“ Dem Mann war deutlich unwohl zumute; ihm gefiel diese beunruhigende Wandlung seines sonst so ruhigen Fahrers überhaupt nicht. „Hm, das stimmt“, murmelte der Geist. „Und Sie… niederträchtige Kreatur von einem Menschen… Sie haben nicht die geringste Vorstellung davon, was ich mit Ihnen machen kann. Wir müssen nicht in den Wagen steigen, Mister Cullen… gewiss nicht, und wenn Sie sich nicht jetzt schon geändert haben, was ich nicht sehe, dann können wir sicherlich derselben Route folgen, wie in den sechs Jahre zuvor auch…“ Und nun ging alles furchtbar schnell: Mit dem bloßen Auge nicht sichtbar packte der Geist Edward am Hals und fing an, ihn mit seinen klammen, modrigen Händen zu würgen. Mister Cullen befiel Panik, reinste Panik. Er bekam keine Luft, und seine Augen starrten geschockt auf das schief grinsende Monster. Kein Laut kam mehr über seine Lippen und kein Zerren half ihm, sich aus dem Griff zu befreien. Andrew, gar nicht mehr so klein und unscheinbar und höflich, grinste ihn mit einem wahnsinnigen Blick an. „Wir können Ihrer Route folgen, und nicht in den Wagen steigen. Wir können den Abend hier verbringen… Aber ich fürchte, dass das Ende dann nicht sonderlich nett aussehen wird… Und ich befürchte auch“- er verstärkte den Griff um den Hals des mittlerweile panisch zappelnden Mannes –„ dass ich Ihrer so lieben Haushälterin nur das Weihnachtsfest vermiesen würde, wenn Sie morgen früh hier auftaucht und Sie elendes Drecksgesindel leblos auffindet. Das will doch niemand, oder?“ Mister Cullens Gesichtsfarbe glich mittlerweile einem kräftigen Dunkelrot. Die Angst, die er verspürte, war in jenem Moment nicht auszuhalten. Ganz sicherlich würde er sterben, elendig krepieren… Er brauchte Luft, doch er schaffte es nicht, sich aus den Klauen Andrews zu entziehen. „Wir könnten allerdings auch Ihre Spielchen sein lassen, Mister Cullen“, brummte der mordwillige Geist. „Wir könnten Ihr Spiel sein lassen und Sie würden sich an meines halten. Dann steigen Sie in meinen Wagen und alles wäre wieder in Ordnung.“ Er drückte noch ein wenig fester zu. „Sie entscheiden.“ Edward, maßlos von der Angst befallen, in diesem Moment das Zeitliche zu segnen und sich wahrscheinlich bald in die Riege von Gentlemen einzureihen, von denen er bereits Besuch gehabt hatte, strampelte wild. Er versuchte mit aller Macht einen Ton herauszupressen, doch alles, was ihm gelang, war ein kaum hörbares Krächzen. Er würde sterben, und mein Gott, dachte er sich… Was wäre dies für ein furchtbarer Tod… Von dem eigenen, leblosen Fahrer stranguliert zu werden, war sicherlich nicht das, was Edward unter einem glamourösen Ableben verstand – wie zum Beispiel der Absturz aus einem Helikopter über dem Amazonas, oder einem Überfall einer terroristischen Guerrillagruppe in einem feinem Restaurant in Rio. Sie sehen, der Geschäftsmann hatte selbst für solche theoretischen Szenarien ein ausgesprochen ausgeklügeltes Vorstellungsvermögen. Wie befriedigend. Andrew, scheußlich grinsend, flüsterte weiter. „Haben Sie sich entschieden?“ Mister Cullen, dessen Gesicht mittlerweile von Tränen nass glänzte und nun wirklich eher dem Abbild einer Aubergine glich, als dem eines erfolgreichen Geschäftsmannes, nickte heftig. „Sicher? Sie sollten wissen, Mister Cullen – Ich beliebe im Gegensatz zu Ihnen, niemals zu spaßen. Wenn ich jetzt loslasse…“ Und tatsächlich, seine Hände lockerten sich langsam – „… dann erwarte ich von Ihnen keine Reden mehr. Keine Spiele. Sie steigen ein, und kommen mit. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Der Mann dieser Geschichte konnte bald nicht mehr; die Dunkelheit, die sich langsam trotz des sich lösenden Griffs des Geistes ausbreitete, ließ ihn nun doch jeden in ihm verbliebenen Funken Hoffnung zu Nichte machen. Er nickte nun schwächer, fühlte, dass er nun bald ohnmächtig werden würde, wenn Andrew ihn nicht jede Sekunde losließ. „Ich habe Ihr Wort, Mister Cullen“, antwortete der Geist und ließ von dem Mann ab. Mister Cullen fiel keuchend und hustend zu Boden, fasste sich um den Hals. Und plötzlich wurde Andrew wieder zu dem kleinen, unscheinbaren Mann, der kein Wässerchen trüben konnte. Listig lächelnd verschränkte der Geist die Arme vor der Brust und genoss den Anblick des würgenden Mannes wahrscheinlich ein bisschen zu sehr. „Ach, Mister Cullen, Sie haben keine Ahnung, wie sehr ich es vermissen werde, Sie zu fahren!“ Er öffnete die Haustür des noblen Apartments. „Nach Ihnen, Sir!“ * Noch immer war Mister Cullen fürchterlich zumute, während er in dem schwarzen Benz saß und von seinem toten Fahrer chauffiert wurde. Den Kopf auf die Hände gestützt versuchte er sich an den Umstand zu gewöhnen, dass er heute nicht nur mit seinem toten Expartner geredet, seine Kleinkindversion zu Gesicht bekommen oder seine erste wahre Liebe wieder gesehen hatte, nein – hinzu kam der Fakt, beinahe von dem eigenen verstorbenen Fahrer zu Tode stranguliert worden zu sein. Mister Cullen war ein wenig elend zumute, musste man erwähnen. Dabei half auch nicht, dass Andrew, der nicht nur in einem waghalsigen Tempo die Straßen entlang fuhr, mittlerweile so quietschfideler Laune war, dass er gar nicht mehr aufhörte, Edward von seinen lieben Enkeln und den Kindern und den so vielen Weihnachtsfesten zu erzählen, die er all die Jahre gefeiert hatte. Und wie sehr er Weihnachtsfeste liebte. In diesem Augenblick war sich Edward sicher, dass er in der Hölle gelandet war. Nun, so ganz konnte man ihm den Gedanken nicht verübeln. Nach ein paar Minuten – Mister Cullen hatte die ganze Zeit über nicht gewagt, auch nur ein einziges Wort zu verlieren – hielt der Wagen plötzlich an. „Sir“, sprach Andrew mit dem Blick auf den Rückspiegel, „wir sind da.“ Edward, wenig begeistert und immer noch zu traumatisiert, um auch nur zu husten, blickte aus dem Fenster, bis ihm einfiel, dass er nicht wusste, in welchem Jahr er sich befand. „Welches Jahr ist es diesmal?“, fragte er missmutig. Er hatte verstanden, dass sich ein Aufbegehren nur rächen würde. „Sir, habe ich das nicht erwähnt? Wir sind in der Gegenwart. Ich bin, wenn Sie so wollen, der Geist der Gegenwart.“ „Gegenwart? Heißt das, dass die Leute uns sehen können?“ Andrew lachte, und Mister Cullen wich automatisch ein bisschen zurück. „Sir, Sie sind so witzig. Natürlich können sie uns nicht sehen.“ Der Fahrer amüsierte sich selbst noch beim Ausstieg aus dem Wagen, ganz so, als sei es das Lächerlichste, was er je gehört hätte. Als sich die Tür neben Edward öffnete, fuhr er kurz zusammen und stieg, nachdem Andrew ihn mit solch einer überschwänglichen Geste herausbat, eilig aus dem Wagen. Das kleine Wohnhaus, das sie dann betraten – Edward mit einigem Abstand zu dem wahnsinnigen Geist – kannte er nicht. Es war ein modernes Backsteingebäude und ein wenig außerhalb der City von London gelegen. Es schneite immer noch wie verrückt, und Edward, mittlerweile viel zu müde, irgendetwas infrage zu stellen, klopfte die dicken Flocken von sich, als sie auf einmal in einer fremden Wohnung standen. „Wo sind wir?“, fragte er sich umsehend. Das Interieur wirkte etwas wild zusammengewürfelt und würde sich der Mann mit gewöhnlichen Dingen auskennen, dann würde er die vielen Billyregale – auf denen Bücher und Gläser chaotisch durcheinander standen – als solche erkennen. „Dies ist die Wohnung einer ganz liebreizenden Dame, Sir“, freute sich Andrew und schritt von dem kleinen engen Flur in das Wohnzimmer. „Miss Jessica Stanley, Sir.“ Mister Cullen stöhnte unwillkürlich laut auf. „Jessica? Was habe ich in der Wohnung von ihr verloren?“ Er blieb stehen. Andrew strafte ihn mit einem düsteren Blick, worauf Edward sofort verstummte. „Ha, welch gute Idee, altes Haus!“, setzte Mister Cullen nervös lächelnd hinzu. „Ja, ich wollte schon immer wissen, wie die gute Jess lebt!“ Er nickte angespannt, denn er hatte nicht nochmal Lust, gewürgt zu werden. Die blauen Flecken auf seinem Hals waren ihm bereits mehr als genug. „Schön, dass Sie auch dieser Meinung sind“, freute sich Andrew. Mister Cullen fragte sich, ob sein Fahrer schon immer an einer bipolaren Störung litt, oder ob er dies nur nie bemerkt hatte. „Folgen Sie mir, lassen wir uns von der Liebe hier einnehmen!“, klatschte der alte Mann in die Hände, und deutete dem Mann, ihm ins Wohnzimmer zu folgen. Als er den Blick in das kleine, gemütliche Zimmer warf, wurde ihm ein befremdliches Bild offenbart: Dort auf dem knallroten Sofa saß seine Angestellte in hellblauen Pyjamas, unaufhörlich weinend. Auf einer kleinen Holzkiste, die unverkennbar als Couchtisch dienen sollte, standen zwei Flaschen Wein, von denen eine bereits bis auf den letzten Topfen geleert war. Neben Miss Stanley saß ein unglücklich drein blickender junger Mann, der nicht viel älter als Jessica wirkte. Seine blonden, kurzgeschorenen Haare und das recht mitleidige Gesicht, erinnerte Edward seltsamerweise an einen Golden Retriever. Andrew stand bedauernd da, den Kopf schräg zur Seite gelegt. „Och, nun sehen Sie sich das arme Ding an.“ „Wieso weint sie denn so?“, fragte Edward. Der Geist schüttelte nur den Kopf. „Sehen Sie einfach hin.“ Der junge Mann neben dem Mädchen, der offenbar mehr als nur ein Freund zu sein schien, goss in diesem Moment mehr Wein in ein Glas. „Jess, nun beruhig dich doch bitte“, sagte er tröstend und reichte ihr den Wein. „Es ist doch alles gut gegangen, Darling.“ Jessica, deren Haare wild abstanden und deren rote verquollene Augen kaum noch an das sonst so adrett gepflegte Mädchen erinnerten, schluchzte. „Du verstehst das nicht Mike, du verstehst das nicht… Er ist so ein Arschloch! Vor der ganzen Belegschaft hat er mich, einfach nur, weil es ihm wohl so viel Spaß macht, zur Sau gemacht! Gott, und dann hat er einfach so vielen Leute gekündigt…“ Jessica schnaubte sich laut aus. „Und… Mike, ich kann das nicht mehr… Weißt du, was er heute von mir verlangt hat? Ich hatte frei, Herrgott! Und Barry ist heute wiedergekommen… Und ich musste vom Flughafen los und meine ganze Verwandtschaft da sitzen lassen, weil dieser Drecksack mich zurück gepfiffen hat!“ Jessica heulte laut auf und Mike, der mehr als überfordert war, reichte ihr wortlos noch mehr Taschentücher. „Jess… Schatz, vielleicht solltest du einfach… kündigen“, schlug dieser vorsichtig vor. Mister Cullen verdrehte daraufhin die Augen. „Wieso sollte sie kündigen? Was ist das denn für eine idiotische Aussage?“ „Du Blödmann! Das geht nicht! Gott, hörst du mir denn nicht einmal zu?!“ Das junge Mädchen hörte nicht mehr auf zu weinen und vergrub das Gesicht in ihren zitternden Händen. Mister Cullen indes fühlte sich langsam etwas unwohl – er würde es nie offensichtlich zugeben, aber er wusste, dass Miss Stanley nur seinetwegen derart die Fassung verlor. „Wenn ich kündige, dann finde ich weit und breit und keinen neuen Job! Mister Scheißhaufen Cullen wird mir keine Empfehlung schreiben, sondern mich so mies machen, dass ich nirgendwo anders eine angemessene Stelle finde! Dann waren vier Jahre Plackerei in Oxford umsonst! Und das Jahr Hintern putzen bei Cullen Corporate ebenfalls.“ Sie verfiel erneut in eine Heularie. Mister Mike Newton, ebenso verzweifelt wie seine Freundin, versuchte es mit Trost. „Aber das weißt du nicht, Jess. Vielleicht wird er dich auch einfach gehen lassen.“ „Nein! Mike, du hast keine Ahnung, zu was dieser Mann im Stande ist!“ Jessicas Stimme überschlug sich. „Penny, seine Assistentin davor, hatte so ein schlechtes Arbeitszeugnis bekommen, dass sie heute bei Tesco an der Kasse arbeitet! Besuch sie doch mal, sie hat mir alles erzählt!“ Die junge Frau schluckte den Rest Wein in ihrem Glas auf Ex aus. „Wenn ich jetzt kündige, dann werde ich nie etwas Richtiges finden! Und weißt du warum, Mike? Weißt du warum?“ Mike, sichtlich verstört, schüttelte langsam den Kopf. „Weil es diesem Kerl Spaß macht, das Leben anderer zu versauen! Verstehst du, Mike? Er hat da Spaß dran!“ Jessica weinte und weinte, und Mister Cullen standen allmählich Schweißperlen auf der Stirn. Mister Andrews Miene neben ihm war steinhart und Edward hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, auf der Stelle zu verschwinden. Nicht verwunderlich, wenn man ein Nahtoderlebnis gerade so überlebt hatte. Ein paar Minuten lang herrschte Schweigen und Miss Stanleys Schluchzen verebbte etwas – der Wein schien endlich zu wirken. „Jeder im Büro weiß, dass er mit Jemima schläft. Jeder. Weißt du, was der Witz an der Sache ist? Würde Sie dem Wichser nicht ständig einen blasen, dann würde sie selbst vor der Tür stehen. Ihr macht das nichts aus, sagt sie. Gott, siehst du nicht, wie sich alle verkaufen? Und ich…“, sie lächelte verbittert, „ich bin keinen Deut besser.“ Der junge Mann neben ihr begann die unzähligen Taschentücher aufzusammeln, sowie die zwei leeren Flaschen, von denen er unglücklicherweise nicht einen Schluck abbekommen hatte und seufzte. „Jess, es kann nicht mehr so weitergehen. Du kannst nicht jede Woche hier sitzen und dir die Augen ausweinen, nur weil der Kerl dich so fertig macht.“ Andrew, der Fahrer, nickte zustimmend. „Ich mag diesen jungen Gentleman“, wandte er an Mister Cullen. „Er scheint genau die richtigen Worte zu finden, die die junge Lady hören muss.“ Edward grinste gestellt – Sie haben ja bereits sicherlich die Angst vor einem neuen Attentat mitbekommen. Mister Newton warf den Müll mit einer humpelnden Beinbewegung in die Küche und kam mit einer Tasse Tee, brühend heiß, zurück. „So, hör zu, Jessica. Erinnerst du dich an das eine Mal, als er zu dir gesagt hat, dass du nach Hause gehen sollst, weil deine Bluse nicht in sein Unternehmen passt?“ Jessica nickte traurig und gäbe ihr Aufzug – der babyblaue Flannellpyjama, auf dem weiße Wölkchen abgebildet waren, oder die knallgrünen Socken kombiniert mit ihrem verweinten Anblick – nicht ein eher amüsantes Bild ab, so wäre es recht niederschmetternd. „Oder das eine Mal, als er dich nicht auf die Geschäftsreise in die USA mitnahm? Weil du eine Kleidergröße mehr trägst, als er angeblich im Stande gewillt war, zu akzeptieren?“ Jessica schluchzte leise aber nickte dennoch mit dem Kopf. „Und jetzt, wo er dich beinahe gekündigt hat, nur um zu sehen, wie du damit umgehen würdest? Jess, halte mich für bescheuert, aber alles Geld dieser Welt ist es nicht wert, sich so behandeln zu lassen. Sieh dich an, Jess.“ Der junge Mann hob sanft das Kinn seiner am Boden zerstörten Freundin und sah sie mit einer solchen Hingabe an, dass Mister Edward sich plötzlich wie ein Eindringling in einer sehr intimen Szene vorkam. „Jessica, mach das, was dein Herz dir rät. Du bist viel zu gut, als dass du dich noch ein weiteres Jahr fertig machen lässt.“ Die Lippen der Frau bebten. „Aber… aber wie soll ich dann die Miete bezahlen? Wir kommen doch jetzt schon kaum über die Runden, Mike. Wenn ich wirklich kündige, dann… dann wird es eine Zeit lang sehr schwer werden, und wir haben schon genug Probleme.“ Sie fasste auf das Bein ihres Freundes und strich die Hose hoch. Und erst jetzt wurde allen Anwesenden bewusst, dass Mister Newton, der so liebevolle junge Mann, eine Prothese anstelle eines gesunden rechten Beines hatte. „Er hat nur noch ein Bein?“, rief Mister Cullen verwundert aus. „Wieso hat er nur noch ein Bein? Wieso hat das Jessica nie erwähnt?“ Andrew sah Edward abschätzig an. „Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn Sie es gewusst hätten? Macht es jetzt einen Unterschied?“ „Nun… keine Ahnung, aber… man sieht sowas nicht alle Tage, oder? Ich meine, der junge Typ ist doch nicht älter als Vierundzwanzig, allerhöchstens Fünfundzwanzig. Ich halte meine Frage für legitim.“ „Er hatte einen Unfall bei einer Klettertour. Das Bein hatte sich so stark infiziert, dass den Ärzten keine andere Lösung blieb“, erklärte der Geist. Es wunderte Edward zu jenem Zeitpunkt nicht mehr, wie allwissend Andrew oder Jasper waren – offenbar war dies eins der Dinge, die diese Plagegeister sehr gut konnten. „Puh“, entfuhr es ihm und – vielleicht war es eine Art von Mitleid auf dem Gesicht von Edward – er schaute skeptisch auf das junge Paar. „Das muss schwer für Jessica gewesen sein, meine ich. Dass ihr Freund sein Bein verliert.“ Der Geist, der in einem von Mister Cullen befundenen Sicherheitsradius von ihm entfernt stand, sah ihn mit einem Mal völlig ernst an. „Miss Stanley hat Mister Newton schon lange nach dem Unfall kennengelernt. Er war Siebzehn, als er die OP hatte.“ „Oh.“ Edward wusste nicht, was er erwidern sollte. Aus einem nicht ersichtlichen Grund hatte er geglaubt, dass Jessica Mike vor der Prothese kennengelernt hatte. Denn, so war seine Meinung - wer liebte schon einen Krüppel? Für einen Moment erschien es ihm unerträglich, diesen Gedanken weiterzuspinnen. Vielleicht auch deshalb, weil er selbst irgendwo in sich wusste, dass ihm zwar kein Bein fehlte, aber dass ihn sein Kern wahrscheinlich zu einem seelisch Kranken machte. Glücklicherweise ließ ihn Mike nicht mehr dazu, weiter zu grübeln. „Irgendwann werde ich das Geld schon dafür aufbringen, Jess. Und es ist auch nicht deine Aufgabe, dich darum zu kümmern.“ Die junge Frau lehnte ihren Kopf gegen die Schulter ihres Freundes und seufzte. „Du meinst, also, ich sollte wirklich kündigen, oder?“ „Ja, das solltest du. Und selbst wenn er all diese krummen Touren versucht – das werden wir auch überstehen“, meinte er zuversichtlich und küsste die Stirn seiner verweinten Freundin. „Weißt du, was das Problem dieses Arschlochs ist? Er ist allein. Er hat keine Ahnung, wie er mit Menschen umgehen soll. Das Einzige, was er kennt, ist jeden zu verstoßen, der sich gegen ihn richtet. Das schreit doch geradezu nach Scheidungs- oder Einzelkind.“ Jessica musste lächeln. „Oh Gott, ja. Eigentlich ist er eine furchtbar traurige Person, wenn man es so sieht. Allein, blind, taub. Er hat keine Vorstellung von Werten, von Liebe oder Moral. Eigentlich… weißt du, eigentlich habe ich fast schon wieder Mitleid mit ihm.“ „Das brauchst du nicht, das verdient er nicht“, meinte Mike aufmunternd und drückte Jessica einen Kuss auf die Stirn. „Also, wie sieht es aus? Du schaltest dein Handy aus, und bist ein für alle Mal nicht mehr für Edward Arschloch Cullen zu erreichen?“ Jessica schien zu überlegen, aber eigentlich, so wissen wir doch alle, hatte sie sich schon längst entschieden. „Ich glaube… du hast Recht. Ich werde nicht mehr kommen. Ich habe es so satt. Soll er mich doch rauswerfen. Aber du bist dir im Klaren darüber, dass wir kürzer treten müssen? Dass ich vielleicht für den Rest meines Lebens bei Tesco an der Kasse landen werde?“ Mister Newton setzte eine gespielt nachdenkende Miene auf. „Hm, du hast Recht… Ich weiß nicht, inwiefern ich dich noch lieben kann, wenn ich nicht mehr weiß, ob ich morgen noch Push Cola auf dem Tisch stehen haben werde. Vielleicht sollte ich mich trennen – gut, dass du das sagst.“ „Du bist so ein Arsch“, kicherte Miss Stanley, und sie warf Mike ein Kissen gegen den Kopf. „Nein, ich bin Mike“, flüsterte er, und küsste Jessica, und dieses Mal richtig. „Merry Christmas, Jess“, murmelte er, und lehnte sich gegen die schmale Frau, bis sie, auf dem Sofa liegend, Mister Newton auf sich hatte – eine mehr als kompromittierende Pose, die Mister Cullen gerade nicht ertragen konnte. Andrew räusperte sich. „Es ist an der Zeit zu gehen, Mister Cullen.“ Doch Edward blieb noch kurz stehen, völlig in Gedanken versunken. „Was sollte mir das genau zeigen, Andrew? Dass mich mein Angestellten für einen Arsch halten? Das ist mir nichts Neues. Oder dass Jessica mit jemand zusammen ist, der eine Prothese trägt? Was soll mir der Scheiß zeigen, Andrew? Was?“ Der Angeredete jedoch starrte ihn düster an. „Sir, ich glaube, dass Sie das bereits wissen. Und diesmal ist es nicht meine Aufgabe, Ihnen etwas zu erklären, was Sie schon längst ahnen und nur nicht begreifen wollen.“ Mister Cullen schluckte, und er hasste es zugeben zu müssen, dass sein psychopatischer Geist Recht hatte. Denn während die beiden Gestalten sich langsam aus dem Wohnzimmer entfernten, spürte Edward ein Gefühl in sich aufbrennen, welches er schon lange erfolgreich ignoriert hatte: Das Gefühl der Leere, das Gefühl von Ungerechtigkeit, das er anderen zu Teil werden ließ. Und schließlich den Gedanken von Liebe, die er – ganz im Gegensatz zu Jessica Stanley – so lange Zeit nicht bereit war, zu geben. Als sie wieder im Wagen saßen, drehte sich Andrew bizarr grinsend zu ihm um. „Und, Sir? Ist dies nicht ein herrlicher Vorweihnachtsabend? Da bekommt man doch glatt Lust, Ihnen wieder den Hals umzudrehen.“ Edward versank fluchend und gleichzeitig seinen Hals schützend im Sitz, ehe Andrew den schwarzen Benz mit Vollgas und laut grölenden Motor auf die Straßen lenkte. _________________________________________________________ Hach, ich danke euch fürs Lesen! Der letzte Part wird in den nächsten Tagen hier in diesem Kapitel eingefügt werden, auf jeden Fall noch in dieser Woche! Kapitel 7: Drei Weihnachtsmänner für Bella ------------------------------------------ The secret meaning of St. Nicholas Day is to get presents in a faster way. Woah, wir haben Nikolaus. Ich hoffe, ihr habt schön eure Stiefel geputzt. Wer heute nix drin hatte, der wird wohl wissen, woran’s gelegen haben muss :p Aber keine Sorge, wir hier machen keine Ausnahmen. Egal, wie schmutzig eure Schuhe sind (oder wie lange wie brauchen), ihr bekommt euer Märchen :] ***************************************************************** Drei Weihnachtsmänner für Bella by zaharowen „Wo fahren wir hin, Mama?“ Renesmee, unsere kleine Tochter, saß in ihrem Kindersitz hinter mir und äugte aufgeregt in die weihnachtlich erleuchteten Straßen von Hanover. Seit sieben Monaten wohnten wir jetzt in Dartmouth, wo unsere Familie ein neues zu Hause gefunden hatte. Ich studierte gemeinsam mit Alice Literatur und Philosophie, Jasper hatte Jura belegt und Edward natürlich Medizin. Carlisle hatte eine Chefarztstelle an der Universitätsklinik bekommen und Edward machte ein ganzjähriges studienbegleitendes Praktikum bei ihm. Emmett und Rosalie hatten sich beide für Maschinenbau entschieden. Sie genossen es sehr, die ganze Zeit zusammen sein zu können. Sie bewohnten ein Haus gemeinsam mit Alice und Jasper direkt neben dem etwas größeren, in dem wir mit Carlisle und Esme wohnten. Esme und Carlisle waren wunderbar. Ich hatte anfänglich ein wenig Heimweh nach Charlie gehabt, aber die beiden waren wirkliche Eltern für mich und liebevolle Großeltern für Renesmee. Die Kleine schüttelte ihre wilden Locken und strahlte mich an. „Wir treffen uns mit Papa zum Einkaufen, Mäuschen. Wir müssen doch langsam Weihnachtsgeschenke einkaufen.“ Ihre Augen blitzten aufgeregt. Ich parkte den Volvo in der Nähe des Universitätsgeländes und half Renesmee aus ihrem Sitz. „Mama, was kaufen wir Opa und Jakob und Tante Alice und ....“ Ein gut gelauntes Lachen ließ mich herumfahren. Edward stand strahlend hinter mir und breitete seiner Tochter die Arme aus. „Oh, wir können Tante Alice nichts kaufen, wir müssen erst abwarten und den Nikolaus fragen, ob sie auch brav war.“ Verschwörerisch zwinkerte er mir zu, während er unseren kleinen Wirbelwind auffing. Renesmee legte ihre kleine Hand an seine Wange und verzog grüblerisch die Stirn. „Doch, mein Schatz, der Weihnachtsmann hat ein großes Buch, in das er das ganze Jahr reinschreibt, ob die Kinder brav waren, und am Nikolausabend kommt er in die Häuser und füllt ihre Stiefel oder aber bringt eine Rute, damit die Eltern ihnen damit den Hosenboden versohlen können.“ Er sagte es derart überzeugend, dass ich mich schnell abwendete, um nicht über ihr erschrockenes Geschichtchen lachen zu müssen. „Ich war brav, er muss gar nicht in sein Buch hineinschauen. Nicht wahr, Papa, zu uns kommt der Weihnachtsmann sowieso nicht. Der hat bestimmt Angst vor uns, nicht wahr, Papa?“ Edward blieb absolut ernst und schüttelte bekümmert den Kopf. „Nein, der Weihnachtsmann hat vor niemandem Angst. Er geht in jedes Haus und verteilt auch bei Vampiren Geschenke oder Ruten.“ Sie sah ihn absolut entsetzt an. „Dann sollte Onkel Emmett mit Tante Rose wegfahren! Meinst du, er weiß das?“ Lachend zogen wir los und schlenderten durch die Einkaufsstraße. Edward hatte seinen Arm um mich gelegt und Nessie lief vor uns her, aufgeregt alles bestaunend und vor sich hin plappernd. In einem der größeren Kaufhäuser hatte sich eine große Schar Kinder zu einem Pulk zusammengestellt und sie lief natürlich direkt darauf zu, um zu erspähen, was der Grund dafür war. Auf einem Podest saß ein wirklich imposanter Weihnachtsmann und hörte sich die Wünsche der Kinder an, die nach und nach auf seinem Schoß Platz nahmen. Verunsichert kam sie zu uns geflitzt und nahm Edwards Hand. „Möchtest du dich dazu stellen, Renesmee?“ Sie blinzelte zu uns herauf. „Darf ich denn?“ – „Aber sicher darfst du, Maus.“ Liebevoll strich ich ihr über ihren kupferbraunen Schopf. „Ist das der echte Weihnachtsmann, Papa?“ Edward schüttelte wissend den Kopf. „Nein, weißt du, Liebes, der Weihnachtsmann hat einige Gehilfen, die ihm besonders in dieser Zeit helfen. Sie hören sich allerorten die Wünsche der Kinder an, und später helfen sie ihm auch, die Geschenke verteilen. Für ihn alleine wäre das einfach zu viel zu tun. Aber er koordiniert seine Angestellten natürlich.“ Sie nickte in Einverständnis und mit wichtiger Miene. Dann sauste sie vor und stellte sich in die Reihe. Edward zog mich an sich und küsste mich verführerisch. „Hmm, möchtest du auch auf den Schoß vom Weihnachtsmann, mein Liebling?“ Ich schmunzelte. „Nein, ich fühle mich in deinen Armen mehr als wohl. Sag mal, erinnerst du dich noch an deine menschlichen Weihnachtserfahrungen?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, aber an die Zeit später. Als ich noch alleine war mit Carlisle, hatte er eine diebische Freude daran, Weihnachten sehr menschlich mit mir zu feiern. Einmal hat er sogar einen Freund gebeten, für mich den Weihnachtsmann zu spielen. Es war irre lustig. Ich war zwar viel zu alt dafür, aber ... hmm .... ja, ich hatte saumäßigen Spaß daran, mir von Alistair anzuhören, ob ich brav war oder nicht.“ Er lachte ausgelassen bei der Vorstellung. „Wenn ich mir vorstelle, wir hätten jemand, der das mit Emmett machen würde....“ Er prustete erneut los und drückte mich glücklich an sich. Ich kicherte mit ihm. „Schade, dass Alistair wohl kaum in drei Tagen bei uns sein kann. Das wäre wirklich lustig. Oder vielleicht Benjamin oder Garreth.“ – „Nein, wenn dann nur Alistair. Du glaubst gar nicht, wie ernsthaft und vor allem unversöhnlich er als Weihnachtsmann war. Er hat sogar Carlisle aus seinem Buch vorgelesen. Ich könnte jetzt noch brüllen bei der Erinnerung daran. Glaub mir, er würde Emmett wie einen Dreijährigen dastehen lassen.“ Renesmee war an der Reihe und nahm vorsichtig auf dem Schoß des Weihnachtsmannes Platz. Sie sagte artig ihren Namen, erklärte sogar den tieferen Sinn ihres Namens und warf dem armen Weihnachtsmann einen betörenden, schmeichlerischen Blick zu. Der arme Mann sah sie mehr als verzückt an und legte schützend seinen Arm um sie. „Was wünschst du dir denn, Renesmee?“ Sie holte tief Luft und begann wie ein kleines Maschinengewehr. „Ich wünsche mir für meinen Opa ganz viel Ruhe, für meine Oma ein vernünftiges Rot, um die Küche zu streichen, für Tante Alice einen schicken Mantel, für Jasper ein Buch über den Bürgerkrieg, für Rosalie einen Werkzeugkasten, für Papa Musik, für Mama neue Schuhe und für Onkel Emmett ... hmm, einen Baseballschläger, der was aushält.“ Edward hatte sein Gesicht in meine Jacke vergraben und giggelte vor sich hin. Natürlich, er hörte nicht nur seine Tochter, sondern auch die Gedanken des armen Weihnachtsmannes. „Hör auf zu lachen, Edward. Ich finde es schön, dass sie auch diese Erfahrung macht. In diesem Jahr hat sie noch die Gelegenheit dazu, im nächsten wird sie schon wieder um einiges älter sein. Sie wächst so unglaublich schnell, da sollten wir sie es genießen lassen.“ – „Ja, ich gebe dir Recht, Bella. Nessie ist absolut glücklich und vor allem, sie glaubt an ihn. Wirklich, sie ist völlig gefangen von dem ganzen hier.“ Ich sah zu meiner Tochter, die nun eifrig nickend den Worten des Weihnachtsmannes lauschte, und eine Idee reifte in mir. Was wenn ich … Oh, das wäre einfach wunderbar. Ich musste unbedingt sofort, wenn wir zuhause waren, mit Jakob telefonieren. Jake war vor einigen Tagen nach Forks geflogen, um seinen Vater zu besuchen. Er wollte jedoch morgen oder übermorgen zurückkommen. Quietschvergnügt tummelten wir uns in den diversen Etagen des Einkaufszentrums und gingen anschießend zum Weihnachtsmarkt, um dort von Stand zu Stand zu wandern. „Jo, Ed, da seid ihr ja endlich! Hey Nessie, sollen wir mit dem Karussell fahren?“ Emmett winkte uns übermütig von einer Bude, an der er sich mit Rosalie soeben eine vollkommen bescheuerte Weihnachtsmütze erstanden hatte. Seine knallrote Zipfelmütze hatte ein Rentiergeweih, welches zu allem Übel auch noch in verschiedenen LED Blinklichtfarben aufleuchtete. Rosalie trug eine strassbesetzte rote Samtmütze mit dickem schneeweißem Pelz. Renesmee fiel in ihre Arme und quiekte vor Übermut. Ich umarmte Rosalie. „Hey, das ist aber eine schöne Überraschung!“ Rosalie sah zu Edward und verzog zweifelnd den Mund. „Überraschung? Ich dachte, wir wären verabredet?“ Edward grinste „Ja, aber Bella wusste nichts davon. Problem?“ Rosalie gab ihm einen versöhnlichen Kuss auf die Backe. „Nein, ganz im Gegenteil. Komm Brüderchen, ohne adäquate Mütze können wir nicht weiterziehen.“ Edward stöhnte gespielt auf, wühlte aber sofort in der Auslage des Standes, um sogleich eine Zipfelmütze mit blonden langen Gretchenflechten für mich herauszufischen. „Oh Nein, Edward, die ist ja furchtbar!“ Lachend zog ich das Ding über und kramte für ihn eine ebenfalls knallrote Zipfelmütze heraus, auf der ein in die Hände klatschendes Rentier saß, das blinkte und alle Minute laut „Ho ho ho“ blökte. Er stöhnte gespielt auf und wir zogen los. Natürlich tranken wir einen Punsch, fuhren alle gemeinsam Karussell, kauften irgendwelchen Kitsch und hatten unglaublichen Spaß. Rosalie verwöhnte Renesmee mal wieder nach Strich und Faden und Emmett gab sich bereitwillig als ihr Reittier her, bis sie völlig übermüdet auf seinem Arm einschlief. „Was haltet ihr davon, wenn wir am Sechsten eine Nikolausfeier mit der ganzen Familie machen?“ Edward sah aufgekratzt in die Runde. „Jo, das wär mal was anderes. Ich geb den Knecht Ruprecht! Jasper hat es wirklich verdient!“ Emmett rieb sich grölend die Hände. „Nein, Em, ich meine für Nessie, so richtig mit Geschichten vorlesen und richtig netter Party. Kein Knecht Ruprecht oder so, zudem sie dich sofort erkennen würde, dass nähme doch den ganzen Zauber weg. Ich hätte es gerne besinnlich, mit Lieder singen und Erinnerungen und, ja, familiär halt.“ Begeistert sah ich Edward an. Als hätte er meine Gedanken gelesen. „Oh ja, das wäre wunderbar. Ja, lasst uns das machen!“ Rosalies Augen begannen ebenfalls zu strahlen. Also machten wir uns voller Tatendrang auf nach Hause, um den Nikolausabend in Angriff zu nehmen. Natürlich waren auch Carlisle und Esme angetan von der Idee. Carlisle hatte Edward verschwörerisch zugezwinkert. Ihr Blick spiegelte tiefes Einvernehmen, Vertrauen und Belustigung wieder. Alice hatte natürlich sofort die Organisation des Rahmenprogramms an sich gerissen und mir lediglich die Aufgabe zugeteilt, Plätzchen zu backen und dafür zu sorgen, dass wir heute alle pünktlich ab 16 Uhr ordentlich gekleidet in unserem großen Wohnzimmer erscheinen sollten. Ich hatte Jakob bereits vorgestern angerufen und ihn gefragt, ob er es einrichten könnte, am Abend des Fünften zurückzukommen und für Renesmee den Weihnachtsmann zu spielen. Erst war er nicht wirklich begeistert, aber dann hatte ich ihm erklär, wie schön es für sie wäre, dass der Weihnachtsmann sie zu Hause besuchen käme und dass es in diesem Jahr geradezu perfekt wäre, da sie ja im nächsten Jahr schon fast zu alt dafür sein würde. „Bella, sie wird sofort merken, dass ich es bin, dass ist doch doof!“ Ich überlegte, wie Renesmee auf den Jakob-Weihnachtsmann wohl reagieren würde. „Nein, das geht in Ordnung. Wir haben ihr erklärt, dass der Weihnachtsmann natürlich viele Gehilfen hat, dann hilfst du ihm halt auch! Ach komm, Jake, das wird lustig! Du wirst sehen. Bitte! Sie hatte im letzten Jahr schon keinen Nikolausabend und Weihnachten war auch nicht der Brüller. Da möchte ich es ihr in diesem Jahr so schön wie möglich machen. Bitte mach mit.“ Er hatte geknurrt und gemurrt, aber ich konnte ihn durch das Telefon grinsen hören. Ja, es würde auch ihm Spaß machen, ihr diese Freude zu bereiten und er freute sich auf ihre leuchtenden Augen ebenso sehr wie ich. „Na gut, ich kauf mir irgendwo die Klamotten. Die kann ich ja nächstes Jahr im Internet wieder verkaufen. Also dann sehen wir uns morgen Abend, Bella. Wann soll ich denn kommen?“ Ich überlegte. „Ich denke zwischen 17 und 18 Uhr, dann können wir danach essen. OK?“ „Hmm, klar. Aber kocht was gutes, ich will eine entsprechende Belohnung!“ Er lachte und legte auf. Ich fühlte mich unbeschreiblich wohl. Alles lief perfekt. Renesmee würde einen wunderschönen Abend mit der Familie verleben, und Jakob würde ihr zumindest die Tradition des Weihnachtsmannes näher bringen. Es würde sicher toll werden. „Warum strahlst du so, Liebling? Hast du Geheimnisse vor mir?“ Edward hatte seine Arme von hinten um mich geschlungen und küsste zärtlich meinen Hals. Seine kühlen Lippen ließen meine Haut wie elektrisiert erschaudern. Meine Begierde, ihn zu küssen wurde immer stärker und ich drehte mich augenblicklich zu ihm um. Seine Augen leuchteten ebenso vor Begierde, seine Hände streichelten wie zufällig über meinen Rücken und spielten an meinem Ohr, sodass ich mich nur tief seufzend in einen innigen zärtlichen Kuss mit ihm versenkte. Wieso um alles in der Welt wurde diese Begierde nicht weniger, kontrollierbarer? Ich war wie immer hoffnungslos an ihn verloren und vergaß in dieser Minute alles um mich herum. „Hmm, wir sollten uns langsam für die Party umziehen, meinst du nicht auch, mein Schatz?“ Edward lächelte mich vielsagend an und fuhr erneut mit seinen Lippen meinen Hals entlang. Heiße Wellen der Wonne durchfuhren meinen Körper und ich war unfähig, ihm eine Antwort zu geben. „Hmmm, ja…wenn du meinst, ich….hmmm“ Er kicherte selig und gab mir einen Schmatzer auf die Stirn. „Na komm, Liebste, ich sollte dich nicht so ablenken, sonst reißt mir Alice noch den Kopf ab. Stell dir vor, wir kommen zu spät oder verpassen den Einsatz beim Weihnachtsliedersingen.“ Er löste sich von mir und drückte mich mit sanfter Gewalt von sich weg. „Ja, das wäre sicher nicht auszudenken!“ Beleidigt schmollte ich ihn an, ließ mich aber willig in unser Zimmer entführen, um mich tatsächlich nur umzuziehen. Edward war ebenso aufgeregt wie ich, obwohl ich mir nicht erklären konnte warum. Aber wenn ich ihn fragte, würde er wissen wollen, warum ich so angespannt war, und ich wollte ihm nichts von meinem Weihnachtsmann-Arrangement erzählen. Renesmee hatte von Esme ein sehr hübsches kunterbuntes Kleid bekommen und saß auf Carlisles Schoß, als wir ins Wohnzimmer kamen. Ich stellte eine große Platte mit frisch duftenden Plätzchen auf den Couchtisch und sah den beiden zu. Carlisle hatte ein dickes Buch aufgeschlagen und las daraus eine Nikolausgeschichte vor. Renesmee hatte sich gebannt zuhörend an ihn geschmiegt, und ihre Augen fraßen ihn geradezu auf vor Bewunderung und gleichzeitiger Spannung. Wir gingen schnell zu Esme in die Küche und halfen ihr beim Kochen. Eigentlich konnte ja nur Renesmee dieses Essen wirklich verdauen, aber aus Solidarität aßen wir bei besonderen Gelegenheiten ein wenig mit, damit sie sich nicht so alleine vorkam. Außerdem würde Jakob ja noch kommen, was ich jedoch bisher niemandem gesagt hatte. Rosalie, Alice und Jasper kamen albern kichernd zu uns und amüsierten sich über unsere kulinarischen Bemühungen. „Wo ist Emmett?“ Edward spähte hinter Rose ins Wohnzimmer. „Oh er telefoniert noch mit Joshua. Sie wollen noch einige Klausurvorbereitungen austauschen. Er kommt sicher gleich. Wir sollen schon mal anfangen. Du kennst ihn ja.“ Rose sagte es ein wenig säuerlich und ich nahm an, dass sie sich aus irgendeinem Grund ein wenig gezofft hatten, also ging auch Edward nicht näher darauf ein. Esme schob den großen Braten in den Backofen und stellte die Zeitschaltuhr ein. Dann gingen wir zurück ins Wohnzimmer und hörten Carlisle zu, wie er die letzte Geschichte beendete. Danach sangen wir einige Lieder, spielten Spiele und vertrieben uns die Zeit, bis das Essen fertig war. Es wurde immer später und Jakob war noch nicht da. Esme stand lächelnd auf und bat Rosalie, ihr zu helfen, das Essen auf den Tisch zu bringen. Wo blieb Jakob nur? In diesem Moment hörte ich Stimmen vor der Tür, allerdings hörte es sich an, als würde sich jemand streiten und ich sah irritiert in die Runde. Alice gluckste und hielt sich eine Hand vor den Mund. Jasper grinste ebenfalls und sah Edward erwartungsvoll an, der ebenfalls irritiert und genervt aussah. „Sag mal, Bella, erwartest du Besuch?“ Schuldbewusst zuckte ich mit den Achseln. „Ich, öhm, also weißt du, ich…!“ Edward stand auf und ging mit schnellen Schritten aus dem Zimmer zur Tür. Sekunden später kam er breit grinsend zurück. „Öhm, Bella, da stehen drei Weihnachtsmänner vor der Tür, könntest du mir mal helfen?“ Ich starrte ihn an und verstand gar nichts mehr. DREI! Alice begann sich in Jaspers Schoß zu kugeln und quiekte leise vor sich hin. Stirn runzelnd sauste ich hinaus, um mich sofort zu Edward zu stellen und starrte durch die geöffnete Tür auf den hell erleuchteten Eingang. Tatsächlich! Drei tadellos in rote, mit weißem Pelz besetzte Mäntel gekleidete Weihnachtsmänner mit weißen Rauschebärten standen davor und waren kurz davor, eine handfeste Schlägerei zu beginnen. „Ok, Leute, bitte, das, hmpf…ich bin sicher, das können wir regeln.“ „Klar können wir das! Ich bin ihr Patenonkel, also ist doch klar, ich mach den Weihnachtsmann!“ Emmetts Stimme dröhnte aus allen heraus. „Ach, ist das so? Wer ist hier ihr bester Freund? Außerdem hat Bella mich ausdrücklich darum gebeten – und von daher, hau ab, Emmett!“ Jakob versuchte, Emmett den Bart vom Gesicht zu ziehen. Der dritte Weihnachtsmann umarmte Edward überschwänglich „Hey, cool, dich zu sehen. Am besten lässt du mich einfach vorbei, bevor die da drin merken, wie bescheuert sich die zwei hier aufführen.“ Seth!? Ich starrte Edward an. „Du hast Seth angerufen?“ Er nickte und konnte sein Kichern nicht zurückhalten. „Bitte entschuldige, Liebes, aber schließlich soll sie doch nicht gleich merken, wer vor ihr steht, und mit Seth ist Nessie nicht vertraut. Bei Jake und Emmett käme sie sich höchstens veralbert vor, sie ist schließlich nicht dumm.“ Emmett boxte Edward unsanft in die Seite. „Hey, du glaubst doch nicht, dass Rose einen Hund als Weihnachtsmann für Nessie akzeptiert, Bro. Also, du Welpe, zieh schon mal die Kutte aus.“ Emmett zog Seth unsanft hinter sich. Jakob stellte sich breitbeinig vor Seth. „Dich hat also Edward angerufen. Mann, Bella, das hast du ja wieder super hinbekommen! Wie bist du eigentlich hergekommen, Seth?“ „Na, mit mir, ihr Spinner“, rief plötzlich mein Vater. „Ich hab das mit Edward schon vor zwei Wochen abgemacht, also Schluss mit dem Durcheinander. Schwiegersohn, du hast die Situation ganz und gar nicht im Griff. Hallo, Bells, fröhlichen Nikolaus wünsche ich dir. Wo ist mein Enkelkind?“ Charlie brummte ungehalten und übellaunig wie in seinen besten Zeiten und ich fiel ihm überrascht und überwältigt vor Freude um den Hals. „Oh Dad, das ist …..oh, das ist eine tolle Überraschung!“ Er presste mich an sich und räusperte sich gleichzeitig peinlich berührt. „Ja, hmm, war Edwards Idee. Ich freu mich auch, Liebes, du…hmm.. du siehst gut aus. Komm, bring mich zu Nessie. Die regeln das schon hier ….irgendwie. Bei uns damals hat das früher Harry Clearwater gemacht. Der machte den Weihnachtsmann richtig gut.“ Ich lächelte ihn an. „Ja, ich weiß, Dad, und ich hab es von Anfang an gemerkt.“ Zweifelnd und hilfesuchend sah ich zu Edward, der mir aufmunternd zunickte. Also ging ich schweren Herzens mit Charlie hinein und hoffte, dass die Männer das kleine Problem lösen konnten. „Opaaaaa!“ Renesmee flog Charlie um den Hals und sofort strahlte mein Vater über das ganze Gesicht. „Fröhlichen Nikolausabend, Nessie. Lass dich mal ansehen, du bist ja schon wieder gewachsen. Und so hübsch bist du geworden, viel hübscher als vor sieben Monaten.“ Charlie begrüßte lächelnd alle anderen Familienmitglieder herzlich und setzte sich zu Alice auf die Couch. „Mama, was ist denn da draußen für ein Lärm, wo bleiben Papa und Emmett?“ Ich sah in die belustigten Augen meiner Familie und fühlte mich furchtbar ertappt und beschämt. „Oh, sie kommen gleich, sie haben noch eine Überraschung für dich.“ Alice kicherte schon wieder. Ich grummelte leicht und versuchte mich irgendwie unsichtbar zu machen. „Jakoooob!“ Renesmee sprang auf und rannte auf Jakob zu, der gefolgt von Emmett, Seth und Edward hineinkam. Jakob schloss sie in seine Arme und sofort verwandelte sich sein noch verärgertes Gesicht in eine strahlende, zufriedene Miene und er jauchzte ebenso freudig, wie Nessie es tat. „Nessie! Ich hab dich total vermisst.“ Er wirbelte sie über seinem Kopf rund herum. „Ok, gibt’s hier was zu essen? Es riecht verdammt gut!“ Jake setzte sich herausfordernd an den Esstisch und schnupperte mit hochgehobener Nase in die Luft. Esme lachte. „Ja, natürlich. Bitte, Charlie, setzt euch. Bella, hilfst du mir, die Sachen aus der Küche zu holen?“ Nun völlig verwirrt stand ich auf und folgte ihr in die Küche. Offenbar hatten sie beschlossen, die Sache mit dem Weihnachtsmann ganz ausfallen zu lassen. Ich konnte mir nicht helfen, ich war bitter enttäuscht. Auch wenn ich durch meine Geheimniskrämerei alles verdorben hatte, Edward hatte ebenso wenig mit mir über seine Pläne gesprochen, und Emmett: Sein Alleingang war ja wohl absolut unsinnig und dumm. Aber sollte Renesmee jetzt wirklich darunter leiden? „Was ist denn, Bella?“ Esme legte mir tröstend einen Arm um meine Schultern. „Ach, ich hab mal wieder alles versaut.“ Sie lächelte. „Nein, Liebes, du hast es doch nur gut gemeint. Wie wir alle. Sieh mal, Renesmee hat es gar nicht gemerkt, also komm. Wir lassen uns den Abend nicht dadurch vermiesen. Und unsere Geschenke kann sie auch so bekommen.“ Ich nickte immer noch enttäuscht. Aber es war nicht mehr zu ändern. Das Abendessen wurde lustig. Dadurch, dass Charlie und zwei der Wölfe am Tisch saßen, mussten wir anderen nicht essen, es hätte im Übrigen gar nicht gereicht, so wie Jake und Seth in sich hineinschaufelten. Ihre zufriedenen, genussreichen Seufzer waren das größte Kompliment für Esmes Kochkünste. Renesmee plapperte ununterbrochen von ihren Erlebnissen auf dem Weihnachtsmarkt und in dem Einkaufszentrum. Ich half Esme spülen und beschloss, Renesmee ins Bett zu bringen. Wir würden ihre Schuhe vor ihre Zimmertür stellen, dann könnte sie morgen ihre Geschenke darin finden. Im Wohnzimmer hatten die anderen beschlossen, Activity zu spielen. Rosalie musste gerade auf einem Bein hüpfend das Wort ‚Seifenblase’ erklären und Emmett lachte sich über ihre pantomimischen Bemühungen halb schlapp. Carlisle hatte einen Anruf erhalten und war kurz in die Klinik gefahren. Noch eine kleine Panne, die den Abend nicht unbedingt besser machte. Mürrisch setzte ich mich zu Edward, der mir einen versöhnlichen Kuss gab. Meine Stimmung wurde nur langsam besser, aber immer, wenn ich in das vor Eifer gerötete Gesicht meiner Tochter sah, wurde ich versöhnlicher. Eine Viertelstunde später kam Carlisle zurück. Er lächelte entschuldigend und setzte sich schnell zu Esme. Plötzlich erblasste Renesmee, stand mit großen vor Staunen geweiteten Augen auf und ging zur Tür. Ich drehte mich um und sah – den Weihnachtsmann. „Guten Abend.“ Renesmees Stimme zitterte leicht, aber sie war noch einige Schritte näher an den großen fremden Mann mit dem edlen purpurfarbenen Mantel herangetreten, der einen Bischofstab und eine Bischofsmütze trug. Sein Bart war dicht, aber nicht so kitschig lang und weiß, wie bei diesen Kaufhaus-Weihnachtsmännern. Dieser Mann war derart authentisch, dass ich mich dabei ertappte zu glauben, den wirklichen Weihnachtsmann vor mir stehen zu haben. „Guten Abend, Renesmee. Schön, dass zumindest du mich begrüßt.“ Er hatte eine unglaublich sonore Stimme und ungewöhnlich dunkelblaue Augen, mit denen er uns missbilligend anstarrte. Dieser Mann hatte etwas wirklich Magisches an sich. „Oh, das machen sie noch, sie sind nur überrascht, Herr Weihnachtsmann.“ Er lächelte. „Oh, Kleine, mein Name ist Nikolaus. Du kannst mich gerne so nennen. Du bist ein sehr freundliches Kind, dafür muss ich dich loben. Außerdem bist du folgsam und lernst gerne, auch das sehe ich mit Wohlwollen. Sag mir, Renesmee, hat man dich im Glauben an mich und an das Gute erzogen?“ Renesmee nickte voller Überzeugung und Erfurcht. „Ja, mein Opa Carlisle hat mir alles über sie erzählt.“ Der Mann starrte auf Carlisle, der versonnen lächelte. „Nun, zumindest einer scheint mit Verstand gesegnet zu sein in deiner Familie.“ Edward unterdrückte krampfhaft ein Glucksen. „Mein Kind, dann weißt du sicher auch, dass du zu dieser Zeit in dein Bett gehen solltest. Oder möchtest du mich noch etwas fragen?“ Renesmee schüttelte nur den Kopf. „Nein, aber danke, dass du mich besucht hast. Gute Nacht, Nikolaus.“ Schüchtern ging sie auf ihn zu und reichte ihm ihre Hand, die er lächelnd ergriff. Sie war so gefangen von seiner Persönlichkeit, dass sie alles um sich herum vergessen zu haben schien. Edward stand auf und ging zu ihr. „Herzlich Willkommen, Nikolaus, bitte entschuldige, aber ich denke, ich bringe Renesmee nun in ihr Bett.“ Der Mann starrte Edward nun an und meinte hoheitsvoll: „Ja tu das, Edward. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Renesmee. Schlaf gut, und morgen früh bin ich sicher, dass du eine Belohnung erhalten wirst.“ Sie strahlte ihn mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln an und folgte Edward ohne Widerrede nach oben. Der Nikolaus kam näher und starrte jetzt fast zornig auf uns, die wir alle gespannt auf der Couch saßen. „Eine eigenwillige Sippschaft hast du dir geschaffen, Carlisle. Alice, du solltest deine Familie besser beraten. Halte nicht mit deinem Wissen zurück, du hast die Gabe, Missverständnisse zu verhindern, wodurch ganze Zerwürfnisse entstehen können. Und du, Jasper, sei nicht so zurückhaltend, deine Meinung ist wichtig, sie sollte gehört werden. Esme, du hast euch hier ein schönes Heim geschaffen. Aber du solltest mehr Strenge bei der Erziehung deiner Kinder walten lassen. Züchtige sie öfter, das sollte sie aufmerksamer machen.“ Edward kam leise ins Zimmer gehuscht und setzte sich flugs neben mich. „Schleiche dich nicht herein, Edward. Auch das ist ungehörig, obwohl du ein fleißiger Schüler zu sein scheinst. Merke dir, unter Eheleuten hegt man keine Geheimnisse. Unterrichte deine Gemahlin in Folgsamkeit und Gefügigkeit. Sie kann es brauchen.“ Edward schluckte krampfhaft. „Hmpf, ich danke dir für deinen Rat, Nikolaus.“ Der Mann sah ihn durchdringend und hoheitsvoll an. „Und übe dich in Ernsthaftigkeit.“ „Rosalie, hör auf, so eitel zu sein. Auch dir stünde es besser an, in Demut deinem Gatten zu folgen. Bessere dich und besprich dich öfter mit deinem Familienoberhaupt. Nun zu dir, Bella: Du bist noch jung, also will ich nicht zu streng mit dir sein. Ihr habt eine reizende Tochter und du scheinst ihre Erziehung sehr ernst zu nehmen. Auch du solltest gegenüber deinem Gatten keine Geheimnisse haben. Bessere dich.“ Er wendete sich an Charlie und ich hielt unwillkürlich den Atem an. „Guten Abend, Charles Swan. Du hast eine lange Reise auf dich genommen, um deine Familie zu besuchen. Die Bindung zu unseren Familien ist sehr wichtig und deine Liebe zu ihr sehe ich mit Wohlwollen. Du scheinst mir ebenfalls sehr müde zu sein, also wünsche ich auch dir bereits jetzt eine gute Nacht.“ Er ging ein wenig näher zu Jake, Seth und Emmett, die bisher grinsend auf dem hinteren Teil der Couch gesessen hatten. „IHR!“ Seine Stimme donnerte auf sie hernieder und ich erschrak unglaublich. „Ihr wagt es, euch in lächerlichen Tand zu kleiden, um meine Person zu parodieren? STÜMPER!“ Emmett machte den Mund auf und wollte irgendwas sagen. „Erspare meinen feinen Ohren deine gestammelten Ausflüchte, Emmett. Nichts kann DAS entschuldigen. Was hattet ihr denn vor? Und ihr beiden, ihr Abgesandte eines indianischen Stammes von besonderer Art. Auch ihr sollt beim Morgengrauen eine Überraschung erleben, aber ich bezweifle, dass es eine Belohnung sein wird!“ Seth sah ihn entgeistert an. Sein Grinsen war sowohl ihm als auch Jakob vollkommen entglitten. „Und nun, Carlisle, würde ich mich gerne erfrischen, bitte führe mich in mein Zimmer.“ Carlisle stand schnell und elegant auf und wies ihm mit seiner Hand, ihm zu folgen. Niemand wagte auch nur einen Laut von sich zu geben, bis sich Charlie behaglich grunzend in seinem Sessel räkelte. „Wow, Esme, egal wer der Kerl ist, aber er ist jeden Cent wert. Außerdem hat er recht. Ich bin wirklich müde. Gute Nacht, Bells, dein alter Herr legt sich aufs Ohr. Edward, zeigst du mir, wo ich schlafen kann?“ „Klar, komm mit, Charlie.“ Ich war immer noch gefesselt von diesem Auftritt des Weihnachtsmannes. Alice begann erneut zu kichern und schmiegte sich an Jasper. Esme legte einen Finger auf ihre Lippen. „Schsch, Alice, zerstöre nicht die Stimmung. So ehrfürchtig habe ich euch noch nie erlebt. Lass es mich genießen.“ Sie zwinkerte mir zu und ich begann mich zu entspannen. Ich hörte Edwards Stimme und gleich darauf kam er mit Carlisle zurück. „Du bist unglaublich, Dad. Wirklich, du hast den Abend gerettet. Sieh sie dir an, sie sind immer noch zur Salzsäule erstarrt.“ Die beiden kicherten amüsiert. „Na, das will ich doch hoffen, schließlich habe ich mir auch alle Mühe gegeben.“ Hinter ihnen trat Alistair herein, nun in normaler Kleidung und mit einem belustigten Zug um die Lippen. „Ich wünsche euch einen Fröhlichen Nikolausabend, Familie Cullen.“ Ich sah von Carlisle zu Alistair, dann zu Edward. „Carlisle …aber wie….Alistair, wie konntest du so schnell…?“ Carlisle setzte sich genüsslich zu Esme. „Gar nicht schnell, Bella. Alice erzählte mir vor zwei Wochen, dass Edward einen Plan für den Nikolausabend habe, der aber nicht funktionieren würde. Also habe ich mir gedacht, dass es lustig wäre, wenn jemand mit mehr Übung diesen Weihnachtsmann-Job übernehmen würde. Ja, und Alistair kann das wirklich gut!“ Emmett grölte. „Oh, ja, das kann er wirklich. Für einen Moment dachte ich schon, ich könnte mich morgen früh nicht mehr vor die Tür wagen.“ Er schlug Jakob übermütig und gelöst auf den Rücken. „Also keine Bestrafung, Jake, da lacht die Hundeseele.“ Alistair setzte sich zufrieden neben Carlisle. „Sei dir nicht so sicher, Emmett. Oder denkst du, Renesmee bekommt keine Geschenke im Morgengrauen?“ „Hey, komm schon, Alistair, wir wissen doch, wer sie ihr in die Schuhe steckt.“ Alistair schmunzelte. „Ja, sicher, aber sie bekommt sie, weil es ein Brauch ist, die guten Kinder zu belohnen. Vergiss nicht, dass es auch ein Brauch ist, die bösen Kinder zu bestrafen. Es findet sich immer jemand, der das tut! Das Spannende ist nur, man weiß nicht, wer das letztendlich macht.“ Er sah belustigt zu den dreien hinüber. „Aber keine Angst, meine Lieben, ich mache das nicht.“ ************************************************************************* Kapitel 8: Ich denke was, was du nicht siehst! ---------------------------------------------- December the Seventh starts with a stand-in, fortunately we didn’t have to give in. Oh yes, pünktlich gibt’s auch schon das neue Türchen. Es ist zwar nicht das Märchen, was ihr erwartet habt (was im Grunde eigentlich auch nicht möglich ist, da keiner von euch weiß, welches Märchen heute kommen sollte :p), dafür ist der Ersatz aber allemal so amüsant. Enjoy the funny one! ************************************************************************* Ich denke was, was Du nicht siehst! by Amethystra Renesmee genoss die seltene Zeit alleine mit ihrem Vater. Nachdem sie gemeinsam den gigantischen Weihnachtsbaum im Eingangsbereich der Cullens geschmückt und die zahlreichen Kartons wieder verstaut hatten, beschlossen sie, während der Rest der Familie mit Weihnachtseinkäufen beschäftigt war, für die Menschen unter ihnen Plätzchen zu backen. Edward wollte gerade die erste Fuhre Plätzchen aus dem Ofen nehmen, da steckte Jake, die Nase übertrieben in der Luft schnuppernd, seinen Kopf durch den offenen Durchgang der Küche. „Hmm“, brummte er und sog genüsslich den Duft von geschmolzener Butter und gebackenem Teig ein. „Onkel Jake!“, rief Renesmee begeistert, die vor ihrem Vater auf dem Tresen saß, und sprang in einem Satz runter, um in Jakes Arme zu stürmen. „Epepepp, Vorsicht, mein Engel, du hättest dich fast am Backofen verbrannt“, wies sie Edward väterlich zurecht. Nessie, die bereits auf Jakes Arm saß, sah Edward entschuldigend mit ihren großen tiefbraunen Augen an. „Entschuldige, Daddy.“ Dieser murmelte noch etwas, das sich nach „Wie die Mutter“, anhörte, als er mit einem rot karierten Küchenhandtuch, bestickt mit Rentiermotiven, kopfschüttelnd die Ofenklappe öffnete. Eine Wolke süßlichen Duftes nach Vanille und gebackenen Keksen strömte ihm dabei heiß entgegen. „Cullen, pass auf, dass du dir deine schicke rote Tolle nicht ansenkst“, scherzte Jake. „Wächst ja schließlich nicht mehr nach.“ Jake schlenderte mit Nessie auf dem Arm dem verführerischen Geruch entgegen, der für ihn sogar Edwards Vampirgestank übertünchte. „Oh man geil, ich hab ‘nen Mordshunger“, sagte Jake, als Edward das fertig gebackene Blech auf die Ablage stellte. Er setzte Renesmee nebendran ab, um beide Hände frei zu haben. „Nichts da, Pfoten weg!“, knurrte Edward. „Schon gut, Bluts – Edward.“ Jake rollte mit seinen schwarzen Augen und hielt gespielt abwehrend seine Hände hoch. „Ich werde deinen Meisterwerken nicht zu nahe kommen.“ Neugierig begutachtete er ebendiese. „Was haben wir denn da Feines, Nessie?“ Jake rieb sich seine Hände, was Edward gleich mit einem weiteren Knurren quittierte. „Sonne, Mond und Sterne“, kommentierte Jake weiter, der gekonnt die Warnung seines ehemaligen Rivalen ignorierte. „Und – hach – wie kreativ, Tannen.“ „Was gibt es an Tannen auszusetzen, Black?“ „Nichts, es sind halt eben nur Tannen, total langweilig, oder?“, zuckte er mit seinen Schultern. „Aber das passt zu deinem Daddy, nicht wahr, Nessie?“, fügte er flüsternd hinzu. „Ach, ja?“ „Ja!“ „Langweilig also.“ „Langweilig.“ „Und was macht dich so sicher, dass du das besser kannst, Mister Neunmalklug?“ „Das hier!“ Jake griff in seine Tasche und holte ein untertassengroßes flaches Päckchen heraus, das sorgfältig in ein weißes Stofftaschentuch eingewickelt war. Mit verschwörerischer Miene packte er es sanft aus und reichte es Nessie. „Da, mein Schatz, das hab ich für dich gebacken.“ Nessies Augen weiteten sich. „Das ist ja ein Rentier!“, rief sie begeistert und fuhr mit ihrem kleinen Zeigefinger zärtlich über die Rentiernase aus Haselnuss. „Ist das Rudolph?“, fragte sie glockenhell. „Ja, meine Süße, das ist dein ganz persönlicher Rudolph“, triumphierte er. Edward, der verblüfft daneben stand, wusste nicht mehr, was er dazu sagen sollte. „Na, Cullen, lecker Rentier?“ Jake nahm das überdimensionale Plätzchen und wedelte Edward damit provozierend vor der Nase herum. „Haha“, lachte Edward trocken und schnappte zunehmend gereizt nach dem Keks. „Lass mal sehen … Angeber.“ „Komm meinem armen Rudolph nicht zu nahe, Vampir. Er bekommt Angst in deiner Nähe.“ Mit gespielt kindlicher Miene zog Jake das Plätzchen schnell wieder in seine schützenden Arme. Nessie kicherte. „Aber Rudolph weiß doch, dass Daddy keine Kekse isst“, amüsierte sie sich, in ihr vorgehaltenes Händchen kichernd. „Kekse nicht, aber Rentiere, und wie kann sich Rudolph sicher sein, dass dein hungriger Papa da nicht einmal etwas verwechselt.“ Edward schnaubte entrüstet. Doch Jake kam erst richtig in Fahrt. „Na, meine Süße“, er strich Nessie eine rote Locke hinters Ohr, „wer kann nun besser Plätzchen backen, dein Dad, mit seinen ollen Tannen, oder dein außerordentlich talentierter Lieblingsonkel Jake?“ „Jake!“ Renesmee klatschte begeistert in ihre Händchen und lächelte dabei ihren Vater so zuckersüß an, dass selbst, wenn er es gewollt hätte, er ihr nicht böse dafür sein konnte. „Eine Moment, meine kleine Prinzessin“, sagte Edward nachdenklich und rieb sich auf einmal entschlossen seine mehligen Hände. „Du hast meinen Schlitten vom Weihnachtsmann noch gar nicht gesehen.“ „Daddy, du kannst einen Weihnachtsschlitten backen?“ Ihre Augen strahlten verehrend ihren Vater an. „Auch mit Geschenken und alles drin?“ Wenn sie ihn so ansah, schwoll das Vaterherz in seiner Brust vor Stolz. Er beugte sich zu ihr runter und stupste ihr liebevoll auf die kleine Stupsnase. „Sogar mit Geschenken drin, mein Engel.“ „Weihnachtsschlitten?“ Jake hob neben ihnen skeptisch eine Augenbraue. Er war nun nicht mehr ganz so lässig an den Tresen gelehnt. „Ja, Weihnachtsschlitten“, erwiderte Edward nun sichtbar genervt. „Was dagegen, Black?“ „Nein, Cullen, wenn du mit meinem ultimativen Schneemann mithalten kannst?“ Jake lehnte sich zu Nessie. „Mr. Frost?“, fragte Edward bevor Jake es seiner Tochter ins Ohr flüstern konnte. „Verpiss dich aus meinem Kopf, Cullen! Es kommt der Tag, an dem sich meine Stunden bei Bella lohnen werden!“ Alice hatte es veranlasst, dass Bella ihm half, ein Schild auf zu bauen. Sie meinte, es wäre in ein paar Jahren unabdingbar, wenn Jake Renesmees Pubertät überleben wollte. „Hört auf zu streiten!“, ging Renesmee empört dazwischen und stemmte dabei ihre kleinen Fäuste in die Seite. Wieder fühlte sich Edward an ihre Mutter erinnert und musste schmunzeln. „Ist gut, meine Süße, Daddy und Jacob benehmen sich jetzt.“ „Abgemacht, Hund?“ „Abgemacht, Vampir.“ „Okaay… für das, was wir vorhaben, brauchen wir auf jeden Fall mehr Teig.“ Geschäftig suchte Edward die neuen Zutaten zusammen. Er kratzte den restlichen klebrigen Teig aus der Schüssel auf die mehlige Ablage und flitzte in Vampirmanier zum Waschbecken. Da er Nessie und Jacob jetzt den Rücken zudrehte, sah er nicht, dass Jake gerade einen Esslöffel mit einer vollen Portion Teig füllte. Verwegen grinsend spannte dieser ihn langsam und zielsicher auf Edward. „Jake, hör endlich auf, in deinen Gedanken so laut ‚Rudolph, das beschissene Rentier‘ zu singen!“, stöhnte Edward, kurz bevor seine Tochter laut aufquiekte und kurz darauf etwas eklig Klebriges an seinen Hals klatschte. Unangenehm lief ihm der Teig in den Hemdkragen. Bedrohlich still drehte er sich zu den Beiden um. Nessie, die diesen Blick von ihrem Vater bereits kannte, fror in ihrer Bewegung ein. „Ich dachte, wir wollten uns benehmen?“, zischte Edward langsam, zwischen seine aufeinander gepressten Zähne hindurch. „Der Hund benimmt sich ja auch, so aber nicht der Mensch!“ Jake entblößte zwei schneeweiße Zahnreihen. Er konnte nicht anders, als Edward triumphierend entgegen zu grinsen. „Pass lieber auf, dass du keine Flöhe auf dem Küchenboden verlierst, Hund!“ Edward ging ruhig, zu ruhig, zu den beiden hinüber und öffnete den Eierkarton. „Apropos Haar, hier, Black, noch ein bisschen Proteine“, grinste Edward süffisant, während er die schmierige Masse samt Schale gleichmäßig auf Jakes schwarzer Struppelmähne verteilte. „Es soll das Haar angeblich schön geschmeidig machen“, setzte er liebevoll tätschelnd nach. Jake leckte sich zitternd vor Wut den Tropfen rohes Ei von seiner Nasenspitze. „Ich zeige dir gleich, wie geschmeidig ich sein kann, Blutsauger!“ „Aber, Daddy, mit Essen spielt man doch nicht“, flüsterte Nessie geschockt über das Verhalten ihres Vaters, der sich sonst immer so sittsam benahm. „Keine Regel ohne die Ausnahme, Herzchen“, zwinkerte er seiner Tochter keck zu. „Genau“, meinte Jake und ehe es sich Edward versah, bekam er die Schüssel mit dem Mehl übergestülpt. „Das kommt davon, wenn man es zu bunt treibt, Glitzerdaddy!“ Edward pustete sich eine mehlverstaubte Strähne aus dem Gesicht. „Daddy, du siehst lustig aus, wie ein komischer alter Mann.“ „Nessie, dein Dad ist der erste Vampir, der aussieht, wie ein begossener Pudel.“ Jake versuchte erst gar nicht, sich zu beherrschen, um nicht gleich lauthals loszulachen. „Treib. Es nicht. Zu bunt, Black!“, flüsterte Edward, der immer noch stocksteif dastand. „Was denn? Bekommt das Puder deinem Gliddertattoo nicht? Nur schade, dass hier drinnen nicht die Sonne scheint, sonst könntest du funkel, funkel, kleiner Stern auf dem Weihnachtsbaum spielen.“ Noch ehe Edward Jake das Küchenhandtuch in sein vorlautes Maul stopfen konnte, erschien Bella auf einmal im Türrahmen. „Was ist den hier los?!“, fragte sie aufgebracht. Hecktisch schweiften ihre Blicke in der Küche herum und sie konnte es nicht fassen, welches Bild sich ihr bot. „Edward, Jake…!“ Edward senkte verlegen seinen Kopf wie ein kleiner Schuljunge, der etwas verbrochen hatte, unter den vorwurfsvollen Blicken seiner Frau. Dann sah er unschuldig zu ihr auf und fuhr sich über seinen staubigen Hinterkopf. „Wir backen?“ Nessie, die immer noch zwischen den Männern auf dem Tresen saß, zupfte ihrem Lieblingsonkel eine Eierschale aus dem Haar. „Daddy wollte Jake schöne Haare machen.“ Widerwillig zogen beide Männer zeitgleich ihre Mundwinkel nach oben, und als sich ihre Blicke trafen, glucksten sie lachend auf. Bella verdrehte ihre goldenen Augen und lief auf die Spaßvögel zu. „Kinder!“, stöhnte sie genervt und gab ihren Männern einen festen Klaps auf den Hinterkopf. ************************************************************************** Kapitel 9: A Twin's Tale ------------------------ December the Eighth’s tale’s content occupies a contemplative advent. Die Temperaturen gehen wieder runter und hier gibt’s heute ein Märchen über unsere traditionellen kaltherzigen Vampire aus dem sonnigen Volterra. Don’t get bitten! ******************************************************************************** A Twin’s Tale by LLouWT Die weißen Schneeflocken suchten sich munter ihren Weg zur Erde und belagerten freudig den Fenstersims, hinter dessen Scheiben Alec grübelnd das Treiben auf den Straßen Volterras beobachtete. Er dachte nach, wie schon so oft in den letzten Tagen außerhalb des Dienstes. Jane war auf einer Mission und Alec hatte die Zeit genutzt, um eine Art Überraschung für sie vorzubereiten. Ein paar Tage nur er und sie. Sie empfanden jegliche Bräuche der Menschen als albern und hielten an ihren ‚Traditionen‘ nicht im Geringsten fest. Die Cullens, so vermutete er, würden sicherlich das menschliche Theater am Weihnachtsbaum machen. Schließlich wandte sich der Hexenzwilling vom Fenster ab, klappte den vor sich aufgebauten Laptop zu und machte sich schnellen Schrittes auf den Weg zu Aros Arbeitszimmer. „Alec, mein Freund! Was kann ich für dich tun?“, begrüßte Aro ihn freudig und Alec verbeugte sich leicht, wie es sich gehörte, und antwortete leise. „Meister! Es geht um meine Schwester und mich.“ Dann hielt er ihm seine Hand hin, denn die ganzen Sachen zu erklären, würde mit Sicherheit Stunden beanspruchen, und mit der Prozedur verkürzten sie diese Zeit rapide. Während Aro die Gedanken von Alec scannte, probierte dieser, die Mimik von seinem Meister zu deuten – vergebens. Insgesamt benötigten sie gut eineinhalb Stunden, um alle Dinge zu besprechen. Auch wenn es Aro missfiel, seine zwei besten Gardisten für einige Tage zu entbehren, so stimmte er zu. Unter der Bedingung, dass Felix sie begleitete. Seine Juwelen ohne Schutz gehen zu lassen – untragbar, auch wenn sie sich bestens selbst verteidigen konnten. Sicher war sicher. Demetri würde sie im Zweifelsfall schnell finden können. ** Zwei Tage später ** „Alec! Wohin bringst du mich?“, herrschte seine Zwillingsschwester Alec an, als sie aus dem Fahrzeug ausstiegen. Auch wenn es kaum zu glauben war, und es ging auch nicht ohne Knurren vonstatten, so waren Janes Augen mit einer schwarzen Binde verbunden, damit sie nicht sehen konnte, wohin es ging. Es sollte eine vollkommene Überraschung werden. Langsam schritten sie Hand in Hand voran und die Schneeflocken fielen auf sie hinab. Alec hielt schließlich inne und nahm seiner Schwester die Augenbinde ab. Vor ihr erstreckte sich ein großes edles, aber auch altertümliches Anwesen, ganz in Schnee gehüllt, und man hörte die Wellen des Meeres rauschen. Die Augen beider strahlten vor Freude. Nur sie allein. Felix konnte man ja wegschicken. Das gesamte Haus war herzlich geschmückt in Schwarz, Dunkelrot sowie einem dezenten Gold – den Farben der Zwillinge und der Volturi. Nach der Erkundungstour des Hauses setzten sie sich im Kerzenschein auf das gemütliche Riesensofa und Alec holte eine Blutflasche plus zwei Weingläser hervor. Jane schmunzelte. „Da hat sich mein Brüderchen aber Mühe gegeben“, und gab ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Das Ganze tat ihnen unheimlich gut. Unterdessen zog Felix draußen seine Runden und passte auf. Gemeinsam genossen sie die Anwesenheit des anderen und ließen sich das Blut ‚langsam‘ förmlich auf der Zunge zergehen, wie Menschen es bei einem guten Wein taten. Anschließend lagen sie zusammen auf dem Sofa und Alec hatte die Arme um seine Schwester geschlungen. Soviel Zärtlichkeit und so viele Kuscheleinheiten waren in Volterra nicht Gang und Gebe für beide. Dort war man nie allein und unbeschwert. Im Verlies war man vielleicht allein untereinander, aber die Atmosphäre passte nicht so ganz. Außerdem hatten sie einen Ruf zu pflegen. Aro hatte Felix ein kleines Paket für die beiden mitgegeben, und so kam es, dass es irgendwann klingelte und ein Päckchen vor der Tür lag. Auf dem kleinen Schildchen, welches dran befestigt war, stand in feiner, filigraner Schrift ‚Für meine beiden Zwillinge, Aro‘. Als es klingelte, musste Alec schmunzeln. Genüsslich ging er in Richtung Tür und nahm das Päckchen mit rein. Dabei bemerkte er, dass es zwischenzeitlich aufgehört hatte zu schneien. Der Geruch von Felix verriet ihm, dass dieser es dort hingelegt hatte. Als er zurückkam, sah er, dass die Tür zum Meer hin offen war. Der Wind wehte ihm sachte den Geruch seiner Schwester in die Nase. So beschloss er, zu ihr hinauszugehen. Jane hatte sich auf einen Felsvorsprung direkt am Meer gesetzt und lauschte anscheinend den Wellen. Ihr Zwilling stellte sich neben sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, ehe er sich neben ihr niederließ. „Was hast du da, Alec?“, fragte Jane, als ihr Blick auf das Päckchen fiel. Die Antwort kam ebenso leise, wie die Frage. „Ein Geschenk von Meister Aro.“ Langsam öffnete Jane die Schleife und Alec nahm ruhig den Deckel ab. In der schwarz eingeschlagenen Schatulle befanden sich zwei kleine, goldene Medaillons. Die Augen der beiden funkelten förmlich vor Begeisterung. Vorsichtig nahm Alec eines hinaus und betrachtete es gemeinsam mit seiner Schwester näher. Vorne waren ganz fein ein ‚A‘ und ‚J‘ verschlungen eingraviert. Mit einem kleinen Klick öffnete er das Medaillon und ihnen blickten zwei eng umschlungene, in schwarz gehüllte Gestalten entgegen. Ein Junge und ein Mädchen. Es waren sie selbst. Auf der anderen Seite war noch feiner als auf der Außenseite die Initialen des Volturiwappens eingraviert. „Unglaublich“, brach der Hexenzwilling das Schweigen und seine Schwester nickte ihm zu. Man sollte bedenken, dass nicht vieles die beiden noch wirklich beeindrucken konnte … Vorsichtig legte Alec seiner Schwester die Kette an und sie wiederholte die Prozedur bei ihm. Es war einfach ein unbeschwerter Moment. Auge in Auge blickend lächelten sie sich innig an. Wie lange sie in der Position verharrt hatten, wussten sie nicht, aber die Wolken brachen etwas auf und kündigten den Sonnenuntergang an. Wie lauter funkelnde Diamanten saßen sie Hand in Hand an der Klippe und genossen ihre Zweisamkeit, während die Sonne langsam unterging. Felix stand lächelnd am Rande des Waldes und beobachtete die funkelnden Zwillinge am Meer sitzend. Ob man es glaubte oder nicht, aber er freute sich für die beiden. Kapitel 10: Der falsche Wunsch ------------------------------ The tale of the Ninth of December will burn your heart to ember. Sieht’s bei euch auch so [http://s3.directupload.net/images/101208/kdk6lenp.jpg]winter-weihnachtlich aus wie bei mir? Hach, Gottchen, ich liebe unsere neuen Straßenlaternen, da schimmert der Schnee so wunderbar kristallin. Und ja, ganz recht, ich will gerade ein bisschen ablenken, denn wenn ich an die Geschichte denke, die ihr gleich lesen werdet, dann … hach, lest einfach selbst :] **************************************************************************** Der falsche Wunsch die-peggy Er saß auf dem Fußboden. Nur ein kleiner, dreckiger Teppich schützte ihn vor dem kalten Linoleumbelag, der in dem kargen Zimmer ausgelegt war und bereits seine Blütezeit weit hinter sich gelassen hatte. Ein Stift lag in seiner Hand und er kritzelte mit ihm auf einem vergilbten Stück Papier herum. Die Formen, die er malte, waren nicht gut erkennbar, doch man konnte die Familie, die er zeichnete, zumindest erahnen. Eigentlich hatte er vorgehabt, das Wort „Wunschzettel“ darüber zu schreiben, aber er war nicht dazu gekommen, Mrs. Warens, seine Lehrerin, zu fragen, wie man dieses Wort buchstabierte. Er wollte nicht riskieren, dass der Weihnachtsmann seinen Wunsch nur wegen eines Rechtschreibfehlers nicht bekam. Später würde er die Betreuerin fragen, ob sie ihm dabei helfen könnte. Unbeirrt malte er weiter. Bis jetzt sah man ein Kind, das die Hand eines Erwachsenen hielt, doch er war noch lange nicht fertig. Die Szene, die er auf das Papier bringen wollte, war so tief in seinen Gedanken verankert, dass er sich auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte, als auf den blauen Stift, der eckige Kanten und ungerade Linien hervorbrachte. In seinen Augen war das Bild wunderschön. Erst als noch ein zweiter Mensch dazukam, der selbst den ersten Erwachsenen um einen Kopf überragte, schaute er kurz auf und überlegte angestrengt, was noch fehlte. Wieder setzte er den Stift an und malte einen krakeligen Tannenbaum in die Ecke, an dem nur eine einzige Kugel hing. Gerne hätte er verschiedene Farben verwendet, doch die bunten Stifte durfte er nur in dem Zeichenraum benutzen, und dieser war um diese Uhrzeit nicht mehr für ihn zugänglich. Es war kurz vor Mitternacht gewesen, als er aufgewacht war und begonnen hatte zu zeichnen. Die kleine Nachttischlampe spendete ihm genug Licht, um sein Werk zu vollenden. Erst als er zufrieden war, kroch er wieder unter seine Decke und gab sich einem festen Schlaf hin. De Traum zauberte ein Lächeln auf sein mageres Gesicht, und mehr denn je wünschte er sich, dass dieser Traum bald wahr werden würde. * „Was kann ich für Sie tun, Sir?“, fragte die Angestellte des Juwelierladens und lächelte freundlich. „Ich will mich nur mal umsehen“, antwortete der Angesprochene und ging weiter auf die Vitrinen zu. Ringe, Armbänder und Ketten in allen möglichen Variationen und Preisklassen erstreckten sich vor ihm und er hatte keine Ahnung, was er nehmen sollte. Vielleicht hätte ihm die junge Dame helfen können, die ihn eben noch hatte beraten wollen, doch er wollte dieses Geschenk alleine aussuchen. Er wollte es ansehen und in seinem Herzen wissen, dass es das Richtige war. Mit diesem Gedanken streifte er nun schon seit Stunden durch das überfüllte Kaufhaus, aber er wurde einfach nicht fündig. Der Schmuckladen war seine letzte Hoffnung, auch wenn er bezweifelte, hier etwas Passendes zu finden. Die Person, die er beschenken wollte, war nicht so wie gewöhnliche Frauen, die sich über materielle, möglichst teure Dinge freuten. Nein, sie war ganz anders und das in sehr, sehr vielen Hinsichten. Er lächelte und schüttelte leicht den Kopf, als er darüber nachdachte, was sie alles von anderen Menschen unterschied. Sie war einfach unvergleichlich, dachte er und betrachtete eine mit Diamanten besetzte Kette, die hinter dickem Glas verborgen lag. Die Kette war schön und an ihrem Hals hätte sie sicherlich prächtig ausgesehen, aber das Gefühl, dass er sich erhofft hatte, sobald er das perfekte Geschenk sah, stellte sich nicht ein. Langsam war er wirklich frustriert. Er schaute sich noch weitere Auslagen an, bis er geknickt auch diesen Laden verlies und sich unverrichteter Dinge auf den Weg nach Hause machen wollte. An einem Schaufester blieb er stehen. Dies war einer der Läden, die er nicht betreten hatte, weil er von vorherein gedacht hatte, er würde dort nichts finden. Er hatte sich getäuscht. Es war ein kleiner, sehr dezenter Anhänger aus Glas, geschliffen zu einem Herzen, der in der hintersten Ecke des Schaufensters lag und den er fast übersehen hatte. Es schien, als wäre es nur billiger Modeschmuck, aber dieser Anhänger war genau das, was er ihr schenken würde. Als er den Laden wieder verließ, hing das kleine Herz an einer silbernen Kette und war sicher in einer Schachtel untergebracht, eingepackt in Geschenkpapier. Das Lächeln auf seinen Lippen drückte seine Vorfreude, aber auch ein klein wenig Besorgnis aus. Er hatte keine Angst, dass ihr sein Geschenk nicht gefallen würde, sondern dass er wohlmöglich keine Gelegenheit hatte, es ihr zu übergeben. Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken und er fischte es aus der Tasche seines Mantels. „Ja?“, sagte er über den Lärm des Kaufhauses hinweg und fluchte innerlich, dass er nicht vorher auf die Nummer geschaut hatte. „Du bist ohne mich einkaufen gegangen?“, fragte Alice am anderen Ende der Leitung und er konnte die Missbilligung seiner Schwester regelrecht greifen, also entschuldigte er sich kurz bei ihr und fragte nach dem Grund für ihren Anruf. „Ich wollte fragen, ob du heute Abend bei uns vorbei kommen möchtest. Die anderen würden sich freuen und ich will nicht, dass du alleine in deiner Wohnung hockst.“ „Ach Alice, ich hab es dir doch schon mal erklärt: Ich hab noch viel zu tun und außerdem will ich unter den ganzen Pärchen nicht das fünfte Rad am Wagen sein“, antwortete er ruhig und änderte seine Meinung auch nicht, während Alice versuchte, ihm den Abend mit ihr und ein paar anderen Gästen schmackhaft zu machen. Alice, die sich allerdings nicht so einfach abschütteln ließ, redete dennoch weiter: „Edward, komm schon. Ich hab sogar Jessica eingeladen. Sie kommt auch ohne Begleitung.“ Genervt verdrehte er die Augen und verabschiedete sich knapp bei seiner Schwester, wünschte ihr frohe Weihnachten und schob das Handy zurück in seinen Mantel. Er hatte die ständigen Verkupplungsversuche von ihr im Laufe der Jahre wirklich satt. Immer wieder versuchte sie, ihn unter die Haube zu bringen. Natürlich, sie wollte das Beste für ihren Bruder, aber Edward hatte sein Herz schon lange verloren. * Die Sonne kitzelte auf seiner Haut und ein Schauer durchfuhr ihn, als er die dünne Decke zurück schlug und das Bett verließ. Es war kalt und viel zu hell für seine müden Augen. Dennoch trat er ans Fenster und betrachtete ehrfürchtig den Schnee, der über Nacht die dreckige Gegend mit einer weißen, unschuldig wirkenden Schicht aus Kristallen überzogen hatte. Es war das erste Mal, dass der Junge Schnee sah und er war ein bisschen traurig, dass er nicht dabei zugesehen hatte, wie dieser gefallen war. Er konnte sich kaum an all dem Schnee satt sehen, doch er wandte sich ab, um das Bild zu holen, das er in der Nacht gemalt hatte. Als er auf den Tisch neben seinem Bett schaute, war dort jedoch keine Spur von dem Zettel. Innerhalb weniger Minuten hatte er das Zimmer durchsucht, war aber nicht fündig geworden. Ein Träne glitzerte in seinen Augen, doch er war zu groß zum Weinen, hatte ihm seine Betreuer immer wieder eingeredet, deswegen wischte er sie schnell weg, atmete tief durch und ging in die Waschräume, die wie ausgestorben wirkten. Die ganze Zeit überlegte er, ob sein Wunsch auch ohne Wunschzettel in Erfüllung gehen würde. Immerhin war heute Heilig Abend und er hatte Angst, dass der Weihnachtsmann seine Botschaft nicht mehr rechtzeitig bekäme. Es war seine letzte Hoffnung, dass der Weihnachtsmann seinen Wunsch erfüllte, denn Gott hatte es nicht getan. Jede Nacht, seitdem er hier war, hatte er gebetet, doch er war nicht erhört worden. Gott hatte ihm keine Familie gegeben und ihn immer mehr vereinsamen lassen. Doch Edward Masen wollte nicht mehr einsam sein. Er wollte Freunde, mit denen er spielen konnte. Einen Bruder oder eine Schwester, jemand, der sich um ihn sorgte oder auf sein Knie pustete, wenn er hingefallen war. Er wollte einfach seine Mutter wieder haben, doch diesen Wunsch konnte ihm noch nicht einmal der Weihnachtsmann erfüllen, und der kleine Edward wusste das. Trotz seines jungen Alters verstand er, dass es nicht richtig war, sich einfach irgendeine Mutter zu wünschen, aber er tat es. Es war ihm egal, ob es seine eigene Mutter wäre, die sich um ihn sorgte, er wollte einfach nur das Kind von jemandem sein. „Edward?“, schrie Mrs. Collins durch das ansonsten verlassene Haus, nachdem sie ihn in seinem Zimmer nicht vorgefunden hatte. Er antwortete mit einem leisen „Ja“ und schon kurz darauf stand die kleine, beleibte Frau mitten im Waschraum. In ihrem Gesicht stand Ärger, doch Edward hörte nicht auf, sich die Zähne zu putzen. „Die anderen kommen heute nicht mehr zurück. Die sind eingeschneit“, sagte sie wütend und kramte aufgebracht in ihrer Tasche herum, bis sie einen Schlüssel zutage brachte. „Und ich hab jetzt Feierabend. Es wird niemand hier sein, bis ich morgen früh wieder komme. Ich erwarte von dir, dass du dich benimmst. Ist das klar?“ Edward nickte vorsichtig und registrierte erst jetzt, dass sie ihn wirklich hier alleine lassen würde. Auf einmal fühlte er sich, als wäre er der einzige Mensch auf der Erde, der für immer allein sein müsste. „Wann kommen denn die anderen wieder?“, fragte Edward schüchtern und Mrs. Collins warf theatralisch die Hände nach oben. „Ich hoffe bald. Ich will wegen dir wirklich keine Überstunden machen, am zweiten Feiertag hab ich Urlaub.“ Edward nickte noch einmal und Mrs. Collins verschwand eilig aus dem Waschraum. Edward hatte sich eine Familie gewünscht und was hatte er zu Heilig Abend bekommen? Nichts als Einsamkeit, die scheinbar immer größer wurde. * Ungeduldig lief er in seinem Apartment auf und ab. Sein Blick war die ganze Zeit auf die Uhr gelegt und es kam ihm vor, als würde der Zeiger sich von Minute zu Minute langsamer bewegen. Es war kurz vor Neun am Abend des 24. Dezembers und langsam gab er die Hoffnung, die er schon das ganze Jahr in sich getragen hatte, auf. Er hatte es sich so sehr gewünscht, doch vielleicht war es zu viel gewesen, dachte er und sah hinüber zu dem Christbaum, an dem nur eine einzige Kugel hing. Er kannte jedes Detail dieser Kugel und so absurd es auch klingen mochte, er liebte diese Kugel mit jeder Faser seines Herzens. Er hatte sich schon so oft für verrückt erklärt, dass er es nicht mehr zählen konnte und sich darüber wunderte, noch nicht eingewiesen worden zu sein. Edward Cullen war ein gutaussehender Mann, mit Scharm, Klasse und sogar Geld, doch er zweifelte ernsthaft an seiner Zurechnungsfähigkeit. Mit den Jahren war es für ihn immer unerklärlicher geworden, was zu Weihnachten vor sich ging. Er nannte es sein persönliches Wunder, auch wenn er manchmal glaubte, jedes Jahr einen viel zu realen Traum gehabt zu haben. Denn das war sie: Ein Traum, der niemals die Gestalt annehmen würde, die er sich wünschte. Und auch heute Nacht würde es nicht passieren, dessen war er sich nun fast sicher, nachdem die Zeit unaufhaltsam und dennoch viel zu langsam verstrich. Irgendwann hatte er sich an den Tisch gesetzt und starrte wie gebannt auf die Kerze, er ertrug es nicht mehr, auf die Uhr zu sehen. Doch auch an dem Wachs, welches immer mehr schwand, sah er, dass sein Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde. Ruhige Musik erklang im Hintergrund, aber Edward nahm sie kaum wahr. Ein Klingeln riss ihn aus seinen trüben Gedanken und seine Hände wurden augenblicklich schweißnass. Hoffnung keimte wieder in ihm auf und seine Knie wurden so weich, dass es ihm kaum möglich war, sich von seinem Stuhl zu erheben und zur Tür zu gelangen. Es waren nur wenige Meter, die ihn noch von seinem Gast trennten, aber in Gedanken spielte er noch einmal durch, was er alles sagen wollte, übte die Worte, die seine Zukunft bestimmen würden und betete, dass es ihm gelang, überhaupt einen Ton hinauszubringen. Seine zittrigen Finger legten sich um den Türknopf und mit geschlossenen Augen drehte er daran. Die kalte Luft des verschneiten Winterabends schlug ihm entgegen und ließ ihn frösteln. „Hallo, Edward.“ Er riss die Augen auf und im selben Moment platze sein Traum endgültig. Natürlich, sagte er sich, sie hätte sicherlich nicht geklingelt und doch hatte er es so sehr gewollt, dass er jetzt traurig den Kopf sinken ließ. Kurz überlegte er, die Tür einfach wieder zu schließen und sich den Rest der Nacht in seinem Elend zu wälzen, doch er wollte seinem ungebetenen Gast wenigstens ein paar Minuten geben, um sich aufzuwärmen. Wiederwillig trat er einen Schritt beiseite und machte den Weg zu seiner Wohnung frei. „Was willst du hier, Jessica?“, fragte Edward und bemerkte zu spät, wie eisig seine Worte klangen. „Ich lass dich doch zu Heilig Abend nicht alleine hier sitzen“, antwortete sie und zog eine Flasche Wein unter ihrem Mantel hervor. „Ich war bei Alice‘ Party und sie hat gesagt, dass du nicht kommen wirst, also hab ich mein Zeug geschnappt und bin rüber gekommen.“ „Das wäre nicht nötig gewesen“, entgegnete Edward und nahm ihr den Mantel ab. Alles in ihm schrie, dass er Jessica wieder nach Hause schicken sollte, doch er nahm es hin, ihre Gesellschaft zu ertragen. Vielleicht war es wirklich besser für ihn, nicht alleine zu sein. Vielleicht musste er sich endgültig daran gewöhnen, nie wieder an Heilig Abend alleine zu sein, auch wenn er es die letzten fünfzehn Jahre eigentlich niemals gewesen war. * Der Gemeinschaftsraum war ausgestorben und kalt. Mrs. Collins hatte überall die Heizungen abgestellt, nur in Edwards Zimmer war die Temperatur angenehm, aber Edward wollte nicht zurück in sein Zimmer. Er saß lieber vor dem lichten Christbaum und betrachtete eine große Glaskugel, in der eine kleines Mädchen mit Flügeln zu ihm herab lächelte und ihm zu sagen schien, das alles wieder gut werden würde, wenn er nur fest genug daran glaubte. Die kleine Fee tröste ihn allein mit ihrer Anwesenheit und irgendwann hatte Edward begonnen mit ihr zu reden. Er erzählte von der Familie, die er einst gehabt hatte, von seiner Mutter und von seinem Leben, bevor er in das Waisenhaus gekommen war. Er berichtete von dem Ausflug, den die anderen Kinder machten, mit denen er hier lebte, und wie traurig er es fand, dass er wegen einer Grippe nicht mitgedurft hatte. Auch wenn er nie wirklich eine Bindung zu den Kindern aufgebaut hatte, vermisste er sie nun und bat die kleine Fee in der Kugel, sie von dem Ausflug zurück zu bringen, damit er nicht mehr ganz so alleine war. „Ich kann sie nicht zurück bringen, Edward.“ Der Junge erstarrte und schaute wie gebannt auf die Glaskugel. Die Stimme, die in seinem Kopf erklungen war, war hell und einfühlsam. Er hatte diese Stimme nicht mit seinen Ohren gehört, sie war direkt in seinem Kopf erschienen. Für den kleinen Edward jedoch war es nicht seltsam oder unwirklich, die Stimme hatte etwas so vertrautes, dass er gar nicht auf den Gedanken kam, dass er sie eigentlich gar nicht hören durfte. Für ihn war es nur wichtig, nicht mehr alleine zu sein und wenigstens ein bisschen Gesellschaft zu haben. „Wieso kannst du sie nicht herholen?“, fragte er und seine Stimme klang schon nicht mehr so traurig wie vor ein paar Augenblicken. Nicht einen Moment zweifelte er daran, dass die Stimme von der Fee stammte und nicht einen Zweifel hegte er gegen die Magie, die plötzlich den Raum einzunehmen schien. „Du hast dir dieses Jahr schon etwas gewünscht“, antwortete die Fee und nun sah Edward auch, dass sich ihr kleiner Mund bewegte. Ihre braunen Haare, die ihr über den Rücken und die Flügel fielen wurden von einem Wind aufgewirbelt, der nur in der Kugel wehte und sie zog sich die kleine, dunkle Jacke enger um den Körper. „Kannst du mich rauslassen, Edward?“ Sofort war der Junge auf den Füßen und legte beide Hände um die Glaskugel. Er nahm sie vorsichtig von dem Baum und betrachtete das Zuhause der Fee aufmerksam. Ohne die Kugel zu sehr zu schütteln suchte er nach einem Verschluss, doch er fand keinen. „Du musst nur fest daran glauben“, meinte die Stimme in seinem Kopf und Edward presste die Augen fest zusammen und glaubte daran. Schon wenige Sekunden später klapperte es neben seinem Ohr und als er die Lider hob, saß die Fee auf seiner Schulter. Ihre Flügel bewegten sich schnell und wirbelten kalte Luft gegen Edwards Hals. „Danke.“ Nun hörte Edward die Stimme des Mädchens und er drehte den Kopf soweit, dass er sie betrachten konnte. Er musste sich ganz schön verrenken, aber als er das Wesen ansah, lächelte sie. „Wer bist du?“, erkundigte sich Edward und die Angesprochene zuckte mit den Schultern. „Mein Name ist Bella und ich leiste dir heute Nacht ein wenig Gesellschaft.“ * Seit fünfzehn Jahren war seine Fee jedes Jahr zu Weihnachten zu ihm gekommen und hatte mit ihm den Abend verbracht. Meistens hatte sie geredet, bis der Morgen angebrochen war und Bella wieder verschwand, und jedes Mal hatte sie ein Stück mehr von Edward mit sich genommen. Oft hatte sie ihm für ein paar Stunden die Einsamkeit genommen, doch meistens war eben dieses Gefühl doppelt so stark zurückgeblieben, sobald sie wieder in der Kugel verschwunden war. Doch nie hatte Edward sich anmerken lassen, wie sehr es ihn schmerzte, dass sie immer wieder gehen musste. Er hatte Angst, dass sie es für besser befinden würde, nicht mehr zu ihm zu kommen. Angst, dass er das nächste Weihnachtsfest ohne sie erleben musste. „Hast du einen Korkenzieher?“, frage Jessica, die auf dem Sofa Platz genommen hatte, und schaute Edward an, der mitten im Raum stand und sehnsüchtig auf den Christbaum blickte. Er reagierte gar nicht und wünschte sich – so wie er es damals gemacht hatte, als Bella das erste Mal zu ihm gesprochen hatte –, dass sie ihre Kugel verlassen könne. Es war ein langes Jahr gewesen und die Monate hatten sich ins Unendliche gestreckt, doch nun war Heiligabend und sie war nicht da. Das Warten war umsonst gewesen. „Edward?“ Jessica riss ihn aus seinen Gedanken und er schaute sie fragend an. Sie hielt die Flasche nach oben und wiederholte die Frage nach einem Korkenzieher. Ohne etwas zu erwidern ging er in die Küche, zerrte ein paar Schubladen auf und ging zurück, nachdem er gefunden hatte, was er brauchte. Jessica war aufgestanden und war vor den Weihnachtsbaum getreten. Ihre Hände lagen auf der Kugel und Edward erstarrte in seiner Bewegung. „Was machst du da?“, fragte er und konnte sich nur mühsam beherrschen, nicht zu schreien. „Warum hast du nur eine Kugel an deinem Baum?“, entgegnete sie, ohne zu merken, wie es in Edward brodelte. Niemand außer ihm hatte seit Jahren diese Kugel berührt, und er ertrug es kaum, ihre Finger um das zerbrechliche Glas zu wissen. „Und wieso ist sie dann nicht wenigstens bunt? Eine einzige Glaskugel an einem so großen Baum? Das ist schon ein bisschen langweilig“, fuhr Jessica unbeirrt fort. Bis jetzt hatte Jessicas Rücken die Kugel verdeckt, doch als sie sich zu ihm umdrehte, sah Edward, was auch Jessica gesehen hatte: Die Kugel war leer. * Der Wind, den Bellas Flügel erzeugten, kitzelte seine Nasenspitze, während er eingemummelt in einer dicken Decke in seinem Bett lag und krampfhaft versuchte, die Müdigkeit zurückzudrängen. Seit Stunden hatten sie sich unterhalten. Bella hatte ihm von ihrer Welt erzählt und was ihre Aufgabe hier bei den Menschen war. Als der Junge sie gefragt hatte, ob der Weihnachtsmann sie geschickt hätte, hatte Bella gelacht und davon geredet, dass es sie schon viel länger gab als den dicken Mann, der nur eine Erfindung von Coca Cola war. Sie hatte ihm erzählt, dass sie da war, um ihm heute Nacht eine Freundin zu sein und dass es einfach kein Kind verdient hatte, Heilig Abend allein zu verbringen. Edward hatte nicht alles verstanden, was sie ihm erklärt hatte, doch er wusste, dass die kleine Fee morgen nicht mehr da sein würde. Es machte ihn traurig und hielt ihn wach. Er wollte die Zeit, die er mit seiner kleinen Freundin verbringen durfte, nicht mit Schlafen vergeuden, deswegen stellte er immer wieder neue Fragen. Mittlerweile kannte er Bellas Alter – eine Zahl, die er noch nicht einmal hätte schreiben können. Er wusste, dass sie Bücher liebte, aber dass sie nur lesen konnte, wenn das Buch in der Nähe ihrer Kugel lag. Sie hatte ihm erzählt, dass sie die Sonne liebte und den Duft von Blumen, dass sie schon bei vielen Kindern gewesen war, um ihnen das Weihnachtsfest zu verschönern und dass sie es liebte, andere glücklich zu machen. Irgendwann waren seine Lider so schwer geworden, dass er ihre Stimme nur noch am Rande des Bewusstseins wahrnahm, und es kostete ihn Kraft, die letze Frage zu stellen, ehe ihn der Schlaf überrollen konnte: „Kommst du wieder?“ Bella antwortete nicht sofort, doch schließlich nickte sie. „Aber du musst versprechen, dass du mich weitergibst, sobald du mich nicht mehr brauchst.“ Edward wollte noch etwas erwidern, doch der Schlaf breitete sich ohne Gnade über ihn aus. Als Edward am Morgen erwachte, kam ihm der Abend wie ein Traum vor. Er hatte zwar eine rege Fantasie, aber er war im Stande zu sagen, dass der gestrige Abend nicht hätte real sein dürfen. Doch er war es gewesen. Bella, die Fee aus der Christbaumkugel, war wirklich bei ihm gewesen und hatte ihm das schönste Weihnachten geschenkt, das er sich je hätte erträumen können. Schnell schlug er die Decke zurück und rannte in den Gemeinschaftsraum. Noch immer war alles wie ausgestorben, er war froh darüber. Die Kugel hing an demselben Ast wie gestern, nur das sie wieder gefüllt war. Warmherzig lächelte die Fee und Edward nahm die Kugel vorsichtig vom Zweig. Er würde gut auf sie aufpassen, das schwor er. Erst nachdem er sie in einen weichen Pullover gewickelt hatte, damit Bella nicht fror, gab er sich zufrieden und versteckte sie in der hintersten Ecke seines Schranks. Es tat ihm leid, dass Bella die Sonne auf diese Weise nicht sehen konnte, aber er konnte nicht riskieren, dass eine der Betreuerinnen die Kugel fand und sie ihm wegnahm. Er hatte sie grade verstaut, als die Tür zu seinem Zimmer aufging und Mrs. Collins eintrat. „Edward, schnell, zieh dir was Ordentliches an und wasch dein Gesicht. Du bekommst neue Eltern.“ An diesem Tag ging sein erster Wunsch in Erfüllung. * Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Edward begriff, dass Bella tatsächlich die Kugel verlassen hatte. Er erwachte aus seiner Starre, packte Jessica am Arm und führte sich ohne Vorwarnung zur Tür. „Nimm deinen Mantel, du musst gehen“, sagte er und Jessica schaute ihn mit großen Augen an. „Aber-“ „Nein, kein ‚aber‘, ich habe einen Termin, entschuldige, das habe ich ganz vergessen“, log er und half Jessica in den Mantel. „Hab ich etwas falsch gemacht?“, fragte sie und Edward schüttelte nur den Kopf. „Warum gibst du uns keine Chance?“ Edward nahm ihre Frage kaum wahr, viel zu schnell schlug sein Herz vor Aufregung und seine Ohren waren nur darauf konzentriert, das vertraute Flügelschlagen zu hören. Doch er würde es nicht hören, solange Jessica noch da war. Bella würde sich nicht in der Gegenwart anderer zeigen, dessen war er sich sicher. Seine Finger zitterten als er sie auf Jessicas Rücken legte, um sie hinauszuführen. Wäre sie nicht hier gewesen, wäre Bella wahrscheinlich längst bei ihm gewesen, sagte er sich und war auf einmal wütend auf Jessica. „Edward, warum tust du das? Was kann heute Nacht schon so wichtig sein?“ Gequält lachte Edward auf. Sie würde ihn nicht verstehen, keiner würde das. Er war nicht der Meinung, ihr eine Erklärung zu schulden, aber er antwortete trotzdem: „Ich habe dich nicht eingeladen, Jess. Du hättest einfach nicht herkommen sollen. Egal wie oft du an meine Tür klingeln wirst, ich werde dich wieder hinausschicken, immer wieder. Aus uns beiden kann nichts werden, weil ich mein Herz schon vor langer Zeit an eine andere verloren habe.“ Jessica starrte ihn mit großen Augen an, Tränen brannten darin. Sie streckte trotzig das Kinn nach vorne, zog ihren Mantel fest zusammen und marschierte aus der Tür. Edward war dankbar, als ihn die Ruhe seiner Wohnung empfing, doch bevor er es genießen konnte, trugen ihn seine Beine zurück in das Wohnzimmer. Als erstes fiel sein Blick auf die Glaskugel – sie war noch immer leer. Bella jedoch war nirgends zu sehen. „Das war also dein Wunsch? Du hast ihn gut vor mir zurückgehalten.“ Die Stimme schickte einen Schauer über seinen Rücken und langsam drehte er sich um. Bella stand in der Tür zum Wohnzimmer, keine drei Schritte von ihm entfernt. Er konnte nichts erwidern, er schaute sie einfach an. Sein Wunder – der Wunsch, der wirklich in Erfüllung gegangen war. Langsam bewegten sich seine Füße und er trat an Bella heran. So nah, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Er musste wissen, ob er träumte, musste sie berühren. Mit seinen Fingern strich er sachte über ihre Schulter und wünschte sich, die Zeit anhalten zu können. Sein Traum war wirklich wahr geworden. Bella war ein Mensch. „Es hat funktioniert“, flüsterte er ehrfürchtig und prägte sich jedes Detail von ihr ein. Die großen, braunen Augen, die unsicher die seinen suchten. Der Mund, den sie leicht geöffnet hatte, die langen Haare und die Form ihrer Lippen. Vorsichtig, als wäre sie noch immer nur zehn Zentimeter groß, legte er seine Hand auf ihre Wange, strich mit dem Daumen über ihre Wangenknochen und sah dabei zu, wie Bella sich mit geschlossenen Augen gegen seine Hand lehnte. „Ich habe so lange auf dich gewartet“, sagte Edward leise und atmete tief ein. Ihr Duft war wunderbar, süß und rein. Alles an ihr bezauberte ihn, auch wenn die Magie, die Bella sonst um sich gehabt hatte, heute nicht dieselbe war. Sie war ein Mensch und ihrer Kräfte beraubt. Plötzlich meldete sich sein Gewissen. Mit keiner Silbe hatte er Bella gefragt, ob sie selbst so sein wollte. Hatte einfach über sie bestimmt, indem er ihr egoistisch seinen Wunsch aufgezwängt hatte. „Wie fühlst du dich?“ In seiner Stimme hörte man den Zweifel daran, das Richtige getan zu haben. Doch er war nicht in der Lage dazu, seine Hand zurückzuziehen. Er wollte die Berührung nicht unterbrechen, konnte keinen Abstand zwischen sich und Bella bringen, obwohl er Angst hatte, dass sie es vielleicht gar nicht so wollte. „Groß“, antwortete sie. Ein unsicheres Lächeln erhellte ihr Gesicht und sie errötete leicht. Es war das Schönste, was Edward jemals gesehen hatte. Hätte er sich nicht in die kleine Fee verliebt, die ihm immer gut zugeredet hatte und davon sprach, dass alles gut werden würde, wenn er nur fest genug daran glaubte, dann hätte er es in diesem Moment getan. Ihr Lächeln erwärmte sein Herz und er wusste, dass sich das Warten gelohnt hatte. Nur um diesen Augenblick erleben zu dürfen, hätte er hundert Jahre gewartet. „Du bist wunderschön“, hauchte er und wieder errötete sie. Er liebte es. Er würde ihr den ganzen Abend Komplimente machen, nur um zu sehen, wie sich ihre Wangen in zartes Rot hüllten, wenn sie verlegen wurde. Eine kleine Ewigkeit standen sie so da, keiner sagte etwas, er schaute sie einfach nur an und suchte nach Worten, doch jedes erschien ihm unpassend. „Ich kann nicht bleiben.“ Bellas Worte waren so leise, dass er glaubte, sie nicht verstanden zu haben, aber er hatte es. Er hatte es gewusst, hatte sogar damit gerechnet, aber er wollte es nicht wahr haben. Er wollte sie nie wieder gehen lassen, wollte sein Leben mit ihr verbringen. „Wie lange haben wir noch?“, fragte er und ließ sich die Traurigkeit, die ihn aufzufressen schien, nicht anmerken. „Bis Sonnenaufgang.“ Edward nickte. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, doch er wollte nicht auf seine Uhr sehen, er versuchte nicht einmal zu zwinkern, nur Bella zählte für ihn und er weigerte sich, seine Augen von ihr zu nehmen. Noch immer lief Musik im Hintergrund und irgendwann legte Edward seine Hand um Bellas Taille und bewegte sich mit ihr in dem ruhigen Takt des Liedes. Nicht eine Sekunde lang wandte er den Blick von ihr ab und sie tat es ihm gleich. Der Tanz war ein wenig unbeholfen, aber es störte die beiden nicht. Sie genossen einfach die Zeit, die sie zusammen verbringen durften, und den Gedanken, dass es gleich vorbei sein würde, drängte Edward so weit zurück, bis er glaubte, dieser Tanz würde ewig dauern. „Weißt du noch, was du mir damals versprochen hast?“ Bellas Stimme klang seltsam betrübt. Edward wusste nicht, auf was sie hinaus wollte, und schüttete leicht den Kopf. „Als ich das erste Mal bei dir war und du mich gefragt hast, ob ich wiederkomme. Es ist soweit, Edward. Du musst mich weitergeben.“ Er konnte nichts sagen, war wie gelähmt und doch bewegte er sich weiter, hörte nicht auf zu tanzen. Er zog Bella näher zu sich und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. Sein einziger Gedanke war: Nein. Er war nicht bereit. Vielleicht konnte er damit leben, sie heute gehen zu lassen, aber der Gedanke, sie nie wieder zu sehen, brachte ihn um. „Nur noch ein Jahr-“, bat er, „wenn du willst, versuche ich, den richtigen Wunsch zu finden. Ich will dich bei mir haben, Bella, für immer. Bitte, gib mir noch ein Jahr.“ „Ich kann nicht. Es ist an der Zeit. Du musst nicht mehr einsam sein. Du hast Freunde, du brauchst mich einfach nicht mehr. Schon lange nicht mehr.“ Das Ziehen in seiner Brust wurde unerträglich. Er würde die Kugel einfach behalten, würde warten. Sie konnte nichts dagegen tun. Er würde sich wünschen, dass sie für immer bei ihm blieb und er wusste, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen würde, solange er die Kugel hatte. Er musste nur daran glauben. „Edward, das ist nicht das Leben, was ich führen möchte. Ich bin kein Mensch, so wie du. Meine Aufgabe ist es, euch zu helfen, euch in der Einsamkeit beizustehen. Du bist nicht einsam, Edward. Du hast alles, was du brauchst.“ „Ich brauche dich“, entgegnete er gequält und merkte, wie seine Stimme zitterte. Sie antwortete nichts, bewegte sich nur weiter mit ihm im Takt. Erst als sie bemerkte, wie sich der Himmel in ein sanftes rosa verfärbte, hielt sie inne und trat einen Schritt zurück. „Ich muss gehen.“ Nein. Nein. Nein. Alles in Edward protestierte, er durfte sie nicht gehen lassen. Nicht so, doch ihm lief die Zeit davon. Rasch, ohne den Blick von Bella zu nehmen, zog er das kleine Geschenk hervor und reichte es ihr. Wieder stieg ihr die Röte ins Gesicht, doch schnell zog sie die Schleife ab, entfernte das Geschenkpapier und öffnete die Schachtel. Er war bei ihr, als sie die Kette herauszog, und nahm sie ihr ab. Ohne dass er sie auffordern musste, legte sie ihre Haare nach vorne und Edward legte ihr das kleine Herz aus Glas um den Hals. „Pass gut auf mein Herz auf“, sagte Edward und legte wieder die Hand auf ihre Wange. Ohne lange darüber nachzudenken, beugte er sich leicht nach vorne und seine Lippen berührten ihre. Es war ein unschuldiger Kuss, der tausende Schmetterlinge in seinem Bauch erwachen ließ und doch fand er viel zu schnell ein Ende. Als er Bella in die Augen schaute, glitzerte eine Träne zwischen ihren Lidern. „Versprich mir, dass du mich weitergibst“, flüsterte Bella und Edward schüttelte den Kopf. Er würde alles für sie tun, nur dieser Bitte konnte er nicht nachgeben. „Wir gehören verschiedenen Welten an, Edward. Du gibst dich einem Traum hin, der dir den Verstand raubt. Tu das Richtige. Nicht nur für dich, sondern auch für mich. Ich will kein Mensch sein.“ Als er blinzelte, war Bella verschwunden. * Das kleine Mädchen hielt die Kugel behutsam in beiden Händen und musterte sie fasziniert. „Sie ist so schön“, sagte sie mit glänzenden Augen. „Aber warum guckt die Fee so traurig?“, fragte sie. Mühsam schluckte Edward den Kloß in seinem Hals runter. „Weil ich mir das falsche gewünscht habe“, antwortete er schließlich und fuhr dem Mädchen mit der Hand über die Haare. „Was würdest du dir wünschen, wenn du wüsstest, dass dein Wunsch in Erfüllung geht?“ Das Mädchen überlegte nicht lange: „Das die Fee glücklich ist.“ In Edwards Augen brannten Tränen und fast hätte er aufgelacht. „Ja, das ist ein guter Wunsch.“ ************************************************************************************************ Kapitel 11: Die sieben Leben des Mäusekönigs - Part II ------------------------------------------------------ On December the Tenth you’ll only get the first half of the length. Ja~, aber ich kann euch beruhigen, die zweite Hälfte werden wir heute im Laufe des Nachmittags/Abends reineditieren. Dann aktualisieren wir die Märchen abermals, sodass ihr Bescheid wisst :] ********************************************************************* Die sieben Leben des Mäusekönigs – Part II by lachmaus Akt Drei – Das Land der Süßigkeiten Hätte ich geahnt, was sich unter meinem Schrank verbarg, hätte ich wohl öfter geputzt. Oder weniger, um diesen Zugang zu versperren. Ich hatte gedacht, die Mäuse hätten mich lediglich mit sich gezogen, um mich in der Dunkelheit zu verstecken. Aber wie sich herausgestellt hatte, verbarg sich in dem schwarzen Schatten sehr viel mehr. Anfangs hatte ich noch geschrien und um mich getreten, doch der Mäusekönig hatte mein Handgelenk nur enger gepackt, mich daran hochgehalten, sodass meine Füße über dem Boden hingen, und mir deutlich gemacht, dass, wenn ich damit nicht aufhören sollte, er mich komplett seinen Mäusen überlassen würde. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich sogar überlegt, ob das meine Gelegenheit wäre zu entkommen. Doch ich brauchte mich gar keinen Illusionen hingeben: Ich hätte keine Chance gegen diese wuselnden, flinken und kampfbereiten Biester gehabt. Das Monstrum vor mir war offensichtlich wenigstens imstande zu sprechen – das letzte Staubkorn Sicherheit, an das ich mich klammern konnte. Aber schlussendlich hatte mir auch das nichts gebracht. Ich war in ihrer Gewalt. Sehr lange war es dunkel gewesen; so dunkel, dass ich nicht sehen konnte, wohin ich lief. Alles, was ich hörte, war das Trippeln und Piepen der unzähligen Mäuse neben mir, sowie die Geräusche meines Entführers: das Flattern seines Umhangs, das Klirren des Schwerts an seinem Gürtel, seine plumpen Schritte und sein lautes Atmen. Er schnaufte geradezu; wütend und hasserfüllt. Danach war es noch dunkler geworden. Ich wusste, dass ich weinte; zumindest spürte ich in regelmäßigen Abständen kleine Tropfen auf meinen Unterarmen. Aber mein Gesicht war inzwischen völlig taub. Ich bemühte mich nicht mehr, irgendetwas zu erkennen; ich hatte es sogar aufgegeben, mich davor zu fürchten, zu laute Geräusche zu machen, das Fell der Mäuse zu streifen oder aus Versehen auf ihre Schwänze zu treten. Ich stolperte einfach nur noch hinterher. In Gedanken war ich noch immer beim Nussknacker. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu beten, dass er den Angriff möglichst unbeschadet überstanden hatte. Genauso wie mein Geschirr. Ob alle Mäuse mit uns mitgekommen waren? Ich hoffte es. Niemand sollte jetzt noch meinetwegen kämpfen, wenn ich längst verlorene Beute war. Die ganze Zeit überlegte ich, wie ich mich am klügsten verhalten sollte. War es besser, mitzuspielen und alles über mich ergehen zu lassen, oder sollte ich alles auf eine Karte und mich zur Wehr setzen? Könnte ich diesen Monsterherrscher wirklich solange reizen, dass er mich von selbst freigab? Oder sollte ich versuchen, ihm Vernunft einzureden – was brachte ich ihm überhaupt? War ich nicht nur unnötiger Ballast? Als meine Beine kurz davor waren, ermattet einzuknicken, hielten wir. Wahrscheinlich waren die Sinne meiner Gegner deutlich besser ausgeprägt, sodass sie selbst in diesem Nichts aus Schwarz etwas erkennen konnten, denn der Mäusekönig musste nicht lang suchen, ehe er an einem laut ächzenden Griff eine Tür aufzog. Sie war aus massivem Holz – mindesten zwei Hände breit – und gab den Weg auf einen steinernen Tunnel frei. Die Wände wurden von Kerzenleuchtern erhellt. Ich musste die Augen wegen des plötzlichen Lichteinfalls, auch wenn er noch so gering war, zusammenkneifen und ließ mich vorwärts schubsen. ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=bVPGD6QVAlo ~*~ Gerade als ich den Mund aufmachen wollte, um zu fragen, wo wir waren, ließ der König von mir ab. Doch mir blieb keine Zeit, meine Freiheit zu feiern. In dem Augenblick, in dem wir über die Türschwelle zu diesem scheinbar unterirdischen Gemäuers traten, schien ein Zauber von den Tieren zu fallen. Die riesigen Nager wanden sich und stellten sich auf ihre Hinterläufe auf. In nur wenigen Sekunden waren ihre kurzen Glieder zu ausgewachsenen Armen und Beinen und ihr Fell zu adretten Wämsern geworden. Überall um mich herum gingen plötzlich Menschen; ein Mann nach dem anderen erschien. Nur ich und mein Schlafanzug blieben, wie wir waren. Den Herrscher dieser verwünschten Geschöpfe konnte ich aber nirgends entdecken. Obwohl mich keiner mehr festhielt, konnte ich trotzdem nicht einfach umdrehen und laufen – es schienen hunderte zu sein, die mich eilig überholten, anrempelten und in ihrem Sog immer weiter von meinem Zuhause wegführten. Durch durch die sich drängenden und von der Verwandlung noch windenden Körper konnte ich eine dunkle Gasse ausmachen, die sich von dem belebteren Gang abnabelte. Der Mäusekönig musste durch diese geflohen sein. Ob er Licht nicht vertrug? Ein entsetzlicher Schrei hallte die Mauern entlang. Nicht nur ich, sondern alle um mich herum zuckten zusammen und als plötzlich eine neue Hand nach meinem Oberarm griff, entfuhr auch mir ein spitzes Japsen. Schnell wandte ich mich um und starrte in zwei kleine, graue Augen. Der Mann neben mir war über einen Kopf größer als ich und sehr dünn, aber er schien sehr kräftig zu sein. Sein Hals war von einem hohen, weißen Kragen umsäumt, der ihm einen wichtigen Ausdruck verlieh. Seine Miene war misstrauisch und vergrämt; er hatte eine lange Nase und einen dünnen Mund, aber nichts erinnerte mehr an eine Maus. „Der König hat befohlen, Sie fortzuschaffen. Kommen Sie mit mir.“ Es war nicht so, als würde er mir mit seinem Druck an meinem Ellenbogen wirklich eine Wahl lassen. Ohne auf meine Antwort zu warten, zog er mich mit der sich bewegenden Masse, die ihren Weg nach der kurzen Unterbrechung bereits wieder aufgenommen hatte. Aus dem Griff des Dünnen konnte ich mich nicht befreien und so beschloss ich, dass es vorerst wohl besser war, nicht zu widersprechen. Ich würde abwarten, was sie mit mir vorhatten, ehe ich handelte. Tief durchatmend straffte ich wenigstens meine Schultern so gut es ging und lief mit dem Trupp weiter, ohne eine Sekunde von meinem neuen Aufseher aus den Augen gelassen zu werden. Offensichtlich befanden wir uns wirklich in einem Keller: Immer öfter mussten wir Treppen und Türen passieren, ehe wir wieder zahllose Abbiegungen verfolgten, aber wir schienen keinen oberen Teil eines Hauses zu erreichen. Nach den ersten zehn Kreuzungen gab ich es auf, mir den Weg einprägen zu wollen. ~*~http://www.youtube.com/watch?v=10UjjTlIrGQ ~*~ Unsere Gruppe wurde immer kleiner, denn bei jeder Teilung des Ganges spalteten sich ein paar der Soldaten ab. Schließlich waren nur noch der Dünne, ich und zwei weitere Männer übrig, die uns begleiteten. Inzwischen war ich so müde, dass ich mich nicht mal mehr dazu bringen konnte, mich zu fürchten. Vielleicht trug auch die Abwesenheit des Mäusekönigs seinen Teil dazu bei, dass ich nicht mehr darüber nachdachte, als ich den Mund aufmachte. „Lebt ihr alle hier?“, fragte ich. Diese dunklen, steinernen Gänge… vielleicht wirklich ein Ort, an dem Mäuse sich wohl fühlten. Aber ohne Sonnenlicht, ohne Himmel, ohne frische Luft? Doch möglicherweise gab es auch einen oberen Teil, einen Palast, der nur für mich als Gefangene nicht zugänglich war. Allerdings sagte mir mein Gefühl, dass wir bereits zu viele Schritte zurückgelegt hatten, um immer noch in einem Verlies zu sein. Der Dünne packte mich wieder fester am Arm und ich zuckte zurück – ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich mein Gewicht immer mehr auf ihn verlagert hatte. „Ja“, antwortete er mit einem kurzen Nicken, ohne mich dabei anzusehen. Ich verstand, dass er nicht mit mir reden wollte – vielleicht war es ihm auch untersagt worden – aber meine Augen waren bereits zu schwer, als dass ich mir darum Sorgen machte. Ich spürte, wie ich erneut verstärkt von ihm gestützt wurde. „Was habt ihr mit mir vor?“ Ich quälte die Frage über meine Lippen, denn sie war wichtig, aber schon ganz vernuschelt. Doch wie auch unsere Schritte hallte sie laut genug von den Steinen wider, um verstanden zu werden. Der Dünne antwortete nichts darauf. Stattdessen schob er mich um eine weitere Kurve und blieb vor einer Tür stehen. Die zwei anderen Männer, die sich die ganze Zeit über nur seltsame Blicke zugeworfen hatten, traten an uns vorbei und öffneten sie mit vereinten Kräften. Offensichtlich brauchte man hier keine Schlösser – das Gewicht der Tore allein reichte aus, um einen Gefangen als solchen zu behalten. Vor uns breitete sich ein schmaler Raum aus. Er war nicht klein, aber auch nicht groß, vielleicht sogar ungefähr die Größe meines Schlafzimmers. In ihm befanden sich ein Bett mit dicker Wäsche, ein schwerer Schrank mit riesigen Türen, ein Schreibtisch mit Stuhl und sogar ein Teppich. Definitiv nicht, wie ich mir meine Zelle bereits ausgemalt hatte. Mein Aufseher ließ mich in der Mitte des Raumes stehen und trat einen Schritt zurück. „Schlafen Sie, Miss Clara“, wies er mich an. „Sie werden morgen mit dem König speisen. Zu gegebener Zeit wird er Sie über die Gründe ihrer Anwesenheit aufklären.“ In meiner Müdigkeit klang seine Stimme fast ein bisschen netter. Ich wollte mich noch umdrehen, um etwas zu erwidern, aber ich war zu langsam. Sie traten alle aus dem Raum und schlossen die Tür hinter sich. Mein Blick blieb noch auf dem dicken Holz liegen, aber den Versuch, sie zu öffnen, sparte ich mir. Langsam ging ich auf das Bett zu und strich über die aufgeschüttelte Decke. Das war definitiv nicht der Standard für eine Geisel. Nur zu gerne hätte ich durchgehalten, die Tapfere gespielt und trotzig und unbesiegbar auf dem Boden geschlafen, aber ich war am Ende meiner Kräfte. Ohne einen noch wirklich vernünftigen Gedanken zu Ende führen zu können, kroch ich in die kalten Laken und schloss die Augen. Ich träumte von Mäusen, zersplitterndem Porzellan und brechendem Holz und wachte nicht nur ein Mal tränenüberströmt auf. * Am nächsten Morgen wurde ich von einer hübschen, jungen Frau geweckt. Sie trug ein einfaches, helles Kleid und dunkle, zusammengesteckte Haare, knickste vor mir und hielt ihren Blick gesenkt, als sie sprach. „Der König erwartet beim Frühstück Eure Gesellschaft.“ Ich nickte, wusste aber nicht, was ich davon halten sollte. Ich hatte gehofft, dass wenn ich die Augen aufmachte, ich wieder in meinem eigenen Bett liegen würde. Dass ich wie jeden Morgen aufstehen könnte und das alles nur ein Traum gewesen wäre. Stattdessen sah ich die kalten Steine über mir, spürte die schwere Decke um mich herum und streckte meine immer noch schmerzenden Glieder. Alles real. Wie mit einem fortwährenden Mantra versuchte ich mich zu beruhigen. Es würde alles gut enden. Ich musste nur herausfinden, warum sie mich entführt hatten, sie dann davon überzeugen, dass ich ihnen nicht nützlich sein konnte, und sie dazu bringen, mich zurück nach Hause zu bringen. Wenn ich es nur klug anstellte, dann würde das funktionieren. Immer noch in meinem Schlafanzug trat ich zur offenen Tür, vor der zwei Wachposten positioniert waren. Auch der dünne Aufseher von vergangener Nacht wartete dort mit strenger und unnachgiebiger Miene auf mich. „Waschen Sie sich, Miss Clara. Und ziehen Sie sich etwas anderes an“, befahl er und deutete zurück in meine Unterkunft. Ich warf einen Blick über meine Schulter, um mein seltsames Zimmer nochmals genauer in Augenschein zu nehmen. Wenn ich in dieser Welt wirklich – wie es den Anschein hatte – die Rolle der Clara übernahm, war ich neben dem Nussknacker der schlimmste Feind des Mäusekönigs. Und trotzdem schlief ich in einem Federbett – ohne Fesseln, stattdessen mit Teppich und romantischem Kerzenschein. Wäre der Raum kein steinerner, fensterloser Quader, hätte man ihn beinahe als gemütlich bezeichnen können. Vielleicht sollte es mich in Sicherheit wiegen, damit ich einen unüberlegten Zug machte, der mich das Leben kosten würde. Aber ich war nicht so dumm, die Situation falsch einzuschätzen. Stattdessen entschied ich mich, den Anweisungen Folge zu leisten und so zu versuchen, mir ein Bild über meine Situation zu verschaffen. In solchen Momenten durfte man nicht kopflos handeln. Neben dem Bett stand wirklich ein Bottich mit Wasser und das brünette Mädchen deutete auf den Kleiderschrank. „Wenn Sie mir sagen, welches Kleid Sie tragen wollen, dann könnte ich es schon vorbereiten. Außer Sie wollen, dass ich Ihnen beim Waschen helfe, Miss Clara?“ Ich sah zwischen ihr und der Tür hin und her. Mich waschen und anziehen lassen? Was bezweckten diese Leute damit, mich wie einen besonderen Gast und gleichzeitig wie eine Gefangene zu behandeln? Einen Moment war ich versucht, abzulehnen, einfach nur, um mich zu widersetzen. Doch andererseits durfte ich diese, bisher so harmlosen, Umstände nicht so einfach unterschätzen. Auch wenn in diesem Moment alles noch ungefährlich wirkte, hatte ich das Bild des vor Wut schäumenden, siebenköpfigen Monsters immer noch vor Augen und das reichte aus, damit ich mich vollständig zurück drehte. „Waschen kann ich mich alleine, danke“, antwortete ich. Die Wachen verstanden das als Zeichen, die Tür hinter uns zu schließen und uns allein zu lassen. Für einen Moment wunderte es mich, dass sie uns überhaupt so viel Privatsphäre gönnten. Sie machte keine Anstalten, mich zu verhöhnen oder gar anzugreifen, sondern ging sofort zum Schrank, holte vereinzelte lange, bunte Gewänder hervor und breitete sie auf dem Bett aus. Irgendwie musste ich hier heil wieder herauskommen. Bei seinen Untertanen Vertrauen zu erlangen, konnte dabei sicherlich nützlich werden – und wenn nur für den Moment, um die Angst noch ein wenig zu verdrängen. „Mein Name ist Bella, nicht Clara. Wie heißt du?“ * Mathilda, das hübsche Mädchen, hatte mir ein hellgrünes, langes Kleid herausgesucht, das mit seinen aufgesetzten Nähten und Bordüren viel zu schön für mich und diese Umgebung war. Sie ließ sich nicht davon abhalten, es mir anzuziehen. Das ganze Prozedere dauerte doppelt so lang, als wenn ich es allein gemacht hätte, weil ich ihr aus Reflex ständig zuvor und damit in die Quere kam. Kaum angekleidet führte mich der Dünne – dieses Mal ohne mich mit sich zu zerren – wieder durch die schwach erleuchteten Gänge. Ich hatte Probleme, mich an das wenige Licht der Kerzen zu gewöhnen. Ich wollte mich auch gar nicht daran gewöhnen. Stattdessen betrachtete ich aufmerksam alles, worauf ich einen Blick erhaschen konnte. Jeden Winkel, jede neue Gasse, jeden Kerzenständer. Immer wieder begegneten uns andere Menschen, die meinen Aufseher grüßten und mich teils neugierig, teils abfällig betrachteten. Ihr Verhalten untereinander passte jedoch überhaupt nicht mein Bild: Sie schienen alle sehr freundlich miteinander umzugehen. Da gab es keine bösen Blicke und keine gezischten Worte. Sie waren einfach… nett. Doch so leicht ließ ich meine Vorsicht nicht fallen. Ich musste meine Zähne aufeinander pressen, um meine Angst vor der fremden Umgebung und den unbekannten Menschen hinunterzuschlucken. Ab und zu warf mir mein Führer einen seltsamen Blick zu, wenn es meinen Körper dadurch schüttelte. Ich hatte die Arme vor der Brust verschränkt, denn das dünne Kleidchen bot mir kaum Schutz in den nasskalten Tunneln. Auch wenn ich den genauen Weg von letzter Nacht nicht mehr finden würde, merkte ich, dass wir dieses Mal eine andere Fährte einschlugen. Wir brauchten nicht all zu weit laufen, ehe wir zu einem breiteren Gang kamen und dort vor einer noch gigantischen Doppeltür hielten. Davor standen abermals zwei Wachen in dunklen Rüstungen. Sie nickten dem Dünnen zu und zogen zusammen eine der Türen auf. Vor uns lag ein großer Raum mit einer sehr viel höheren Decke. Überall standen Kerzenständer und in der Mitte hing ein riesiger Kronleuchter, wodurch es warm und relativ hell war. In der Mitte erstreckte sich auf einem langen Teppich ein Tisch, den mehrere Stühle umringten. Aber es saß nur eine Person vor dem darauf aufgedeckten Buffet. Der Mäusekönig. Augenblicklich blieb ich stehen. Das Ungetüm vor mir war kleiner und hatte auch nur einen Kopf, war aber definitiv eine Maus. Ein Mutant. Er trug einen dunkelroten Gansbauch, aus dem ein weißer Kragen hervor lunzte und an dem sechs kleine Kronen – ähnlich zu der, die er auf seinem einen haarigen Kopf trug – wie Orden befestigt waren. Er aß bereits mit Messer und Gabel etwas, das wie Geflügel aussah, hob den Kopf und sah mich an. Und plötzlich waren alle vernünftigen Gedanken aus meinem Kopf gefegt. Ohne auch nur einen Schritt in seine Richtung gesetzt zu haben, machte ich auf dem Absatz kehrt und rannte los. Ich hörte, wie der Dünne aufgeregt nach Luft schnappte und sich nach mir umdrehte, aber da hatte ich bereits zwei mächtige Sätze zurückgelegt. Kaum, dass ich umgedreht war, riefen mehrere Personen hinter mir verschiedenste Sachen durcheinander und die Wachen begannen sofort, mir hinterher zu jagen. Sie riefen mir zu, anzuhalten, aber ich dachte nicht mal daran, abzubremsen. Mit beiden Händen meinen Rock hochhaltend, eilte ich, so schnell ich konnte, den Gang entlang. Unsere Schritte, das Rütteln der Rüstungen und das ständige Zurufen von Befehlen, ließen einen ohrenbetäubenden Lärm durch die Gewölbe hallen. Ich wusste nicht, wohin ich lief. Ich hastete einfach weiter, wählte bei Kreuzungen die erstbeste Abzweigung und vermied Treppen nach oben. Alles, was ich wusste, war, dass ich in tiefere Etagen gelangen musste. Mit möglichst langen Schritten versuchte ich, mir einen Vorteil zu verschaffen. Mir war klar, dass meine Fluchtmöglichkeiten verschwinden gering waren. Dieses Tunnellabyrinth war für mich beinahe unpassierbar. Vielleicht reichte es aber auch, wenn ich mich wenigstens irgendwo verstecken konnte. Fieberhaft ließ ich meinen Blick an den geschlossenen Türen entlang gleiten, an denen ich vorbei hechtete. Endlich sprang mir ein Torbogen ohne massives Holz im Rahmen, von einer Ecke verborgen ins Auge. Mit einem halsbrecherischen Haken änderte ich die Richtung, stürzte in den Eingang und drückte mich an die Wand. Dass ich nicht allein in dem Raum sein würde, damit hatte ich nicht gerechnet. „Mathilda!“, stieß ich halb entsetzt, halb erleichtert aus. Sie warf sich mir nur an den Hals und jammerte: „Oh, Miss Bella. Verzeihen Sie mir bitte, aber Sie kommen hier nicht raus.“ * ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=ywMOMedVVZs ~*~ Und so war es auch. Die Wachen entdeckten uns und holten zu uns auf, aber keiner verhaftete mich, keiner legte mich in Ketten und niemand peitschte mich für meinen Ungehorsam aus. Lediglich der Dünne, der keuchend hinterher geeilt kam, hielt mir eine kleine Strafpredigt. „Sie müssen vorsichtig sein, Miss Clara. Sie können nicht weglaufen. Niemand außer dem König kann von hier zurück in die Menschenwelt.“ Auf diese Neuigkeiten hin brach ich in Tränen aus. Sie sprudelten einfach aus mir heraus und durchschüttelten meinen Körper so stark, dass ich mich auf den Boden sinken lassen musste. Ich wollte zurück. Ich wollte nach Hause. Keiner wagte es, eine Hand an mich zu legen – nur Mathilda hielt mich in ihren Armen und versuchte, mich zu beruhigen. Es half nichts, dass sie mich bisher alle mehr oder weniger gut behandelt hatten. Es brachte mir nichts, dass ich keine Ketten trug und in schönster Seide gekleidet war. Meine Furcht vor dem Mäusekönig und davor, was er mit mir vorhatte, wurde dadurch nicht getilgt. Eben dieser war mit seiner Mahlzeit bereits fertig, als ich wieder zurück geführt wurde. Ich war ein zitterndes, erschöpftes Wrack und als ich in der leeren Speisehalle ankam, war ich so erleichtert, dass ich beinahe wieder angefangen hätte zu weinen. Ich bat meine Aufseher, Mathilda mit mir essen zu lassen, doch mit großen Augen bestand sie darauf, mir nur beim Essen zuzusehen. „Am Tisch des Königs dürfen nur er und seine Gäste speisen“, sagte sie. Einen Gast hielt man aber nicht gefangen, dachte ich, sagte aber keinen Ton. Nach dem Frühstück wurde ich wieder zurück in mein Gemach geführt. Stundenlang saß ich auf meinem Bett, lag ausgestreckt auf dem Teppich oder brütete über meinem Schreibtisch, wie ich wieder zurück nach Hause kommen sollte. Zeitweise schien sich überhaupt niemand mit mir zu beschäftigen, ganz als ob ich vergessen worden war. Später trat erneut Mathilda in mein Zimmer, um mich für das Abendmahl anzukleiden, aber ich lehnte ab. Auch wenn ich wusste, dass der Mäusekönig wahrscheinlich der einzige war, der mir Antworten auf meine Fragen geben konnte, war ich schlicht zu feige, ihn zu treffen. Vor meinem inneren Auge spielte sich immer und immer wieder Szenerie aus meiner Küche ab. Manchmal sah ich alles so deutlich vor mir, dass ich mir einbildete, den stechenden Schwefelgeruch einatmen zu können. Vielleicht hofft ich auch in einem winzigen, vergrabenen Teil meines Seins darauf, dass der Nussknacker mich rettete. Dass Mike kam und mich befreite. Doch ich wusste noch nicht mal, ob er überhaupt noch lebte, geschweige denn ob er ahnte, wo ich war. Aber hunderte Male aufs Neue malte ich mir aus, wie er die massive Holztür zu meiner Kammer eintrat, als wäre es ein Pappuntersatz, und den Mäusekönig mit all seinen Kronen in die ewigen Jagdgründe schickte. Mein Zeitgefühl hatte ich längst verloren. Durch die ewige Dunkelheit, die nur von dem dämmrigen Kerzenschein durchbrochen wurde, konnte ich bald nicht mal mehr ausmachen, wann Tag und Nacht sich abwechselten. Ich schlief, wenn ich müde war und bat um etwas Essen, wenn ich Hunger hatte. Den Großteil meiner Zeit verbrachte ich mit Mathilda. Sie war ein liebes Mädchen; fürsorglich, nett und so intelligent, wie es das Leben hier unten zuließ. Sie erzählte mir viel über ihr Aufwachsen in diesen Gemäuern; davon, dass sie diese Tunnel noch nie verlassen hatte, weil es nur wenigen – und wenn, dann waren es Männer – gestattet war, mit dem Mäusekönig aus dem unterirdischen Reich auszuziehen. Sie hatte noch nie die Sonne gesehen oder Gras unter ihren Füßen gespürt. Sie wusste nicht, was ein Meer war oder wie die Sterne funkeln konnten. Deswegen überließ sie oft mir das Wort, während ich von den Schönheiten meiner Welt berichtete. Ich erzählte von meinen Eltern, meinem College, meinen Freunden und meinem Nebenjob in der Bäckerei. Zusammen liefen wir die Ecken meines Zimmers ab, während ich versuchte, ihr die Grundrisse meiner Wohnung zu zeigen. Und ich erzählte ihr von Ballett. Es dauerte nicht lang, bis sie mich dabei ertappte, wie ich aus Langeweile Dehnungsübungen und Schrittabfolgen trainierte. Sie lies sich schnell von meiner Begeisterung mitreißen und jedes Mal, wenn sie sich wieder durch meine Tür schob, musste ich ihr etwas Neues vortanzen. Aber um alles, was irgendwie mit dem Nussknacker, Mike oder unserer Aufführung zu tun hatte, machte ich einen großen Bogen. Da ich nicht wusste, wie sehr meine momentane Wirklichkeit mit der Geschichte aus meiner Welt übereinstimmte, hatte ich Angst vor dem, was passieren könnte, wenn ich ihr davon erzählte. Außerdem mochte ich sie wirklich sehr; Mathilda war beinahe zu einer Freundin für mich geworden. Die Erwähnung des Nussknackers würde unsere unterschiedliche Herkunft wie ein Vakuum in den Raum zerren, so wie es keine Erinnerung an mein eigentliches Leben im Menschenreich vermochte. In den folgenden Tagen lernte ich viele neue Gesichter und fremde Namen kennen. Cormac nannte ich nur noch in Gedanken ‚den Dünnen‘ und Melor und Beltran, meinen Wachen, musste ich nur noch bestimmte Klopfzeichen geben, damit sie erkannten, dass ich aus dem Zimmer wollte. Bald schon hatte ich völlig vergessen, dass diese Personen zu den Mäusen gehörten, die meine Wohnung überfallen und mich entführt hatten. Ich erkundete die hellsten Gänge und sogar ein paar dunkle Gassen, aber ich verließ mein Zimmer nie ohne Begleitung. Offensichtlich war es doch möglich, einen Ausgang zu finden, obwohl Cormac felsenfest behauptete, dass sie nur sicher gehen wollten, dass ich mich nicht verirrte. Ein wirklich nicht zu unterschätzendes Risiko. Bei jedem neuem Streifzug hielt ich die Augen offen, um mir alles ganz genau einzuprägen. Wer wusste es schon; vielleicht war irgendwann die Zeit gekommen, zu der ich alleine durch die Gänge ziehen konnte. So sehr mich der Gedanke zwar bereits schmerzte, diese wirklich lieben Menschen zu verraten, sehnte ich mich doch nach nichts mehr, als diesen Keller wieder zu verlassen. Jedes Mal, wenn Mathilda mich abholte, zog sie mir ein neues Kleid an. Mittlerweile hatte ich es aufgegeben, es ihr ausreden zu wollen, weil sie darauf beharrte, dass sie es mir – die so weit von ihrem Zuhause und ihrer Familie entfernt war – wenigstens so angenehm wie möglich machen wollte. Sie schien nicht zu begreifen, dass so etwas in meiner Welt nicht mehr an der Tagesordnung stand. Zu jeder Mahlzeit – die ich immer mit Mathilda gemeinsam einnahm – tischten sie mir Buffet auf, bei dem sogar ihr König neidisch werden müsste. Den Erzählungen nach zu urteilen, befanden wir uns in einem weit entlegenen Teil im Land der Süßigkeiten. Doch niemand schien zu wissen, warum sie so weit unter der Erde hausten, während all die anderen Bewohner glücklich über die Marzipaninseln, Honigflüsse und Kristallzuckerstädte hüpften. Sie hinterfragten es aber auch nicht oder ärgerten sich darüber. Überhaupt schien es fast so, dass, je mehr ich versuchte, diese Menschen mit dem rachesüchtigen Mäusekönig in eine Schublade zu stecken, sie mir umso öfter ihre Liebenswürdigkeit bewiesen. Selbst die größten Berührungsängste mit mir wurden nach den ersten gewechselten Wörtern abgelegt. Ihre Miss Clara schien ihnen eine wichtige Person zu sein. Dass ich nicht Clara war, war ein weiterer Fakt, den sie nicht verstehen wollten. Ich konnte, so oft ich wollte, versuchen, Mathilda davon zu überzeugen, dass meine Eltern mich Isabella getauft hatten und dass mich seitdem jeder mit Bella angesprochen hatte. Doch sie sah mich immer nur verständnislos an und antwortete: „Miss Clara, Sie sollten so etwas nicht sagen. Es nicht gut, sich zu verleugnen. Und wir alle wissen, wer Sie sind.“ * Ich wusste nicht, wie viele Nächte ich schon in dem fremden Bett geschlafen hatte, als Mathilda mich aus einer davon mit aschfahlem Gesicht weckte. „Der König“, flüsterte sie. „Er verlangt, wieder mit Ihnen zusammen zu frühstücken.“ Im Gegensatz zu meinem ersten Morgen, wusste ich dieses Mal, was mich erwartete. Ich antwortete nichts, sondern nickte nur, ließ mich stumm von ihr ankleiden und von Cormac mit gerader Brust zum Speisesaal bringen. „Bitte, Miss Clara“, murmelte Cormac, als wir vor der Doppeltür stehen blieben und warteten, bis die Wachen – Kerstal und Lanzell – sie für mich öffneten. „Laufen Sie nicht wieder davon. Nochmal hält mein armes Herz das nicht aus.“ Für einen Moment sah ich zu ihm hoch und bewunderte, wie sehr sich mein Eindruck von ihm verändert hatte. Mittlerweile sah ich nicht nur die strengen Falten und gemeinen Augen. Mir fielen nun mehr die Grübchen in seinen Wangen auf, die ihn wie einen hageren Großvater aussehen ließen. „Keine Sorge, Cormac. Dieses Mal nicht.“ Dieses Mal würde ich ihm entgegen treten. Ich hatte lange genug Zeit gehabt, mich darauf vorzubereiten und nun war der Augenblick gekommen, in dem ich von diesen Stunden Gebrauch machen musste. Ich würde hier rauskommen. Kerstal schob das dicke Holz die letzten Zentimeter aus meinem Sichtfeld. Vor mir breitete sich erneut die große, hell erleuchtete Halle mit dem langen, grob gehauenen Tisch aus, an dessen Kopfende wie auch schon das erste Mal die hässliche Maus saß und aß. Ohne von seinem Teller aufzusehen, begrüßte mich der Mäusekönig: „Da bist du also. Rennst du heute gar nicht davon?“ Seine Stimme war überraschend klar und tief. Sie passte überhaupt nicht zu dem haarigen Maul, aus dem sie kam. Ich holte tief Luft, zog die Schultern zurück und betrat Schritt für Schritt die Halle. Meine nackten Füße – denn Schuhe waren das einzige, was ich nicht bekam – machten leise, patschende Geräusche auf dem Stein, bis ich schließlich an dem Stuhl am anderen Tischende angekommen war. Ein Gedeck lag, zusammen mit einem Glas Wasser und einem Buffet, ähnlich dem, was mir auch sonst aufs Zimmer gebracht wurde, auf dem Tisch. Ich brauchte den großen, hohen Stuhl nicht mal zu bewegen, um an den dicken Lehnen vorbei auf die Sitzfläche zu schlüpfen. „Nein, tue ich nicht“, antwortete ich, sobald ich saß. Meine Stimme zitterte ein wenig, aber ich hoffte, dass sich das über die Strecke zu ihm verlor. Mit stocksteifem Rücken sah ich entlang der Tafel zu ihm hinunter. Er legte sein Besteck weg und in der Bewegung fiel das Licht wieder auf seine kleinen Kronenorden auf seiner Brust. Seltsamerweise waren es nur noch fünf. Sein ekliger, Kopf mit der spitzen Schnauze wandte sich mir zu und selbst aus der Entfernung konnte ich die Barthaare erkennen. Zwischen seinen großen, runden Ohren ruhte seine Krone, die genauso glänzte, wie die Orden an seinem Wams. Sein Gewand reichte seine Arme hinauf, bis kleine, mit Krallen bestückte Pfoten daraus zum Vorschein kamen. „Wie ich sehe, ist es dir in den letzten Tagen gut ergangen, Clara.“ Er klang sehr höflich. Misstrauisch verengte ich die Augen. „Eure Diener haben sich bestens um mich gekümmert. Und ich bin nicht Clara. Ich bin Bella.“ Ich erwartete, Erstaunen oder wenigstens Wut in seinen Augen zu erkennen, aber stattdessen betrachtete er mich nur einen Moment eindringlich, wie um herauszufinden, warum ich eine solche Lüge erfinden sollte. „Diener“, wiederholte er schließlich verächtlich. „Diese Menschen sind keine Diener. Sie sind zwar meine Untertanen, aber sie sind mein Volk. Meine Familie.“ „Ein Volk von Menschen, das Ihr mit einem Zauber unter Eurer Gewalt haltet! Ein Volk, das Ihr in diesen Mauern einsperrt!“ Ich war froh, dass niemand meiner neuen Freunde mit im Raum war, um zu hören, wie ich über sie sprach. Ich wusste, dass sie darüber nicht so dachten wie ich. Meine Stimme hallte von der hohen Decke wieder und selbst die Kerzen schienen zu flackern und augenblicklich bereute ich, meinen Gedanken freien Lauf gelassen zu haben. Das konnte nicht gut enden. „Ha!“, schnalzte er. „Du glaubst, du weißt, wovon du sprichst. Aber du hast keinen Schimmer. Du denkst, dein Nussknacker ist der große Held? Dann wird es dich interessieren, dass er just in diesem Moment in Zuckerburg Einzug hält. Er ist zurück; zurück im Land der Süßigkeiten.“ „Der... Nussknacker“, hauchte ich und sackte auf meinen Stuhl. Er lebte! Halleluja, er war am Leben! Der Mäusekönig beobachtete meine Reaktion schweigend, ehe er sich erhob und dabei seinen enormen Stuhl problemlos nach hinten schob. „Du wirst in meinem Reich bleiben, bis wir in die Schlacht mit dem Zuckervolk ziehen. Es gibt keine Möglichkeit für dich zu fliehen, da nur ich allein über die Macht verfüge, den Zugang zur Menschenwelt zu öffnen. Du-“ Ich fiel ihm ins Wort. „Dann öffnet ihn für mich! Ich bin Euch nicht von Nutzen, ich bin nicht die, für die Ihr mich haltet. Ich bin nicht Clara!“ Mit einer einzigen, pfeilschnellen Handbewegung räumte er sein komplettes Gedeck mit einem ohrenbetäubenden Scheppern vom Tisch. Mit einer Stimme, die so laut war, dass sie sogar durch die festen Holztore zu hören sein musste, donnerte er weiter. „Du bist die, für die der Nussknackerprinz sich opfern wird! Du bist das Schlüsselelement in meinem finalen Kampf! Wag es nicht, mir noch einmal zu widersprechen, oder du wirst mich kennenlernen, Menschenkind! Du hast es mir zu verdanken, dass du hier bisher ein so angenehmes Leben führst, also hüte deine Zunge.“ Ich hatte die Arme über den Kopf geschlagen und drückte mich so weit es ging, in meine Lehne und weg von ihm. Die ersten Tränen kündigten sich an, während ich zitternd durch meine Unterarme lugte. Sobald sein Echo verhallt war, setzte er ruhiger fort. Er klang beinahe verbittert. „Es ist dir weiterhin gestattet, dich überall aufzuhalten, solange du in Begleitung bist. Wenn du einen Wunsch hast, lass es Cormac wissen; er wird ihn dir erfüllen.“ „Ein Paar Tanzschuhe“, hauchte ich, ohne dass ich wusste, woher ich in diesem Moment noch den Mut nahm. Der König betrachtete mich noch einen Moment, bevor er nickte und aus einer anderen Tür, als der, zu der ich hineingekommen war, verschwand. Er brauchte nicht mal eine Wache, die sie ihm öffnete. * Wir aßen die nächsten Tage gemeinsam. Das half mir, wieder einigermaßen in einen Rhythmus zu finden. Aber wir sprachen nicht miteinander. Genau genommen aßen wir nicht mal zusammen, da ich keinen Bissen herunter bekam, solang er mir gegenüber saß. Wie hypnotisiert beobachtete ich ihn stattdessen, während er sein Essen in kleine Teile schnitt und sich langsam und manierlich in den Mund schob. Er speiste wie ein feiner Herr – wie ein König. Wenn sein Teller leer war, stand er auf, verbeugte sich vor mir und ließ mich allein. Erst dann nahm ich meine Gabel und begann, mein inzwischen ausgekühltes Mahl hinunterzuwürgen. Ich hatte keine Angst mehr vor ihm – zumindest redete ich mir das ein. Es war eher eine gesunde Portion Respekt, gemischt mit einer Prise Ekel und Verachtung. Er schien mir gegenüber jedoch völlig neutral zu sein. Es kümmerte ihn nicht, dass wir nicht miteinander sprachen und auch nicht, dass ich ihn so unhöflich alleine Essen ließ. Bis auf seinen Toast vor der Mahlzeit und seiner Verbeugung danach tat er sogar, als wäre ich überhaupt nicht anwesend. Doch das war mir nur ganz recht. Früher oder später würde er erkennen, dass ich nutzlos für ihn war und dann würde er mich freilassen müssen. Und auf diesen Moment wartete ich. ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=daCqRSGMWFU ~*~ Nachdem ich Cormac meine eigenen Ballettschuhe genauestens beschrieben hatte, dauerte es wirklich nicht lang, bis die Handwerker des Kellerreiches mir ein Paar zusammenschustert hatten. Sie waren dunkelblau, aus Seide und wunderschön. Ich wusste, dass Cormac, als er sie mir überreichte, anhand meines Gesichtsausdruckes erkennen konnte, dass ich sie hüten würde wie meinen Augapfel. Sie waren der erste Besitz, den ich hier mein Eigen nennen konnte – und hoffentlich auch der Letzte. Trotzdem waren sie für den Augenblick etwas, das nur mir gehörte. Ich übte jeden Tag in ihnen. Jeden Tag wollte Cormac mehr über mich wissen: Welche Farben ich mochte, welches Essen, welche Jahreszeit. Was ich in meiner Heimat am liebsten tat und welche meine liebsten Geschichten waren. Ich erzählte ihm nicht so viel, wie ich es bei Mathilda getan hätte, aber schlussendlich verlor ich mich selbst immer wieder in meinen Erinnerungen. Doch meine neuen Freunde lenkten mich jedes Mal erfolgreich ab. Sie führten mich in Bibliotheken voller Bücher in verschiedensten Sprachen und Schriften, von denen ich keine entziffern konnte, und verbrachten die Abende mit mir und ihren Familien. Mit jedem Tag konnte ich mich freier bewegen, bis schließlich der Moment kam, in dem es sogar Cormac als überflüssig empfand, mich weiterhin überall zu begleiten. Als er mir beichtete, dass er einer sehr gewichtigen Aufgabe nachkommen müsse und mir soweit vertrauen würde, dass ich nichts Dummes anstellte, sah ich meine Chance. Nachdem er mein Zimmer verlassen hatte, wartete ich noch, bis die Kerzen um eine Fingerspitze herunter gebrannt waren, ehe ich mir von Melor und Beltran die Tür aufziehen ließ. Mit einem unschuldigen Lächeln tapste ich den Gang in die übliche Richtung hinunter, bis ich mich unbeobachtet fühlte und anfing zu laufen. Mein schlechtes Gewissen beruhigte ich damit, dass ich mir selbst versicherte, nicht zu fliehen. Noch nicht. Ich würde mir nur die etwas entlegeneren Orte ansehen, in der Hoffnung vielleicht doch auf einen Ausgang zu stoßen. An jeder Ecke bremste ich, lugte drum herum, ob mir auch niemand entgegenkam, um gleich darauf weiter zu hüpfen. So sehr ich Cormac auch ins Herz geschlossen hatte: Es fühlte sich fantastisch an, mal wieder allein zu sein. Ich begann, leise zu summen – eine Angewohnheit, die sich nicht mehr vertreiben lassen wollte – und tänzelte die Treppen eher hinunter, als dass ich sie herab sprang. Doch plötzlich hörte ich den gleichen gellenden Schrei wie in der Nacht, als ich hier angekommen war. Ich blieb so abrupt in der Bewegung stehen, dass ich leicht gegen die Mauer taumelte, und für einen Moment konnte ich nur meinen eigenen keuchenden Atem hören. Doch kurz darauf ertönte es wieder; zwar leiser, aber erschreckend nah. Zögerlich setzte ich einen Fuß vor den anderen, bis ich zur nächsten Kreuzung kam. Ich befand mich in einem etwas dunkleren Tunnel und als plötzlich mehrere Menschen an mir vorbei hasteten, konnte ich mich gerade noch rechtzeitig an die Wand drücken und im Schatten der Kerzen verstecken. „Bringt ihn nach oben!“, rief eine mir zu bekannte Stimme. Cormac. „Und lasst sofort den königlichen Arzt rufen!“ Ich holte scharf Luft. Der Mäusekönig? Mit vielem hatte ich gerechnet, allen voran Gefangenen, denen es nicht so prächtig ging, wie mir, aber nicht damit. Diese Schreie sollten von ihm kommen? Was konnte einem Monster wie ihm solche Schmerzen zufügen? Ich wusste, dass ich es lassen sollte, aber ich drehte um und huschte so leise und schnell wie möglich die Gänge wieder hinauf. Die königlichen Gemächer waren einige der wenigen Orte, die ich noch nicht ausgekundschaftet hatte, aber ich hatte bereits eine Vermutung, wo ich sie finden konnte. Nur wenige Minuten später kam ich vor dem Speisesaal an. Die Tür war offen und weder Lanzell noch Kerstal bewachten sie. Das war mehr als unüblich. Vorsichtig lugte ich hinein, konnte aber niemanden entdecken. Auf leisen Sohlen tippelte ich durch den Raum hindurch zu der gegenüberliegenden Tür, durch die der König nach unseren gemeinsamen Mahlzeiten verschwand und die ebenfalls noch einen Spalt breit offen war. Gerade breit genug, damit ich mich hindurch quetschen konnte. Da ich einen weiteren, prunkvollen Saal erwartet hatte, wurde ich enttäuscht. Vor mir lag nur ein neuer langer Gang. Doch am Ende von diesem war eine weitere, offene Tür, durch die ein Lichtstrahl und leise Stimmen zu mir drangen. Doch auch als ich durch diesen lugte, entdeckte ich nicht, worauf ich spekuliert hatte. Zwar hatte ich die Menschen gefunden, die ich gesucht hatte, aber der Raum, in dem sie sich aufhielten, war beinahe spärlicher eingerichtet als meiner. Kein pompöses Himmelbett, keine malerischen Teppiche an den Wänden oder warmes, helles Kerzenlicht in jeder Nische. Vor der Tür hin ein Vorhang, um die Zugluft abzuhalten, doch er war beiseite geschoben worden, sodass ich den Mäusekönig auf einer Chaiselongue liegen sehen konnte. Um ihn herum standen Cormac, Kerstal und Lanzell, der allseits angesehene Mediziner Rakhal und eine mir unbekannte Wache, die mir den direkten Blick auf das Gesicht des Königs versperrten. „Die Schmerzmittel schlagen nicht an“, murmelte Rakhal. Wie auf Befehl kam ein kraftloses Stöhnen von dem offensichtlich Verletzten. „Wir können nicht zulassen, dass es weiter so geht“, meinte Lanzell und Kerstal nickte. „Wir müssen etwas tun.“ Cormac schaltete sich ein und setzte wieder seine strenge Miene auf. „Wir wissen alle, dass wir dem König diese Aufgabe nicht abnehmen können. Es ist außerdem seine eigene Entscheidung.“ „Aber wenn er so weitermacht, dann könnte ihm das das Leben kosten!“ Kerstal war einen Schritt nach vorne getreten und starrte Cormac mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Ich denke, ich kann für viele sprechen, wenn ich sage, dass mir unser Leben hier vollkommen genügt. Wir brauchen nicht–“ „Kerstal!“, unterbrach ihn der König selbst mit der gleichen scharfen Stimme, mit der er auch mich schon zurecht gewiesen hatte. Mich wunderte, woher er plötzlich diese Kraft nahm. „Stellst du mich als deinen König in Frage?“ Sofort schwiegen alle und gingen in die Knie. „Natürlich nicht, Eure Majestät“, erwiderte Kerstal mit gesenktem Kopf. „Ich weiß, dass euch meine Motive vielleicht nicht greifbar sind und ich danke euch, dass ihr trotzdem zu mir haltet. Aber ich kann und werde von meinem Plan nicht abweichen.“ Eine kurze Stille hing über ihren Häuptern, doch ich konnte sie innerlich seufzen hören. „Nun lasst mich bitte allein. Ich will mich ausruhen.“ Ich erstarrte, während sie gemeinsam aufstanden und sich verbeugten. Es war unmöglich, dass sie mich nicht entdeckten, würden sie durch diese Tür kommen. Es gab kein Versteck. Doch gerade als ich mich schon auf das Schlimmste gefasst machen wollte, traten sie ab und verließen den Raum durch einen anderen Eingang. „Willst du nicht hereinkommen?“, rief der Mäusekönig, als die Tür hinter seinen Untertanen ins Schloss gezogen wurde. Ich hätte es wissen müssen, dass ihm meine Anwesenheit nicht entgehen würde. Mit kleinen Schritten betrat ich sein Gemach. „Eure Hoheit“, sagte ich und knickste leicht, doch er lachte nur leise. „Kein Grund für Formalitäten. Du siehst, ich bin momentan leider nicht in der Lage, mich standesgemäß vor dir zu verbeugen.“ Ich antworte nicht darauf, sondern betrachtete ihn lieber eingehend. Er lag mit dem Rücken auf einer Chaiselongue, die das Bett zu ersetzen schien, und atmete flach. Sein Gansbauch war dieses Mal grün, dazu passend sein Arm- und Beinkleid, sowie sein Umhang, der leblos über der Lehne hin. Er krampfte die Hand in seine Brust, ehe er einmal tief durchatmete und sich dabei zu beruhigen schien. „Du willst sicher wissen, was passiert ist und woher ich komme?“ Ich sagte nichts und bewegte mich auch nicht von der Stelle. Einerseits war ich schon neugierig, aber andererseits wollte ich nicht den Eindruck erwecken, ich würde mir Sorgen machen. Das war nämlich nicht der Fall. Als ich ihm nicht antwortete, setzte er sich ein Stück auf, wobei er zischte und seine kleinen Zähne zeigte. „Das ist kein Zustand von Dauer. In wenigen Minuten bin ich wieder völlig genesen.“ Mein Mund blieb immer noch verschlossen und ich sah mich in seinem Gemach um. Es war kalt, aber mehr auf eine mitleiderweckende Weise. Es war, als würde mich aus allen Ecken dieses leeren Raumes Einsamkeit anschreien – und nicht Arroganz und Hass. „Nicht so königlich, wie du es dir vorgestellt hast, hm?“ Ich schüttelte den Kopf. „Sag mir... haben dir deine Tanzschuhe gefallen? Die anderen erzählen, du würdest summen, wenn du tanzt. Vermisst du die Musik aus deiner Welt?“ Mit großen Augen sah ich ihn an, während mein Mund ganz trocken wurde. Er hatte meinen wunden Punkt gefunden. „Ja.“ Und wie ich sie vermisste. Und noch so viel anderes. „Wie haben dir unsere Bibliotheken gefallen? Und unsere Schmieden? Die Küchen und Webstühle?“ Ich schluckte. „Eure Untertanen sind immer sehr liebenswürdig zu mir gewesen.“ Er nickte und schmunzelte dabei. Es war ein seltsames Geräusch aus seiner Schnauze. Mit jeder vergehenden Minute schien er Kraft zu gewinnen, doch ich fand es nicht in mir, Angst zu bekommen. Nie hatte er ein wirklich böses Wort gegen mich gehegt, nicht einmal im Speisesaal. Mein Herz galoppierte in meiner Brust davon, während meine Füße wie am Boden fest geheftet waren. „Es sind erstaunliche Menschen. Es sind Mäuse. Alle. Bist du dir darüber bewusst?“ Ich holte tief Luft. Ja, tief in mir wusste ich das. „Geht es dir gut bei mir, Bella?“ Er sah mich mit seinen dunklen Mäuseaugen an und ich musste die Luft anhalten. Zwischen uns herrschte eine Stille, die betäubend war. In meinem Kopf stürzten so viele Bilder über mich herein, dass ich mich beinahe hinsetzen musste. All die Fragen, die Cormac mir gestellt hatte, all die Dinge, die sie mir gezeigt, gebracht und erzählt hatten... es war alles erst auf seinen Befehl hin passiert. Mit der Erwähnung meines Namens – der Fakt, dass er der einzige war, der ihn behalten hatte – machte plötzlich alles einen Sinn. Es war, als schlösse sich ein Kreis, von dem ich nicht gewusst hatte, dass er existierte. „Ja“, hauchte ich. Ich musste dieses eine Wort über meine Lippen pressen, weil mein Atem plötzlich nicht mehr reichte. Diese eine Information nahm mir selbst das sanfteste Lüftchen aus den Segeln. Hatten sich Mathilda, Cormac und all die anderen mein Vertrauen erschlichen, während das mein eigener Plan gewesen war? Hatte der Mäusekönig mich die ganze Zeit an der Nase herumgeführt? „Das freut mich“, sagte er jedoch und klang dabei so aufrichtig, dass ich weggucken musste. „Warum hältst du mich gefangen?“ „Gefangen?“, wiederholte er. „Wir sind uns wohl beide einige, dass du mehr Freiheiten hast, als manchem Gast zustehen.“ „Aber gehen lässt du mich nicht.“ „Nein.“ Er setzte sich auf, wobei sein langer Schwanz sich bewegte und von der Sitzfläche glitt. „Komm, ich zeige dir, weswegen du hier bist.“ Ich wartete, bis er sich erhob und an eine der leeren Wände trat. In dem Mauermuster versteckt schob er plötzlich einen massiven Block zur Seite. Während ihm das selbst in seiner momentanen Verfassung kaum etwas auszumachen schien, was ich sicher, dass nicht mal Melor, Beltran, Krestal und Lanzell zusammen hier etwas hätten ausrichten können. Er deutete hinein und sagte: „Hier befindet sich mein Fenster zu Außenwelt.“ Obwohl mein Verstand mir entgegen schrie, dass ich nicht vorausgehen sollte, trat ich an ihm vorbei. Ohne mich auch nur zu berühren folgte er mir. Wir mussten eine hohe Wendeltreppe hinaufsteigen, bis wir in einem kleinen Turmfenster herauskamen. Es hatte Fenster wie aus Eis, durch die man einen verschwommenen Blick über das gesamte Land der Süßigkeiten hatte. Was ich dort sah, überstieg meine, mittlerweile so eingeengten Vorstellungen. Wir befanden uns über der Oberfläche. Ich musste die Hände über die Augen schlagen, denn es war so hell, als wäre das ganze Land bis zum Horizont mit Schnee bedeckt. „Ist es nicht wunderschön?“, flüsterte die große Maus neben mir. Nie hätte ich zu träumen gewagt, einmal eine solche Ehrfurcht in seiner klaren Stimme zu hören. „Es sieht so friedlich aus. So zart.“ „Warum lebt ihr dann nicht dort mit den anderen?“ Ich blinzelte durch meine Finger hindurch. Noch konnte ich nicht viel erkennen, denn die vielfach gewölbten Eisfenster machten ein klares Bild unmöglich. „Du einfältiges Mädchen.“ Er schüttelte den Kopf. „Wir sind aus dem Land der Süßigkeiten verbannt worden. Ist das in deiner Welt nicht Bestandteil der Erzählung um mein Geschlecht und den Nussknacker?“ Ich nahm die Hände von meinem Gesicht und sah ihn an. „Du kennst diese Geschichte?“ Der König trat näher an den Rand heran und berührte mit seiner Pfote die Scheibe. Zwischen uns befanden sich vielleicht zwei Meter, die von seinem Schwanz auf dem Boden mittig geteilt wurden. „Für viele hier ist es eine Legende. Doch wie du siehst, gibt es mich. Das siebenköpfige Monster.“ „Du hast keine sieben Köpfe mehr.“ Er seufzte. „Das ist etwas, von dem ich nicht weiß, ob du es begreifen kannst, teure Bella.“ Er sah mich an und ich hob die Augenbrauen. „Sieben Köpfe, sieben Leben. Sieben Kronen.“ Erst als er seine rechte Kralle von seiner Brust nahm, fiel mir auf, dass er sie immer noch dagegen gepresst hatte. Er öffnete sie und zeigte mir, was in seiner Handfläche verborgen lag: Ein kleiner, schwarz angelaufener Kronenorden. Ich sah auf seinen Gansbauch, an dem nur noch vier glänzende Abzeichen befestigt waren. „Es sind nur noch vier“, murmelte ich mit gerunzelter Stirn. „Ich reise in die Menschenwelt, um mein Volk zu einen. Um mehr Mäuse hierher, zu ihrem zu Hause zu holen. Aber jedes Mal, wenn ich das Tor zur Menschenwelt öffne, stirbt ein Teil von mir.“ „Ein Leben“, schloss ich und sah ihn an. Er nickte und blickte zurück. Ich musste mich abwenden und meine Arme vor der Brust verschränken. Mir war auf einmal unheimlich kalt. ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=I4lKBgazx2Y ~*~ „Warum hast du jetzt nur einen Kopf?“ „Ich wurde mit sieben Köpfen geboren, aber sie erscheinen nur, wenn sie bedroht sind. Wenn eins meiner Leben in Gefahr schwebt. Es ist eine Art Gabe, ein Geschenk. Es ermöglicht mir, meinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen.“ „Dein Volk zu einen“, flüsterte ich und sah die Stufen hinunter. „Nein“, knurrte er und sein Rücken verkrampfte sich plötzlich in einen Buckel. „Meine Mutter zu rächen und den Nussknacker zu töten.“ „Töten? Du kannst den Nussknacker nicht töten!“ „Kann ich nicht?“ Er lachte bitter, drehte sich zu mir um, schob dabei seinen Umhang mit einer ausladenden Handbewegung aus dem Weg und türmte sich in seiner vollen Größe vor mir auf. „Was weißt du schon? Weißt du, wie es ist, von deiner Geburt an, als Monster, als Mörder beschimpft zu werden? Weißt du, wie es ist, für den Tod deiner Mutter verantwortlich gemacht zu werden, die dir gerade noch das Leben schenken konnte, bevor sie an den Folgen ihrer Verletzungen starb?“ Ich drückte mich zusammengezuckt an die Wand hinter mir und versuchte, ihm weiter direkt in die Augen zu schauen. „Du siehst den Nussknacker als glorreichen Helden, der über den grausamen Mäusekönig siegen wird, aber was mit mir? Was ist mit meiner Mutter, die erst verbannt und dann von deinem Helden hingerichtet wurde? Was ist mit meinem Volk, das seitdem in diesem Kerker hausen muss?“ Obwohl er seine Schnauze so hoch streckte, sah ich in den Schmerz in seinen Pupillen. „Ich...“, hauchte ich. „Bitte, nicht!“ „Darüber hast du noch nie einen Gedanken verloren, oder Miss Bella? Im Gegenteil, du liebst ihn, ohne dass dir auch nur in den Sinn kommt, dass jeder zwei Seiten hat. Dein Nussknacker kann dich nicht glücklich machen.“ „Sag so etwas nicht“, flüsterte ich, aber mir fehlte die Luft, um es gefährlich klingen zu lassen. „Du weißt nichts über mich.“ „Oh, Bella“, sagte er – plötzlich so machtlos, dass sich mein Herz zusammenzog. Er überquerte mit einem Schritt den Abstand zwischen uns und griff nach meiner Hand. Ich spürte seine Krallen an meinen Fingern und musste meinen ersten Instinkt, sie sofort wieder zurückzuziehen, unterdrücken. „Ich weiß so viel mehr über dich, als du denkst. Und ich weiß auch mehr über deinen Nussknacker, als du wahrhaben möchtest.“ Er zog mich zu seiner Seite des Turms und deutete auf die Scheibe. „Dort drüben liegt Zuckerburg, sie feiern ein großes Fest. Siehst du es?“ Ich schüttelte den Kopf, denn durch die verschwommen Scheiben sah ich nichts außer einen bunten Strich in der Landschaft. „Es ist die Verlobung der Zuckerfee. Bella, siehst du es nicht? Sie wird deinen Nussknacker heiraten.“ Und plötzlich schien der Frost sich vom Eis zurückzuziehen, das Bild wurde ganz klar und ich sah noch viel mehr, als nur die Konturen der fremden Stadt. Vor mir breitete sich ein Fest aus, in solch bunten Pastelltönen, dass mir die Augen schmerzten. Da waren hunderte von Menschen, die die schönsten Kostüme trugen und ein tanzendes Paar in ihrer Mitte umringten. Der Mann trug unverkennbar die Uniform des Nussknackers, aber sein Gesicht erkannte ich nicht. Es war nicht Mike, wie ich erwartet hatte. Er war mir vollkommen fremd. In seinen Armen hielt er ein wunderschönes Mädchen. In ihren goldenen Haaren glänzten kleine Perlen und sie tanzte in einem Kleid, das so zart war, dass es aussah, als wäre es aus Zuckerwatte. Aus ihrem Rücken entsprangen glitzernde Flügel, die sie beide in einen funkelnden Nebel einhüllten. Sie sahen sich in die Augen und selbst aus dieser Entfernung konnte ich die Zuneigung in ihrem Blick spüren. In meinem Bauch wurde es kalt. Sie wirkten wie ein Prinzenpaar aus einem Bilderbuch. Meine Zeit blieb stehen. Alles in mir blieb für einen Augenblick stehen. Ich konnte nicht atmen, ich konnte nichts hören, ich konnte nicht mal mein Herz schlagen spüren. Vielleicht weil es brach. Ich stolperte zurück und schüttelte dabei den Mäusekönig von mir. Ich musste weg, sofort. Wie der Wind drehte ich mich um und eilte die Treppen nach unten. „Bella, warte!“, rief er mir hinterher, aber ich hastete einfach weiter. Ich hörte, wie er mir folgte und begann, zwei Stufen auf einmal zu nehmen. Ich stolperte immer wieder gegen die Mauer und musste mich abstoßen, um weiterlaufen zu können. Die Tränen, die ich während der Offenbarung des Mäusekönigs hatte zurückhalten können, flossen nun unaufhaltsam über meine Wangen. Mit dem Handrücken versuchte ich, sie mir aus dem Augenwinkel zu wischen, aber kaum hatte ich sie erwischt, kamen die nächsten nach. Als ich die letzten Stufen überbrückt hatte, drückte ich mich durch die offene Steinmauer und blieb in dem dunklen Raum stehen. Hier war wieder alles so, wie ich es in den letzten Wochen zu schätzen gelernt hatte. Hier war kein Licht, dass einem die Wahrheit zeigen konnte. Stattdessen umgaben einen dicke Mauern, die einen vor allem beschützten. Ich wollte nicht, dass die anderen mich sahen, weil ich nicht wusste, wie ich ihnen meinen Zustand erklären sollte. Ich war in den Nussknacker verliebt! Ich, die fast zu einem Teil dieses Reiches geworden war. Aber ich hatte es nun begriffen. Ich konnte in meiner Welt Bella und dieser Clara sein, aber die Zuckerfee würde ich nie werden. Jessica hatte Recht gehabt. Mike und ich - wir waren einfach nicht füreinander bestimmt. Es war schon immer aussichtslos gewesen, sonst wäre ich nicht schon seit Jahren einseitig verliebt. Warum sollte sich durch dieses dumme Ballett auch nur irgendetwas ändern? Weinend ließ ich mich auf den Boden sinken. Ich hatte keine Kraft mehr, ich wollte nur noch nach Hause. Weg von diesem Ort, weg von diesem Bild. Ich wollte am liebsten verschwinden. Hinter mir trat der König ein und ich hörte, wie sein Schwanz über den Boden wischte, als er die Steine wieder ineinander schob. Er ging an mir vorbei, kam zurück und legte mir eine Decke um die Schultern. Dann ließ er sich neben mir nieder. „Die Fenster dort oben zeigen uns sehr klar, was sie sehen möchten. Aber manchmal ist das nicht das, was wir auch wissen wollen.“ „Kann ich damit auch nach Hause sehen?“ Mein Weinen machte mir das Reden schwer. Ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu sehen. Ich ahnte, dass er mit einer solchen Reaktion gerechnet hatte, aber ich wollte ihn nicht in seiner Vermutung unterstützen. „Nein, Bella. Es tut mir leid. Damit kannst du nur das Süßigkeitenland anschauen.“ Ich nickte, zog die Decke enger um mich und versuchte, mich zu beruhigen. „Wirst du mir helfen?“, fragte er und überraschte mich damit mit seiner Ignoranz. „Niemals. Es tut mir leid, dass du so leiden musst, aber ich kann dir nicht helfen, den Nussknacker zu töten. Ich liefere dir doch gerade den besten Beweis, warum das nicht geht.“ „Aber du hast doch gerade gesehen, dass er eine andere heiraten wird. Wieso hasst du ihn nicht?“ Ich sah ihn an, während mir immer noch eine Träne über die Wange kullerte. „Wenn du das von mir erwartest, dann weißt du nichts über die Liebe.“ Er seufzte und während ich mich abwandte, nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie er sich über seinen haarigen Kopf strich. „Ich werde dich trotzdem mit in diesen Krieg ziehen müssen. Der Nussknacker weiß bereits, was auf ihn zukommt. Wir werden verhandeln. Du gegen ihn.“ Mit offenem Mund drehte ich mich wieder zu ihm. Er blickte mich direkt an und ich konnte in seinen Augen erkennen, dass er die Wahrheit sprach. Er wollte mich wirklich als Geisel einsetzen benutzen. „Du bist wahnsinnig“, flüsterte ich. „Du hast doch gesehen, dass ihm nichts an mir liegt. Lass mich frei, ich bitte dich!“ „So ungern ich es zugebe, aber ganz scheint dich dein Nussknacker auch nicht aufgeben zu wollen. Nur weil du nicht seine Zuckerfee bist, würden sie dich trotzdem niemals opfern. Außerdem glaubt er nicht, dass er wirklich in Gefahr ist, wenn er in meine Gewalt kommt. So ein einfältiger Tölpel.“ Er schüttelte verständnislos den Kopf. Mir blieb die Luft weg. „Du Scheusal“, flüsterte ich. So schnell ich konnte, kämpfte ich mich auf die Füße und trat seine Decke zur Seite. „Du kannst noch so fürsorglich zu deinen Leuten sein, aber du bist von Rache zerfressen! Sie macht dich kaputt! Du setzt das Leben von allen hier aufs Spiel, du wirst sie alle umbringen! Ich verachte dich.“ * Es folgten weitere Tage, in denen ich mich weigerte, mit dem König zusammen zu essen. Insgesamt wollte ich niemanden sehen. Die Vorstellung, dass all diese Menschen, die ich über die vergangenen Wochen hinweg ins Herz geschlossen hatte, nur zum Schein nett zu mir gewesen waren, steckte mir immer noch tief in den Gliedern. Doch schließlich hielt ich es nicht mehr aus und ließ Mathilda zu mir bitten, um sie direkt danach zu fragen. Sie war mir eine so treue Freundin gewesen, hatte mich immer getröstet, wenn ich vom Heimweh oder von der Sorge um meine Mutter übermannt worden war und hatte mich in die Bräuche und Gepflogenheiten ihrer Welt eingewiesen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie mich angelogen haben sollte. Als sie zu mir kam, mir mit rotgeweinten Augen um den Hals fiel und immer wieder wiederholte, wie froh sie war zu sehen, dass ich wohlauf war, musste ich gar nicht fragen, warum sie all die Zeit so freundlich zu mir gewesen war. Ich wusste einfach, dass mich meine Menschenkenntnis nicht im Stich gelassen hatte. Cormac und die anderen beobachtete ich misstrauisch, aber keiner tat etwas, was mich an ihnen zweifeln ließ. Sie alle waren besorgt, warum es mir nicht gut ging und gaben sich wie in einem Krankenhaus die Klinke in die Hand, um mich zu besuchen. Meine plötzlichen Einstellungsschwankungen schien sich in rasender Geschwindigkeit herumgesprochen zu haben – aber niemand kam, wie ich es mir ausgemalt hatte, um neugierig in Erfahrung zu bringen, was vorgefallen war. Vielleicht war ich naiv, denn der König hätte seinen Untertanen diese Sorge auch genauso gut befehlen können, aber tief in mir wollte ich an diese Menschen glauben. Ich wollte mir nicht einreden lassen, dass sie mich getäuscht hatten – dass sie überhaupt zu so etwas im Stande waren. Genauso wenig wollte ich mir glauben, dass diese verborgene, liebenswürdige Seite beim Mäusekönig, die er nur seinem Volk und mir zeigte, auch nur eine Farce war. Seine Pläne waren brutal und egoistisch, er opferte seine Leben, um Mäuse aus meiner Welt für seine Armee zu rekrutieren und er war bereit, sie alle in einen weiteren Krieg mit dem Zuckerreich zu schicken, nur um seine Rache üben zu können. Ich hatte in der Erzählung um den Nussknacker gelesen, dass dieser die ehemalige Mäusekönigin umbringen sollte. Schlussendlich wurde sie jedoch von einer Steinsäule erschlagen. Trotzdem konnte ich mich nicht dazu bringen, ihn zu hassen. Ich hatte Mitleid mit ihm. Nur zu gerne wollte ich ihm seinen Plan ausreden. Ich wusste, dass unter all dem Hass auf den Nussknacker ein viel größerer, gutmütigerer Kern steckte. Das hatte er mir, ohne dass ich es zu der Zeit wahrgenommen hatte, bisher jeden Tag bewiesen. Ich versuchte über die Wachen so viel wie möglich über sein Treiben herauszufinden, ohne dass ich ihn sehen musste. Als Erstes erfuhr ich, dass der von mir so gefürchtete Angriff fast schon auf der Türschwelle auf uns wartete. Nur noch einmal wollte der Mäusekönig ausziehen, um seine Armee zu vergrößern. Es brauchte viel einfühlsame Überredungskunst, um Cormac davon zu überzeugen, mich wieder allein durch die Gänge wandern zu lassen. Inzwischen fürchtete er nicht mehr, dass ich fliehen, sondern gesundheitlich zu schwach sein könnte. Vor allem aber der Umgang mit Lanzell gestaltete sich als schwierig. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, mich unerlaubt im Gemach seines Königs vorgefunden zu haben, auch wenn ich merkte, dass er nicht glauben wollte, dass ich etwas Böses im Schilde führte. In meinem Gespräch unter zwei Augen vertraute ich ihm an, dass ich mir Sorgen um den Zustand seines Herrn machte. Damit konnte ich ihn schließlich dazu bringen, mich darüber zu unterrichten, wenn der letzte Gang in die Menschenwelt anstand. Als er seinen Kopf in mein Zimmer steckte, brauchte er mich nur anzusehen, damit ich verstand, dass der Abend gekommen war. In Windeseile lief ich die Tunnel nach unten. Einen kurzen Augenblick flammte während des Laufens in mir der Gedanke auf, den Moment abzupassen und einfach nach ihm durch den Ausgang in die Menschenwelt schlüpfen. Doch zur gleichen Zeit wusste ich schon, dass ich nicht mehr so einfach weglaufen konnte. Es gab inzwischen zu viel, was ich an diesem Ort beschützen wollte. Und dabei ging es mir nicht mal mehr um das Land der Süßigkeiten oder Zuckerburg, geschweige denn nur um den Nussknacker und seine Zuckerfee. Sie alle verdienten einen solchen Krieg nicht, aber die Mäusemenschen in diesem unterirdischen Reich verdienten ihn noch weniger. Im Gegenteil: Ihnen stand alles Glück dieser Welt zu. Da ich mich in diesem Teil des Kellers nicht auskannte, endete ich zweimal in einer Sackgasse und als ich gerade in eine neue Seitenstraße einbiegen wollte, hörte ich, wie zwei Soldaten einen Gang weiter wieder nach oben marschierten, und hielt inne. „Heute ist die letzte Nacht“, sagte der eine. „Ja“, stimmte der Zweite ihm zu. „Morgen ist es soweit. Wir sollten froh sein, dass wir nicht mit mussten und die Nacht noch mal durchschlafen können.“ Der Rest verhallte zwischen den Wänden. Ich hatte ihn verpasst. Mir blieb nichts anderes, als auf ihn zu warten. Ich ließ mich auf den Boden sinken. * Es schien sich um Stunden zu handeln, ehe sich irgendein Geräusch in meiner Umgebung tat. Es war das gleiche Fiepen und Piepen wie damalsbei mir Zuhause. Ich schreckte augenblicklich hoch und versuchte, den genauen Gang zu lokalisieren, aber es schien von überall zu kommen. Schnell lief ich um drei Ecken, ehe ich auf den breiten Tunnel stieß, auf dem auch ich das erste Mal einen Fuß in diese Gewölbe gesetzt hatte. Vor meinen Augen verwandelte sich eine Maus nach der anderen in einen Menschen. Ich entdeckte ein paar bekannte Gesichter, die offensichtlich den Neuankömmlingen den Weg zeigen sollten, die zum Teil aufgeregt, zum Teil ängstlich den langen Gang hinaufschauten. Ich spitzte die Ohren, denn wenn ich es richtig geschlussfolgert hatte, musste sich mein Mäusekönig bald bemerkbar machen. Und ich hatte Recht: Es dauerte nur wenige Sekunden, bis abermals sein markerschütternder Schrei zu mir drang. Mit schwerem Herzen durchsuchte ich den Irrgarten, bis ich ihn fand. Er kniete auf allen Vieren und lehnte dabei halb gegen die Wand, um nicht zusammenzuklappen. Ich sah gerade noch, wie sein Schwanz immer kleine wurde, bis er seine übliche Größe annahm. Keuchend versuchte er sich aufzustützen, krallte dabei aber seine Pfote in seine Brust. „Oh, du bist so ein dummer König“, flüsterte ich, als ich mich neben ihn kniete und seinen haarigen Kopf in beide Hände nahm. „Bella–“ Er krümmte sich vor Schmerzen und sackte wieder ein Stück nach unten. Ihn an beiden Schultern packend, versuchte ich, ihn aufrecht zu hieven, aber er war zu schwer für mich. Er hielt sich selbst halbwegs aufrecht und sah mit mir zusammen zu seiner Hand, die sich von seinem Wams löste. In ihre ruhte eine weitere kleine Krone, die unter unseren Augen schwarz anlief. Die Lider zusammendrückend, ballte er seine Pfote zur Faust, wie als ob er gehofft hätte, dass der Orden ihn dieses Mal verschonte. „Komm, du musst nach oben, dich ausruhen“, redete ich auf ihn ein, während ich weiter versuchte, ihn nach oben zu ziehen. Ich wusste, dass ihn keiner seiner Untertanen so sehen sollte. „Einen Moment noch, bitte. Ich muss mich nur noch kurz fangen, bevor ich aufstehen kann.“ Er war immer noch völlig außer Atem. „Ist es immer so schlimm?“ Ich hatte seine Schreie fast immer gehört, aber ich hatte mir nie solche Schmerzen in seinem Gesicht vorstellen können. „Es ist schlimmer geworden.“ Ich warf einen Blick auf die Schatten, die die Kerzen vom großen Tunnel in unseren kleinen warfen. Noch hatte uns niemand gesehen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit ihm zu warten, bis seine Soldaten kamen und ihn zu viert beim Laufen halfen. Sie musterten mich seltsam, aber es konnte mir in diesem Moment nichts egaler sein. Es dauerte ewig, bis wir in seinem Gemach ankamen. Rakhal wartete bereits auf seinen Herrn, aber der machte nur eine wegwinkende Handbewegung, als er die Medikamente des Arztes sah. „Heute keine Schmerzmittel, mein Bester. Sie helfen ja doch nichts, außer dass sie mich vom Schlafen abhalten.“ „Dann sollten Sie das jetzt tun, Eure Majestät.“Alle verbeugten sich und Lanzell zog mich an meinem Kleid, damit ich mit ihnen den Raum verließ. Aber der Mäusekönig hielt ihn davon ab. „Lasst mir das Mädchen bitte noch einen Augenblick hier. Ich fürchte, wir müssen wegen morgen noch ein paar Dinge besprechen.“ „Natürlich, Eure Majestät“, antworteten alle im Chor und traten der Reihe nach durch die Tür und verschlossen sie. Ich stand mitten im Raum, während er wie beim letzten Mal auf seinem Sofa lag. ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=qdS4snu2SRQ ~*~ „Wie kommt es, dass ich dich in letzter Zeit immer in den entlegensten Winkeln meines Reiches antreffe?“ Er hatte die Augen geschlossen und ich betrachtete sein ruhiges Gesicht. Er schien sich zu erholen, denn das Krümmen hatte aufgehört. „Ich will einfach den Weg zurück nach Hause finden.“ Ich wusste, dass er wusste, dass ich log. „Ist dein Zuhause nicht hier?“, murmelte er. Ich trat an ihn heran und fuhr ihm vorsichtig mit der Hand durch sein Fell. „Nein, noch nicht“, flüsterte ich. Er nickte und stöhnte bei der Bewegung auf. „Möchtest du mir etwas Bestimmtes sagen?“ Würde ein Außenstehender die Situation betrachten, würde er vielleicht annehmen, dass die Maus vor mir schlief. Aber ich wusste es besser. Ich spürte die Anspannung zwischen uns und verstand, dass nun meine letzte Chance gekommen war. Es war die letzte Nacht vor dem Kampf und ob ich es wahrhaben wollte oder nicht: Mit dem nächsten Morgen würde sich alles ändern und nicht nur der Mäusekönig war im Begriff, vieles zu verlieren. „Nun… ja. Da ist einiges, was ich dir zu sagen habe.“ „Ich bin ganz Ohr.“ Er schlug seine Augen auf und sofort zog ich meine Hand zurück. Mit verengten Augen und aufeinander gepressten Lippen starrte ich ihn an. „Zuallererst einmal finde ich deinen Plan verabscheuungswürdig! Wegen etwas aus der Vergangenheit dein Leben aufs Spiel zu setzen…“ „Meine Leben.“ „Und das von anderen, ist verantwortungslos und absolut nicht tragbar! Du bist ihr König, du kannst sie nicht willentlich in den Tod führen!“ „Aber ist es nicht schon immer so gewesen, dass die Könige ihre Soldaten in den Krieg geschickt haben? Oft noch wegen viel belangloseren Sachen? Und beginnen nicht auch Untertanen selbst blutvergießende Aufstände, um sich aus einem Leben in Dunkelheit zu befreien? Ist es verwerflich, meinen Untertanen einen Platz im Zuckerreich erkämpfen zu wollen? Ich glaube nicht, dass der kriegerische Aspekt das Problem ist.“ „Was ist es dann?“ Darauf antwortete er mir nicht. „Also wirst du nicht davon abweichen? Morgen wird es soweit sein?“ „Definitiv. Ich habe eine starke Armee aufgebaut. Ich bin vorbereitet. Der Nussknacker wird siegessicher im Zauber seiner Verlobung antreten.“ „Unterschätze ihn nicht.“ „Das ist meine erste Regel, Miss Bella.“ Ich atmete die aufgestaute Luft in meinen Lungen aus und ließ mich neben ihm auf der Chaiselongue nieder. Er rutschte ein bisschen, damit ich mehr Platz hatte. „Weißt du“, begann ich. „Du hast mir nie gesagt, wie du heißt. Ich nenne dich die ganze Zeit nur ‚den Mäusekönig‘.“ „Du nennst den Nussknacker auch nur Nussknacker.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich kenne den Nussknacker aber auch nicht so gut, wie ich immer gedacht hatte.“ Er stellt beide Füße auf den Boden und fuhr sich mit der Hand über den Bauch, ehe er sich auf seinen Oberschenkeln abstützte. „Ich habe keine Namen. Meine Mutter ist gestorben, bevor sie mir einen geben konnte.“ Darauf wusste ich nichts zu erwidern, also griff ich einfach nur nach seiner Pfote. Aber nur, bis ein weiterer Gedankenstrang in mir aufbrauste. „Aber ich kann dir trotzdem nicht verzeihen.“ Ich riss meine Finger wieder von ihm los. „Du hast mich entführt, um den Nussknacker zu erpressen! Du hast mich aus meinem Leben gerissen, weg von meinen Freunden, meiner Familie. Wer weiß, ob ich meine Mutter jemals wiedersehe. Siehst du nicht, wie grausam das ist?“ Er stöhnte sehr angestrengt auf, als er aufstand, aber er schien sich bereits so weit erholt zu haben, dass er überhaupt alleine stehen konnte. „Aber ist es dir hier nicht gut ergangen? Hast du hier nicht gelebt, gegessen und dich unterhalten, als wärst du die Königin in diesem Reich? Hast du nicht deine Zeit mit meinen Leuten verbracht, dich hier eingelebt und sie zu deiner Familie werden lassen?“ Er ging vor mir auf und ab. „Natürlich habe ich das. Aber mein Zuhause, da wo mein Herz hängt, ist in meiner Welt.“ Er schnalzte mit der Zunge. „Hätte der Nussknacker dich mit nach Zuckerburg genommen, würdest du sicherlich anders reden. Aber es ist nur zu verständlich, dass du nur einen herrlichen Prinzen wie ihn lieben kannst, während diese Gewölbe für dich nur ein Reich voller Monster sein können.“ Auf diese Worte hin schoss ich nach oben. Am liebsten hätte ich weit ausgeholt und ihm eine schallende Ohrfeige verpasst, aber er war zu groß. Also konnte ich nur die Hände zu Fäusten ballen und in all meiner Wut zu ihm hinauf starren. Meine Schultern zitterten vor Anspannung. „Wenn du so über mich denkst, dann verdienst du nichts anderes als diese Meinung. Was gibt dir das Recht, mir eine solche Oberflächlichkeit vorzuwerfen? Ich habe nie ein Wort gegen dich und deine Leute erhoben, obwohl ich ein wirklich gutes Recht dazu hätte. Mäusekönig, egal was du sagst: Ich bin deine Gefangene!“ Flehend sah ich ihn an, damit er verstand. Er starrte zurück und flüsterte: „Aber ich hatte doch nicht wissen können, wer du bist und was du mit meinem Volk anstellst.“ „Aber dass du es jetzt weißt, hindert dich auch nicht daran, mich morgen gegen den Nussknacker einzutauschen.“ Damit legte ich einen Schalter in ihm um, denn plötzlich brach es aus ihm heraus. „Aber das ist doch, was du wollen solltest! Warum sitzt du überhaupt hier, warum warst du da unten, warum versuchst du nicht ernsthaft, einen Weg hier raus zu finden? Wir sind allein, gerade eben noch war ich so geschwächt, dass ich kaum die Augen offen halten konnte – warum hast du nicht versucht, mich umzubringen oder wenigstens außer Gefecht zu setzen?“ „Ich könnte nie…“, flüsterte ich mit aufgerissenen Augen. „Ich könnte auch nie!“, unterbrach er mich scharf. „Ich würde nie zulassen, dass dir oder meiner Familie etwas passiert! Es wird keinen Angriff angeben, ehe du nicht sicher auf der Seite des Feindes angekommen und dort versteckt worden bist. Und ich schicke niemanden in einen Kampf, der mir nicht freiwillig folgt. Du magst Recht haben, ich bin vor Rache zerfressen, aber nur weil ich nicht wie einer aussehe, ist in mir trotzdem ein Mensch.“ Mit einem letzten Blick wandte er sich ab und setzte seine Wanderung durch den Raum fort. Seine Stimme schien noch Minuten später zwischen den Steinen nachzuhallen. Ich folgte seinen Pfad mit den Augen und eine Weile schwiegen wir und lauschten stattdessen dem Echo in unseren Köpfen. „Ich habe Angst“, gestand ich und meine Stimme schnitt einen Riss in die Stille. „Was ist, wenn ich euch alle nie wieder sehe?“ Der Mäusekönig unterbrach seine Bewegung und setzte sich neben mich. „Du bist heute die letzte Nacht in meinem Reich. Egal, wie der morgige Tag verlaufen wird... wir werden uns wohl nicht wieder sehen.“ „Wer wird denn so schnell aufgeben? Glaubst du nicht mal selbst daran, dass du gewinnst?“ „Ich habe gewonnen, sobald der Nussknacker tot ist. Ich weiß, dass du dann kein Gast mehr bei uns sein möchtest, also... würdest du heute Nacht hier bleiben? Und mir ein wenig von dir und deiner Welt berichten? Cormac ist ein wirklich furchtbarer Erzähler.“ Wir lachten leise und ich wusste, dass ich bleiben würde. Diesen einen Gefallen konnte ich ihm noch tun. Ich erzählte in dieser Nacht viel, aber nicht die Sachen, von denen ich in den letzten Wochen allen anderen berichtet hatte. Stattdessen kramte ich alte Erinnerungen wieder hoch und weihte ihn in meine Pläne in der Menschenwelt ein. Nur von Mike erzählte ich nicht, denn ich hatte das erste Mal in meinem Leben überhaupt keine Lust, über ihn zu reden. Akt Vier - Pas de deux (Tanz zu zweit) ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=l6c8gwrzFXI ~*~ Ich ritt auf Kerstals Rücken, während der Mäusekönig neben uns her lief. Kaum hatten er und seine Armee die Burg verlassen, waren sie wieder auf ihre Vorderläufe gefallen und hatten sich in Mäuse verwandelt. Der Mäusekönig war zu seiner gigantischen Größe ausgewachsen und seine zwei Köpfe gaben schnalzende und zischende Geräusche von sich. Der Rest des Trupps hatte sich hinter uns in einer Aufstellung gesammelt; es waren unzählbar viele. Dagegen waren die paar in meiner Wohnung ein Flohzirkus gewesen. Doch in diesem Moment bewegten nur wir drei uns vorwärts. Wir waren auf dem Weg in die Mitte des Schlachtfelds, um mich auszutauschen. Während ich mich an Kerstals kurzen Haaren festklammerte, schickte ich ein letztes Stoßgebet zum Himmel. Vor wenigen Stunden hatte ich mich von Mathilda und den anderen Frauen verabschieden müssen, die mit ihren Kindern zurückgeblieben waren. Ich hoffte, dass es meiner lieben Freundin gut gehen würde. Als ich einen Blick zur Seite warf, sah der Mäusekönig ebenfalls kurz mit beiden Köpfen zu mir. Zu Beginn hatte ich gedacht, dass er, zur wilden Bestie mutiert, nicht zur Kommunikation fähig war, doch wie immer bewies er mir das Gegenteil. Seine beiden Köpfe sahen so traurig aus, wie ich mich fühlte. Wir konnten den Blickkontakt nicht lange aufrecht erhalten. Das Land der Süßigkeiten war wunderschön. Wir liefen nicht auf Straßen oder Wiesen, sondern über Lakritzbacksteine und Puderzuckerweiden. Die Bäume waren aus Bonbon und die Flüsse aus Milch. Überall wuchsen kleine Schokoladenblumen oder Keksfarne und über uns schwebten Wolken aus Zuckerwatte. Ich spürte, wie Kerstal unter mir sich immer wieder nach allen Richtungen umdrehte. Am Horizont tauchte bald ein dunkler Streifen auf: Die Armee des Nussknackers. Aus der Entfernung wirkten sie klein und ungefährlich. „Hier ist die Mitte“, verkündete der Mäusekönig und wir blieben stehen. Kerstal fauchte und stellte das Fell auf, doch sein Herr rief ihn zur Ruhe. Er hielt mir eine seiner Pfoten hin und half mir beim absteigen. Zusammen warteten wir, dass die anderen näher kamen. Der schwarze Balken wurde immer größer, bis ich die ersten Konturen identifizieren konnte. Als sie sich uns schließlich so weit genähert hatten, dass ich ihre Arme und Beine ausmachen konnte, erkannte ich, dass es lebendig gewordene Zinnsoldaten waren, die mit dem Nussknacker marschierten. Er fuhr zusammen mit seiner Zuckerfee in einer Kutsche, die wie ein Muffin geformt war und von niemandem gezogen wurde, voraus. Als sie hielten und sich formierten, wurde uns das wirkliche Ausmaß ihrer Streitmacht erst bewusst. Sie verteilten sich zu beiden Seiten der Kutsche und waren unserem Heer dabei fast ebenbürtig. Zwei Soldaten salutierten vor dem seltsamen Kuchengefährt und kamen dann zu zweit zu uns zur Mitte. „Er kommt nicht mal selbst, dieser Feigling“, zischte der linke Kopf vom Mäusekönig. Ich zog die Schultern zurück und machte mich bereit. Die beiden Soldaten bauten sich vor uns auf und nickten uns zu. Ich bewegte mich keinen Zentimeter und aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass der König es mir gleich tat. „Wir kommen, um die Gefangene, Miss Clara, zu befreien.“ „Wir hatten einen Tausch vereinbart“, knurrte der Mäusekönig. „Der Nussknacker lässt ausrichten, dass er keine Verträge mit niederem Gesindel eingeht. Lasst das Mädchen gehen oder das wird Euer Ende.“ Er fauchte und sein Schwanz wischte über den Boden und ich konnte erkennen, wie schwer es den armen beiden Männern fiel, ihre unbeeindruckte Miene zu behalten. „Schwört ihr, dass ihr nichts zustößt?“ „Sollte ihr auch nur ein Haar gekrümmt werden, so soll es nicht aus unseren Reihen passieren. Wir beschützen sie mit unserem Leben.“ Er trat einen Schritt zurück und ich wusste, wie viel ihm diese winzige Geste abverlangte. Meine Sicherheit war ein Gut, für das er mit seinen unausgebildeten Soldaten nicht garantieren konnte. Ein letztes Mal drehte ich mich zu ihm und bei seinem Anblick zersprang mir fast das Herz. Ich sollte vor Freude platzen, doch stattdessen zog sich alles in mir zusammen. „Bella“, sagte er. „Sei vorsichtig.“ Ich nickte, nicht in der Lage, auch nur einen Ton über die Lippen zu kriegen, und überquerte den kurzen Abstand zwischen unseren beiden Fronten. Sofort schnappten die beiden Zinnfiguren mich an den Armen und trugen mich in einem Eiltempo hinüber auf die andere Seite. Schon als wir uns den andern näherten, konnte ich die Jubelschreie hören. Als ich endlich ankam, strahlte mir eine solche Freude entgegen, dass ich fast geglaubt hätte, es wäre wirklich alles schon überstanden. Die beiden Soldaten kamen kaum mit mir bis zur Front, als die Ersten schon auf uns zugestürmt kamen und mich aus ihrem Griff rissen. Ich wurde in fremde Arme geschlossen, als wäre ich ein verlorengegangener Freund. Es gab keine Möglichkeit, mich aus ihrem Griff zu befreien und so wurde ich langsam immer weiter in die Mitte der Truppen geschoben. Doch alles, was ich tat, war, zu versuchen, ihre Anzahl zu schätzen, um die Chancen der Mäuse erwägen zu können. Aber die Gesichter waren so unbekannt, dass ich die Orientierung verlor. Ich wandte den Kopf zurück und sah, wie mein König zusammen mit Kerstal zurückrannte. Sie würden sich jetzt auf ihren Angriff vorbereiten. ‚Bitte‘, dachte ich. ‚Lass niemanden von ihnen etwas zustoßen.‘ Die Wiese, die beide Seiten zum Schlachtfeld erkoren hatten, lag genau zwischen Zuckerburg und dem Kellerreich und war eine ebene Fläche. Fast unmerklich rückten sie auf ihr ein Stück vor. Doch ihren Gegnern entging dies vollkommen. Plötzlich teilte sich die Menge und der Nussknacker und die Zuckerfee traten mir entgegen. Obwohl ich die ganze Zeit versucht hatte, mich darauf vorzubereiten, kam diese Begegnung derart unerwartet, dass ich sie einfach anstarrte und überhaupt nicht mehr wusste, was ich machen sollte. Mit einem großen Lächeln kam das grazile Mädchen zu mir und schloss mich in ihre glitzernden Arme. „Oh Clara, wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht! Wie hast du das nur überlebt?“ Sie sah mich an, umfasste mein Gesicht mit ihren Händen und strich mir die Haare aus der Stirn. „Du siehst so erschöpft aus. Aber jetzt bist du bei deinen Freunden.“ „Der Nussknacker, er, er sollte…“, stammelte ich nur. „Ja, da haben wir ihn ganz schön ausgetrickst, den alten Mäusekönig“, triumphierte der neben uns. „Keine Angst, wir beschützen dich, holde Clara. Wir haben den Vorteil, dass unsere Augen an das Tageslicht gewöhnt sind.“ Ich sah ihn mit großen Augen an. Dieser Junge mit seiner stattlichen roten Uniform und den goldenen Köpfen war nicht der Mann, in den ich mich verliebt hatte. „Die Mäuse greifen an!“, rief jemand von hinten und augenblicklich brach wildes Chaos aus. „Ihr beiden bleibt hier“, wies der Nussknacker uns an, griff nach seinem Schwert – dieses Mal ein richtiges – und stürmte zusammen mit seinen Männern nach vorne. Aus der Ferne konnte ich das Piepen der Mäuse und ihre kleinen Pfoten auf dem Boden hören. Ich suchte nach dem Mäusekönig, aber durch die ganzen Köpfe der Zinnsoldaten konnte ich noch nicht mal seine große Gestalt ausmachen. „Keine Sorge, Clara“, sagte die Zuckerfee neben mir ruhig. „Wir werden siegen. Unser Nussknacker weiß, was er tut.“ Der fiel mir sofort ins Auge; wie er über einen Nager drüber sprang und seinen Weg durch die angreifenden Tiere fortsetzte. Ziemlich in der Mitte der Wiese fielen die beiden Gruppen übereinander her. Die Mäuse sprangen den Soldaten entgegen und überall hörte man Kampfgeschrei. Ein lautes Röhren ließ mich endlich die zweiköpfige Maus entdecken, die sich unter drei Zinnsoldaten aufbäumte und die, die sie umzingelten, auseinander stoben ließ. Sie gingen ihr gerademal bis zur Hüfte und versuchten mit ihren kleinen Holzschwertern sein Fell durcheinander zu bringen. Ein Schwert nach dem anderen brach er ab, bis sie von ihm abließen und zurück rannten. Doch nun stellte sich ihm niemand Geringerer als der Nussknacker entgegen. Sie bauten sich voreinander auf und schätzten wie damals in meiner Küche die Bewegungen des anderen ab. Schließlich langte die Maus nach vorn. Der Prinz konnte nur durch einen gezielten Sprung ausweichen, rappelte sich aber schnell wieder auf. Nun war sein Angriff an der Reihe. Er stieß mit seinem Schwert nach vorn und der Mäusekönig schnappte mit seinen beiden Köpfen nach ihm. Sie verfehlten sich, aber der Nussknacker nutzte die plötzliche Nähe. Pfeilschnell ließ er sein Schwert nach unten sausen. Es tat einen Schrei, wie ich ihn nur zu gut kannte. „Nein!“, schrie ich ebenfalls und setzte nach vorne. Ich hatte es geahnt: Er war viel zu schwach für einen solchen Kampf. „Clara!“, rief die Zuckerfee und hielt mich am Arm fest. „Es hat nur den Mäusekönig erwischt. Bleib hier!“ „Du verstehst nichts!“, zischte ich und riss meinen Arm los. „Und mein Name ist Bella.“ Ich begann zu laufen und mich zwischen den Kämpfenden durchzuschlängeln. Überall fielen Mäuse über kleine Menschen her oder anders herum. Ich musste einem Soldaten ausweichen, woraufhin sofort eine Maus vor mich sprang, um ihn in Schach zu halten. Es war dieser Moment, in dem ich verstand, zu welcher Seite ich wirklich gehörte. Als ich wieder aufblickte, konnte ich nichts anderes sehen als sich attackierende Wesen, Blut und aufgewirbelten Puderzucker. Sogar ihre Schreie schienen mein Blickfeld einzuengen. Es war nicht der Mäusekönig, den ich zuerst fand, sondern der Nussknacker. Er wurde von ein paar seiner Kameraden bejubelt. Zu ihren Füßen lag der Mäusekönig in einer Lache aus Blut und mit weißem Staub übersät. So schnell mich meine Füße tragen konnten, rannte ich an ihnen vorbei. Dem König fehlte ein Kopf, er war geschrumpft und sah genauso aus, wie er es innerhalb des Schlosses immer getan hatte. „Mäusekönig, stirb nicht!“, rief ich über den Lärm der tobenden Masse und rüttelte ihn an der Schulter. Sie durften ihn jetzt nicht angreifen, er war ihnen schutzlos ausgeliefert! Plötzlich packte mich jemand von hinten, um mich von ihm wegzuzerren. „Mäusekönig, gibst du auf?“ Der Prinz baute sich vor dem sich Hochkämpfenden auf und stützte die Hände in die Hüfte. Der Gansbauch meines Königs war ganz rot verfärbt und ich konnte gerade noch die zweite kleine Krone erkennen, die schwarz von seiner Brust in den Puderzucker fiel. „Endlich kannst du triumphieren?“ Seine Frage ging unter den vielen Stimmen beinahe unter. „Du hättest mich nicht herausfordern sollen. Wir haben doch alle glücklich miteinander gelebt, Mäusekönig. Warum wolltest du unbedingt noch mehr haben?“ Er hob sein Schwert zum finalen Schlag. „Tu es nicht!“, schrie ich. Ich wollte zu ihm zurück, wurde aber von dem Soldaten festgehalten. „Nussknacker, töte ihn nicht!“ Der Prinz hielt mit seiner Waffe über dem Kopf inne und sah mich erstaunt an. Der Mäusekönig rang immer noch um Kraft, während meine wässrigen Augen fest auf ihn geheftet waren. „Bitte, töte ihn nicht! Ich flehe dich an, Nussknacker!“ „Warum solltest du um etwas bitten, Clara? Er hat dich entführt und gefangen gehalten.“ „Nein, hat er nicht. Er hat mir kein Haar gekrümmt. Bitte, Nussknacker, ist es im Land der Süßigkeiten schon so weit gekommen, dass man seinen Feind umbringt?“ „Warum verteidigst du ihn, Mädchen?“, mischte sich der Soldat ein, der mich festhielt. „Sei still, Jerome“, schnitt ihm der Prinz das Wort ab. „Aber Recht hat er. Es war der Mäusekönig, der an diesem Tag Schuld ist.“ Am liebsten wäre ich ihm für seine Arroganz ins Gesicht gesprungen, stattdessen kämpfte ich mich von meinem Angreifer los und lief zu meinem König. Ich legte mich über seinen erschöpften Oberkörper, umfing seinen Hals mit meinen Armen und lag damit genau in der Schlagrichtung des Schwerts des Nussknackers. „Vergelte doch Gleiches nicht mit Gleichem. Ich bitte dich, sei ein guter König und lass deinen Feind ziehen. Beende diesen Kampf.“ Heiße Tränen liefen über meine Wangen, als ich die schweren Atemzüge des Mäusekönigs unter meinen Handflächen spürte. Der Nussknacker vor uns zögerte einen Moment, bevor er seine Waffe wirklich langsam sinken ließ. „Das Mädchen hat Recht“, sagte er. „Legte eure Waffen nieder!“ Eine seltsame Stille trat ein, denn sein Befehl legte sogar die Mäuse lahm. „Bewohner des Mäusereiches!“, rief er. „Ich schenke eurem König das Leben. Nehmt ihn und schafft ihn in eure Gewölbe, auf dass er sich wieder erholen und besinnen kann.“ Eine graue Maus kam sofort herbeigeeilt, die ich sogar ohne Verwandlung als Cormac erkannte. Es kamen noch drei weitere und irgendwie schafften wir es, ihn auf ihre Rücken zu hieven. „Clara, komm mit uns. Komm dahin, wo du hingehörst: Nach Zuckerburg.“ Ich biss mir auf die Lippe, stand aber schließlich auf und entgegnete: „Ich würde den Mäusekönig lieber noch zurück in sein Schloss begleiten.“ Der Nussknacker sah mich verwundert an. „Du bist wirklich ein seltsames Mädchen“, sagte er anerkennend. „Möchtest du, dass dich eine meiner Wachen begleitet?“ „Nein, danke. Ich weiß, dass mir die Mäuse nie etwas tun würden.“ „Du hast gerade sehr weise gehandelt, deswegen vertraue ich darauf, dass du weißt, was du tust. Ich lasse dich ziehen. Aber wenn du in der Abenddämmerung nicht zurück bist, werde ich einen Boten nach dir ausschicken.“ „Ist gut, mein Herr“, antwortete ich, wobei meine Stimme mir schon wieder zu versagen drohte. Nur noch nach Hause würde ich ihn bringen, dann würden sich unsere Wege trennen. Aber immerhin das wollte ich noch zu Ende bringen. Kerstal stupste mich mit der Schnauze an der Hand an und ich streichelte ihm über seinen haarigen Kopf. Ein letztes Mal ließ ich meinen Blick über die Wiese schweifen. Der weiße Puder war an vielen Stellen rotgefärbt und flog immer noch wie Schnee durch die Luft. Doch es hatte keine Opfer gegeben. Der langgefürchtete Kampf war überstanden. Ich stieg auf Kerstals Rücken und ritt mit ihm meinem Mäusekönig hinterher. ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=kG0jMkoKLJo ~*~ Zusammen mit hunderten von Mäusen rannten wir über das weite Feld zurück. Keiner betrachtete mehr die Umgebung; das Land der Süßigkeiten hatte für uns jeglichen Glanz verloren. Alle Augen waren auf die Heimat gerichtet. Das Kellerreich war in Wirklichkeit ein hoher Berg, dessen Großteil seiner Auswucherungen sich trotzdem Richtung Erde erstreckte. Es gab nur einen einzigen Eingang, den bis jetzt nur der Mäusekönig gekannt hatte. Ich war mir beinahe sicher, dass er nach diesem Tag wieder verschüttet werden würde. Kaum das Schloss erreicht, war es schwierig, so schnell es ging durch den Menschenstrom in die oberen Gemächer zu gelangen. Aber Kerstal kannte ein paar sehr nützliche Abkürzungen, die uns viel Zeit ersparten. Inzwischen brauchten meine Augen nicht mehr lang, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Schon als wir den Speisesaal in unserem Laufschritt passierten, konnten wir die Stimmen aus seinem Schlafzimmer hören. „Bitte, lasst mich allein!“, stöhnte mein König unmissverständlich. Kerstal warf mir einen Blick zu, der mir sagen sollte, dass wir dieser Bitte eventuell ebenfalls Folge leisten sollten, aber ich dachte nicht mal daran. Ohne zu zögern, stürmte ich in den Raum. „Da siehst du, was deine Sturheit angerichtet hat! Du hättest tot sein können! Wir alle hätten tot sein können!“, fluchte ich. Er saß auf seinem Sofa und stützte den Kopf in die Hände. „Warum bist du hier?“, fragte er verzweifelt. „Wo sollte ich sonst sein?“ „Ich will nach unten, sofort!“, befahl er. „Cormac, Bella, ihr begleitet mich!“ Ich sah auf und begegnete Cormacs Blick. Ich konnte den puren Schock in den Augen des alten Mannes sehen, aber er wagte nicht zu widersprechen. Er und eine fremde Wache mussten die große Maus stützen, damit sie aufstehen konnte. Einen Arm um Cormacs Schulter gelegt, verließen sie zu zweit den Raum. Deutlich netter forderte er uns dabei weiter auf. „Bella, folge uns einfach, bitte. Und ihr anderen… ich danke euch, für eure Hilfe. Ihr wart mir heute eine große Stütze. Geht zu euren Familien und ruht euch aus.“ Sie sahen sich fragend an, verließen aber zögerlich das Gemach durch die zweite Tür. Ich sah mich ein letztes Mal um, denn ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich mir am besten alles noch mal genau einprägen sollte. Zusammen stiegen wir die Treppen hinunter, immer darauf bedacht, niemandem zu begegnen, der den geschwächten König sehen könnte. Die meisten waren jedoch schon zu ihren Familien heimgekehrt. Als wir den Gang zu meinem Zimmer passierten, warf ich einen sehnsüchtigen Blick in den leeren Gang, den ich inzwischen so oft bewandert hatte. Der Mäusekönig unterhielt sich leise mit Cormac, bis er plötzlich stehen blieb. Er riss sich einen Streifen Stoff von seinem Beinkleid und reichte es mir. „Verbinde dir die Augen.“ „Was? Nein. Was, wenn ich falle?“ „Keine Sorge.“ Er lächelte. „Ich fang dich auf.“ Widerwillig folgte ich seinem Befehl, aber ich spürte, dass es dieses Mal um etwas Wichtiges ging. Ich musste mich an seinem Arm festhalten, damit ich nicht kontinuierlich gegen die engen Wände lief. Es dauerte nicht mehr lang und wir hielten erneut. Ich hörte, wie eine Tür aufgeschoben wurde. „Willst du mir eine neue Bibliothek zeigen? Hätte das nicht auch bis morgen warten können?“ Doch der Mäusekönig antwortete mir nicht, stattdessen zog mich mein dünner Aufpasser in seine Arme. „Auf Wiedersehen, werte Miss Clara“, flüsterte er. „Cormac…“, setzte ich an, doch da ließ er schon wieder von mir ab. „Ich werde Ihnen auf ewig treu sein, Euer Majestät“, sagte er an den Mäusekönig gewandt. „Das warst du immer und ich danke dir dafür. Halte dich an das, was wir besprochen haben und gehab dich wohl.“ Bevor ich fragen konnte, wovon die beiden sprachen, zog mich der König mit sich und plötzlich hallten unsere Schritte nicht mehr nach. Obwohl ich nichts sah, wusste ich genau, wo wir waren. Ich klammerte mich an seine Klaue und spürte dabei, dass er sich veränderte. „Mäusekönig?“ Meine Stimme klang panisch. „Was passiert mit dir? Wo führst du mich hin? Du wirst doch nicht…“ Meine Stimme versagte. „Vertrau mir“, erwiderte er nur. Ich folgte ihm, doch mit jedem Schritt wurde ich mir sicherer. Ich krallte mich an seiner Hand fest und versuchte mir dabei einzureden, dass ich nicht fühlte, dass das wirkliche eine Hand war, die meine umschlossen hielt. So lange hatte ich darauf gewartet, diesen Weg wieder anzutreten, doch nun wollte ich am liebsten umdrehen und so schnell ich konnte zurücklaufen. Doch plötzlich war das Tuch von meinen Augen verschwunden und es war wieder hell. Wir standen in meiner Küche vor dem riesigen Küchentisch, der sich über uns erhob. Ich blickte sofort zu der großen Maus neben mir – nur, dass er keine mehr war. Neben mir stand ein Junge. Sein Haar stand wirr von seinem Kopf ab, so wie es sein Fell bis vor wenigen Minuten noch getan hatte, aber sein Gesicht war hell und haarlos und so schön geschnitten, dass mir der Atem stockte. „Was hast du getan?“, flüsterte ich. „Das einzig Richtige“, erwiderte er. Er drehte sich zu mir und griff nach meinen Händen. „Auch wenn ich dafür büßen sollte, dich jemals aus deiner Welt gerissen zu haben, ist das das Beste gewesen, was mir je passiert ist, Bella. Du hast verhindert, dass ich zu einem Monster geworden bin. Also schenke ich dir das Einzige, was ich für dich tun kann und was ich dir ohnehin seit jeher schuldig bin.“ Ich sah in seine Augen und wusste ohne Zweifel, dass ich meinen Mäusekönig vor mir hatte. Mein Blick fiel auf seine Brust, an der seine letzte kleine Krone glänzte. Sie begann, sich zu trüben. „Was hast du getan?“, wiederholte ich, dieses Mal verzweifelter und haute mit den Händen gegen seine Brust. „Es ist dein letzter Kopf.“ Er lächelte und es war ein schiefes Lächeln. „Siehst so aus, als wäre ich nach allem doch irgendwo in mir ein Mensch.“ „Ich wäre auch bei dir geblieben, wenn du keiner gewesen wärst!“ Seine Augen wurden leidend und er flüsterte: „Aber was nützt mir das Mädchen, das ich liebe, wenn sie in meinem Reich nicht glücklich ist?“ Ein Schluchzen kämpfte sich aus meiner Brust hervor. „Ich wäre glücklich geworden! Irgendwie wäre ich glücklich geworden! Warum hast du das getan? Warum?“ Er streichelte mein Haar und versuchte, mich zu beruhigen, aber ich konnte nicht damit aufhören, ihn anzuschreien. „Ich werde dir nicht verzeihen, du kannst nicht gehen! Nicht nach all dem, was ich für dich getan habe! Was ist mit deinem Volk, was ist mit dem Nussknacker?“ Er umfasste mit beiden Händen mein Gesicht und zwang mich, ihn anzusehen. „Cormac wird sich um alles kümmern. Mein Volk weiß, wie es überlebt. Und wir werden uns wiedersehen. Und dann möchte ich mit dir tanzen. Bitte mach es mir nicht so schwer.“ Ich weinte und sank gegen seine Brust. Was für ein dummer, dummer König. „Auch wenn ich es nicht glaube, dass ich das sage, aber ich danke dir. Danke, dass ich mir von einem Mädchen das Leben retten lassen musste.“ „Was hat es gebracht, wenn du es jetzt doch opferst?“ So zärtlich, wie ich es von ihm nie erwartet hätte, lehnte er sich zu mir und legte seine Lippen auf meine. Sie waren weich und er roch fremd und gleichzeitig vertraut. Er strich mir die Tränen von den Wangen und zog mich an sich. Mit den Fingern fuhr ich über sein Gesicht, seinen Hals und seine Arme, um so viel von ihm in mir aufzunehmen, wie ich konnte. Ich spürte, wie meine Glieder anfingen zu wachsen, doch ich wollte diesen Augenblick noch nicht hergeben. Ich vergrub meine Hände in seinen Haaren, wollte ihn festhalten, damit er nicht verschwand. Unsere Lippen trennten sich voneinander, aber wir pressten sie sofort wieder aufeinander, um uns ja nicht voneinander zu lösen. „Danke, dass du Bella gewesen bist“, hauchte er. „Clara wäre sicher furchtbar gewesen.“ Mit einer Hand griff er um meine Taille. Die Tränen rannen mir pausenlos über das Gesicht, während ich spürte, wie er sich langsam auflöste. „Geh nicht“, flüsterte ich gegen seine Lippen. „Verlass mich nicht.“ Er drückte seine Mund ein letztes Mal auf meinen, bevor ich ins Leere griff. Wo meine Finger eben noch seine samtene Haut berührt hatten, spürten sie nur noch einen kalten Hauch. Ich öffnete die Augen und konnte es nicht fassen. Er war weg; aufgelöst in einem glitzernden Nebel. Ich saß allein auf dem Boden in meiner Küche, groß genug, um sie mit wenigen Schritten zu durchgehen. Weinend fiel ich auf die Knie und verbarg mein Gesicht in meinen Händen. Er hatte seine sieben Leben gelebt und alles, was mir von ihm blieb, war ein winziger, schwarzer Kronenorden. Akt Fünf - Finale [Coda] ~*~ http://www.youtube.com/watch?v=DI8_738QtqI ~*~ Ich schreckte so hastig in die Senkrechte, dass meine Haare mir um den Kopf wirbelten. Meine Brust bebte, weil ich so schnell atmete und ganz automatisch griff ich mir mit der Hand an die Stelle über meinem Herzen, das in einem rasanten Staccato zwischen meinen Rippen davon zu gallopieren drohte. Ich war schweißnass, aber ich lebte. Und ich lag in meinem Bett. Also war alles nur ein Traum gewesen. Ein Traum? Konnte das stimmen? Es war viel zu real gewesen, viel zu ergreifend, viel zu... mein armer Mäusekönig! Hastig strampelte ich mich aus meiner Decke, sprang aus meinem Bett und raste über den Flur in meine kleine Küche. Doch da war nichts, nicht die kleinste Spur, die auf einen Kampf oder ähnliches hindeuten könnte. Alles sah genauso aus, wie ich es gestern Abend – oder eher vor gefühlten Wochen – zurückgelassen hatte. Genau genommen strahlte sogar die Sonne friedlich durch das Fenster und verlieh dem Morgen eine noch harmonischere Atmosphäre. Atemlos ließ ich mich auf den Stuhl an meinem Küchentisch sinken. Ein Traum? Das klang absolut absurd. Ich befühlte mein Gesicht und spürte immer noch seinen Kuss, seine Berührung und meine Tränen. Da war der Nussknacker gewesen und die Zuckerfee und das Land der Süßigkeiten. Das Kellerreich, Cormac, Mathilda, Kerstal, Lanzell, Melor, Beltran und all die anderen… das konnte ich mir doch nicht alles ausgedacht haben. Und dann war da noch mein Mäusekönig. Ich hatte sein Bild genau vor Augen, sowohl mit allen sieben Köpfen, als auch nur mit einem. Und zum Schluss, ganz zum Schluss, als er plötzlich gar keine Maus mehr gewesen war. Hatte ich mir das alles eingebildet? Es war so intensiv gewesen, ich hatte zum Schluss so sehr gelitten, dass sich sogar jetzt noch meine Brust zusammen zog. Ich merkte, wie meine Wangen heiß wurden, als ich mir eingestehen musste, dass ich in meinem Traum offensichtlich etwas mit dem Bösen angefangen hatte. Machte das jetzt irgendeine Aussage über mein Unterbewusstsein? Hatte ich eine solch lebhafte Fantasie? Ich griff mir an den Kopf, denn plötzlich schien sich alles zu drehen. Das war zu viel und irgendwie bekam ich keine Ordnung in das Chaos. Ich musste auf den Kalender blicken, um festzustellen, dass nur eine Nacht vergangen war, seit ich das letzte Mal in meiner Küche gesessen hatte. Es Samstagmorgen und meine Uhr verriet mir, dass mir aber gar nicht weiter viel Zeit bis zum Wochenendtraining blieb. Ich würde duschen, ich würde zum Hafen fahren und dann würde ich erfahren, wer den Mäusekönig spielte. Und es würde überhaupt nichts mit meinem Traum zu tun haben. Als ich an meiner Haltestelle für die Metro ankam, stand Jessica schon wartend neben einem Fahrplan. „Da bist du ja, ich dachte schon, du kommst heute nicht.“ Ich überlegte kurz, ob ich ihr von meiner seltsamen Nacht erzählen sollte, ließ es dann aber lieber bleiben. Sie nahm mir auch jegliche Arbeit ab, denn nur wenige Sekunden später drehte sie sich breit lächelnd zu mir. „Weißt du, Mike hat mich gestern noch mal angerufen. Eigentlich nur, um mir zu sagen, was jetzt wegen der ganzen Mäusekönigsache rausgekommen ist, aber im Endeffekt haben wir... naja, du weißt schon.“ Ihr Lächeln wurde breiter und ich musste eigentlich nicht mehr nachfragen. Alle Vermutungen waren hiermit bestätigt, mein Traum hatte meinen gestrigen Eindruck völlig richtig interpretiert. Aber ich konnte mich nicht dazu bringen, mich wirklich darum zu kümmern. Selbst nicht, als Jessica mir die gesamte Fahrt ihr komplettes Telefonat nachspielte, in welchem sie ein erstes Date ausgemacht und sich danach offensichtlich mehrere Stunden lang angeregt unterhalten hatten. Egal ob ich die Augen offen hatte oder schloss: Immer sah ich das Gesicht des Mäusekönigs vor mir. Mal war ein Mensch, mal eine Maus und mal hörte ich nur die Sachen in meinem Kopf nachhallen, die er zu mir gesagt hatte. Diese ganze Geschichte um ihn mit seiner Mutter und seiner Rache… wie kam ich auf einmal auf solche Gedanken? Selbst als wir an der Lagerhalle ankamen und die beiden sich dämlich anlächelten, während wir zu dritt auf die anderen warteten, konnte ich an nichts anderes denken. Als ich Mike und Jessica zusammen sah, war es im ersten Moment noch seltsam und im nächsten auch schon wieder egal. Es brachte Erinnerungen hoch, die ich eigentlich überhaupt nicht gemacht haben konnte und in denen sie nicht mal direkt eine Rolle gespielt hatten, aber dadurch schockierte mich dieses Bild überhaupt nicht mehr. Es war maximal ungewohnt. Mein Traum hatte mir eine seltsame Ansicht über die beiden vermittelt, die ich noch nicht so recht einordnen konnte. Alles in allem fühlte ich mich, als ob ich seit Tagen nicht geschlafen hätte und das dringend nachholen müsste. Nach Jessicas und Mike Gespräch zu schlussfolgern, war Mike der Nussknacker geblieben. Anders hätte ich es mir auch nicht vorstellen können. Es würde während des Stückes zwar etwas seltsam werden, mit ihm zu tanzen, aber nichts, was ich nicht überstehen konnte. Ich traute mich aber nicht, ihn zu fragen, was sich wegen der Rolle ergeben hatte, die mich im Moment am meisten beschäftigte. Nach und nach trudelten auch die anderen ein, bis alle vierzehn Mann und Esme in der Halle standen. Auf Geheiß unserer Leiterin hin, sammelten wir uns alle in der Mitte unseres Übungsfeldes, wo sie uns das Ergebnis ihrer Entscheidung über die Neubesetzung mitteilen wollte. „Also, Kinder“, begann sie und ich konnte schon aus der Entfernung erkennen, dass sie eine gute Nachricht für uns hatte. Mein Bauch schlug Purzelbäume, auch wenn ich dazu überhaupt keinen Grund hatte. Es stand ja nicht mal jemand Unbekanntes in der Halle. Und überhaupt, wer auch immer den Mäusekönig spielen sollte, es würde überhaupt keine Bedeutung für mich haben. Es war schließlich nicht so, als müsste ich wirklich mit ihm gegen den Nussknacker oder Mike antreten. Es war auch nicht so, als ob hinter der Figur des Mäusekönigs wirklich so viel Geschichte und Charakter stecken würde. Und es war definitiv nicht so, dass ich mich in eine Maus verliebt hatte. Es war nur ein Traum gewesen. Doch trotzdem war da in mir so ein Ziehen. Als ob etwas fehlen würde. Wie zum Beispiel die Nähe zu vielen lieben Menschen, die ich kennen gelernt hatte. Ich fuhr mir erneut durch die Haare und massierte mir die Schläfen. Es war schon unwirklich genug, dass ich mich immer noch so detailgenau an diesen Traum erinnern konnte – die Menschen, die Tunnel, der Kampf –, ich musste mir nicht auch noch einreden, dass das Ganze real war. Wie sollte es auch? Das war absolut nicht möglich, außer ich hätte es in irgendeinem Paralleluniversum erlebt. Ich schüttelte leicht den Kopf und konzentrierte mich wieder auf die Menschen, die wirklich um mich herum standen. Esmes Augen strahlten geradezu vor Zuversicht und Enthusiasmus, als sie fortfuhr. „Tyler, Mike, Jasper, Carlisle und ich haben gestern noch eine ganze Weile überlegt, wie wir mit dieser Situation am besten umgehen sollen. Wir haben verschiedene Varianten durchgespielt, bis wir zu dem Schluss gekommen sind: Es geht nicht.“ „Was?“, entfloh es mir heiser. Den anderen ging es ähnlich, alle – bis auf die Junge, die stumm vor sich hin feixten – sahen sich bestürzt an. „Wir können nicht einen Jungen alle Nebenrollen spielen lassen, das ist unmöglich. Doch zum Glück war Carlisle da, denn er hatte eine großartige Idee.“ Alles woran ich denken konnte, war, wie mir mein Patenonkel auf meiner Küchenuhr erschienen war. „Sein Neffe ist gerade neu in die Stadt gekommen und zufällig ebenfalls ein begnadeter Balletttänzer. Wir haben ihn gleich gestern angerufen und er hatte Zeit, also haben wir ein kurzes Vorstellungstreffen mit Vortanzen gemacht und was soll ich sagen? Er passt perfekt für diese Rolle. Wir wissen noch nicht, ob er dauerhaft bleiben kann oder will, aber für dieses Stück hat er sich bereit erklärt, die Rolle des Mäusekönigs zu übernehmen. Darf ich euch vorstellen? Edward Masen.“ Wahrscheinlich hatten sie sich abgesprochen, denn wie auf Kommando öffnete sich die Eingangstür und ein Junge trat ein. Keiner sagte etwas, sondern alle starrten ihn lediglich an. Für einen winzigen Moment zweifelte ich an meinem Verstand. Edward Masen war ungefähr einen Kopf größer als ich und hatte Haare, die ihm wild vom Kopf abstanden. Sein Gesicht war sehr gerade geschnitten und vor allem seine hohen Wangenknochen verliehen ihm seine Attraktivität. Er kam grinsend zu uns rüber spaziert, die Hände in den Hosentaschen seiner Jeans. „Guten Morgen. Ich bin Edward.“ „Der Mäusekönig“, flüsterte ich mit großen Augen – leider so laut, dass er es hörte. Der Junge lachte und nun war ich mir zweifelsfrei sicher, dass er mein Mäusekönig war. Er hatte die gleiche Statur, die gleiche Frisur, die gleiche Kinnlinie und um seine Augen bildeten sich genau die gleichen Lachfalten. „Ja, das bin wohl ich“, nickte er und sah mich an. Ich wusste nicht, ob ich es mir einbildete, aber ich könnte schwören, dass ein auffordernder Unterton in seiner Stimme lag. Als ob er darauf wartete, dass mir etwas auffiel. So ein dummer König. Ich spürte, wie Angela und Alice mich verblüfft von der Seite ansahen, aber ich tat, als würde ich es nicht bemerken. Es als Höflichkeit tarnend, trat ich einen Schritt auf ihn zu und reichte ihm meine Hand. „Ich bin Bella Swan. Oder Clara.“ Er nahm meine Hand in seine und neigte den Kopf etwas, wie um eine Verbeugung anzudeuten. Da war ein Kribbeln, als würde glitzernder Nebel auf meine Haut rieseln. „Sehr erfreut, Bella Swan. Ich freue mich schon darauf, mit dir zu tanzen.“ „Es ist wirklich schön, dass du hier bist“, sagte ich. „Vielen Dank für alles.“ Er erwiderte meinen Blick, als wüsste er genau, was ich meinte. Kapitel 12: Weihnachtliche Wettkämpfe ------------------------------------- In the Eleventh of December’s story some guys are lookin‘ for some glory. Heute will ich gar nicht groß um den heißen Brei rumreden. Der letzte Teil ist mittlerweile im vorigen Märchen ergänzt worden. Wer dort also gewartet hatte, kann jetzt den 10.12. im Ganzen lesen. Für die, die sich schon den ersten Teil der zweiten Hälfte zu Gemüte geführt haben, ihr habt dann ‚nur‘ noch ca. 7ooo Wörter aufzuholen. Ansonsten gibt es hier und heute wieder eine neue Geschichte, die euch den Samstag ein bisschen verschöhnt :] *************************************************************************** Weihnachtliche Wettkämpfe by Twisdale Jedes Jahr fahren die Schüler der Forks High für eine Woche nach Alaska. Früher haben sie dort Wettbewerbe veranstaltet, um Spaß zu haben, doch in den letzten Jahren ist es eine Art von Kampf geworden, denn die Jungs duellierten immer gegeneinander, um am Ende ein Date zu bekommen. Ein Date mit den drei beliebtesten Mädchen der Schule ... „Was soll denn das sein?“, lachte Jacob, als er die Schneeskulptur von Mike sah. „Das.ist.ein.Bär“, presste Mike unter zusammen gebissenen Zähnen hervor. Jacob fing schallend an zu lachen: „Das ist ein Bär, oh Gott, hast du schon mal so einen gesehen?“ Tatsächlich sah die Bärenskulptur von Mike ein wenig merkwürdig aus. Das eine Ohr erinnerte mehr an die einer Maus, denn dieses war viel zu groß für ein Bärenohr, und auch das Gesicht sah nicht so aus, wie es seien sollte. Mike hatte als Nase einen dicken Stein genommen und noch dazu Schnurrhaare hinzugefügt. Er fand es nicht gerade witzig, dass Jacob lachte, und sah skeptisch zu dessen Skulptur herüber. „Und was genau soll deines darstellen? Einen Hasen mit viel zu kleinen Ohren?“ Jacob hörte auf zu lachen und sah wütend zu Mike herüber: „Ich wusste ja schon immer, das du keine Ahnung hast von Kunst, aber das du so etwas einfaches mit einem Hasen verwechselst, hätte selbst ich nicht gedacht.“ „Und was soll das nun sein?“ „Eine Katze, du Idiot! Die Mädels stehen doch auf diese Pelzknäuel“, rief Jacob. Einer der Jungen aus ihrem alter ging an ihnen vorbei und grinste: „Du hast was wesentliches vergessen, Katzen haben kleinere spitze Ohren und einen langen Schwanz hinten und keinen Bommel. Ach, und dein Schneehaufen sieht aus wie eine überfressene Maus“, fügte er hinzu, als er den „Bären“ von Mike sah. „Ach, halt doch die Klappe, Cullen“, zischte Jacob. „Genau, mach es doch besser“, pflichtete Mike bei. „Hab ich doch schon.“ Plötzlich hörte man die Mädchen aufseufzten, beide Jungs drehten sich zur Geräuschquelle um, dort standen alle Mädchen und betrachteten ein kleines aus Schnee geformtes Rentier. „Pah, das ist doch gar nichts. Und außerdem sind die Wettkämpfe noch nicht zu Ende, sie haben heute erst begonnen“, rief Jacob aus. „Ha, ich mach doch gar nicht mit, du Blitzmerker“, entgegnete er Junge, Edward Cullen. Auf einmal hörte man ein Pfeifen und alle Jungs waren still, alle hofften den ersten Wettkampf gewonnen zu haben. Und da kamen sie, die drei schönsten und begehrtesten Mädchen der ganzen Schule. Sie bewegten sich elegant auf die Schülermenge zu. Ihre Blicke wirkten arrogant und nur ihre engsten Freunde wussten, dass sie genau das Gegenteil waren, na ja, fast immer. Sie liefen an allen Schneeskulpturen vorbei und betrachteten sie, stumm und ohne ein Wort zu sagen. Fünf Minuten brauchten sie, dann gingen sie genauso, wie sie gekommen waren weg. Die drei waren die Jury, sie entschieden, wer am Ende gewann. Als die drei in dem Hotel wieder verschwunden waren, in welchem die Klasse für diese Woche untergebracht war, fing das Gerede auch schon an. Alle spekulierten, wer denn nun wohl für den heutigen Tag gesiegt hatte, die meisten vermuteten, dass es Edward Cullen, Emmett McCarthy oder Jasper Withlock waren, den sie gehörten schon seit Jahren zu Isabella, Rosalie und Alice. Und auch, wenn die drei Mädchen vergeben waren, wollte jeder das Date gewinnen, denn das wäre die einmalige Chance. Und auch große Hoffnungen entstanden bei den Jungs, denn sie wussten, wie die sechs zusammen gefunden hatten, bei genau so einem Wettkampf wurden sie unzertrennlich. Am nächsten Morgen lag vor der Tür von jedem Jungen ein Umschlag, in diesem Umschlag war der nächste Wettbewerb erklärt, welchen sie machen mussten. Heute mussten sie Plätzchen backen. Die meisten Jungs stellten sich ziemlich blöd an in der Küche, genauso wie Mike und Jacob, die beiden wollten unbedingt dieses Jahr gewinnen und Rosalie und Isabella für sich gewinnen. Mike war schon von Anfang an voll mit Teig beschmutzt und auch Jacob sah nicht besser aus. Überall um sie herum war es total schmutzig und man konnte gar nicht mehr unterscheiden, ob sie eine Lebensmittelschlacht geführt hatten oder doch eher gebacken. Die beiden schoben ihre zwei Bleche mit Autoplätzchen in den Backofen und gingen dann für eine halbe Stunde nach draußen, um im Schnee rumzualbern. Dies war ein Fehler, denn als die beiden wieder kamen, waren ihre Kekse schon etwas angebrannt. „Das ist doch alles deine verdammte Schuld“, rief Jacob aufgebracht, nachdem er sein Blech aus dem Ofen gezogen hatte. „Ach ja, meine? Wer wollte denn eine Schneeballschlacht machen?“, empörte sich Mike. Beide fingen an, ihr Plätzchen zu dekorieren, und dann kam Emmett. Er sah ihnen ein paar Minuten stumm zu, bis es Jacob dann reichte und er ihn anblaffte, was er wolle. „Hm, ich frage mich nur, was Autos mit Weihnachten gemeinsam haben“, skeptisch sah Emmett weiterhin die Plätzchen an. „Das ist doch unsere Sache, was hast du denn bitteschön so tolles gemacht, dass du so dumme Fragen stellst?“ „Ach, Ed, Jazz und ich haben Herzen für unsere drei Schönen gemacht“, grinste Emmett stolz. „Wow, sehr mannhaft“, giftete Jacob. „Genau“, meinte Mike. Emmett zuckte mit seinen Schultern und schlenderte weiter durch die große Küche, besah sich die anderen Plätzchen. Und dann kam wieder dieses Pfeifen wie am Vortag und Isabella, Rosalie und Alice betraten zu dritt die Küche. Sie riefen Emmett zu sich, der grinsend zu ihnen kam. „Heute wird uns Emmett aushelfen, er wird die Kekse probieren, und da er und Edward sowie auch Jasper aus den Wettbewerben ausgeschlossen sind und nur zum Spaß mitmachen, dachten wir uns, kann Emmett die Kekse probieren, denn wenn es ums Essen geht, ist Emmett von uns sechs der Experte. Wir drei werden uns deshalb nur ansehen, wie die Kekse aussehen, den Rest übernimmt Emmett. Und so ging es los, zu viert gingen sie rum und probierten die Kekse. Wieder so stumm wie gestern, nur Emmett konnte sich das eine oder andere Würgegeräusch nicht verkneifen. Am Ende verließen Isabella, Edward, Rosalie, Emmett, Alice und Jasper die Küche zusammen mit dem Korb von gebackenen Herzkeksen der drei Jungs. Die nächsten Tage verliefen mit verschiedenen Wettbewerben wie: „Wer sieht am besten aus beim Snowboarden“ oder so etwas wie „Wer hält es am längsten draußen aus, barfuß und mit nacktem Oberkörper stehen zu bleiben“. Und heute befand sich auch schon der letzte Umschlag vor der Tür der Jungs. Eigentlich wäre morgen der letzte Tag und sie müssten ihn am nächsten Morgen bekommen, aber die drei Mädels sagten sich, dass die Jungs für diese Aufgabe etwas überlegen müssten, und gaben ihnen die Aufgabe deswegen einen Tag vorher. „Sei der lustigste Weihnachtsmann auf dem Laufsteg“, stand da. Fast alle Jungs verbrachten den letzten Abend auf den Zimmern und grübelten nach, was sie machen sollten, sie dachten sich witzige Weihnachtsmann-Kostüme aus und lustige Sprüche. Nur einer verbrachte seinen Abend nicht so wie die anderen, er wollte den letzten Abend noch genießen und war in eine Disco abgehauen, und da er ziemlich groß war und locker als 21-Jähriger durchkam, hatte er keine Probleme reinzukommen und sich Alkohol zu bestellen, niemand schöpfte Verdacht, dass er erst 18 Jahre alt war. Und so kam es, dass er sofort nach der Disco am nächsten morgen einen Weihnachtsmann-Mantel, welchen die drei Mädels jeden der Jungs zur Verfügung gestellt hatten, überwarf und schwankend zum Treffpunkt lief. Als er dort ankam und dann auch schon drankam, lief er torkelnd und vor sich hin lallend den Laufsteg entlang. Plötzlich stolperte er und fiel auf den Boden, man hörte ihn nur noch schnarchen. Alle fingen schallend an zu lachen, wie bei keinem anderen und ein paar der Jungs halfen mit, ihn in sein Zimmer zu bringen. „So, wir haben nun die Ergebnisse dieser Woche fertig und wir wollen euch verkünden, dass unser Seth uns eben gerade mit seinem Auftritt überzeugt hat, er war auch schon die letzten Tage hinter Emmett, Jasper und Edward der beste von allen und deshalb sind wir uns einig, euch zu sagen, dass Seth gewonnen hat“, verkündete Alice Manche jubelten, manche buhten. Mike und Jacob schmollten. „Pah, wir hätten gewinnen sollen und nicht dieser betrunkene Weihnachtsmann. Was hat er denn so Besonderes gemacht, um zu gewinnen?“, fragten sich die beiden Jungs. Und ja, sie wussten nicht, wieso Seth gewonnen hatte, denn sie hatten sich die ganze Zeit nur auf Cullen, McCarthy und Withlock konzentriert. *************************************************************************************** Kapitel 13: Von Weihnachtsmännern und Piratenschätzen ----------------------------------------------------- December the Twelfth includes the Third Advent, so today you can fully unbend. I’m so sorry for being so late. My netbook sucks. Eigentlich wollte ich dieses Märchen schon viel früher posten, aber dann hat mir mein Computer einen Strich durch die Rechnung gezogen. Aber noch ist Advent, deshalb beeil‘ ich mich jetzt ganz schnell und geb‘ euch die neue Weihnachtsgeschichte :} ************************************************************************************* Von Weihnachtsmännern und Piratenschätzen by Tani157 „Hast du auch alles?“, fragte mich meine Tochter und hüpfte aufgeregt vor mir herum. Am liebsten hätte sie mich begleitet, aber sie musste für eine wichtige Klausur am Montag üben und hatte entschieden, dass sie lieber zuhause blieb. So langsam schien das Verantwortungsbewusstsein auch bei meiner Tochter zu wachsen. „Ja, ich habe an alles gedacht… will ich zumindest hoffen“, gab ich mit einem Lächeln zurück, zog sie noch einmal in meine Arme und drückte sie. Mir war durchaus bewusst, wie schwer es ihr fiel dieses Jahr auf die Kinder zu verzichten. „Fahr bloß vorsichtig und ruf an, wenn du angekommen bist, ja? Und grüß alle ganz lieb von mir!“, trug Alice mir auf. „Aber natürlich, mein Schatz!“, sagte ich, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und ging zu meinem Auto. Ich winkte ihr noch kurz zu, stieg dann ein und startete den Wagen. Kaum hatte ich unsere Einfahrt verlassen, legte ich die Weihnachts-CD ein und begann lauthals mitzusingen. Nach einer Stunde Fahrt war ich dann am St.-John-Kinderheim angekommen und konnte die Kisten und Taschen ins Haus tragen. Meine Ankunft blieb natürlich nicht unentdeckt und ich wurde schnell umringt von den großen und kleinen Kindern, die auf mich gewartet hatten. Einige kannte ich noch aus dem Vorjahr und sie freuten sich ganz besonders über mein Kommen, denn sie wussten ja bereits, was ich mit ihnen vorhatte. „Was hast du denn in all den Kisten und Tüten?“, wollte ein dunkelhaariges Mädchen wissen und versuchte einen Blick in eine der Kisten zu werfen. „Das wirst du noch früh genug erfahren“, antwortete ich ihr und stupste ihr dabei auf ihre kleine Nase. „Basteln wir wieder Strohsterne?“, fragte mich Nick mit erwartungsvollem Blick. „Haben wir denn nicht mehr genug aus dem letzten Jahr? Ich hatte mir überlegt, dass wir dieses Mal bunte Windlichter basteln, die wir dann auf die Fensterbänke und Tische stellen können. Was haltet ihr davon? Und danach werden die Plätzchen gebacken, ok?“, fragte ich in die Runde und bekam als Antwort ein einstimmiges „Au jaaaaa!“ „Na, dem Tumult nach zu urteilen, kann es doch nur Esme sein, die angekommen ist, oder?“ Langsam drehte ich mich um und schaute in das erfreute Gesicht von Ben Cheney. Er war der Leiter des Kinderheims und ein guter Freund meiner Familie. „Hey, Ben! Schön, dich zu sehen“, sagte ich lächelnd und ging auf ihn zu, um ihn zu umarmen. „Gut siehst du aus. Angela scheint dich ja gut zu bekochen“, musste ich mit einem Seitenblick auf seinen rundlichen Bauch loswerden. „In der Tat tut sie das, sie meint es einfach zu gut mit mir.“ Sein Blick war schon beinahe schuldbewusst. „Es schmeckt aber auch zu gut, ihren Hackbraten mit Knödeln und Rotkohl musst du unbedingt mal probieren. Wo steckt denn Alice?“ „Alice hatte zu tun, sie konnte nicht mit kommen, lässt aber alle ganz lieb grüßen. Auf das Angebot zum Essen werde ich mit Sicherheit mal zurückkommen, aber heute werden erst einmal Plätzchen gebacken und für angemessene Dekoration gesorgt, nicht wahr, Kinder?“, rief ich in die Hände klatschend und drehte mich zu den kleinen Bewohnern des Heimes um. „Jaaaaa!“, riefen sie wieder im Chor. „Ich sehe schon, du hast alles im Griff, wie immer. Wenn du mich brauchst, du weißt ja wo du mich findest“, sagte Ben zu mir und ging zurück in sein Büro. Gerade vor Weihnachten hatte er immer viel zu tun. Er musste sich um Besuchstermine kümmern, denn vor dem großen Fest der Liebe verspürten viele Menschen den Drang zu helfen. Wenn es sich so äußerte, dass sie einer kleinen, verwaisten Seele ein neues Zuhause geben wollten, war es natürlich umso schöner. Gemeinsam mit den Kindern und der großen Bastelkiste ging ich in den Gemeinschaftsraum um die Windlichter zu machen. Scheren, Klebestifte und Papiere waren schnell verteilt und nachdem ich den Kindern die Vorlagen erklärt hatte, fingen sie an und waren eifrig bei der Sache. Ziemlich schnell hatten wir so einige Windlichter in den unterschiedlichsten Farbzusammenstellungen fertig und die Jungen und Mädchen waren sehr stolz auf ihr Ergebnis und wollten die kleinen Lichter direkt im Haus verteilen. Dem neunjährigen Joshua gab ich einen Beutel mit Teelichtern mit und versprach ihm, dass er später beim Anzünden behilflich sein dürfte. Die kleine Emily half mir beim Aufräumen und nachdem wir alle Bastelutensilien wieder verstaut hatten, machten wir uns über die Auswahl der Plätzchenrezepte her. Neben Vanillekipferl und Spritzgebäck sollten es auch noch Ausstechplätzchen sein, denn das Verzieren eben dieser machte ja am meisten Spaß. Und da dieser Tag ja ganz im Zeichen der Kinder stand, war mir ihr Wunsch Befehl. „Also gut, da die Rezepte ausgesucht sind, heißt es jetzt Hände waschen, Haare zusammenbinden und Schürze um“, trug ich den backwilligen Kindern auf, die auch sofort davon liefen. Die meisten Jungen hielten nichts vom Teigkneten und wollten lieber spielen gehen. Rosalie, eine hochgeschätzte Betreuerin, kam dazu mit einem Jungen auf ihrem Arm. Er schien schüchtern zu sein, denn er hatte sein Gesicht in ihre Halsbeuge gedrückt, damit er mich nicht ansehen musste. „Rose, wen hast du denn dabei?“, wollte ich wissen und warf ihr dabei einen aufmunternden Blick zu. „Hallo Esme! Also das hier ist Edward, ihn hast du noch nicht kennen gelernt“, antwortete sie mir und rieb dem kleinen Mann beruhigend über den Rücken. „Da freu ich mich aber ihn kennenzulernen, wir brauchen nämlich noch helfende Hände beim Backen. Edward, möchtest du uns vielleicht behilflich sein?“ Vorsichtig strich ich ihm über die Wange und wollte ihn so ermutigen, mich wenigstens anzusehen. Es schien zu funktionieren, denn langsam drehte er sein kleines Gesicht in meine Richtung und strahlend grüne Augen blickten mir scheu entgegen. „Hi, Edward! Ich bin Esme, möchtest du uns vielleicht helfen?“, fragte ich mit leiser Stimme. Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen und dann nickte er. „Wunderbar! Dann geh dir doch bitte auch schnell die Hände waschen, ja?“ Wieder nickte er und schaute Rosalie an, die seine unausgesprochene Bitte verstand und ihn zum Waschraum trug. Sie hatte ein viel zu weiches Herz und ließ die einzelnen Schicksale der Kinder viel zu oft an sich heran. Was wohl den Eltern des kleinen Edwards zugestoßen war? Die Mädchen hatten sich unterdessen schon vorbereitet und machten sich schon neugierig über die Tüte mit den Backzutaten her. Diese kindliche Neugier erwärmte mein Herz und ich ging zu ihnen, um ihnen genau zu erklären, was wir für die verschiedenen Rezepte brauchten. Streusel, gehackte Mandeln und Glasur stellten wir erst einmal zur Seite, denn die brauchten wir ja erst ganz zum Schluss. „Wir brauchen aber auch Schüsseln, eine Küchenwaage, einen Mixer und eine Teigrolle“, erklärte ich. Die eifrige Jessica flitzte direkt los und kam mit vier Schüsseln in unterschiedlichen Größen und einer Küchenwaage zurück an den großen Esstisch. Lauren hatte die Teigrolle ergattert und ich holte den Mixer aus einem der oberen Schränke. „Und was ist mit den Ausstechförmchen?“ Emily wedelte triumphierend mit den Förmchen herum. „Oh je, die hätten wir ja beinahe vergessen. Wie gut, dass wir dich schlaues Köpfchen haben!“, sagte ich mit warmer Stimme und ein stolzes Lächeln breitete sich in ihrem süßen Gesicht aus. „Also gut, wenn wir alles haben, können wir ja anfangen“, stellte ich fest und band mir meine Schürze um, bevor auch ich mir die Hände in der Spüle wusch. Währenddessen kam auch Edward wieder zurück in die Küche. Rosalie verabschiedete sich von ihm und ging wieder in den hinteren Bereich des Hauses, um dort einen besseren Blick auf die spielenden Kinder zu haben. Es ging nämlich nicht immer harmonisch zu und dann musste eine erwachsene Person schon mal schlichten und vermitteln. Da den Kindern ja die Eltern fehlten, mussten Erzieherinnen wie Rosalie diese Aufgabe übernehmen. Ich ging langsam zu Edward, dem die bronzenen Haare in alle Richtungen abstanden und streckte ihm meine Hand entgegen. Nach einem überprüfenden Blick in mein Gesicht nahm er sie an und ich konnte ihn so zum Esstisch führen. Er setzte sich auf einen Stuhl und bestaunte die bunten Utensilien. Gemeinsam rührten wir die Teige an, rollten den einen dann aus, um Sterne, Monde und Tannenbäume auszustechen, während aus dem anderen für die Vanillekipferl kleine Halbmonde geformt werden mussten. Der Teig für das Spritzgebäck musste noch erst in den Kühlschrank, bevor wir ihn verarbeiten konnten. In dieser Zeit schoben wir zwei Bleche in den Backofen, räumten den Tisch ab und stellten die benutzten Schüsseln in die Spülmaschine. Jessica hatte sogar schon den Tisch abgewischt und Lauren den Fleischwolf aus dem Schrank geholt. Die beiden waren mit Leidenschaft am Werk und ihre rot gefärbten Wangen glühten förmlich. Bei dem Anblick musste ich lächeln und ich war mehr als froh, dass ich dieses Ritual Jahr für Jahr vollzog. Die Freude der Kinder und die Begeisterung in ihren Augen zu sehen, machte mich glücklich. Zwar konnte ich ihnen nicht die Mutter ersetzen, aber zumindest wollte ich ihnen die Vorweihnachtszeit ein wenig versüßen – im wahrsten Sinne des Wortes. Nachdem auch das Spritzgebäck abgebacken war, wurden – die Vanillekipferl ausgeschlossen – sämtliche Plätzchen verziert. Einige wurden regelrecht in Schokoladenglasur gebadet, während andere so kunstvoll mit Streuseln und Nüssen verziert wurden, dass es beinahe zu schade war sie zu essen. Glücklich beobachtete ich die Kinder dabei, wie sie konzentriert an ihren kleinen Meisterwerken arbeiteten und holte die Keksdosen, in denen die Plätzchen später auf ihren Verzehr warten mussten. Edward hatte die ganze Zeit keinen Ton gesagt, während die Mädchen ständig plapperten und über ihre Wünsche zu Weihnachten sprachen. Ich setzte mich neben ihn und bestrich ein paar Sterne und Monde mit Schokolade und schob sie ihm dann rüber, damit er sie bestreuen konnte. „Sag mal, Edward, hast du denn keinen Wunsch zu Weihnachten?“, fragte ich ihn leise. Er schüttelte traurig seinen Kopf. „Nein? Das ist aber ungewöhnlich für einen Jungen in deinem Alter. Gibt es nichts, was der Weihnachtsmann dir bringen könnte?“, drängte ich. „Den Weihnachtsmann gibt es gar nicht“, gab er leise, aber bestimmt, zurück. „Wie kommst du denn darauf?“, wollte ich wissen und ich konnte meine Bestürzung nicht verbergen. Gerade die kleineren Kinder glaubten doch an den Weihnachtsmann und die Erfüllung ihrer Wünsche. Wieso sollte ausgerechnet dieser vierjährige Junge nicht daran glauben? „Weil… naja… es kann ihn nicht geben“, sagte er vollkommen überzeugt. Langsam machte sich neben der Neugier auch Unruhe in mir breit. Mir wollte es nicht in den Kopf, dass ein Kind nicht an den Weihnachtsmann glaubte und in mir wuchs die Idee, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen. „Ach, und wieso kann es ihn nicht geben? Kannst du mir das erklären, Edward?“ Ich schaute ihn liebevoll an, damit er mir sein Herz öffnete und mir sein Geheimnis verriet. Er schaute mich einen Augenblick an, senkte dann aber wieder seinen Blick und schüttelte den Kopf. „Nein, ich weiß es einfach!“ Beinahe hätte ich nicht gewusst, was ich sagen sollte, so sehr schockierte mich diese Angelegenheit, aber ich wollte seine Meinung ändern und ich hatte auch schon einen Plan. „Wenn du jetzt aber mal davon ausgehen würdest, dass es ihn doch gibt, was würdest du dir von ihm wünschen?“, fragte ich ihn immer noch im leisen und verständnisvollen Ton. Er zog die Augenbrauen zusammen, als würde er angestrengt nachdenken und dann erhellte sich sein Gesicht, denn es schien ihm etwas eingefallen zu sein. Nun war ich wirklich gespannt und es stand für mich schon fest, dass er diesen Wunsch erfüllt bekäme, und zwar von mir. „Also da gibt es ein Geisterpiratenschiff mit einer Schatztruhe und die Gesichter und Hände der Piraten leuchten im Dunkeln und sie haben Säbel und Pistolen… Das wäre wirklich toll“, erzählte er mir und seine Augen strahlten, wie es bei einem Kind sein sollte, das von seinen Wünschen berichtet. „Wow, das hört sich ja wirklich unheimlich toll an. Wollen wir denn dann gleich mal einen Wunschzettel schreiben, damit der Weihnachtsmann auch von deinem Wunsch erfährt?“ Mit einem aufmunternden Lächeln nickte ich ihm zu. „Na gut, können wir machen“, sagte er schulterzuckend. „Schön, ich freu mich!“ Innerlich vollführte ich einen Freudentanz, denn so war es für mich noch leichter ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Es ging mir aber auch darum, ihm den Glauben an den Weihnachtsmann wiederzubringen, schließlich machte auch das ein Stück Kindheit aus. Nachdem alle Plätzchen verziert und in die Dosen gepackt worden waren, legten wir unsere Schürzen ab und verschlossen die Tür der Küche gewissenhaft, schließlich wollten wir nicht riskieren, dass einige Bewohner sich über die Schätze hermachten, dessen Duft sich überall verbreitet hatte. Jessica, Lauren und Emily verschwanden schnell in der Puppenecke des Spielzimmers und ich setzte mich mit Edward an einen Tisch in der Ecke, um seinen Wunschzettel zu schreiben. Er beschrieb noch einmal genau, wie das Schiff auszusehen hatte und was dabei sein sollte und nachdem ich alles aufgeschrieben hatte, bat ich ihn es doch auch noch aufzumalen. So war er einen Moment beschäftigt und ich konnte mich kurz mit Rosalie unterhalten. Eigentlich wollte ich nicht zu viel über die Hintergründe der Kinder wissen, weil mein Herz das nicht verkraftete, aber bei Edward wollte ich eine Ausnahme machen. Sie erzählte mir, dass seine Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen und sein Vater schon kurz nach seiner Geburt an Krebs gestorben war. Nahe Angehörige gab es nicht und so blieb keine andere Alternative für ihn, als das Waisenhaus. Seine Geschichte ging mir ganz schön unter die Haut und ich musste ein paar Mal kräftig schlucken, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. Nachdenklich brachte ich den Rest des Tages hinter mich, indem ich mit den Kindern die Kerzen in den Windlichtern anzündete und ihnen Geschichten aus dem großen, dicken Weihnachtsbuch vorlas. Rosalie und Ben saßen zwischen den Kindern und genossen die schöne Stimmung, die zwischen den Kindern und im Raum herrschte. Irgendwann machte Ben uns darauf aufmerksam, dass es an der Zeit sei, sich bettfertig zu machen und so hieß es für mich erst einmal Abschied zu nehmen, zumindest für diesen Tag. Alle Kinder drückten mich, bedankten sich bei mir und einige überreichten mir sogar selbstgemalte Bilder. Edward gab mir seinen Wunschzettel und bat mich, ihn doch bitte für ihn wegzuschicken. Diese Bitte konnte und wollte ich auf keinen Fall ablehnen, also steckte ich den gefalteten Zettel in meine Handtasche zu den anderen Kunstwerken und machte mich dann auf den Weg nach draußen. An der Tür drehte ich mich noch einmal um und versprach ihnen, dass ich spätestens zu Weihnachten wiederkommen würde. „Vielen Dank für den tollen Tag. Du warst uns eine große Hilfe und für die Kinder ein Segen!“, sagte Ben, der mich nach draußen begleitet hatte, zu mir und zog mich in eine Umarmung. „Nichts zu danken, wirklich nicht. Mir macht es Spaß und das Lächeln der Kinder ist mir Dank genug“, entgegnete ich ihm ernst, denn der kleine Edward wollte einfach nicht aus meinem Kopf. „Du bist ein Schatz, Esme! Fahr vorsichtig zurück und grüß mir Alice und Carlisle, ja?“ „Mach ich, bis in zwei Wochen“, sagte ich und stieg in meinen Wagen. So schön der Tag auch war, so anstrengend war er auch. Auf der Rückfahrt überlegte ich, wie ich es am besten schaffen könnte, Edward nicht nur seinen Wunsch zu erfüllen, sondern ihn auch vom Weihnachtsmann zu überzeugen. Mir waren schon viele verschiedene Möglichkeiten in den Sinn gekommen, ich hatte sogar schon meinen Mann geistig in ein rot-weißes Kostüm gesteckt, damit er für die Kinder den Weihnachtsmann mimte. Doch diese Idee hatte ich schnell wieder verworfen, denn er war noch viel zu jung und er war blond, den Kindern, und vor allem Edward, würde es sofort auffallen, dass es sich um eine Nachahmung handelte. Ich würde mit Alice reden müssen, sie hatte mit Sicherheit eine Idee. Zuhause angekommen suchte ich das Zimmer meiner Tochter auf. Alice wollte alles über den Tag wissen und ich berichtete ihr alles haarklein, auch die Geschichte von Edward erzählte ich ihr und sie war genau so bestürzt und fand meine Idee, ihn zu überraschen, toll. Das war auch nicht anders zu erwarten, denn Alice war für Überraschungen immer zu haben. Sie liebt es einfach, ihre Mitmenschen zu erfreuen. Gemeinsam heckten wir einen Plan aus, das einzige was noch fehlte, war ein geeigneter Weihnachtsmann. Wir gingen gedanklich sämtliche Männer in der Nachbarschaft durch, aber keiner von ihnen erschien uns brauchbar. „Mom, ich hab´s!“, quietschte Alice, sprang auf und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. „Erzähl schon! Wer ist dir eingefallen?“, wollte ich wissen. „Oh, das wird wundervoll. Er ist genau der Richtige und mit ein bisschen Farbe wird er so überzeugend sein“, jauchzte sie und ignorierte meine Frage völlig. Sie schien in ihrer eigenen, kleinen Welt zu sein oder vielmehr schien das Weihnachtsfest schon vor ihrem inneren Auge abzulaufen. „Alice! Bitte! Wer. Ist. Es?“, rief ich jetzt lauter und ich hatte Erfolg. Sie stoppte ihren Lauf und schaute mich mit glänzenden Augen an. „Charlie Swan!“ „Charlie Swan?“ Die Information wollte nicht so recht in meinem Hirn ankommen. Wie war sie auf ihn gekommen? Und wieso war er der perfekte Weihnachtsmann? „Aber natürlich, Mom! Überleg doch mal, wie er sich immer um seine Mitbürger kümmert. Er ist zwar der Polizeichef, aber er ist die Herzlichkeit in Person. Wenn eine helfende Hand gebraucht wird, ist er zur Stelle und Kindern kann er eh nicht widerstehen. Mom, er ist perfekt, denk nur an seine warmen, braunen Augen mit den Lachfältchen und einen Schnurbart hat er auch… okay an dem Rauschebart müssen wir dann noch arbeiten, aber das lässt sich doch leicht machen…“ „Alice, meinst du wirklich, er würde das machen?“, unterbrach ich sie. Alice hatte zwar recht, was die Einstellung von Charlie betraf, aber würde er uns oder den Kindern diesen Gefallen tun – auf Weihnachten? „Ganz sicher bin ich nicht, aber wenn wir ihm von Edward erzählen und unsere weibliche Überzeugungskraft anwenden, dann kann er nicht anders, nicht Charlie Swan!“ Alice war sich ihrer Sache sicher und wenn man bedachte, dass Alice immer ihre Ziele erreichte und somit meistens ihren Willen bekam, konnte ich mich mit dem Gedanken an Charlie als Weihnachtsmann schnell gewöhnen. Er musste nur noch überzeugt werden und das würden wir hinbekommen, angefangen mit einem guten Essen. „Du hast recht, wir werden es versuchen und wir werden unser Bestes geben. Du wirst ihn morgen früh einladen und ich werde ein tolles Essen zaubern. Wenn der Herr schon mal gut gesättigt ist, dann ist er auch direkt milder gestimmt“, redete ich mich jetzt auch in Rage, denn auch ich konnte mir Charlie schon sehr gut als den perfekten Weihnachtsmann vorstellen. „Aaahh, genauso machen wir es. Er wird uns gar nicht widerstehen können, Mom. Wenn ich nur an die Kinder denke… denen werden die Augen ausfallen“, plapperte sie weiter und ich war in diesem Moment so stolz, dass Alice meine Tochter war, denn sie war so rein und gut und einfach nur liebenswert und das erfüllte mein Mutterherz mit Stolz. „Ich hoffe es. Aber nun lass uns schlafen, wir haben morgen noch einiges zu erledigen“, sagte ich, zog sie in meine Arme um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken und verließ dann den Raum. Nachdem ich noch ein längeres Gespräch mit Carlisle geführt hatte, ging auch ich ins Bett und fiel schnell in einen traumlosen Schlaf. Am nächsten Morgen wachte ich auf und war direkt voller Tatendrang, schließlich stand einiges auf dem Spiel: der Traum eines kleinen Jungen. Ich steckte schon in den Vorbereitungen für das Essen, als Alice zu mir in die Küche getänzelt kam und berichtete, dass Charlie sich sehr über die Einladung gefreut hätte. Schritt Eins war also getan und wir mussten ihn nur noch im zweiten Schritt davon überzeugen, dass er der Richtige für unser Vorhaben war. Als fast alles fertig war und der Duft des Essens schon verführerisch durch das Haus zog, klingelte es und Carlisle machte sich auf den Weg zur Tür, um unseren Gast zu begrüßen. Alice und ich warfen uns noch einen verschwörerischen Blick zu und folgten ihm dann in den Flur um Charlie ebenfalls willkommen zu heißen. Er hatte Blumen für mich mitgebracht. „Oh, vielen Dank, Charlie! Aber das wäre doch nicht nötig gewesen“, sagte ich verlegen, da sich mein schlechtes Gewissen meldete, denn schließlich war die Einladung zum Essen Teil meines Manipulationsplans. „Es sind doch nur Blumen“, sagte er mit seiner ruhigen, tiefen Stimme und lächelte mich sanft an. „Sie sind wunderschön, ich werde sie direkt in eine Vase stellen. Nehmt doch ruhig schon Platz, das Essen ist auch sofort fertig. Charlie, was kann ich dir denn zu trinken anbieten?“, wollte ich wissen, bevor ich mich auf den Weg in die Küche machte. „Ich nehme ein Bier, danke!“, antwortete er und er folgte Carlisle ins Wohnzimmer. Leicht nervös kümmerte ich mich um die Blumen, das Bier und das Essen, während die anderen drei sich angeregt unterhielten. Alice erzählte von ihren Zukunftsplänen und Carlisle berichtete über die Neuigkeiten an seiner Klinik. Als die Vorspeise serviert war, bat ich alle an den Tisch und wir begannen zu essen. Wir unterhielten uns weiter über Dies und Das, aber ein Stupser gegen mein Bein, der nur von Alice kommen konnte, machte mich darauf aufmerksam, dass ich endlich mit der Sprache herausrücken sollte. Ich räusperte mich und nachdem ich auch von meinem Mann noch ein aufmunterndes Lächeln geschenkt bekam, begann ich Charlie von meinem Tag im Waisenhaus zu erzählen und ihm von meinem Plan, den kleinen Edward und die anderen Kinder zu überraschen, zu berichten. Er hörte aufmerksam zu und entgegen meiner Erwartung war er fast begeistert von der Idee. Alice hatte mit ihrer Vermutung recht behalten. Aufgeregt schmiedeten wir unsere Pläne und stimmten alle Einzelheiten miteinander ab. Alice konnte selbst Charlies Bedenken bezüglich seines Schnurbartes wegwischen, indem sie ihm mehrmals versicherte, dass sich die künstliche Graufärbung spielend leicht auswaschen ließe und der Rauschebart ja eh künstlich sei. Am Abend verabschiedeten wir uns mit einer herzlichen Umarmung von Charlie und warnten ihn schon vor, dass Alice und ich in der nächsten Zeit gelegentlich vorbeischauen würden, um das Kostüm anzuprobieren und die Wünsche der Kinder zu besprechen. ~*~ Die Wochen verstrichen, die Vorbereitungen für den Weihnachtsabend waren getroffen, das Kostüm - einschließlich Bart- passte perfekt und die Geschenke waren besorgt, verpackt und bereits im Kofferraum. Wir ließen es uns nicht nehmen, jedem Kind einen Wunsch zu erfüllen und nach Absprache mit Ben hatten wir für jeden etwas besorgt. Ich fand es wichtig, dass Kinder wenigstens einen Wunsch ihres Wunschzettels erfüllt bekamen, damit dieser auch Sinn machte. Mit dem gegebenen Budget stand es dem Waisenhaus nicht zu, große Geschenke für die Kinder zu besorgen und Ben war mehr als dankbar für unsere Hilfe. Charlie wollte lieber mit seinem eigenen Auto nach Port Angeles fahren, da den Kindern es sicherlich seltsam vorkommen würde, wenn wir den Weihnachtsmann mitbringen würden. Wir fuhren also schon zeitig los und wurden bereits erwartet, denn sobald wir durch die Türen des St-John-Kinderheims gegangen waren, stürmten die Kinder auf uns zu und begrüßten uns herzlich. In solchen Momenten wurde uns wieder bewusst, warum wir Jahr für Jahr den Weg hierher fanden. Die Mitarbeiter des Hauses waren mit ihren Ehegatten oder Verlobten auch gekommen, um den Heiligen Abend zusammen mit den Kindern zu feiern. Allen lag es am Herzen, ihnen ein familiäres Fest zu bescheren und so brachte jeder seine Familie einfach mit ins Heim. Im Gemeinschaftsraum war ein großer Tannenbaum aufgestellt worden, an dem bunte Kugeln, aber auch die Strohsterne vom letzten Jahr gehängt worden waren und zahlreiche kleine Lämpchen leuchteten warm und hüllten den Raum in angenehmes Licht. Auch die bunten Windlichter waren aufgestellt worden und sorgten ebenfalls für eine weihnachtliche Atmosphäre. Auf den Tischen standen Teller mit den selbstgebackenen Plätzchen und wieder einmal war ich erstaunt, dass sie wirklich so lange überlebt hatten und nicht schon längst von den Kindern verputzt worden waren. Wir setzten uns an die Tische und Ben wartete, bis Ruhe eingekehrt war, bevor er das erste Lied anstimmte. Nach und nach wurden die bekanntesten Weihnachtslieder gesungen und der Zauber von Weihnachten legte sich wie ein Mantel über uns. Als auch die Plätzchen zum größten Teil verspeist waren und die Tassen mit Kakao und Kinderpunsch geleert waren, hörten wir ein Klopfen an der Tür. Die Kinder starrten gebannt auf die Tür und Ben erhob sich, um die Tür zu öffnen. Alice konnte ein wissendes Lächeln nicht verhindern und mir schlug das Herz bis zum Hals, hoffte ich doch, dass die Überraschung glücken würde. Ben spielte seine Rolle als den überraschten Leiter wirklich gut, denn er machte einen Satz zurück, als er sah, wer sich vor der Tür befand und gab somit den Blick der Kinder auf den Weihnachtsmann frei. Ein erstauntes Raunen ging durch den Raum, als den Kindern bewusst wurde, wer sie an diesem Abend besuchen kam. Ganz langsam trat Charlie ein und er sah perfekt aus. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich ihn für den leibhaftigen Weihnachtsmann gehalten mit seinen grauen Haaren, dem rundlichen Bauch und dem weichen Rauschebart. Alice hatte sogar seine Augenbrauen gefärbt, das musste man ihr lassen: wenn sie etwas machte, dann machte sie es hundertprozentig. Der Weihnachtsmann ging durch den Raum zum Weihnachtsbaum und setzte sich auf den Stuhl, der dort bereitgestellt worden war und räusperte sich, während er seinen Blick durch den Raum gleiten ließ. „Ihr fragt euch sicherlich, warum ich heute hier bei euch bin, oder?“, wollte Charlie mit tiefer Stimme von den Kindern wissen. Ein einstimmiges Nicken bekam er zur Antwort. Den Kindern schien es die Sprache verschlagen zu haben. Wieder schlich sich ein glückliches Lächeln auf meine Lippen und ich zwinkerte Alice zu, als Zeichen, dass unser Plan zu funktionieren schien. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass einige Kinder den Glauben an mich verloren haben und so habe ich mich aufgemacht, um ihnen zu beweisen, dass es mich gibt“, fuhr der Weihnachtsmann fort. Der kleine Edward saß mir gegenüber und so konnte ich seinen schuldbewussten Gesichtsausdruck sehen und direkt hatte ich wieder Zweifel an meinem Plan, auch wenn wir mit dieser Reaktion gerechnet hatten und uns dafür etwas zurechtgelegt hatten. „Ich möchte euch nun etwas erzählen und ich hoffe, dass ihr mir alle zuhört und immer an meine Worte denkt, wenn euch mal Zweifel an meiner Person überkommen, ok?“, fragte er die Kinder, die ihn mit großen Augen ansahen. Wieder nickten die Kinder und nur vereinzelt war ein „Ja“ zu hören. „Viele Menschen glauben nur an das, was sie sehen können und ihr Geist erfassen kann. Wie kann es mich nicht geben, wenn es doch Liebe, Großherzigkeit und Treue gibt, die unser Leben schön und heiter machen? Glauben heißt nicht gleich sehen, denn das würde bedeuten, dass es Dinge nicht gäbe, nur weil wir sie nicht greifen können. Das beweist aber gar nichts, denn die wichtigsten Dinge bleiben meistens unsichtbar. Was ihr auch seht, ihr seht nie alles. Ihr könntet ein Kaleidoskop aufbrechen, weil ihr die schönen Farbfiguren sehen wollt und würdet dennoch nur bunte Scherben finden… nichts weiter. All die Wunder dieser Welt sind schwer zu begreifen, aber nichtsdestotrotz gibt es sie und nur mit dem Glauben und der Liebe in euren Herzen werdet ihr sie auch sehen. Mit mir ist es genauso. Ich lebe und ich werde auch noch in zehntausend Jahren leben, um Kinder wie euch mit Freude zu erfüllen, wenn ihr an mich glaubt. Natürlich kann ich nicht jedes Jahr bei jedem Kind sein, aber in euren Herzen werdet ihr wissen, dass ich bei euch bin und ich euch liebe.“ Charlie hatte seine kleine Geschichte erzählt und ich fand es rührend, wie er die wesentlichen Dinge in Worte gefasst hatte. Hoffentlich kam die Botschaft auch bei den Kindern an, aber den Gesichtsausdrücken nach zu urteilen hatten sie verstanden, dass es den Weihnachtsmann gab, wenn man nur an ihn glaubte. „So, und weil ich von meinen Helfern darüber unterrichtet worden bin, dass ihr wirklich sehr brav gewesen seid und ihr sogar schöne Wunschzettel geschrieben habt, habe ich euch auch etwas mitgebracht. Lieber Ben, würdest Du mir bitte mal den Sack mit den Geschenken hereinbringen?“ Ben holte einen großen Sack herein und ich war nur unendlich froh, dass alles so gut lief. Carlisle neben mir, drückte meine Hand und gab mir so zu verstehen, dass mein Plan erfolgreich war. Charlie holte nach und nach die Geschenke heraus, las den Namen auf dem Päckchen vor und ließ das Kind nach vorn kommen, um sich kurz mit ihm zu unterhalten und das Geschenk zu übergeben. Die größeren nahmen sich den Weihnachtsmann genau unter die Lupe, wollten sie doch nicht mehr an ihn glauben und dachten wohl, dass er nur eine billige Verkleidung trug. Aber auf Alice war Verlass und selbst der Joshua mit seinen neun Jahren war überzeugt, dass es sich tatsächlich um den echten Weihnachtsmann handeln musste. Irgendwann wurde auch Edward aufgerufen und er ging schüchtern nach vorn, um sein Geschenk entgegen zu nehmen. Nachdem er dem Weihnachtsmann noch etwas ins Ohr geflüstert hatte, nahm er sein Paket in die Hände und kam zurück zu seinem Platz. Ich wollte zu gern wissen, was er Charlie wohl gesagt hatte, aber ich wollte Edward nicht danach fragen, vielleicht würde Charlie es mir ja verraten. „So, meine lieben Kinder, ich muss jetzt weiter. Vielen Dank für die schöne Zeit bei euch und denkt immer daran. Hier werdet ihr mich immer finden“, sagte er und legte seine Hand auf sein Herz. „Auf Wiedersehen, lieber Weihnachtsmann!“, riefen die Kinder im Chor und winkten ihm nach, als er durch die Tür wieder nach draußen verschwand. Einen Moment war es noch ruhig, aber dann wurden die Kinder ungeduldig, wollten sie doch endlich wissen, was ihnen geschenkt wurde. „Dürfen wir unsere Geschenke nun auspacken?“, fragte Jessica vorsichtig. Rosalie, Mrs. Cope und Ben waren sich einig und sagten: „Natürlich!“ Die Mädchen öffneten ihre Päckchen vorsichtig, während die Jungen das Papier einfach abrissen. Begeisterte Jubelrufe waren zu hören, da mit dem Geschenk ein Wunsch in Erfüllung ging. Ich hätte vor Rührung und Glückseligkeit weinen können, so glücklich machten mich die zufriedenen Gesichter und die glänzenden Augen. Auch Edward war überglücklich, denn in seinem Geschenk verbarg sich das Geisterpiratenschiff, das er sich so gewünscht hatte. Immer wieder strich er ehrfurchtsvoll über den Karton, weil er es nicht fassen konnte. Bei seinem Anblick festigte sich mein Entschluss immer mehr und ein Blick in die Augen meines Mannes bestätigte mir, dass er das Gleiche fühlte. Gemeinsam mit den Kindern bauten wir die Spielzeuge auf, probierten sie aus und genossen den wundervollen Abend im Kreise einer großen Familie. Nachdem die Kinder im Bett waren und wir noch beim Aufräumen geholfen hatten, suchten Carlisle und ich Ben, um teilten ihm unser Vorhaben mit. Wir waren alles mehrmals in den letzten Tagen durchgegangen und auch Alice war von der Idee begeistert, also wollten wir alles so schnell wie möglich in die Wege leiten. „Esme, Carlisle, das ist großartig! Ich freue mich so sehr und ich glaube auch, dass Edward sich bei euch wohlfühlen wird. Wir werden demnächst die Besuchstermine abstimmen und dann könnt ihr euch näher kennen lernen“, rief er begeistert und umarmte jeden von uns. ~*~ Kapitel 14: Erkenntnisse im Schnee ---------------------------------- December the Thirteenth has already appeared but until now the end of this year's session seems to remain bleared. Gestern war schon Bergfest, so was aber auch. Das heißt, die erste Hälfte haben wir hinter uns. Fragt sich jetzt nur, ob man das positiv oder negativ sehen sollte :'D Für welche Seite man sich entscheidet, es bedeutet auch, dass wir noch genauso viele Märchen lesen werden, wie bereits hochgeladen werden. Deshalb lehnt euch einfach zurück und lest das neue Märchen in Ruhe :] ******************************************************************************************************************************* Erkenntnisse im Schnee by vanii - li „Verdammt!“, fluchte Bella, als sie in die Küche rannte. Schnell klappte sie die Herdklappe herunter und dichter Rauch strömte ihr mit einem Geruch entgegen, der ihr Übelkeit verursachte. „Mike Guido Newton!“, rief sie wütend. Während Mike sich gemächlich auf den Weg zu ihr machte, holte Bella die verkohlte Weihnachtsgans aus dem Ofen. „Oh, die Gans ist fertig?“, fragte Mike, der mittlerweile grinsend am Türrahmen lehnte. „Bella Schatz, stimmt was nicht? Deine Sorgenfalte ist ziemlich steil, weißt du.“ „Bella Schatz? Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht so nennen sollst? Wegen dir und deinen ‚Die Schneeballschlacht des Jahrhunderts‘ – Diskussionen ist das Weihnachtsessen für die Cullens verbrannt. Und ich habe Esme versprochen zu kochen! Argh! Du bist manchmal solch ein Idiot, Mike!“ Sie schmiss die Topflappen wütend in die Ecke des Tresens und rannte aus der Küche. Die „Bella“ – Rufe Mikes ignorierend schnappte sie sich im Hauseingang Schlüssel und Jacke und verschwand. Sobald sie auf die Veranda trat und die winterliche Luft einatmete, fiel ein Teil des Stress‘ der letzten Tage von ihr ab. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als die Läden abzuklappern und nach etwas möglich Essbarem Ausschau zu halten. Da die Geschäfte bald schlossen, nahm Bella das Fahrrad und verzichtete somit auf die überfüllten Bahnen, in denen sich die Leute drängten, die die letzten Geschenke noch besorgen mussten. * ~ * Erstaunt ließ Bella den Blick über die weihnachtlich geschmückten Straßen wandern. Sie war heute so beschäftigt gewesen, dass sie nicht einmal bemerkt hatte, wie sich eine weiche Schneedecke auf die Häuser gelegt hatte. Es war natürlich nicht viel. Nur hier und da war er liegen geblieben, doch sofort verflogen ihr Ärger und die Unannehmlichkeiten des Vormittags und eine weihnachtliche Vorfreude stellte sich ein. Trotzdem war sie dankbar, dass es kein fester Pappschnee war, der hier die Straßen säumte. Denn wenn dem so wäre, würde Mike ihr auch noch die Weihnachtsfeiertage mit den Cullens verderben. Mike. Sie war so sauer auf ihn gewesen. Seit der High School kannte sie ihn nun schon und er war ihr damals wie heute einfach nicht von der Seite gewichen. Er hatte damals fast wöchentlich nach Dates gefragt und da die sanfte Variante eines Korbs ihn unbeeindruckt ließ, schwang sie bald auf immer Härtere um. Schlussendlich hatte sie ihn sogar auf dem vollen Schulflur zusammengefaltet, während alle stehen geblieben waren und gegafft hatten. Sofort danach hatte es ihr leid getan. Doch erst dann hatte er sie in Ruhe gelassen. Warum wusste sie nicht. Vielleicht weil die gesamte Schule ihn nach diesem Vorfall aufzogen hatte, vielleicht weil Jessica ihm wie ein Schatten nicht mehr von der Seite gewichen war und er die nervende Situation von solch einem Anhängsel begriffen hatte. Vielleicht hatte er aber auch einfach nur gemerkt, dass er absolut keine Chancen bei Bella hatte. In dieser Zeit war Bella noch mit Jacob zusammen gewesen und selbst das hatte Mike nicht abgeschreckt. Nach einer Weile hatte sich das junge Mädchen gewundert. Nie war sie Mike mehr über den Weg gelaufen; sie hatte ihn über ein halbes Jahr lang fast gar nicht mehr zu Gesicht bekommen, und wenn doch, dann nur ganz kurz, sodass sie nie mit ihm hatte reden können. Mit der Zeit hatte Bella begonnen, die Präsenz des „Golden Retrievers“ zu vermissen. Als sie Mike dann wieder um seine Freundschaft hatte bitten wollen, musste sie feststellen, dass Mike sich verändert hatte. Aus dem pickligen, mit Hochwasserhosen herumlaufenden Jungen von nebenan war ein attraktiver junger Mann geworden. Wahrscheinlich war sie so von der äußerlichen Entwicklung Mikes begeistert gewesen, dass sie gedacht hatte, auch innerlich hätte sich dauerhaft etwas geändert. Doch spätestens jetzt musste sie feststellen, dass dem nicht so war. Leider. Denn später hatten sie beschlossen, zusammen mit Jessica und Angela in ein hübsches Häuschen zu ziehen. Von den anfänglichen vier Mitbewohnern waren nur noch Mike und sie übrig geblieben. Angela, mit der Bella noch immer engen Kontakt hielt, hatte ihre Jugendliebe Ben geheiratet und war mit ihm in eine eigene Wohnung gezogen, und Jessica… Tja, sie war das eifersüchtige, nervende, an Mikes Rockzipfel hängende Mädchen aus der High School geblieben. Als es mit ihr irgendwann nicht mehr auszuhalten gewesen war, war Bella schließlich der Geduldsfaden gerissen und sie hatte sie kurzerhand rausgeschmissen. Schon da hätte sie wissen müssen, dass von dem neuen charmanten Mike nicht mehr viel übrig bleiben würde, doch sie hatte es nicht getan. Das hatte sie jetzt also davon. Mike war wie ein Kind, besonders wenn es um seine alljährliche Schneeballschlacht ging, die ihr jedes Date zu Nichte machte. Dieses Jahr würde er Bella zu dem Weihnachtsfest der Cullens begleiten. Ursprünglich hatte Esme eigentlich nur Bella eingeladen gehabt, da ihr Vater seine Flitterwochen mit Sue auf den karibischen Inseln verbringen würde. Doch Bellas beste Freundin Alice – somit auch Esmes Tochter – hatte diese überreden können, Mike wenigstens als Weihnachtsmann für den kleinen Ted kommen zu lassen. Ted war mit seinen zwei Jahren ein aufgewecktes Kerlchen und kam damit ganz nach seinem Vater Emmett. So hatte Esme dann doch noch zugestimmt. Obwohl Bella es mittlerweile anfing zu bereuen, denn Esme war noch nie so richtig mit Mike warm geworden, wobei das auf Gegenseitigkeit beruhte. Doch Bella war sich sicher, dass Mike dies bei dem Fest auch nicht verbessern würde. Völlig in ihre Überlegungen vertieft bemerkte Bella die Erhebung, die die Straßenabschnitte zur Stadt hinein teilte, nicht und so dauerte es nicht lange, bis sie sich in den feuchten Straßen in einer Rille der unebenen Pflastersteine verfing und die Kontrolle über ihr Fahrrad verlor. Der kalte Lenker rutschte ihr aus behandschuhten Händen. Das schlingernde Rad zog nach rechts und knallte unsanft an die hohe Bordsteinkannte, somit stieß es Bella aus dem Sattel. Sie flog über den Lenker und das Einzige, was sie sah, war leuchtend roter Stoff. Einige Augenblicke später öffnete sie ihre Augen, damit war sie jedoch nicht die einzige. „Könnten Sie … Verflucht, stehen Sie einfach auf! Sie klemmen mir die Hand unter dem verdammten Fahrrad ein.“ Erschrocken sah Bella sich um; sie hatte nicht bemerkt, dass ihre Landung abgefedert worden war und blickte in zwei qualvoll zusammengezogene grüne Augen. Entsetzt sprang sie auf und riss ihr Fahrrad mit, welches ihren Gegenüber halb bedeckte. Unbehaglich blickte sie auf den Boden. „Es tut mir wirklich außerordentlich leid. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann?“, murmelte sie beschämt. „Danke, Sie haben schon genug geholfen! Der Anzug ist im Eimer! Oh Gott, wenn Mom das sieht.“ Bella war sich nicht sicher, ob sie das Letzte richtig verstanden hatte. Und wenn schon, dachte sie sich, dann wird es garantiert nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen sein. „Was stehen Sie hier noch rum? Haben Sie nichts Besseres zu tun?“ So langsam ärgerte Bella sich über den harschen Tonfall des Mannes. Sie hatte es ja nicht geplant, ihn mit umzureißen. „Was wollen Sie denn noch? Soll ich vor Ihnen auf die Knie fallen und um Vergebung bitten? Ich bin schon weg. Ihnen auch noch ein schönes Weihnachtsfest!“ Wutentbrannt drehte Bella sich um, riss ihr Fahrrad auf die Straße und fuhr los. Sie musste sich jedoch zügeln, um nicht gleich den nächsten Passanten mitzunehmen. In ihren Gedanken geisterte der unfreundliche Mann herum und ließ kaum Platz für das bevorstehende Weihnachtsfest. Nach einiger Zeit stellte sie fest, dass sie nicht einmal wusste, wie er aussah. Sie hatte nur das rote T-Shirt vor Augen, welches sie vor ihrem Sturz wegen der grellen Farbe bemerkt hatte. Sie hatte auch so eines. Genau dasselbe. Der einzige Aufdruck darauf war ein Name in Weiß geschwungener Schrift. Johann Sebastian Bach. Sie hatte es sich während des Deutschlandbesuches bei einem kleinen Konzert gekauft. An diesem Abend hatte sie auch das erste Mal deutsch gegessen. Sie hatte sich mit ihrer Mutter Sauerkraut, Rostbratwust, irgend so eine weiße Wurst und weiteres bestellt. Es war köstlich gewesen und sie hatte an diesem Abend mehr als je zuvor gegessen. Plötzlich kam ihr eine Idee, die das Weihnachtsessen doch noch retten sollte. * ~ * Einige Zeit später kam sie an dem keinen Laden, der sich direkt an der Straßenecke befand, an. Nur ein Auto parkte davor, ein Silber schimmernder Volvo. Der Laden war wirklich winzig. Es gab nur einen Verkaufstresen und unzählige Regale, die an den Wänden aufgestapelt waren. Doch Bella war sich sicher, hier alles Nötige zu bekommen. Da der Verkäufer sich noch um seine Kundschaft kümmerte, sah sie sich um. Die meisten Gewürze, die hier herumlagen, kannte sie nicht einmal vom Namen. Doch ein Blick auf die Uhr fegte die Ruhe mit einem Mal weg. Ungeduldig trat sie von einem Bein auf das andere, doch der Mann diskutierte weiterhin mit dem Verkäufer. Neugierig beobachtete sie eines der Gewürze näher und wollte sacht darüber streichen; es schimmerte leicht im Dämmerlicht. Sie bemerkte jedoch nicht, dass sie mit dem Jackenärmel ihrer dicken Daunenjacke an einer anderen Packung hängen blieb. Mit einem leisen Knall fiel die ganze Reihe um. Fast augenblicklich schoss ihr geröteter Kopf in Richtung Tresen zu den beiden Männern. Ihr selbst fiel ein Stein vom Herzen, als die Männer ungerührt weiterdiskutierten. Nach weiteren fünf Minuten räusperte Bella sich und versuchte höflich, auf sich aufmerksam zu machen. „Entschuldigung? Ich hätte nur kurz eine Frage und ich habe es ziemlich eilig…“ Sie beendete den Satz nicht, als sie den Blick des Mannes, der vor ihr stand, bemerkte. Es war wohl eine Mischung aus Belustigung und Ärger. Schlussendlich zog er amüsiert seine Augenbraue hoch und musterte sie. „Ich will wirklich nicht unhöflich wirken, aber ich bin spät dran!“, flüsterte sie leicht verunsichert. „Sie sind von Natur aus ein kleiner Tollpatsch, oder?“, fragte sie ihr Gegenüber mit einem verschmitzten Grinsen. Ihre Wangen verfärbten sich einige Nuancen dunkler und sie sah beschämt weg. Er hatte es anscheinend doch bemerkt. „Was kann ich für sie tun?“, mischte sich nun der Verkäufer in das eher peinliche Gespräch. Wortlos schob Bella ihm einen Zettel entgegen. „Entschuldigung?“, fragte der Mann hinter dem Tresen, den Bella mit Hilfe seines Namensschildes als Mr. Schmidt auszeichnen konnte. Sie beugte sich verwirrt über den Zettel, den Mr. Schmidt ihr wieder zugeschoben hatte. >Operation: Schneeballschlacht Newton vs. Cullensstand in krakeliger Schrift darauf. Diesen zerknitterten Schnipsel hatte Mike ihr heute Morgen in die Jackentasche gesteckt, um „vorbereitet“ zu sein. Bella spürte, wie ihr Gesicht wieder ganz warm wurde. Schleunigst ließ sie den Zettel wieder in ihre Tasche gleiten und tauschte ihn gegen den Einkaufszettel, den sie schon seit einer halben Ewigkeit mit sich herum schleppte, aus. Neben sich hörte sie ein leises Schnauben. Sie warf einen Blick zur Seite und sah wie der Mann neben ihr sein Lachen in einem Husten zu tarnen versuchte. Ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Gerade, als sie etwas sagen wollte, kam Mr. Schmidt, der zwischenzeitlich in einem hinteren Raum die Zutaten zusammengesucht hatte, wieder. „So, das wäre alles. Haben sie noch einen Wunsch oder war es das?“ „Nein, das wäre alles.“ „Hey, Moment mal.“, meldete sich nun der Mann neben ihr wieder zu Wort. „Sie haben gesagt, es wäre fast unmöglich, so etwas jetzt noch aufzutreiben“, beschwerte er sich lautstark, während er ein kleines gelbes Tütchen in die Höhe hielt. „Fast, ja“, lächelte Mr. Schmidt kalt. Bella zog einen fünfzig Dollar Schein aus ihrer Tasche und legte ihn neben den Lebensmitteln auf den Tresen. Schnell packte sie die restlichen Sachen in eine Tüte. „Stimmt so“, lächelte sie in Richtung Mr. Smith, dann drehte sie sich zu dem ihr vollkommen unsympathischen Mann um und wollte ihm die Tüte aus der Hand reißen. „Nicht so schnell“, rief er mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck, der der verärgerten Bella glich. „Ich habe keine Ahnung, was zwischen Ihnen vorgefallen ist und um ehrlich zu sein, ist es mir auch egal, aber ich bin wirklich verdammt spät dran… Also wäre es nett, wenn sie mir die Tüte einfach geben würden. Das könnte uns beiden viel Ärger ersparen.“ Sie startete einen weiteren Versuch die Tüte in ihren Besitz zu bringen, doch der Mann hielt sie stattdessen einfach noch ein Stück höher. „Das ist lächerlich, meinen Sie nicht auch?“, fragte sie in dem Glauben, den Mann mit den rötlich braun schimmernden Haaren zur Vernunft bringen zu können. „Ich habe bereits dafür bezahlt!“ „Und ich wäre bereit, es Ihnen wieder abzukaufen“, erwiderte er wie selbstverständlich. Er zog währenddessen die Tüte automatisch noch höher. „Eigentlich hatte ich nicht vor, um meine Einkäufe heute zu ringen, aber wenn Sie sie mir nicht freiwillig geben wollen...“ Bella stellte ihren vollen Beutel zur Seite und versuchte, an ihre eigene bezahlte Ware zu kommen. Doch wie zu erwarten verlor sie das Gleichgewicht und fiel vorne über. In dem Versuch sich festzuhalten, riss sie den großen Bottich mit Nüssen, der zum Probieren auf dem Verkaufstisch stand um und landete kurz darauf auf ihren Herausforderer und die Nüsse flogen in einem unangenehmen Hagel über beide. Wütend funkelte sie den Mann an. * ~ * „Puh, endlich zu Hause“, seufzte Bella als sie endlich die Haustür aufschloss und sich neben dieser sinken ließ. Sie war halb erfroren und mit Gliederschmerzen nach gut zwei Stunden endlich wieder daheim angekommen. Peinlicherweise hatte sie sich Minutenlang mit einem Fremden auf dem Boden gerungen. Seine satten grünen Augen hatten Bellas schokoladenbraune angefunkelt. Danach hatte sie mit ihm noch den gesamten Laden fegen müssen, um auch jede einzelne, noch so kleine Nuss wieder aufzulesen. Noch jetzt spürte sie ein paar davon in ihrer Kleidung und in ihren Haaren. Geschafft ging sie in die Küche und kochte das Essen für die Cullens und kurz darauf nahm sie ein langes, entspannendes Bad. Das Kleid, welches sie anzog, hatte Alice ihr schon vor Tagen gebracht, denn Esme legte am Weihnachtsabend viel Wert auf festliche Kleidung. Erst als sie sich auf den Weg zu eben dieser machen wollte, merkte sie, dass Mike sich noch gar nicht gemeldet hatte. Er hatte doch nicht etwa… Panisch lief sie zu dem Fester, das zur Straße hin ausgerichtet war und sah hinaus: Das Auto, Mikes Auto, stand nicht an seinem Platz auf der Einfahrt! Wütend stapfte sie in ihren High-Heels hinunter. Das hieß, sie müsste in diesen mörderischen Schuhen, samt Essen mit der U-Bahn fahren. Das auch noch ausgerechnet in einem Schneesturm, der vor einiger Zeit zu toben begonnen hatte. Einige Zeit später, fand sie sich halb erfroren vor der Tür der Cullens wieder. Sobald die Klingel gedrückt war, schwang auch schon die Tür auf und Alice zog Bella in eine feste Umarmung. „Oh Gott, als Mike vorhin allein vor der Tür stand, dachte ich schon du kommst gar nicht! Aber er meinte, du musst noch etwas erledigen.“ Gezwungen lächelte Bella ihre Freundin an. Mike, wenn sie ihn in die Finger bekam! „Bella, da bist du ja! Hast du das Essen dabei?“, fragte Esme und zog sie ebenfalls in eine herzliche Umarmung. „Ja, aber ich habe keine Weihnachtsgans“, sagte sie vorsichtig, was ihr sogleich einen skeptischen Blick seitens Esmes einbrachte. „…Ähm… sondern verschiedene deutsche Spezialitäten, die ich, als ich mit Renée in Deutschland lebte, kennen und lieben gelernt habe.“ Sie warf einen Blick zu Alice, die überrascht zu ihr aufsah und blickte dann wieder zu Esme. „Deutsches Essen?“, fragte diese leise mit einem leichten Strahlen in den Augen. „Ja, ich hoffe es macht dir nichts aus, aber ich hatte ein kleines-“ Esme ließ sie gar nicht ausreden. „Hast du auch Weißwurst und Sauerkraut dabei?“ „Ja und noch viel mehr.“ „Bella, das ist ja wundervoll! Habe ich dir jemals erzählt, wie sehr ich deutsches Essen liebe oder woher wusstest du das?“ „Ich, ähm…“, stotterte Bella. „Ach Mom, ich habe es ihr erzählt, es sollte eine Überraschung werden“, sprang Alice für Bella in die Bresche, welche ihr auch sogleich einen dankbaren Blick zuwarf. Mission erfüllt, lachte Bella in sich hinein. * ~ * Nachdem alle satt waren und Bella tausend Mal versichert hatte, wie köstlich es doch gewesen war, klingelte es an der Tür. Esme sprang sofort mit einem breiten Lächeln im Gesicht auf. „Erwartet ihr noch jemanden?“, fragte Belle leise zu Alice gebeugt. „Ja, hab ich dir das nicht erzählt? Edward kommt heute endlich wieder. Er hat beschlossen, nachdem er im Sommer sein Studium abgeschlossen hat, wieder herzuziehen. Jedenfalls hat er es zumindest vor“, strahlte Alice glücklich. Mike verzog angewidert das Gesicht. Er hatte Edward schon früher nicht leiden können. Doch Bella warf ihm einen strengen Blick zu und er setzte sofort ein weniger leidendes Gesicht auf. Sie hatte ihn vorhin im Flur nämlich noch einmal zusammengestaucht und seitdem war er wieder zahm wie ein Lamm. „Edward!“, quiekte Alice, als ein schlanker, gutaussehender Mann mit zerschrammten Anzug und grünen Augen hereinkam. Die ganze Cullen Familie samt Emmett, Rose, Ted, Carlisle und Alice stürmten zum Eingang des großen Esszimmers, um ihren Bruder, Schwager und Sohn nach langer Zeit willkommen zu heißen. Doch Bella rutschte das Herz in die Hose – es begann lautstark zu pochen. Dieser… dieser Typ vorhin in dem Laden und… jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen! Der Mann in dem Laden und der Mann auf der Straße, die Bella beide mehr oder weniger umgehauen hatte, war niemand geringeres als Edward. Sie hatte ihn nicht erkannt und er sie wahrscheinlich auch nicht. Sie spürte, wie er auch sie anstarrte und die Hitze kroch ihr den Hals hoch. „Es ist so schön, dass du wieder da bist, mein Sohn“, rief Esme liebevoll. „Aber du wolltest doch eigentlich schon früher kommen, warum hast du dich denn so sehr verspätet?“ „Ich bin durch die Stadt gefahren und habe das hier“, er hielt eine gelbe Tüte in die Höhe, „gesucht.“ Ein schiefes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht und er blickte direkt in Bellas Augen. * ~ * Nun stand Bella draußen mit Alices Wintersachen und führte die Rangelei mit Edward, die heute schon in dem Laden stattgefunden hatte, fort. Nur dieses Mal war es im Schnee. Mittlerweile war alles zugeschneit und als Mike mit seiner Schneeballschlachtidee angefangen hatte, bekam Esme wieder dieses Leuchten in den Augen. Also lief die ganze Familie samt Besuch nach draußen, um die >Schneeballschlacht des Jahrhunderts< zu entfachen. Anfangs hatte Bella einfach nur am Rand gestanden und zugesehen, doch als plötzlich ein Schneeball an ihren Kopf abprallte und sie wieder in diese grünen Augen sah, gab sie sich ihrer Wut hin und ließ sich auf eine unerbittliche Schlacht mit Edward ein. Irgendwann, als Bella vor ihrem ärgsten Feind den Rückzug antreten wollte und vor ihm weggerannt war, ging es im Wald weiter. Von Zeit zu Zeit begann Bella Spaß daran zu finden, Edward mit Schnee einzuseifen. Doch nun fand sie sich in einem Schwitzkasten und einer Handvoll Schnee im Gesicht an Edward gepresst wieder. „Keine Luft“, keuchte Bella. Sie spürte wie er seinen Griff leicht löste und sie stattdessen hochzog. Als sie sich ganz aufrichtete umschlingen sie seine Arme immer noch. In dieser halben Umarmung drehte sie sich zu ihm um und die Worte blieben ihr im Hals stecken. Er musterte sie mit solch einem intensiven Blick, dass ihr Kopf wie leer gefegt war und ihre Knie leicht wurden. Seine Hände wanderten von ihrem Rücken hoch zu ihrem Gesicht und er strich ihr sanft die Kapuze vom Kopf. Ihre von der Kälte geröteten Wangen wurden trotz der Minusgrade warm und jetzt ließ auch sie ihre Hände zu seinen Haaren hinauf wandern. Schon vorhin war der Wunsch in ihr entflammt, seine wilde Haarbracht zu berühren. Langsam, wie in Zeitlupe, näherte er ihr sich und sein Kopf senkte sich zu ihrem hinunter. Auf halben Weg schloss Bella ihre Augen und ließ es einfach zu. Von dieser Geste ermutigt, senkte Edward seine vollen Lippen auf Bellas. Als ihre Lippen sich berührten, war Bella, als würde ein leichter Stromschlag durch sie fahren; die Luft wirkte elektrisiert. Es war ein süßer Kuss, vorsichtig. Doch Bella genoss ihn. Hinter ihr knirschte plötzlich der Schnee und die beiden fuhren wie zwei ertappte Teenager auseinander. Bella drehte sich schnell um und sah gerade noch Mikes wütenden Blick. „Ich dachte du hast dich für mich entschieden, Bella!“, rief er mit vor Zorn zitternden Stimme. Leichte Schuldgefühle stiegen in ihr auf. Sie hatte ihm nie etwas versprochen, nein, so war es nicht, aber dennoch hatte sie ihm immer Hoffnung gemacht, genug für zu empfinden, irgendwann. „Oh, das wusste ich nicht. Tut mir leid“, murmelte Edward neben ihr. Das alles war für Bella zu viel, sie rannte das Feld hinauf zum Haus der Cullens, die inzwischen auch schon wieder drinnen waren und lief zu dem alten kleinen Schuppen. Erschöpft lehnte sie sich an eines der Gartengeräte. Es ist nicht so, dass Edward ihr nicht schon früher auf der High School aufgefallen wäre. Er war jedoch einer der beliebten gewesen und hatte den Ruf genossen, zu wählerisch zu sein - denn nie hatte er eine Freundin gehabt. So war er also auch stets unerreichbar für Bella gewesen. Seufzend blickte sie aus dem kleinen Fenster und sah, wie ein Bild daran befestigt war. Genauer betrachtet musste sie feststellen, dass sie sich selbst auf dem Foto befand. Verwirrt nahm sie es in die Hand und besah es von hinten und vorn. Auf der Rückseite standen zwei Namen, Edward und Bella in fein säuberlicher Schrift. Ihr Herz begann automatisch schneller zu schlagen und sie begriff etwas, was sie die letzten Jahre über nie bemerkt hatte. * ~ * Einige Zeit später traute sich Bella wieder aus dem Gartenhäuschen. Leise schlich sie in die Wohnung. Im Wohnzimmer sah sie Ted, der fröhlich seine Geschenke entgegennahm. Lächelnd betrachtete sie das Schauspiel einige Zeit, dann ging sie nach oben um sich wieder ihr Kleid anziehen zu können. Nachdem sie sich in Alice‘ Zimmer umgezogen hatte, ging sie wieder zu den anderen. Alle saßen um Emmetts und Rose‘ Sohn herum und betrachteten, wie er freudig seine Geschenke aufriss. Als Bella einen Blick nach links warf, sah sie einen Weihnachtsmann, der mit hängenden Schultern auf einem Stuhl in der Ecke saß. Sie ging auf ihn zu und räusperte sich leicht. Ruckartig fuhr sein Kopf nach oben und Bella hielt ihm ihre Hand entgegen. Bereitwillig nahm er sie und ließ sich von ihr hochziehen. „Weißt du, auch Weihnachtsmänner können Geschenke bekommen, nur leider habe ich das viel zu spät bemerkt…“, flüsterte sie und zog seinen Bart herunter. Grüne Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen. Sie näherte sich Edward und flüsterte: „Es tut mir so leid, dass du so lange auf dein Geschenk warten musstest“, sagte sie und küsste ihn schließlich mit so viel Leidenschaft, wie sie nur aufbringen konnte. ******************************************************************************* Kapitel 15: Chanukka in Queens ------------------------------ The tale of the fourteenth of December’s a little late, though this one might carry a special weight. Oh mei, ich werd’ immer langsamer mit dem Hochladen der Märchen. Ich hoffe, ihr verzeiht mir das, hin und wieder ist es doch nicht immer möglich, pünktlich zu sein. Und vielleicht kommt ihr ja auch gar nicht so schnell hinterher, all die Geschichten zu lesen. Für diejenigen, die also schon soweit sind, hier ein neues :] ********************************************************************************************************* Chanukka in Queens by zaharowen Ich packte schnell noch einige Kleidungsstücke in meinen ledernen Koffer. Edward stand unschlüssig in der Tür, die Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben und die Schultern leicht hochgezogen. Er fühlte sich unwohl, das war nur zu deutlich zu sehen. „Dad, ich … warum willst du überhaupt wegfahren, Esme wäre es auch lieber, wenn wir hierblieben.“ Ich lächelte über seinen verzweifelten Versuch. „Das haben wir ja nun oft genug besprochen. Ich wünsche es mir einfach, Edward, und Esme ist absolut damit einverstanden, wie du sehr wohl weißt. Wir werden pünktlich am 20. zurück sein. Also genug Zeit, ihr zu helfen, das Weihnachtsfest vorzubereiten. Schluss jetzt, bist du fertig mit packen? Unser Zug fährt um Fünfzehn Uhr.“ Knurrend wand er sich ab und schlurfte in sein Zimmer. Seit er in diesem Frühjahr 1932 zu uns zurückgekehrt war, hatte er sich zwar sehr gut zurück in unsere Lebensweise eingefunden, aber er war mehr und mehr in eine Art Depression verfallen. Edward war einfach zu jung gewesen, noch nicht bereit, sein Leben, das noch nicht begonnen hatte, zu beenden und es gegen diese Ewigkeit einzutauschen, in der wir gefangen waren. Er sollte lebenshungriger sein; die Herausforderungen dieser Welt bejahen. Aber er haderte mit seiner Existenz, mied Gleichgesinnte und versagte sich jegliches Recht auf Gefühle, die er rigoros von sich fern hielt und bei sich selbst ebenso wenig zuließ. Ich konnte nur vermuten, welche Erfahrungen er in den letzten zehn Jahren gemacht hatte. Ich hatte ihn nicht gefragt und würde es auch nicht tun. Ich wusste, irgendwann würde er mich aufsuchen, um es mir zu erzählen. Jetzt war er einfach noch nicht bereit dazu, und ich liebte ihn zu sehr, um ihn noch mehr zu verletzen. Esme wartete in der Diele auf uns und legte schmeichlerisch ihre Arme um mich. „Ich wünsche Euch eine schöne Zeit, und kommt gesund zurück.“ Ihre schönen Augen lagen vertrauensvoll auf mir. „Das werden wir ganz sicher, Liebling. Ich denke, Tanja, Kate und Irina werden in den nächsten zwei Stunden ankommen. Also wünsche ich dir ebenfalls eine schöne Zeit. Macht euch ein paar tolle Frauentage. Esme, ich möchte, dass du mit Tanja sprichst. Sie sind herzlich eingeladen, mit uns Weihnachten zu verbringen, aber ich wünsche, dass sie Edward in Ruhe lässt. Er teilt ihre Gefühle nicht, und ich möchte, dass er zur Ruhe kommen kann.“ Sie gab mir einen federleichten, verführerischen Kuss. „Sei unbesorgt, ich werde mich mit Kate verbünden! Sie wird es verstehen.“ Ein genervtes Räuspern vom oberen Treppenabsatz ließ mich schmunzeln. Ich drückte Esme zum Abschied an mich und sah meinem Sohn entschuldigend entgegen. Dann verließen wir schweigend das Haus und eilten zum Bahnhof, um die fünfstündige Bahnfahrt zum Grand Central Terminal nach New York hinter uns zu bringen. Obwohl sich Edward wohl vorgenommen hatte, die kommenden acht Tage knurrend und verschlossen zuzubringen, sah ich doch, wie sehr ihn die immer interessanter werdende Kulisse gefangen nahm. Es war sein erster Aufenthalt in New York und er konnte sich dieser aufstrebenden Stadt nicht verschließen. Nach der Wirtschaftskrise boomte es in dieser Großstadt gewaltig, und die Menschen wetteiferten mit ihrem Gott, immer größer, reicher und mächtiger zu werden. Ich hatte Paul Singer vor einigen Wochen rein zufällig in Chicago getroffen. Er hatte mich spontan eingeladen, ihn in diesem Jahr zur Feier von Chanukka zu besuchen und ich hatte ebenso spontan zugestimmt. „Komm und bring ihn mit, Carlisle, wir werden ihn schon aufrichten.“ Also stand ich nun mit meinem Sohn an diesem hypermodernen Bahnhof und ging schnellen Schrittes auf den Ausgang zu. Edwards Augen wurden größer und größer. „Sieh dir diese Bauten an, sie sind komplett verrückt geworden. Das ist der absolute Wahnsinn. Oh Mann, Carlisle, sieh dir diese Spitze an. Bitte lass uns da lang gehen.“ Ich lächelte. „Edward, wir gehen erst mal nach Queens, wir werden in den nächsten Tagen mit Paul zusammen diese neuen Gebäude aufsuchen. Hab ein wenig Geduld.“ Murrend fügte er sich. Wir gingen los und befanden uns eine Stunde später an dem alten Gebäude in der Nähe des Flusses, mit Sicht auf Manhattan. „Na endlich, kommt rein, kommt rein. Carlisle, lass dich umarmen.“ Paul begrüßte mich überschwänglich und musterte dann schmunzelnd Edward. „Ah das ist also dein Sohn. Bist auch a Goi?“ Edward sah mich ratlos an. „Ja, Paul, er war ebenfalls Christ, und ist getauft.“ Paul sah theatralisch in den Himmel. „No, kein Wunder, das er mit seinem Schicksal hadert. Komm, Junge, du sollst den Schmasch anzünden, das bringt dir Massel.“ Edwards Gesicht wurde immer unglücklicher, aber er folgte Paul willig in das große Wohnzimmer. Vor einem der großen Jugendstilfenster stand ein großer neunarmiger, kunstvoller, schmiedeeiserner Leuchter. „Hast du ihm gesagt, was wir tun werden?“ Ich grinste. „Paul, ich weiß es doch selbst nicht richtig – ich habe ihm gesagt, du hast uns zu einem Fest eingeladen.“ Er runzelte entsetzt die Stirn. „Fest, das ist kein Fest. Das sind Festtage. Wir feiern Chanukka, Edward. Weißt du, was das ist?“ Edward schüttelte bekümmert den Kopf. Paul schob ihn lächelnd auf einen Stuhl und auch ich machte es mir bequem. „Also, Chanukka ist ein Erinnerungsfest an die Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels, durch die Makkabäer. Die Hellenisten hatten den Tempel entweiht, sie hatten dort Götzen aufgestellt und man stelle sich vor – ein Schwein geopfert – das brachte unsere Leute derart in Rage, dass sie die Griechen rausschmissen. „Nun besagt die Legende, dass nach der Schändung des Tempels nur noch ein einziger kleiner Krug mit geweihtem Öl da war. Wie durch a Wunder hat dieses bisschen Öl aber acht Tage gehalten, bis sie neues geweihtes Öl besorgt hatten. Und nun sieh auf diesen Leuchter, auf beiden Seiten vier Lichter und in der Mitte der Diener, der Schmasch. Das nennen wir eine Chanukkia! Wir feiern Chanukka, indem wir jeden Tag eine dieser Lampen entzünden, bis alle acht brennen. Sie werden alle mit dem Schmasch entzündet, und den wirst du jetzt anmachen.“ Edward atmete erleichtert auf. „Klar, kein Problem, und was machen wir dann?“ Paul schmunzelte. „Heute Abend entzünden wir die erste Lampe und dann feiern wir. Jeden Abend werden wir feiern, so will es der Brauch.“ Ich sah Paul verwundert an. „Ich dachte, das ist so was wie Weihnachten.“ Paul lachte. „Biste meschugge? Wir Juden feiern doch kein Weihnachten. Das ist uns viel zu langweilig. Ihr werdet sehen, Chanukka ist viel besser! Aber ja, wir werden uns viel schenken, wartet es ab!“ Er hielt Edward eine Packung Streichhölzer hin und zeigte auf die mittlere Lampe. Edward entzündete den Docht, der in einer Glasschale lag, die mit Öl gefüllt war. „Masseltow! Und nun zeig ich euch eure Zimmer.“ Paul hatte eine große, sehr schöne Wohnung mit erstaunlich vielen Zimmern. Ich wusste, dass er des Öfteren ausgelassene Feiern hier abhielt, die man schon fast Orgien nennen konnte, und daher legte er Wert auf viele Zimmer. Egal was er mit uns plante, ich war unglaublich gespannt darauf. Am Abend kurz nach Sonnenuntergang versammelten wir uns vor dem großen Leuchter. Paul hatte Edward gebeten, die erste Lampe von links anzuzünden, was Edward widerstandslos mit einem leisen Grinsen tat. „Und nun sprecht mir nach: Barukh Atah Adonaj Elohejnu Melekh ha'Olam, ascher kideshanu beMizvothaw vezivanu lehadlik Ner shel Hanukah. Barukh Atah Adonaj Elohejnu Melekh ha'Olam, she'asah Nisim laAwothejnu baJamim hahem baSman haseh. Barukh Atah Adonaj Elohejnu Melekh ha'Olam, shehechejanu vekijemanu vehigianu laSman haseh.“ Begeistert drehte er sich zu uns um: „Und nun lasst uns die Tempel befreien!“ Er lief mit uns durch die Straßen von New York und wir landeten in einem unglaublich belebten Viertel. Die Menschen hier waren laut, geschäftig und es roch geradezu nach Gewaltbereitschaft. „Dies, meine Lieben ist ‚Little Italy’, die berühmte Hester Street! Einer der Tempel dieser verdammten Stadt. Lasst uns heute Abend über diesen Tempel wachen.“ Er lächelte verschwörerisch und führte uns in Lokale, vorbei an Bordellen, zeigte uns Kirchen und andere öffentliche Gebäude und hielt hie und da ein Schwätzchen mit patrouillierenden Gesetzeshütern, denen er Tipps oder Andeutungen machte, wo sich dunkle Gestalten aufhielten. Wir stellten sehr schnell fest, dass er das offenbar öfter tat, denn die Polizisten waren ihm durchaus dankbar für seine Hinweise. „Sag mal, Paul, was machst du eigentlich? Arbeitest du, ich meine, so wie Carlisle?“ Paul drehte sich amüsiert zu Edward „Biste meschugge? Niemals. Du musst wissen Edward, in meinem menschlichen Leben war ich Rabbiner. Ich versuchte für die Menschen dazusein, und das tue ich immer noch. Außerdem schreibe ich hie und da und veröffentliche unter unterschiedlichen Namen in Kolumnen oder auch als freier Journalist für Zeitungen. Ich jage keine Verbrecher, aber ich verpfeife sie mit Genuss an ihre Polizei. Ich vergnüge mich mit jungen Frauen, aber ich schlachte sie nicht anschließend. Ich spiele mit Kindern, erzähle ihnen von der Thora, und versuche ihnen ein Berater zu sein. In einer Stadt wie New York, ist das einfach, hier bleibt man unbekannt, obwohl man jedem bekannt ist. Es ist mein persönliches kleines Paradies seit über 120 Jahren“ „Und doch trinkst du Menschenblut. Warum?“ Paul grinste mich an und ich lachte auf bei der Ahnung, welche Metapher er nun gebrauchen würde. „Warum nicht Edward. Sie sind nun mal mein Grundnahrungsmittel. Du verurteilst mich vielleicht dafür, aber stell dir vor, wir wären in Bangladesh, du hättest Hunger und würdest eine Kuh aussaugen. Man würde dich kreuzigen, mein Junge!“ Er gackerte vergnügt „Du merkst, alles eine Frage des Blickwinkels!“ Edward kicherte und wir genossen die Nacht in diesen Hinterhöfen und auf den Straßen, bis wir im Morgengrauen zurückkehrten. Tagsüber blieben wir im Haus, lasen, spielten Karten, Schach oder unterhielten uns. Edward begann sich für Pauls Lebenseinstellung zu interessieren, hinterfragte vor allem seine religiöse Einstellung und die daraus resultierenden Konflikte zu seiner heutigen Existenz. „Ahh, das ewige Drama des Christentums. Wir Juden denken nicht so Edward. Obwohl wir auf den Messias immer noch warten, sind wir dem Leben positiver gegenüber eingestellt. Ich sehe mein Dasein nicht als Fluch, sondern als einfach eine andere Art der Existenz. Ich denke ich habe die Aufgabe mich in dieser Welt nützlich zu machen, nicht mehr und nicht weniger. Kommt, die Sonne geht unter. Zeit die nächste Lampe anzuzünden. Wir wiederholten das Ritual, allerdings ließ er heute den dritten Satz des Chanukka Segens weg. Barukh Atah Adonaj Elohejnu Melekh ha'Olam, ascher kideshanu beMizvothaw vezivanu lehadlik Ner shel Hanukah. Barukh Atah Adonaj Elohejnu Melekh ha'Olam, she'asah Nisim laAwothejnu baJamim hahem baSman haseh. An diesem Abend entführte er uns in das moderne New York. Er zeigte uns zu Edwards größtem Vergnügen die neuen Bauwerke. Das Woolworth Building, das Chrysler Building und natürlich das von ihm so heiß begehrte im letzten Jahr vollendete Empire State Building. Paul führte uns durch die Wolkenkratzer, er wusste sich überall unbemerkten Zutritt zu verschaffen. „Carlisle, dass ist das höchste Gebäude der Welt, ist das nicht der Wahnsinn. Wenn man sich überlegt, wozu die Menschheit in den letzten 2000 Jahren fähig ist, was sie alles erschaffen hat….“ Wir setzten uns auf die große Aussichtsterrasse und ließen ihn von einer Seite zur anderen sausen. Edward war mehr als aus dem Häuschen. „Hmm, ob wir diese Euphorie noch toppen können? Paul, du musst dir für die nächsten Abende wirklich was einfallen lassen.“ Ich lehnte mich zurück und genoss die Aussicht auf meinen aufgekratzten und ungewöhnlich lebendigen Sohn. Ich fühlte, dass er hier in dieser Stadt tatsächlich Antworten auf die Fragen seiner Seele finden könnte. Der dritte Abend brachte uns Paul jeweils einen Smoking. „Wir gehen in die Carnegie Hall“ Routiniert brachten wir das Ritual hinter uns und folgten ihm. Elegant und gut gelaunt betraten wir die berühmte Konzerthalle, in der Paul uns hervorragende Logenplätze gesichert hatte. „Was wird gespielt?“ Edward reckte seinen Kopf um mehr sehen zu können. Paul schmunzelte „Dein Vater hat mir erzählt, dass du ein gewisses musikalisches Talent hast. Lass dich überraschen. Heute tritt hier ein jüdischer Künstler auf.“ Es wurde ein unvergleichlicher Abend. Ein junger Pianist, Vladimir Horowitz spielte unter Arturo Toscanini die berühmtesten Stücke von Liszt, Schuhmann und Chopin. Er spielte unvergleichlich, mit einer unglaublichen Kraft und Ausdruck, dass es ein wahrer Genuss war. Edward saß uns und seine Umgebung völlig vergessend nach vorne an den Balkon gebeugt und lauschte verzückt. Sein Gesicht drückte Unglauben, Entschlossenheit und tiefe Liebe aus. Liebe zu dieser Musik und vor allem diesem Instrument. Seit er zurück war, hatte er ab und an auf dem Klavier in unserer Wohnung ein wenig gespielt, aber es stand in keinem Vergleich zu dem, was wir heute hier hörten. Edward hatte sich autodidaktisch ein wenig das Klavierspielen beigebracht und ich erkannte mit Esme, dass er eine wirkliche Begabung dafür hatte. Ich nahm mir vor ihm vorzuschlagen einige Stunden zu nehmen, um seine Möglichkeiten zu verbessern. „Kommt, ich habe mit seinem Manager ausgemacht, dass wir ihn kennenlernen.“ Paul winkte uns hinter ihm her und Edward fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er Herrn Horowitz gegenüber stand. Der junge, sympathische und unscheinbare Mann lächelte ihn an. „Herr Singer, sie sagten mir nicht, dass der junge Mann so gutaussehend ist. Ich freue mich sie kennen zu lernen Herr Cullen. Sie lieben also die Klaviermusik?“ Edward nickte aufgeregt „Ja, aber im Vergleich zu ihnen, ich….ich habe es mir ein wenig selbst beigebracht.“ Horowitz lächelte vielsagend „Wissen sie es gibt nur drei Sorten von Pianisten: jüdische, homosexuelle und schlechte. Zu welcher Gruppe möchten se gehören?“ Edward starrte ihn an und wir anderen brachen in schallendes Gelächter aus. Dann führte ihn der Meister zu seinem Flügel und bat ihn doch einmal für ihn zu spielen. Edward war aufgeregt und gehemmt und spielte eines seiner Lieblingsstücke: Claire de Lune. Es war holprig und, naja, alles andere als perfekt. „Das haben sie sich selbst beigebracht?“ Edward nickte beschämt. Horowitz setzte sich neben ihn, zeigte ihm eine bessere Handhaltung und lehrte ihn einige Feinheiten. „Ich sag ihnen was Herr Cullen. Üben sie weiter, und wenn sie es können, dann kommen sie wieder, und spielen mir noch mal vor. Ich glaube, es wird nicht sehr lange dauern. Wir haben hier eine gute Schule, da könnten sie es lernen.“ Auf dem Nachhauseweg war er wieder still und verschlossen, bis er sich abrupt zu mir umdrehte „Dad, ich möchte das gerne. Ich möchte lernen so zu spielen.“ Ich nickte „Dann sollten wir bald damit anfangen.“ Paul blieb in der Claremont Avenue vor einem Gebäude stehen. „Dann solltest du dich hier bewerben Edward. Das ist die Schule, die er meinte, die Julliard Foundation!“ Der fünfte Abend führte uns aus der Stadt zu einem befreundeten Zirkel von Paul. Sie waren ein wenig befremdet über unsere Ernährungsgewohnheiten und so mussten wir ihnen alles über uns erzählen. Der sechste Abend und die Nacht sollten eine besondere Herausforderung werden. Paul hatte mir gesagt, dass er jagen müsse und meinte uns täte es sicherlich auch gut. „Paul, ich habe nicht die Absicht…..“ „Musst du auch nicht. Glaubst du wirklich ich würde dich nötigen wollen? Keine Angst, der Tisch wird ganz nach eurem Geschmack gedeckt sein.“ Ich sah ihn argwöhnisch an, vertraute ihm aber. Als ich das große kupferfarbene Schild vor uns sah musste ich unwillkürlich lachen. „Der Bronx Zoo?“ Paul grinste breit und nickte. „Ihr stellt euch euer Menü zusammen und ich widme mich dem Wachpersonal. Heute ist ein Mann eingeteilt, der bekannt ist dafür sowohl Mensch als auch Tier gerne zu schikanieren. Eine Schickse, die hier als Putze arbeitet hat mir davon erzählt. Sie wären alle froh, wenn er verschwinden würde. Also, in dieser Nacht sollte ich ein gutes Werk tun.“ Er grinste breit und süffisant, wobei er sein makelloses Gebiss entblößte. Ich lief mit Edward zu den Raubtiergehegen und uns ein beschlossen uns ein Bengalisches Tigerpärchen zu teilen. Edward hatte bisher noch nie einen Tiger gejagt und sein anfänglicher Respekt vor diesen riesigen Tieren wich einer unvergleichlichen Jagdlust. Mit größtem Genuss saugten wir die Tiere aus und überließen uns vollkommen unseren Instinkten. Edwards nun strahlenden bernsteinfarbenen Augen leuchteten geradezu und er schwärmte mir in einer Flut von Lobesworten von seinen Empfindungen. „So etwas habe ich noch nie gespürt Dad. Dieses Blut war so anders, so mächtig, ich konnte gar nicht aufhören. Hmm, das war unvergleichlich, so wild und energiegeladen. Hast du gesehen, wie er sich gewehrt hat? Er hatte mich komplett umfangen, er wehrte sich richtig. Wie unglaublich muss es sein, so was in freier Wildbahn zu bekommen. Hmmmm! Du solltest das wirklich mal versuchen Paul. Das stand Menschenblut in Nichts nach.“ Paul warf ihm einen leicht angewiderten und höchst skeptischen Blick zu. „Lass mal Edward, ich bin mir sicher, dass dieses Viech nicht koscher ist. Derartiges Blut ist mir sicher verboten!“ Edward brüllte vor Lachen. „Du wählst deine Opfer danach aus, ob sie koscher sind? Das glaub ich jetzt nicht.“ Paul sah mich pikiert an. „Hör mal Carlisle, da bereitet man dem Jungvolk solche Wonnen, und wird unrespektierlich von ihm verlacht? Was glaubt er wer ich bin, ein Barbar ohne Moral und Werte? Hör zu junger Freund, natürlich achte ich nach wie vor die Grundregeln unseres Glaubens. Ich trinke in der Tat nur von koscheren Personen. Das bedeutet vorwiegend Männer, keine Farbigen und wenn Frauen, nur Jungfrauen oder unverheiratete“ Edward gluckste immer noch und beruhigte sich auch in der nächsten Stunde nicht wirklich. „Carlisle, ich möchte mich bei dir bedanken. Diese Reise ist alles andere als langweilig und dumm. Ich...ich denke ich schulde dir was.“ Edward hatte sich auf mein Bett gesetzt und sah mich unsicher an. „Du schuldest mir gar nichts Edward. Ich freue mich, wenn es dir bei Paul gefällt. Du scheinst dich etwas wohler zu fühlen. Edward ich wünsche mir nichts mehr, als dass du dich etwas besser in deine Existenz einfindest. Glaub mir, es ist nichts hoffnungslos und nur schlecht. Natürlich möchte ich nichts beschönigen, aber wir sind nun mal was wir sind. Lass uns das Beste darauf machen.“ Er nickte versonnen. „Es ist nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Ich glaubte, ich könnte meinen eigenen Weg finden. Ich hab es versucht Carlisle, aber .....“ Die letzten Worte hatte er nur geflüstert. „Ich lag so falsch Carlisle. Ich schäme mich so unsagbar, ich....“ Seine Stimme versagte und ein Schluchzen entwich seiner Kehle. Er drehte sich leicht zur Seite und barg sein Gesicht in eines der Kissen. Ich legte mein Buch weg und setzte mich zu ihm. Leise und vorsichtig rieb ich über seinen Kopf und versuchte seine wilden Haare zu ordnen. Sein Körper wurde von einem schmerzlichen Beben geschüttelt. Ich wollte ihm so gerne helfen, aber ich wusste, er konnte sich nur selbst verzeihen. Meine Versuche ihn zu trösten könnten ihn nur verhöhnen. „Ich glaubte ich wäre im Recht, wenn ich sie jagte. Die Mörder und Kinderschänder, die Vergewaltiger und Sadisten. Ich nahm mir das Recht sie auf brutale Weise umzubringen, ihnen Angst und Schmerz zuzufügen, so wie sie es bei ihren Opfern getan hatten. Dann manchmal trank ich ihr Blut und empfand eine ungeahnte Wonne darin mich daran zu berauschen.“ Er schluchzte und bebte erneut, unfähig weiter zu sprechen. „Ich .....ich wurde, was ich bekämpfen wollte. Nur schlimmer, so viel schlimmer, denn ich wurde zu dem was sie waren, obwohl ich es doch hätte besser wissen müssen. Ich habe mich hundertfach schuldig gemacht. Ich.....ich bin ein Monster, eine seelenlose Bestie. Ich habe kein Recht auf das Glück, dass ich mit dir in den letzen Tagen empfand. Ich fühle mich so unsäglich schuldig Carlisle.“ Wie verletzt, wie sensibel er doch war. Er hatte sich großen Schaden zugefügt und einmal mehr fragte ich mich, hätte er seinerzeit überlebt, wie hätte er den Krieg, in den es ihn voller Enthusiasmus drängte, erlebt. Hätte er ihn überleben können, und wenn hätten ihn die Schuldgefühle jemals losgelassen? Ich streichelte ihn verständnisvoll „Edward, wir alle müssen einen Weg finden mit uns und unserer Existenz in Einklang und Frieden leben zu können. Ich kann dir nur meine Hilfe anbieten und dir versichern, dass du meine volle Unterstützung und Liebe hast. Ich kann dir Möglichkeiten aufzeigen, aber du musst sie ergreifen. Du musst es wollen mein Junge.“ Langsam drehte er sich zu mir und seine großen nun gold erscheinenden Augen sahen mich traurig aber voller Vertrauen an. „Wie kannst du mir noch immer vertrauen, nachdem ich dich im Stich ließ und dich und deinen Weg verraten habe. Nachdem ich Esme, die mir eine Mutter sein wollte, eine Freundin, so verletzt habe? Ich verdiene das nicht.“ Ich lachte leise „Doch Edward, du verdienst es. Du verdienst noch so viel mehr. Vertrau mir, du wirst glücklich werden, und du hast es vielfach verdient. Solange wir in der Lage sind, das Richtige von dem Falschen zu unterscheiden, sind wir immer noch auf dem richtigen Weg. Jeder irrt und gerät auf Wege, die nicht die richtigen sind. Aber viele erkennen es nicht und kehren nie um. Du aber hast es erkannt, du bist umgekehrt und das macht mich sehr stolz. Edward vertraue dir, so wie Esme und ich dir vertrauen. Dann wirst du dir verzeihen können und neu anfangen. Mein Sohn, bitte bedenke, du bist nicht allein!“ Er richtete sich auf und fiel mir um den Hals. „Ich möchte es Dad, ich wünsche mir nichts sehnlicher. Ich verspreche dir, ich werde einen Weg für mich finden. Ich muss mir nur im Klaren darüber werden wo ich beginnen soll. Ich danke dir für dein Vertrauen und ich verspreche dir, ich werde dich nie wieder enttäuschen. Nie wieder!“ Er schluchzte erneut, aber jetzt war es ein befreites hoffnungsvolleres Schluchzen. Ich schloss meine Augen und versuchte ebenfalls diese Hoffnung in mir aufzusaugen, die Hoffnung, dass er sich fangen würde, dass er glücklich werden könnte. Hatte nicht ich es letztendlich verschuldet? Hatte nicht ich in meinem Egoismus nicht länger die Einsamkeit ertragen zu können, ihn zu dem gemacht, der er heute war. War es nicht meine Schuld, dass er vor zehn Jahren keine andere Möglichkeit sah als auszubrechen und sich all diese Wunden zuzuführen. Ich hatte mich mehr schuldig gemacht als er es jemals würde tun können. Ich hatte ihn auf dem Gewissen, und mit diesem Wissen musste ich alleine fertig werden. Ich streichelte ihm über seinen Kopf. „Ruh dich aus mein Junge, ich gehe davon aus, dass Paul uns in der kommenden Nacht nicht ruhen lässt und mit einer erneuten Möglichkeit des Müßigganges überrascht. Edward seufzte wohlig „Ich mag ihn. Er ist dir ein sehr guter Freund und – ja – ich mag ihn. Er ist witzig und charmant und so …ausgeglichen. Hier bei ihm scheint alles so natürlich und einfach. Es ist schön hier.“ Ich strich ihm über seinen Schopf und ging leise hinaus. Paul stand im Wohnzimmer vor einem Fenster und lächelte mir entgegen. „Das Eis hat einen Riss bekommen?“ Ich nickte „Ja, es ist sogar ein Stück aufgebrochen. Ich schulde dir was mein Freund.“ Er lachte „Unsinn. Er ist ein feiner Kerl dein Edward. Ich kann deine Sorge verstehen. Es wäre schade, wenn er sich verlieren würde. Außerdem genieße ich euren Besuch. Wie geht es deiner Esme?“ Er hatte mich nach Strich und Faden ausgefragt und ich hatte ihm von meinem kleinen Familienleben vorgeschwärmt. Von meiner Bindung an Esme, diesem Gefühl ihr absolut mit Haut und Haar ausgeliefert zu sein und dem tiefen Wissen, dies unglaublich zu genießen. Mit jedem Wort, jeder schwärmerischen Geste offenbarte ich ihm mehr, wie sehr ich sie liebte. Wie sehr ich mein Menschentheater genoss. Ich erklärte ihm wie mich mein Beruf ausfüllte, mit welcher Befriedigung und gleichzeitig Zuversicht ich den Beruf des Arztes ausübte. Ich erzählte ihm von meinen Gefühlen für Edward und dem eigentlich absurden aber so wunderschönen Gefühl ihm ein Vater sein zu dürfen. „Paul, dieses Leben ist alles, was ich mir je erhoffen, was ich je erwarten durfte. Ich bete dass ich es auch verdiene. Ich kann mir nicht vorstellen jemals wieder alleine sein zu können.“ Paul grinste „Du armer ausgelieferter Irrer. Aber ich glaube dein Naturell könnte niemals anders handeln. Ich freue mich für dich. Aufrichtig!“ Er zwinkerte in Richtung Tür und ich fuhr herum um in das bewegte, von tiefer Zuneigung und Bewunderung gezeichnete Gesicht von Edward zu sehen. „Ihr solltet euch fertig machen, die siebte Nacht erwartet uns! Wählt bequeme Sachen, heute wird es leger!“ Nach dem Ritual öffnete er die Tür zu seiner großen Dachterrasse und stellte eine Art Metallwanne auf, in der er mehrere Holzscheite zu einem Feuer entzündete. Dann bat er uns Sitzkissen mitzubringen und einige der Terrassenstühle um das Feuer zu gruppieren, während er schnell zurück in die Wohnung eilte. Als er zurückkam war er in Begleitung von 3 weiteren Vampiren, zwei Frauen und einem Mann. „Darf ich euch diese Freunde vorstellen? Dies sind Kathrina, Virgil und Annlouise. Wir treffen uns alle Monate um eine literarische Nacht zu verbringen. Also sollt ihr in den Genuss einer solchen kommen. Ziel und Aufgabe eines jeden ist es gekonnt, und mit schauspielerischem Geschick zu zitieren. Alleine oder mit einem anderen zusammen, Hauptsache die Zuschauer fühlen sich unterhalten. Es ist alles erlaubt, Klassiker oder Moderne – es kommt nur darauf an, sie flüssig und fesselnd vorzutragen.“ Edward sah mich überrascht an. Er las unglaublich viel und liebte alles was Klassiker waren. Ich hatte schon immer ein ausgesprochenes Faible für Kurzgeschichten und für Dickens – also sahen wir uns beide schmunzelnd der Aufgabe gewachsen. Kathrina lächelte uns zu, trat an das Feuer und erzählte plastisch und mit großer Spannung eine Kurzgeschichte von Kleist zum Besten. Virgil sprang auf und übernahm den Part des Marchesen, und starb schlussendlich qualvoll und herrlich schaurig gesprochen vor dem Feuer. Wir applaudierten und so jagte eine Geschichte die nächste. Ob schaurig schön, oder frivol und erotisch, ob komödiantisch und lustig oder einfach nur romantisch, die Geschichten rissen nicht ab und jeder war angespornt die anderen noch mehr in seinen Bann zu ziehen noch mehr zu fesseln. Edward erging sich in einer wunderbaren Deklamation von einer Geschichte von Poe, dem Untergang des Hauses Usher und mir liefen selbst Schauer des Gruselns den Rücken hinunter als Annlouise sich zu seiner Partnerin erhob und als blutüberströmte Mathilde erschien. Ich schüttelte mich über so viele unromantische Geschichten und begann teils störrisch teils aus Überzeugung mit meiner Interpretation von Charles Dickens Weihnachtsgeschichte. Grinsend übernahm Paul den Part des Scrooge, und gab ihm ein ganz ungewohnt komisches Gesicht. „Paul, du kannst Scrooge nicht jiddisch sprechen lassen?“ Paul quiekte „No, warum nicht. Benimmt er sich doch wie ein echter Jid!“ Er war unverbesserlich und die anderen lachten ausgelassen. Sie übernahmen die Geister und plötzlich waren alle Part dieser Geschichte und gleichzeitig wurden wir alle zu Zuhörern. Es war einfach wunderbar. Die Nacht floh vor dem Morgengrauen und plötzlich war es Mittag. Wir saßen immer noch auf der Terrasse und erzählten Geschichten. Edward strahlte mich selig an und auch ich wünschte mir dass wir einfach weitermachen würden, aber Paul unterbrach uns kurzerhand gegen 15 Uhr. „Die siebte Nacht ist definitiv vorbei, und ihr habt mich alle derart aufgehalten, dass ihr mir mit den Vorbereitungen für den letzten Abend, den eigentlichen Chanukka Abend helfen müsst.“ Virgil grinste „Wie immer Paul?“ Paul zwinkerte ihm zu „Selbstverständlich Virgil. Du weißt doch, wir Vampire mögen keine Veränderungen. Also halten wir an guten alten Traditionen fest.“ Sie lachten und gingen hinein, um das Wohnzimmer leer zu räumen, die angrenzenden Zimmer für die Nutzung durch viele Personen herzurichten und auf der Terrasse mehrere Tische aufzustellen, auf denen sie Sektschalen zu einer Pyramide auftürmten. Paul hatte mich gebeten zwischen fünf und sechs mit Edward spazieren zu gehen. Ich konnte mir bereits denken, warum er mich nicht im Haus haben wollte, denn es galt schließlich diese Sektschalen zu füllen. Wir spazierten zum East River und ließen die Lichter von Manhattan auf uns wirken. Als wir zurückkamen konnte ich den Geruch von frischem Blut bereits in der Eingangstür riechen. Edward sah mich unsicher an. „Wie ich ihn kenne Edward, wirst du heute an deiner ersten Vampirorgie teilnehmen. Dazu gehört natürlich auch Menschenblut. Wenn du es nicht erträgst dich zurückzuhalten. Ich würde es dir nicht verübeln, wenn du ein Glas trinkst. Sie werden heute keine Menschen hier töten, aber sie haben sich mit frischem Blut eingedeckt, welches über den Abend immer wieder ausgeschenkt wird.“ Edward schüttelte den Kopf „Nein, ich bin nicht durstig, und ich habe mir geschworen nie wieder Menschenblut zu trinken. Es ist in Ordnung. Was werden sie ansonsten tun?“ Ich lächelte „Singen, tanzen und ja, so sie Gefallen aneinander finden, werden sie sich auch sexuell näher kommen. Aber keine Angst, es wird dich niemand bedrängen und Paul mag es gar nicht, wenn es zu animalisch oder ausschweifend wird. Er liebt die vornehme Zurückhaltung, und schließlich ist er ja der Hausherr. Auf jeden Fall wird es eine rauschende Ballnacht!“ Um 19 Uhr versammelten wir uns mit einer gemischten Gruppe von ca. 35 Vampiren vor dem Leuchter und Edward zündete unter dem wohlwollenden Schmunzeln von Paul die letzte Lampe an. Paul stimmte zum letzten Mal die Segenswünsche an, die wir ihm folgsam nachsprachen. Barukh Atah Adonaj Elohejnu Melekh ha'Olam, ascher kideshanu beMizvothaw vezivanu lehadlik Ner shel Hanukah. Barukh Atah Adonaj Elohejnu Melekh ha'Olam, she'asah Nisim laAwothejnu baJamim hahem baSman haseh. Dann fielen sich alle der Reihe nach aufgekratzt um den Hals und wünschten sich ein fröhliches Chanukka. Es waren eine Vielzahl an interessanten Personen anwesend. Teilweise sehr alte versierte Vampire, aber auch einige junge, noch scheue Leute, die gespannt beobachteten, was nun passieren würde. Eine Gruppe von vier Leuten begann mit edler Salonmusik und bald drehten sich die sich immer wieder neu mischenden Paare zum Tanz. Edward war ein guter Tänzer und so bald begehrter Mittelpunkt bei den Damen. Wenn er auch anfänglich schüchtern und leicht verunsichert war, so gewann er doch mehr und mehr an Sicherheit und begann echten Spaß an der Tanzerei und dem Kontakt mit Gleichgesinnten zu haben. Ich beobachtete ihn voller Stolz und gleichzeitigem Staunen. Ich hatte ihn immer als Jungen gesehen und beobachtete nun, dass er tatsächlich reif genug war, ein Mann genannt zu werden. Keine der Damen hatte ein Interesse daran ihn zu etwas zu nötigen, denn sie hatten genügend willige und vor allem versierte Herren um sich herum. Aber diesen Jüngling und seine naive Höflichkeit zu genießen, dass machte ihnen allen Spaß. Ich wendete mich einigen mir bekannten Vampiren zu und tanzte mit den verschiedenen Damen in den Morgen. Am nächsten Tag begann ich mit Edward die Wohnung aufzuräumen. Paul hatte sich mit einer mehr als kurvigen und verführerischen Blonden in sein Schlafzimmer zurückgezogen und die leisen Geräusche ließen erahnen, dass er in den nächsten Stunden unabkömmlich sein würde. Als wir fertig waren, räumten wir unsere Zimmer und packten unsere Sachen. Unser Zug würde um 16.10 New York verlassen. Paul hatte uns ein Taxi vorbestellt, er empfand es als lächerlich dass wir bei unserer Ankunft gelaufen waren und verabschiedete sich gelöst und glücklich von uns. „Wenn ihr wollt, ihr seid mir auch im nächsten Jahr herzlich willkommen. Ebenso Esme Carlisle, ich würde sie gerne hier begrüßen.“ „Oder du besuchst uns an Weihnachten. Auch wir würden uns mehr als freuen.“ Er hatte uns umarmt und war augenzwinkernd zu seiner Muse zurückgekehrt. Esme hatte uns am Bahnhof abgeholt, da Tanja, Kate und Irina bereits am frühen Abend abgereist waren. Sie ließen uns grüßen, wollten aber nicht über Weihnachten bleiben, wie Esme mir augenzwinkernd erklärte. Sie hatte Edward lächelnd an sich gedrückt. „Willkommen zu Hause Edward, ich hoffe du hast die Reise doch noch genossen.“ Er hatte ihr überschwänglich von all unseren Erlebnissen erzählt und in schillernden Farben New York beschrieben. In den nächsten Tagen war Edward wie ausgewechselt, half Esme aufmerksam bei ihren Vorbereitungen, widmete sich seinen Klavierübungen und nahm zum ersten Mal seit seiner Rückkehr aktiv am Familienleben teil. Ja, das Eis war tatsächlich gebrochen. Der Weihnachtsabend kam und die beiden warteten auf mich, bis ich aus dem Krankenhaus zurück war. Der Weihnachtsbaum leuchtete geheimnisvoll und darunter lagen einige kleine Päckchen. „Frohe Weihnachten Liebling“ Esme gab mir einen schmalen Umschlag und lächelte mich geheimnisvoll an. Ich küsste sie und gab ihr mein Geschenk. Dann reichte ich Edward einen Umschlag und grinste ihn breit an. Er schenkte mir eine antiquarische Ausgabe von Dickens Weihnachtsgeschichte, reich illustriert und ich musste unwillkürlich lachen. „Ich möchte Euch noch etwas sagen, bitte.“ Ich zog Esme in meinen Arm und sah ihn erwartungsvoll an. „Also ich, ich möchte zur Schule gehen. Ich möchte lernen und studieren. Ich habe mich entschlossen dir zu folgen Carlisle. Ich möchte Arzt werden und meiner Existenz einen Sinn geben. Ich weiß es wird lange dauern, aber ich habe denke ich Zeit und ich …ich möchte es versuchen.“ Ich schüttelte ungläubig meinen Kopf „Edward, das ist …ein wunderbarer Entschluss. Ich werde dir so viel helfen, wie es in meiner Macht steht.“ Er hob die Hand und grinste „Lass mich ausreden. Ich möchte bitte Klavierstunden nehmen. Horowitz hat mir gezeigt, dass ich mir nicht alles selbst beibringen kann. Aber ich möchte besser werden, ich möchte so spielen können wie er, oder gar besser. Er soll wissen, das es eine vierte Art von Pianist gibt: einen Vampir.“ Ich lachte ausgelassen und drückte Esme an mich. „Ja und dann, ich hoffe du verstehst das nicht falsch. Meine Mutter hat dich gebeten für mich da zu sein Carlisle, aber sie fehlt mir nach all diesen Jahren. Ich brauche das, brauche diesen Gegensatz und ich hoffe es ist nicht zu vermessen, aber ich…ich möchte dich fragen, ob ich dich Mum nennen darf Esme?“ Mit einem gerührten und überraschten Schluchzen hatte sie ihn in ihre Arme geschlossen. Wir besuchten Paul noch einige Male, jedoch feierten wir nie wieder Chanukka miteinander. Paul wurde 1948 von den Volturi hingerichtet, da er sich und seine Art in den Kriegsjahren in Deutschland mehrfach offenbart hatte und auch nach dem Krieg seine Fähigkeiten dazu nutzte NS Verbrecher aufzuspüren und den Alliierten auszuliefern. Dabei achtete er unsere oberste Regel nicht länger und gab sich als Vampir zu erkennen. Er hatte gewusst, dass er sich damit Aros Todesurteil auslieferte und hatte es widerspruchslos hingenommen. Ein von ihm beauftragter Anwalt übersendete uns seinen persönlichen Nachlass. Seine komplette Büchersammlung für mich und die große neunarmigen Chanukkia aus Schmiedeeisern für Edward. Kapitel 16: Süße Weihnacht -------------------------- The story of the Fifteenth of December declares fate, but will they love each other or will they hate? Yay, heute bin ich mal wieder pünktlich! Ach, ich freu mich. Ich will auch gar nicht so lange reden.Genießt das Märchen, das auf einer Seite zwar bekannt, auf der anderen aber doch wieder etwas ganz anderes ist! ************************************************************************************* Süße Weihnacht by lebkuchenherz Renesmee erwachte unsanft aus ihren süßen Träumen, als ihr Wecker mit unermüdlicher Penetranz seiner alltäglichen Aufgabe nachging. Sie gab ihm einen sanften Klaps und streckte ihren Kopf unter der raschelnden Bettdecke hervor, um zu überprüfen, ob es auch wirklich sieben Uhr war. Wie auch schon die zweihundertdreiundvierzig Male davor hatte sich ihr Wecker nicht vertan und es war tatsächlich Zeit aufzustehen. Sie drehte sich noch einmal murrend zur Seite, um sich dann drei Minuten später erneut einen Ruck zu geben und ihre Beine über den Rand des Bettes zu strecken. Gähnend tapste sie ins Badezimmer und ging ihrer morgendlichen Routine nach, bevor sie etwas munterer in die Küche zurückkehrte und dort ihre schnurrende Mitbewohnerin begrüßte. Sie kraulte sie mit einem leisen „Guten Morgen, Bubbles“ hinter den Ohren und öffnete ihr eine Schale Katzenfutter. Während sich die grau getigerte Katze über ihr Frühstück hermachte, schaltete Renesmee das Radio an, kochte sich ihren Lieblingstee und machte es sich mit frischem Toast und selbstgemachter Marmelade an ihrem kleinen Küchentisch gemütlich. Sie lauschte den Nachrichten um halb acht und seufzte, als Seattles Wetterfee erneut einen grauen Regentag vorhersagte. Bei diesem schrecklichen Dezemberwetter war es verständlich, dass Renesmees Eltern ihre Weihnachten lieber gemeinsam auf einer kleinen Insel im atlantischen Ozean verbrachten. Sie wäre nur zu gerne mitgefahren, doch ihr Budget war zu knapp und sie wollte ihren Eltern auch gerne etwas Zeit für sich gönnen. Zudem fand sie, dass Seattles trister, von grauen Wolken verhangener Himmel immer noch mehr Weihnachtsstimmung verbreitete, als tropisches Klima und strahlender Sonnenschein. Und sie mochte Weihnachten nun eben einmal. Verträumt starrte Renesmee einige Löcher in die Luft, bevor ihr Blick die Uhr streifte und sie wieder zurück in die Realität gezogen wurde. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, wenn sie pünktlich um acht aus der Haustür gehen wollte. Also beeilte sie sich mit ihrem Frühstück, packte sich etwas zu Mittag ein und räumte provisorisch die kleine Küche auf, bevor sie sich ihren Mantel überzog und erwartungsvoll vor der Tür stand. Ein letzter Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass es genau drei Minuten vor acht war. Wenn sie jetzt noch etwas wartete, würde sich nicht nur ihre Wohnungstüre öffnen. Gespannt und mit einem Kribbeln im Bauch spähte sie durch ihren Türspion und zupfte ungeduldig an einer ihrer Locken. Und dann öffnete sie sich endlich, die Wohnungstür gegenüber, und ein junger Mann mit kohlrabenschwarzem Haar trat hinaus, um sich nach der Zeitung auf seiner Fußmatte zu bücken. Schon seit mehr als einem Jahr schmachtete sie Jacob Black hinterher, beobachtete ihn heimlich durch den Spion wie jetzt, oder traf sich fast zufällig mit ihm beim Bäcker eine Straßenecke weiter. Sie wusste, dass er in der Autowerkstatt am anderen Ende der Stadt arbeitete und nebenbei der alten Mrs. Smith, die einen Stock über ihnen wohnte, half und für sie einkaufen ging. Außerdem hatte er eine große Schwester, die ihn mindestens einmal in der Woche besuchen kam, und seine Vorliebe für italienisches Essen war ihr auch nicht entgangen, da man es oft im ganzen Treppenhaus riechen konnte, wenn er kochte. Sie hingegen mochte seine fröhliche Art und hatte sich bereits am ersten Tag in sein strahlendes Lächeln verliebt. Wie gern würde sie ihn richtig kennenlernen und mehr als nur ein paar Worte mit ihm wechseln, doch sie hatte noch nie den Mut dazu gehabt, ihn auf eine Tasse Tee oder Kaffee einzuladen. Und wenn sie diesen Moment verstreichen ließ, dann würde sie auch an diesem Tag die Chance verpassen, mit ihm zu reden. Also gab sie sich einen Ruck und drückte mit klopfenden Herzen die Türklinge herunter. Noch bevor sie diese ganz hinter sich schließen konnte, hatten ihre Augen bereits die des jungen Mannes getroffen und sie war leicht erstarrt. „Guten Morgen“, begrüßte er sie und das Kribbeln in ihrem Bauch, welches sie immer beschlich, wenn sie ihn sah, tauchte erneut auf. „Morgen“, antwortete sie ihm nervös und schimpfte sich im nächsten Moment dafür, dass sie kein ‚Guten‘ davor gehängt hatte. Würd es ihn nun kränken? Doch ihr Gegenüber lächelte sie herzerwärmend an, worauf sie ihr Fauxpas schon in der nächsten Sekunde vergessen hatte. „Hattest du ein schönes Wochenende?“, fragte er interessiert und sie schien für einen Moment vergessen zu haben, wie man sprach. „Ja“, antwortete sie, als es ihr wieder eingefallen war. „Es war sehr… angenehm.“ Sie sah in seine Augen und vergaß für einen Augenblick alles um sich herum. Er bedachte sie mit diesem Blick, den sie noch nie zu deuten wusste, bevor seine Augen von ihrem Gesicht glitten und auf ihre Füße starrten. „Deine Katze“, hauchte er und Renesmee wurde aus ihrer Träumerei gerissen. Sie atmete erschrocken ein und folgte seinem Blick. Und tatsächlich, Bubbles strich um ihre Füße und versuchte in das Treppenhaus zu gelangen. „Oh!“, entfuhr es ihr und sie bückte sich, um die kleine Ausreißerin an ihrem Fluchtversuch zu hindern. Diese antworte ihr mit einem enttäuschten Maunzen, bevor sie wieder zurück in die Wohnung gesetzt wurde und Renesmee die Türe nun gänzlich schloss. „Sie ist wohl etwas aufgeregt, weil bald Weihnachten ist“, murmelte sie peinlich berührt, als sie bemerkte, dass er sie immer noch beobachtete. „Freut sie sich?“ „Ich denke schon. Es ist ihr erstes Weihnachten.“ „Und du? Wirst du es auswärts feiern?“, erkundigte er sich, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Nein, ich werde auch hier sein. Meine Eltern fahren über die Festtage in Urlaub“, antwortete Renesmee ehrlich. „Oh, wohin fahren sie denn?“ „Auf eine Insel kurz vor Rio de Janeiro.“ „Ich hätte nun eher vermutet, dass sie Ski fahren gehen“, lachte Jacob und Renesmee senkte mit leicht geröteten Wangen ihren Kopf. „Sie sind eben Weihnachtsmuffel“, murmelte sie fast entschuldigend, was ihn zum glucksen brachte. „Und du wolltest nicht mit?“ „Schon, aber ich bekam nicht frei. Und außerdem mag ich Weihnachten.“ Ein verlegenes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie wieder zu ihm hoch sah. Er lächelte immer noch und Renesmee fühlte, wie ihre Beine weich wurden. Einen kurzen Moment sahen sich die beiden stumm an, versanken in ihren Gedanken, bis Jacob schließlich den Mund öffnete, um ihr etwas zu erwidern. Renesmee ließ es allerdings nicht geschehen, denn ihr war schlagartig wieder eingefallen, dass sie zur Arbeit musste und schon jetzt zu spät war. Sie unterbrach ihn, ehe er einen Ton sagen konnte und entschuldigte sich mit einem letzten Blick auf ihre Armbanduhr. „Ich muss leider los. Wir sehen uns.“ Dann lächelte sie ihm noch einmal zu und verließ daraufhin das Stockwerk. Seinen enttäuschten Blick bemerkte sie schon gar nicht mehr. Erst zwei Blocks weiter fiel ihr auf, wie kalt es wirklich war und sie zog ihren Schal enger. Dann vergrub sie ihre eisigen Finger in den Manteltaschen und dachte betrübt über das kurze Treffen nach. Lieber hätte sie noch etwas länger mit ihm gesprochen, doch meist hatten sie dazu keine Zeit oder Renesmee zog sich vor Nervosität zurück. Seine Anwesenheit verursachte ein Kribbeln in ihrer Magengegend, manchmal spürte sie es auch in ihren Zehenspitzen, und meist verflüchtigten sich dann ihre Gedanken, weswegen sie befürchtete, Unsinn zu reden. Sie empfand es in solchen Momenten als klüger, sich von ihm zu verabschieden, um nichts Unüberlegtes zu sagen. Nun klangen die Nachwirkungen dieses Kribbelns allmählich wieder ab und die Kälte schlich sich untere ihre Kleidung, weswegen sie sich beeilte und ihren Gang beschleunigte. Einige Minuten später kam sie dann endlich an und betrat mit rosigen Wangen die Praxis, in der sie arbeitete. Ihre beste Freundin Claire war schon da und legte provisorisch einige Ordner zurecht, die am Vortag wohl auf ihrem Empfangstisch liegen geblieben waren. „Guten Morgen, Nessie!“, rief sie fröhlich und ließ besagte Ordner an Ort und Stelle liegen, um zu ihrer Freundin zu gehen. Die beiden umarmten sich und Renesmee erwiderte den Morgengruß. „Es ist kalt geworden, findest du nicht? Vielleicht bekommen wir dieses Jahr doch weiße Weihnachten“, setzte Claire an, während Renesmee ihren Mantel an die Garderobe hängte. „Ja, ich würde es mir wirklich wünschen“, antwortete sie leise und wandte sich zu ihrer dunkelhaarigen Freundin. Diese musterte sie prüfend, bevor ihre Augen ganz groß wurden und ihr ein Lächeln über das Gesicht huschte. „Du hast ihn wieder getroffen, richtig?“, schlussfolgerte sie und Renesmee nickte ertappt. „Was hat er gesagt? Hast du ihn endlich eingeladen oder er dich?“, setzte sie ihren Fragenkatalog fort, doch Renesmee ließ den Kopf hängen. „Wir haben nur ein bisschen über Weihnachten geredet und Bubbles an einem Fluchtversuch gehindert.“ „Mehr nicht?“ Sie schüttelte resigniert den Kopf und Claire seufzte. „Wann willst du endlich den ersten Schritt wagen? Wie lange bist du nun schon hinter ihm her?“ „Ich bin nicht hinter ihm her… ich mag ihn nur…“, murmelte Renesmee leise und ging an ihrer besten Freundin vorbei, um mit der Arbeit anzufangen. „Nur ist gut!“, entgegnete ihr Claire und folgte ihr nach hinten. „Renesmee, das Jahr ist fast rum. Du hast versprochen, dass du ihn noch vor Weihnachten einlädst.“ „Es ergab sich eben noch nicht der richtige Moment“, verteidigte sie sich, aber Claire schnaubte nur. „Es gab mindestens schon hundert richtige Momente. Aber weder du noch er haben sie bis jetzt wahrgenommen.“ Sie warf ihre Hände verärgert in die Luft und Renesmee zog seufzend ihren weißen Kittel an. „Und wenn er mich nicht mag?“ „Rede keinen Unsinn. Hast du ihm gesagt, dass du Weihnachten alleine bist?“ Sie stoppte in ihrer Bewegung und starrte Claire an. „Ja, habe ich“, bemerkte sie leise und dachte wieder über seinen Gesichtsausdruck nach. Hatte er erfreut gewirkt? „Wenn er klug ist, lädt er dich ein!“, beschloss Claire und Renesmee schmunzelte. „Wenn nicht, dann musst du herausfinden, was er Weihnachten macht!“ Sie sah ihre Freundin entschlossen an, aber Renesmee zog nur skeptisch eine Augenbraue nach oben. „Und wie soll ich das Anstellen?“ Claire schüttelte seufzend ihren Kopf. „Du hast bis jetzt fast alles über ihn herausgefunden. Da wird diese Information doch wohl einfach zu beschaffen sein.“ Renesmees Wangen erröteten und Claire legte ihr mitfühlend eine Hand auf die Schulter. „Ich bin mir aber sicher, dass Jacob dich zuerst einlädt.“ Eine Woche später Seufzend blickte Jacob auf seine Armbanduhr. Es war schon kurz nach sechs, hätte sie nicht schon längst hier vorbeikommen müssen? Schon zum dritten Tag in Folge streunte er durch Renesmees Lieblingsladen in der Hoffnung, dass er ihr hier zufällig über den Weg laufen könnte. Kurz hielt er am Süßigkeitenregal und zog eine Packung seiner Lieblingskekse, die Sorte aus Schokolade und mit Streuseln, heraus. Brot und Spaghetti brauchte er auch noch, aber damit wollte er sich Zeit lassen. Lieber hob er seinen Kopf und spähte zwischen den Regalen hindurch zur Eingangstür. Draußen gingen einige beschäftigte Menschen vorbei, doch dazwischen war kein Mädchen mit rostroten Locken. Er fluchte in Gedanken und schimpfte sich dafür, dass er vor mehr als einer Woche nicht einfach die Chance ergriffen hatte. Er hätte ihr nachrufen sollen oder nachrennen, hätte sie sofort einladen sollen, ihr sagen sollen, wie sehr er sie mochte, dass sie schon seit fast einem Jahr das Mädchen war, dass ihn immer wieder in seinen Träumen besuchte, dass er mit ihr zusammen sein wolle, aber natürlich hatte er sich nicht getraut, und ehe ihm dieser Fehler überhaupt bewusst geworden war, war Renesmee schon über alle Berge gewesen. Seitdem hatte er sie nur zweimal kurz getroffen und an beiden Malen hatte sie es eilig gehabt. Allein ihr trauriger Blick hatte ihn trösten können, denn der hatte ihm Hoffnung gemacht. Vielleicht fand sie es auch schade, dass sie sich nicht öfter trafen. Jacob ging seufzend eine Regalreihe weiter und tat, als würde er nach einer bestimmten Soße suchen. Dabei glitt sein Blick fast automatisch auf die Uhr und er biss sich auf die Lippe. Sie hatte mittlerweile schon seit einer Viertelstunde Feierabend und der Laden lag auf ihrem Nachhauseweg. Sie hätte hier vorbei kommen müssen. Frustriert ließ er den Kopf sinken und schlenderte zu den Teigwaren. Sollte er noch zur Wäscherei fahren? Oder wäre es klüger, sich Rachels Hund auszuleihen, damit er sie direkt in der Praxis besuchen konnte? Oder er würde sich endlich durchringen und an ihrer Tür klingeln. Schon mehr als einmal hatte er vor dieser gestanden, doch im letzten Moment hatte ihn jedes Mal die Angst gepackt. Er wusste nicht, was in solchen Momenten mit ihm los war, denn er hatte eigentlich noch nie Probleme gehabt, Mädchen anzusprechen. Aber bei ihr war alles anders. Die Naturgesetzte schienen außer Kraft gesetzt zu werden, wenn er sie sah. Er fühlte sich fast schwerelos, konnte nur noch lächeln und alles andere war unwichtig. Dann sah er nur sie, bis ihm einfiel, dass er irgendetwas falsch machen konnte. Und ab diesem Gedankengang beschlich ihn für gewöhnlich die Panik. Lieber würde er sie ein Leben lang nur auf dem Flur antreffen und ein paar Worte wechseln, statt etwas Falsches zu tun und sie vielleicht für immer zu verärgern. „Jacob?“ Eine sanfte Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er drehte sich langsam um. Da stand sie, mit leicht von der Kälte geröteten Wangen und einem überraschten Gesichtsausdruck. Ihre roten Locken fielen über ihren dunklen Mantel und schienen zu leuchten. Er wollte diese Haare berühren, wollte fühlen, wie weich sie waren, doch er riss sich in letzter Sekunde noch einmal zusammen. „Hey, Renesmee“, hauchte er. „Was machst du hier?“ Sie sah ihn etwas verwundert an, bevor sie mit einem Lächeln antwortete. „Vermutlich das gleiche wie du.“ Er brauchte einige Sekunden, bis er ihre Worte verstand. Sie meinte wohl einkaufen, denn sonst hätte er sie schon viel früher bemerkt. „Ja, natürlich“, lachte er und sie machte einen Schritt auf ihn zu, um in das Regal hinter ihm zu greifen. So nah war sie ihm noch nie gewesen. Er roch ihr leichtes Parfum und erkannte sogar Sommersprossen unter ihren roten Wangen. Hatte sie schon immer so zerbrechlich ausgesehen? „Bist du zu Fuß hier?“, erkundigte er sich weiter, um das Gespräch am Laufen zu halten. Sie blickte auf und sah ihm direkt in die Augen. Er hatte sich immer noch nicht bewegt und sie stand nun direkt vor ihm, das Backpulver aus dem Regal noch in der Hand. Er müsste sich nur nach unten beugen und könnte sie küssen. „Ja. Ich hab es ja nicht weit.“ Er nickte leicht. „Wenn du möchtest, kann ich dich mit nach Hause nehmen. Mein Auto steht vor der Tür.“ Ihre Augen strahlten, als sie leicht zustimmte. „Das wäre wirklich nett.“ Er lächelte sie an und einen Moment blieben sie noch an Ort und Stelle stehen, bevor ihnen einfiel, dass sie ja eigentlich einkaufen wollten. Gemeinsam schlenderten sie zum nächsten Regal und Jacob fragte nach Renesmees Tag. Sie lachte leise auf, bevor sie antwortete, und er genoss es, ihrer Stimme zu lauschen. So schlängelten sie sich durch den Supermarkt bis zu den Kassen und sprachen über Belanglosigkeiten, das Wetter und schließlich über Weihnachten. „Hast du jemanden eingeladen?“ Jacob musterte Renesmee genau, um ihre Reaktion richtig abschätzen zu können. Diese schüttelte den Kopf, bevor sie zu einer Antwort ansetzte. „Nein. Meine Familie wohnt zu weit weg. Es ist zu teuer, weswegen wir uns für gewöhnlich bei meinen Eltern treffen. Aber dieses Jahr…“ „…sind sie im Urlaub“, beendete Jacob ihren Satz. „Also bist du ganz alleine?“ „Ja. Es ist das erste Weihnachten, dass ich alleine verbringe.“ Sie lächelte leicht und legte schließlich ihre Sachen auf das Band an der Kasse. Während sie nach ihrer Geldbörse kramte, atmete Jacob tief durch und setzte endlich zu der alles entscheidenden Frage an. „Wenn du möchtest, könnten wir Weihnachten gemeinsam alleine feiern. Ich werde auch zu Hause sein.“ Renesmee drehte sich zu ihm um und sah ihn ungläubig an, worauf sich sein Magen verkrampfte. „Und deine Schwester? Kommt sie nicht?“, fragte sie mit rauer Stimme. Jacob legte den Kopf schief. Woher wusste sie, dass er eine Schwester hatte? Soweit er sich erinnern konnte, hatte er es nie erwähnt. „Sie feiert bei sich zu Hause mit ihrem Mann und den Kindern.“ „Oh“, entfuhr es Renesmee und bevor sie noch etwas sagen konnte, wandte sich die Frau hinter der Kasse an sie und erinnerte sie daran, dass sie ihre Lebensmittel bezahlen musste. Renesmee wartete, bis auch Jacob seine Kekse bezahlt hatte - das Brot und die Spaghetti hatte er völlig vergessen - und gemeinsam gingen sie schließlich zu seinem Auto. „Gerne“, sagte sie, als sie dieses erreicht hatten, worauf Jacob sie verwundert musterte, bis ihm einfiel, dass sie ihm noch gar nicht geantwortet hatte. „Wirklich?“, hakte er unsicher nach. „Wenn ich dir damit keine Umstände mache.“ „Natürlich tust du das nicht.“ Er konnte seine Augen nicht mehr von ihrem Gesicht abwenden, so glücklich war er. „Soll ich etwas mitbringen? Ich kann einen Auflauf machen“, setzte sie nach einer kurzen Pause ein und rüttelte Jacob so wieder wach. „Nein. Du bist eingeladen. Ich werde mich schon um alles kümmern. Deine Aufgabe besteht darin, heil über den Flur zu kommen.“ Er lächelte sie an und bewunderte die Schönheit ihrer von der Kälte rot gefärbten Wangen. Er dachte nicht daran, dass sie auch aus anderen Gründen rot sein könnten. Heilig Abend Es hatte am Morgen zu schneien angefangen, was Renesmees Stimmung nur noch mehr gehoben hatte. Weiße Weihnachten hatte es schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Der Schnee konnte also nur Gutes verheißen. Fast eine Stunde lang hatte sie an ihrem Wohnzimmerfenster gesessen, - eine heiße Tasse Schokolade in der Hand und fest eingewickelt in ihre Lieblingsdecke -, und dabei zugesehen, wie die tanzenden Flocken allmählich das graue Seattle eingehüllt hatten. So wäre sie auch sicher noch etwas länger sitzen geblieben, doch ihre Gedanken waren zu Jacob getrieben und ihrer inneren Ruhe musste steigende Nervosität Platz machen. Es waren nur noch wenige Stunden, bis sie zu ihm hinüber gehen würde, und das Flattern in ihrem Magen hatte bereits jetzt schon seine höchste Stufe erreicht. Zudem machte sie sich Sorgen. Was würde passieren, wenn sie etwas Falsches sagte oder tat? Würde Jacob sie hinauswerfen oder nie wieder mit ihr reden? Immer wieder versuchte sie ihre Ängste zu verdrängen und rief sich Claires Worte in den Kopf. Ihre Freundin hatte ihr vor einigen Tagen noch Mut zu gesprochen und über Renesmees Kummer die Augen verdreht. „Du brauchst dir darüber keine Gedanken zu machen. Ich bin mir sicher, dass du in seiner Gegenwart nichts Falsches tun kannst. Und nun hör auf, dir Sorgen zu machen und freu dich lieber“, hatte sie überzeugend gesagt und dann „Weißt du schon, was du anziehen wirst?“, gefragt, bevor sie Renesmees Kleiderschrank analysierte und ihr einige Stücke daraus wärmstens empfohlen hatte. Renesmee hatte daraufhin schmunzeln müssen und ihrer Freundin beigepflichtet. Sie übertrieb wirklich und Claire hatte Recht. Sie musste es einfach haben, da sie in solchen Sachen schon viel erfahrener war. Dennoch verflüchtigten sich die Zweifel nie ganz und tauchten immer wieder auf. Seufzend erhob sich Renesmee aus ihrem warmen Sessel und brachte ihre Tasse in die Küche. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und entschied, dass es Zeit war, sich langsam vorzubereiten. Also nahm sie ein ausgiebiges Bad, was den positiven Nebeneffekt hatte, dass sie entspannte, und ließ sich viel Zeit beim fertig machen. Um halb sechs war sie dann mit sich, ihren Haaren und ihrem Outfit zufrieden und begab sich zurück in ihre Küche, wo sie Bubbels ein Schälchen Katzenfutter öffnete. „Benimm dich heute Abend“, verlangte sie von ihr und streichelte ihr ein letztes Mal über den zarten Kopf, bevor sie den mit Schokoplätzchen gefüllten Teller vom Küschentisch nahm und die Wohnung verließ. Vor Jacobs Wohnungstür hielt sie noch einen kurzen Moment inne und atmete tief durch. Ihr lang gehegter Wunsch war endlich in Erfüllung gegangen und gleich würde sie ein Date mit ihm haben. Um ihrer Nervosität nicht noch mehr Zeit zum aufkeimen zu geben, klopfte sie schnell an die Tür und hoffte inständig, dass er es gehört hatte. Einige Sekunden später öffnete sich diese schließlich und das Lächeln ihres Gegenübers brachte ihr Herz zum Rasen. „Hey“, begrüßte er sie fröhlich und Renesmee konnte nicht verhindern, dass sich ihre Wangen rot färbten. „Hallo“, hauchte sie und er lächelte. Einige Sekunden sahen sie sich verträumt an, bis Jacob die Stille brach. „Ähm, komm doch rein.“ Er trat einen Schritt zur Seite und ließ Renesmee durch. „Du bist etwas früh, das Essen ist noch gar nicht fertig“, setzte er nach, während er Renesmee sachte durch den Flur schob. „Ist das schlimm?“, fragte diese erschrocken, doch er schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, du kannst dich ja solange ins Wohnzimmer setzten. Möchtest du etwas trinken? Ich habe sogar Wein besorgt.“ Er ließ Renesmee in eben diesem stehen und ging weiter zur Küche, die nur durch einen Tresen vom Rest des Zimmers getrennt war. Renesmee nickte abwesend und sah sich um. Jacobs Wohnung war etwas größer als ihre eigene, aber dieser hier dennoch sehr ähnlich. Genau wie ihre war seine mit völlig unterschiedlichen und gar nicht zusammenpassend scheinenden Möbeln bestückt. Dennoch bildete alles zusammen ein sehr harmonisches Bild und sie fühlte sich sofort wohl in dem bunten Durcheinander. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Appartements war der, dass Renesmees eher in einem romantisch-femininen Stil gehalten war und Jacobs eher praktisch-maskulin wirkte. Sie musste über diese Tatsache lächeln. Sie setzte sich auf das mit Decken dekorierte Sofa und beobachtete Jacob, der in der Küche werkelte. Erst jetzt fiel ihr auch der verführerische Duft des Essens auf, der aus dieser Richtung wehte. Jacob kam nur einen Moment später mit zwei gefüllten Weingläsern zur ihr zurück und reichte ihr eines. „Ich hoffe du magst Rotwein“, fügte er noch hinzu, bevor sie lächelnd anstießen und die Gläser zu ihren Mündern hoben. „Er ist gut“, kommentierte Renesmee ihren Schluck und stellte das Glas vor sich auf den Wohnzimmertisch. „Rachel hat ihn mir empfohlen. Ich kenne mich mit Weinen eigentlich gar nicht aus“, erwiderte Jacob peinlich berührt. „Das macht nichts.“ Sie lächelte ihm zu und er schien erleichtert. „Ich hab dir etwas mitgebracht“, fuhr sie dann weiter und reichte Jacob den Teller, den sie zwischenzeitlich auf den Tisch gestellt hatte. „Das hättest du nicht tun müssen“, erwiderte er geschockt, doch Renesmee schüttelte überzeugt den Kopf. „Dafür dass du dir heute Abend so viel Mühe gibst, hast du es verdient. Außerdem sind es nur ein paar Plätzchen.“ Sie lächelte ihm auffordernd zu und er nahm den Teller entgegen. „Sind das Schokoplätzchen mit Streuseln?“, fragte er leise, als er das Gebäck auf den bunten Teller näher betrachtet hatte. Renesmee nickte daraufhin und erwiderte: „Ich hab gesehen, dass du Schokokekse mit Streuseln magst und dachte mir, dass du diese Plätzchen vielleicht lieben würdest. Es ist mein eigenes Rezept.“ Jacob sah sie überrascht an und schienen einen Moment sprachlos zu sein. „Danke“, antwortete er schließlich und Renesmee seufzte erleichtert. „Ich… sehe dann mal nach dem Essen“, fügte er hinzu und verschwand in der kleinen Küche. „Sind deine Eltern gut auf ihrer Insel angekommen?“, erkundigte er sich nach einer Minute, während er sich an seinem Ofen zu schaffen machte und Renesmee erhob sich lächelnd vom Sofa. „Ja, sie sind vor ein paar Tagen gut angekommen. Das Wetter muss herrlich sein.“ Jacob lachte leise und dekorierte die Teller vor ihm mit einem Stück Fleisch, Ofenkartoffeln und Gemüse. Renesmee stand nun vor dem kleinen Tresen, der den großen Raum in zwei kleine teilte, und beobachtete ihn dabei. „Ich hoffe, du magst Lammkeule?“ Renesmee nickte. „Gut, aber erwarte nicht zu viel. Ich bin kein Meisterkoch.“ „Das ist nicht schlimm.“ Sie lächelte ihm aufrichtig zu und er erwiderte es strahlend. „Schön.“ Dann gab er den Tellern noch den letzten Schliff und zwinkerte Renesmee zu. „Wenn sich die Dame nun an den Tisch begeben möchte.“ Diese kicherte und wandte sich zu dem gedeckten Tisch, der hinter ihr stand. Sobald sie saß, stellte Jacob ihren Teller vor ihr ab und setzte sich ihr gegenüber. „Guten Appetit!“, wünschte er und Renesmee erwiderte es. Die beiden aßen einige Minuten stumm und nur das Kratzen des Bestecks auf den Tellern sowie die leise Musik, die im Hintergrund lief, durchbrachen die Stille. „Also ich finde, du kochst sehr gut“, sagte Renesmee schließlich und Jacobs Wangen färbten sich etwas dunkler. „Danke. Schön das es dir schmeckt“, erwiderte er verlegen, bevor er sich räusperte. „Aber nun erzähl doch mal. Was machen deine Eltern an Weihnachten auf einer Insel im Atlantik?“ Damit setzte er der Stille ein Ende und Renesmee berichtete lachend, wie ihre Eltern auf diese glorreiche Idee gekommen waren. „Eigentlich sind sie keine richtigen Weihnachtsmuffel. Sie wollten in diesem Jahr nur etwas Besonderes machen und da ich sowieso kein Geld gehabt hätte, um nach Hause zu fahren, haben sie sich für eine Reise entschieden. Dass sie damit gleichzeitig dem ganzen Weihnachtsrummel entgehen konnten, war eher ein Bonus.“ Jacob lachte. „Ich bin mir sicher, dass sie da unten nichts an Weihnachten erinnern wird.“ „Mag sein, aber ganz vergessen werden sie es auch nicht.“ Die beiden lächelten sich zu und Jacob führte das Gespräch in neue Richtungen. Renesmee empfand es als ein Leichtes, ihm zuzuhören und mit ihm zu reden. Jacob schien ein Naturtalent darin zu sein und sie ärgerte sich ein wenig darüber, dass sie sich am Anfang so viel Sorgen gemacht hatte. Doch diesen Gedanken schob sie schnell zur Seite und lauschte Jacobs Geschichten, während sie ihr Essen genoss. Die Teller der beiden, sowie ihre Weingläser leerten sich zusehends und über ihr Gespräch hinaus vergaßen sie fast die Zeit, bis Jacob einfiel, dass es eigentlich noch Nachtisch geben sollte. „Oh, den hätte ich fast ganz vergessen. Setzt dich schon einmal aufs Sofa. Ich hol ihn nur schnell.“ Er zwinkerte Renesmee zu, bevor diese sich erhob und auf dem Sofa Platz nahm, wo ihr Jacobs Weihnachtsbaum, der in der Ecke des Raumes stand, ins Auge fiel. „Ich mag deinen Weihnachtsbaum“, rief sie ihm zu und bewunderte die bunten Kugeln, die zwischen glitzerndem Lametta in den Zweigen hingen. „Wirklich? Rachel bestand darauf, dass ich mir einen in die Wohnung stelle. Sie meinte, dass es Pflicht sei, wo ich doch dieses Jahr nicht mit der Familie Weihnachten feiere.“ Renesmees Kopf ruckte in seine Richtung und sie sah ihn geschockt an. „Sag jetzt nicht, dass du deiner Familie wegen mir abgesagt hast“, hauchte sie erschrocken und Jacob erstarrte in seiner Bewegung. „Ähm… nicht ganz. Ich… ähm… fahre morgen zu ihnen“, stotterte er schuldbewusst und stellte die beiden Gläser, die er gerade aus dem Kühlschrank geholt hatte, auf seine Küchenzeile. „Nur… als du mir erzählt hast, dass du Weihnachten alleine wärst, da wollte ich es lieber mit dir feiern“, nuschelte er mit gesenktem Kopf und Renesmees Herz setzte für einen Moment aus, bevor es seine Arbeit doppelt so schnell wie gewöhnlich fortsetzte. „Das hättest du nicht tun brauchen“, antwortete sie leise, worauf Jacob hochsah. „Sie hatten nichts dagegen, als ich es ihnen erzählt habe.“ „Du scheinst eine sehr nette Familie zu haben.“ Jacob lächelte und kam mit dem Dessert zu ihr. „Sei mir bitte nicht böse“, bat er, als er ihr eines der großen, mit Kirschen, Lebkuchen und Sahne gefüllten Gläser reichte. „Das bin ich nicht“, antwortete sie mit einem Lächeln. „Nur hättest du deine Familie wegen mir nicht alleine lassen müssen.“ „Ich mag dich eben“, gab er leise zu und nahm neben ihr Platz. Renesmee wurde ganz warm bei diesen Worten, auch wenn sie befürchtete, sich verhört zu haben. Ein Schwall flatternder Schmetterlinge tauchte in ihren Bauch auf und sie machte sich Sorgen, ob sie mit diesen noch dazu in der Lage war, Jacobs lecker aussehenden Nachtisch zu essen. „Ich muss leider gestehen, dass Rachel das Kirsch-Lebkuchen-Dessert für mich gemacht hat. Ich hätte es sicher nicht so gut hinbekommen“, unterbrach dieser jedoch ihre Gedanken und zuckte leicht mit den Schultern. „Du magst doch Kirschen, nicht?“ Renesmee schien erst jetzt wieder bemerkt zu haben, dass er auch noch da war und nickte eifrig. „Ja, ich mag sie sehr gerne. Aber sie sind im Winter schwer zu bekommen.“ Jacob nickte leicht und wandte sich dann stumm seinem Dessert zu. Auch Renesmee hob ihren Löffel, um ihn dann in die oberste Sahneschicht eintauchen zu lassen. Als sie ihn zu ihrem Mund führte und schließlich den würzigen Geschmack von Weihnachten, untermalt von saftigen Kirschen auf ihrer Zunge spürte, glaubte sie, vergehen zu müssen. „Gott, das ist... unglaublich“, hauchte sie und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. „Schmeckt es dir?“ „Schmecken? Ich würde mich am liebsten hineinsetzen“, seufzte sie und nahm noch einen Löffel. Erst als sie die Augen wieder öffnete, wurde ihr bewusst, dass Jacob sie beobachtete. „Das freut mich. Ich habe es extra für dich ausgesucht.“ Sie sah ihn überrascht an, worauf er seinen Blick peinlich berührt wieder abwandte und sich seinen Löffel in den Mund steckte. Renesmee schaute ihm einige Sekunden lang zu, bevor sie sich mit klopfendem Herzen näher zu ihm lehnte und auf ihren Schoß starrte. „Ich finde es sehr nett von dir, dass du dir wegen mir so viel Mühe machst.“ Der junge Mann neben ihr hob leicht den Kopf und sie konnte erkennen, dass er lächelte. Stumm aßen beide die großen Gläser leer und lauschten den leisen Weihnachtsliedern im Hintergrund. Vor dem Wohnzimmerfenster tanzten die Schneeflocken im Schein einer Straßenlaterne zu eben diesen, als würden sie die weihnachtliche Szene noch zusätzlich unterstreichen wollen. Renesmee seufzte, als sie ihr leeres Glas auf dem kleinen Tisch vor ihnen abstellte. „Sag deiner Schwester, dass sie meine neue Heldin ist“, flüsterte sie zufrieden und legte dabei eine Hand auf ihren Bauch. „Das war der beste Weihnachtsnachtisch, den ich je gegessen habe.“ „Ja, sie hat sich mal wieder selbst übertroffen“, erwiderte Jacob und sah verträumt den Schneeflocken beim Tanzen zu. „Möchtest du noch etwas trinken?“ „Im Moment nicht, danke.“ „Dann werde ich hier mal etwas Ordnung schaffen.“ Er erhob sich und griff nach den beiden Gläsern. „Lass mich dir bitte helfen“, bat Renesmee und erhob sich ebenfalls. „Nein, ich…“, setzte er an, aber sie unterbrach ihn prompt. „Bitte. Du hast heute Abend schon so viel für mich getan.“ Er musterte sie einen Moment, ließ sich aber schließlich dennoch von ihrem flehenden Blick überzeugen. „Okay“, gab er nach und Renesmee nahm ihm lächelnd die Gläser ab. Sie trug diese in die Küche und stellte sie in die Spüle, bevor sie herumwirbelte und mit Jacob zusammenstieß. Vor Schreck hielt sie sich an diesem fest, doch Jacob hatte sie noch im letzten Moment auffangen können. Renesmee brauchte einen Moment, um die Lage ihrer Situation zu erfassen und als ihr bewusst wurde, in wessen Armen sie sich gerade befand, drückte sie ihr Gesicht in Jacobs Pullover, um ihre roten Wangen zu verstecken. „Ist dir etwas passiert?“, fragte dieser atemlos aber sie schüttelte den Kopf. Sie holte tief Luft, atmete den herben Geruch von ihm ein und bekam daraufhin weiche Knie. Nur langsam löste sie sich von ihm und sah hoch zu seinem Gesicht. „Tut mir leid. Ich bin so furchtbar… tollpatschig“, hauchte sie, doch dann vergaß sie, was passiert war und ihr Blick blieb an Jacobs Augen hängen. Nur langsam glitt er von seinen dunklen Iriden hinab zu seinen Lippen und in diesem Moment schrie alles in ihr danach, von diesen geküsst zu werden. Doch sie bewegte sich nicht, ließ ihre Augen erneut nach oben gleiten und sah schließlich, was über Jacobs Kopf an der Zimmerdecke hing. „Ein Mistelzweig“, entfuhr es ihr leise. „Hmm“, war alles, was er antworten konnte, bevor er seinen Kopf senkte und sie küsste. Die Schmetterlinge, die sich vor einigen Sekunden noch in Renesmees Bauch befunden hatten, explodierten blitzartig und hinterließen ein warmes Kribbeln, das sich allmählich durch ihren ganzen Körper zog. Sie merkte nicht, dass sie ihre Arme enger um Jacob schlang, verlor das Zeitgefühl und vergaß sogar, wo sie sich befand. Alles schien egal geworden zu sein, nur noch sie und er schienen zu existieren, mehr brauchte es nicht, um die Erde zum Drehen zu bringen. Nach einer kleinen, doch viel zu kurzen Ewigkeit löste Jacob den Kuss und Renesmee lehnte zufrieden seufzend ihre Stirn an seine Brust. Sie hörte sein Herz schlagen und fühlte, wie er ihr sachte über den Rücken strich. „Renesmee“, hauchte er. „Ich…“ Er holte noch einmal tief Luft und räusperte sich. „Ich bin in dich verliebt.“ Renesmee hob den Kopf und sah ihn mit einem leichten Lächeln an. „Das macht nichts. Ich auch in dich.“ Jacobs Gesichtszüge entglitten ihm, doch dann fasste er sich wieder, strahlte und wirbelte Renesmee im Kreis herum, bevor er sie erneut in einen liebevollen Kuss zog. Am nächsten Morgen An diesem Morgen wurde Jacob nicht, wie sonst üblich, von seinem Wecker geweckt. Kein schrilles Klingeln riss ihn aus seinen süßen Träumen und holte ihn in die bittere Realität zurück. Nein, an diesem Morgen erwachte er, weil sich die kleine, warme Person, die sich fest an ihn geschmiegt hatte, bewegte. Er schlug seine Augen auf und lächelte, als er die rostbraunen Locken neben seinem Gesicht entdeckte. Sie waren wirklich so weich, wie er vermutet hatte, doch nun verdeckten sie ihm die Sicht auf Renesmees Antlitz, was ihm gar nicht gefiel. Er zog seinen freien Arm unter der Decke hervor und strich die wilden Locken zur Seite. Renesmee seufzte, als eine ihre Nase streifte, gähnte und öffnete schließlich blinzelnd ihre Augenlider. „Guten Morgen“, flüsterte sie und er lächelte sie glücklich an. „Morgen.“ Vorsichtig beugte er sich zu ihr und küsste sie. Sie seufzte traurig, als er sich wieder von ihr löste. „Hast du gut geschlafen?“, erkundigte er sich und Renesmee schloss kurz ihre Augen. „Wie im Himmel“, antwortete sie schließlich und Jacobs Herz schwoll an vor Glück. „Ich auch“, erwiderte er leise, worauf sie sich noch enger an ihn kuschelte. Während er mit eine ihrer Locken spielte und glücklich zur Decke sah, rief er sich den vergangen Abend in Erinnerung. Sein sehnlichster Wunsch hatte sich erfüllt, das Mädchen, das er schon seit mehr als einem Jahr liebte, erwiderte seine Gefühle. Konnte es ein wundervolleres Weihnachtsgeschenk geben? Jacob war sich sicher, dieses Weihnachtsfest war das schönste, das er je erlebt hatte. „Renesmee?“, flüsterte er und diese drehte sich in seinen Armen. „Frohe Weihnachten!“ Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Frohe Weihnachten“, entgegnete sie ihm, bevor sich ihre Lippen erneut fanden. Kapitel 17: Ein stacheliges Weihnachtsproblem --------------------------------------------- On the Sixteenth of December’s morning you might end up with a grinning. Obwohl ich selbst die Geschichte noch nicht gelesen habe, klingt der Titel doch schon sehr danach. Und wenn ich hinterher eure Reviews lese, dann werde ich bestimmt wissen, ob ich recht hatte :‘] So please, enjoy! ******************************************************************************** A/N des Authors: Hallo. Ich möchte mich an dieser Stelle zum einen entschuldigen, da das Märchen nicht so geworden ist, wie es werden sollte. Aber mein PC war abgfestürzt und somit konnte ich alles nochmal neu schreiben und hatte 3,5 Stunden Zeit dafür. Deshalb werde cih es nochmal überarbeiten und den Schluss neu formulieren, wo dann auch mehr auf den Titel eingegangen wird. Und an dieser Stelle dennoch: Viel Spaß! ******************************************************************************** Ein stacheliges Weihnachtsproblem by Catherine In der letzten Minute war sein Blick wiederholt von den Aktenbergen auf seinem Schreibtisch zur Uhr hinüber geglitten. Es schien ihm, als bewege sich der Zeiger kaum von der Stelle. Doch so sehr er sich auch auf seinen Feierabend und den damit verbundenen Urlaub freute, würde daraus zumindest so lange nichts werden, bis er jede einzelne Akte bearbeitet haben würde, die sich seit Wochen auf seinem Schreibtisch angesammelt hatten. Seufzend nahm er die ernüchternde Erkenntnis hin und machte sich weiter ans Werk. Nur noch dieser Stapel, nicht mehr viel und du hast Urlaub! Also komm schon, streng dich an!, spornte sich Edward Cullen, ein ehrgeiziger junger Mann, mittezwanzig und schon jetzt Besitzer einer großen Firma, an. Woraufhin er sich den silbernen und ziemlich schweren Kugelschreiber in die Hand nahm. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er die Gravur auf dem teuren Stift zum gefühlten tausendsten Male las- Du und ich, für immer unzertrennbar. Sehnsüchtig erinnerte er sich daran, wie er ihr das erste Mal begegnet war. Jedes Mal, wenn er diesen Stift ansah, erschienen ihm Bilder der schönsten Frau auf Gottes Erdboden im Kopf, zumindest empfand er ihren Anblick so. Immer wieder gerne erinnerte er sich zudem an das Kennenlernen mit seiner Bella, denn es war außergewöhnlicher als er es sich je in seinem vorherigen Leben hätte vorstellen können. Das mochte nun alles ziemlich schnulzig klingen, jedoch konnte man es einfach nicht anders sagen, denn Edward war schlichtweg...verliebt. Einfach nur verliebt, vom ersten Tage an, wo er sich seinen Gefühlen bewusst geworden war, bis jetzt, hatte sich nichts an seinen Emotionen geändert. Immer noch voller Intensität war da bloß...vollkommene Liebe. Damals war es ein regnerischer Tag gewesen und Edwards zwei besten Freunde, Jasper Hale und Emmett McCarty, hatten den damals noch das College besuchenden dazu überredet in die Imbissbude um die Ecke zu gehen, um sich einen Snack zu besorgen. Edward war noch nie zuvor in seinem Leben in einem derart dreckigen, schmutzigen und nur so von Bazillen verseuchtem, voller Salmonellen infiziertem möchtegern Restaurant gewesen, so, wie er es zu dem damaligen Zeitpunkt genannt hatte. Denn der Junge aus reichem Elternhaus war schon immer besseres gewöhnt gewesen, hatte sich nie um Geld Sorgen machen müssen und war in allerlei Hinsichten von seinen Eltern unterstützt worden. Ob es nun der Klavierunterricht oder das Studium war, aber auch spezielle Wünsche mitten im Jahr waren ihm kaum verwehrt worden. Seine Mutter, Esme, hatte einfach nie nein sagen können, wenn Mister Cullen sie mit seinen außergewöhnlichen, grünen Augen groß angeschaut hatte. Denn er war ihr einziger Sohn gewesen, ihr erstes Kind hatte die arme Frau durch eine Fehlgeburt verloren. Und ihre Jugend hatte auch nicht wirklich rosig ausgesehen. Heute wusste Edward, dass er die gutmütige Art seiner Mutter oftmals missbraucht hatte, besonders in seiner Zeit als 'kleiner Rebell'. Und heute tat es dem Mann mit den bronzefarbenen Haaren und dem gutmütigen Wesen leid, wie er früher zu seinen Mitmenschen gewesen war. Er selbst wusste, dass er alles, das gesamte Leben, nie wirklich geschätzt hatte und immer nur genommen, aber nie gegeben hatte. Er selbst sah sich heute, wenn er daran zurückdachte, selbst als kleiner, verwöhnter Junge ohne jegliches Mitgefühl für seine Mitmenschen. Das Ganze hatte sich dann erst geändert, als die Eltern von Edward Cullen bei einem Banküberfall ums Leben gekommen waren. Von jetzt auf gleich war er auf sich gestellt gewesen und da er zu dem Zeitpunkt des schrecklichen Ereignisses, wo Carlisle und Esme Cullen niedergeschossen worden waren und an den schweren Verletzungen starben, gerade 17 Jahre alt gewesen war, so hatte er noch einen Vormund gebraucht. Und dann war plötzlich ein ihm unbekannter Onkel aus der Versenkung getreten, der Bruder seines Vaters, von dem er aber nie wirklich etwas gehört hatte. Der Mann hatte ein wenig widerwillig den Jugendlichen zu sich geholt, worauf aber beide keine wirkliche Lust gehabt hatten, da sie sich ja noch nicht einmal annähernd kannten. Der besagte Bruder Aro war nämlich schon immer ein Mensch gewesen, welcher lieber allein gelebt hatte, jedoch war es sozusagen seine Pflicht gewesen Edward zu sich zu holen, zudem er zu dem Zeitpunkt die Firma seines Bruders übernehmen musste und den Neffen 'einarbeiten', da er gewusst hatte, dass er selber nicht mehr lange auf Gottes Erdboden verweilen würde. Ein tückischer Hirntumor hatte sich in seinen Kopf gefressen und lag an einer sehr ungünstigen Stelle, wo die Ärzte hatten nicht schneiden können. Wegen der Firma hatten er und sein Bruder Carlisle sich vor Jahren in die Haare bekommen, da der Vater dem vorbildlichen Sohn die Firma hatte zukommen lassen, anstatt ihm, obwohl er der Ältere der Geschwister gewesen war. Und noch bis zu seinem Tod war Aro der festen Überzeugung gewesen, dass die Eltern den Bruder mit den blonden Engelshaaren und den besten Noten lieber gemocht hatten als ihn. Aro war nicht unbedingt schlecht gewesen, aber der Unterschied zwischen den beiden, wie sie vom Aussehen unterschiedlicher nicht hatten sein können, hatte zum einen darin bestanden, dass es in den Augen von Aro für den Bruder immer einfacher im Leben gekommen war als für ihn. Carlisle hatte in der Schule und selbst auf dem College immer weniger machen müssen als er, während er sich in das Studium gekniet und wirklich alles gemacht hatte um den Eltern zu gefallen, sie stolz zu machen, so hatte der Bruder oftmals frei und Zeit für andere Dinge im Leben gehabt. Sich nicht anstrengen müssen, um ein Lob des Vaters oder ein warmherziges Lächeln der Mutter zu bekommen. Man mochte nun meinen Aro sei der Arme und der gewesen, mit dem man Mitleid haben sollte und Carlisle der mit dem einfachen Leben, der immer klar kam. Aber dem war nicht so; wahrlich hatte letzterer es ein wenig einfacherer schon gehabt, aber er hatte etwas ganz besonderes, was sein Bruder nie gehabt hatte, nämlich ein reines Herz. Nie hatte er anderen etwas Schlechtes gegönnt und seine Frau hatte er auch nie angelogen oder gar betrogen. Aro hingegen hatte immer nur Vorteile für sich selbst heraus gezogen und war vom Egoismus immer geprägt worden, was nach der Sache mit der Firma noch schlimmer geworden war. Ein düsterer, egoistischer Mann, welcher einsam und zurückgezogen gelebt hatte, bis zu seinem Ende hin, denn auch als sein Neffe Edward bei ihm gewesen war, so war sein Leben nicht unbedingt freundlicher geworden. Er hatte nach dem Tod seines Bruders und dessen Frau die gesamte Firma geerbt, so lange, bis Edward volljährig geworden wäre. Aber das hatte dem Mann nichts gebracht, rein gar nichts. Nur noch mehr Last, wenn man von seinem Standpunkt aus ging. In der Gegenwart schüttelte Edward gerade lächelnd seinen Kopf und setzte den Kugelschreiber an das weiße Papier an. Ja wahrlich, der Tod seiner Eltern hatte so einiges in ihm bewegt und ihm sogar in gewisser Hinsicht die Augen geöffnet- zumindest zum Teil. Im Inneren. Aber nach außen hin war da noch immer der verwöhnte Sohn gewesen, bis zu dem Tage, als auch sein Onkel (welchen er trotz dessen, dass dieser ein komischer Mensch gewesen war dennoch lieb gewonnen hatte) den Erdboden verlassen und in das Reich des Todes hinabgestiegen war. Er hatte von allein begriffen, dass er etwas hatte ändern müssen. Und dann, wenige Wochen nach der Beerdigung des Onkels, so hatten ihn seine Freunde eben in diese Imbissbude geschleppt, wo es dann mit einem Mal um ihn geschehen war. Sie hatte dort gestanden, als Aushilfe an der Theke und mit funkelnden Augen hatte Edward sie beobachtet, sich jede ihrer Bewegungen eingeprägt und wie fröhlich sie doch an diesem stinkenden Ort gewesen war, das hatte ihn irgendwie fasziniert. Als die junge Frau dann an den Tisch der drei Junggesellen gekommen war, hatte ihr Blick auf dem jungen Kerl mit den bronzefarbenen Haaren gehaftet, der der Meinung des Mädchens nach mit seinem schicken Anzug rein gar nicht ins Bild passte; er erschien ihr viel zu nobel für so ein Fast-Food-Restaurant. Und so hatte alles begonnen...ein neuer Lebensabschnitt für Edward und auch ein neuer für die junge Frau, Bella. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht ihr Herz zu erobern und auch sie war angetan gewesen von ihrem gegenüber. Ohne das Wissen seiner Freunde war Mister Cullen immer mal wieder in den Imbiss gekommen und hatte irgendwann auch angefangen mit ihr zu sprechen und schon bald war es zu einem Ritual geworden, dass er jeden Mittag von Punkt 12 bis genau 13 Uhr bei Bella war, nur um einfach ihre Nähe zu wissen und dem, dass es dem- in seinen Augen- liebreizenden Wesen auch gut ging. Irgendwann hatten sich Beide außerhalb der Spezialisten für Pommes und Hamburger getroffen, waren immer öfter zusammen ausgegangen und in ihnen reifte die Flamme der Liebe. Aber das war nicht nur irgendeine Flamme, nein, das war ein riesengroßes Feuer, wie Edward es beschreiben würde und schon allein tausend Worte genügten ihm nicht um das zu beschreiben, was er seiner Bella gegenüber empfand. Das ist einfach nicht in Worte zu fassen., seufzte er oftmals, wenn er seiner Traumfrau gegenüber saß oder sie woanders bei beobachtete, denn für ihn war sie das perfekte Glück; andersherum war es nicht anders. Und auch noch heute, Jahre später, so spielten die Hormone oftmals bei beiden verrückt, fuhren eine wilde und unberechenbare Achterbahnfahrt. Während Mister Cullen gewissenhaft und mit einem Ziel vor Augen arbeitete, so war seine Liebste derzeit mit ihrer besten Freundin mitten auf dem Highway. Die beiden jungen Frauen hatten Glück, dass die Straßen geräumt waren und es aufgehört hatte zu schneien. Schon seit Wochen lagen hier in Illinois die Temperaturen immerzu im Minusbereich und Frau Holle schüttelte Tag für Tag immer besonders gründlich ihre Betten aus. Isabella Swan hatte beide Hände am Steuer und fuhr vorsichtig über den Highway, ihre Freundin neben sich plapperte derweil munter weiter. Die Straßen waren ungewöhnlich leer, was einen aber auch nicht zu wundern vermochte, denn viele Menschen gingen bei solch einem Wetter nur ungern vor die Türe. Nun kam die Frage auf, was die beiden überhaupt bei der Kälte und eingepackt in zwei Schals so wie Handschuhen und dicken Mützen eigentlich hier, mitten in der Pampa wollten. Man musste dazu sagen, dass das weihnachtliche Fest nicht mehr weit entfernt war, wobei Isabella dann mitten beim Fahren, einfach so einfiel, dass sie noch rein gar keine Geschenke hatte! Weder für ihre Eltern, welche am ersten Weihnachtstag zu Besuch kommen und auch etwas bleiben würden, noch für Edward oder den kleinen Zwerg neben sich. Nun, was Miss Swan auch noch fehlte war ein wichtiges Detail. Etwas, dass Pflicht an den Festtagen im Haus war, nämlich ein Weihnachtsbaum. Und Alice, die kleine Person auf dem Beifahrersitz, hatte sofort zugesagt, wo Bella ihr von dem Plan einen zusammen zu besorgen vorgeschlagen hatte. Immerhin würde Alice- wie früher auch schon- an Heiligabend für ein paar Stunden zu Bella und Edward kommen, da sie selber ja doch niemanden hatte, wo sie hingehen konnte. Und dass Alice Brandon den Abend allein verbringen sollte, das gefiel Bella ganz und gar nicht. Ihren Freund, den sie über alles liebte und mit dem sie sich auch eine gemeinsame Zukunft vorstellen konnte, machte dies grundsätzlich nichts aus, denn er mochte den Gartenzwerg, wie er sie heimlich manchmal nannte doch im Grunde sehr gerne. Bei Alice war es zudem der Fall, dass sie keine Familie mehr besaß; ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben und ihr Vater wenige Jahre später, er war starker Alkoholiker gewesen. Sie wusste nur noch von einer Tante, welche aber vor rund zehn Jahren nach Frankreich gegangen war und dort ihres Wissens nach geblieben war. „Hach Bella, ist das nicht schön?!“ „Was denn Alice?“, seufzte die Angesprochene, lenkte ihren Blick jedoch nicht von der Fahrbahn ab. „Hach, das gesamte Ambiente, der Schnee, die Weihnachtsstimmung...“ Bella überlegte; also wenn sie ehrlich war, dann störte der Schnee sie mehr oder weniger, besonders wenn es dann auch noch fror und die Straßen spiegelglatt waren. Und dann fragte sie sich: Welche Weihnachtsstimmung eigentlich?! Denn wenn die junge Frau ehrlich war, dann musste sie zugeben, dass sie dieses Jahr so rein gar nicht in Stimmung kommen mochte. Rein gar nicht. Na ja, vielleicht sorgt der geschmückte Baum im Wohnzimmer ja dann doch noch für weihnachtliche Stimmung. „Hallo?! Redest du nicht mehr mit mir?!“, fragte die kleine Alice Brandon empört und stemmte die Hände in die Hüften, um Isabella einen scher wütenden Blick zukommen zu lassen. „Doch doch, natürlich! Du hast recht!“, pflichtete Bella ihrer Freundin schnell bei. „Sag ich ja!“, nickte Alice stolz und wand ihre Augen wieder der vorbeiziehenden Landschaft zu. Es vergingen einige Minuten des Schweigens, während das Auto weiterhin brav über die Straße tuckerte. „Sag mal Bells, bist du dir auch wirklich sicher, dass es hier ist?“, meldete sich Alice wieder zu Wort und schaute leicht misstrauisch aus dem Fenster, „Es MUSS hier irgendwo sein, die Frau am Telefon sagte mir, dass es nicht einfach zu finden und das Schild für die Einfahrt ziemlich klein und verschmutzt sei, weswegen die Suche nicht einfach werden könnte.“ „Ehm...entschuldige, aber bei der Beschreibung haben wir uns trotzdem in die Karre gesetzt und sind los gefahren?!“ „Ich weiß, dass es ein bisschen merkwürdig klingt, aber die haben die besten Tannenbäume in der gesamten Gegend!“ Alice verdrehte nur leicht genervt die Augen, sagte aber nichts weiter. In manchen Beziehungen, so fand sie, war Bella einfach nur merkwürdig, genau so wie in dieser. Denn immerhin konnte man auch woanders nette und recht hübsche Tannenbäume bekommen, wo man nicht so weit fahren musste. Die Dame am Steuer war aber ganz anderer Meinung als die Freundin, denn sie wollte unbedingt DORTHIN; zwar kosteten die Bäume dort im Schnitt fünf Dollar mehr, aber dafür hatte sie auch was von dem harmonischen Anblick in ihrem Wohnzimmer, wie sie es in Gedanken immer betonte. Und so wie sie in Gedanken versunken war, verpasste sie auch beinahe die Einfahrt- aber eben nur beinahe. Das braune Holzschild mit einem Pfeil in den kleinen, vollkommen verschneiten Feldweg zeigend war vollkommen mit Schnee bedeckt und es schien als würde es jeden Moment unter der Last zusammenbrechen. Isabella trat mit voller Wucht und zum Entsetzen von Alice auf das Gaspedal, sodass der Wagen ein Stück weit schlitterte, sich halb um die eigene Achse dreht und dann seitwärts auf der Fahrbahn stehen blieb. Die Frau auf dem Beifahrersitz war nicht mehr weit entfernt davon einen Herzinfarkt erleiden zu müssen und hielt sich krampfhaft an dem Sicherheitsgurt fest. Zudem schickte sie ein Stoßgebet gen Himmel. Bella hingegen blieb relativ ruhig in der Situation, hatte immerzu ihr Ziel vor Augen und einen fest entschlossenen Ausdruck in ihren ihnen. Als der Wagen stand, war es für wenige Sekunden totenstill im Raum. Swan bemerkte gerade was eigentlich passiert war und Brandon realisierte ihr schlagendes Herz. Wahrlich...ich lebe noch!, keuchte sie überrascht in Gedanken auf und faste an ihre Brust. Wahrlich...es schlägt noch! Wir sind nicht tot...sie hat uns nicht umgebracht. Die Fahrerin blinzelte und runzelte die Stirn, nahm die Hände vom Steuer und starrte diese ungläubig an. Also...wäre hier jetzt ein Graben gewesen, hätte ich uns umgebracht! Und das nur wegen diesem...Baum!, stellte sie fest und schüttelte ihren Kopf einmal, wobei ihre braunen Locken um das schmale Gesicht wirbelten. „Sag mal...bist du von allen guten Geistern verlassen worden?!“, keuchte die kleine Elfe, war aber noch nicht in der Lage zu schreien oder wirklich einen vorwurfsvollen Ton an den Tag zu legen. „Ja, schaut so aus.“, murmelte die Angesprochene, während ihr Kopf das Geschehene erneut abspielte. Ihr wurde klar, dass sie sich gerade ziemlich unangemessen verhalten hatte und ihr war auch klar, dass das nicht hätte sein müssen, denn immerhin hätte sie- wenn sie die Einfahrt tatsächlich verpasst hätte- auch an einer geeigneten Stelle umkehren können. Aber es war einfach aus dem Reflex heraus passiert; ob Swan daran nun Schuld war, war objektiv zu betrachten, immerhin hatte ihr Körper im Affekt gehandelt und ihr Hirn zu lange gebraucht um einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Denn das Denken hatte erst wieder vollkommen eingesetzt, als der Wagen bereits zum Stehen gekommen war. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“ „Nein...sorry, das...es war ein Reflex.“, murmelte Bella und tat wieder beide Hände ans Steuer, tief durchatmend. „Ehm...bist du dir sicher, dass du weiter fährst? Immerhin möchte ich noch lebend nach Hause kommen und vor allem auch älter als 23 werden!“ „Ist schon gut, Alice! Ich werde besser aufpassen, versprochen.“, versuchte die Frau zu lächeln, ehe sie es dann doch aufgab und wieder ihren Fuß auf das Gaspedal drückte. Jetzt tuckerte der schwarze Wagen langsam über die weiße Masse und direkt in den Feldweg hinein, wo es zu dem Weihnachtsbaumverkauf gehen sollte. Nach einer schleichenden Fahrt über den Schnee, erstreckte sich vor ihnen ein Parkplatz, welcher zur Hälfte gefüllt war. Und dahinter, wenige Meter entfernt, ein Wald. „Und wo ist der Verkaufsstand für die Bäume?“, fragte Alice, als sie dann schließlich etwas sah, was ihre Augen groß werden ließ. Da waren tatsächlich Menschen, welche mit Äxten direkt in den Wald liefen. Und tatsächlich; Miss Swan hatte sich nicht richtig erkundigt, zwar wurden hier zweifelsfrei Bäume verkauft, was aber nicht erwähnt worden war, war folgendes: man musste sich die Bäume selber schlagen. Es arbeiteten natürlich Leute vor Ort, die den Kunden zur Hand gingen und selbstverständlich das Geld einkassierten. Bellas Augen suchte derweil die Gegend ab, direkt auf Alice' Frage bezogen, denn auch sie fragte sich, wo man die Bäume kaufen sollte. Bis ihr dann ein großes Schild ins Auge fiel: Die besten Bäume selber schlagen! Bereiten sie sich und ihrer Familie ein naturbezogenes Erlebnis und schlagen sie ihre Weihnachtsbäume selbst! Ein unglaubliches Erlebnis zu einem unglaublichen Preis! „Mist.“, zischte Bella und hielt abrupt an. Ihre Freundin hatte das Schild mittlerweile ebenfalls entdeckt und stützte den Kopf in ihre Hände. „Na super! Heißt das, wir sind jetzt umsonst hierher gefahren?!“ „Nein Alice, das sind wir nicht!“ Mit neu gefasstem Mut und Willen setzte Isabella Swan sich aufrecht hin und fuhr ihren Wagen an, um auf den Parkplatz mehr oder weniger zu schlittern. Alice runzelte fragend die sonst so glatte Stirn. „Und wie willst du das bitteschön machen?!“ „Na, wie alle anderen auch- wir fällen einfach einen Baum, so schwer wird das schon nicht sein.“ Im Kopf der 24-Jährigen waren jedoch auch Bedenken, die sie aber nicht so offenkundig preis geben wollte. Sie hatte ebenso wenig Ahnung vom Bäume fällen wie eine Kuh vom Sonntag, aber andererseits war die junge Frau fest entschlossen sich genau an diesem Ort einen Baum zu holen. Und wer weiß- vielleicht konnten sie und Alice sogar noch was draus lernen und wussten, woher der gute Baum kam. Sprich sie versuchte die Situation ins Positive zu wenden. „Ach nein?! Hast du schon jemals in deinem Leben einen Baum gefällt? Ich nicht.“ „Ich auch nicht, aber so was wird man sicherlich lernen können...denke ich.“ „Aber selbstverständlich! Und wie lange willst du hier bleiben?! Bis Heiligabend oder was?!“ „Ganz ruhig, Alice! Das wird schon klappen, vertrau mir einfach!“ „Ehm, ich glaube, dass ich dich daran erinnern sollte, wo du genau das auch gesagt hast! Und was war im Endeffekt?! Wir haben uns verfahren und sind im anderen Staat gelandet, nur zu deiner Erinnerung! Und dann hatte Edward uns abholen müssen, zusammen mit seinem Freund, diesem Jasper, weil wir wegen leerem Tank liegen geblieben sind! Begeistert waren die Beiden zumindest nicht!“ Bella verdrehte die Augen, während die neben einem kleinen Ford KA zum stehen kam und den Motor ausstellte. „Ja, stimmt, aber das war doch eine ganz andere Situation! Wir schaffen das zusammen, du weißt, ich brauche dich doch dabei, allein werde ich wohl kaum die richtige Größe für den Baum finden können.“ Alice fühlte sich auf einer Seite geschmeichelt von dem indirekten Lob ihrer Freundin und dennoch war es ihr nicht geheuer durch den Schnee zu stiefeln und dann irgendwo einen Baum zu fällen. Die beiden Frauen kannten sich gut und waren schon seid circa acht Jahren beste Freundinnen. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie sich oftmals einig in ihren Meinungen waren, denn das war hier rein gar nicht der Fall. „Okay okay.“, murmelte Alice. „Wenn du mir garantierst, dass ich nicht von einem Baum erschlagen werde, mach ich gerne mit.“ „Danke Ally!“ „Ich heiße ALICE!“, knurrte die kleine Person, was Isabella bloß schmunzeln ließ. Aber es ärgerte Alice schon immer wieder aufs Neue, wenn jemand sie Ally nannte. Das war immerhin ein vollkommen anderer Name und hatte mit ihrem richtigen nicht wirklich was am Hut, zumal ihre Tante in Mississippi so hieß und in den Erinnerungen von Miss Brandon bloß als dicke, aufgedunsene Frau mit einer Törtchensucht wieder zu finden war. „Weiß ich doch.“, zwinkerte Bella und trat aus dem Auto, direkt in die eisige Kälte hinaus. Beide knallten anschließend die Türen des Autos zu und traten mit leicht klappernden Kiefern zueinander. „Fein Bella. Und wo bekommen wir jetzt eine Axt her?“ „Pff...keine Ahnung. Komm einfach mit, wir fragen irgendjemanden.“ Und schon wurde Brandon an der Jacke gepackt und mitgezogen. Beide Frauen stiefelten so erst einmal durch den Schnee, beide in dicke Wintersachen gemummelt und mit wasserdichten Schneestiefeln am Leib. Es dauerte einige Zeit, bis beide die Grenze des kleinen Tannenwaldes erreicht hatten. Man konnte von hier aus bereits ein Hämmern hören, es waren die Leute die bereits einen Baum gefunden hatten und fleißig mit ihren Äxten zu Gange waren. Die Freundinnen schauten sich zunächst ein wenig hilflos um, Alice dachte schon daran wirklich nach Hause zurück zu fahren und Bella machte sich dann doch Sorge darum, keinen wirklich ihren Wünschen entsprechenden Baum zu finden. Minuten vergingen, ehe ein Mann mittleren Alters auf die beiden zukam. „Kann ich den zwei hübschen Ladys behilflich sein?“, fragte er freundlich und lächelte ein breites und leicht übertrieben aussehendes Lächeln. „Ehm...ja, wir suchen einen Baum und haben noch nie einen Baum gefällt und...ja...“ „Kein Problem, Rettung naht! Ich bin Mike Newton und werde euch bei allem helfen, wo ihr Hilfe braucht.“, grinste der Mann von 40 Jahren breit und fixierte hauptsächlich Bella, mit ihren geröteten Wangen und den großen Rehaugen. Bedacht unauffällig überflog er die zierliche Figur der jungen Dame, woraufhin sich sein linker Mundwinkel nach oben verzog. Mike mochte junge Frauen, immerhin fühlte er sich selber noch sehr jung, zudem war er seiner eigenen Meinung nach nicht unattraktiv. Newton ging voran und die beiden Frauen folgten ihm, denn auch wenn er beiden ein wenig seltsam erschien, so waren sie doch dankbar für jede Hilfe, die sie bekommen konnten. „Nun, für wen...ist der Baum für beide oder wie ist das bei euch geregelt?“ Ja, richtig erkannt, Mister Newton machte sich nicht viel aus Formalitäten, junge Kundinnen duzte er immer. „Der ist für meine Freundin Bella, ich bin nur dabei um ihn mit auszusuchen.“, antwortete Alice auf die Frage des Mannes, welcher Miss Swan dann doch ein wenig zu nah auf die Pelle rückte, woraufhin diese einen großen Schritt nach rechts auswich, direkt neben ihre Freundin. „Dann nehme ich an, dass du Bella bist? Sehr schön. Dann gehen wir noch ein Stück und du kannst dich in Ruhe umsehen, sag Bescheid, welchen Baum du haben magst!“ „Ehm...egal welchen?“ „Genau, egal welchen.“ Ihr altes Ziel wieder vor Augen, so streifte das Trio durch den Wald und Alice meinte nach einer guten Stunde ihre Zehen würden einfrieren. Aber Bella hatte bis jetzt nicht einen einzigen Baum gefunden, der ihr wirklich gefallen hatte, die Freundin hingegen wäre schon vor 45 Minuten fertig gewesen. Und um ehrlich zu sein, so stand diese auch beinahe vor einem Ausraster, denn alles was sie vorschlug war Bella nicht gut genug, zudem war ihr dieser mysteriöse Kerl nicht wirklich geheuer. „DA! Der da...der ist es!“, kreischte Bella plötzlich auf und ein glückseliges Glitzern fuhr in ihre Augen, während sich ihre Lippen zu einem zufriedenen Lächeln verzogen. Mike musste bei diesem Anblick hart schlucken; eine lächelnde, attraktive, junge Frau mit geröteten Wangen, welche die gesamte Zeit vor ihm gelaufen war und er somit auf ihren Hintern gestarrt hatte, stand neben ihm. Mit glitzernden Augen und einem roten Mund- er war überwältigt und musste seine Gefühle, so wie Gedanken im Zaum halten. Ungewollt schossen ihm Bilder in den Kopf, wie sie wohl ohne die ganze Kleidung aussehen mochte... Ich muss ganz ruhig bleiben und einfach meinen Job erledigen! Ihr nur einen Baum fällen und diesen dann verkaufen, am besten dann noch OHNE diese Hintergedanken! Komm schon Mike, das schaffst du!, spornte er sich selbst an und räusperte sich leise. Alice war derweil neben ihrer Freundin und musste zugeben, dass Bella keinen schlechten Geschmack hatte. Denn der Baum war wirklich schön. „Den nehm ich...der ist perfekt.“, wisperte Miss Swan wie in Trance und nahm ihren Handschuh ab, um die, in ihren Augen, wunderschöne Pflanze, berühren zu können. Ihre Finger kamen den grünen Nadeln immer näher und als diese sie schließlich berührten, zuckte sie zusammen und zog ihre Hand erschrocken weg. „Aua!“, murmelte sie leise und schaute mit leicht verzogenem Mund auf die Tanne. „Was ist los Bella?“ „Was los ist?! Das Ding pieckst- und zwar wie!“, grummelte Bella und zog sich leicht niedergeschlagen den Handschuh wieder an. „Schau Bella, ich kann dir auch eine Nordmanntanne anbieten, die Nadeln sind weicher und-“ „Nein! Ich will DIESEN Baum! Und keinen anderen!“ Und Bella blieb bei ihrer Meinung; es gab keinen anderen Baum für sie, sie wollte das Prachtstück vor sich in ihrem Wohnzimmer an Weihnachten stehen haben. Da half weder das Betteln von Alice noch das Gerede von Mike Newton. Nein, Bella wollte den einen Baum- welchen sie dann auch bekam. Dann gut anderthalb Stunden später saßen die beiden Frauen wieder im Wagen, mit einem drei Meter hohen Baum auf dem Dach mit nehmend. Ohne Folgen war das Fällen und in ein Netz packen dann doch nicht verlaufen, denn jetzt hatten sie alle schmerzende Hände von den spitzen Nadeln des Baumes. Vollkommen erschöpft waren sie und freuten sich jetzt nur noch auf eines, nämlich nach Hause zu kommen und dort dann erst einmal einen Kakao zu trinken. Das Wetter hatte sich derweil zum Schlechten gewendet, dicke Schneeflocken flogen gegen die Frontscheibe des Wagens und die Scheibenwischer hatten jede Menge damit zu tun die Massen an Schnee von der Scheibe wieder weg zu wischen. Es dauerte doppelt so lange wie auf der Hinfahrt, aber als das Auto dann endlich vor Bella's und Edward's Haus zum Stehen kam, entwich beiden gleichzeitig ein zufriedenes und zudem erleichtertes Seufzen. Edward war derweil im Büro fertig mit den Akten und begab sich hinunter in die Tiefgarage, wo er seinen silbernen BMW geparkt hatte. Fröhlich pfeifend schmiss er die Aktentasche auf den Rücksitz des Wagens, ehe er diese Türe schloss und die Fahrertür öffnete, um sich ans Steuer zu setzen. Er freute sich schon enorm auf Zuhause, besonders auf den gemütlichen und erholsamen Abend zusammen mit seiner Bella. Bloß wusste er nicht was dort gerade ab ging, denn Alice und seine Freundin, sowie baldige Verlobte, hatten es zwar geschafft, die Gurte der Befestigung des Baumes zu lösen, aber es ergaben sich genau in diesem Moment zahlreiche Probleme. Zum einen: Wie sollten sie, alleine, den Baum vom Auto herunter holen? Und zum anderen war Alice sich nicht sicher, ob das Ding durch die Tür passen würde, denn der Baum sah schon recht...gigantisch aus. „Bella, das bekommen wir niemals alleine hin! Wo ist denn dein toller Freund?!“ „Wenn ich das wüsste meine Liebe, dann wäre ich auch schon um einiges schlauer!“, murmelte Bella und zückte ihr Handy hervor. Auswendig tippte sie die Nummer Edwards ein und wartete ungeduldig auf das Freizeichen. Als ihr Blick auf die andere Straßenseite glitt, wurde sie doch glatt neidisch; die Webers hatten bereits einen geschmückten Tannenbaum im Wohnzimmer stehen. Bella schnaubte einmal, ehe sie sich wieder umdrehte und von einem Fuß auf den anderen trat. „Bella?“, meldete sich Edward am Telefon, was die junge Frau erleichtert aufatmen ließ. „Hi Edward, du sag mal, wann kommst du nach Hause?“ „Ehm...ich bin schon auf dem Weg, Darling.“ "Okay, beeil dich bitte, denn Alice und ich, wir...haben hier ein großes Problem!“ „In wie fern?!“ Seine Stimme wurde leicht panisch und in den Kopf des Firmenchefs kamen sofort die wirrsten Gedanken geflogen. „Mit uns ist alles okay, aber...wir haben einen Weihnachtsbaum gekauft und wissen nicht wie wir ihn in die Wohnung bekommen sollen! Außerdem, so glaube ich, sind wir gleich nur noch zwei erbärmliche Eiszapfen.“ „Okay...okay...“, murmelte Edward am anderen Ende der Leitung und fuhr über die grün gewordene Ampel hinweg. „Ich beeile mich, gut? Ihr könnt ja so lange in die Wohnung gehen, okay?“ „Kommt gar nicht in Frage!“, rief Bella empört aus und verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere. „Und warum nicht?“ „Weil er gestohlen werden könnte, vielleicht?!“ „Aber Schatz, das- ich komme.“, waren seine letzten Worte, ehe er auflegte und das Blackberry achtlos auf den Beifahrersitz schmiss und um 40 km/h beschleunigte. Es war kein Notfall, jedoch wollte er nicht, dass seine Liebste erfror. * „Emmett, hol die Kettensäge!“, rief Edward energisch aus, während Bella's Augen sich weit auf rissen. „Nein! Kommt gar nicht in Frage!“, schrie sie entsetzt und wollte schon hinter Emmett her rennen, welcher in der riesigen Garage von Mister Cullen das Werkzeug suchte, als sie von ihrem Freund am Arm gepackt wurde. „Edward, lass mich los!“ „Nein Liebste, du weißt, ich liebe dich, aber ich werde NICHT versuchen diesen Mammutbaum in unser Haus zu schleppen!“ „Aber Edward!“ „NEIN! Hör zu, der Baum passt noch nicht mal durch unsere Haustüre!“ „Wenn ich sage, dass dieser Christbaum durch diese Tür passt, dann tut er das auch!“ Emmett fand derzeit nach längerer Zeit des Suchens das besagte Stück von Kettensäge und kam mit diesem in den Händen aus der Garage zurück in den Garten, wo der Tannenbaum auf dem Rasen lag. Vor zwei Stunden war Edward nach Hause gekommen und hatte seine besten Freunde her holen müssen, damit sie das Teil bewegt bekamen. Aber Jasper dachte jetzt im Moment gar nicht mehr ans Arbeiten, denn er hielt eine angeregte Unterhaltung mit Alice Brandon, welche bei seinem Anblick förmlich dahin schmolz. „Bella, ich sag dir, das Teil passt so nicht in unsere Wohnung! Bitte, jetzt lass Emmett doch den ollen Meter absägen!“, versuchte Edward derweil seine Liebste zu beruhigen, welche gerade kurz vor einem Heulkrampf zu stehen schien. Nun, immerhin war dieser Baum hier perfekt- in ihren Augen. Und das Absägen von irgendwas würde seine Perfektion schlichtweg zerstören. „Das kannst du nicht machen, Emmett, du bist auch mein Kumpel!“ Der Angesprochene- oder viel mehr gesagt Angeschriener- hielt mitten in seinen Bewegungen inne. Sie hatte Recht, aber Edward kannte er schon länger, andererseits war sie eine Frau und.. „Emmett, säg!“ „NEIN!“ „Doch!“ „Nein!“ Emmett war ziemlich verwirrt, entschloss sich dann aber im Endeffekt dennoch dazu zu sägen, in der Hoffnung, Bella würde ihn nicht köpfen. Die Kettensäge heulte auf und in der Nachbarschaft gingen einige Lichter an, da sich die Anwohner in ihrer nächtlichen Ruhe mehr als nur gestört fühlten. Emmett setzte die Säge an den Stamm des Baumes- nur leider ein Stück weit oben. Edwards Augen wurden riesig und Bella musste mit den Tränen kämpfen, als sie feststellte, dass er den Baum in der Mitte durchgesägt hatte. „Hm...“ Mit nachdenklichem Blick auf den zersägten Baum ließ Emmett, der Übeltäter, die Säge auf den Boden sinken. „Edward, schau nur, was er angerichtet hat.“, wisperte Bella mit brüchiger Stimme und blinzelte das Wasser in ihren Augen schleunigst weg. „Es tut mir leid Liebste.“ „Das will ich auch hoffen.“, murmelte sie leise und senkte den Blick. Alles umsonst... „Bella, hör zu; wir fahren morgen zusammen einen Baum holen, okay? Dann kannst du ihn aussuchen, aber ich bestimm die Größe.“ „Etwas anderes wird uns auch nicht übrig bleiben.“ „Komm, sei nicht sauer.“, seufzte Edward und platzierte einen Kuss auf ihre Wange. Sie verdrehte nur die Augen was ihn amüsiert lächeln ließ. Kapitel 18: Pleiten, Pech und Plätzchen --------------------------------------- December the Seventeenth already arrived, yet there are still seven more tales to bring to life. Schneit’s bei euch auch so heftig? Ich war ja ganz erschrocken, als ich morgens rausgegangen bin und unser Hof von „fast gar nichts“ zu „Winterweihnachtswelt“ mutiert ist. Und es war soo~ schön. Oder ist. Getaut ist ja noch nix. Und obwohl ich selbst Autofahrer bin und morgen früh wieder zur Arbeit muss, stört mich das Wetter überhaupt nicht! Ich bin überraschterweise sehr angetan davon :‘) Ihr auch? ************************************************************************************* A/N des Authors: Die Geschichte ist aus Leahs POV geschrieben und spielt nach BD, ich habe mir allerdings die kleine künstlerische Freiheit herausgenommen, die Tatsache, dass Jake auf Nessie geprägt wurde, zu ändern. Unser guter Jacob ist also noch ungeprägt, womit sich die Frage nach dem Pairing wohl von selbst beantwortet :) Leider ist dieses Schätzchen ein wenig länger geworden als geplant. Ich hoffe aber, ihr würgt mich nicht schon nach den ersten Zeilen wieder ab. Gebt dem Pairing eine Chance ;) Im Übrigen warne ich vor Fluff gewürzt mit ein paar Flüchen vor, weise darauf hin, dass mir weder die Figuren noch einer der hier genannten Songs gehören und wünsche viel Spaß beim Lesen. *********************************************************************************************** Pleiten, Pech und Plätzchen by Moon Goddess „Last Christmas, I gave you my heart, but the very next day, you gave it away…“, schallte es aus dem Radio und Seth summte begeistert die Melodie mit, während er mit einem bunt bedruckten Geschenkspapier kämpfte. In wenigen Tagen war es soweit – Weihnachten stand vor der Tür. Schon wieder. Egal, wo man hinging, man konnte ihm einfach nicht entfliehen. In den Kaufhäusern pferchten sich die Menschen in weihnachtlicher Geistesumnachtung durch die Regalreihen, die Schaufenster glitzerten und leuchteten so penetrant in Rot, Weiß, Gold und Silber, dass man das Gefühl hatte, dass alle anderen Farben in der Weihnachtszeit aufhörten zu existieren und überall beschallten sie einen mit diesen grässlichen Liedern. Aber damit nicht genug – es roch sogar noch in jedem Winkel nach Weihnachten. Über ganz La Push hing der Duft von Mandarinen, Tannennadeln, Punsch und Lebkuchen. Nicht einmal aus dem eigenen Heim konnte man Weihnachten aussperren. „Hey, mach das wieder an“, protestierte Seth, als ich energisch den Stecker zog und George Michaels Geplärre den Garaus machte. Nachdem mich die kaufwütigen Massen bei meinem harmlosen Versuch, mir eine DVD zu kaufen, beinahe zu Tode getrampelt hätten, hatte ich wirklich keine Nerven mehr für diesen beschissenen Song. „Was soll das werden?“, frage ich, Seths Einwand übergehend, und beäugte das heillose Chaos, in das meine Rudelmitglieder unserer Küche gestürzt hatten. Der weiße Linoleumboden war kaum mehr zu sehen, da er über und über mit Geschenkspapier vollgepflastert war und nachdem ich mir den Weg zum Tisch gebahnt hatte, klebten Tonnen von Klebeband an meinen Socken. „Wonach sieht’s de – AUA! Scheiß Papier!“, fluchte Quil und lutschte an seinem Zeigefinger, obwohl der Schnitt bereits verheilt war. „So, fertig.“ Stolz hielt Embry ein kleines Geschenk hoch, das mehr in Klebeband als in Papier eingewickelt war, sodass man das Schneeflockenmuster nur mit viel Fantasie erkennen konnte. Auch die anderen Präsente gaben ein eher erbärmliches Bild ab. Die Verpackungen waren zerdrückt oder gerissen, hier und da lugte noch eine Ecke des Inhalts hervor und die Schleifen waren allesamt mehr Knoten als Maschen. Das starke Geschlecht scheiterte daran, ein paar Geschenke einzupacken. Lächerlich. Na gut, wenigstens hatten sie welche – im Gegensatz zu mir, denn ich hatte noch immer nichts für meine Familie besorgt. Ich hasste den ganzen Rummel, der um dieses blöde Fest gemacht wurde, das war doch alles nur Geldmacherei. Wer konnte beweisen, dass Jesus wirklich an genau diesem Tag geboren worden war, und selbst wenn – was interessierte mich das? Der Typ war seit fast 2000 Jahren tot, kein Grund, der halben Welt immer wieder diese erzwungene Fröhlichkeit und Wham’s „Last Christmas“ aufzunötigen. Mir ging die Zeit der Besinnung einfach nur gewaltig auf die Nerven. Jahr um Jahr ging dieser Quatsch von vorne los und wie auf Knopfdruck schien jeder von dieser ätzenden „Seid fröhlich, liebt einander und gehet hin in Frieden“-Stimmung befallen zu sein. Heuchlerei. Von wegen Fest der Liebe, im Grunde genommen ging es doch allen nur um die Geschenke. Natürlich hatte Seth, dieser kleine Schleimer, sogar eine Kleinigkeit für Charlie gekauft. Als wäre Weihnachten ohne Dad nicht schon schlimm genug, hatte Mom auch noch diesen Vollidiot einladen müssen. Hätte ich Weihnachten nicht sowieso schon gehasst, wäre das spätestens jetzt ein triftiger Grund dafür. Auf Geschenke von mir konnte er jedenfalls warten, bis er schwarz wurde, denn das Einzige, das ich ihm liebend gern gegeben hätte, waren ein paar kräftige Arschtritte zur Tür hinaus. „Hast du überhaupt schon etwas gekauft?“, fragte Seth und kritzelte etwas auf ein mit Rudolph bebildertes Kärtchen. „Lieber Edward, frohe Weihnachten für dich und deine Familie“, las ich laut mit und überging damit seine Frage. „Lass das sein!“ Energisch verdeckte Seth mir mit seiner freien Hand die Sicht. Wahrscheinlich um heimlich Herzchen draufzumalen. Wieso machte er dem Blutsauger nicht gleich einen Antrag? Schwungvoll setzte er seine Unterschrift unter die Weihnachtsgrüße und bot mir den Stift an. „Willst du auch unterschreiben?“ „Vergiss es! Ich würde alles andere eher unterzeichnen als diese dumme Karte“, verkündete ich verächtlich. „Peinlich genug, dass du so was schickst. Du blamierst unsere ganze Familie.“ „Das sagt die Richtige“, murmelte er kopfschüttelnd, während er einen lavendelfarbenen Umschlag beschriftete. Diese Kinder wurden auch immer frecher. „Wenn wir gerade dabei sind“, begann Quil, während ich noch überlegte, ob ich Seth für seine Frechheit zurechtweisen sollte, und hielt mir einen roten Zettel unter die Nase. Ich brauchte nicht zweimal hinzusehen, um zu wissen, worum es sich handelte. In geschwungenen, weißen Lettern kündete „Bake That“ das jährliche Weihnachtsplätzchen-Wettbacken an. „Bake That“ war ein Back-Club chronisch unterbeschäftigter Hausfrauen La Pushs, die sich einmal im Monat zusammenfanden, um Rezepte und Lästereien auszutauschen und sich haufenweise durch Kuchen und Kekse zu futtern. Zu aller Schande war meine Mom eines der sechs Mitglieder. War ich eigentlich der einzig normale Mensch in unserer Familie? „Wie jedes Jahr gibt es auch heuer wieder viele tolle Preise zu gewinnen“, las Quil vor. „Auf eine rege Teilnahme freut sich euer „Bake That“-Team.“ Verständnislos starrte ich ihn an. „Und was soll ich jetzt damit?“ „Unterzeichnen.“ „Was?“ „Wie war das gerade? Ich würde alles andere eher unterzeichnen als diese dumme Karte“, äffte er mich nach und schob mir das Anmeldeformular des Backwettbewerbs hin. Wieso hatte ich nicht einfach einmal die Klappe gehalten? „Genau“, pflichtete Seth bei und Embry nickte. „Also?“, bohrte Quil nach. „Das war doch nur so dahingesagt.“ Hilfesuchend schielte ich zu Jacob, doch er zuckte nur lässig mit den Schultern. Hier fand doch eindeutig eine Verschwörung gegen mich statt! „Das könnt ihr gleich wieder vergessen!“ Vehement schob ich das Formular von mir. Die glaubten doch nicht wirklich, dass ich mir die Blöße gab, mich bei einem Backwettbewerb zu beteiligen. Ich hatte den Backofen in den letzten Jahren nur aus der Nähe gesehen, wenn es darum ging, mich mit Tiefkühlpizza zu versorgen. „Dann musst du die Karte unterschreiben“, drängte Seth. „Ich unterschreibe hier überhaupt nichts!“ „Aber du hast selbst gesagt –“ „Na und“, unterbrach ich Seth. „Ich korrigiere: Ich würde alles andere eher unterschreiben als diese dumme Karte – mit Ausnahme dieses noch dümmeren Anmeldeformulars.“ „Du traust dich nur nicht, weil du weißt, dass du gegen Emily sowieso keine Chance hast.“ Ich warf Quil einen mörderischen Blick zu. Von wegen! Ein paar Plätzchen aus einem Teig auszustechen und dann in den Backofen zu schieben war sicherlich keine große Hexerei, wenn nicht einmal Emily zu blöd dafür war. „Nur weil ich nicht ständig die Überhausfrau raushängen lasse, heißt das noch lange nicht, dass ich es nicht könnte, wenn ich wollte“, verkündete ich großspurig und wollte mich schleunigst in Richtung Tür verdünnisieren, bevor mir jemand das Gegenteil beweisen konnte, aber Quil hielt mich zurück, kaum dass ich mich vom Stuhl erhoben hatte. „Dann beweis es.“ Er grinste mich herausfordernd an und drückte mir Seths angekauten Kugelschreiber in die Hand. „Überzeug uns alle von deinen eindrucksvollen Backkünsten.“ ‚Weil du weißt, dass du gegen Emily sowieso keine Chance hast’, hallte es in meinem Kopf nach, wo plötzlich hunderte Blitze aus Ärger in mein Hirn einschlugen und sämtliche Denkprozesse zum Erliegen brachten. Noch ehe die Vernunft unter meiner Schädeldecke wieder Einzug halten konnte, hatte ich Quil das Formular mit solcher Wucht aus der Hand gerissen, dass es an der Ecke einriss. In krakeligen Buchstaben setzte ich meinen Namen auf das rote Papier. Die würden sich schon noch wundern, was für eine begabte Bäckerin in mir steckte. * ~* Die dicken Flocken trieben an jenem Nachmittag in schimmernd weißen Vorhängen aus Schnee an den beleuchteten Fenstern La Pushs vorbei, flirrten unruhig im wilden Treiben des kalten Windes hin und her und sanken schließlich in die endlos weite Schneedecke ein, die sich wie eine Puderzuckerschicht über das ganze Dorf gelegt hatte. [align type="left"]Schon die ganze Woche hatte ich diesem Tag mit einem mulmigen Gefühl im Bauch entgegengeblickt und gehofft, dass die Zeit auf mysteriöse Weise stehenblieb. Unmotiviert betrachtete ich die paar Zutaten, die ich heute Morgen hektisch in den Einkaufswagen geworfen hatte, nur um zu Hause festzustellen, dass die Hälfte fehlte und erneut zum Einkaufen loszuziehen. Vielleicht hätte mich dies nur halb so missmutig gestimmt, hätte ich nicht vor wenigen Tagen meine Lieblingsstiefel bei dem Versuch, den klemmenden Reißverschluss mit brachialer Gewalt zuzumachen, ruiniert. Folglich rutschte ich nun in meinen Sneakers nur noch die Straßen entlang und hatte mich beim morgendlichen Einkauf mehrmals auf wenig grazile Art und Weise auf den Hintern gesetzt. Noch immer prangte ein großer, nasser Fleck deutlich sichtbar auf meiner Kehrseite und Jacob hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, mich zu fragen, ob ich seit neuestem zum Bettnässer geworden war. Lustig, lustig, tralalalala. Zu allem Überfluss hatte mich Mom auch noch kurzfristig aus unserer Küche, wo später die Verkostung stattfinden sollte, ausquartiert, weil sie befürchtete, dass es dort nach meinem Werken so aussähe, als hätte eine Plätzchenbombe eingeschlagen. Nicht einmal meine eigene Mutter traute mir zu, einen Raum einigermaßen unbeschadet zu hinterlassen, nachdem ich dort mit meinen Backkünsten gewütet hatte. Wie aufbauend. Und ich hatte gedacht, Mütter waren dazu da, an einen zu glauben. Dass ich nun die Küche der Blacks belagern musste und Jacob es sich grinsend in der Sitzecke gemütlich gemacht hatte, um über meine Kekse zu spotten, machte es auch nicht besser. Erwartungsvoll beobachtete er mich dabei, wie ich einen zerknitterten Zettel auseinanderfaltete, auf den ich das erstbeste Rezept aus dem Internet gekritzelt hatte. Ich warf einen Blick auf die Zutatenliste und sah auf den ersten Blick, dass sie nicht so ganz mit dem übereinstimmte, was ich gekauft hatte. Ich hatte weder einen Schimmer, was Grümmel sein sollte, noch hatte ich mich mit Kleinigkeiten wie abgeriebenen Zitronenschalen aufgehalten und folglich beides nicht besorgt. So wichtig konnte das ja nicht sein. „Wenn du weiterhin nur Löcher in die Luft starrst, wirst du nie rechtzeitig fertig“, kommentierte Jacob besserwisserisch. „Bin ja schon dabei“, murmelte ich und las den ersten Schritt vor. „250 Gramm Butter in einer Schüssel schaumig rühren.“ Das war zu schaffen. „Okay, wo ist die Küchenwaage?“, fragte ich und spähte in die nächstbesten Schränke, wo ich nichts weiter vorfand als eingestaubte Töpfe, einen Wasserkocher ohne Aufheizsockel und ein paar Teller, von denen auch nicht mehr alle ganz heil aussahen. „Hallooo, ich rede mit dir“, fauchte ich Jacob an, der amüsiert vor sich hinlachte. „Hallooo, wir sind ein Männerhaushalt. Glaubst du ernsthaft, dass du hier irgendwo so etwas wie eine Küchenwaage findest?“ Natürlich nicht. Verdammt, ich hätte es wissen müssen. Für einen kurzen Moment überkam mich Panik. Ich hatte in den letzten Tagen in etwa mitbekommen, was einige der anderen Teilnehmer planten – Kim versuchte ihr Glück mit Haselnussstäubchen, Embrys Mom machte Lebkuchen und Emily ging mit Granatsplitter an den Start. Ich sah schon vor mir, wie sie alle mit ihren köstlich duftenden Plätzchen ankamen, während ich an Punkt eins – 250 Gramm Butter in einer Schüssel schaumig rühren – gescheitert war. „Shit, shit“, fluchte ich hysterisch und rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn in der Küche auf und ab. Ich wollte nicht genauso jämmerlich versagen wie jeder es von mir erwartete. Seufzend erhob sich Jacob von der Bank und nahm mir die Butter aus der Hand. „Keine Panik, da steht doch bestimmt eine Mengenangabe drauf.“ Er musterte den Aufdruck auf der Verpackung eingehend und deutete dann auf ein fettgedrucktes „300 g“. „Siehst du. So kannst du ungefähr schätzen, wie viel 250 Gramm sind.“ Na gut, darauf hätte ich auch selbst kommen können. „Das weiß ich selber auch“, fuhr ich ihn an und riss ihm die Butter unwirsch aus der Hand. Wie blöd nur, dass ich im Schätzen eine absolute Null war. Wenig später hackte ich unter Jacobs skeptischem Blick auf das gefrorene Butterstück ein. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, die Butter rechtzeitig aufzutauen. Und mit Sicherheit wäre es eine ausgezeichnete Idee gewesen, das Rezept vor dem heutigen Tag einmal in Ruhe auszuprobieren. Nun gut, dafür war es jetzt zu spät. „Ich dachte, du sollst die Butter schaumig rühren und nicht zu Tode stechen“, wies mich Jacob auf meine grobe Butterbearbeitung hin. Das Letzte, das ich jetzt brauchen konnte, war jemand, der jeden meiner Schritte kommentierte. Als wäre dieser Backkram nicht schon nervenaufreibend genug. „Sei froh, wenn du nicht bald anstelle der Butter hier zu Tode gestochen wirst“, antwortete ich und wandte mich verbissen dem hartnäckigsten Stück an ungeschmolzener Butter zu. Als auch dieses nach gefühlten Jahrtausenden und einer tauben Hand meinerseits endlich mehr oder weniger schaumig war, ging ich zum nächsten Schritt über – 250 Gramm Zucker, Eigelb und Gewürze zugeben. Auch hier ging mir die Küchenwaage schmerzlich ab und ich überschüttete den Butterschaum so lange mit Zucker, bis mir Jacob mit einem panischen „Nicht so viel!“ die Schüssel unter der Nase wegzog, wodurch ich den ganzen Tisch einsaute. Das Trennen der Eier ging ebenfalls nicht viel sauberer vonstatten – ich hatte noch nie in meinem Leben Eier getrennt und patzte den Großteil des Eiweißes, das ich später eigentlich noch brauchte, auf die Zuckerschicht, die bereits den Tisch bedeckte. Ich konnte nicht genau definieren, ob in Jacobs Gesichtsausdruck mehr Belustigung über meine ärmlichen Kochkünste oder Entsetzen aufgrund des Zustandes seiner Küche lag. Vielleicht hatte Mom mit ihrer Befürchtung nicht ganz Unrecht gehabt. Am besten stellte ich gleich klar, dass ich nicht vorhatte, dieses Chaos hier hinterher zu beseitigen. Immerhin war das nicht meine Küche. Während ich mich damit beschäftigte, Mehl unterzuheben und danach das Eiweiß steif zu schlagen, beschränkte sich Jacob darauf, an den Knöpfen des Radios herumzudrücken und von Weihnachtssong zu Weihnachtssong zu schalten. Dieser Kerl legte es doch darauf an, mich vorsätzlich zur Weißglut zu treiben! Mit zusammengebissenen Zähnen und aufkeimender Wut bearbeitete ich den Teig mit dem Nudelholz. Unterdessen ließ es sich Jacob nicht nehmen, meine Tätigkeit durch das Mitpfeifen von „Let it snow“ musikalisch zu untermalen. War es zu klischeehaft, ihm mit einem seiner eigenen Töpfe eins überzubraten? „Oh, wie süß, ein Hund“, unterbrach er endlich seine Pfeiferei, um die Form, die ich gerade mit einem Messer aus dem Teig geritzt hatte, zu bewundern. „Das ist ein Stern!“, fauchte ich gereizt. Natürlich fand sich im Hause der Blacks keine einzige Plätzchenform, weshalb ich nun notdürftig versuchte, manuell Sterne aus dem Teig zu formen. Nicht besonders erfolgreich, offensichtlich. „Also für mich sieht das mehr nach einem Tier aus“, fuhr Jacob unbeirrt fort. Anscheinend war ihm nicht bewusst, dass er akut Gefahr lief, diesen ganzen verdammten Teig jeden Moment ins Gesicht geworfen zu bekommen. Er schnappte sich eines der fertig geformten Plätzchen und drehte es vorsichtig in seinen großen Händen. „Siehst du, von der Seite sieht es doch eindeutig aus wie ein Hund. Hier ist der Schwanz und da vorne ist die Schnauze. Aber wenn man es so dreht…“, nun stellte er die Teigform auf den Kopf und musterte sie einen Augeblick nachdenklich. „Dann sieht es mehr aus wie ein Nashorn, findest du nicht?“ Energisch griff ich das erste Plätzchen, das ich erwischte, und knallte es Jacob mit aller Kraft ins Gesicht. „Das ist aber kein scheiß Nashorn“, rief ich zornig, schnappte mir das nächste Teigstück und warf erneut nach Jacob. „Das ist ein Stern!“ „Schon gut, schon gut!“ Eilig duckte er sich unter die Tischplatte, ehe er noch mehr halbfertige Plätzchen ins Gesicht bekam. „Und überhaupt kann ich dieses beschissene Lied nicht mehr hören“, fügte ich immer noch kochend vor Wut hinzu, als die Anfangsmelodie von „Last Christmas“ ertönte. Für einen Moment wollte ich dem Impuls, das Radio aus dem Fenster zu werfen, nachgeben, griff aber schließlich doch lieber nach dem Backblech und beförderte es in den vorgeheizten Ofen. Die Kekse sahen zwar allesamt ein wenig mickrig aus und irgendwie hatte ich die starke Vermutung, dass das eine oder andere Gewürz vielleicht doch nicht ganz verkehrt gewesen wäre, aber immerhin hatte ich nun das Gröbste hinter mir und musste nur noch die letzten vierzig Minuten abwarten, bis ich das Endergebnis bewundern konnte. Erschöpft ließ ich mich auf der Bank neben Jacob nieder und seufzte herzhaft. Wer hätte gedacht, dass Backen so anstrengend war? „Du könntest schon einmal damit beginnen, hier aufzuräumen“, schlug Jacob vor, machte jedoch selbst keine Anstalten, dem Folge zu leisten. „Dafür, dass du mich stundenlang mit Weihnachtsliedern beschallt hast, hast du nun die Ehre aufzuräumen“, stellte ich gähnend klar. „Was hast du gegen Weihnachtslieder?“ Grinsend begann er, erneut „Last Christmas“ anzustimmen. „Dafür reicht ein Leben nicht aus, um dir zu sagen, was ich gegen Weihnachtslieder habe“, antwortete ich laut, um seine Gesangsversuche zu unterbinden. In den nächsten Minuten tat ich nichts anderes, als auf die Uhr zu starren, immer wieder aufzuspringen, um nach den Plätzchen zu sehen, und mich dann enttäuscht wieder hinzusetzen, nur um einen Augenblick später dasselbe noch einmal zu wiederholen. Ich hasste es zu warten. Egal wann, egal wie lange. „Hör auf damit, hier so eine Hektik zu verbreiten“, sagte Jacob schließlich, als ich erneut ins Backrohr spähte. Nicht mehr lange und die Plätzchen waren endlich fertig. „Du machst mich ganz nervös. Entspann dich mal, immerhin ist Weihnachten die Zeit der Besinnung.“ „Ich hasse Weihnachten“, brummte ich und ließ mich widerwillig wieder auf der Bank nieder. Jacob schüttelte nur verständnislos den Kopf. „Das ist doch sowieso der reinste Kommerz“, schimpfte ich. „Und noch dazu hat Mom auch noch Charlie zu Weihnachten eingeladen. Offensichtlich bin ich die Einzige in unserer Familie, die es kümmert, dass Dad einfach so gegen Charlie ausgetauscht wird. Ich könnte echt das Kotzen kriegen, wenn ich daran denke, dass ich in ein paar Tagen mit diesem Vollidiot auf Happy Family machen soll. Mal ganz abgesehen von diesen furchtbaren Songs, die einen überallhin verfolgen. Und jetzt nenn mir noch einen Grund, weshalb ich Weihnachten nicht hassen sollte.“ Betretenes Schweigen trat ein. Es überraschte mich selbst, dass ich Jacob gerade mein Herz so ausgeschüttet hatte. Offensichtlich wirkte diese ganze Feststimmung nicht sonderlich förderlich auf meine Hirnaktivitäten. Die Sache mit Charlie ging ihn nun wirklich nichts an. Als Jacob plötzlich meine Hand nahm, wusste ich vor Peinlichkeit nicht, wohin ich schauen sollte. „Ich will dein Mitleid nicht“, sagte ich eingeschnappt und wollte ihm meine Hand entziehen, doch er ließ nicht los. „Ich verstehe, dass das nicht schön für dich ist“, antwortete er und lächelte mir aufmunternd zu. Du lieber Himmel, was sollte das jetzt werden? Auf einen Pep Talk von Jacob konnte ich wirklich verzichten. „Nach Moms Tod –“, begann er, doch ich unterbrach ihn sofort. „Wir müssen nicht darüber reden“, beeilte ich mich zu sagen. Wenn Jacob jetzt in Tränen ausbrach, dann schrieb ich diesen Tag endgültig als fürchterlichsten der ganzen Adventszeit ab. Und das obwohl der schlimmste Teil – die Verkostung – noch vor mir lag. „Nach Moms Tod wollte ich von Weihnachten auch nichts mehr wissen“, fuhr Jacob mit fester Stimme fort. „Ich fand es unfair, dass andere mit ihren Eltern feiern konnten, ohne es überhaupt zu schätzen zu wissen. Manchmal ärgert mich das heute noch. Aber zu sehen, wie viel Mühe Dad sich gab, um ein schönes Fest für uns zu machen, versöhnte mich ein wenig mit Weihnachten.“ Jacobs Offenheit brachte mich so sehr aus dem Konzept, dass mir die Worte fehlten. Gespräche wie diese waren mir aufgrund ihrer Intimität immer ein wenig unangenehm. Offensichtlich war ich hier nicht die Einzige, die ein vorweihnachtliches Mitteilungsbedürfnis hatte. Ich überlegte fieberhaft, wie ich das Thema am besten wechseln konnte, doch Jacob redete einfach weiter. „Natürlich ist dieser Rummel um Geschenke und das Feiern mit Verwandten, auf die man ganz gern verzichten würde, lästig. Geht mir genauso. Aber sieh’s mal positiv – wenigstens hast du überhaupt jemanden, mit dem du feiern kannst. An Weihnachten alleine zu sein, stelle ich mir nicht gerade prickelnd vor.“ „Mhm.“ Wo er Recht hatte, hatte er Recht. „Was ist daran falsch, einmal im Jahr einen Anlass zu haben, anderen Personen mit Geschenken oder Worten zu zeigen, dass sie einem wichtig sind? Ich für meinen Teil finde es ganz tröstlich zu wissen, dass es Menschen gibt, denen man nicht egal ist. Konzentrier dich doch mal ein wenig mehr auf die positiven Seiten des Festes, gib ihm eine Chance, schön zu werden und mit ein wenig Glück spürst du Weihnachten…“, er legte seine warme Hand auf mein Herz. „…genau da. Wenn du es zulässt.“ Ich spürte nur, dass mir sämtliches Blut in den Kopf schoss und ich wahrscheinlich gerade eine hochrote Birne hatte. „Hast du eigentlich nichts Besseres zu tun, als diese Weisheiten von dir zu geben?“, fragte ich und befreite mich von seinen Händen. „Geh und fang ein paar Schneeflocken.“ „Okay.“ Ohne ein weiteres Wort stapfte er aus der Küche und ließ mich perplex zurück. Was war mit der Männerwelt eigentlich los? Zuerst bekam man sie Jahr und Tag nicht dazu, eine Gefühlsregung zu zeigen, aber kaum bereitete man in ihrer Küche etwas Essbares zu, schien man dazu befugt, an ihrem Innenleben und sämtlichen Weihnachtsweisheiten teilzuhaben. Gedankenverloren beobachtete ich die weiße Welt vor dem Küchenfenster der Blacks, wo Jacob gerade aufgetaucht war und mit dem Schneeschaufeln begann. Mein Kopf glühte immer noch so sehr vor Hitze, dass ich das Fenster aufmachen musste. Eine Weile sah ich Jacob bei der Arbeit zu, dann konnte ich der Versuchung jedoch nicht mehr widerstehen und sammelte ein wenig Schnee von der Fensterbank, um Jacob damit abzuschießen. „Bist du bescheuert?“, rief er erschrocken, als ihn die volle Ladung im Nacken traf. Während ich noch über seinen empörten Gesichtsausdruck lachte, hatte ich im nächsten Moment auch schon einen Schneeball mitten im Gesicht. Lachend und kreischend wie ein kleines Mädchen hüpfte ich am Küchenfenster hin und her, versuchte Jacobs Schneebällen auszuweichen und ihn dabei selbst abzuschießen. Erst der Geruch von verbranntem Essen holte mich in die Realität zurück. Oh shit! Panisch stürmte ich zum Backrohr, ein paar Schneeklumpen hingen immer noch in meinen nassen Haaren. „Oh nein, oh nein“, rief ich immer wieder, als ich sah, dass von meinem Werk nichts weiter als verkohlte Teile, die Keksen nicht einmal im Entferntesten ähnlich sahen, übrig geblieben waren. „Was ist passiert?“, fragte Jacob und spähte neugierig zum Fenster herein. „Die Kekse! Sie sind alle verbrannt“, wimmerte ich verzweifelt. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Ich hätte wissen müssen, dass es nicht gut gehen konnte, wenn ein Chaot wie ich sich am Backen versuchte. * ~* Als ich mich wenig später mit Jacob auf den Weg zu mir nach Hause machte, war ich immer noch niedergeschlagen. Kurz war mir der Gedanke gekommen, einfach schnell irgendwo Kekse zu kaufen, aber La Push war zu klein, um darauf zu hoffen, dass mich niemand bei meinem Einkauf sah und mein Betrug unbemerkt blieb. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mit meinen unrettbar verbrannten Keksen dort aufzutauchen und Hohn und Spott über mich ergehen zu lassen. Wenigstens konnte niemand behaupten, dass ich gekniffen und es nicht versucht hätte. „Du kannst ja sagen, dass es meine Schuld war“, versuchte Jacob vergeblich, mich aufzubauen. Ich schaffte es nicht einmal, mich lange genug auf ein paar lächerliche Kekse zu konzentrieren – im Grunde genommen war ich selber Schuld. In der Zwischenzeit schneite es so stark, dass die Flocken von allen Seiten durch die Luft schwirrten, sodass sogar auf unserer überdachten Veranda Schnee lag. Für Moms liebevolle Verzierung unseres Hauseinganges mit Misteln, Tannenzweigen und allerlei anderem weihnachtlichen Krimskrams hatte ich kaum einen Blick übrig. Der berauschende Duft von frisch gebackenen Plätzchen und der Klang eines dieser pseudo-fröhlichen Weihnachtslieder begrüßten uns bereits an der Haustür. Alle anderen Gäste waren schon in der Küche versammelt, wo auf einem großen Tisch die gebackenen Wunderwerke der anderen Teilnehmer zur Schau gestellt wurden. In bunten und einfärbigen, großen und kleinen Dosen häuften sich Berge von köstlich aussehenden Plätzchen und das Aroma von Zimt, Zucker und Schokolade umfing den ganzen Raum. Ich konnte nicht anders, als kurz die Augen zu schließen und genüsslich einzuatmen. „Da seid ihr ja endlich“, begrüßte uns Mom und nahm mir die Keksdose aus der Hand, um sie zu den anderen zu stellen. „Na, dann lass mal sehen, was du fabriziert hast.“ Vorsichtig nahm sie den Deckel ab und gab den Blick für die anderen Gäste frei, die sich gespannt nach vorne lehnten, um meine Plätzchen zu begutachten. Neben den anderen Keksen wirkten meine noch erbärmlicher. Für einen Moment herrschte Stille, dann brachen alle in schallendes Gelächter aus. „Herrlich“, rief Paul und klopfte mir lachend auf die Schulter. „Ich wusste, du lässt mich nicht im Stich.“ Selbst Mom warf mir einen mitleidigen Blick zu und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „So lustig ist das jetzt auch wieder nicht!“, keifte ich, als einige besonders lustige Gesellen sich nach mehreren Minuten immer noch nicht eingekriegt hatten. „Sorry“, japste Quil. „Aber neben den anderen Keksen sieht das einfach zu geil aus.“ „Wie schön, dass ich euch alle so amüsiere.“ Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Es ist ja nicht so, als hätte ich mir Mühe gegeben!“ „Umso schlimmer. Wenn das das Beste ist, das du zustande bringst, wenn du dir Mühe gibst, solltest du das Backen besser aufgeben“, bemerkte Paul, schnupperte an einem meiner Plätzchen und legte es dann mit angeekeltem Gesichtsausdruck zurück. „Halt die Klappe! Das war ein Unfall!“, versuchte ich mich zu verteidigen, aber es interessierte sowieso niemanden. Ich gab Jacob einen kleinen Stoß mit den Ellbogen, woraufhin er zustimmend nickte. „Nun gut, ich schlage vor, wir beginnen mit der Verkostung. Wie jedes Jahr ziehen die „Bake that“-Damen und ich uns dann kurz zurück und bestimmen die ersten drei Plätze. Also dann, lasst es euch schmecken“, verkündete Mom und begann, sich aus jeder Dose Kekse auf ihren Teller aufzuladen. Natürlich rührte niemand meine Plätzchen an. Nicht einmal Paul erbarmte sich ihrer, wo er doch sonst alles aß, das im Entferntesten nach Essen aussah und in seinen Mund passte. „Nein, nimm keines von diesen“, warnte Quil und wollte Claire mein Plätzchen schnell wieder abnehmen, doch es war bereits in ihrem Mund verschwunden. Einen Moment kaute sie unschlüssig darauf herum, dann verzog sie angewidert das Gesicht und spuckte zum allgemeinen Amüsement alles mit einem lauten „Pfui“ wieder aus. Das reichte! Ich hatte mich jetzt wirklich lange genug lächerlich machen lassen. „Steckt euch eure scheiß Kekse doch in den Arsch!“, schrie ich über das Lachen der anderen hinweg, schnappte mir meine Keksdose und rauschte davon. Wuchtvoll knallte ich die Haustüre hinter mir zu, pfefferte die Dose in den Schnee und hockte mich auf die nassen Verandastufen, um mich selbst zu bemitleiden. Na gut, vielleicht verhielt ich mich kindisch, trotzdem war es gemein, sich dermaßen auf meine Kosten zu amüsieren, wenn ich mir schon die Mühe gemacht hatte, überhaupt an diesem blöden Backwettbewerb teilzunehmen. Verdrossen schlang ich die Arme um mich und beobachtete das wilde Schneetreiben, das kein Ende mehr nehmen wollte. Vielleicht hörte es nie wieder auf zu schneien und irgendwann deckte der Schnee mich und dieses Haus und die ganze Welt völlig mit seiner endlosen Stille zu. Vielleicht fror er uns und alle unsere Sorgen und Ängste einfach ein und wir mussten uns nie wieder damit beschäftigen. Dann brauchte ich mir keine Gedanken über Weihnachten mit Charlie und Geschenke zu machen. Oder darüber, dass es außer Mom und Seth niemanden in meinem Leben gab, dem ich wichtig war. Vielleicht fielen wir alle bald unter einer meterhohen Schneedecke in einen ewigen Schlaf, bis wir alles vergaßen. Uns selbst und alle, die wir liebten. Vielleicht vergaß ich dann auch, dass mein Vater noch vor zwei Jahren nun neben mir gesessen und mich aufgemuntert hätte. Oder sogar, dass ich jemals einen Vater gehabt hatte. Ich musste an Jacobs Worte von vorhin denken. Wie tröstlich sollte das sein, wenn man die Menschen, denen man etwas bedeutete, an zwei Fingern abzählen konnte? Und man wurde zu dieser Jahreszeit auch noch ständig daran erinnert – ein Grund mehr, Weihnachten zu hassen. Das Schließen der Haustüre riss mich aus den Gedanken. Ich blickte auf. Jacob. Wortlos holte er die Keksdose aus dem Schnee und setzte sich dann neben mich. „Hi.“ „Hi.“ „Hübsch, der ganze Schnee, nicht?“ „Hmm.“ „Ach komm, jetzt sitz hier nicht so missmutig rum. Es gibt Schlimmeres als verbrannte Kekse.“ Ja, verbrannte Kekse über die sich jeder lustig machte. „Entschuldige bitte, dass ich nicht vor Freude im Kreis hüpfe, wenn ich vor allen lächerlich gemacht werde“, antwortete ich immer noch eingeschnappt. Dann war ich eben überempfindlich, darauf hatte man wohl noch sein Recht. „Ich hätte wissen müssen, dass das so endet“, jammerte ich. „Ich schaffe es nicht einmal, ein paar doofe Plätzchen zu backen. Wäre ja ein Wunder gewesen, ein Gebiet zu entdecken, auf dem ich kein absoluter Versager bin.“ „Blödsinn“, erwiderte Jacob. „So schlecht sind die Kekse bestimmt nicht.“ Ich zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. Das glaubte er doch wohl selbst nicht. „Du hast nicht einmal einen probiert.“ „Dann probiere ich eben jetzt“, antwortete er und steckte sich eines der Plätzchen in den Mund. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er sich beherrschen musste, um Claires Beispiel nicht zu folgen und alles sofort wieder auszuspucken. „Hmm, lecker“, würgte er hervor und schenkte mir ein tapferes Lächeln, ehe er unter meinen ungläubigen Blicken noch ein Plätzchen aß. Und noch eines. Und noch eines. „Jacob, bitte hör auf, ich möchte dich nicht vergiften.“ „Schi schind wirklisch nischd scho schleschd“, antwortete er mit vollem Mund und schluckte mutig auch dieses Plätzchen. „Schön knusprig, wenn man sich erst einmal an den… etwas alternativen Geschmack gewöhnt hat.“ Ich musste lachen. Was hatte Jacob heute bloß für Zeug geraucht? „Tadaa“, rief er wenig später und hielt mir stolz die leere Keksdose hin, nachdem er auch noch das letzte Plätzchen verschlungen hatte. „Spinner.“ Ich lächelte. Überraschenderweise hatte es Jacob tatsächlich geschafft, mich aufzumuntern. „Na siehst du, so gefällt mir das gleich viel besser.“ Vorsichtig strich er mir eine Schneeflocke von den Wimpern. Wir starrten uns an. „Oh nein, bitte nicht das schon wieder“, lenkte ich schnell ab, als ich die Melodie von „Last Christmas“ erkannte, die aus dem Inneren des Hauses drang. „Dieses verdammte Lied verfolgt mich.“ „Last Christmas, I gave you my heart“, sang Jacob leise mit und trommelte mit seinen Fingern im Rhythmus dazu. Ich versuchte, ihm den Mund zuzuhalten, doch er fing meine Hände geschickt ab und umschloss sie mit seinen. Sein warmer Atem kitzelte auf meinen Wangen. Verlegen sah ich in den Himmel und beobachtete den Schnee, der auf uns nieder rieselte und in Jacobs Haar weiße Pünktchen hinterließ, bevor sie ins Nichts schmolzen. Jacob folgte meinem Blick und deutete auf einen Zweig, der am Dachvorsprung über uns festgemacht worden war. „Misteln“, sagte er leise und grinste. Ich hielt den Atem an. In meinen Gehörgängen konnte ich mein Blut rauschen hören. Jacobs frischer, erdiger Geruch überdeckte nun sogar den der Plätzchen. Ich schloss die Augen und hielt ganz still. Vorsichtig tasteten seine Lippen nach meinen, berührten sie. Einmal. Zweimal Dreimal. Seine warmen Hände wärmten meine Wangen. Ich schmeckte ihn. Ich spürte ihn. Ich wusste nicht, was ich da fühlte oder woher das alles kam. Ich wusste nicht einmal, was ich eigentlich zuerst fühlen sollte, oder ob es gut oder schlecht war, überhaupt etwas zu fühlen. Ich wusste nur, dass ich genau das fühlte, was man in Momenten wie diesen fühlen musste. Jacob hatte Recht. Mit ein wenig Glück hielt Weihnachten in jedem Herzen Einzug. Man musste es nur zulassen. Und als sich unsere Lippen erneut trafen, störte mich nicht einmal „Last Christmas“, das leise im Hintergrund spielte. „Last Christmas, I gave you my heart, but the very next day, you gave it away. This year, to save me from tears, I’ll give it to someone special.” THE END ******************************************************************************* Kapitel 19: Geschenk -------------------- December the Eighteenth's host got ill, so today you'll get a little drabble. Ja, auch wenn's nur eine kleine Geschichte ist, lassen wir den Tag nicht leer :] ************************************************************************************************* Drabble by witchmoonnight Ein gemaltes Bild, vierundzwanzig Teile. Jeden Tag eines. Ein besonderer Adventskalender gebastelt von meiner Tochter, der mir ihren größten Weihnachtswunsch verraten sollte. Es fehlte nur noch ein Teil und doch schien es das Entscheidende zu sein. Neben einem Weihnachtsbaum, der mit lauter bunten Kugeln geschmückt war, stand der Weihnachtsmann mit einem großen Sack. Das letzte Puzzleteil würde mir den Inhalt von diesem verraten. Ich ergänzte das Bild am Morgen des vierundzwanzigsten in freudiger Erwartung mit dem Ausschlaggebenden. Ich lag mit meiner Vermutung richtig. Der Sack war geöffnet und es schauten viele kleine Hunde heraus. „Weihnachten mit den Wölfen.“ ********************************************************************************************************* Kapitel 20: 10 Dinge, die Sie nicht tun sollten, wenn Weihnachten ist --------------------------------------------------------------------- December the Nineteenth thankfully starts with a regular one, so I hope we can maintain the restarted run. Jaja, es ist nicht einfach, immer alles wie geplant ablaufen zu lassen. Und dieses Jahr geht’s wirklich turbulent zu, was das angeht. Aber ich bin dennoch immer wieder glücklich, dass wir euch trotzdem jeden Tag mit etwas überraschen können. Mal größer, mal kleiner, aber genau wie bei Geschenken zählt ja nicht immer der Umfang :] ****************************************************************************************************************** 10 Dinge, die Sie nicht tun sollten, wenn Weihnachten ist by steffix0 Man sah eine leere Bühne. Ein Fernsehstudio. Das Publikum, das schon auf seinen Plätzen saß, redete noch leise miteinander, bis dann ein lauter Gong ertönte. Eine männliche Stimme drang durch den Lautsprecher: „ In 10 Sekunden geht es los.“ Das Publikum beruhigte sich und die Kameraleute zoomten auf die Bühne, die nun hell beleuchtet wurde. Eine Frau erschien dort und das Publikum begann zu klatschen. Nur nach und nach wurde es leiser und die Frau fing an zu reden. „Willkommen, meine Damen und Herren, zu Zehn Dinge, die Sie nicht tun sollten.“ Sie ließ eine Pause, die wahrscheinlich dramatisch sein sollte. „Mein Name ist Alice Brandon“, sie machte schon wieder eine kleine Pause. „Wie Sie sicherlich gemerkt haben, meine Damen und Herren, ist Weihnachten nicht mehr weit. Die Kaufhäuser sind schon seit Wochen mit Christbaumkugeln geschmückt und den Geruch nach Zimt bekommt man nicht mehr aus der Nase“, meinte diese mit einer hohen und zart klingenden Stimme, während sie auf der Bühne hin und her lief. Man hörte das Publikum murmeln und immer wieder trat ein „ja“ oder „genau“ hervor. „Leider kann ich Ihnen sagen, dass sie es heute auch nicht los werden. Denn heute heißt es bei uns `10 Dinge, die Sie nicht tun sollten, wenn Weihnachten ist`.“ Der Applaus fing wieder an und die Kameras schalteten auf eine Szene, die schon früher für die Sendung aufgenommen wurde. Ein junger, gutaussehender Mann saß auf einem Sofa. Er hatte rötliche Haare, aber leider sah man das Gesicht noch nicht. Vor dem Sofa, das sich eindeutig im Wohnzimmer befand, stand ein bunt geschmückter Weihnachtsbaum. Viele kleine und große Kugeln waren befestigt und Girlanden schmückten ihn ebenfalls. Im offenen Kamin brannte ein Feuer, dass dem ganzen Schaubild eine romantische Stimmung verlieh. Eine junge Frau mit braunen Haaren kam auf ihn zugelaufen, setzte sich dicht neben ihn und schmiegte sich an ihn. „Du, Edward“, sagte die Frau mit leiser Stimme, „nimmst du mich bitte in den Arm?“ Er legte seinen Arm um sie, schaute sie an und drückte sie dicht an sich. „Jessica“, der Mann namens Edward drehte sich zu ihr. „Ich wollte dies schon länger machen.“ Jessica schaute Edward an, der seine Schulter straffte und sich bereit machte weiter zu reden. „Wir kennen uns jetzt schon mehr als vier Jahre und sind schon einige Zeit zusammen, wie du weißt.“ Jessica machte innerlich schon Luftsprünge. Endlich war es soweit! Edward würde ihr JETZT einen Heiratsantrag machen. „Und deswegen denke ich, ist es nicht unschicklich, wenn ich dir jetzt sage, dass …“, Jessica hielt sich bereit, ihm ihre ganze Liebe zu zeigen und „Ja“ zu sagen, doch dann vernahm sie, was Edward da sagte, „Naja, es fällt mir schwer, aber du hast da an deiner Nase einen richtig ekelhaften Popel. Sieht nicht schön aus!“ Man hörte Leute lachen und die Szene wurde unterbrochen. Ein neues Bild wurde gezeigt und der gleiche Mann und die gleich Frau waren noch einmal zu sehen. Die beiden saßen wieder auf dem Sofa, eng aneinander gekuschelt. Edward drehte sich zu seiner Jessica. Langsam beugte er sich zu ihr und küsste sie auf den Hals. „Jessica. Ich … ich muss dir etwas gestehen.“ Es war nicht einfach für ihn. Er wollte, er musste es ihr endlich sagen. Jessica hatte den Kuss genossen, aber die Worte von ihrem geliebten Edward machten ihr Angst. „Jessica. Ich ... naja, ich kann dieses Geheimnis nicht länger für mich behalten. Ich sag es dir jetzt einfach frei heraus. Ich heiße in Wirklichkeit Robert Pattinson, bin unglaublich gutaussehend und bin ein Vampir. Und jetzt, jetzt werde ich dich beißen.“ Edward beziehungsweise Robert Pattinson beobachtete Jessicas Regung und hätte sich fast, hätte das ein Vampir können, in die Hose gemacht, weil Jessica lauthals loslachte. Die Szene wechselte wieder, doch dieses Mal gab es kein Gelächter. Die beiden saßen wieder auf ihrem Sofa vor dem Weihnachtsbaum. Jessica lehnte sich nach vorne, um ein kleines Päckchen aufzuheben, das sie Edward schenken wollte. „Du, Edward“, sie traute sich nicht, ihn anzuschauen, während sie sprach, „Hier habe ich ein kleines Geschenk und ich möchte dich bitten, dass du mir ehrlich sagst, was …“ Weiter kam sie nicht, da sie von einem lauten Schnarchen unterbrochen wurde. Sie drehte ihren Kopf zu Edward, der immer noch neben ihr saß, aber dieser hatte die Augen geschlossen und schlief friedlich vor sich hin. Jessica hatte einen wutentbrannten Gesichtsausdruck. Wieder wechselte die Szene. Doch dieses Mal war es nicht das Sofa, auf dem sie saßen. Jessica und Edward saßen wie zwei kleine Kinder auf dem Fußboden vor dem geschmückten Weihnachtsbaum. Vor ihnen lag schon einiges an Geschenkpapier, doch immer noch waren Geschenke verpackt. „Schau mal, Edward, deine Eltern haben mir eine wunderschöne Halskette geschenkt“, meinte Jessica und hielt die Kette so, dass Edward sie auch sehen konnte. Er nickte ihr zu und man hörte ein gemurmeltes „hübsch“. „Jessica, schau mal meine tolle neue Uhr!“ Edward machte mit seinem Zeigefinger und Daumen einen Kreis und legte diesen auf seine Uhr. „Schau doch mal!“ Jessica hob ihren Kopf, um auf die Uhr zu schauen, als Edward laut „reingeguckt“ schrie. Er lachte laut auf und schlug sie einmal hart auf die Schulter. Wieder verschwand das Bild und ein neues kam. Jessica und Edward saßen wieder einmal an Heiligabend vor dem Tannenbaum. „Du, Edward, ich liebe dich so sehr.“ Edward war ein bisschen überrumpelt, warum Jessica gerade jetzt auf das zu sprechen kam. Sonst sagte sie dies nicht einfach so ohne Grund, doch gerade saßen sie einfach nur hier auf dem Sofa. „Jessica, ich lie…“, weiter kam er nicht, da Jessica laut anfing zu singen, in einer sehr schiefen Tonlage. „Das sind Bibi und Tina auf Amadeus und Sabrina. Sie reiten…“ Wieder wechselte die Szene: Dieses Mal lagen Edward und Jessica wild knutschend auf dem Sofa. Jessica hatte sich über Edward gebeugt und versuchte sich an einem French Kiss. Leise stöhnte sie auf, als er seine Hände auf ihren Hinter legte. Langsam fing sie an, ihren Kuss noch mehr zu vertiefen. Doch Edward löste sich nach einem Moment von ihr und meinte schlicht mit einem langgezogenen A „Langweilig“. Die Kameras schalteten wieder auf eine neue Szene. Edward kniete vor Jessica, die auf dem Sofa saß. Romantisch blickte er ihr in die Augen und Jessica wusste, dass es JETZT soweit war. Endlich kam der lang ersehnte Heiratsantrag von ihm. Edward und sie waren schon einige Zeit zusammen und nun, nun würde es endlich soweit sein. Doch Jessica hatte nicht mit ihrem Edward gerechnet. Er hatte sich etwas ganz anderes ausgedacht. Schnell hatte er eine Weidenrute hinter seinem Rücken hervorgezogen und hielt sie Jessica vor die Nase. „Schatz, ich war unartig. Ja, so unartig. Du musst mich bestragen.“ Die Szene wechselte noch einmal. Edward und Jessica saßen küssend auf dem Sofa vor dem geschmückten Christbaum. Langsam rutschte Jessica immer näher an ihn heran und mit einem Mal hatte er sie hochgehoben und auf seinen Schoß gesetzt. Langsam bewegten sie ihre Lippen aufeinander und Edward drückte Jessica weiter an sich heran, damit sie spürte, was sie an ihm ausrichtete. Nur schwer lösten sie sich voneinander, um an Luft zu kommen. Leicht legte er seinen Kopf schräg, um an ihren Hals zu kommen, und warf ungewollt einen Blick auf die Wanduhr. Sofort ließ er von ihr ab und schob sie von seinem Schoß. „Ohh nein. Jessica jetzt hab ich wegen der dummen Knutscherei den Sandmann verpasst!“ Das Band stoppte und wieder wurde die Szene gewechselt. Edward und Jessica saßen mal wieder auf dem Sofa. Nach nur einer kurzen Zeit meinte Edward: „ Du, Jessica, du hast da einen Faden aus deinem Pullover hängen.“ Jessica wollte sich gerade bedanken, da es einfach komisch aussah, wenn man einen Faden aus den Kleidungsstücken raushängen sah, als Edward diesen schnappte und zu seinem Mund führte. Schnell hatte er ihn durch seine Zähne gezogen und ihn wieder hängen lassen. Der Faden war nass und man sah etwas an ihm hängen. Jessica schaute Edward schockiert an, während dieser nur mit den Schultern zuckte und meinte: „Na endlich ist dieses dumme Fleischstück weg.“ Ein letztes Mal wechselte die Szene: Langsam lehnte sich Jessica nach vorne und nahm sich ein kleines Päckchen vom Stapel des Weihnachtsbaumes. „Edward, du … du weißt doch, dass ich die blöden Kondome nicht mag, also hab ich dir etwas gekauft, was viel effektiver ist. Pack es doch mal aus.“ Edward nahm die kleine Schachtel entgegen und riss vorsichtig das Geschenkpapier ab. Auf seinem Gesicht sah man die Verwirrung über Jessicas Worte. Er machte die kleine Box auf und sah auf etwas Plastik, das einem Anker ähnelte. Aber es war viel kleiner. Und da wusste er, was es war. Eine Spirale! Wieder wurde applaudiert und langsam fing der Abspann der Sendung an. ************************************************************************************************** Kapitel 21: A Christmas Carol - Part III ---------------------------------------- December the Twentieth's tale is the third and last part of a story and its lifetime's scale. Nachdem bei fictionfans.de alle ihre Wichtelgeschichte bekommen haben, geht es auch hier weiter mit einem neuen Märchen. Obwohl, so neu ist es gar nicht mehr. Die ersten beiden Teile kennt ihr ja schon. Hier nun also das lang erwartete Finale einer lehrreichen Geschichte :] ****************************************************************************************************************** A/N des Authors: Endkorrektur folgt heute Abend :) Ich wollte mich an dieser Stelle nochmal herzlich an alle Leser und Reviewer bedanken (die ich hier auch noch mal dran erinnere, dass ich mich an die Antworten noch machen werde :'D ), die mir ganz toll Geduld und dieser Story gezeigt haben! Thanks so much! Und besonderer Dank gilt an dieser Stelle dubby once again, die nun den Ehrentitel "Pusher of the Year" trägt, und ohne die die Carol vermutlich nie fertig geworden wäre. Und Dank an lachmaus für den coolsten Banner ever, der glaub ich, ihrer Meinung nach immer noch nicht fertig ist :P Ich erspare euch jetzt weiteres Gelangeweile und sag nocheinmal großes Dankeschön fürs Lesen! ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ A Christmas Carol - Eine Weihnachtsgeschichte - Part III by papillon00 Come all ye reborn Blow off my horn I'm driving real hard This is love, this is porn God will forgive me But I, I whip myself with scorn, scorn I remember – Damien Rice „Endschuldigen Sie mich, wenn ich falsch liege, Andrew-Andy… Anderson, altes Haus“, versuchte Edward witzelnd aber doch im sicheren Bogen das Gespräch aufzurollen, als sie eine halbe Stunde später vor den Stufen eines heimeligen Häuschens standen. „Aber machen wir jetzt so etwas wie einen internen Firmenrundgang? Muss ich mir jetzt von jedem Menschen, den ich beschäftige, anhören was für ein verdammter Drecksack ich bin? Denn, glauben Sie mir, ich habe das mittlerweile verstanden. Die Menschen mögen mich nicht.“ Andrew, der neben ihm auf den Stufen stand und den so liebevoll dekorierten Kranz bewunderte, lächelte. „Das wäre eine gute Idee. Erinnern Sie mich dran, wenn wir von hier wieder gehen.“ Ein recht diabolisches Grinsen zierte sein Gesicht, woraufhin Edward gequält aufstöhnte. „Nein, Sir. Ich muss Sie enttäuschen, die Person, die wir jetzt besuchen, arbeitet nicht in Ihrer Firma. Gott sei’s gedankt“, murmelte er. Er lächelte verschwörerisch und verschwand – wie Mister Hale vor ein paar Stunden zuvor schon -, einfach durch die Tür. Edward blieb erneut genervt zurück. „Wie schön, dass ihr alle dasselbe Scheißtalent habt“, rief er ein wenig erbost und stieß die schwere Haustür auf, die ihm auf seltsame Weise, genau wie die anderen am heutigen Abend, den Zugang gewährte. Und es war wieder das gleiche: Mister Cullens Körper reagierte prompter, als es seinem Verstand möglich war: Sein Herz schlug schneller, seine Sinne nahmen wahr, was sein Kopf zu verdrängen versuchte. Da war der Geruch von Sandelholz und ein milder Hauch von Vanillearoma lag in der Luft… Da waren bunte Schals an der Garderobe, allesamt fürchterlich aussehend, die ihm sehr bekannt vorkamen. Sein Mund wurde plötzlich derart trocken, als hätte er eine Woche nichts getrunken… Und schließlich war da die Stimme im Ohr, die ihn zur Salzsäule erstarren ließ. „Nein, nein, nein“, murmelte er. „Andrew… Nein, sag nicht, dass das…“ Der Geist kicherte; Spielereien solcher Art, die seinen Ex Arbeitgeber aus der Fassung brachten, schienen ihm wirklich Freude zu bereiten. „Wir befanden, dass Sie unbedingt die liebliche Miss Swan sehen sollten, wie sie sich auf das Weihnachtsfest vorbereitet.“ Als würde er genau wissen, wo die liebliche Miss Swan anzutreffen war, griff er nach Mister Cullens Arm und zog ihn regelrecht freudestrahlend – als würde die beiden im nächsten Raum ein Koffer voller Geld erwarten – durch den bunt zusammen gewürfelten Wohnraum. An dieser Stelle sollte gesagt werden, dass ein Koffer voller Geld für Mister Cullen nicht mal annähernd dem Nahe kommen konnte, was Bella Swan für ihn war. „Andrew… Was soll das? Verdammte Scheiße, jetzt lass mich los“, wehrte sich Edward halbherzig, wusste er doch, dass er nicht gegen das ankam, worin er sich befand: Der mordlüsterne Andrew auf der einen, Miss Swan, - vermutlich die Einzige in seinem Leben, die ihm einmal etwas bedeutet hatte -, auf der anderen Seite. Gegen diese beiden Einflüsse –wobei letzterer vermutlich der Ausschlaggebendere war- hatte Mister Cullen schlicht und einfach keine Macht. Und irgendwie wurde er es ein wenig leid, sich dagegen zu wehren. Sie gelangten in eine kleine Wohnküche, deren Möbel in bunt gestrichenen Farben sich zwar nicht bissen, aber auch nicht wirklich zueinander passten. Insgesamt wirkte alles, als würden die meisten Sachen auf Flohmärkten erstanden worden sein. Und dort, mit einer weiteren Frau sitzend, saß Bella. Edward blieb die Luft weg, er hatte sie sofort erkannt. Ja, sie hatte sich verändert, wirkte insgesamt reifer, älter, aber da war diese Spur und der Hauch dieser ihm so bekannten Bella Art… Aus einem Laptop dudelte Frank Sinatra und ein paar Kerzen tauchten das Zimmer in ein warmes Licht. Es war auf einmal wieder wie 1999, und doch war es anders. Mister Cullen stand einfach zwischen Tür und Angel und war nicht fähig sich zu bewegen, während Mister Andrew neugierig und wieder freudig klatschend durch den Raum umherging. „Ah, wie gemütlich! Sehen Sie das, Sir? Hier ist es richtig warm und behaglich“, sprach er und kicherte, als er ein Foto auf dem Kühlschrank besah, auf dem Bella mit alberner Grimasse posierte. Doch Edward hörte ihm schon längst nicht mehr zu, sondern trat zu der Frau. Miss Bella, eingehüllt in einen dicken, grässlichen Wollpullover, gähnte in jenem Moment. „Du kannst nicht glauben, wie sehr ich mich freue, dass endlich Weihnachtsferien sind. Ich bin völlig alle.“ Sie sprach mit einer dunkelhaarigen Frau, Angela, die ihr am runden Holztisch gegenübersaß. „Wieso bin ich nochmal Lehrerin geworden?“ „Das glaube ich dir gern“, erwiderte diese und biss von einem Scone ab. „Du hast ja auch viel gearbeitet. Was machst du denn morgen? Besuchst du deinen Dad?“ Bella, deren Haare seitdem Edward sie zum letzten Mal gesehen hatte, ein gutes Stück kürzer und mit ein paar hellen Strähnen versehen waren, fasste sich mit beiden Händen auf den Kopf. „Ja, irgendwer muss ihm ja noch was kochen. Charlie würde sonst das Haus in Brand stecken“, fügte sie augenverdrehend hinzu. „Und was ist mit dir?“ Angela seufzte. „Ach, gib mir bloß ein Stück deiner Freiheit ab. Morgen werden Ben und ich den gesamten Tag bei seinen Eltern in Greenwhich verbringen, nur damit wir uns den Tag darauf von meinen Eltern nerven lassen müssen. Ich werde zehn Pfund dicker und mit grauen Strähnen nach Hause kommen.“ Angela, die für Edward eine Fremde war, wirkte entspannt trotz der Plagen, die auf sie zukommen würden. Miss Bella rührte in ihrem Tee, fast ein bisschen nachdenklich. „So übel klingt das alles doch nicht, Ange. Ihr werdet bestimmt ein schönes Fest haben.“ Edward blieb der Ton in der Stimme nicht verwehrt, irgendetwas wurmte sie. Vielleicht wurmte Miss Bella genau das, was Edward all die Jahre gewurmt hatte. „Bella“, meinte Angela plötzlich und griff ihre Hand. „Ich dachte immer, dass es keine Rolle spielen würde, mit wem man Weihnachten feiert – iist nicht die Hauptsache, dass man es überhaupt mit jemandem feiert, den man mag?“ Miss Angela, die gute Freundin der Angeredeten, versuchte ihr offensichtlich gut zuzureden. „Ja, ich weiß. Ich bin auch gar nicht traurig, falls du das denkst. Es ist eben manchmal schwer, weißt du? Weihnachten ist eigentlich nur ein blödes Kommerzfest, ich weiß. Aber glaub mir -ich hasse es zugeben zu müssen… mir fehlt einfach jemand, mit dem ich das wirklich schön feiern kann.“ Angela lächelte aufmunternd. „Bella, da wird wieder jemand kommen, ich weiß es.“ Die Frau im Pullover schüttelte den Kopf und seufzte. „Jetzt klinge ich wie eine alte Jungfer, Angela. Nein, mir geht es darum, dass ich einfach gern etwas Besonderes zur Abwechslung hätte. Und Weihnachten stimmt mich einfach nachdenklich.“ Sie verdrehte die Augen. „ Mein Dad – du kennst ihn. Er macht sich nicht viel daraus und das ist in Ordnung, und ich mach mir da auch nicht viel draus, schätze ich. Aber es ist ja doch immer dasselbe.“ Edwards Herz schien in diesem Augenblick regelrecht zu klopfen. Es war genau das, was Bella sagte; wie sie es sagte – er fand sich mit einem Mal verstanden, und da war auch der bedeutsame Fakt, dass sie, das Mädchen aus dem Wohnheim, offenbar nicht in festen Händen war. Mister Cullen gefiel dieser Umstand mehr als er zuzugeben gewillt war, würde man ihn danach fragen wollen. „Willst du es dir nicht anders überlegen und doch mit uns feiern? Sei nicht zu stolz, Missy“, schlug ihr die Freundin vor. „Meine Eltern lieben dich immer noch, und du wärst ein gern gesehener Gast.“ Bella gähnte erneut. „Das ist wirklich nett, wirklich. Aber, ich lehne die Einladung liebevoll ab. Du sollst mich nicht einladen, weil ich hier meine sentimentalen fünf Minuten habe.“ „Du weißt, dass es nicht darum geht!“ Angela gab ihr einen leichten Hieb auf die Hand. „Hast du die denn? Deine fünf Minuten, meine ich.“ Bellas Augen schauten in diesem Moment ein wenig in die Ferne und würde Mister Cullen nicht wissen, dass er nicht sichtbar für sie wäre, so würde ihn der Blick mit Sicherheit mehr ins Herz treffen als ohnehin schon: Denn plötzlich lagen braune Augen auf grünen und auf einmal, so schien es, war die Zeit für den Mann stehen geblieben. „Ich weiß auch nicht warum, aber… Hab ich dir einmal von meinem Non-Weihnachten-Weihnachtsfest erzählt? Das war… damals war das toll. Es war die Welt für mich… Und eigentlich bin ich viel zu alt dafür, dass ich daran noch denke.“ Miss Angela hob fragend die Augenbrauen. „Non-Weihnachten-Weihnachtsfest? Bitte, kläre mich auf!“ Bella räusperte sich und sah immer noch auf die Stelle, dort wo Mister Cullen stand. Dieser gab mittlerweile ein noch angespannteres Bild ab, als er es im gesamten Abend zuvor tat. „Es ist ewig her“, begann sie zu erklären. „Es spielt auch keine Rolle, was alles zuvor passiert ist… aber der Junge, mit dem ich damals zusammen war, hatte uns beiden drei Tage vor Heiligabend das Weihnachtsfest in mein gammeliges Studentenzimmer gebracht.“ Sie lächelte süß, und es schien als wäre sie in jenem Moment gedanklich dort. Im Jahr 1999, so unglaublich lang her für sie. „Ich bin da“, murmelte Edward plötzlich unwillkürlich. Vergessen war Andrew, vergessen war Jasper; vergessen war gerade all das, was ihn die ganze Zeit bedrückte. Denn da saß Miss Bella nachts in ihrer Küche und erzählte einer Freundin von Etwas, dass er einmal im Leben richtig gemacht hatte. „Wir hatten das grauenvollste Essen und den billigsten Plastikwein. Die Tanne war nicht größer als dreißig Zentimeter hoch und der Nachtisch bestand aus Snickers und heißer Schokolade. Das Ganze war äußerst spontan und rustikal.“ „Oh“, Miss Angela Webers Augen strahlten, auch wenn sie zugeben musste, dass es wahrlich nicht so beeindruckend klang, wie Miss Bella her machte. „Und, wie ging es weiter?“ „Er hatte mir einen Briefumschlag geschenkt. Weißt du was darin war? Ach, was erzähle ich denn hier, natürlich weißt du es nicht.“ Sie seufzte. „Darin war ein Kärtchen mit Papier.“ Sie blinzelte und musste lächeln. „Ich habe die Karte immer noch, weißt du das? Das ist total schwachsinnig. Ich bin auch darüber hinweg und alles. Aber als es damals zu Ende ging, konnte ich es nicht übers Herz bringen, die Karte wegzuschmeißen und trage sie also, als die ewige Karikatur meiner selbst, immer noch zusammengefaltet in meinem Portmonee.“ Miss Bella seufzte leicht genervt und schüttelte den Kopf. „Ich bin so lächerlich.“ Ihre Freundin sah sie an. „Sag mir, was auf der Karte steht und dann sage ich dir, wie lächerlich das ist. Aber vorher“, sie grinste, „erzählst du mir Wort für Wort, was auf dieser Karte steht.“ Bella verdrehte die Augen und seufzte. „Es ist total kitschig. Und wirklich, wenn ich kitschig meine, dann stell dir an dieser Stelle eine Reihe Einhörner vor, die Regenbögen auf Wolken kotzen.“ Angela, Andrew und Mister Cullen mussten in diesem Moment lachen, und die heitere Bemerkung im Raum ließ noch alles süßer, weicher und einnehmender erscheinen. Dennoch war Edward, als würde ihm alles wehtun. Seine Glieder, seine Lungen, sein Bauch aber vor allem seine Brust schmerzten eigenartig. Alles brannte in ihm, denn wenn es auf dieser Welt noch jemanden gab, der wusste was auf dieser Karte stand, dann war das neben ihm selbst, Miss Bella Swan. Und das Wissen darüber, dass gleich wieder etwas von ihm hier gezeigt werden würde, ihn vorführen würde... Die Kenntnis daraus, dass der schmale Kosmos, den sie einst isoliert von jeglichen Zuschauern bewohnt hatten, sich nun bald auflösen würde, weil Miss Bella diese Karte gleich vorlesen und alles wieder so real machen würde… Nun, das war etwas, dass Mister Cullen wirklich einen Schrecken einjagte, Mister Andrews erfolgreiche Strangulation zum Trotz. „Was stand darauf? Nun komm schon!“, drängte die Freundin und Miss Bella atmete noch einmal tief durch, ganz so, als wäre sie sich der bevorstehenden Peinlichkeit bewusst. „‘Wenn die Welt morgen untergeht, solltest du wissen, dass ich dich liebe. ‘“ Miss Bella lief karmesinrot an und schüttelte den Kopf, während Angela große Augen bekam. „Nein, das stand darauf? Wow.“ Die Freundin schien beeindruckt. „Das nenne ich mal romantisch. Ben würde nie auf solche Ideen kommen. Aber sag mal, warum die Sache mit dem Untergehen? Ist das nicht ein wenig dramatisch?“ Bella lächelte und Mister Cullen, der ohnehin glich, als hätte man ihn auf sein Innerstes ausgezogen, war, so machte es den Eindruck, regelrecht erschlagen von diesem Lächeln. Es galt ihm und doch irgendwie auch nicht, aber würde Miss Bella wissen, dass Edward hier stand, dann würde es das sicherlich. Mister Cullen war schlecht, und er konnte sich nicht erklären, warum dieser Besuch ihn so zu schaffen machte. Nicht alle Feierexzesse zusammen genommen – und glauben Sie mir, davon gab es einige in seinem Leben – haben ihn jemals so derart fühlen lassen. „Hey, ich hab doch gesagt, dass es kitschig ist! Wir hatten da dieses Ding am Laufen“, begann Bella schließlich zu antworten. „Erinnerst du dich an den Hype um das Millenium? Du weißt schon, dass alle Computer abstürzen würden? Dass die Welt zusammenbrechen würde?“ Angela nickte. „Ja, wo du es jetzt sagst. Die ganzen Business-Heinis hatten totale Panik.“ „Jedenfalls, Edward hatte mich damit wahnsinnig gemacht. Sein Stiefvater hatte ihm zum Uniabschluss einen nagelneuen Computer versprochen. Er lag mir schon im September damit in den Ohren, was er alles dagegen tun würde, nur damit sein prächtiges Spielzeug bloß funktionieren würde. Er brauchte ihn ja. Und es war seitdem ein Running Gag gewesen. Ich hatte ihn aufgezogen damit, verstehst du? Das dreckige Geschirr tagelang stehen gelassen, weil es ja doch keinen Sinn machen würde, das abzuwaschen, wenn seine kostbare Welt untergeht.“ Sie grinste keck. Da war sie wieder, die Erinnerung, und noch eine, und noch eine… Alle schienen in diesem Augenblick in Edwards Kopf einzudreschen, und er sah wieder ganz deutlich, was Bella erzählte. Mister Cullen war sich bis zu diesem Moment nicht bewusst gewesen, wie viel Einfluss diese Frau damals auf ihn gehabt hatte. Und noch weniger war ihm begreiflich, warum und wie er diese Erinnerungen einfach so aufgegeben hatte, nicht weiter an sie gedacht hatte. „Edward? Er hieß Edward? Lustig, dein Edward. Aber ich hätte dich jetzt nicht auf eine Person geschätzt, die sich mit Computergeeks einlässt.“ Miss Webber schmunzelte. „Hast du seit eurer Trennung wieder jemals etwas gehört?“ Sie schaute ihre Freundin mitfühlend an, die sich offenbar wirklich in einer Fünfminütigen Sentimentalität befand. Ihre Tasse greifend, in der der letzte Schluck Tee schon kalt war, drehte sie sich aufmerksam Bella zu. „Nein, als er zum Sommer fertig wurde, war es das gewesen. Er war im Ausland und hatte sich einen Job nach dem anderen gesucht… Er hat richtig Karriere gemacht. Ich habe meinen Kram zu Ende studiert und andere Dinge im Kopf als er.“ Die Frau hielt inne, und es war offensichtlich, wie sehr sie sich in dem Strudel von Gedanken verlor. „Wir hatten seitdem nie wieder ein Wort miteinander gewechselt“, antwortete Miss Bella schließlich. „Was er tut, weiß ich allerdings.“ Angela zuckte mit den Schultern. „Na? Und was? Ist er ein Scheich geworden oder wie?“ Sie kicherte über ihren eigenen Witz und trank den Rest in ihrem Becher aus. „Fast. Er ist der Erfinder von Push Cola“, endete Bella, fast ein bisschen grinsend und genoss den geschockten Gesichtsausdruck ihrer Freundin, der unmittelbar auf diese Enthüllung folgte. „Nein! Du redest hier von… Edward Cullen? Wie in… Cullen Corporate? Der mit der unglaublich coolen Weihnachtswerbung jedes Jahr? Push? Nein!“ Miss Bella begann zu lachen, es klang befreiend. „Naja, doch. Heute ist er dieser wahnsinnig reiche Kerl, der wohl nichts anbrennen lässt. Aber damals war er noch derjenige, der Angst vor dem Jahr 2000 hatte.“ Sie lachte weiter und es schien, als wäre etwas von der Altlast abgefallen, die sie seit einer guten halben Stunde befangen hatte. „Oh mein Gott, du hast mit Edward „Push It“ Cullen geschlafen? Und ihr wart zusammen? Bella, wieso weiß ich das erst jetzt?“ „Keine Ahnung, Angela. Ich weiß nicht. Es war nicht wichtig und außerdem“, sie seufzte ein letztes Mal, ehe sie aufstand und die leeren Tassen und Teller in die Hände nahm, „außerdem war das alles lange her. Der Edward, den ich kennengelernt habe, ist nicht mehr derselbe, der er heute ist. Es spielt alles keine Rolle mehr. Und ich vermute, dass er sich nicht mal mehr an mich erinnern würde.“ Sie stellte das Geschirr in die Spüle und begann, heißes Wasser einlaufen zu lassen. „Würdest du ihn denn gern wiedersehen wollen?“ Bella stand mit dem Rücken Angela gegenüber und Edward verstand auch, weshalb. Mitten in der Nacht Geschirr zu spülen schien ein ausgezeichneter Vorwand Miss Webber gegenüber zu sein, um sie nicht ansehen zu müssen. Mister Cullen wusste dies nicht nur aufgrund seiner Arbeit, in der er es wie kein anderer verstand, Ausweichtaktiken einzusetzen um unbequemen Fragen aus dem Weg zu gehen. Nein, diesmal wusste er es, weil er Bella Swan kannte. Und dies vermutlich auch besser, wie kein anderer. Angespannt wartete er also nun ihre Antwort ab. „Die Klatschspalten in der Sun sagen mir eindeutig, dass ich ihn nicht wiedersehen will. “ Mister Cullen verließ der Atem. Edward hatte gewusst, dass ihn diese Frau nicht sehen wollen würde, er hatte es ja geahnt… Aber der Schmerz irgendwo in der Brust, der ihn in der Sekunde, in der sie es ausgesprochen hatte, zerriss, war etwas, auf das er nicht vorbereitet gewesen war. Sie wollte ihn nicht wieder sehen. Mister Cullen zog in diesem Moment in Betracht, Land zu gewinnen. Raus aus London, raus aus diesem Land, aber vor allem raus aus diesem Zimmer. Doch seltsamerweise blieben seine Beine dennoch standhaft. Vielleicht war er sadistisch veranlagt, was Sie wahrscheinlich ebenfalls durchdenken möchten, aber Fakt war, dass der junge Mittdreißiger mit offenem Mund dastand und mehr hören wollte. „Aber“, setzte Bella nach ein paar Sekunden des Schweigens ein, „ich hätte nichts dagegen, den Ed von vor ein paar Jahren wiederzusehen.“ So schnell, wie Mister Cullens Brust sich eben zusammengezogen hatte, so schnell löste sich diese Spannung. Ihm wurde warm, kleine Schweißperlen auf der Stirn verrieten, wie sehr in der Besuch bei Miss Swan aus der Fassung brachte. Was interessant war, wenn man bedachte, dass Edward nie schwitzte, war er doch stets derjenige gewesen, der erhaben und souverän auf sämtliche Eventualitäten vorbereitet gewesen war und eine solche Körperreaktion eigentlich auf Versager zuschrieb. „Sir, wie gefällt Ihnen dieser Besuch? Miss Bella scheint ein reizendes Ding zu sein, Sir“, unterbrach Andrew Mister Cullen unvermittelt aus der Stille. Dieser sah seinen Fahrer an. Es fiel ihm schwer, den Ton von Missmut und Niedergeschlagenheit zu verbergen. „Ja, reizend. Aber ich weiß nicht, ob dies eine so gute Idee gewesen ist, Andrew.“ Doch der alte Mann belächelte Edward bloß. „Sir, ich denke, dass dies sogar eine außerordentlich hervorragende Idee ist.“ Edward beobachte den Geist neben sich, dessen bleiches Gesicht ihn auf einmal seltsam berührte. Da waren so viele Falten in seinem Gesicht, er war ein alter Mann – Geist – der offenbar so viel mehr als er selbst durchlebt hatte. „Andrew, darf ich dich etwas fragen?“, äußerte sich Mister Cullen mit einem Blick auf Miss Bella. Der Geist nickte. „Sicherlich, Sir.“ Edward atmete einmal tief durch, ehe er seine Frage stellte. „Warst du glücklich?“ „Sir?“ „Ich meine, du bist tot. Und du hattest eine Familie. Du warst mein Fahrer und jeden Tag zur Stelle. Ich schätze, dass das nicht unbedingt dein Traumjob gewesen ist, was Andy?“ Mister Cullen lächelte verschmitzt. „Nein, das kann ich so nicht sagen, Mister Cullen.“ Der Geist lächelte ebenfalls, allerdings nun auch eine Spur trauriger als zuvor. „Als junger Mann wollte ich eigentlich Pilot werden. Aber“, er deutete auf seine Augen, „ich hatte eine leichte Sehschwäche. Kaum da, aber dennoch zu gravierend, um ein Flugzeug zu fliegen.“ „Das tut mir Leid, Andrew.“ Echtes Bedauern schwang in Edwards Stimme mit. „Die Fahrerei war dann also dein Ausweichplan, oder?“ „So war das, Sir. Nicht dass, was ich gewollt hatte, aber dennoch war es mein Job und ich habe mich dahinein gefunden.“ Edward wirkte nachdenklich. „Verstehe… und darf ich dich trotzdem fragen, ob du glücklich gewesen bist? Du hast nie deinen Wunsch erfüllt bekommen.“ Andrews Gesicht wurde ernst, aber keinesfalls so seltsam wütend, dass er ihn jeden Moment erwürgen wollte, was Edward sehr erleichterte. „Sir, ich bin glücklich gewesen. Es hat für mich schon lange keine Rolle gespielt, ob ich Pilot oder Fahrer für großkotzige Neureiche Ihresgleichen war.“ Er zwinkerte Edward an. „Wissen Sie, weshalb? Ich hatte meine Familie. Meine Frau, meine Kinder, meine Enkel. Auch ohne Arbeit wäre ich glücklich gewesen, Sir. Ich habe mein Glücklich sein nie bloß durch meine Position definiert. Und Miss Bella“, die alte tattrige Hand deutete auf die Braunhaarige Frau, die in diesem Moment Angela an der Tür verabschiedete, „tut es auch nicht.“ Mister Cullen hatte diese Aussage vermutet und sah traurig auf Andrew. „Okay“, war alles, was er im Stande war, herauszubringen. Der Geist lächelte bestimmt. „Es ist noch nicht zu spät, Mister Cullen. Noch nicht. Sie haben es in der Hand, der Verlauf ihrer Geschichte zu ändern, Sir.“ Edward schluckte, sah noch einmal zu Bella und dann zu Andrew. „Was muss ich tun?“, fragte er. Und dieses Mal, das erste Mal an jenem Abend, schwang echte Reue in seiner Stimme. Der Geist verschränkte die Arme vor der Brust. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein leicht arrogantes Lächeln ab. „Sie bekommen noch einmal Besuch, Mister Cullen. Ein weiterer Geist. Und Sie sollten sich wappnen. Ich kann Ihnen nicht sagen, was Sie tun sollen, aber ich kann Sie nur bestärken, den gesamten Abend als eine Warnung anzusehen.“ Edward nickte langsam; er hatte begriffen, sich nicht mehr gegen diese Ankündigungen zu wehren. Vielleicht hatte der Mann auch begriffen, dass die Lage viel ernster war, als zuvor angenommen. „Okay“, sagte er erneut und fuhr sich müde durch das verwuschelte Haar, das bei weitem nicht mehr so fantastisch saß, wie heute Morgen. Er blickte noch ein letztes Mal auf Bella Swan, die sich müde streckte und wandte sich der alten, blassen Gestalt in Fahrermontur ein letztes Mal zu. „Also gut“, sagte er. „Lass es mich hinter mich bringen.“ * Die Haustür, die Edward allein durchschreiten musste, gab den Blick frei auf ein völlig neues Bild. Erschreckend, bizarr, wirr. Da war kein Schnee mehr, keine Häuser. Da waren nicht mehr die vielen Autos, die ellenlang an der Straße zu Miss Swans Haustür geparkt waren. Kein Licht, kein Geräusch. Im Grunde war da nicht einmal irgendetwas, das Aufschluss über Leben geben konnte. Alles, was Mister Cullen in diesem Moment sah, war klamme Schwärze, nebliger Dunst und eine Stille, die ihn förmlich auffraß. Beklemmung machte sich in dem Held unserer Geschichte breit, als er wie ein Blinder ohne Stock mit langsamen Schritten vorwärts ging. Der Mann konnte nicht wissen, ob er überhaupt richtig war, und selbstverständlich machte sich kurz Panik in ihm breit – aber da war dieser Funken Intuition, der ihm sagte, dass er einfach geradeaus gehen sollte. Er überlegte kurz, ob dies die letzten Schritte seines Lebens waren. Dead Man Walking. War er doch tot? Würde er sich vielleicht gleich einem Tribunal stellen müssen? War er in der Hölle? Was musste er tun, damit er alles ungeschehen machen lassen konnte? Was? Diese Gedanken ratterten unaufhörlich in seinem Kopf herum, als plötzlich eine Form vor seinen Augen Gestalt annahm. Er blieb kurz stehen, abwägend darüber, ob er warten sollte, bis die Figur zu ihm kommen sollte, oder er doch selbst dahin musste. Dann ging er langsam weiter, denn er entschied, dass er diesen letzten Gang allein antreten würde. Das war kein Jasper, der ihn mit seiner Freundschaft mit in die Vergangenheit nehmen würde, und da war sicherlich kein Andrew, der ihn, halb strangulierend dazu bringen würde, mit ihm zu kommen. Nein, und wir können sicherlich Edwards Erkenntnis begrüßen, das war etwas, was er aus freien Stücken heraus tun musste. Abgesehen davon, war die Figur seine letzte Chance, aus dieser Traumwelt, die keine war, zu entschwinden. Je näher Mister Cullen der Figur kam, desto deutlicher zeichnete sich die Person ab, und als er schließlich, mit gut zwei Metern Abstand vor ihr stand, war er fast gar nicht mehr erstaunt, eine Frau unter einem langen, schwarzen Kapuzenmantel vorzufinden. Alle drei Geister des heutigen Abends hatten ihn simpel überwältigt- und es war kaum noch eine Überraschung, dass der dritte von ihnen, weiblich war. Es passte so sehr ins Bild möchte man meinen. Ihr blondes Haar, welches vereinzelt aus der Kapuze zum Vorschein kam, stand in einem seltsamen Kontrast zu der Schwärze um ihn herum. Sie war bemerkenswert hübsch, nein, sie war schön. Ein makelloses Gesicht mit ausgeprägten Wangenknochen, einer Haut so lieblich wie Elfenbein und einem kirschroten Mund, der den Namen „Purpur“ alle Ehre machen würde. Doch so schön sie auch war, so sehr wusste Mister Cullen – es ist im Übrigen eine Wohltat hier anerkennen zu können, wie viel Mister Cullen in so kurzer Zeit begriffen hatte – dass ihn diese Schönheit mit Sicherheit die gräulichsten Sachen zeigen würde. Ihr Aussehen sollte ihn vermutlich ablenken, aber in Wahrheit schüchterte ihr Äußeres den Mann fast noch ein bisschen mehr ein. Denn ihre Augen, so schwarz wie alles um ihn herum, strahlten eine Kälte aus, die Mister Cullen bis ins Mark ging. Er räusperte sich nervös. „Ähm… Hi.“ Seine Hände spielten nervös in seinen Hosentaschen. „Ich bin Edward. Aber… aber das weißt du bestimmt, huh?“ Er lächelte aufgesetzt und deutete mit dem Kopf auf sie. „Wow, ich schätze Schwarz ist momentan ziemlich in Saison, was? Steht dir ausgezeichnet, meine Liebe.“ Noch mehr Kichern, noch mehr Angst. Die Angeredete Schönheit sah missbilligend auf ihn herab, die Härte ihres Blickes ließen ihn sofort verstummen. Dieser Geist bediente sich keiner Späßchen und Mister Cullen ahnte, dass ihn dies nicht weiterbringen würde. „Also, ähm… Miss… Missus…“ Er rang nach Worten, ehe er sich umdrehte. „Ich nehme an, du… Sie… Sie zeigen mir die Zukunft, oder?“ Die Frau in dem Mantel nickte und offenbar war sie eine jener Kreaturen, die nicht viel sprach. „Okay… Cool… Sie reden auch nicht viel… Okay, das ist alles kein Problem… Ich bin mir sicher, dass wir uns verständigen werden!“ Er nickte begeistert und ich hoffe, Sie haben Verständnis für den Mangel an Souveränität; eine solche Erscheinung, die einen das Bevorstehende zeigen würde, würde vermutlich jeden ein kleines bisschen aus der Fassung bringen. „Gut… dann… wohin geht’s? Sind wir schon da? Was werden Sie mir zeigen?“ Die kühle Blonde blickte ihn weiterhin kalt an, bis sie sich schließlich umdrehte und vor ihm her schritt. Ihr Mantel war so lang, dass er am Boden Wellen schlug und Mister Cullen musste sich wahrlich hart darauf konzentrieren, nicht darauf zu treten, als er ihr folgte. Wie lange sie so schweigend dahin schritten, vermag keiner genau zu sagen, jedoch wurde Edward bald deutlich, dass sich seine Umgebung änderte. Anstelle der Nebelschwaden und des blanken Nichts, waren dort nun Gras und Wurzeln und um ihn herum Bäume und Tannen. Sie waren in einem Wald, stellte er fest, bis er auch diese Erkenntnis revidieren musste: Denn nachdem die Angsteinflößende Schönheit den Kurs in südlicher Richtung änderte, wurde ihm klar, dass sie keinesfalls nur in einem Wald standen. Die vielen Steine, die Edward schon von weitem erkannte, machten ihm jede Hoffnung zu Nichte. „Wir sind auf einem Friedhof“, sagte er laut; fast ein bisschen zu neutral. Der Geist gab kein Zeichen von sich, und vielleicht hat sie ihn auch nicht gehört. Unbeirrt schritt sie weiter und führte den Mann, dem kein Wort mehr über die Lippen kam, auf einen Platz zu. Mister Cullen musste nicht fragen, und vielleicht wollte er es auch einfach nicht, aber es war mehr als ersichtlich, dass sich das Grab, was sie sich ansehen würden, ohne Frage das von Edward Anthony Cullen sein sollte. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, blieb die Blonde abrupt stehen, trat einen Schritt nach rechts und gab den Blick auf das frei, was seine Vermutung bestätigte: Ein massiver, aus schwarzen Marmor gehauener Grabstein auf dem in goldener Schnörkelschrift folgendes eingraviert war: [style type="bold,italic"][style type="bold,italic"]Edward Anthony Cullen [style type="bold,italic"][style type="bold,italic"]*24. 3. 1978 [style type="bold,italic"][style type="bold,italic"]† 24. 12. 20[style type="bold,italic"]20 „Scheiße, das ist mein Grabstein?“, entfuhr es ihm nach ein paar Sekunden. „Das ist mein Grabstein? Das? Nichts mehr?“ Mister Cullen war gelinde gesagt, entsetzt. „Ich… ich sterbe in zehn Jahren?“ Seine Atmung ging stoßartig und seine Hände waren so schweißnass wie noch nie. Der gesamte Abend war surreal und oftmals eigenartig gewesen, doch dieser Stein, sein Grabstein, ließ das Fass zum Überlaufen bringen. „Aber… ich… Wie kann das sein? Sind Sie sich sicher?“ Verzweifelt blickte er von ihr zum Stein zurück und wieder hin und her. Doch die Frau in dem Mantel lächelte bloß grimmig, ihr schien dieser Ausflug zu gefallen. Mit einem Seitenblick deutete sie auf das ausgehobene Grabesloch davor. Edward schluckte, seine Hände zitterten als er ein paar Schritte nach vorne tat, um sechs Fuß tiefer den Sarg aus Eichenholz zu erblicken. „Das ist es also. Zehn Jahre später und ich bin tot. Ich… ich… will das nicht…“, stotterte er, einfach nicht fassen könnend, was die Zukunft ihm brachte. Er ließ sich auf die Knie fallen und befasste die Erde ringsherum; sie war frisch. „Ich… ich möchte das nicht… Ich möchte nicht sterben… nicht allein…“ Seine rechte Hand nahm einen Klumpen Erde auf und Edward schloss die Augen. „Das Grab ist noch nicht lange ausgehoben.“ In seiner Stimme war ein Ton von Resignation zu finden. „Die Beerdigung ist heute“, stellte er sachlich fest. Und niemand da, der ihm das letzte Geleit willig zu geben bereit war. Der Geist gab keinen Ton von sich und stand regungslos mit einer unterkühlten Miene hinter ihm. Mister Cullen warf schließlich die Handvoll Erde hinunter, beobachtete, wie das Stück Land auf den braunen, glatt polierten Sarg auftrat. Das Geräusch schien ihm unendlich lang nachzuhallen; das dumpfe Aufprallen, das Zerstoßen der dunklen Substanz, das sich wie in Zeitlupe auf dem Holz ausbreitete. Es war das Schlimmste, was er je machen musste, schlussfolgerte er. Sich selbst einzubetten, sich selbst in zehn Jahren mit Erde zuzudecken. Selbst zu Staub zu werden. Langsam stand er auf und sah immer noch hinunter. „Das ist meine Strafe, oder?“, fragte er laut. Vermutlich sprach er aber auch mit sich selbst, denn zu diesem Zeitpunkt schien er die Präsenz der Dame in schwarz vollkommen vergessen zu haben. „Ich werde alleine sterben, und das auch noch zu Weihnachten.“ Er schnaubte verbittert, und schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe es wohl auch nicht anders verdient, oder? Ich meine… da bin ich und habe nichts, und habe meine Arbeit und mein Geld… und behandle alle wie den letzten Dreck. Warum sollte auch irgendwer kommen? Ich“, er hielt kurz inne und atmete langsam aus, „ich würde ja nicht einmal selbst zu meiner Beerdigung kommen.“ Mister Cullen drehte sich zu dem blonden Geist um, der mehr dem Tod als einer Frau glich und sah sie flehend an. „Bitte“, begann er, „bitte, ich werde mich ändern, lass es nicht zu! Bitte, bring mich zurück! Ich sehe es ein, ich muss mich ändern! Nur bitte, bring mich von hier fort!“ Seine Anrede vergessend, klammerte er sich nun an den Geist. „Bitte! Ich darf das nicht zu lassen! Du darfst das nicht zu lassen! Ich tue alles! Bitte! Lass mich nicht zu dem werden, was dort unten liegt!“ Edward Cullen hatte die Fassung verloren, seine Coolness, seine Erhabenheit. Aber, und das ist wahrscheinlich das wichtigste an diesem Punkt, hatte er sein Wollen nach mehr, nach Gier verloren – alles was momentan in ihm brannte, war der heiße Wunsch, sich zu ändern. Mit einem Mal packte die Blonde Edwards Arm hart – sie war unglaublich kräftig, und auch ihre Berührung war noch so viel kälter, als die gesamte Einsamkeit die von Edward Besitz ergriffen hatte, zusammen. Die Augen zusammengekniffen, schaute sie ihn deutlich mit Ekel an. „So“, sprach sie das erste Mal, und Mister Cullen war kurz erstaunt darüber, dass diese Erscheinung nun doch sprechen konnte. „Du kleines Teil Dreck willst dich also ändern?“ Der Mann nickte heftig. „Ja! Du musst mir das glauben! Ich will das nicht! Ich sehe es ein, ich sehe es, was für ein Schicksal mir droht! Bitte… lass es nicht zu!“ Der Geist in Mantel blickte ihn weiter geringschätzig an. „Du meinst, dass du dich ändern kannst, Edward Cullen? Du meinst, dass du es schaffst, nicht in zehn Jahren hier zu liegen?“ „Ja! Oh, so glaube mir doch! Bring mich zurück, und ich werde es euch allen zeigen! Dir, Jasper und Andrew! Und Bella und der Welt!“ An dieser Stelle sollte gesagt werden, dass Edwards Augen feucht wurden und dem Mann war es ganz gleich, ob er nun weinte oder nicht. „Nun“, der Geist in der schwarzen Kapuze grinste dämonisch, „wenn du meinst, dass nicht alles zu spät ist… dann sollte ich dich zurückbringen.“ Ihr Griff lockerte sich etwas, und Edward atmete im selben Moment erleichtert aus. Sie hatte verstanden, ihm war eine letzte Chance gewährt… „Aber… Edward Cullen, du hast vergessen, dass du noch nicht alles gesehen hast“, begann sie langsam. „Wie? Noch etwas?... Ich… ich habe es verstanden! Bitte… bring mich heim!“ Der Geist lachte laut auf. „Ich werde dich heimbringen, du Nichts. Und zwar – da wo du wirklich hingehörst!“ Und dann passierte es: Die weiße kalte Hand ließ los und schubste Edward hinab. „In das Grab, welches du dir selbst geschaufelt hast!“ Kennen Sie das? Die Zehntelsekunde, die sich im Kopf zu einem Gummiband spannen kann, kurz bevor man nach einem Stolpern oder Tritt gleich zu Boden fällt? Dieser kurze Moment im Kopf, der einem unendlich erscheint, weil sich in diesem Augenblick die Zeit ausdehnt? Die Sekunde, in der man fällt und auf das Bevorstehende, nämlich den Aufprall, vorbereitet? Nun, Edward Cullen kannte dieses Gefühl. Denn während er, mit von Schock geweiteten Augen das hämische grinsende Gesicht der Schönheit sah, fiel er mit dem Rücken zuerst, genau dorthin, wo sein zehn Jahre älteres Selbst schon auf ihn wartete. Der Schrei aus seinem Hals hörte nicht auf nachzuklingen, während Mister Cullen fiel und fiel und fiel und fiel... * Es war der schönste Heiligabend seit langem, an dem Edward Cullen wieder zu sich kam. Die ganze Nacht hatte es durchgeschneit und der Morgen präsentierte sich in seinem schönsten Gewand: Die Sonne brach vereinzelt durch die Wolken und tauchte den Himmel und die darunterliegende, verschneite Stadt in ein orangenes Licht. Abgesehen vom grauen Schneematsch, der auf den Straßen vieler Großstädte nun mal anzutreffen ist, war es der perfekteste Weihnachtsmorgen, den man sich nur wünschen konnte. Als Mister Cullen erwachte, orientierungslos und benommen, hatte er für einen kleinen Augenblick angenommen, wirklich tot zu sein. Denn die Sonne, die sich in den gläsernen Fenstern reflektierte, fiel an jenem Morgen auch durch seins und mitten in sein Gesicht. Der gestrige Umstand hatte ihn nicht mehr dazu kommen lassen, seine exklusiven Vorhänge herunterzulassen und so stach ihm das Licht direkt auf seine Augen. Was unangenehme Konsequenzen hatte, wie er gleich feststellte, denn das Blenden des Lichts ließ ihn kurze Zeit nichts sehen. Aber dann richtete er sich reflexartig auf, und erkannte Sekunden später, nachdem sich seine Augen nun an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, dass er nirgendwo anders war, als in seinem Wohnzimmer. Die lederne Couch war seine auf der er lag, und das teuer eingerichtete Zimmer war ebenfalls sein… „Unglaublich“, meinte Edward. „Verdammte Scheiße, ich bin zurück! Und ich“, er fasste an sich hinunter, an sein Gesicht, bis hinunter zu seinen Beinen, „bin nicht tot! Unglaublich!“ Er stand so glücklich wie selten auf und hätte bestimmt einen Luftsprung gemacht, würde ihm das Blut nur nicht in jenem Moment so sehr in die Beine sacken, dass er gezwungen war, sich schnell wieder hinzusetzen. Aber das war Mister Cullen an jenem Morgen so gleich, dass er gleich wieder aufstand. Er fühlte sich so lebendig, wie schon lange nicht mehr. Ja, sicher, werden Sie jetzt meinen. Dasselbe hatte er auch jedes Mal gedacht, nachdem Jemima sich an ihm zu schaffen gemacht hatte. Oder das beherrschende Gefühl das er stets genossen, nachdem er einen Coup gelandete hatte. Sicher, das hatte Edward vorher auch schon gedacht. Jedoch war dies alles vor gestern. Bevor er mit Haut und Haaren und allen Teilen seiner Seele mehr als deutlich zu spüren bekommen hatte, was es bedeutete, wenn man nicht an den Geist von Weihnachten glaubte. Wenn man an nichts mehr glauben konnte, weder an die Zeit der Besinnung, noch an die Menschen um sich herum. Edward Cullen jedoch hatte sich erinnert, und verstand plötzlich mit einer Klarheit, was wirklich wichtig war. Nachdem er, einem kleinen Jungem am ersten Weihnachtsmorgen gleichend – und tatsächlich, auf gewisse Weise war es doch so, er war wieder Klein-Edward, und das Schnee sein Geschenk und der Heiligabend-Morgen der erste Feiertag – durch die Wohnung gerannt war, öffnete er die Fenster und schrie, so laut seine Lunge hergeben konnte, dass er am Leben war und er verstand. Worauf er als Antwort irgendwann bekam, dass er seine „Klappe“ halten sollte und er ein Idiot war. Aber auch das störte ihn nicht, nichts mehr störte ihn. Er wollte die ganze Welt umarmen. Bis im einfiel, dass er niemanden hatte, mit der er diese Freude teilen konnte. Dieser Gedanke schmerzte den Mann; er hatte bereut und wollte sich ändern. Nach einer langen, heißen Dusche und einem deftigen Frühstück, dass Edward seit Jahren wieder einmal selbst zubereitet hatte, beschloss er, dass Trübsal blasen niemanden helfen würde und begann, auf seinem Laptop und Handy parallel seinen Plan auszutüfteln. * Die Vorbereitungen seines Vorhabens hatten bis in den ganzen Nachmittag Zeit beansprucht; es war wirklich schwierig gewesen, am Tag vor Weihnachten so viele Dinge besorgen zu müssen. Und dennoch war es sehr vorteilhaft, wenn man Erfinder und Begründer seines eigenen Firmenimperiums war; mit der nötigen Summe an Geld war in Großbritannien alles zu machen. So traf es sich dann zu, dass Miss Jessica Stanley nicht bloß einen simplen Geschenkekorb ihrer Firma am Nachmittag geliefert bekam – oh nein. Dort war ein so derart großer Weihnachtsbonus in einem Umschlag unter vielen Flaschen Wein enthalten, dass Miss Stanley kurz glaubte, sie müsste in Ohnmacht fallen. Ein langes, von Hand geschriebenes Dankesschreiben von Mister Cullen persönlich, in der er ihr nicht nur einen Festvertrag mit einer noch größeren Gehaltserhöhung als üblich war anbot, nein: Der Mann fügte, falls die junge Frau andere Wege gehen wollen würde, mit vielen Worten ein aussagekräftiges Arbeitszeugnis mit, dass ihr alle Türen in London öffnen würde. Aber was Miss Stanley am meisten berührte, war die Entschuldigung für sein Verhalten in der Miss Stanley das Recht zugesprochen bekam, ihn ein Arschloch zu aller Zeit nennen zu dürfen. In einem zweiten Brief fügte er nochmals eine Entschuldigung bei, dass er ihr diese Worte und die kleinen Präsente nicht persönlich überreichen konnte, und hoffte, sie würde ihn samt Begleitung am zweiten Weihnachtsfeiertag die Freude erweisen, zu einem kleinen Weihnachtsumtrunk in seiner Wohnung zu erscheinen, wo solche Worte und Dinge sicherlich besser zu besprechen waren. Mike Newton hatte drei der Flaschen Wein probieren müssen, um Miss Stanley davon zu überzeugen, dass diese nicht vergiftet waren, und dass demnach all diese Dinge, die Miss Stanley erhalten hatte, kein Scherz waren. „Er muss komplett durchgedreht sein“, schüttelte die junge Frau den Kopf und ging kichernd wieder in ihre Wohnung, wo sie mit Mister Newton diesen glücklichen Lauf des Schicksal feierten. Vergebung ist nach so viel Zeit nicht sofort zu erwarten, deswegen sollte man Miss Stanley die Zeit geben, gründlich darüber nachzudenken. Die nächste Überraschung war die rückwirkende Wiedereinstellung der sechs armen Personen, die gestern von Edward brüsk gekündigt worden waren. Auch Sie hatten ähnliche Briefe und Präsente erhalten und man durfte auch hier hoffen, dass sich all diese Personen am zweiten Weihnachtsfeiertag in Mister Cullens Wohnung einfinden würden. Der Mann hatte wahrlich einige Erklärungen und Entscheidungen abzuliefern, sollten alle erscheinen. Die nächste Überraschung – hier steigen wir ein letztes Mal in das Geschehen von Mister Edward Anthony Cullen ein – musste der Mann persönlich ausführen. Denn da stand er am frühen Abend in der Dämmerung auf den Stufen Bella Swans Hauses, auf denen er bereits mit Andrew mehrere Stunden zuvor gestanden hatte. In Jeans, einem Hemd und einem Konvoi von Cateringmitarbeitern hinter sich, die alle schwere Platten voller Essen trugen, war dies der schwerste Augenblick und doch wichtigste zugleich: Gleich würde er Miss Swan gegenüberstehen, und dieses Mal würde sie ihn sehen und erkennen. Die Frage blieb, ob sie auf das alles eingehen würde. Sie musste ja nicht, dachte Edward traurig, und zugegeben war es ziemlich seltsam, dass jemand nach so vielen Jahren auf einmal wieder an der Tür klopfte. Aber, und das war die Hauptsache befand er, musste er es versuchen. Sicherheitshalber hatte er die beigesten Socken an, die er zu Hause finden konnte. Er atmete einmal, zweimal durch ehe er die Türklingel betätigte. Es dauerte einen Moment, aber Mister Cullen konnte hören, wie sich Schritte zur Haustür aufmachten. Das Herzrasen in seinem Brustkorb war kaum auszuhalten und angespannt hielt er die Luft an. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit, und das braune Auge, das dahinter zum Vorschein kam, wirkte mehr als erstaunt. Die Frau dahinter öffnete die Tür langsam weiter und konnte nichts anderes, als mit offenem Mund dastehen. „Eh… Edward?“ Sie war so schön, dachte er. Einfach vollkommen. „Du erkennst mich also noch?“, sagte er nervös und winkte unbeholfen mit den Händen. „Was… Was willst du… Was … willst du zu mir? Hast du dich nicht an der Haustür geirrt?“ Auch Miss Swan war nervös – und sichtlich verwirrt. „Um ehrlich zu sein, ja.“ Die Frau trat mit verschränkten Armen vor der Brust vor die Tür und wusste nicht recht, was sie antworten sollte. „Wow. Ich meine… Hi! Ich meine…“ Während sie stotterte und den Mann, der in ihren Augen noch nie besser aussah als heute, fuhr sie sich nervös durch die frisch gelockten Haare. Miss Bella hatte sich fertig gemacht, und das rote Kleid, was ihren Mund vorteilhaft zur Geltung brachte, blieb auch von Mister Cullen nicht unbemerkt. „Du siehst toll aus, Bells. Ich hoffe… ich weiß, ich überfalle dich… und… das ist alles unglaublich seltsam… aber ich habe mich gefragt, ob du… heute Abend schon etwas vor hast.“ Bella zog die Augenbrauen zusammen. „Ob ich… was vorhabe? Edward? Ich… Ich wollte eigentlich zu meinen Vater… aber… warte mal, willst du mich um ein Date bitten?!“ Edward musste lächeln, der perplexe Gesichtsausdruck auf ihrem Gesicht war nicht zu übersehen. „Sagen wir, ich wollte ein Versprechen einlösen.“ „Ed, was soll das? Ich verstehe nur Bahnhof.“ Ihr Blick fiel plötzlich auf die vielen Autos und Menschen hinter dem Mann. „Wer ist das? Gehören die alle zu dir? Was... Edward, kläre mich auf! Ich verstehe nichts!“ Edward atmete tief durch, er wusste, dass er jetzt überzeugen musste. „Klar, sicher. Also… Bella“, begann er und da war eine solche Sanftheit in der Stimme, das Angeredeten kurzzeitig die Knie weich werden ließ. „Hast du schon von der Theorie um das Jahr 2012 gehört?“ „Was?“ „2012. Mayakalender. Film mit Jake Gylenhaal. Die Welt geht unter?“ Die Frau wusste für einen Moment nicht, ob Edward nicht doch den Verstand verloren hatte. „Um es kurz zu machen… Ja, Edward, das habe ich. Aber ich“- Er unterbrach sie – „Und weißt du, ich habe da so ein Problem mit solchen Theorien. Beziehungsweise, weiß ich einfach nicht, ob sie stimmen. Das letzte Mal haben wir die 2000er Verschwörung erfolgreich verwerfen können, erinnerst du dich?“ Und dann verstand sie plötzlich, Mister Cullen sprach auf das Fest an, was sie doch erst gestern Nacht ihrer Freundin erzählt hatte. „Ja, Ed, daran erinnere ich mich“, antwortete sie und mit einem Mal meinte sie zu glauben, was auch der Zirkus um die vielen Menschen mit dem Essen auf sich hatte. „Nun…“, Edward lächelte spitzbübisch, „ich weiß, dass das alles furchtbar spontan und unglaublich aufdringlich ist. Aber Bella…“, sagte er leise und mit einer Wehmut darin, dass Miss Bella kurz das Herz stehen blieb. „Bella… Würdest du mir die Ehre erweisen, dir dieses Jahr ein Weihnachtsessen zu schenken und dem Jahr 2012 somit ein Schnippchen zu schlagen? Auch wenn dies erst in einem Jahr ist, ich weiß, aber ich dachte… besser jetzt als noch ein Jahr zu warten.“ Die Frau lachte – das war alles mehr als verrückt, selbst für ihre Begriffe. „Du meinst… du bist extra wegen mir hier? Und du willst mir ein Weihnachtsessen schenken“, wiederholte sie. Mister Cullen nickte. „Ja. Sofern du natürlich nichts dagegen hast. Oder selbst wenn du Besuch hast – ich habe mehr als genug.“ Er deutete hinter sich auf die nun ziemlich frierenden Gestalten, die mit genervter Miene dastanden und hofften, dass die Frau sich nun bald entscheiden würde. „Aber… warum? Warum jetzt?“ Edward atmete noch einmal tief ein und trat einen Schritt näher zu ihr. „Weil ich begriffen habe, dass ich Scheiße gebaut habe, Bella. Und… weil ich es mir deiner und meiner Selbst willen einfach nicht mehr leisten kann, nochmal ein Weihnachtsfest verstreichen zu lassen, ohne dass wir voneinander hören.“ Und da war sie heraus, die Wahrheit. Bella schluckte – das war wirklich viel auf einmal. „Gott, Ed.“ Mehr sagte sie nicht. Auch nicht, als sie den Kopf schüttelnd die Tür weiter aufmachte und den Leuten deutete, hereinzukommen. „Gott, Ed“, immer wieder, den gesamten Abend lang. In diesem Moment dachte Mister Cullen äußerst dankbar, dass es nie zu spät war, die eine oder andere Richtung zu ändern. Und dass selbst vergessene Trampelwege von damals, wenn auch nicht sofort, aber mit einer guten Portion Geduld sicherlich, ihn doch wirklich zu Plätzen bringen würden, von denen er sich nicht träumen hatte lassen, sie jemals wieder zu betreten. Mister Cullen hatte verstanden. Wenn Sie nun wie Mister Cullen eines Tages Besuch von drei Gestalten bekommen sollten, zögern Sie nicht, ihr Handeln zu überdenken. Der Geist der Weihnacht wird Sie – wie den Helden dieser Geschichte auch – daran erinnern, welchen Weg Sie einschlagen sollten. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Frohe Weihnachten! Kapitel 22: Detective Emily Uley und der Fall des verschwundenen Lebkuchenmanns ------------------------------------------------------------------------------- The story of December the Twenty-first will surely satisfy your thirst. Hach ja, heute gibt es mal keine Romanze oder dergleichen. Das heutige Märchen gibt uns ein kleines Rätsel auf. Also, wollen wir doch mal sehen, ob ihr genauso schnell hinter das Geheimnis kommt wie unser Detektiv hier :] ************************************************************** Detective Emily Uley und der Fall des verschwundenen Lebkuchenmanns by TzuTzu Es war eine Frechheit. Eine groteske, voraussehbare Eigenheit des Rudels. Etwas, das Mama Wolf ihren Kleinen noch austreiben musste. Emily hatte sich letzte Woche ein Pädagogikbuch gekauft und sie war dazu bereit, es gegen die Wölfe zu verwenden. Nicht umsonst hieß es „Pawlowscher Hund“. Noch immer starrte die Frau des Alphas gebannt auf die Stelle, an der eigentlich eines der vielen Lebkuchenmännchen hätte liegen müssen. Statt diesem befanden sich auf dem Tisch nur noch ein paar Krümel und das Bein der Leckerei. Emily schürzte die Lippen und säuberte den Tisch wütend. Sie hatte es den Wölfen gesagt: Niemand durfte naschen, da sie extra für das gemeinsame Weihnachten buk. Es war nur noch ein Tag bis zur Heiligen Nacht und Emily wusste, dass sie wegen des Kochens schon wenig Zeit hatte. Da konnte sie nicht auch noch backen. Deshalb hatte sie das Nasch-Verbot ausgesprochen und an diesem Tag mit Kim und Rachel gebacken. Doch einer der Wölfe hatte eindeutig dieses Verbot gebrochen und das wehrlose Männchen bestialisch ermordet. Es war klar, dass Emily durchgreifen musste. Sie musste den Schuldigen finden und zur Rechenschaft ziehen, da es sonst den anderen gegenüber nicht fair wäre. Also stapfte sie geradewegs ins Wohnzimmer, in dem sich Sam, Quil, Claire und Brady befanden. Sam saß in seinem Sessel und zappte gelangweilt durch die Kanäle, während Quil und Claire Quils alte Holzeisenbahn aufbauten. Brady sah den beiden dabei zu und kommentierte ihren Aufbau. „Die S-Kurve sieht nicht schön aus. Mach da doch einfach eine Brücke hin“, schlug Brady vor. Quil drehte sich ihm verärgert zu. Bevor es in einem typischen Streit ausartete, unter dem mehr die Frauen und Kleidung der Wölfe leideten, schaltete sich Emily ein. „War es einer von euch?“ Alle Männer drehten ihr fragend den Kopf zu. „Ihr könnt es ruhig zugeben. Ich verspreche auch, nicht wütend zu werden.“ Oh, sie würde nicht wütend werden – sie war es bereits. „Wütend weswegen?“, wollte Quil wissen und griff unter den Tannenbaum, weil die kleine Claire beschlossen hatte, den Zug durch den Wald zu leiten. Das Mädchen war unter den Baum geklettert, um Schienen zu verlegen. Nadeln fielen zu Boden und die Weihnachtskugeln wackelten bedrohlich. Wenn Emily richtig sah, war sogar der Stern auf der Baumspitze verrutscht. „Jemand von euch hat gegen das Nasch-Verbot verstoßen und einen Lebkuchenmann vom Tisch stibitzt. Ich würde gerne wissen, wer es war“, erklärte Mama Wolf und sah jeden einzelnen ihrer Vielfraße eindringlich an. Keiner von ihnen regte sich – außer Quil, der nun halb unter dem Weihnachtsbaum lag, weil Claire nicht mehr hervorkommen wollte. Sie kicherte und provozierte ihren Beschützer, indem sie sich mit aller Macht gegen seine verzweifelten Versuche, sie aus dem Baum zu holen, wehrte. „Nur Brady, Paul, Embry und Collin haben das Wohnzimmer verlassen, während ihr in der Küche ward“, erklärte Sam. „Somit haben Quil und ich ein Alibi. Jared und Seth patrouillieren, womit sie auch nichts damit zu tun haben können. Und Jacob und Leah sind mit den Cullens weg.“ Emily ging strahlend zu ihrem Mann und gab ihm einen Kuss, als Dankeschön dafür, dass er ihr so bereitwillig die üblichen Verdächtigen verraten hatte. Was blieb ihm auch anderes übrig? Sie war die Frau in dieser Beziehung und hatte die Macht. Er wusste es besser, als sie gegen sich aufzubringen – zumal sie sich letzte Woche ein Pädagogikbuch gekauft hatte. Sam hoffte, dass es bald zum Einsatz kam und das Lachen vieler kleiner Emilys das Haus erfüllen würde. Vielleicht wollte sie ihn zu Weihnachten überraschen? Er hoffte es inständig, denn das ständige Naschen seiner Frau hatte ihn stutzig gemacht. Ein ohrenbetäubender Lärm erklang und im nächsten Moment bewegte sich der Tannenbaum in einem rasenden Tempo auf das sich liebende Ehepaar zu. Geistesgegenwärtig sprang Brady auf und hielt den Baum davon ab, seinen Alpha und dessen Frau zu erschlagen, obwohl dies ihn nicht hätte sorgen müssen. Sam hatte sich mit Emily gedreht und schirmte ihren Körper mit seinem ab. Nachdem der junge Wolf erleichtert aufgeatmet hatte und feststand, dass Claire den Baum nicht wieder umstoßen würde, stellte er diesen zurück in seine aufrechte Position. Das kleine Mädchen saß beleidigt und mit aufgeblasenen Wangen auf Quils Schoß, als Emily ihr Verhör wieder aufnahm. Beinahe sah sie aus wie eine richtige Detektivin. Es fehlten nur noch die Pfeife, Mantel und der typische Hut. Vielleicht auch ein gewisses detektivisches Gespür. Um es ehrlich auszudrücken: Sie hatte nicht das Zeug zu einer Spürnase und würde noch sehr an ihrem Talent feilen müssen, wenn sie und Sam Kinder bekommen wollten. Wie sollte sie sonst ihre Rabauken von Gräueltaten abhalten oder sie in ihrem Zimmer erwarten, wenn sich die nicht mehr so kleinen Teenager aus dem Haus geschlichen hatten und hofften, unentdeckt zurück in ihre Betten zu gelangen? Die Frau hatte ihre Arme auf dem Rücken verschränkt und lief im Raum auf und ab. Ihr Gesicht zeigte, wie angestrengt sie über alles nachdachte. Sie musste die richtigen Fragen stellen, um die richtigen Wölfe auszuschließen. Dabei durfte sie sich nicht davon leiten lassen, dass ihre Intuition mit großen roten Pfeilen auf einen Namen zeigte. Paul. Aber Emily durfte nicht voreingenommen sein. Jedoch konnte sie das kleine Männchen in ihrem Hinterkopf nicht abschalten. Glaub mir! Er war es! Es gibt keinen Zweifel! Du musst gar nicht weitersuchen! Du kannst dir die Zeit sparen und stattdessen Wäsche waschen. Lass ihn einfach büßen!, flüsterte es. Nein, nein, nein. Mama Wolf durfte nicht voreilig urteilen. Weibliche Intuition war zwar unfehlbar, aber dennoch sollte sie der Fairness wegen den genauen Tathergang konstruieren. Emily wusste, dass Brady sich im Flur aufgehalten hatte. Er musste also das Kommen und Gehen einiger Wölfe beobachtet haben – oder sogar vielleicht selbst der Übertäter sein – wenn es nicht Paul war. Es konnte nicht sein, dass er niemals allein gewesen war. „Okay, Brady, du bist noch unter den Verdächtigen, gehörst aber nicht zum engeren Kreis“ der momentan nur aus einer Person bestand – ohne jeglichen Beweis, wohlgemerkt. Emily stellte sich vor den Couchtisch und baute sich zu ihrer vollen Größe auf, was die Wölfe doch etwas einschüchterte. So aufgebracht hatten sie Mama Wolf noch nie erlebt. „Warst du zur angenommen Tatzeit jemals alleine im Flur?“, fragte Emily mit ernster Miene. Sie tippte ungeduldig mit ihrem Fuß auf den Boden und wirkte bedrohlich, weshalb Brady schluckte. Er fühlte sich an seine vergessenswerte Grundschulzeit zurückerinnert. Seine Lehrerin hatte ihn damals immer so angesehen, wenn er zu lange am Kleber geschnüffelt hatte. „Nein, Ma'am“, antwortete der Wolf mit einer viel zu hohen Stimme. Er versuchte, sich unauffällig zu räuspern, jedoch weiß jeder, dass dies ein Unterfangen ist, welches noch nicht einmal den höchsten Virtuosen gelingt. „Erst waren Kim und Rachel da, dann ist Embry kurz gefolgt von Collin, dem wiederum Paul gefolgt ist, nach draußen gelaufen.“ Bradys Worte überschlugen sich und er hatte sich einige Male verhaspelt. „Und dann sind sie alle wieder raus oder rein. Paul ist ins Wohnzimmer und mit Rachel und Kim rausgegangen. Collin ist aus dem Bad wieder ins Wohnzimmer und ich bin dann mit Embry wieder ins Wohnzimmer. Es gibt also keinen Grund einen von uns zu schlagen, Ma'am. Wir waren alle im Wohnzimmer. Und ich habe nicht am Kleber gerochen! Ich schwöre!“ Quil hielt seinem Wolfsbruder den Mund zu, bevor dieser noch ausplauderte, dass sie es waren, die Emilys Tulpen während einer ernsteren, scherzhaften Auseinandersetzung zerstört hatten. Missmutig sanken Emilys Mundwinkel. Wenn sie Bradys Worten Glauben schenken konnte – was sie eindeutig nicht wollte –, hatte Paul ein Alibi und Embry und Collin nicht. Sie waren gegangen, nachdem der Wolf den Flur verlassen hatte. Dabei schienen die beiden immer so lieb. Sie halfen Mama Wolf sogar mit dem Abwasch. „Ganz ehrlich? Ich habe es noch nicht verstanden... Wieso hat wer jetzt welches Alibi?“, wollte Quil wissen und versuchte, Claire still zu halten, die sich wie ein Wurm in seinen Armen wandte. „Ich auch nicht“, murmelte Sam und sah Brady mit hochgezogener Augenbraue an. Er traute seinem Bruder nicht. Dieser war zu aufgeregt. Der Alpha war kurz davor, den Befehl zu erteilen, die Wahrheit ruhig zu sagen. Jedoch war selbst Sam ein wenig aufgeregt. Er hatte Angst, dass wegen einem seiner Brüder nun das ganze Rudel leiden musste. Es wäre eine Schande auf die Muffins seiner Frau verzichten zu müssen. „Es ist ganz einfach“, sagte Emily und stand auf, um in der Küche ein paar Plätzchen holen zu gehen, mit denen sie die Alibis für Quil verdeutlichen konnte. Vier Köpfe konnten besser denken als einer, aber dafür musste auch jeder verstehen, was Brady gesagt hatte. „Du hast das verstanden? Ich habe nur Wohnzimmer gehört“, murmelte Quil. „Hey, sei nicht so gemein. Ich habe mein Bestes gegeben“, beschwerte sich Brady. Seine Ohren verfärbten sich dabei leicht rot. Quil fragte sich wie der jüngere Wolf bis jetzt überlebt hatte, zumal er mit dieser Naivität nicht gegen Vampire gewinnen konnte. Sie hätten ihn in wenigen Sekunden auseinandergenommen. Als Emily zurück ins Wohnzimmer kam, räumte sie den Tisch leer und zog mit Lebensmittelfarbe zum Verzieren von Kuchen und Plätzchen die Grundrisse des Hauses nach. Sie leuchteten in rot, grün, blau und gelb auf dem dunklen Holz auf. Danach legte sie einige Teigwaren in verschiedene Räume. Die meisten türmten sich im Wohnzimmer, zumindest dachte Quil, dass es das Wohnzimmer sein sollte. „Noch einmal ganz langsam nur für dich, Quil“, begann Emily. „Während Rachel, Kim und ich noch in der Küche beschäftigt waren“ Sie wies auf die drei Kekse in der Küche, „waren du, Sam, Embry, Collin, Paul und Brady im Wohnzimmer.“ „Und ich!“, rief Claire euphorisch und riss ihre Arme in die Luft. Dabei verpasste sie Quil beinahe einen Kinnhaken, der das Unglück aber noch in letzter Sekunde abwehren konnte, sodass sich das Mädchen nicht verletzte. „Und du“, lächelte Emily und ließ mit dieser Geste Sams Herz höher schlagen. „So. Nachdem das geklärt ist, kommen wir zu dem für dich schwierigen Teil.“ „Wieso betonst du immer, dass ich es nicht verstanden habe? Dein Mann tappt genauso im Dunklen“, beschwerte sich Quil grummelnd und umarmte Claire in seinen Armen fester. „Der Alpha ist unfehlbar“, warf Sam grinsend ein und forderte Mama Wolf mit einer Geste auf, fortzufahren. „Okay. Wo war ich? Ach, genau. Wir wissen nun, welches Plätzchen wen darstellt. Also, nachdem wir mit dem Backen fertig waren, sind Rachel und Kim ins Wohnzimmer gegangen. Da hat Brady sich aber schon im Flur befunden.“ Emily schob die Plätzchen durch das aufgezeichnete Haus in den benannten Raum. „Aber als sie ins Wohnzimmer gegangen sind, hat Embry das Haus verlassen, weil er wahrscheinlich mit einer seiner...“ Ein kurzer Blick auf Claire ließ die Frau stocken, „... einem seiner Häschen telefoniert hat und er euch nicht mit ihrem Gekreische belästigen wollte. In dieser Hinsicht zeigt er wenigstens etwas Verständnis.“ Brady grunzte, da er versucht hatte, ein Lachen zu unterdrücken. Emily konnte sich nicht im Geringsten vorstellen, was Embry dem Rudel von seinen Häschen mitteilte, wenn sie alle verwandelt waren. Paul war zurzeit der Einzige, der es länger als eine Stunde mit dem anderen Wolf aushalten konnte. Schon alleine bei dem Gedanken, an das, was Embry ihnen beim nächsten Mal mitteilen würde, wurde Bradys Nacken rot. „Embry hat Häschen? Wieso durfte ich noch nicht mit ihnen kuscheln?“, wollte Claire empört wissen. Sie wünschte sich schon seit einigen Monaten ein Haustier, war jedoch, wie ihr Vater, gegen Tierhaare allergisch. Dies wollte sie jedoch nicht einsehen, da sie mit Quil in seiner Wolfsgestalt knuddeln konnte, ohne niesen zu müssen oder tränende Augen zu bekommen. Nun konnte Brady nicht mehr an sich halten und gröhlte. Selbst Sam entlockte die Aussage des Mädchens ein Lächeln. Emily runzelte nachdenklich ihre Stirn und Quil schnappte nervös nach Luft und suchte nach etwas, das er Claire sagen konnte, um sie nicht zu sehr zu enttäuschen. „Die Häschen sind ansteckend, Liebes“, schritt Mama Wolf schließlich ein. „Viele von ihnen beißen sogar. Du hast bestimmt schon einmal gehört, wie Embry sich darüber beschwert hat.“ „Nur über das Kratzen“, gab die Kleine zu. „Oh, Gott, Claire! Hör nie wieder zu, wenn Onkel Embry oder Onkel Paul etwas sagen. Halt dir sofort die Ohren zu und fang an laut zu singen“, befahl Quil. „Und was ist, wenn das Haus brennt und die beiden ihr sagen, dass sie rauslaufen soll?“, war Brady ein. „Vergiss, was ich gesagt habe!“, widerrief der geprägte Wolf seinen Befehl. Emily räusperte sich, um die Aufmerksamkeit auf die wichtigsten Dinge an diesem Tag zu wenden. Der Meuchelmord an dem wehrlosen Lebkuchenmännchen. „Wie schon erwähnt. Embry befindet sich draußen und Brady im Flur. Warst du zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht alleine?“, wandte sie sich an Brady, der sofort den Kopf schüttelte. „Collin ist sofort durch den Flur ins Bad.“ Während er sprach, legte Brady ein Plätzchen vom Wohnzimmer ins Bad. „Das war der Keks für Sam“, beschwerte sich Emily. „Ach, egal... Dann ist Sam jetzt eben Collin und Collin Sam.“ „Ich hoffe, dass das nur für die Plätzchen gilt“, grummelte der Alpha und lächelte, als seine Frau es tat. „Collin im Bad, Embry draußen und Brady im Flur. Was nun?“, fragte Quil und zeigte, dass er es durch die Veranschaulichung besser verstand. „Paul ist in Emily und Sams Schlafzimmer, um sich eine Hose anzuziehen, weil er wieder einmal ausgerastet ist und sich verwandelt hat.“ Wieder wanderte ein Plätzchen in einen anderen Raum. „Er muss sich aber in übernatürlicher Geschwindigkeit umgezogen haben, da er sofort wieder angezogen ins Wohnzimmer gegangen ist, um dort Kim und Rachel abzuholen.“ „Okay.“ Konzentriert schob Emily erst Pauls Plätzchen ins Wohnzimmer und dann mit denen von Kim und Rachel aus dem Haus. Claire stürzte sich freudig quietschend auf die Leckereien und vernichtete sie. „Hey! Wieso darf sie die Plätzchen essen und hat kein Nasch-Verbot?“, warf Brady vorwurfsvoll ein. „Weil sie kein überdimensionaler Hund mit sieben Mägen und nur einen halben Meter groß ist“, erklärte Mama Wolf knapp und mit einem Blick, der Brady das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der Wolf schluckte und schob dann wortlos ein Gebäck weiter. Es war Collin, der aus dem Bad zurückkehrte. Er fühlte sich wieder in die Haut eines Siebenjährigen versetzt, der von seiner Lehrerin in Grund und Boden gestarrt wurde. „Dann bin ich mit Embry zurück“, sagte er. „Und Embry und Collin sind zusammen gegangen, nachdem sie sich verabschiedet hatten“, führte Emily aus. „Ja, Ma'am.“ Brady sah Claire neidisch zu, wie sie sich die Plätzchen in den Mund schob und alle im Raum anstrahlte. Bei diesem Lächeln ging nicht nur Quils Herz auf. Auch Brady, der eifersüchtig auf sie war, konnte nicht anders, als es zu erwidern, besonders weil die Kleine nicht nur sich vollkrümelte, sondern auch den Wolf hinter sich. Den es nicht zu stören schien, da sie ihn um ihren kleinen Finger gewickelt hatte. Es war kaum vorzustellen, dass der Riese sich von einer Vierjährigen herumkommandieren ließ. Das letzte Mal hatte er sogar stillgesessen, während sie ihn mit Schminke beschmiert hatte. Die Fotos die entstanden waren, hatte Paul versucht, als Erpressungsmittel zu verwenden, jedoch störte es Quil nicht, dass er wie ein schwuler Clown ausgesehen hatte. Im Gegenteil. Er war stolz auf die Kriegsbemalung gewesen, weil Claire ihn hübsch genannt hatte. „Gut, dann werde ich mich jetzt auf den Weg zu Embry oder Collin machen, um herauszufinden, wer von ihnen gegen mein Verbot verstoßen hat. Ihr macht dann bitte diese Sauerei hier weg“, sagte Emily und wies auf den Tisch. Sie zupfte ihren Pullover zu Recht, gab Sam noch einen Kuss und wollte schon losgehen, als ihr Mann sie am Arm zurückhielt und auf seinen Schoß zog. Er vergrub sein Gesicht in ihrem Nacken und drückte sie fest an sich. „Du musst bei diesem Wetter nicht laufen“, murmelte der Alpha und ließ seine Frau los, als diese sich gegen seine Umarmung zur Wehr setzte. „Ruf sie doch einfach an. Dann hast du auch uns im Auge, falls wir auf die dumme Idee kommen sollten, uns an die Plätzchen zu schleichen.“ Als würde sich einer der Wölfe nach dieser Qual noch trauen, sich Mama Wolf zu widersetzen. Es gab tausend Dinge die sie lieber taten, als sich einem solchen Verhör erneut zu stellen. Zum Beispiel die Beinhaare wachsen lassen. Das hatten sie den vergangenen Sommer mit Paul getan, weil dieser Leah provoziert hatte. Sie hatte sich kurzerhand in Emmett und Rosalie die passenden Verbündeten gesucht, die Paul festhielten, während Wölfin die Beine des Wolfs enthaarte. Sie hatte selbst dann nicht aufgehört, als er sich in seine tierische Form verwandelt hatte. Danach hatte ihn das Rudel über einen Monat ausgelacht. Doch schließlich waren Fell und Beinhaare nachgewachsen und nur die Erinnerung und ein paar Bilder waren zum Amüsement geblieben. Bei einem Blick aus dem Fenster hatte Emily zum Telefon gegriffen. Außerhalb des warmen Häuschens der kleinen Familie Uley tobte ein Schneesturm, bei dem sich Mama Wolf Sorgen um ihre Kinder machte. Jared und Seth befanden sich irgendwo im Wald und sorgten für die Sicherheit La Pushs. Sie mussten trotz ihrer übernatürlichen Körpertemperatur und ihrem dicken Fell frieren. Vielleicht sollte sie ihnen Kaffee und heiße Schokolade machen, wenn sie nach ihrer Patrouille kamen, um von Sam und Paul abgelöst zu werden. Ein Ziehen breitete sich in Emilys Magen aus, als sie Pauls Namen dachte. Es war ihre unfehlbare weibliche Intuition, die sich meldete und ihr mitteilen wollte, dass etwas mit Paul nicht stimmte. Leider gab das Ziehen aber nicht preis, was genau sie stutzig machen sollte. Sie hätte diesem Gefühl mehr Aufmerksamkeit schenken sollen, anstatt es mit einem Schulterzucken abzustreifen und Embrys Handynummer zu wählen. „Embry Call, der gerade mit zwei der hübschesten Frauen“ Während ein Kichern erklang, hörte Emily im Hintergrund ein dumpfes Geräusch und, dass Embry jemanden verfluchte, „dann eben noch Collin. Womit kann ich behilflich sein?“ „Ward ihr es?“, platzte es aus Mama Wolf. „Waren wir was?“, wollte der Wolf wissen. „Wer von euch beiden hat das Plätzchen gegessen?“ „Wir haben keine Plätzchen gegessen. Du hast doch ein Nasch-Verbot ausgesprochen.“ „Es war bestimmt Paul“, meldete sich Collin. Unnötigerweise hielt er danach nicht den Mund. „Nur er wäre so dumm, Emilys Zorn auf sich zu ziehen. Sie ist bestimmt schon dabei Kampf-Muffins zu backen und ihn damit zu Tode zu werfen.“ Embry lachte vergnügt. „Das würde nichts nützen. Paul würde selbst als Kuchen getarnte Granaten fressen. Da sind Kampf-Muffins nichts gegen.“ „Ihr wollt schon noch einmal hier essen, solange ihr euch noch nicht geprägt habt, oder?“, warf Emily wütend ein. Beide Welpen entschuldigten sich sofort und beschlossen, bei der nächsten Gelegenheit Mama Wolf wieder in den Hintern zu kriechen. Embry würde ihr dabei helfen die Wäsche aufzuhängen und ihre Einkäufe tragen, während Collin das Geschirr spülen und die Möbel anheben würde, damit Emily darunter saugen konnte. Kurz nachdem das Gespräch beendet worden war, Emily ihre Kleinen daran erinnert hatte, nicht zu viel zu feiern, weil es schon früh am nächsten Morgen eine Bescherung geben sollte, und sie Embry ermahnt hatte, den unschuldigen Collin nicht zu einem Teufel zu machen, betraten Paul und Rachel das Haus. Letztere war in zwei Jacken gehüllt und mit einem von Pauls Schals vermummt. Mama Wolf vermutete, dass Pauls Beschützerinstinkt bei diesem Wetter gewonnen hatte. Zum Glück war Rachel eine starke Persönlichkeit, sonst wäre sie so geendet, wie Kim vor ein paar Monaten. Jareds Verlobte hatte den Fehler gemacht und hatte ein Messer fallen lassen. Es war mit der Spitze im Boden gelandet und hatte nur knapp Kims Fuß verfehlt. Als Jared von dem Vorfall erfahren hatte, hatte er alle Messer, Scheren und andere spitzen Gegenstände aus dem Haus entfernt. Kim hatte erst wieder kochen können, nachdem Sam dem untergestellten Wolf befohlen hatte, nicht mehr so überempfindlich zu sein. Dessen arme Verlobte hatte nicht einmal eine Tüte Reibekäse öffnen können. Hätte der Alpha nicht eingegriffen, wären nicht nur Kims Tränen geflossen. „Tag... wieder“, grummelte Rachel. In Emilys Magen machte sich wieder das Ziehen bemerkbar. Doch anstatt ihrem detektivischen Gespür zu folgen, schob Emily alles beiseite und musterte das Ehepaar. Rachel wirkte genervt, obwohl um ihre Lippen ein Lächeln spielte. Paul im Gegensatz wirkte mehr als glücklich. Er strahlte von einem Ohr bis zum anderen. Bestimmt, weil er den Keks gegessen hatte, vermutete Mama Wolf. Seine Ehefrau konnte ihn decken. „Was zur Hölle ist das?“, wollte Rachel entsetzt wissen und starrte auf den Couchtisch, auf dem sich noch immer der Grundriss des Hauses Uleys aus Lebensmittelfarbe befand und ein paar Krümel, die Claire, die inzwischen in Quils Armen eingeschlafen war, nicht erwischt hatte. „Wir haben den Tathergang rekonstruiert, um herauszufinden, wer der Plätzchenmörder ist“, erklärte Brady. Das hinzugekommene Ehepaar sah ihn mit großen Augen an und Emily konnte einen Stimmungsumschwung ausmachen, den sie sich zu Nutzen machen wollte. Paul war blass geworden und sah nervös zu seiner Frau, die wiederum ihre Zähne zusammenbiss und ihre Hände zu Fäusten geballt hatte. „Kannst du uns da etwas zu sagen, Paul?“, fragte Emily und ging auf den angesprochenen Wolf zu. Seine Augen huschten erneut kurz zu Rachel, bevor er den Kopf schüttelte. Er durfte Emily auf keinen Fall etwas sagen. Dieser Verrat würde einem Todesurteil nachkommen. Egal, was Mama Wolf ihm androhte, er musste immer im Hinterkopf behalten, was geschah, wenn er plauderte. Der Täter würde ihm den Kopf abreißen. Sein Blick glitt über die anderen Anwesenden und blieb länger an Claire hängen, bevor sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. „Du weißt doch etwas“, stellte Emily fest und trat näher an ihn heran. Ihre Augen funkelten dabei so böse, dass Paul schlucken musste. Es würde schmerzhafter werden als Leahs Beinenthaarung. Das stand fest. „Paul...“, sagte die Frau des Alpha mit einem bedrohlichen Unterton in ihrer Stimme. Paul schluckte erneut. „Weißt du, was mit dir geschieht, wenn ich herausfinde, dass du mir etwas verschwiegen hast? Leah wird sich sicher über einen Anruf von mir freuen, in dem ich ihr mitteile, dass sie sich so richtig an dir austoben kann.“ Paul schloss seine Augen und konzentrierte sich auf den Grund, weshalb er seine Klappe hielt. Grausame Schmerzen, die niemand lindern würde. Er würde durch die Hölle gehen und würde es nicht wagen sich selbst zu befreien, weil es dann nur noch länger andauern würde. „Kannst du dir vorstellen, was sie sich alles einfallen lassen wird?“ Oh, das konnte er. Der Wolf suchte nach der Hand seiner Frau und drückte diese fest. Erst dabei fiel ihm auf, wie ungewohnt verschwitzt seine war. Er leckte sich nervös über seine Lippen und versuchte mit aller Macht, nichts durch seinen Blick zu verraten. Deswegen starrte er alles an, außer die Personen im Raum. „Wie lange hat es noch einmal gedauert, bis deine Haare nachgewachsen sind?“ „Herr, Gott, Emily! Es war nur ein verdammter Keks! Jetzt stell dich nicht so an und lass Paul endlich in Ruhe. Er würde dir selbst dann nichts verraten, wenn du ihm damit drohst, ihn zu kastrieren!“, fuhr Rachel genervt dazwischen. Pauls Kopf schoss zu ihr herum. Kastrieren? Er drückte seine Beine zusammen und hoffte, dass es nicht zu einer solchen Drohung kommen würde. „Aber ich hatte ein Verbot ausgesprochen und es wäre unfair den Wölfen gegenüber, die sich daran gehalten haben“, empörte sich Mama Wolf. Rachel rollte mit den Augen. „Genau deswegen wollte ich es dir nicht sagen! Weil du direkt aus der Haut fährst! Emily, es war keiner der Wölfe! Ich hatte verdammten Heißhunger, weil ich schwanger bin! Und Paul verrät dir nichts, weil die Strafen, die ich ihm auferlegen kann, schlimmer als all das sind, was du ihm jemals androhen kannst!“ Das darauf folgende Freuden-Gekreische weckte nicht nur die kleine Claire, sondern ließ auch jeden Lebkuchenmannmord in Vergessenheit geraten. Kapitel 23: Schenken ist doch gar nicht schwer ---------------------------------------------- December the Twenty-Second’s narrative’s one about America’s natives. Ohh, so langsam nähern wir uns dem Ende der Märchen. Aber noch ist es nicht soweit, nein, noch habt ihr drei weihnachtliche Geschichten vor euch. Aber auch wenn dann der 24. Dezember verstreicht, schaut vorbei. Denn auch an den Weihnachtstagen haben wir noch ein paar wunderbare OneShots für euch :] But now indulge in the following one! **************************************************************************** Schenken ist doch gar nicht schwer by lebkuchenherz „Was liest du da?“, durchbrach Jacob meine Gedanken und ich sah ihn über den Rand meines Buches hinweg an. Er ließ sich neben mich auf die Couch fallen, woraufhin ich meine Lektüre zuschlug und sie auf den Tisch vor mir legte. „Nur ein paar Weihnachtsmärchen um in Weihnachtsstimmung zu kommen“, antwortete ich mit einem Zwinkern und drehte mich zu meinem besten Freund. „Warum bist du schon so früh hier? Wolltest du nicht erst später vorbeikommen?“ „Wollte ich, aber Sam hat mich zu dir geschickt. Ich soll dich heute Abend mit zu Emily bringen. Sie kocht für uns alle und ich schätze, dass sie mit uns allen noch über Weihnachten reden will.“ Er verdrehte die Augen und ich boxte ihm spielerisch auf die Schulter. „So schlimm ist Weihnachten gar nicht“, schimpfte ich vergnügt, während er meine Hand abfing und mich zu sich zog. Ich ließ mich in eine Umarmung schließen und legte meinen Kopf seufzend auf seine Brust. „Nein, Weihnachten ist nicht so schlimm. Aber ich vermute, dass Emily schon wieder wichteln will.“ Er stöhnte genervt auf, was mich zum Lachen brachte. „Komm schon, das wird wieder witzig werden.“ „Nein, wird es nicht. Nessie, es ist nie witzig. Immer geht irgendetwas schief, oder jemand bekommt ein total verblödetes Geschenk von Paul, was dann zu Streit führt“, argumentierte er und spielte dabei mit einer meiner Locken. Ich setzte mich etwas auf, woraufhin er die Umarmung lösen musste. „Sei nicht so pessimistisch. Vielleicht wird es dieses Jahr ganz anders werden.“ Jacob hob skeptisch eine Augenbraue. „Komm schon“, lachte ich und erhob mich. „Lass uns rüber gehen und hören, was Emily vorschlägt. Vielleicht ist es ja etwas ganz anderes.“ Er seufzte und erhob sich ebenfalls. „Du wirst sehen, dass ich mal wieder Recht haben werde“, meinte er nur, bevor wir gemeinsam die große Villa durch die Hintertür verließen. Nach einem kleinen Wettrennen im Schnee kamen Jacob und ich fast gleichzeitig bei den Uleys an. Während Jacob sich hinter einen schneebedeckten Busch verzog, um sich in seine menschliche Form zu bringen, betrat ich die kleine heimelige Hütte und wurde sofort von Seth in die Arme geschlossen. „Hey Kleines!“, rief er erfreut und drückte mich an seine warme Brust. „Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt.“ Er setzte mich wieder auf meine Füße und verstrubbelte mir das Haar, woraufhin ich ihm verärgert in die Seite kniff. „Übertreib mal nicht. Alice hat mich nur ganze zwei Tage in Anspruch genommen. Es hätte weitaus schlimmer enden können.“ Er lachte und Jacob betrat hinter mir das Haus. „Hey Seth“, begrüßte er seinen Freund und späte über meine Schulter in das weihnachtlich geschmückte Wohnzimmer. „Befürchtest du das Gleiche wie ich?“, erkundigte er sich mit einem ernsten Blick bei diesem und Seth nickte. „Ja. Und sie ist schon den ganzen Tag so gut gelaunt, ich wette sie hat etwas Schreckliches ausgeheckt.“ Die beiden Jungs schüttelten sich und ich verdrehte genervt die Augen. „Übertreibt mal nicht.“ „Nessie, das wäre das Letzte was uns einfallen würde“, beteuerte Seth ernst und Jacob pflichtete ihm mit einem Nicken bei. Ich hingegen hatte genug und ließ die beiden im Flur stehen, um den Rest meiner Familie zu begrüßen. Bis auf Leah hatten sich bereits alle Wölfe um den großen Esstisch der Uleys versammelt und quasselten wild durcheinander. Ich umarmte Quil, die kleine Claire und Embry, die mir am nächsten standen, bevor Emily mit einem riesigen Kochtopf in den Händen aus der Küche trat und mich bemerkte. „Nessie, meine Liebe. Schön das du gekommen bist.“ Auch sie schloss mich, nachdem sie den Topf auf den Tisch gestellt hatte, in ihre Arme und flüsterte mir dabei in die Ohren. „Wir brauchen dringend weibliche Unterstützung.“ Sie löste sich und zwinkerte mir aufmunternd zu. „Willst du dich nicht setzten? Leah müsste jeden Moment kommen und dann können wir anfangen.“ Ich nickte und setzte mich auf den freien Platz neben Jake, der in der Zwischenzeit bereits Platz genommen hatte. Keine drei Minuten später stürzte eine wütend schnaubende Leah herein, beschwerte sich über den vielen unnötigen Schnee und ließ sich schließlich neben Rachel erschöpft auf den Stuhl fallen, womit sie das Abendessen feierlich einleitete. In kürzester Zeit hatten sich die Jungs über den Eintopf hergemacht und auch von den Beilagen nichts mehr übrig gelassen. Die Stimmung war ausgelassen und abwechselnd erzählte man sich lustige Geschichten oder zog sich gegenseitig auf. Ich amüsierte mich köstlich und lachte gerade über einen von Pauls Witzen, als Emily auf sich aufmerksam machte. „Leute, könntet ihr mir mal einen Moment zuhören?“, rief sie, doch erst als Sam seine Stimme erhob und Ruhe forderte, kehrte diese auch ein. Emily bedankte sich bei ihrem Ehemann mit einem liebevollen Lächeln und blickte dann fröhlich in die Runde. „Ich denke, ihr wisst worüber ich heute Abend mit euch sprechen will?“ Seth und Jake neben mir seufzten und fingen sich nicht nur von mir einen bösen Blick ein. Doch Emily ließ sich davon nicht einkriegen und redete weiter. „Ja genau. Es geht um Weihnachten und vor allem um den Heiligen Abend. Ich würde es mir wünschen, wenn wir auch dieses Jahr wieder gemeinsam hier feiern könnten. Rachel und Kim waren bereits so nett und haben mir Hilfe in der Küche angeboten. Jede weitere helfende Hand ist natürlich gerne gesehen.“ Sie zwinkerte mir zu und ich nickte einverstanden. „Sam wird sich um den Weihnachtsbaum und die restliche Organisation kümmern und dann wäre da noch das Problem mit den Geschenken. Ich bin dafür, dass wir auch in diesem Jahr wichteln und habe mir…“, weiter kam sie nicht, denn die Hälfte des Tisches stöhnte genervt auf und brach in hitziges Gemurmel aus. „Jungs!“, donnerte Sam schließlich nach einer guten Minute, worauf alle wieder verstummten. „Stellt euch nicht so an.“ Er warf seinem Rudel einen bösen Blick zu und Emily seufzte. „Mir ist klar, dass ihr mit dieser Idee nicht einverstanden seid, aber glaubt mir, wenn ich euch sage, dass es die beste Lösung ist.“ „Aber Emily“, unterbrach Jared sie. „Du weißt doch, dass es nie gut endet, wenn wir wichteln.“ „Ja. Erinnere dich nur an das Jahr zurück, als Sam deinen selbst gestrickten Schal bekam, der mindestens ein Jahrzehnt lang durch ganz La Push gereicht wurde, weil ihn keiner mochte“, setzte nun auch Seth ein und Emily warf ihm einen tödlichen Blick zu. „Das werde ich euch übrigens nie verziehen!“, schimpfte sie. „Emily, mal ehrlich. Wir wichteln schon seit Jahren und bisher hat es kein einziges Jahr gut geklappt. Immer geht irgendwas schief, oder kaputt oder jemand rastet aus und wir haben Wolfshaare im Gebäck“, wandte Paul ein und sah die junge Frau ernst an. „Du weißt, dass es nicht funktioniert. Wie oft muss ich denn noch das schlechteste Geschenk aller Zeiten finden? Es wird von Jahr zu Jahr schwerer und meinen Ruf so einfach aufgeben, kann ich auch nicht.“ Emilys Blicke sprühten Funken, weshalb Rachel ihrem Mann eine Hand auf die Schulter legte und ihn somit zum Schweigen brachte. Der Rest des Tisches pflichtete Paul jedoch bei, bis Emily den Lärm durchbrach. „Ich weiß sehr wohl, dass ihr nicht dazu in der Lage seid euch anständige Geschenke zu machen. Aber darum habe ich auch dieses Mal einen wasserfesten Plan, der dafür sorgen wird, dass es nicht wieder in einer Katastrophe endet. Und ihr werdet es genauso tun wie ich es sage, oder ich koche nächstes Jahr nichts mehr für euch.“ Drohend funkelte sie jeden in der Runde für einige Sekunden an, weswegen niemand zu widersprechen wagte. Sie holte tief Luft, bevor sie erneut ansetzte. „Dieses Jahr werden wir es zur Abwechslung einmal ganz anders machen. Jahre lang haben wir unsere Geschenke aus einem Sack gezogen und niemand wusste, wer nun sein eigenes bekommen würde. Das will ich vermeiden, indem wir Namen ziehen. So wisst ihr, wem ihr etwas schenken sollt und könnt das Geschenk dadurch präziser auswählen. Und, damit niemand auf die Idee kommt, seinem Wichtel etwas völlig Unmögliches zu schenken“, ihr Blick wanderte zu Paul, der daraufhin in seinem Stuhl versank, „wird es dieses Jahr für jeden nur genau ein Geschenk geben. Kurzum, die Person die ihr zieht ist die einzige Person, die von euch beschenkt wird. Ich denke, dann wird es keine Probleme geben, denn wenn hier jemand wegen seines Geschenkes ausflippt, müsst ihr auf meine Muffins verzichten.“ Sie verschränkte bestimmend die Arme vor ihrer Brust und alle warfen sich daraufhin verwunderte Blicke zu. „Seid ihr damit einverstanden?“, setzte sie noch nach, was mit einem zustimmenden Gemurmel beantwortet wurde. „Gut. Hier in diesem Körbchen sind Zettel mit allen Namen. Lasst es durchgehen und zieht jeweils einen davon.“ Sie drehte sich um ihre eigene Achse und holte ein kleines braunes Bastkörbchen von der Kommode, das sie dann Sam reichte. Dieses ging reihum und jeder zog einen kleinen Zettel heraus. Aufgeregt nahm ich es von Seth entgegen und zog ebenfalls einen Namen, bevor ich es weiterreichte. Vorsichtig entfaltete ich den kleinen Zettel, warf einen Blick darauf und seufzte erleichtert. „Wen hast du?“, fragte Jacob neugierig und beugte sich zu mir herüber, doch ich ließ das Stück Papier schnell verschwinden. „Das sage ich dir nicht“, erwiderte ich frech grinsend, woraufhin er eine Schnute zog. „Den Blick kannst du gleich vergessen! Schau mal, Emily bringt den Nachtisch rein“, lenkte ich ihn ab und wies in die andere Richtung. Während er zu Emily sah, die gerade ein Tablett mit mehreren Schüsseln Eis auf ihren Armen balancierte, lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und lächelte. Es würde ein Leichtes werden, für meinen besten Freund ein Weihnachtsgeschenk zu besorgen. ~*~ Oh, wie hatte ich mich nur so irren können. Haare raufend stand ich in meinem Zimmer und ließ mir von Alice mein Kleid zu Recht zupfen. „Alice, ich bin so erledigt“, stöhnte ich auf, woraufhin mir der quirlige Vampir einen bösen Blick zu warf. „Nessie! Nicht die Haare! Ich hab Stunden gebraucht, um sie so perfekt zu frisieren und ich lasse mir mein Meisterweg nicht wegen dieses… Hundes kaputt machen.“ Sie sprang auf und zog an meinen Händen, bevor sie sich um meine verrutschten Locken kümmerte. Mit einem Schmollmund ließ ich sie gewähren und sah traurig zu Boden. Sobald Alice zufrieden mit ihrem Werk war, trat sie einen Schritt zurück und klatschte freudig in die Hände. „Du siehst so wunderschön aus“, flötete sie. „Nur an deinem Gesichtsausdruck musst du noch etwas ändern.“ Sie zog eine Augenbraue nach oben, als ich ihr betrübt ins Gesicht sah und kam auf mich zu. „Jetzt lass dich nicht so hängen.“ „Aber Alice. Er ist mein bester Freund, der Mensch den ich am besten kenne und ich habe einfach kein lächerliches Weihnachtsgeschenk für ihn finden können.“ „Dein Anblick wird ihm Geschenk genug sein“, tröstete sie mich unwirsch, bevor ihre Stimme einen sanfteren Klang bekam. „Glaube mir, Jacob wird es verstehen und dir nicht böse sein.“ Sie streichelte mir mitfühlend über den Arm und ich hatte plötzlich das Gefühl, dass sie Recht haben könnte. Erleichtert seufzte ich und schenkte ihr ein dankbares Lächeln, bevor ich mich umdrehte und Jasper gegenüberstand. „Leute! Ich kann diese Manipulation im Moment wirklich nicht gebrauchen“, stöhnte ich verzweifelt auf und rauschte aus dem Zimmer. Zwei Wochen lang hatte ich versucht, das beste Geschenk für Jacob zu finden, doch meine Suche war vergebens geblieben. Egal welche Idee ich gehabt hatte, immer hatte es einen Aspekt gegeben, der sie mir zunichtemachte. Nichts stellte mich zufrieden, kein Geschenk empfand ich für gut genug und schließlich war ich sogar so weit gegangen, dass ich Dad angefleht hatte, mir Jacobs sehnlichsten Wunsch zu verraten -schließlich konnte er in seinen Kopf sehen und ich nicht - doch Dad war eisern geblieben. Er meinte nur, dass Jacobs Wünsche eher immaterieller Form waren und es meine eigene Aufgabe war, sie herauszufinden. Das hatte mir dann auch nicht viel weiter geholfen. Stundenlang hatte ich überall nach dem passenden Geschenk gesucht, hatte nächtelang im Internet recherchiert, war unter Ausreden mit Alice ins Einkaufzentrum gefahren, hatte fast alle meine Familienmitglieder gefragt, doch kein Vorschlag war mir gut genug erschienen. Als Alice dann vor einigen Stunden in mein Zimmer marschiert war und mich ins Bad gezerrt hatte, weil sie meinte Schönheit bräuchte ihre Zeit, hatte ich letzten Endes kapituliert. Es würde dieses Jahr kein Geschenk für Jacob geben und ich wusste nicht, wie ich ihm die Nachricht, die vielleicht sein Herz zerreißen würde, am besten beibringen könnte. Im Wohnzimmer angekommen, ließ ich mich verzweifelt in meinen Sessel plumpsen und vergrub mein Gesicht in den Händen. „Hast du immer noch kein Geschenk?“, zog mich Emmett auf, der sich nur einige Sekunden später auf die Couch mir gegenüber fallen ließ. Schnell hob ich meinen Kopf, um ihm einen wütenden Blick zuzuwerfen, doch das ließ ihn kalt. „Weißt du, es würde mich nicht wundern, wenn er sich wegen dieser Sache entprägen würde. Du bist schon herzlos, dass weißt du, nicht?!“ „Dad!“, rief ich verzweifelt und Tränen drohten mir in die Augen zu schießen. Diesem gefror augenblicklich das Grinsen auf seinen Lippen und er räusperte sich. „Emmett will dich nur aufziehen, Liebling. Jacob kann sich nicht entprägen.“ „Auch wenn es sich manche in diesem Haus von Herzen wünschen würden“, unterbrach ihn Rose, woraufhin ich sie mit zitterndem Kinn anstarrte. „Danke für die tröstenden Worte“, murmelte ich enttäuscht und suchte den Blick meiner Mutter. Diese saß neben Dad und musterte mich mit einer betrübten Miene, bevor sie aufstand und sich neben mich kniete. „Hör nicht auf sie“, flüsterte sie und strich mir mitfühlend eine Strähne aus der Stirn. „Ich denke, Jacob wird dich verstehen und dir nicht böse sein.“ Sie lächelte und ich seufzte. „Und nun beeil dich, er wird jeden Moment da sein.“ Ich nickte, da ich den Motor seines Autos röhren hörte und erhob mich. „Ich wünsch dir viel Spaß bei den Uleys“, fügte Mom noch hinzu und drückte mich fest an sich. „Danke“, murmelte ich und erwiderte die Geste. Der Rest meiner Familie verabschiedete sich ebenfalls, ehe Jacob an der Haustür klopfte und zögernd eintrat. Er sah sich einen Moment um, bis er mich erspähte und augenblicklich huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Hey! Da ist er ja mein Weihnachtsengel“, begrüßte er mich und breitete seine Arme aus, darauf wartend, dass ich ihn drückte. Ich kam seiner stummen Bitte nach und verweilte einige Sekunden länger in seiner Umarmung als gewöhnlich. „Bist du bereit?“, fragte er lächelnd und ich nickte. „Ja, lass uns losfahren.“ Er grinste glücklich und wünschte dem Rest meiner Familie noch Frohe Weihnachten, bevor er mich zu seinem Auto führte. ~*~ Mit vollen Bäuchen und fröhlich redend saßen wir alle um Emilys Esszimmertisch und warteten auf das Dessert. Es war bis jetzt ein angenehmer Abend geworden, der mich meine Sorge um Jacobs nicht vorhandenes Weihnachtsgeschenk hatte vergessen lassen. Ich war wieder lockerer geworden, hatte die Gesellschaft meiner wölfischen Familie, sowie Emilys Essen, genossen und lauschte jetzt einer von Embrys Lieblingsgeschichten. Doch eher er zur Pointe kam, wurden wir von Emily unterbrochen, die mit der Gabel an eines ihrer Gläser schlug. Alle verstummten augenblicklich und Emily strahlte in die Runde. „Ich hoffe es hat euch allen geschmeckt. Nachher wird es auch noch ein Dessert geben, aber zuerst sollten wir unsere Geschenke verteilen.“ Während die meisten ihr zustimmten, versank ich einige Zentimeter tiefer in meinem Stuhl wo mich die Schuldgefühle zu übermannen drohten. Wenn ich Glück hatte, würde ich eine der letzten sein, die ihr Geschenk überreichen musste und vielen würde mein Fauxpas nicht auffallen, weil sie mit ihren eigenen Sachen beschäftigt waren. Vielleicht würde mir auch noch eine Lösung für das Problem einfallen, doch daran wollte ich mich nicht festhalten. Ich schluckte meinen Unmut über die Situation herunter und wartete Emilys weitere Worte ab. Diese hatte inzwischen ein mit glänzendem rotem Papier umwickeltes Geschenk in der Hand und wartete, bis der Tumult, der in der Zwischenzeit ausgebrochen war, sich wieder legte. „Will jemand den Anfang machen?“, fragte sie lächelnd in die Runde und ich knabberte auf meiner Lippe. Da sich niemand freiwillig meldete, machte Jacob den ersten Schritt. „Von mir aus kann auch ich anfangen“, meinte er nüchtern und zog einen blauen Umschlag aus seiner Tasche. Er rückte die kleine blaue Schleife, die darauf befestigt war, zurecht und wandte sich an Kim. Stumm reichte er ihr den Umschlag, worauf Kim ihn etwas irritiert musterte. „Ich hab dich gezogen.“ Kim bedankte sich leise bei ihm und öffnete den Umschlag, während ihr alle gespannt dabei zuguckten. „Kinokarten“, entfuhr es ihr überrascht. „Danke, Jacob.“ Dieser lachte. „Naja, ich glaube Jared hat Mal erwähnt, dass er kaum noch die Zeit dafür findet, mit dir ins Kino zu gehen. Hiermit will ich sie euch schenken. Ich werde auch einen Abend lang den Babysitter für Lisa spielen.“ Kim bedankte sich erneut und mir wurde warm ums Herz. Da gab er sich so viel Mühe und musste dafür bitter enttäuscht werden. Mein Magen zog sich unangenehm zusammen, während Kim ein grünes Geschenk aus ihrer Tasche zog und es Sam reichte. Dieser entpackte es aufgeregt und hielt schließlich ein Buch in seinen Händen. „Heimwerken leicht gemacht“, las er vor und Kim zuckte mit ihren Schultern. „Da sind auch einige nette Ideen für Klettergerüste drin. Ich dachte mir, jetzt wo eure Rabauken größer werden, wollt ihr ihnen etwas bauen.“ Sam hob seine Augenbrauen. „Die Idee ist gar nicht mal so schlecht. Danke, Kim.“ Emily klatschte aufgeregt in die Hände und stupste ihren Mann an, damit dieser mit dem Schenken weitermachen konnte. Sam legte das Buch beiseite und griff unter seinen Stuhl, wo er ein großes, längliches Paket hervorzog. „Hier für dich Rachel.“ Die junge Frau nahm das Geschenk dankend entgegen und zog an der Schleife. Es dauerte einen Moment, bevor sie es offen hatte, doch dann klappte ihr der Kiefer hinunter. „Sam…“, hauchte sie überrascht und sah dem Alpha ins Gesicht. „Das ist der Mantel den ich mir gewünscht habe. Woher wusstest…“ Ihr Blick schweifte zu Paul, der neben ihr mit der Serviette spielte. „Was siehst du mich so an?“ „Hast du etwas damit zu tun?“ „Was? Nein!“ Paul lachte. „Du hast dir einen Mantel gewünscht? Ich dachte es wäre eine Küchenschürze gewesen.“ Er grinste seine Frau unschuldig an, doch diese schien, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, nicht an seine Unschuld zu glauben. „Hey, wieso verdächtigen immer alle gleich mich. Vielleicht hat Emily ja getratscht!“ „Paul, bitte“, unterbrach diese ihn und sah ihn entsetzt an. „Nie würde ich…“ „Nein? Da bin ich mir aber nicht so sicher“, provozierte er sie weiter, worauf sie empört auf ihrem Stuhl rumrutschte. „Können wir nicht einfach weitermachen?“, meldete sich Leah zu Wort und warf allen einen bösen Blick zu. „Ich denke ich bin nicht die Einzige, die den Nachtisch noch heute essen möchte.“ Da stimmten ihr alle zu und Rachel zog ihr Geschenk hervor. Es war eine kleine grüne Schachtel, die sie Quil feierlich reichte. Dieser nahm sie aufgeregt entgegen und hob den Deckel ab. Zwischen einer Menge Styroporkügelchen kam ein blaues Walkie-Talkie zum Vorschein. „Cool“, rief der junge Wolf und testete sogleich einige Tasten. „Ist es das, was ich meine, dass es ist?“, erkundigte er sich aufgeregt. Rachel nickte und späte ins Wohnzimmer, wo sich die Kinder der Wölfe aufgeregt mit ihren eigenen Geschenken beschäftigten. Unter ihnen befand sich auch Claire, die ein pinkes Walkie-Talkie in der Hand hielt, dass Quils sehr ähnlich sah. „Rachel, das ist so lieb von dir. Jetzt können wir auch abends miteinander reden, ohne die Telefonrechnung noch weiter in die Höhe zu treiben.“ Rachel lachte glücklich und Quil drehte sein Geschenk noch einmal in der Hand, bevor er es ablegte und einen Umschlag aus der Tasche zog. „Paul, für dich“, verkündete er und ein etwas enttäuscht wirkender Paul nahm ihm den Umschlag ab. „Bekomme ich nichts zum auspacken?“, fragte er betrübt, während er die Karte aus dem Umschlag zog und las. Doch dann hellte sich sein Gesicht schlagartig auf. „Mann Quil!“, jauchzte er und schlug seinem Bruder auf die Schulter. „Danke, ich wollte mir schon die ganze Zeit neue Sitzbezüge für mein Auto kaufen. Der Gutschein kommt mir gerade recht.“ „Sag bloß“, erwiderte Quil nur lachend und drückte weiter ein paar Knöpfe auf seinem Walkie-Talkie. Freudig summend verschloss Paul den Gutschein wieder und rieb sich diabolisch grinsend die Hände. „Ich bin nun dran.“ Er bückte sich und zog eine kleine viereckige Schachtel hervor, die in elegantes marineblaues Papier eingewickelt war. „Emily“, sagte er und diese musterte ihn skeptisch. „Frohe Weihnachten.“ Er reichte ihr das Päckchen und die Frau des Alphas öffnete vorsichtig das Papier. Als sie den Deckel von der Schachtel hochhob, stockte ihr der Atem. Sie sah zu Paul und dann schlagartig zu ihrem Mann. „Und wie ihr euch abgesprochen habt“, rief sie aus und hob eine goldene Kette in die Höhe. „Ich habe nur Sam erzählt, dass ich sie unbedingt haben muss.“ Sie blickte ihren Mann vorwurfsvoll an und Rachel tat es ihr auf ihrer Seite des Tisches gleich. „So war das aber nicht gemeint“, schimpfte sie, aber Paul zuckte die Schultern. „Hört mal, ihr wolltet schöne Geschenke? Hier habt ihr sie. Warum beschwert ihr euch?“ Die jungen Frauen warfen sich einen grübelnden Blick zu, bevor sie nachgaben und sich mit einem glücklichen Lächeln zurück in ihre Stühle sinken ließen. „Ja, du hast recht. Es ist egal“, erwiderte Emily und ließ sich von Sam beim Umlegen ihrer Kette helfen. Fröhlich ging die Bescherung weiter und ich beobachtete stumm und mit schlechtem Gewissen, wie Emily Brady ein selbstgeschriebenes Kochbuch überreichte, Brady Embry ein Taschenmesser schenkte, da er sein altes im Wald verloren hatte und Embry schließlich Leah ein Yogaset aushändigte, dass ihr bei ihrer ständigen Wut helfen sollte. Danach bekam Jared ein Fotoalbum von Leah, in dem bereits ein Hochzeitsfoto von ihm und Kim klebte, Collin eine Hängematte von Jared und Seth schließlich neue Kopfhörer für seinen Ipod. Am Ende waren also nur noch Jacob und ich übrig. Das schlechte Gefühl in meinen Magen schien mir meine Speiseröhre hinaufzuklettern, als Seth mir sein Geschenk überreichte. Ich konnte mich nur schwer zusammenreißen, um nicht in Tränen der Verzweiflung auszubrechen. Doch ich hielt mich tapfer und öffnete das bunte Papier, dass Seth in sorgfältiger Ungeschicklichkeit um mein Geschenk gewickelt hatte. Dass alle mich dabei beobachten, machte die Sache nur noch schwieriger, aber ich war eine Cullen und somit zeitweise ganz gut im Schauspielern. Doch als ich die Umhängetasche entfaltete, die Seth mir schenkte, war die Freude darüber nicht einmal gespielt. „Seth, hast du die selbstgemacht? Sie ist wunderschön“, hauchte ich und drückte meinen zweitbesten Freund kurz an mich. „Danke.“ Seth grinste und ich meinte sogar zu sehen, dass sich seine Wangen kurz dunkler färbten. „Ich weiß doch, dass dir Jacobs alte Tasche inzwischen viel zu klein geworden ist. Da dachte ich, dass du dich über eine neue freuen würdest.“ Verlegen lächelte ich und drückte mein Geschenk dankend an meine Brust. Es dauerte einen Moment, bis mir bewusst wurde, dass alle Augen auf mich und Jacob gerichtet waren. Jeder wusste, dass nur ich seinen Namen gezogen haben konnte und wartete jetzt darauf, dass ich ihm sein Geschenk überreichte. Doch leider würden sie nicht die Möglichkeit dazu bekommen, mich dabei zu beobachten. Ich räusperte mich und legte betrübt Seths Tasche beiseite, bevor ich Jacobs Blick suchte. Er sah mich mit einer Mischung aus Sorge und Vorfreude an, was mir einen Stich gab. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich ihm alles beichten musste, doch das wollte ich nicht vor versammelter Mannschaft tun. „Jake. Kannst du bitte für einen kurzen Moment mit mir vor die Tür gehen?“, flüsterte ich zaghaft und die Sorge in Jacobs Miene siegte. „Ja“, antwortete er nur knapp und alle starrten uns stumm an. „Wie jetzt? Wir wollen das sehen!“, protestierte Paul, worauf Rachel ihm wütend auf den Arm schlug. „Ich denke du willst deinen Nachtisch?“, fragte sie ihn spitz und er gab sich geschlagen. Während Emily in die Küche hechtete, folgte Jacob mir nach draußen und schloss die Eingangstür hinter mir. Feine Schneeflocken wirbelten durch die dunkle Nacht und verfingen sich in meinen Haaren, während ich einige Schritte ging und verzweifelt versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Was ist los?“, durchbrach Jacob meine Gedanken und ich sah traurig zu ihm auf. „Ich muss dir etwas beichten“, begann ich leise und blieb stehen. „Ich hab dich beim Wichteln gezogen.“ Er nickte und kam langsam einige Schritte auf mich zu. „ Aber…“, meine Stimme brach ab, als ich seinen besorgten Blick bemerkte. Tränen bildeten sich in meinen Augen und ich musste schwer schlucken. „Was aber?“ Jacob stand nun genau vor mir und griff nach meiner Hand. Ich entzog sie ihm leicht und senkte beschämt meinen Blick. „Ich hab kein Geschenk für dich“, flüsterte ich und spürte, wie mir eine einsame Träne über die Wange lief. „Es tut mir so unendlich leid, aber ich hab es einfach nicht gefunden. Ich hab überall danach gesucht, hab mir sogar Ratschläge geholt, aber nichts war das Richtige. Und nun enttäusche ich dich und verderbe dir Weihnachten und könnte es voll verstehen, wenn du mich nicht mehr sehen willst.“ Zum Schluss hin war ich immer hysterischer geworden, weswegen nun auch noch weitere Tränen den Weg zur Erde gefunden hatten. Traurig blickte ich hinauf in Jacobs Gesicht, doch dieser schien gar nicht enttäuscht zu sein. Liebevoll nahm er mich in den Arm und küsste meine Stirn. „Nessie, ich weiß genau wie du dich fühlst. Ich habe dieses Problem jedes Mal. Was glaubst du wie gestresst ich an deinem Geburtstag war?“ Er lachte leise, während ich mir die Tränen von den Wangen wischte. „Geburtstag hast du auch bald, und den werde ich dir auch verderben“, schluchzte ich, worauf er mich noch fester drückte. „Bis dorthin ist doch noch genug Zeit“, versuchte er mich zu beruhigen, aber ich schüttelte den Kopf. „Einundzwanzig Tage sind nicht genug Zeit.“ Jacob zog mich noch enger zu sich und legte seine Wange auf meinen Kopf. Er strich mir nur zärtlich über den Rücken und allmählich versiegten meine Tränen. „Wieso bist du nicht sauer“, flüsterte ich nach einigen Minuten und drückte leicht gegen ihn, damit er die Umarmung löste. „Weil ich es nicht schlimm finde. Geschenke sind nicht alles. Es gibt genügend Dinge, die mir wichtiger sind, als irgendein dämliches Weihnachtsgeschenk.“ „Warum bist du so viel besser in dieser Seelenverwandten-Sache?“, fragte ich betrübt und er gluckste. „Ich bin nicht besser als du darin.“ „Doch. Ich hab das Gefühl, ständig alles falsch zu machen.“ Ernst sah ich in sein Gesicht und er strich mir eine Locke aus der Stirn. „Ich finde nicht, dass du alles falsch machst.“ Aufrichtig lächelte er mich an und in meinem Inneren wurde es ganz warm. Dads Worte klangen plötzlich wieder in meinen Ohren und ich glaubte zu verstehen was er meinte. Ich wusste schon lange, dass ich Jacob liebte, doch bisher hatte ich es ihm immer auf sehr unschuldige Weise gezeigt. Ich hatte mich noch nicht bereit dazu gefühlt, einen Schritt weiter zu gehen, doch genau in diesem Moment wusste ich, dass es Zeit dazu war. „Schließ die Augen“, bat ich, worauf er mich fragend ansah. „Na los! Stell dich nicht so an. Ganz zu. Nicht blinzeln!“, forderte ich und beobachtete, wie er meiner Bitte nachging. Dann stellte ich mich auf meine Zehenspitzen und streckte ihm mein Gesicht entgegen. Für einen kurzen Moment hielt ich inne, spürte seinen warmen Atem in meinem Gesicht und lächelte glücklich. „Ich liebe dich, Jacob“, hauchte ich, bevor ich den Schritt wagte und meine Lippen auf seine legte. Ein unschuldiger Kuss, mehr brachte ich nicht zustande. Doch er reichte, um meinen Körper verrücktspielen zu lassen. Abertausende Schmetterlinge flatterten durch meinen Magen, bewegten sich im Takt meines Herzens, und schienen durch ihren wilden Tanz auch mein Blut in Wallung zu bringen. Ich öffnete meine Augen und sah, dass Jacob mich erstaunt musterte. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht und Jacob entspannte sich langsam. Ganz sanft erwiderte er mein Lächeln, bevor er mich ein zweites Mal küsste. Dieses Mal verweilten wir länger in dem Kuss, ließen uns einen Moment treiben und genossen den Augenblick. Als Jacob sich von mir löste, fühlten sich meine Beine ganz weich an, und ich musste mich an ihm festhalten, um nicht zu schwanken. Er lächelte und schloss mich fest in seine Arme. So verweilten wir einige Sekunden stumm. „Weißt du“, unterbrach er schließlich die Stille und ich hob mein Kinn, damit ich ihm ins Gesicht schauen konnte. „Das hier war das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich je bekommen habe.“ Er beugte sich nach vorne und küsste meine Stirn, worauf ich glücklich meine Augen schloss. **************************************************************************** Kapitel 24: Die Schneekugel --------------------------- December the Twenty-Third’s tale is the last before Christmas Eve, so there are no more plots to conceive. ‘Sup, Advent, Advent … Jaja, der vierte war schon lange. Und morgen ist es endlich soweit. Morgen gibt es Geschenke. Ich bin gespannt, wer von euch alles artig war :‘‘D Ihr dürft’s mir gern verraten :p Aber hier erst mal das letzte Märchen vor Heiligabend. Have fun! ******************************************************************** Die Schneekugel by Angeloi Es war bereits dunkel, dennoch war die kleine Stadt hell erleuchtet. Vor beinahe jedem Haus, auf fast jedem Dach und in den Fenstern leuchtete es bunt und kündete von der schönsten Zeit des Jahres – der Weihnachtszeit. In den kleinen Geschäften herrschte noch emsiges Treiben. Einige Nachzügler wollten die letzten Geschenke für ihre Lieben kaufen. Trotzdem war die Stimmung nicht hektisch, wie es oft in Großstädten anzutreffen war. Hier kannte man sich, grüßte sich freundlich, wünschte sich frohe Feiertage oder man hörte dem Kinderchor vor der kleinen Kirche zu, der, wie jedes Jahr am heiligen Abend, für die Bedürftigen Spenden sammelte. Passend für die letzten Tages des Jahres hatte es auch noch geschneit und somit war die Umgebung in ein kleines Winterwunderland verzaubert worden. „Mama?“ Ein kleines Mädchen presste sich an einer kalten Scheibe die Nase platt und hauchte dabei eine Nebelspur auf das Glas. Kleine Eisblumen zeugten von einer schlechten Isolierung des Fensters und auch war das Haus nicht ganz so überladen beleuchtet wie die vielen anderen in der Straße. Der Blick des Mädchens galt den Kindern auf den Stufen der Kirche, die gerade 'Stille Nacht' sangen. Obwohl einige Meter entfernt, konnte man die hellen Stimmen hören. Die kalte Luft trug sie weit in die Straße hinaus. „Mama, warum darf ich nicht mitsingen?“ Wehmütig blickten die dunkelblauen Augen hinaus in die Winterlandschaft und die Kleine nahm einen zischenden Atemzug, bevor sie leise Hustete. „Du weißt doch, dass du nicht die ganze Zeit am Fenster sitzen sollst, Liebes“, tadelte die Mutter seufzend und nahm ihre Tochter an die Hand, um sie an den kleinen Küchentisch zu setzen. „Du könntest dich erkälten und dein Herz ist nicht gesund.“ Das kleine Mädchen sah noch einmal traurig zum Fenster hinaus, an dem gerade ein gut gekleideter, blonder Mann vorbeiging. Seine Hände waren in den Taschen vergraben und er hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen. Trotzdem konnte sie erkennen, dass er sehr blass aussah. Fast ein wenig wie sie selbst. „Wo bleibt Papa?“ Die Mutter schaute ihre Tochter mit einem geheimnisvollen Lächeln an und neigte sich verschwörerisch zu ihr herunter, während sie ihr mit der Hand die zerzausten Locken aus der Stirn strich. „Nun, der hat noch etwas zu erledigen, Mary. Du weißt doch, was morgen für ein Tag ist?“ Mary rutschte aufgeregt auf ihrem Stuhl herum. „Ja! Morgen ist Weihnachten! Heute Nacht kommt der Weihnachtsmann durch den Kamin und bringt Geschenke.“ Aufmerksam beobachtete sie ihre Mutter. In letzter Zeit war sie dünner geworden. Tiefe Sorgenfalten hatten sich um den Mund und auf die Stirn gegraben. Trotzdem war sie für Mary die schönste Frau der Welt. Auch wenn sie noch jung war mit ihren gerade mal sechs Jahren, so verstand sie dennoch, dass sie es war, die ihrer Mutter diese Sorgen bereitete, auch wenn sie es dem Kind gegenüber niemals äußerste. Mary verstand nicht so viel von ihrer Krankheit, außer, dass sie bei der kleinsten Anstrengung kurzatmig wurde und schnell müde. Außerdem durfte sie nicht, wie andere Kinder in ihrem Alter, herumtoben und bei jedem Wetter heraus. „Aber nur den braven Kindern“, erklärte Marys Mutter ihrer Tochter mit einem unterdrücktem Schmunzeln und ihr Herz zog sich voll banger Hoffnung zusammen, als sie in die strahlenden Augen ihrer Kleinen sah. Vielleicht... ja, vielleicht würde heute ein kleines Wunder geschehen. Ihr Mann hatte nun seit einem Jahr seine neue Stelle in der kleinen Fabrik außerhalb der Stadt. Die Banken waren trotzdem nicht bereit gewesen, ihnen einen Kredit zu gewähren, für die lebenswichtige Operation ihrer kleinen Tochter. Ihre Krankenversicherung wollte nicht zahlen, da sie aus Unwissenheit vor Jahren einen falschen Vertrag abgeschlossen hatten. Nun hatten sie schon drei Hypotheken auf ihrem kleinen Reihenhaus, allein um die horrend teuren Medikamente bezahlen zu können. Und obwohl die junge Mutter nachts arbeiten ging, reichte das Geld vorne und hinten nicht. Heute, am letzten Arbeitstag des Jahres, wollte Henry, ihr Mann, seinen Chef nach einem Kredit fragen – ihre vermutlich letzte Chance das Leben der Kleinen zu retten. Natürlich gab es Ärzte, die für Bedürftige solche Operationen zum Selbstkostenpreis, manchmal sogar umsonst, durchführten. Doch die Wartelisten im Land waren lang und die Zeit rannte ihnen davon. Marys Herz war nach einer Scharlach Erkrankung geschädigt und der Kinderarzt gab ihr nur noch wenige Monate, wenn nicht bald ein Wunder geschah. Mary nickte ihrer Mutter zu streckte ihre dünnen Ärmchen nach ihr aus. „War ich denn brav genug, dass mir der Weihnachtsmann einen Wunsch erfüllt?“, wollte sie wissen. „Aber natürlich, mein Schatz.“ Fest drückte sie den kleinen Körper an sich, damit Mary nicht sah, wie sich ihre Augen mit Tränenflüssigkeit füllten. „Was hast du dir denn gewünscht?“ Eigentlich wusste sie es ja schon. Sie hatte beim Einkaufen gesehen bei welchen Dingen sich Marys Augen begeistert geweitet hatten. Dabei war sie ein sehr bescheidenes Kind, das keine großen Wünsche hatte. Geld für ein teures Spielzeug wäre sowieso nicht da gewesen. Hoffentlich hatte Henry auch richtig zugehört und besorgte das Richtige - und hoffentlich hatte es noch niemand gekauft. Ein neuer Zeichenblock und Stifte lagen bereits gut verpackt im Schlafzimmerschrank, es fehlte jedoch noch eine Sache. Sie hatte genau gesehen, wie Mary jedes Mal minutenlang vor dem Teil stehen geblieben war und es fasziniert angestarrt hatte. Wo blieb er nur? „Ich wünsche mir nur, dass ich bald wieder gesund bin und mit den anderen Kindern spielen kann.“ Eine Träne kullerte nun unaufhaltsam aus dem Augenwinkel der jungen Mutter, während sie Mary weiter fest in ihren Armen hielt. Sie brauchten ein Wunder. Dringend! [align type="center"]***[/align] Einige Meter weiter ging der Mann, der noch vor einigen Augenblicken an dem Fenster des schlichten Hauses vorbeigegangen war, eiligen Schrittes die Straße herunter. Vielleicht war er nicht menschlich, jedoch erging es ihm nicht anders, wie den Sterblichen zu dieser Jahreszeit: Weihnachten kam immer viel zu plötzlich! Und nach den vielen Weihnachten, die er in seiner Existenz schon erlebt hatte, kam erneut die Frage auf, was er seiner geliebten Frau schenken sollte. Anders als viele seiner Art, glaubte er an Gott und dieses Ritual, den Geburtstag von Jesus zu feiern, war ihm lieb und wichtig. Auch wenn die Mitglieder seiner Familie es niemals zugegeben hätten, so freuten sie sich dennoch auf diesen Tag, an dem alle einen gemütlichen Abend zusammen verbrachten, gemeinsam den Weihnachtsbaum schmückten, kleine Geschenke austauschten und einmal mehr so taten, als wären sie eine 'normale' Familie. Nicht jedes Jahr war es ihnen vergönnt. Oft arbeitete Carlisle freiwillig während der Feiertage, um einigen Kollegen die freien Tage zu gönnen, doch dieses Jahr hatte er Glück und ein anderer hatte freiwillig diesen Dienst übernommen. Sein Ziel war das einzige, größere Kaufhaus in dieser kleinen Stadt und warme Luft schlug ihm entgegen, als sich die Schiebetüren fast lautlos für ihn öffneten. Er registrierte es beiläufig, denn es machte für ihn keinen Unterschied, ob es fror oder heiß war. Er musste sich nur dementsprechend kleiden, damit er – soweit es möglich war – nicht sonderlich auffiel. Kurz vor Ladenschluss waren doch noch einige Menschen unterwegs und die Verkäuferinnen hinter den Kassen hatten genug damit zu tun, zu kassieren und die erworbenen Dinge in hübsches Geschenkpapier zu verpacken. Carlisle sah sich kurz um und begab sich dann in eine bestimmte Abteilung des Kaufhauses. Schmuck, Uhren und kleinere Kunstgenstände waren dort hinter verschlossenen Glastüren ausgestellt. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde hatte er sich bereits ein Bild von den Angeboten gemacht und war näher an den Tresen herangetreten, hinter dem zwei Verkäuferin emsig beschäftigt waren. „Oh, Dr. Cullen!“, freute sich die junge Brünette und setzte ein flirtendes Lächeln auf, als sie den Chirurgen des ansässigen kleinen Krankenhauses erkannte. Lediglich Carlisle musste überlegen woher er die junge Frau kannte. Dann sah er eine längliche, kaum erkennbare, dünne Narbe an ihrer Stirn und er erinnerte sich vage. Er hatte sie genäht, nachdem sie unangenehme Bekanntschaft mit dem Asphalt gemacht hatte, da sie mit ihren Inlineskatern einen Zusammenstoß mit einem Passanten gehabt hatte. „Hallo“, grüßte er freundlich zurück. „Was macht der Kopf?“ Die junge Frau errötete und strich sich mit den Fingerspitzen über ihre Stirn. „Das Sie das noch wissen“, hauchte sie geschmeichelt und klimperte mit den Wimpern. Dieser Arzt war eine einzige Augenweide und auch wenn er – soweit man den Gerüchten glauben durfte – glücklich verheiratet war, so wollte sie ihre Chance nicht vergeben. „Was kann ich denn für Sie tun?“ Dabei versuchte sie viel Betonung in ihre Worte zu legen, damit der junge Arzt auch verstand, dass sie auch einen privaten Service damit andeutete und nicht nur den Geschäftlichen. „Ich bräuchte noch ein hübsches Geschenk für meine Frau und dachte da an ein paar Ohrringe. Vielleicht auch eine hübsche Halskette? Etwas, was ihre wundervollen Augen betont.“ Die Verkäuferin kniff für einen winzigen Augenblick ihre Lippen zusammen. Sie war nicht völlig dumm und verstand den freundlich Wink nur zu genau. Seufzend schob sie ihre hoffnungslosen Fantasien zurück und setzte nun ein geschäftiges Lächeln auf. „Wie wäre es mit Beidem? Wir hätten da noch ein besonders aufgefallenes Ensemble. Ein Collier aus Brillanten mit den passenden Ohrringen dazu. Allerdings nicht ganz billig, wenn Sie verstehen.“ Carlisle verstand und zuckte mit den Schultern. Die junge Frau konnte ja nicht wissen, dass Geld keine Rolle spielte und es auch eigentlich nicht um den Wert eines Geschenks ging. „Hübsch, wirklich“, murmelte er, obwohl er schon entschieden hatte es nicht zu nehmen. Esme machte sich nichts aus Diamanten. Er hatte bereits eine Kette ins Auge gefasst. Schlichtes Silber mit einem herzförmigen Tropfen Bernstein als Anhänger. Ja, es erinnerte wirklich an die Farbe von Esmes Augen. „Gibt es dazu auch passende Ohrringe?“, fragte er freundlich und deutete auf den ausgesuchten Schmuck. „Aber natürlich, Dr. Cullen.“ Geschäftig nickte die Verkäuferin und suchte eilig ein paar passende Teile heraus, um sie zu präsentieren. Ein kleines Stück weiter stand ein Mann mit einem unmodernen Wintermantel und betrachtete die Auslagen in einer gläsernen Vitrine. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen und er wirkte krank und erschöpft. Henry Stone hatte erst vor kurzem mit seinem Chef gesprochen und keine gute Nachrichten im Gepäck. Um die Firma stand es weitaus schlechter als angenommen. Bereits das gesamte private Vermögen seines Arbeitgebers steckte in der kleinen Fabrik und auch wenn dieser ein guter und verständnisvoller Mensch war, so hatte er sich außerstande gesehen, seinem Angestellten die benötigten Geldmittel für eine Operation des Mädchen zu leihen. Henry hatte erst einmal eine Weile gebraucht, bis er sich wieder gefasst hatte und fähig war, seiner kleinen Familie die schlechte Nachricht zu überbringen. Außerdem gab es da ja noch das besondere Geschenk für seine kleine Mary. Mit den letzten Dollar in der Tasche hatte er den kleinen Umweg hierher gemacht und zum Glück war das gewünschte Geschenk noch da. Es war eine verspielte Schneekugel, wie er sie selbst noch aus Kindertagen kannte. Auf einem kleinen, künstlichen Berg thronte die durchsichtige Kugel, auf dessen Boden die winzigen künstlichen Schneeflocken lagen. Inmitten des mit klarer Flüssigkeit gefüllten Glases gab es ein Schloss, vor dem eine kleine Figur stand und die Hände gegen den imaginären Himmel streckte. Ein Engel, vermutete Henry, denn die an ein Mädchen erinnernde Figur hatte Flügel auf dem Rücken. „Kann ich Ihnen helfen?“, hörte er die leicht hochnäsig klingende Frage und Henry schaute auf, direkt in das Gesicht einer der beiden Verkäuferinnen. Die andere schien gerade mit einem anderen Kunden beschäftigt. „Ich hätte gerne diese Schneekugel“, wies er auf die Vitrine. „....für das Ensemble hätte ich auch noch eine wertvolle Lederschatulle anzubieten. Ausgeschlagen mit hellem Samt, der die Farbe der...“ Henry hörte beiläufig zu, wie die andere Verkäuferin ihren Kunden beriet und konzentrierte sich dann wieder auf seine Bedienung, die das wertvolle Stück aus der Vitrine hob. „Das macht vierundvierzig Dollar und fünfundneunzig Cent, soll ich es Ihnen als Geschenk einpacken?“ Henry drohte das Herz auszusetzen. So viel Geld hatte er nicht dabei und seine Kreditkarte war schon seit Monaten gesperrt. Wie konnte so ein Spielzeug nur so teuer sein? „Oh, Entschuldigung, mein Fehler. Die Schneekugel ist ein Mängelexemplar, steht ja hier unter dem Fuß. Dreißig Dollar.“ Henry klimperte verwirrt mit den Lidern. „Mängel..?“, stammelte er irritiert. Dreißig Dollar waren immer noch zu viel. „Ja, die Figur hat kein Gesicht. War wohl ein Herstellungsfehler, aber es fällt ja kaum auf. Wollen Sie sich vielleicht eine andere aussuchen?“ Henry schüttelte seinen Kopf. Nein, es musste diese sein. Seine Frau hatte sie genau beschrieben. Die Verkäuferin seufzte und betrachtete kurz ihr Gegenüber. Sie hatte den Mann schon mal gesehen und wusste aus Erzählungen, dass es der Familie nicht so gut ging. Dafür sprach auch sein krankes Aussehen und der schäbige Wintermantel. Sie kannte seine Frau von verschiedenen Einkäufen, eine wirklich nette und freundliche Person. Vielleicht war es ein Geschenk für sie? „Nun, sagen wir zwanzig Dollar, sonst werden wir das Ding ja nie los.“ Das war zwar gelogen, aber es war Weihnachten und bei fehlerhafter Ware konnte sie den Preis ruhig drücken, ohne dass sie Ärger bekam. Deutlich sah sie das erleichternde Aufblitzen seiner Augen und sie quittierte sein Nicken mit einem freundlichen Lächeln. „Einpacken?“ Wieder nickte er und sie nahm die Schachtel der Schneekugel aus einem Regal unter dem Tresen, ging zum Packtisch herüber und suchte das hübscheste Weihnachtspapier aus den verschiedenen Bögen heraus. Direkt neben ihr stand ihre Kollegin und verpackte gerade eine mit wundervollem Bernsteinschmuck gefüllte, kleine Schatulle mit dem gleichen Papier. „Ach du meine Güte, das Klebeband ist schon wieder leer“, schimpfte sie leise und bückte sich, um in einer Schublade nach dem Gesuchten zu kramen. Ihre Kollegin schnitt gerade ein Stück Schmuckband ab und lehnte sich dabei so weit herüber, dass eins der Päckchen herunterfiel – genau in ihre Hand. „Glück gehabt!“, freute sie sich, wollte das Geschenk wieder auf den Packtisch legen, als jemand laut „Hallo – Miss!“, rief. Beide Verkäuferinnen drehten sich herum und beinahe wäre das Geschenk wieder heruntergefallen, wenn die Eine nicht mit einem beherzten Schwung die Schachtel wieder auf den Tisch befördert hätte – ohne dabei richtig hinzusehen. „Wo finde ich hier denn die Schneeschaufeln?“, wollte jemand wissen und die jungen Damen zeigten synchron in die gleiche Richtung. „Die Treppe herauf in der Heimwerker-Abteilung“, meinte die Eine noch erklärend dazu, bevor sich beide wieder ihrer Aufgabe widmeten, die Päckchen noch auszuschmücken. „Gott sei Dank ist gleich Feuerabend“, flüsterte die Brünette ihrer blonden Kollegin zu, betrachtete die fast gleichgroßen Schachteln, die bereits in dem gleichen Papier verpackt waren und griff sich eine, von dem sie sicher war, dass es die Schatulle mit dem Schmuck war. Ein paar geübte Handgriffe später war es mit einem weihnachtlichen Band und einer kunstvollen Schleife verziert. „Vielen Dank, Dr. Cullen und frohe Weihnachten“, wünschte sie ihrem Kunden noch mit einem verstohlenen Blick auf die Armbanduhr. Noch vierzig Minuten bis Ladenschluss...wirklich Schade, dass der hübsche Doktor schon vergeben war... [align type="center"]***[/align] „Hast du es bekommen?“, flüsterte die junge Frau ihrem Ehemann zu, als sie diesen an der Haustür begrüßte und einen flüchtigen Kuss auf die Wange gab. Henry nickte kurz und sah sich um, während er seinen Mantel und die nassen Schuhe auszog. „Wo ist sie?“ „Schon im Bett. Sie war so aufgeregt wegen morgen und wollte eher schlafen gehen, damit sie ganz früh für den Weihnachtsmann aufstehen kann.“ Sie musterte sein Gesicht und erkannte an seinem Ausdruck, dass es mit dem Kredit nicht geklappt hatte. Tapfer schluckte sie ihre aufkommenden Tränen herunter und folgte Henry bis ins Schlafzimmer der Kleinen. Sie sah zu, wie er sich auf die Bettkante setzte, seine Tochter für eine kurze Weile beim Schlafen beobachtete, ihr dann einen Kuss auf die Stirn gab und das Zimmer wieder verließ. „Es tut mir leid, Joan. Mr. Decker konnte mir das Geld nicht leihen“, erklärte er seiner Frau einige Minuten später beim Abendessen, welches aus ein paar belegten Sandwiches bestand. „Er hat bereits sein gesamtes Privatvermögen in die Firma gesteckt, damit er niemanden kündigen muss. Er meinte, ich sollte in einem halben Jahr noch einmal anfragen...“ Henry legte das angebissene Brot zurück auf seinen Teller. Zwar knurrte sein Magen, aber Appetit hatte er nicht. Dann spürte er, wie Joan ihre Hand tröstend auf seine legte. „Wir dürfen einfach nicht aufgeben. Vielleicht haben wir Glück und wir rutschen in der Warteliste höher, vielleicht lässt ja die Bank noch einmal mit sich reden, wir...“ Henry drückte kurz die Finger seiner Frau, räusperte sich und nickte zustimmend. Er glaubte genau wie sie nicht mehr an ein Wunder, trotzdem tat es gut, sich einzureden, dass noch Hoffnung da wäre. „Darf ich die Schneekugel einmal sehen?“, fragte Joan, die genau verstand, dass Henry nicht in Trübsal versinken wollte. „Sie ist schon verpackt, aber man kann die Klebestreifen sicher vorsichtig lösen“, erwiderte er leise und holte das hübsch verpackte Päckchen aus einer braunen Papiertüte, welche er auf die Kommode neben der Garderobe abgestellt hatte. Ganz behutsam löste Joan das Band, passte auf, das goldene Papier nicht zu zerreißen, und runzelte verwundert ihre Stirn, als sie es dunkel unter der geöffneten Ecke schimmern sah. Sekunden später hielt sie eine kleine, handgearbeitete Lederschatulle in der Hand. „Was zum Teufel...?“ Henry langte verwirrt nach dem Geschenk und kratzte sich am Hinterkopf. Er war sicher gewesen, dass die Kugel lediglich in einer bedruckten Pappschachtel verpackt gewesen war. „Oh mein Gott!“, hauchte Joan, als er den Verschluss öffnete und sie darin den wunderschönen Bernsteinschmuck erkannte. „Henry?“ „Das muss eine Verwechselung sein“, erklärte er immer noch verwirrt. Der Schmuck war sicher ein kleines Vermögen wert. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er sogar darüber nach, diesen einfach zu behalten. Es würde nicht für die Operationskosten reichen, aber... „Nein“, sagte er zu sich selbst. Es war einfach nicht richtig. Ein Blick auf Joan sagte ihm, dass ihr die gleichen Gedanken durch den Kopf gegangen waren und auch sie schüttelte den Kopf. „Du musst das zurückbringen“, flüsterte sie nach einer Weile atemlos und Henry nickte nur stumm. [align type="center"]***[/align] Auf den Straßen war kein Betrieb mehr. Die Läden hatten zu und eine friedliche Stille hatte sich in den Straßen ausgebreitet. Henry hatte noch Glück gehabt und eine der Verkäuferinnen auf dem Heimweg erwischt, denn das Kaufhaus hatte inzwischen seine Türen geschlossen. Diese hatte ihm dann auch sagen können, dass der Schmuck einem Dr. Cullen gehörte, der etwas außerhalb des Städtchens wohnte. Henrys altersschwacher Wagen schlingerte auf dem frisch gefallenen Schnee der unbeleuchteten Nebenstraße. Die genaue Adresse hatte man ihm dann im Krankenhaus verraten. Nachdem er dort geschildert hatte, was passiert war, hatte man eine große Ausnahme gemacht und ihm die richtige Adresse verraten. „Oh nein, jetzt verrecke mir bloß nicht“, fluchte er leise, als der Motor anfing zu stottern. Das fehlte ihm noch. Bis nach Hause waren es einige Meilen zu Fuß und man sah im Schneegestöber kaum die Hand vor den Augen, geschweige denn Hinweis- oder Straßenschilder. Er musste sich weitestgehend auf sein Gefühl verlassen. Ein Mobiltelefon besaß er schon lange nicht mehr, sodass er nicht einmal nach Hilfe rufen könnte, sollte er feststecken. Nach gefühlten Stunden sah er endlich ein paar helle Lichter, zumindest erahnte Henry diese in dem Schnee.Rutschend und stotternd hielt er am Straßenrand und hoffte, dass es wirklich das richtige Haus war. Wenn nicht, dann würde er wieder nach Hause fahren. Joan hatte sicher schon den Baum geschmückt und wartete mit heißem Tee auf ihn. Dicke, weiße Flocken legten sich auf seinen Mantel und fanden den Weg über den dünnen Kragen bis zu seinem Nacken, wo diese dann auf seiner warmen Haut schmolzen und ein unangenehm feuchtes Gefühl hinterließen. Mühsam stampfte er gegen den Wind zu dem Haus herüber, dessen großen Fenster hell erleuchtet waren. Es gab kein Namensschild und auch keine Klingel, von daher klopfte Henry gegen die Tür. Fast gleichzeitig wurde diese geöffnet und er starrte in das Gesicht eines Engels. Zumindest mussten Engel so aussehen! „Ich...äh...“, stotterte Henry los und wusste nicht mehr, was er eigentlich hatte sagen wollen. Dann tauchte fast zeitgleich der Mann auf, der im Kaufhaus ein Stück weiter entfernt gestanden hatte. „Dr. Cullen?“, fragte Henry nervös und der blasse, blonde Mann nickte ihm freundlich zu. Nur eine Minute später saß er auf einer ledernen Couch, umgeben von den zwei schönsten Menschen, die er jemals in seinem Leben gesehen hatte. Für einen Augenblick fragte er sich, ob er nicht vielleicht träumte, aber dafür war der Traum zu real. Es war auffallend kalt in dem Haus, weshalb er seinen Mantel auch anbehielt – trotzdem schien hier niemand außer ihm zu frieren. Stockend erzählte er von der Verwechselung und holte das Päckchen unter seinem Mantel hervor. Seines lag bereits auf dem Tisch, fast so, als hätte man ihn erwartet. „Das wäre wirklich nicht nötig gewesen Mr. Stone, sich bei dem Wetter auf den Weg zu machen“, erklärte Carlisle seinem Gast. Der konnte ja nicht ahnen, dass Alice bereits vorhergesagt hatte, dass am Abend ein Gast vorbeikommen würde. Allerdings hatte sie ihm verschwiegen, aus welchem Grund dieser kam. „Wissen Sie, meine Tochter hat sich diese Kugel so sehr gewünscht und...“ Henry stockte wieder, denn er wollte die netten Leute nicht belästigen und seine ganze Leidensgeschichte erzählen. „Sie haben sich auf jeden Fall einen Finderlohn verdient. Nicht jeder wäre so ehrlich gewesen, das Geschenk zurückzubringen“, erklärte ihm der Doktor mit fester Stimme, doch Henry lehnte ab. Er schämte sich insgeheim dafür, dass er tatsächlich kurz mit dem Gedanken gespielt hatte. „Nein, vielen Dank und ich muss nun wirklich wieder nach Hause.“ Ein seltsames Gefühl machte sich in Henry breit. Alles hier war seltsam unwirklich. Das Mobiliar war teuer und edel, weihnachtlich geschmückt. Trotzdem wirkte alles kalt, nicht nur wegen der fehlenden Temperatur. Der Engel in Form einer brünetten Frau sah ihren Mann seltsam an und dieser begleitete Henry noch bis zur Haustür. „Habe ich sie nicht schon einmal in der Klinik gesehen, Mr. Stone?“, fragte Carlisle und öffnete ihm die Tür. „Das ist möglich. Meine Tochter Mary ist krank und wir müssen regelmäßig zu Untersuchungen.“ Henry konnte sich zwar nicht an ihn erinnern, aber es war durchaus möglich, dass der Arzt ihn dort schon einmal gesehen haben konnte. „Das tut mir aufrichtig leid, was hat sie denn?“ Schnee drang in das Innere des Hauses, doch das schien dessen Besitzer nicht zu stören. Er schien es nicht einmal zu bemerkten. Nur am Rande nahm Henry wahr, dass die Schneeflocken auf den Schultern des Arztes nicht einmal schmolzen. Er wollte nur noch nach Hause, trotzdem nannte er ihm kurz die Diagnose. „Aber das kann man doch operieren, gibt es noch andere Komplikationen?“ Und ob es die gab! Allerdings wollte Henry auch nicht lästig sein oder Mitleid heischen, also schüttelte er nur seinen Kopf. „Ich muss wirklich dringend nach Hause.“ „Vielleicht kann ich Ihnen doch helfen. Ich habe da die Adresse eines guten Spezialisten.“ „Hören Sie, das ist wirklich sehr freundlich, aber wir haben nicht die Mittel...“ „Vielleicht sollte ich erwähnen, dass dieser Spezialist ein neues Verfahren anwendet und noch passende Fälle für Forschungszwecke annimmt? Es würden Ihnen keinerlei Kosten entstehen und die neue Operationsmethode, so kann ich versichern, ist sehr schonend und absolut sicher für ihre Tochter.“ Konnte das wahr sein? Henrys Mund klappte auf und zu, jedoch brachte er kein Wort hervor. Widerstandslos ließ er sich die Telefonnummer des Spezialisten geben und murmelte nur ein verwirrtes 'Danke', bevor er durch den Schneesturm zu seinem Wagen stampfte. Carlisle schloss die Tür hinter sich, wischte sich mit der Hand den Schnee von den Schultern und drehte sich zu Esme herum. Aus dem oberen Stockwerk konnten sie hören, wie der Rest der Familie herunterkam. „Bescherung“, flötete Alice begeistert und nahm mehrere Stufen auf einmal. Sie tanzte durch das Wohnzimmer und verteilte summend kleine Päckchen. „Hier“, flüsterte sie Carlisle zu und legte ihm eine kunstvoll verpackte Schachtel in die Hand. „Und es war gut, dass du ihm nicht gesagt hast, dass du die Kosten übernehmen wirst“, zwinkerte sie ihm zu. Fragend sah der Vampir auf sein Geschenk herab. Es sah so aus wie das, welches Henry gebracht hatte und eben wie seines für Esme. „Jetzt ist alles richtig“, beruhigte seine Ziehtochter ihn und summte weiter Weihnachtslieder, während sie fröhlich begann, ihre Geschenke auszupacken. Vorsichtig riss er das Papier entzwei und hielt wenige Sekunden eine Schneekugel in der Hand. Die winzigen Flocken, regneten dabei auf eine kleine Engelsfigur ohne Gesicht vor einem Schloss herab, die ihre Hände gegen den vermeidlichen Himmel streckte. [align type="center"]***[/align] „Oh Mama, Papa, seht nur, der Weihnachtsmann war da!“, rief Mary begeistert und stürzte sich schwer atmend auf das erste verpackte Päckchen unter dem geschmückten Baum. Im Hintergrund hielten Joan und Henry sich an der Hand und sahen übernächtigt, aber glücklich aus. „Das ist unser Wunder“, flüsterte sie ihrem Mann zu und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie hatten die ganze Nacht darüber gesprochen, was für ein Glück diese Verwechselung ihnen beschert hatte. Henry nickte nur stumm, denn auch er musste immer noch mit seiner Fassung kämpfen. Doch erst einmal genoss er den Anblick seiner Tochter, die begeistert ihre Schneekugel schüttelte. „Schau nur Papa! Genau die hab ich mir gewünscht. Sieh mal der Engel tanzt im Schnee – Darf ich auch bald im Schnee tanzen?“ „Ja, das wirst du“, versprach er seiner Tochter mit einem Lächeln und hockte sich neben sie. Aufmerksam beobachtete er wie die kleinen Schneeflocken auf den Boden der Kugel sanken und zwinkerte, als würde ihm sein Auge einen Streich spielen. „Schau mal, der Engel lacht“, freute sich Mary und Henry sah sich fassungslos die kleine Figur genauer an. Sie hatte wirklich ein Gesicht - und sie lächelte. Kapitel 25: Ostersonntag ------------------------ Finally Christmas Eve has arrived, but be aware of this tale that at long last has thrived. Yay, endlich ist es soweit. Heiligabend ist da. Und im Gegensatz zu den Amerikanern gibt’s die Geschenke bei uns schon heute. Weil man euch heutzutage aber eh nicht mehr mit sonderlich viel überraschen kann, gibt es hier jetzt wahrscheinlich die größte Überraschung, die zu Weihnachten möglich ist. Und natürlich soll ich euch noch den Anstrengungen und Strapazen berichten, die die Autorin bei Erhalt dieses speziellen Themas ("Ostern") durchleiden musste. Aber weil sie der Terminator des Weihnachtsfestes ist, hat sie auch das gepackt! So, if you have the guts, start readin‘! *************************************************************************************** Inhalt: Bella ist kurz davor, von einem Hochhaus zu springen. Doch ausgerechnet dann taucht ein Fremder auf, der sie davon abhalten will. Oder doch nicht? Warning: ExB, AH, slightly OOC Banner: http://img255.imageshack.us/img255/3316/ostersonntag.jpg Anmerkungen: Edward Carl ‚Dutch‘ Sternaman war ein bekannter amerikanischer Football-Spieler der Chicago Bears (in der National Football League). In England lässt man zu Ostern die Eier eine Straße runter rollen, bis die Schale kaputt ist. Außerdem pflückt man Weidenkätzchen und tätschelt sich damit gegenseitig (es soll Glück bringen). Betadanksagung: Heiße, dicke Küsse an die Chef-dubdug! Reviews: lachmaus‘ Herz blutet für sie. ------------------------------------------------------------------------------------------------------- Ostersonntag by lachmaus Bella blickte auf die Stadt hinunter. Der Himmel hing dunkel über ihr, drückte auf ihre Schultern und färbte die Fensterscheiben der gegenüberliegenden Häuser schwarz. Die Straßenlaternen leuchteten, genauso wie die vereinzelt vorbeifahrenden Autos und die Dekorationen an den Häusern und Geschäften. Arbeiten tat dort an diesem Tag niemand mehr. Es war Heiligabend. Bella seufzte leise. Was wussten schon all diese Menschen, die in diesem Moment glücklich lachend an einem Esstisch vereint waren? Ihr war überhaupt nicht nach Weihnachten. Es war bisher ein warmer Winter in Chicago gewesen und der Schnee war nicht ein Mal liegen geblieben, nicht einmal an diesem Abend. Doch das zierliche Mädchen nahm es dem Wetter nicht übel. So konnte es noch ein wenig draußen sitzen und ihre Beine in der Luft baumeln lassen, ehe der entscheidende Augenblick gekommen sein würde. Sie kuschelte sich tiefer in ihre Jacke und betrachtete ihre schwebenden Füße, wie sie in der Luft zu laufen schienen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie ein bisschen Angst vor der Höhe. Der Betonrand unter ihr war breit – breit genug, damit sie bequem darauf sitzen konnte – aber keinen Boden unter den Füßen zu haben, hatte sie schon immer ein wenig verunsichert. Sie drückte sich näher an das Gitter hinter sich, um sich daran festzuhalten, falls sie zu fallen drohte, ehe sie vollständig bereit war. Nur um sicher zu gehen. Insgesamt erschien ihr die Situation äußerst surreal: Wie sie dort wartete, während sich die andächtige Stadt vor ihr ausbreitete. Sie richtete ihren Blick wieder auf die Straße unter sich. Dreiundzwanzig Stockwerke. Das würde wohl reichen. Sie war sich ziemlich sicher, dass es reichen würde. Gegenüber des Daches, auf dessen Sims sie saß, war eine große Reinigungsfirma – fast wie ein ermutigendes Zwinkern des Schicksals. Unter ihr lief keine Menschenseele auf dem Bürgersteig. Die Letzten, die immer noch nicht Zuhause waren, schienen sich offensichtlich in anderen Straßen aufzuhalten. Nicht, dass jetzt schon der richtige Augenblick gekommen war? Bella beugte sich ein Stück nach vorne, wobei ihre dunklen Haare ihr ein wenig aus dem Nacken glitten und wie ein Vorhang neben ihr Gesicht fielen. Der Wind erfasste sie, griff sie an den Spitzen und tanzte mit ihnen, schien Bella fast ein bisschen an ihnen zu ziehen. Das Mädchen fing sie wieder ein und strich sie sich hinters Ohr. Nein, es war noch nicht soweit. Das war zu schnell. Sie lehnte sich zurück an das Gitter und dachte an ihren Vater. Wie stramm er immer in seiner Polizeiuniform ausgesehen hatte. Sie wollte lächeln, aber es ging nicht. Gerade als sie ansetzte, der Nacht zu erzählen, wie schlimm es um sie stand, dass sie eine wahrliche Niete im Loskasten des Lebens gezogen hatte, ging hinter ihr die Tür zum Treppenhaus auf. Als sie sich umdrehte, konnte sie die Umrisse eines jungen Mannes ausmachen. Ebenso wie sie verharrte er in der Bewegung, sobald ihre Blicke sich trafen. „Was machst du hier oben?“, rief er ihr zu. Bella musste ihren ganzen Mut zusammennehmen, um zurückzurufen. Trotzdem klang ihre Stimme immer noch furchtbar schwach und kam fast nicht gegen den Wind an. „Ich würde gerne alleine sein. Könntest du bitte wieder gehen?“ Sie war sonst nicht so forsch, aber an diesem Abend hing viel davon ab, dass alles richtig lief. Wenigstens ein Mal sollte alles richtig laufen. Sie könnte die Unterbrechung ihres Plans vielleicht ignorieren, wenn er sofort verschwände. Doch den Gefallen schien er ihr nicht tun zu wollen. Er ließ die Tür hinter sich zufallen und ging weiter in die Mitte der Dachterrasse. „Warum bist du hier? Du solltest nicht hier oben sein!“ Er deutete auf sie, bevor er beide Arme wieder fallen ließ, nur um sich danach durch die Haare zu fahren. Sie waren fast so lang wie seine Finger und umrahmten wirr sein Gesicht. Der Junge kam immer näher, bis er sie direkt überragte. Er war groß und schlank und wahrscheinlich würde er sie auch noch überragen, wenn sie ebenfalls stände. „Du sitzt hinter dem Geländer.“ Es war keine Frage. Er hob eine Augenbraue, die Bellas Aufmerksamkeit auf seine Augen und damit irgendwie auf seine hohen Wangenknochen lenkte. Geistesabwesend nickte sie. Er stöhnte, stützte sich auf die Gitterbalustrade auf und schlug sich die Hand über die Augen. „Das kann wirklich nicht wahr sein“, murmelte er. Bella wandte sich wieder der Stadt zu und verschränkte die Arme vor der Brust. Es konnte ihr doch egal sein, was er darüber dachte. Natürlich war ihr klar, was ihm bei diesem Anblick durch den Kopf gehen musste; wahrscheinlich würde es ihr nicht anders gehen, würden sie die Rollen tauschen. Aber sie brauchte niemanden, der sie in ihrem Vorhaben unterstützte; sie würde es auch alleine durchziehen. Eine Weile schwiegen sie, aber der Junge bewegte sich nicht vom Fleck. Als sie zu ihm hochsah, ertappte sie ihn, wie er sie und ihre aufgeplusterte Daunenjacke, die kleinen Atemwölkchen und die einzelnen, tanzenden Haare eingehend betrachtete. Er seufzte, murmelte etwas, was sich für Bella wie die Aneinanderreihung diverser Schimpfwörter anhörte, bevor er ebenfalls kurzerhand über die Reling stieg. Das Mädchen sog scharf die Luft ein, um zu protestieren, doch er schnitt ihr das Wort ab, während er sich setzte. „Also, warum bist du hier?“ „Ich…“, setzte Bella an, brach aber abrupt ab und sah zurück auf die glänzenden Scheiben des großen Gebäudes ihr gegenüber. Warum sie hier saß, ging ihn überhaupt nichts an. Der schöne Junge seufzte und zog eine Packung Zigaretten aus der Brusttasche seiner Jacke. Die war dunkel und aus Leder. „Willst du auch eine?“, fragte er und hielt ihr die Schachtel hin. Sie schüttelte den Kopf. „Ich rauche nicht.“ „Warum nicht? Wäre doch der ideale Moment, damit anzufangen. Und ich rauche lieber in Gesellschaft.“ Bella seufzte, nickte aber und nahm sich eine der schmalen Zigaretten. Sie waren viel länger, als sie es in Erinnerung gehabt hatte. Er zündete erst ihre und dann seine an und beide nahmen einen Zug. Der Rauch schien ihre Lunge noch nicht erreicht zu haben, als sie sich schon dagegen wehrte. Hustend stieß Bella den weißen Dunst wieder aus und nahm noch einen Zug. Der Junge hielt in seiner Bewegung inne und beobachtete sie. „Mein Vater war Raucher, ich bin damit aufgewachsen“, sagte Bella, ohne zu wissen, was genau sie erklärte. Er schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf. „Und, bereust du es? Also, niemals geraucht zu haben. Ist schließlich wunderbar zum Stress abbauen. Ich kann mir vorstellen, dass die Kippe jetzt gerade sogar richtig gut tut, oder?“ Bella sah auf den glühenden, weißen Stift in ihrer Hand, während sie die stinkende Luft ausblies. „Nein, tut sie eigentlich nicht“, antwortete sie und schnipste die brennende Zigarette nach unten. Wenn sie irgendetwas tat, dann war es, Bilder in ihr zu wecken, bei denen ihr kalt wurde. „Hey!“, stieß er hervor. „Das ist Verschwendung! Außerdem war das ein Geschenk von mir. Geschenke wirft man nicht einfach weg.“ „Es macht doch keinen Unterschied.“ Bella sah ihr beim Fallen zu, bis sie sie nicht mehr erkennen konnte. „Wenn ich sie aufgeraucht hätte, wäre sie auch weg. Also macht es doch keinen Unterschied.“ „Aber…“ Der Junge stieß ein frustriertes Geräusch aus, eher er ein Bein anwinkelte und nochmal an seiner Zigarette zog. Vielleicht würde er jetzt gleich gehen. Bella hoffte es. Sie konnte seine Anwesenheit wirklich nicht gebrauchen. Er lenkte sie schon allein durch sein Sitzen von ihrem Vorhaben ab, hielt sie auf und stellte sich damit ihrem Plan in den Weg. Heute war schließlich die perfekte Nacht. „Wie heißt du?“, wollte er wissen. ‚Bitte kein Gespräch‘, dachte Bella. „Lass mich allein. Bitte. Ich bin die falsche Person für einen netten Plausch.“ „Nun, Lass-mich-allein-bitte, ich bin Edward.“ „Ein seltsamer Name.“ „Völlig falsch, es ist ein altehrwürdiger Name. Denk nur an Edward VII., der große König von Großbritannien, oder Edward O’Hare, nachdem unser Flughafen hier benannt wurde. Oder was mit Dutch Sternaman? Noch ein berühmter Edward aus Chicago. Es gibt lauter berühmte Edwards, ich weiß nicht, ob ich das von deinem Namen sagen kann, Miss Bitte.“ Bella schnaubte. „Edward VII. ist übrigens an einer Bronchitis gestorben, weil er geraucht hat, als gäbe es kein morgen mehr. Und es ist Isabella; ein Name, den Königinnen in Frankreich, Portugal, Spanien und Jerusalem getragen haben, sowie zwei Kaiserinnen des Heiligen Römischen Reiches. Aber wenn du mich unbedingt ansprechen musst, dann bitte mit Bella. Der Name hat es immerhin für die Bezeichnung eines Asteroiden geschafft.“ Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal so viel am Stück zu einem Menschen gesagt hatte. Es fühlte sich richtig komisch an. Edward sah schmunzelnd auf den letzten Rest seiner Zigarette. „Vielleicht gibt es ja wirklich kein morgen mehr“, war alles, was er sagte, ehe er den finalen Zug genoss und den Stümmel neben sich ausdrückte. „Du willst also springen?“ Seine Frage klang so rhetorisch, dass Bella sich nicht genötigt fühlte zu antworten. Ihre Finger tippten in einem schnellen Rhythmus auf den Beton unter ihr. „Aber du traust dich noch nicht, hm?“ „Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst.“ Er ignorierte sie. „Ich weiß, wie das ist. Man will auf den perfekten Moment warten, auf den richtigen Augenblick, in dem alles passt. Als ich das letzte Mal hier oben stand, ging es mir genauso. Ich dachte, ich wäre bereit, doch plötzlich gab es so viele Kleinigkeiten, die noch nicht stimmten. Erstmal waren zu viele Menschen auf der Straße gewesen, aber gut, ich wollte mein Glück auch ausgerechnet im Sommer versuchen. Da ist so eine einsame Winternacht wirklich die bessere Wahl. Gibt dem Ganzen auch gleich noch einen schön melodramatischen Touch.“ Bella sah ihn mit großen Augen an. „Du wolltest auch schon springen?“ „Wer hat nicht schon mal daran gedacht?“ „Und warum wolltest du…?“ „Das kann ich dir jetzt nicht erzählen. Wenn du das heute Nacht noch durchziehen willst, dann muss es sich ab jetzt die ganze Zeit um dich drehen, damit du abschließen kannst. Wenn ich dir jetzt noch von meinen Problemen erzähle, dann macht das ein neues Fass in dir auf.“ „Aber wenn du mir davon erzählst… vielleicht weiß ich den Deckel, der es schließt.“ Edward lächelte, bevor er antwortete. „Danke, aber diesem Fass fehlt nicht nur der Deckel.“ Bella wollte nachfragen, was er damit meinte, doch sie akzeptierte seine Haltung lieber. Wahrscheinlich hatte er Recht. „Hast du dir eine bestimmte Uhrzeit ausgesucht, zu der es passieren soll?“, fragte er. „Nein, habe ich nicht.“ Sie zögerte, ehe sie fortfuhr. „So nett du das vielleicht meinst, aber ich würde das echt lieber alleine machen.“ „Mhm…“ Er schüttelte abwägend den Kopf. „Ich wäre mir da nicht so sicher. Du solltest lieber froh sein, dass ich zufällig hierher gekommen bin. Ich kann dir jetzt noch mal mit allem Abschließenden helfen, damit du wirklich beruhigt springen kannst. Überleg‘ es dir lieber genau: Wenn ich jetzt gehe, bist du alleine. Und ehrlich… wer will in seinen letzten Momenten schon allein sein? Ich wollte es damals nicht.“ Bella holte Luft, sagte aber vorerst nichts. Erst als sie seinen wartenden Blick auf sich spürte, antwortete sie. „Du willst mir dabei helfen?“ „Was erwartest du von mir? Dass ich jetzt einfach wieder gehe und dich mit der Gewissheit sterben lasse, dass du niemanden gehabt hast, dem du dich kurz vor Schicht im Schacht noch mal anvertrauen konntest? Ich könnte mir niemals wieder in die Augen sehen.“ „Ich weiß nicht, ob das richtig ist.“ Sie runzelte die Stirn. So hatte sie sich ihren letzten Abend nicht vorgestellt. „Vertrau mir“, sagte er – plötzlich sehr leise. „Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Das muss zu etwas gut sein.“ Sie wandte den Blick von ihm ab und sah stumm nach unten. Ein Mal hätte alles gut laufen sollen. „Da du dir keine Zeit festgelegt hast, haben wir ja keine Eile. Klar, es muss noch vor Sonnenaufgang passieren. Sobald die Sonne aufgeht, ist es zu spät. Man springt einfach nicht, wenn es hell ist. Aber bis dahin bleiben uns glücklicherweise noch ein paar Stunden. Wir können auch einfach erstmal nur nebeneinander sitzen. Solange, bist du dich an mich gewöhnt hast.“ Sie sagte nicht ja, aber auch nicht nein. Und so saßen sie nebeneinander. Eine lange Weile sagte keiner von ihnen etwas. Edward rauchte in der Zeit drei Zigaretten. Bella hätte die vergehenden Minuten gerne dazu genutzt, um über ihr Leben nachzudenken, sich in ihren dunklen Erinnerungen zu verlieren und die ganze Welt zu verfluchen, aber der seltsame Fremde erwies sich als äußerst ablenkend. Wenn er sprach, sagte er zu viel, aber wenn er schwieg, war er viel zu leise. Zuerst versuchte sie, ihn zu ignorieren; ihn einfach aus ihrem Blickfeld auszuschließen. Aber sie fühlte sich, als würde er nicht nur sie, sondern auch ihre Gedanken beobachten. Immer wenn sie zu ihm sah, erwartete sie, Verurteilung, Ungeduld und Unverständnis zwischen seinen Augenbrauen zu erkennen, aber nichts. Wenn er ihrem Blick begegnete, lag nichts davon in seinen Augen. Vielleicht war es eine Mischung aus Neugierde, Verständnis und dem Drang, ihr helfen zu wollen. Vielleicht war es aber auch etwas, dass sie nicht deuten konnte. Oft schaute er auch einfach auf die vorbeifahrenden Autos oder die kleinen Kiesel auf dem Sims zwischen ihnen. Bella begann, das Gefühl zu bekommen, dass er wie ein Verbündeter neben ihr saß und mit ihr wartete. Darauf, dass sie sich entschied, mit ihm zu reden, und dass sie sich bereit fühlte, zu tun, was getan werden musste. Vielleicht hatte er wirklich nicht gelogen und wusste, wie ihr zumute war. Vielleicht war Edward der eine Mensch auf der Welt, der ihr helfen konnte, damit ihrem Vorhaben endlich nichts mehr in die Quere kommen konnte – gerade weil er sie verstand. Vielleicht war es einen Versuch wert. Die Stille zwischen ihnen durchbrach sie mit einem Flüstern. „Weihnachten ist ein furchtbares Fest.“ „Nein, ist es nicht“, erwiderte Edward sanft. „Es ist nur für deinen Plan ziemlich unpassend.“ Bella verzog den Mund. „Ich finde es mehr als passend.“ „Warum? Weil die Straßen dann schön leergefegt sind und du dich in aller Ruhe deinem Ende widmen kannst? Oder weil es eigentlich das Fest der Liebe ist und du damit der Welt noch mal richtig ins Gesicht lachen willst?“ Bella zog beide Beine an, verschränkte ihre Arme auf ihren Knien und stützte ihren Kopf darauf ab. Er hatte sie durchschaut, doch aus seinem Mund klang es nicht so toll und glorreich wie in ihrem Kopf. „Sei doch ehrlich zu dir selbst, Bella.“ Das Mädchen musste aufsehen, denn ihr Name klang aus seinem Mund genauso fremd und sonderbar, wie er es war. Sie hätte ihn gerne gebeten, dass er ihn noch mal aussprach, nur damit sie überprüfen konnte, ob sie es sich wohlmöglich nur eingebildet hatte. Aber das würde seinen Eindruck von ihr wohl nicht verbessern. Also schwieg sie. „Darum geht es doch bei deiner Entscheidung nicht. Fakt ist, dass Weihnachten als Fest der Geburt zu deinem Vorhaben wirklich nicht passt. Dann müsstest du an Ostern springen. Ostern wäre gut. Tod und Wiederauferstehung, Himmelfahrt. Du würdest springen und in ein besseres Leben kommen. Klingt das nicht viel schöner? Als heute, an dem Tag, an dem die ganze Welt die Geburt des kleinen Jesus feiert? So kannst du doch niemals in Frieden gehen.“ Bellas Augen ruhten auf der Weihnachtsdekoration des Supermarkts ihr gegenüber, während sie sich sein Argument durch den Kopf gehen ließ. „Mhm“, stimmte sie zu. „Das klingt schöner.“ Aber was sollte sie nun machen? Sie konnte es nicht abbrechen und einfach noch ein paar Monate länger warten. Sie hatte lang genug gewartet. Am liebsten hätte sie sich die Haare gerauft. Von Anfang an hatte sie es gewusst: Dieser Junge brachte alles durcheinander. „Aber das ist ja kein Problem, dafür bin ich ja da.“ Edward setzte sich aufrechter hin und fischte noch einen Glimmstängel aus seiner Jacke. Er zündete ihn an und fuhr nur halb verständlich mit der Zigarette zwischen den Lippen fort. „Wir tun einfach, als wäre heute Ostern.“ Mit dem rauchenden Stäbchen zeichnete er ein Ei in die Luft. „Wir machen ein paar Osterbräuche und lassen es ansonsten unter uns. Das müsste reichen, damit du es nicht extra verschieben musst. Einverstanden?“ Er sah sie eindringlich an, während er einen tiefen Zug nahm. Ihr Blick ruhte kurz auf seinen Lippen, die eine sehr intime Beziehung mit dem Filter einzugehen schienen, bevor er zu seinen Augen wanderte. Bella war sich nicht ganz sicher, aber sie glaubte, sie wären grün. Schließlich nickte sie. „Welche Osterbräuche?“ Edward holte tief Luft. „Das ist eine gute Frage. Eier habe ich gerade nicht dabei…“ „Und Blumen auch nicht.“ „Mhm.“ Edward presste die Lippen aufeinander und tippte auf seine Zigarette, damit die abgebrannte Asche herunterfiel. „Dann bleibt uns wohl nur, uns von Osterbräuchen zu erzählen. Oder von Osterfesten. Hattest du mal ein ganz besonders schönes Ostern?“ „Nein“, antwortete Bella, ohne zu zögern. „Mhm.“ Edward sah sie nicht an, ganz als ob er sich so etwas schon gedacht hätte. „Das heißt, doch. Ein Jahr, da war es eigentlich ganz nett.“ „Möchtest du mir davon erzählen?“ Und Bella erzählte. Davon, wie Charlie, ihr Dad, sich extra zu Ostern frei genommen hatte und mit ihr zu den Philippinen gefahren war. Sie hatten in einem winzigen Hotelzimmer gewohnt und sich jeden Tag etwas anderes angesehen. Charlie war sonst nicht wirklich für kulturelle Ausflüge zu begeistern gewesen; er war zufrieden gewesen, wenn er sich nach Dienstschluss einem guten Spiel und am Wochenende einer guten Angelpartie hatte hingeben können. Doch diese Reise hatte er nur für sie gebucht gehabt. „Weißt du, mein Dad und ich… wir haben nie viel miteinander geredet, aber das war auch nicht so wichtig. Er musste nichts sagen, damit ich verstehen konnte, was in ihm vorgegangen ist. Wir wussten, wie wir damit umgehen sollten und deswegen war es gut so.“ „Also hast du mit deinem Dad zusammen gelebt?“ „Ja. In Forks, Washington. Ziemlich klein und grün, viel Regen, abseits jeglicher Zivilisation. Aber daran hat man sich gewöhnt.“ „Was ist mit deiner Mutter?“ Bella lachte bitter. „Wusstest du, dass die Philippiner ihre Kinder an Ostern an den Köpfen nach oben ziehen, damit sie besser wachsen?“ „Nein“, antwortete Edward. „Menschen sind wirklich verrückt.“ „Warst du mal in Europa?“, fragte der Junge daraufhin. Bella schüttelte den Kopf. Edward griff an die Gitterstäbe hinter ihm und zog sich ein Stück nach oben. „Ich war ein Austauschjahr in England, aber zu Ostern war ich in Frankreich. Ich hatte gehört, dass die Engländer irgendwas Perverses mit Weidenkätzchen zu Ostern veranstalten und da wollte ich nicht so dringend dabei sein. Ich hab die Tage auf der Durchreise verbracht und bin in verschiedenen kleinen Ortschaften gewesen und habe deswegen gar nicht so viel von Ostern mitbekommen. Aber am Ostersonntag war ich in Rouen. Ich saß in einem kleinen Café und mir gegenüber ein altes Ehepaar, mit dem hab ich mich unterhalten. Sie haben mir von dem Brauch erzählt, dass die Glocken von Karfreitag bis Ostersonntag zum Gedenken nicht läuten. Den Kindern sagen sie, dass das Läuten nach Rom zum Papst und damit zum toten Jesus reist und am Sonntag mit Geschenken zurück kommt. Das ist mir bis dahin auch überhaupt nicht aufgefallen, also, dass die Glocken nicht geläutet haben. Aber als es dann genau Mittag, zwölf Uhr war… da hat es plötzlich in der ganzen Stadt geklungen, überall haben kleine und großen Glocken geläutet und die Menschen sind sich in die Arme gefallen und haben sich geküsst und gelacht und plötzlich war so eine Freude im Raum… es war, als würde es leuchten.“ Edward blickte geradeaus und Bella war sich sicher, würde sie jetzt fallen, er würde es vor lauter Leuchten gar nicht merken. Sie verfielen wieder für einen Moment in Stille, bis Edward sich an etwas zu erinnern schien. „Wenn man es genau nimmt… könnte man diesen Brauch vielleicht sogar machen.“ „Dann bräuchtest du aber einen Kirchturm, der nicht klingt.“ „Und genau den haben wir. Ich habe diesen Freund, also streng gesehen mehr ein Bekannter. Also ein Kollege. Der zieht mit seinem Meister die Kirchenuhren auf. Also in diesem Teil der Stadt. Auf jeden Fall hat er mir, oder genauer gesagt ein paar anderen Kollegen erzählt, dass die St. August Kirche hier um die Ecke morgen früh ein besonderes Glockenspiel geben soll und er dafür den Schlag zur vollen Stunde bis dahin unterbrochen hat.“ „Oh“, machte Bella. „Ich wusste gar nicht… dass das ein Beruf ist. Und das macht wirklich er? Das klingt ziemlich wichtig.“ „Er hat sich total drüber aufgeregt, dass er dafür ausgerechnet morgen so früh aufstehen muss. Ich bin ziemlich sicher, dass er das macht.“ Bella überlegte kurz. „Und wann wird das sein? Ich kann schließlich nicht ewig warten.“ „Da hast du Recht.“ Er kratzte sich am Kinn. „Aber genau genommen, müsstest du ja ohnehin vorher springen. Sie läuten ja erst am Ostersonntag und da ist Jesus ja schon wieder auferstanden. Du müsstest es also vergleichsweise Karfreitag machen. Wir können uns aber einfach vorstellen, wir würden uns an diesen Brauch halten.“ Bella nickte mit gerunzelter Stirn. Irgendwie erschien ihr das Ganze gleichermaßen logisch und abstrus. Aber was hatte sie schon zu verlieren? „Was passiert denn mit deinen Sachen? Hast du ein Testament machen lassen?“, lenkte Edward das Thema wieder um. Das Mädchen seufzte. „Nein.“ Langsam kam es ihr unendlich viel vor, was sie nicht bedacht hatte. „Hast du denn viel?“ „Nein, nur…“ Sie hielt inne und errötete. „Es ist nicht viel von Bedeutung, ich wohne nur in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in der 43.“ „Gib mir deine Adresse und ich kümmere mich darum.“ Bella drehte ihren Kopf wieder zu dem Jungen und beobachtete ihn, bevor sie antwortete. Mit den Augen verfolgte sie die Linie seiner Augenbrauen: Sie waren nicht schmal, eher fingerbreit. Auch nicht gezupft, aber auch nicht aus der Form geraten. Sie passten einfach perfekt zum Rest seines Gesichts; eine Ansammlung aus geraden Zügen, markant, aber nicht aufdringlich. Er schien die ideale Gradwanderung zu meistern. Er imitierte ihre Pose: Gegen das Gitter gelehnt, beide Beine herunter baumelnd und die Hände im Schoß. Der Wind wehte kühl um ihre Knöchel und ihre Nase und sie fragte sich, ob ihm genauso kalt wurde. „Was würdest du dann mit meinen Sachen machen?“ „Was immer du möchtest, was ich damit machen soll.“ „Mhm“, machte Bella und sah in den schwarzen Himmel. Über ihrem Kopf breitete sich ein Teppich voller Diamanten aus. Sie waren groß und klein, hell und dunkel, aber auf jeden Fall waren sie überall. Es war einer der Anblicke, den sie vermissen würde. Vielleicht war es gut, wenn sie sich jetzt noch einen Moment nahm, um ihn vollständig in sich aufzusaugen. „Hast du schon mal eine Sternschnuppe gesehen?“, flüsterte sie. Es war die erste Frage, die sie Edward stellte, aber sie wollte gerade an andere Dinge als ihre wenigen Habseligkeiten denken. „Ja. Ein Mal.“ Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er ebenfalls nach oben blickte. „Hast du dir was gewünscht?“ „Ja.“ „Ist es in Erfüllung gegangen?“ „Nein.“ Zum ersten Mal klang Edward weder amüsiert oder nachdenklich. Nicht mal ernst. Etwas in seiner Stimme brach Bella das Herz und für einen kurzen Moment wollte sie am liebsten nach seiner Hand greifen. „Was würdest du dir wünschen, wenn du heute Nacht eine siehst?“, wollte Edward wissen. Seine Stimme klang rau und er räusperte sich kurz. „Das darf ich dir nicht sagen!“, entgegnete Bella sofort. „Wenn ich dann wirklich eine sehe, dann geht mein Wunsch nicht in Erfüllung, wenn ich ihn laut ausgesprochen habe!“ Edward schmunzelte und sah von den Sternen zu ihr. „Es ist nicht so, als wären deine Chancen noch wirklich groß. Es ist nur noch eine Nacht.“ „Nun, dann würde ich mir wünschen, meine letzten Minuten allein verbringen zu können.“ „Autsch.“ Edward verzog das Gesicht. „Aber wie gesagt: Diese Wünsche gehen eh nie Erfüllung.“ Starr sah Bella nach oben. Dann war es eben nur noch eine Nacht. Er wusste genauso gut wie sie, dass sie das wusste. Dass sie das wollte. Aber Bella befürchtete, dass er ahnte, dass das nicht ihr Wunsch wäre. Das Mädchen zog ein Knie an und sah wieder zurück auf die Straße. Ein Auto fuhr von links nach rechts, von Norden nach Süden, und sie verfolgte den Lichtschein, den es auf die Straße warf. Sie stellte sich vor, wie sie ihm hinterher fliegen könnte, wenn sie springen würde. Es würde wunderbar werden, einen Moment lang würde sie sich frei und schwerelos fühlen. Sie wusste nicht, warum Edward da war – ausgerechnet heute, ausgerechnet bei ihr – aber sie würde ihn nutzen. Er hatte Recht; mit vielem, was er gesagt hatte. Es gab noch Einiges, was noch unvollendet auf Erledigung wartete. Doch mit seiner Hilfe würde sie das alles abhaken können. Sie würde sich heute noch frei und schwerelos fühlen. „Bitte wirf die Sachen nicht weg.“ Sie sagte es ganz leise, weil sie nicht wollte, dass irgendwelche in ihr lauernden Gefühle sie verrieten. „Ich könnte sie verkaufen. Und das Geld einem Waisenhaus schenken.“ „Nein, nicht verkaufen!“ Mit aufgerissenen Augen sah sie ihn an, nur um so schnell wie möglich wieder wegzugucken. Ihr Herz fühlte sich an, als würde es in ihrem Bauch weiter schlagen. Sie spürte, wie Edward sie betrachtete, ehe er weitersprach. „Komm erstmal ein Stück her“, murmelte er, griff sie bei der Taille und zog sie näher zu sich und zum Gitter hinter ihnen. Sie zuckte bei seiner Berührung zusammen, wollte aber gar nichts dagegen sagen. Ihre Kniebeugen lagen nun nicht mehr direkt an der Simskante und verhinderten so, dass ihre Füße im Wind flatterten. „Du sitzt mir da vorne viel zu unsicher.“ Sie passte genau unter seine Armbeuge. Das Leder quietschte bei der Bewegung und rieb an ihrer Jacke. Ihre Oberschenkel berührten sich. Das Mädchen wollte ihre Schienbeine nicht zu sich ziehen, um besser zu sitzen, weil sie dann noch näher aneinander gepresst werden würden, aber anwinkeln wollte sie ihre Beine auch nicht. Dann würden sie sich gar nicht mehr berühren. Also verharrte sie einfach in ihrer Position. Edwards Arm lag halb um ihre Schulter geschlungen, halb um ihren Rücken, und er schien nicht gewillt, ihn wieder zurück zu ziehen. Es war ein wenig unbequem, aber wenn sie sich noch ein wenig zu ihm drehen würde… Bella hielt die Luft an, denn plötzlich konnte sie seinen Atem über ihr Gesicht streifen und seinen Herzschlag spüren. Er war so nah. So nah, dass sie sich nicht mal mehr traute, den Kopf zu ihm zu drehen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Plötzlich war alles so anders. „Nicht, dass du fällst, anstatt zu springen“, flüsterte Edward. Bella schwieg lieber. „Du kannst mir auch genau sagen, was mit deinen Sachen passieren soll; wem ich sie geben soll. Ich habe ein gutes Namensgedächtnis.“ Sie setzte an, ihm zu antworten, ihm zu sagen, dass er sich keine Namen merken brauchte. Dass es niemand gab, dem sie Sachen geben könnte. Dass sie ganz allein war. Aber ihre Stimme versagte bei dem Versuch und so hauchte sie nur: „Du kannst sie behalten.“ Edward erwiderte nichts, er fragte auch nicht nach ihrer Adresse. Vielleicht hatte er kein Interesse an ihrem alten Zeug. Bella verstand das. Ihr Blick fraß sich an seiner Schuhspitze fest, obwohl sie eigentlich an ihr vorbei sehen wollte. „Was hast du dir gewünscht? Damals bei der Sternschnuppe?“ „Wie ich schon sagte: Ich will dir das alles nicht erzählen.“ „Aber ich soll dir etwas von mir erzählen, oder? Du willst doch wissen, warum ich das machen will, richtig?“ „Ja, schon. Aber…“ „Dann erzähl mir bitte auch was von dir. Nur ich… das ist so schwer.“ Edward seufzte und fuhr sich mit seiner freien Hand durch die Haare. „Ich habe mir gewünscht, dass alles anders gelaufen wäre, als es gelaufen ist. Dann hab ich festgestellt, dass das kein Wunsch ist, der sich erfüllen kann, weil die Sternschnuppe dafür die Zeit zurückdrehen müsste. Aber was anderes ist mir nicht eingefallen. Also bin ich dabei geblieben und die Sternschnuppe konnte nichts machen.“ „Das ist aber auch ein dummer Wunsch“, erwiderte Bella, obwohl sie insgeheim ganz genau wusste, wie er sich gefühlt haben musste. „Man muss doch selbst nach einem Ausweg suchen.“ Das von einem Hochhaus zu springen kein Ausweg im eigentlichen Sinne war, lag ihnen beiden auf der Zunge, aber sie schluckten es hinunter. Mit einer Hand zog Edward eine weitere Zigarette aus seiner Brusttasche und zündete sie an. „Du rauchst unglaublich viel.“ „Liegt an der dünnen Luft. Aber das ist meine letzte Schachtel.“ Er blies den Rauch von ihr weg, aber der Wind trug ihn zu ihrem Gesicht. Der Geruch ließ Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wieder aufleben, aber die wollte Bella lieber hinauszögern. Glücklicherweise brach ihr Verbündeter ein neues Thema an. „Und, hast du all die Sachen gemacht, die man im Leben unbedingt getan haben sollte?“ „Wie im Segelflugzeug fliegen?“ „Oder Bungee-Jumping.“ „Oder mit Delphinen schwimmen?“ „Oder sich ein Tattoo stechen lassen. Oder sich ein Mal so sehr betrinken, dass man am nächsten Morgen alles vergessen hat.“ Bella schüttelte den Kopf. „Wozu auch? Das wird mir garantiert nicht helfen, dass mein Leben schöner wird.“ „Denkst du nicht, dass das irgendwie einen gewissen… Mehrwert bringt? Also, die Erfahrung. Bereust du nicht, sie nie gemacht zu haben?“ „Ich habe Erfahrungen gemacht. Wer sagt denn, dass diese Erfahrungen mein Leben zu einem gelebten Leben machen?“ Edward nickte und rauchte. „Aber jeder sagt das. Hast du denn keine Liste mit Dingen, die du unbedingt noch tun wolltest, bevor du dich hier oben platziert hast? Ich dachte, das gehört heutzutage dazu.“ „Aber ich sitze nicht hier, weil ich der Meinung bin, dass mein Leben fertig ist“, entgegnete Bella. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, denn plötzlich schien Edward sie überhaupt nicht mehr zu verstehen. „Nein, das tust du nicht“, bestätigte er jedoch und widerlegte damit ihre aufgeflammte Angst. Sie schwiegen so lange, bis Edward seine Zigarette ausgedrückt hatte. „Also, nachdem du schon nicht alles getan hast, was du hättest tun können… willst du irgendwelche Aufgaben an andere Personen verteilen? Als letzter Wille?“ „Nein, will ich nicht.“ Bella schluckte und es fühlte sich an, als müsste sich ihre Spucke an einem dicken Knoten in ihrem Hals vorbeizwängen. „Du bist wirklich ein bescheidener Mensch.“ „Edward“, flüsterte Bella. Sie wusste, dass er anhand ihrer Stimme, die nicht mehr als ein Hauchen war, erkennen konnte, dass sie etwas Wichtiges zu sagen hatte. Sie drückte die Augen zu. „Da ist niemand, dem ich eine Aufgabe geben könnte. Ich bin ganz allein.“ Sie ließ die Lider verschlossen und in ihrer Fantasie kam es ihr so vor, als würden die Buchstaben vor ihr in der Luft schweben. Sie konnte sie praktisch sehen, wie sie vor ihnen auf und ab tanzten und wild herumsprangen, solange Edward sie nicht mit einer Reaktion bändigte und einfing. Und bevor sie es verhindern konnte, stiegen ihr die Tränen in den blinden Augen auf. Sie quollen durch ihre Wimpern und suchten sich ihren Weg über ihre Wangen und ihren Hals, bis ihr Schal sie verschluckte. Edward drückte sie näher an sich und wisperte in ihr Ohr. „Wenn du jetzt weinst, dann sieht es niemand außer mir.“ Und Bella weinte. Sie weinte und versteckte ihr Gesicht dabei in seiner Jacke und versuchte, sich von seinem Geruch beruhigen zu lassen, auch wenn das nicht ganz klappte. Sie erzählte Edward nicht, wie ihre Mutter sie vor vielen, vielen Jahren für einen drittklassigen Baseballspieler verlassen hatte und dass ihr Vater vor genau einem Jahr in einer Schießerei ums Leben gekommen war. Sie sagte nicht, dass sie ein Lebtag gehänselt wurde – im Kindergarten, weil sie Dreck gegessen, in der Grundschule, weil sie Angst vor Scheren gehabt hatte und in der High School, weil ihr nicht eine Freundin geblieben war, die ihr hätte sagen können, dass Kleine-Finger-Versprechen, Romanhelden und der Platz in der ersten Bankreihe nicht mehr als cool galten. Sie verlor auch kein Wort darüber, dass sie das ganze letzte Jahr mutterseelenallein in Chicago gelebt hatte – so allein, dass sie manchmal befürchtet hatte, ihre eigene Sprache zu verlernen. Und Edward fragte auch nicht nach, denn er wusste, dass in ihrem kleinen Körper mehr Schmerz steckte, als ein Riese verkraften und als in einer Nacht erklärt werden konnte. Es war so viel Schmerz, dass er sie an einem Abend wie diesem auf einen Sims wie diesem getrieben hatte – und das war mehr Schmerz als jemals jemand spüren sollte. „Tanz mit mir“, flüsterte er. „Ich möchte nicht aufstehen.“ Sie wusste selbst nicht, ob sie ablehnte, um sich nicht von ihrem Sims oder eher von seiner Umarmung zu entfernen. „ Und ich kann auch gar nicht tanzen.“ „Dann gib mir deine Hand. Wir machen einen Fingertanz.“ Und sie hob ihre Finger und legte sie gegen seine. Er tippte mit den Spitzen gegen ihre und bewegte sie hin und her, bis sie dem Rhythmus der Melodie nachgingen, die er leise vor sich hin summte. Sie folgte seinem Spiel, ließ ihre Hand gegen seine streichen, und beobachtete, wie ihre Finger sich überkreuzten und wieder auseinander glitten, nur um sich danach wieder zu verschränken. Sie machte so lange mit, bis ihre Glieder immer langsamer und träger wurden. Ihr war so kalt und sie war müde. Sie hörte noch, wie Edward sagte: „Tu es nicht, Bella. Du bist zu wichtig.“ Aber ihr fiel nichts Rechtes ein, was sie darauf erwidern sollte und so griff sie einfach nach seiner Hand und hielt sie ganz fest, in der Hoffnung, dass er auf dem Parkett auf sie warten würde, bis sie für den nächsten Tanz bereit war. „Hey Bella“, flüsterte Edward. Sie spürte, wie sie fest an ihn gedrückt saß und das Leder unter ihrer Wange ganz warm geworden war. Er strich mit seinen Fingerspitzen ganz leicht über ihr Gesicht und sie begriff, dass sie eingenickt sein musste. Für einen kurzen Augenblick gab es in ihrer Welt nichts außer Edwards warmer Seite und seinen langen Fingern, ehe sich nach und nach der kühle Wind um ihre Nase, der harte Stein unter ihrem Beinen und die freie Luft vor ihren Füßen in ihr Bewusstsein stahlen. Sie fühlte sich erschöpft und aufgequollen und wollte nichts lieber, als wieder in die sorgenlose Traumwelt zurückzukehren. Der Himmel war nicht mehr schwarz, sondern hellblau und gelb und rot. „Es ist Morgen“, sagte Edward und eine kleine weiße Atemwolke bildete sich vor seinem Mund. Sie bewegten sich keinen Zentimeter auseinander, sondern verharrten in ihrer beinahe verkeilten Position. Seite an Seite, Wärme an Wärme. Die Straßen unter ihnen waren noch dunkel und die Luft über ihnen so klar, dass sie an den Ohren brannte. Vereinzelt hörten sie irgendwo einen Motor starten oder einen Vogel zwitschern. Es war leise, aber nicht still wie die vergangene Nacht. Weit in der Ferne konnten sie das leise Klingen einer Kirchturmglocke hören. „Das Läuten ist zurück“, flüsterte Bella. Es brauchte nur eine winzige Bewegung, dass Edward sich zu ihr drehte. Seine Hand ruhte ohnehin schon nahe ihrer Wange und musste so nur ein klitzekleines bisschen drücken, damit sich ihr Gesicht zu seinem wandte. Aber als sich seine Lippen ganz stumm und zart auf ihre legten, war es überhaupt nichts Kleines. Es war mehr als Sternschnuppen und Philippinen zusammen. Ihre Münder waren beide kalt und Bellas Lippen waren rissig und spröde. Ihr Pony hing ihr ins Gesicht und Edwards Haare kitzelten sie kurz unter ihrem rechten Auge. Ihre Glieder waren steif und am liebsten hätte sie sich ausgiebig gestreckt. Doch das war für diesen Moment alles völlig gleichgültig. Es spielte keine Rolle, dass es Bellas erster Kuss war und auch nicht, dass sie wusste, dass sie ihre Chance diese Nacht verpasst hatte. Ihre Lippen berührten sich immer wieder; ganz sanft, aber bestimmt. Die beiden tauschten keine Leidenschaft aus und sie entfachten kein Feuer. Aber in ihnen leuchtete es. Edward sah sie sehr lange an und Bella sah zurück. Ihre Blicke waren nicht eindringlich, nicht fordernd, nicht ergründend, nicht fragend und auch nicht unsicher. Wer eine solche Nacht hinter sich gebracht hatte wie Edward und Bella, brauchte all das nicht mehr. Der Himmel wurde immer heller und die Straße unter ihnen immer belebter. Aber sie standen nicht auf und trennten auch nicht ihre Hände voneinander. Zusammen sahen sie der Sonne dabei zu, wie sie den Horizont eroberte. Edward öffnete seine Zigarettenschachtel und zog den letzten weißen, kleinen Stift hervor. „Warum bist du hier raufgekommen?“ Bella wusste nicht, was an der Frage so komisch war, aber Edward fing daraufhin leise an zu lachen. Er lachte so unbeschwert und heiter, dass sie das Gefühl bekam, noch nie jemanden lachen gehört zu haben. Schließlich wischte er sich mit dem Handrücken über die Augen und während er antwortete, ließ er seine Zigarette einfach fallen. „Ich weiß es nicht mehr.“ Bella sah auf den goldenen Rand hinter den Hochhäusern und fühlte sich frei und schwerelos. Es war wie Ostersonntag. [align type="center"]*************************************************************************[/align] Kapitel 26: Warme Weihnachten ----------------------------- The first of two remaining stories on Christmas Day, because we don’t want them to decay. Ja ja, ich hoffe, ihr habt gestern alle das bekommen, was ihr wolltet/vedient habt :P Was immer es aber auch war, bei uns bekommt ihr auch heute noch ein Märchen geschenkt. Wir wünschen euch viel Spaß damit! ************************************************************ Thema: Heizungsausfall + Holzbedarf für Kaminfeuer --------------------------------------------------------------------------------------- Warme Weihnachten by Tani157 In dem großen Haus der Cullens war alles für das bevorstehende Weihnachtsfest hergerichtet. Es war festlich geschmückt und die selbstgebackenen Plätzchen sorgten für einen einladenden Duft, der sich überall im Haus verteilte. Der große Christbaum war mit dicken roten und goldenen Kugeln behangen und unzählige kleine Lämpchen ließen ihn erstrahlen. Sogar die vielen buntverpackten Geschenke lagen schon darunter und warteten auf ihre Empfänger. Dieses Jahr hatte es sogar schon geschneit und so lag draußen alles unter einer dicken, weißen Schneedecke. Man könnte sagen, es waren die idealen Bedingungen für das perfekte Weihnachtsfest, ein Fest das man nicht vergessen würde, weil es einfach so vollkommen war. Es konnte ja keiner ahnen, dass diese Perfektion von einer Kleinigkeit zerstört werden konnte. Die Cullens waren auf der Jagd und Bella und Charlie schliefen noch seelenruhig in ihrem kleinen Haus, als ganz unbemerkt eine kleine Sicherung durchbrannte und somit die Heizung lahm gelegt wurde. Da es noch früh am Morgen war und die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt lagen, dauerte es nicht lange, bis sich die wohlige Wärme in dem Cullenanwesen verflüchtigte und sich erbarmungslos die eisige Kälte breit machte. Am späten Nachmittag kamen Emmett und Rosalie als erstes zurück, da sie sich noch ein wenig ihren anderen Trieben hingeben wollten und bemerkten nicht, dass im Haus dieselben Temperaturen herrschten wie draußen, da sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Auch als eine Stunde später der Rest der Familie heim kam, fiel es keinem auf, denn Vampiren waren Wärme und Kälte relativ egal. Sie konnten Temperaturunterschiede zwar spüren, aber war es doch so, dass weder das eine noch das andere ihnen angenehmer war. Und so kümmerte sich Esme um das Essen, Carlisle verschwand in seinem Büro, Alice probierte noch einige Kleider an, Jasper schnappte sich ein Buch und Edward verpackte noch ein weiteres Geschenk für seine geliebte Bella. Währenddessen wurde im Hause Swan noch darüber diskutiert, ob Charlie eine Krawatte tragen sollte oder nicht. Bella meinte, es wäre angebracht, da schließlich Weihnachten war, aber Charlie hielt es für übertriebenen Firlefanz und wollte sich einfach nicht überreden lassen. Schlussendlich setzte er sich durch und er konnte das Haus ohne Krawatte verlassen, aber nur, weil Bella im Gegenzug verlangt hatte, mit ihrem Truck fahren zu dürfen, da ihr das Polizeiauto unangenehm war. Für Charlie war das kein großes Opfer, denn er freute sich schon auf ein paar Bier am Abend und war sogar dankbar, dass Bella fuhr. Bei den Cullens angekommen, wurde Bella leicht nervös, da sie immer die Sorge hatte, dass Charlie hinter das Geheimnis der Cullens kam. Bevor sie sich aber weiter diesen Gedanken hingeben konnte, wurde die Tür von Alice aufgerissen und die beiden Gäste wurden hüpfend und quietschend begrüßt. Charlie hatte sich mittlerweile an die quirlige Art von Bellas Freundin gewöhnt und lächelte, als auch er sie begrüßte. Nach Alice´ Aufforderung betraten sie das Haus und wurden dort vom Rest der Familie willkommen geheißen. Bella und Charlie hingen ihre Jacken auf und Bella rieb sich direkt über die Arme, um sich zu wärmen, aber sie schob das Kältegefühl auf die Aufregung und ging dann mit allen zusammen ins Wohnzimmer, wo sie die üppige Weihnachtsdekoration lobte. Alle ließen sich in der großzügigen Couchgruppe nieder und plauderten fröhlich durcheinander. Bella fröstelte immer mehr und auch Charlie konnte sich nicht mehr zurückhalten und platzte in seiner direkten Art einfach mit seiner Frage heraus: „Carlisle, kann es sein, dass du vergessen hast die Heizung anzustellen? Hier ist es ja richtig kalt!“ „Oh, wirklich? Ich schau mal nach“, antwortete der Gastgeber und machte sich auf den Weg zur Heizung. Auch die anderen fühlten sich in den Raum und bemerkten nun, dass es wirklich sehr kühl geworden war. „Ach Liebes, du musst ja frieren. Hier nimm diese Decke!“, sagte Esme besorgt und gab Bella eine Decke, die sie sich dankbar über die Beine legte. „In der ganzen Aufregung und Hektik ist mir das gar nicht aufgefallen, wir waren ja ständig in Bewegung“, entschuldigte sie sich weiter, „ich mach euch schnell einen heißen Kakao, der wärmt so lange von innen, bis die Heizung wieder läuft.“ Und schon verschwand sie in der Küche. Edward und Alice führten eine hitzige Diskussion, weil Edward ihr vorwarf, dass sie das hätte sehen müssen. Doch Alice erklärte ihm, dass der Ausfall einer Heizung nicht von einer Entscheidung abhinge und sie es deshalb nicht gesehen hat. Ihre Konversation war so leise und schnell, dass die menschlichen Ohren sie nicht erfassen konnten und so blieb es zumindest für Charlie unentdeckt. „Ich habe schlechte Nachrichten. Unsere Heizung scheint defekt zu sein. Rosalie kannst du vielleicht mal nachsehen, ob sich etwas machen lässt?“, bat er die blonde Schönheit und warf gleichzeitig einen entschuldigen Blick Richtung Charlie. „Ja klar!“, antwortete Rosalie und verließ elegant den Raum. An der Tür angekommen, drehte sie sich noch einmal um und fragte: „Emmett, kommst Du mit?“ Dieser hatte direkt ein lüsternes Grinsen auf dem Gesicht und folgte seiner Frau. Nach einer Weile kamen die beiden zurück und teilten den anderen mit, dass die Heizung so auf die Schnelle nicht zu reparieren sei. „Was machen wir denn bloß?“, rief Esme entsetzt. Sie sah das schöne Weihnachtsfest schon den Bach heruntergehen. Carlisle legte seiner Frau beruhigend die Hand auf die Schulter und schien darüber zu grübeln, was er tun könne, da ein Heizungsmonteur am Heiligen Abend wohl kaum aufzutreiben war. Plötzlich sprang Emmett auf, sofern das mit seiner bärigen Statur überhaupt möglich war und grinste breit von einem Ohr zum anderen. „Ich hab´s! Wir sammeln einfach ein bisschen Holz und schmeißen dann den Kamin an. Das ist doch auch noch viel romantischer und das Feuer heizt die Hütte auch schnell auf.“ „Gute Idee. Aber es hat geschneit, wo sollen wir denn dann brennbares Holz finden, das nicht dazu führt, dass wir an einer Rauchvergiftung sterben?“, wollte Jasper wissen. „Wir werden schon was auftreiben. Los, lass uns gehen, damit wir den Damen hier noch ein kuscheliges Weihnachten bereiten können“, sagte Emmett augenzwinkernd und ging bereits zur Haustür. Jasper und Edward folgten ihm und alle drei verschwanden nach draußen und machten sich auf die Suche nach Brennholz. Die Daheimgebliebenen packten sich dick ein, indem sie ihre Jacken anzogen und es sich wieder unter Decken bequem machten, während sie weiterhin heißen Kakao tranken. Selbst die Vampire spielten das Theater mit, um keinen Verdacht zu erregen. Nach einer Weile kamen die Jungen zurück und hatten zur Überraschung aller jede Menge trockenes Holz dabei. „Wo habt ihr das denn alles aufgetrieben?“, fragte das Familienoberhaupt. „Das willst du gar nicht wissen“, gab Jasper kopfschüttelnd zurück und trug die Holzscheite zum Kamin. Carlisle gab sich geschlagen und nahm sich vor, später noch einmal genauer nachzuhaken. Das Feuer in dem Kamin war schnell entzündet und augenblicklich breitete sich die Wärme in dem Raum aus. Und so wurde der Heilige Abend trotz zwischenzeitlicher Katastrophe warm und gemütlich und alle genossen ihn in vollen Zügen. Kapitel 27: Weihnachtsbasar --------------------------- At the very last on the Day after Christmas fulfill the time with a story of happiness. Hach, und schon ist Weihnachten fast wieder vorbei. Ich will mich auch nicht lange mit Reden aufhalten. Wir danken euch allen für eure Aufmerksamkeit, dass ihr so fleißig die Märchen gelesen habt. Wir hoffen, sie haben euch allen gefallen. Deshalb heute noch mal viel Spaß mit dieser Geschichte. Perlentaucher wünscht euch anschließend einen guten Rutsch ins neue Jahr! ******************************************************************** Weihnachtsbasar by zaharowen Emmett lehnte halb mit seinem Stuhl nach hinten gekippt auf seinem Platz und döste vor sich hin. Seine Gedanken kreisten wie immer um das, was er später vor hatte, das was er und Rosalie heute Nacht anstellen wollten. Ich versuchte ihn auszublenden. Ich würde nie verstehen, warum seine ganzen Gedanken immer wieder nur um DAS drehten, es langweilte mich. Sicher, seit ich mit Bella zusammen war, hatte ich mir oft vorgestellt wie es sich anfühlte, wie DAS mit ihr wäre, aber ich hatte alle Gedanken daran strikt von mir geschoben und mir jegliche Aussicht darauf verboten. DAS wäre zwischen Bella und mir nie möglich, und …Nein! Es machte mir nichts aus, ich stand über diesen Dingen. Als säße Bella gerade jetzt neben mir, konnte ich plötzlich ihren Duft riechen, ihre zarte Wärme auf meiner Hand spüren und irgendwie spürte ich eine unbändige Erregung in mir aufsteigen, die mich zu ihr trieb. Emmett gluckste amüsiert, tippte auf die deutliche Beule in meiner Hose und grunzte nur noch „Na Jungfrau – hab ich dich heiß gemacht?“ Ich boxte ihm unwirsch in die Seite wodurch er nur noch breiter grinste. Unbequem rutschte ich auf dem Klassenstuhl herum und wünschte mir nichts sehnlicher, als das Spanisch endlich vorbei sei. Mrs. Goff war von einer unglaublich guten Laune erfasst und laberte irgendwelche Weihnachtsgefühlsduselei von guten Werken und Verantwortung und diesem ganzen menschlichen Mist, den sie immer im Advent hervorkramten. Wenn ich etwas gelernt hatte in den letzten 100 Jahren, dann die Tatsache, das die Menschen pünktlich zum 1. Advent ihr Gewissen aus der Versenkung ausgruben, um die Welt mit wohlgemeinten Aktionen und Spendenaufrufen zu überschütten, an denen windige Institutionen die verbleibenden elf Monate ein erkleckliches Einkommen hatten. Vielleicht sollte ich Übelkeit simulieren und mich einfach krank melden. Ich stützte meinen Kopf auf meine linke Hand und begann mit meinem Stift zu kritzeln. Der Unterricht plätscherte an mir vorbei ohne dass ich wirkliches Interesse dafür aufbringen konnte. Ich würde Jasper fragen, ob er mit mir Weihnachtsgeschenke einkaufen ginge. Außerdem wollte ich noch eine Überraschung für Bella vorbereiten. Ihr würde ich nichts kaufen, damit hätte ich sie nur verärgert. „Emmett, wie möchtest du dich einbringen?“ Emmett schnaubte kurz „Öhm, ich glaube an diesem Nachmittag habe ich keine Zeit Mrs. Goff. Wir alle müssen unserem Vater helfen, die haben auch eine Aktion im Krankenhaus.“ Ich zuckte zusammen. Verdammt, ich hatte nicht aufgepasst, was sollten wir?? „Nein, dass kann ich nicht akzeptieren. Ich habe mich mit meinem Spanischkurs verpflichtet, und ihr beiden werdet ebenfalls helfen, dass unser Weihnachtsbasar ein Erfolg wird. In diesem Jahr drücken sich die Herren Cullen nicht! Sehen sie mich nicht so an Edward, diesen Blick können sie sich für Mrs. Swan sparen, dass zieht nicht bei mir.“ >Ah dieser Junge weiß sehr wohl, wie er seine Wirkung auf mich einsetzen kann, aber ich werde nicht nachgeben. Lächerlich, er ist mein Schüler, er ist 17!> Ich grummelte. Früher hat es sehr wohl gezogen, meine Liebe! Mrs. Goff hatte tatsächlich vor uns den Kampf anzusagen, straffte ihre kleine rundliche Figur und bauschte sich wie eine kleine Ente auf. „Im Übrigen ist der Charitytag des Krankenhauses am Sonntag, nicht am Samstag mein Lieber. Also Emmett, ich denke sie und Edward werden den Waffelstand betreuen, dass werdet ihr sicherlich gut hinbekommen. Also meine Damen und Herren, ich werde eine Aufgabenverteilung an sie ausarbeiten und erwarte sie morgen frisch und freudig an dem Basarstand der Forks Highschool auf dem diesjährigen städtischen Weihnachtsbasar, pünktlich um 9.30 Uhr!“ „Tu was! Ich habe absolut keine Lust mir mein Wochenende mit Rose versauen zu lassen. Geh zu ihr Edward – JETZT!“ Emmett entwickelte eine gewisse Panik und schubste mich fordernd vom Stuhl. Ich setzte mein bekümmertes ‚Edward will sich entschuldigen und ist wieder lieb’ Lächeln auf und ging nach vorne zu meiner bereits in Kampfstellung wartenden Spanischlehrerin. >Ah er will es also tatsächlich versuchen. Hmm er sieht unglaublich gut aus, und dieses schutzsuchende hilflose Lächeln. Hmmm..< „Ähm Mrs. Goff, ich weiß wie sehr sie auf unsere Hilfe bauen, aber vielleicht wäre es doch besser, wenn zwei unserer Mitschülerinnen die Waffeln übernähmen. Wissen Sie Emmett und ich, wir sind da sehr unbegabt, und schließlich soll es doch ein Erfolg werden. Ich....wir könnten doch den Stand auf bauen, und abends wieder abbauen, dass würden Em und ich auch ganz alleine machen.“ Ah, die eben noch so entschlossene Mrs. Goff wankte, ja sie schmolz. Ich konnte es förmlich spüren, wie sie innerlich gegen sich kämpfte. Sie war so leicht zu manipulieren! „Edward, ich finde nicht, ....ich verliere doch meine Glaubwürdigkeit gegenüber ihren Mitschülern, ...ich denke ich sollte dieses Mal hart bleiben. Vor allem Emmett tät es gut, wenn er sich sozial ein wenig engagierte, finden sie nicht auch?“ Ich lächelte sie vielsagend an, doch Emmett hatte seine eigenen Talente! „Emmett wird einfach nicht kommen, was halten sie davon Mrs. Goff. Jetzt sagen sie schon ja, ich bau den Kram mit Ed auf und ab und gut is. Die Mädels können das mit dem Backen ohnehin viel besser – also sollten wir ihnen den Spaß nicht verderben.“ Er grinste siegessicher und arrogant – DIESER IDIOT! Mrs. Goffs Wankelmütigkeit wich schlagartig aufgebrachter revolutionärer Entschlossenheit. Sie schob mich zur Seite und baute sich vor Emmett auf. „Mein lieber Emmett, ihre arrogante, unzeitgemäße und weit überholte Sichtweise über die Rollenverteilung in unserer Gesellschaft bedarf einer deutlichen Erziehung. Ich bin mir sicher, Ihre Mutter teilt meine Auffassung in dieser Hinsicht, und sie wäre sicherlich wenig erbaut, wenn ich sie morgen anriefe, um ihr zu sagen, dass sie mein Guter ihre von mir auferlegten Pflichten vernachlässigten. Sie werden Waffeln backen – den ganzen Tag meine Herren.“ Sie schnappte sich ihre Tasche und tackerte geräuschvoll auf ihren hochhackigen Pumps davon. „Großartig Emmett, wirklich prachtvoll. Zwei Minuten und ich hätte sie soweit gehabt. Wann lernst du eigentlich deine Klappe zu halten?“ Knurrend stieß ich ihn vor mir her. Die anderen warteten schon in der Mensa auf uns. Bella sah mich fragend und verunsichert an. „Sag mal kannst du mir erklären wie man Waffeln backt?“ Alice brach in schallendes, glockenhelles Gelächter aus. „Oh, so ein Mist, Jasper sollen wir unseren Jagdausflug nicht verlegen, dass willst du nicht verpassen!“ Ehe wir es uns versahen hatte sie bereits die ganze Misere breitest, gewürzt mit Ausschnitten ihrer Vision, vor den anderen ausgebreitet und Bella und Jasper giggelten aufgeregt. Rosalie fixierte Emmett ungläubig. „Soll das heißen, wir fahren nicht nach Tacoma?“ Ihre ganze Haltung verhieß nichts Gutes. „Rosi, es tut mir leid, aber Edward hat das mit Mrs. Goff voll verkackt. Ich glaube sie ist eifersüchtig auf Bella, jedenfalls war sie überhaupt nicht kooperativ. Es tut mir wirklich leid, mein Schatz aber wir können ja noch am Sonntag ein wenig in die Olympic Mountains laufen!“ Sie fauchte ihn aufgebracht an, stieß ihren Stuhl gegen die Wand und stampfte aufgebracht hinaus. „Rose....!“ Emmett sauste, begleitet von unserem Gelächter, hinter ihr her. Ich hatte Bella mit nach Hause begleitet, und sie hatte mir an ihrem eigenen Waffeleisen, die Funktionsweisen erklärt, wie viel Teig ich einfüllen musste und woran ich erkannte wann die Waffel gut war. „Es ist eigentlich ganz einfach, sobald diese Lampe ausgeht, ist die Waffel fertig. Dann nimmst du sie heraus und legst sie auf ein Gitter, wie dieses, und bestreust sie mit Puderzucker oder fügst heiße Kirschen und Sahne dazu.“ Sie strahlte mich warmherzig an „Du schaffst das ganz sicher! Ich würde dir ja gerne helfen, aber ich habe leider bei Webbers zugesagt für morgen.“ Verführerisch hauchte sie mir einen Kuss auf die Lippen und lächelte verständnisvoll. Hmm, wie ich es liebte sie in meine Arme zu nehmen, ihren Kuss verlangender, besitzergreifender zu erwidern, und ihren Duft tief in mich aufzusaugen. „Edward, Emmett, ich möchte mit euch sprechen!“ Ups, Carlisle hörte sich nicht so an, als wollte er uns eine Belobigung aussprechen. Ich folgte ihm in die Bibliothek, wo zu meiner Überraschung bereits Esme auf uns wartete. Emmett trat verlegen von einem Bein auf das andere. „Carlisle, Rose wird sich...“ „Es geht hier nicht um Rosalie oder das verpatzte Wochenende von euch beiden.“ Carlisle trat näher zu Esme und wirkte streng und unnahbar. „Ich dachte, ihr wüsstet zwischenzeitlich wie wichtig es ist, dass wir absolut zurückhaltend und unauffällig hier leben. Da ist es ganz und gar nicht förderlich, wenn ihr durch dummes Teenagergehabe euch produzieren und den Ärger eurer Lehrer auf euch zieht.“ Emmett machte den Mund auf aber Esme wies ihn mit erhobener Hand sich zurückzuhalten. „Ich schätze es gar nicht Emmett, wenn ich von Mrs. Goff angerufen werde, und mir ihre sicher nicht ganz unbegründeten Beschwerden über dich anhören muss. Kannst du dir vorstellen, wie knapp du daran vorbeigeschlittert bist, von ihr noch mehr Beachtung zu erfahren. Du weißt, dass gerade du in dieser Hinsicht nicht immer sehr unauffällig bei den Menschen rüber kommst. Was denkst du dir eigentlich, oder muss ich davon ausgehen, dass du dein Hirn wie so oft vor dem Denken ausgeschaltet hattest?“ Sie funkelte ihn aufgebracht an. „Esme, es war nicht so und Mrs. Goff war wirklich in einer sehr schwierigen Stimmung. Außerdem hab ich mich von Bella beraten lassen. Ich bin mir sicher, dass wir das morgen prima hinbekommen. Es scheint recht einfach zu sein, diese Waffeln zu backen, und verkaufen und Geld dafür nehmen ist ja unverfänglich. Emmett hat sich nicht respektlos verhalten, sie war einfach, .....sie war auf nem Tripp. Ich glaube sie suchte einfach ein Opfer, und Bingo! Carlisle ich hab es wirklich versucht, aber sie war so entschlossen, ich konnte es hören. Wir hatten keine Chance.“ Carlisles Blick versenkte sich ernsthaft in meinen. „Ich erwarte von euch Beiden, dass der morgige Tag unauffällig, harmonisch und jedem Sinn für eure Mitstreiter und Lehrer zum Erfolg wird. Ansonsten werde ich dein Anbieten Ernst nehmen, und euch beiden zum Dienst auf dem Charitytag am Sonntag im Krankenhaus ganztägig einteilen. Also, insbesondere du Emmett, strengt euch an!“ Carlisle sah nicht so aus, als scherzte er und seine Miene drückte ebenfalls keine Diskussionsbereitschaft aus. Das konnte ja heiter werden. Am nächsten Morgen stiefelten wir mit wenig Elan, aber bereit in die Stadt um auf dem großen Vorplatz vor dem Rathaus unseren Stand zu besetzen. Mrs. Goff war offensichtlich erfreut uns zu sehen und noch freundlicher gestimmt, als wir uns ohne Murren in unser Schicksal ergaben. „Schön meine Lieben, in diesen beiden Eimern ist der Waffelteig. Mr. Parks von dem Café in der Hesterstreet hat uns freundlicherweise seine Sahnemaschine zur Verfügung gestellt für Cappuccino und die Waffeln, Sie müssen immer nur darauf achten, dass Sahne eingefüllt ist, alles andere funktioniert auf Knopfdruck. In diesem Warmhaltebehälter sind die heißen Kirschen und hier ist der Zuckerspender. Am besten sie bauen sich die Geräte so auf, wie es ihnen am besten von der Hand geht. Edward, hängen sie doch bitte noch die Preisschilder auf. Ihre Mitschüler kümmern sich um die belegten Brote, Kaffee und Punsch. Ich werde im Gebäude bei den Bastelgruppen sein, falls sie mich erreichen wollen. Also meine Lieben bitte immer recht freundlich, damit wir dem guten Zweck heute Abend eine schöne Summe zugute kommen lassen. Alle murmelten ein artiges ‚Klar Mrs. Goff, kein Problem’ und sie tackerte hüftschwenkend davon. „Also wozu ist jetzt was gut? Du hast schließlich den Kurs bei Bella gemacht?“ Emmett grinste frech und wedelte mit einem Kuchengitter. Ich stellte die drei Waffeleisen auf und schloss sie an den Strom an. Sie sahen ein wenig anders aus, als das Ding von Bella, aber sicherlich funktionierten sie gleich. Bella hatte nichts von einem Puderzuckerspender gesagt, aber der konnte ja auch nicht so schwierig zu bedienen sein. „Hey Edward, soll ich dir zeigen wie diese Eisen funktionieren?“ Melissa Parks, die Tochter des örtlichen Konditors strahlte mich an. „Öhm, danke Melissa, aber Bella hat mir das bei sich zu Hause schon erklärt, ich denke wir bekommen das hin.“ Sie verzog beleidigt ihren Mund. „Ja dann hast du ja fachkundigen Rat eingeholt. Viel Spaß auch.“ „Harmonisch, schon vergessen Ed? Du könntest ruhig etwas freundlicher sein.“ Emmett hatte einen der Teigeimer geöffnet und hängte einen Schöpflöffel hinein um den zähflüssigen Brei herauszuheben und in Schlieren wieder zurückfließen zu lassen. „Urghh, sieh dir diesen Schleim an Eddi, und das kann man essen? Das riecht ja widerlich!“ „Das habe ich nach einem Rezept meiner Mutter gemacht, sie ist für ihre guten Waffeln bekannt, und wird immer gebeten den Teig für die Vereine in der Stadt zu machen. Aber vielleicht hättest du deine Mutter fragen sollen Cullen“ Cindy war rot geworden und starrte Emmett herausfordernd an. „Sorry Cindy, es ist nur, ich mache mir nichts aus Waffeln und solchem Zeug. Ich bin sicher, sie werden superlecker!“ Ich rollte nur mit den Augen und prüfte die Temperatur der Waffeleisen. Wo war die verdammte Lampe? Ich suchte die drei Geräte ab und fand nichts. „Mist, sicher so Vorkriegsmodelle, die keine Kontrollleuchte haben. Woher sollen wir jetzt wissen, wann die Dinger gut sind?“ Emmett kicherte „Komm wir füllen einfach mal eins und probieren es aus. Ich stoppe einfach die Zeit, dann wissen wir es für die Zukunft. Gute Idee, ich füllte eine Kelle Teig in das Eisen. Der Teig füllte allerdings das Feld nicht ganz aus, also gab ich noch etwas nach. Bella hatte zwar gesagt, nur eine Kelle, aber vielleicht war dieses Gerät ja größer. Sogleich schmurgelte es und ein süßlicher Geruch kam aus dem Ding heraus. Jetzt mussten wir warten. Plötzlich hob sich der obere Teil des Waffeleisens an und Emmett drückte es schnell wieder herunter. Plopp! An der Seite quoll Teig heraus und lief jetzt halbflüssig an dem unteren Teil herunter um sich schmierig auf die Arbeitsplatte zu legen. „Nicht runterdrücken du Depp, das soll so sein, die Dinger gehen auf!“ Es begann strenger zu riechen und ich hob schwungvoll den oberen Teil an, um die Waffel herauszuheben. Sie hing als halbgare wabernde Masse an beiden Seiten des Gerätes, ein klebriger Glibber, der einfach weiter briet und nach und nach begann vor sich hin zu kokeln. Entsetzt sah ich auf diese Masse. „Shit!“ Emmett knurrte und nahm eine Gabel mit der er die Waffelreste in Einzelteilen von den Seiten löste. „Ich denke, Nummer eins können wir in die Tonne werfen. Irgendwelche zündende Ideen?“ Er kratzte sich am Kopf. Mit einer gewissen Panik sah ich die ersten Besucher des Basars auf den Platz strömen. „Melissa, ich weiß wir hatten einen schlechten Start, aber ich denke ich brauche doch deine Hilfe.“ Melissa sah mich hoheitsvoll an, legte ihr Brotmesser zur Seite und kam mit zu unserem Tisch. „Oh Gott Edward, nimm Küchenrolle und mach das Eisen außen sauber. Es war nicht heiß genug. Du kannst das überprüfen indem du einfach einen Tropfen Wasser hineinfallen lässt. Wenn er gleich verdampft ist es heiß genug. Das sind Konditoreneisen von meinem Vater, die backen sehr schnell. Hier ich zeig es euch bei dem zweiten, pass einfach auf.“ Routiniert nahm sie die Kelle, füllte schwungvoll eine Kelle voll in das Eisen und klappte es zu. Es begann wieder zu schmurgeln und sich leicht zu heben. „Jetzt sieh hin, es geht erst hoch bleibt stehen und kommt dann leicht wieder zurück. Siehst du das?“ Ich nickte artig und strahlte sie an. „Gut, wenn es runtergeht ist die Waffel fertig. Hochheben, Waffel rausnehmen und auf das Gitter legen. Ihr solltet nicht zu viele vorbacken, die Leute haben sie gerne warm, und sie kühlen recht schnell aus.“ Sie warf Emmett noch einen arroganten Blick zu und ging zurück zu ihren Broten. „Danke Melissa, das war sehr nett von dir!“ Ich beeilte mich ihr das noch hinterher zu rufen. Vielleicht würden wir sie wieder brauchen. „Ich backe, du verkaufst.“ Emmett nickte und stellte sich in Position. Zwei Kinder kamen und bestellten Waffeln, also füllte ich schnell alle drei Eisen, damit wir zumindest einen kleinen Vorrat hatten. Emmett nahm die Waffel die Melissa gebacken hatte, legte sie auf eine Serviette und hielt sie dem Kind hin. „Ich möchte bitte Puderzucker drauf.“ Emmett legte die Waffel auf ein Brett und nahm den Zuckerspender und klopfte ihn gegen seine linke Hand, damit der Zucker herausgesiebt würde. Es kam – Nichts! „Hey Ed, das Zuckerdings funktioniert nicht.“ Ich hatte gerade alle Hände voll zu tun und musste die Waffeln aus den Eisen nehmen. „Vielleicht muss man unten dran drehen oder so.“ Emmett nickte drehte an dem unteren etwas dicken Rand und – schwall – der gesamte Puderzucker, der soeben noch in dem Spenderdings war, lag jetzt als staubiger Hügel auf der Waffel. „So ein Scheiß“ „Scheiß sagt man nicht!“ Die Kleine sah Emmett herausfordernd an. „Ach ja, dann kannst du das sicher besser oder was?“ Emmett hielt der Kleinen das geöffnete Plastikding hin. Das Mädchen schaufelte den Puderzucker zurück in den Spender klopfte die Waffel vor Emmetts Augen auf der Arbeitsfläche ab, wobei eine kleine Zuckerstaubwolke seine Jeans einhüllte und hielt das Ding demonstrativ mit der rechten Hand über die Waffel. Sie drückte den Griff zusammen, wie eine Hantel und – klack,klack – der Zucker rieselte heraus. Ich kicherte, Emmett grunzte sauer. „Na gut du kleine Angeberziege, die zweite Waffel auch mit Zucker?“ Die Kleine sah ihn wutentbrannt an und nickte. Er reichte ihr Waffel Nummer Zwei und schickte sie zu Angela, die an der Kasse saß. „Freundlich Emmett, mäßige deinen Wortschatz.“ Er grummelte erneut. Langsam aber sicher kamen wir in Schwung, und nach den ersten 15 Waffeln hatte Emmett nicht nur den Puderzucker, sondern auch heiße Kirchen und Sahne fest im Griff. Wenn ich die Hände frei hatte, half ich ihm. Die Sache begann Spaß zu machen und Emmett entspannte sich ein wenig. Nachdem wir die ersten beiden Eimer verbraucht hatten kam Mrs. Winters die Leiterin des Kindergartens zu uns, gefolgt von einer wuselnden Schar 3-4 jähriger. Emmett setzte sein kinderfreundlichstes Lächeln auf. „Oh, da ist der Waffelstand der High School. Also meine Lieben, jeder darf eine Waffel haben, stellt euch schön auf und dann gibt euch der nette junge Mann nacheinander eine heraus. Ihr geht dann mit eurem Gebäck an den Tisch, wie besprochen und esst schön im sitzen. Ich gehe schnell zur Kasse und zahle für euch alle.“ Mrs. Winters strahlte Emmett verzückt an und nickte ihm zu. Emmett nahm die zwei Reservewaffeln und ich wartete darauf, dass die Eisen fertig würden. „Wie heißt denn du?“ „Emmett“ „Und der andere?“ „Edward, nimm die Waffel“ „Nee ich will noch warten bis Corina wieder da ist, sie hat gesagt ich soll auf sie warten.“ Emmett sah den Kleinen genervt an. „Dann stell dich ein wenig zur Seite und lass deine Kollegen ran.“ Er verteilte weiter bis ein kleines Mädchen die Waffel auf seiner Hand anstarrte und sie nicht entgegennahm. „Hey du musst die Waffel schon nehmen.“ Sie schüttelte ängstlich den Kopf „Ok, wenn du keine willst, dann gebe ich sie dem nächsten, ok?“ Sie blieb stehen und schüttelte den Kopf „Ok, was ist das Problem?“ Die Kleine zeigte zögernd auf die Zuckerdose „Soll ich mehr Zucker draufmachen?“ Sie schüttelte wieder, jetzt noch ängstlicher den Kopf. Emmett stöhnte genervt auf und gab die Waffel dem Nächsten. Das Mädchen schniefte und Tränen füllten ihre Augen. „Hey keine Panik, aber du musst mir sagen, was du willst, du bekommst ja was.“ Der Junge, der immer noch auf Corina wartete sah Emmett vorwurfsvoll an. „Corina mag aber keinen Zucker.“ Emmett starrte ihn an „Warum sagt Corina das dann nicht?“ Jetzt heulte Corina endgültig. „Du bist böse, du hast ihr Angst gemacht!“ Emmett ballte eine Faust „Hör mal, Corina, hier ist deine Waffel ohne Zucker – gut jetzt?“ Corina hatte beschlossen erst einmal stehen zu bleiben und zu heulen. „Du musst doch nicht weinen, geh zu deinem Freund und dann sagst du Bescheid wenn du die Waffel haben willst.“ Er reichte das Gebäck dem nächsten, der ihn anklagend anstarrte „Ich will Zucker drauf, bitte.“ Emmett rollte mit den Augen und machte weiter. „Ed, was hältst du davon, wenn wir mal tauschen?“ Ich war kurz vor einem Lachflash, das war also derzeit gaaanz schlecht. Ich presste meine Lippen zusammen und tat sehr beschäftigt. Der Corina Freund streichelte Corina den Arm und warf Emmett bitterböse Blicke zu. Em hatte jetzt die Gruppe bedient und wendete sich wieder den beiden zu. „Also eine mit eine ohne Zucker für euch beiden?“ Der Beschützer von Corina nickte hoheitsvoll. Emmett machte die Bestellung fertig und hielt sie ihnen hin. Corina machte immer noch keine Anstalten die Waffel entgegenzunehmen. „Ok, Corina, es tut mir leid. Entschuldige aber ich hatte dich nicht verstanden. Bitte nimm die Waffel und geh damit zu deinen Kumpels.“ Corina schüttelte den Kopf. Em hielt das Teigteil dem Freund hin „Dann nimm sie doch für deine Freundin mit, Ok?“ Der Corina Freund nahm die Waffel, blieb aber mit ihr an unserem Stand stehen und begann seine Waffel zu verspeisen. Emmett beachtete ihn nicht länger und machte mit den nächsten Kunden weiter. Mrs. Winter kam geschäftig zu dem Tisch, kontrollierte die kauende Schar und kam zu uns herüber. „Oh Jeffrey, Corina hatte ich nicht gesagt ihr sollt euch setzen?“ Corina sah sie trotzig an und maulte mit einer unglaublich quengeligen Stimme. „Ich hab noch keine Waffel, er hat meine Jeffrey gegeben und die ist jetzt kalt und von Jeffrey angesabbert, die will ich nicht mehr.“ Emmetts Augen wurden hart und ich musste ihn irgendwie zurückhalten, ansonsten lief die Kleine Gefahr noch heute ein höchst unerfreuliches Erlebnis zu haben. Er nahm ohne hinzusehen eine Waffel von dem Rost, wickelte eine Serviette darum und hielt sie ihr angespannt und genervt hin. Mrs. Winters lächelte nett „Na siehst du Liebes, ist doch alles in Ordnung, kommt jetzt mit zu den anderen. Danke junger Mann.“ Emmett produzierte ein gezwungenes Lächeln. Corina nahm die Waffel nicht, sah Emmett herausfordernd an und quengelte „Ich möchte Zucker drauf haben.“ Emmetts Kopf fuhr herum, er starrte auf Corina herab „Du wirst sie genau so essen, wie ich sie dir gegeben habe, du Nervensäge!“ Er klatschte ihr die Waffel in ihre Hand und warf ihr einen eindeutig vernichtenden Blick zu. Corinas Mund klappte auf, ihre Augen starrten Emmett entsetzt an und absolut synchron mit dem verständnisvollen Jeffrey begann sie panisch zu schreien. Alle, ausnahmslos alle Köpfe auf dem Platz, an den Ständen und an den Tischen fuhren hoch und starrten zu uns und den hysterischen Kindern. Ich zog Emmett zu den Pfannen und übernahm. „Es tut mir leid Mrs. Winters, aber mein Bruder ist nicht an kleine Kinder gewöhnt. Corina scheint ein wenig anstrengend zu sein.“ Mrs. Winters starrte mich immer noch entsetzt an und sah vorsichtig zu Emmett der angestrengt die Waffeleisen bediente, und sich bemühte nur nicht aufzublicken. „Hey Corina, Jeffrey, was haltet ihr von einer Waffel mit Kirschen und Sahne? Ich geb sie euch aus? Ok?“ Jeffrey war noch zögerlich aber Corina hörte schlagartig auf, strahlte mich mit blitzend weißen Zähnen an. „Ja ok!“ Ich beeilte mich sie zu bedienen um sie endlich loszuwerden. Belustigt klopfte ich Emmett auf die Schulter. Er sah mich dankbar an fauchte mit einem letzten Blick auf die Kindergartengruppe „Weiber!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)