Lächle für mich von hungrymon ================================================================================ Kapitel 33: Lächle für mich --------------------------- Auf einmal klingelte es. Erschrocken ließ ich das T-Shirt fallen, das ich eben ausgezogen hatte, weil mir eingefallen ist, dass Spaghetti Bolognese kochen bei meinem Glück und mit dem schönen Oberteil keine gute Idee war. Mir war nämlich nach einer Weile trübsinnig auf der Couch hocken aufgefallen, dass ich Hunger hatte. „Momeent!“, rief ich und stapfte zur Tür. Ich öffnete sie und starrte in riesige - ja, wahrlich riesige! - braune Rehaugen. „H-H-Hallo Aoi. S-S-Sorry, ich ha-hab mein Zeug b-bei dir auf dem Ti-Tisch liegen lassen.“, stammelte Kai und versuchte dabei angestrengt, mir in die Augen zu sehen. „ Kein Problem. Ich hole sie dir schnell, ja?“, meinte ich und tat so, als würde ich von Kais Blicken nichts merken. Der nickte auf meine Worte nur. Also huschte ich schnell zurück, holte mir noch schnell mein T-Shirt aus dem Schlafzimmer und zog es mir über - Kai zuliebe -, sammelte dann Kais Sachen von dem Wohnzimmertisch auf und kehrte schließlich wieder zu ihm zurück. „Bitteschön.“ Kai nahm seine Sachen stumm entgegen und stopfte sie zurück in seine Taschen. Als er schließlich den Blick wieder hob, sah ich die Tränen, die kurz davor waren, aus seinen Augen zu quellen. Es schmerzte unendlich, ihn so zu sehen. „Ach Kai...“, flüsterte ich traurig. Das war wohl die falsche Reaktion gewesen, denn nun brach der Drummer endgültig in Tränen aus. Weinend sank er in sich zusammen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Da stand er vor mir. Einer meiner besten Freunde, gepeinigt von den grausamsten Schmerzen, die einem widerfahren konnten. Und ich war schuld daran. „K-Komm erstmal rein bis... - “ ‚bis du dich beruhigt hast.’, wollte ich sagen, doch so, wie er im Moment aussah, schien es, als würde Kai sich niemals wieder ‚beruhigen’. Er schluchzte, schluckte und schniefte in einem fort. Er wehrte sich nicht, als ich ihn sanft in meine Wohnung zog. Vorsichtig bedeutete ich ihm, dass er sich auf dem Sofa setzen sollte und ließ mich neben ihm nieder. Und da mir nichts Dümmeres einfiel, begann ich, ihm zaghaft über den Rücken zu streichen. Dann endlich schien er sich ein wenig zu fangen. „Ich bin echt so ein Versager. Heule mich bei der Person aus, die ich eigentlich beeindrucken müsste.“, klagte er und schniefte lautstark. „Ach was. Ich bin auch dein Freund und dementsprechend ist das völlig in Ordnung.“, beruhigte ich ihn. „Ja. Leider.“, nuschelte Kai betrübt. Er klang dabei sogar ein wenig aufsässig und anklagend. „Es tut mir Leid, Kai, aber ich kann - “, wollte ich mich verteidigen. „Ich weiß, du kannst nicht anders. Und ich denke, ich kann dich auch verstehen. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, meine Liebe zu dir aufzugeben... Aber - es ist einfach so verdammt unfair!“ Und schon rannen wieder die Tränen an Kais Backen hinunter. „Ja, das ist es wohl.“, murmelte ich. „Es könnte so einfach sein!“, jammerte Kai. Ich nickte nur. Seine Worte zogen mich immer mehr in ein Loch der Verzweiflung. Fieberhaft guckte Kai mich an. „Könntest du es nicht einfach mal ... ausprobieren?“ Ich blickte ihn fragend an. „Küss mich. Und wenn du tatsächlich nichts spürst - wenn du nicht den Hauch eines Gefühls spürst, d-dann...“ Kai stiegen wieder die Tränen in die Augen. „Dann gebe ich auf.“ Ich wollte mich schon weigern, doch was auf den ersten Blick völlig irrsinnig schien, war auf den zweiten doch gar nicht mehr so abwegig. Vielleicht könnte es ja wirklich einfach sein und ich hatte mir in meiner Verbissenheit bis jetzt einfach alle Wege versperrt. ‚Und wenn nicht, gebe ich Kai wenigstens die Möglichkeit, diesen Schmerz loszuwerden...’ Also nickte ich. Die Hoffnung, die nun in Kais Augen aufleuchtete, ließ mich stocken, doch dann beugte ich mich langsam vor. Auch Kai lehnte sich vor. Wir schlossen unsere Augen im selben Moment. Unsere Lippen näherten sich. Immer näher kamen sie sich. Ich spürte den schnellen Atem Kais an meiner Haut und erschauderte. Dann berührten sich unsere Lippen. Und ich fühlte - nichts! Nichts, außer der Berührung unserer Lippen. Kein Gefühl regte sich in meiner Brust. Im selben Moment als ich dies ernüchtert feststellte, hörte ich das Klirren. Ich löste mich ruckartig von Kais Lippen und meine Augen schossen in die Richtung des Geräuschs. Gerade noch sah ich lange, dünne Beine aus der Wohnung schießen. „Uruha.“, erkannte ich verwirrt. „Damit ist es wohl geklärt.“, sagte Kai und bemühte sich, gleichgültig zu gucken. „Ich gebe auf. Und du musst ihm hinterher, Aoi.“ Schon bevor er diese Worte ausgesprochen hatte, war ich aufgesprungen. Ich warf noch einen Blick zurück auf Kai. „Ich wünsche dir, dass du den Erfolg hast, den ich nicht haben kann.“, sprach der Drummer. Ich rannte los. Als ich auf den Parkplatz kam, rief mir Miyavi durch das geöffnete Autofenster zu: „Da ist er lang! Beeil dich, Aoi!“ Natürlich, dies war auch der einzige Ausgang aus dem Parkplatz. Was war mit Uruha geschehen? Was hatte zu dieser plötzlichen Reaktion geführt? Voller Sorge lief ich weiter. Dann endlich, endlich sah ich ihn. Ich beschleunigte, um ihn kurz am Arm fassen zu können. Sofort blieb Uruha stehen und drehte sich um. Schnell zog ich meine Hand zurück. Ein gehetzter Blick voller Schmerz war in seinen Augen. Was war nur geschehen?? Lange schwiegen wir beide und sahen uns einfach nur an. Ich blickte in seine traumhaften dunklen Augen und erkannte wieder einmal, warum ich mich damals vor drei Jahren so unsterblich in Uruha verliebt hatte. Diese Augen - so voll von Trauer sie auch immer waren - fesselten mich in ihrer Unergründlichkeit und ließen meine wunderbarsten Träume glanzlos und unbedeutend erscheinen. Dann brach Uruha die Stille: „Warum hast du ihn geküsst?“ Ich brauchte etwas, um mich nach dieser Frage zu fassen. In meinem Kopf kreisten tausend Fragen nach dem Warum und Wieso. „Warum ich Kai geküsst habe... Also, er hatte mir seine Liebe gestanden. Doch ich konnte seine Liebe nicht erwidern. Und heute - nun ja, hat er mich gebeten, sozusagen auszuprobieren, ob ich nicht doch Gefühle für ihn entwickeln könnte.“ „Und deswegen der Kuss?“, hakte Uruha noch einmal nach. Mich verwirrte sein Handeln nun immer mehr. Ich nickte. „Ja. Deswegen der Kuss.“ Wieder Stille. Ich sah, dass ihn Uruha, etwas vorging, doch ich konnte nicht erkennen, was. War das etwa Angst in seinen Augen? „Und?“, fragte er schließlich, nachdem er scheinbar lange mit sich gerungen hatte. ‚Und was?’, wollte ich schon beinahe erwidern. „Und nichts. Keine Gefühle.“, gab ich bereitwillig kund, da ich vermutete, dass der Brünette darauf hinaus wollte. Da sah ich sie ganz deutlich in seinen Augen: Erleichterung. Uruha setzte sich auf die Bank, neben der wir Halt gemacht hatten. Ich zögerte kurz, dann setzte ich mich neben ihn. Was hatte das alles zu bedeuten? Meine Gedanken waren kurz davor, in einen Pfad zu folgen, den ich schon ganz vergessen hatte. „Es - Es hat wehgetan. Ich - kannte dieses Gefühl bis jetzt nicht, aber es ist kein schönes.“, sagte Uruha. Irritiert starrte ich ihn an. Meinte er etwa das, was ich wagte zu denken? Denn wenn dies so war, dann... - Nein! Etwas in mir verbot mir, diesen Gedanken weiter zu denken. Denn wenn dies so war, dann... „Bis jetzt spürte ich nur schöne Gefühle, wenn ich bei dir war. Es war traumhaft, zu spüren, wie sie mit jedem Tag wieder stärker wurden. Ich fühlte mich endlich wieder lebendig... Aber das vorhin war anders. Es schmerzte. Anders als der Schmerz, den ich so lang verdrängt hatte.“, sprach er weiter. Ich merkte, wie die Blockade mit diesen Worten vollkommen einbrach. Es musste einfach sein. Jetzt oder nie. Ich warf all meine Vorsicht und Zurückhaltung beiseite. „Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt. Von dem ersten Augenblick an habe ich dich geliebt, Uruha!“ Ich befreite die Worte aus meinem Herzen, die ich dort so lange eingesperrt hatte. Lange sagte er auf meine Worte hin nichts. Ich begann schon, sie zu bereuen, doch dann plötzlich: „Ich weiß. Ich denke, ich habe es immer schon gewusst. Auch, ganz zu Beginn, als ich noch als leere Hülle zwischen euch umherwandelte.“ Er machte eine Pause. Und ich, der ich voller widersprüchlicher Gefühle war, wusste nicht, was ich nun erwidern sollte. Am liebsten hätte ich ihm wohl an den Kopf geworfen, warum er mir all diese Schmerzen bereiten hatte müssen, wenn er es doch gewusst hatte. Doch ich wusste, dass das nicht so einfach gewesen war. „Ich hatte so Angst gehabt, dass jetzt, ausgerechnet jetzt - es vorbei ist.“, bekannte Uruha flüsternd. Ich sah den Schrecken in seinen Augen, den er mit diesem Gedanken verband. „Ist es nicht. Ich konnte diese Gefühle nicht so einfach aufgeben.“ „Ich bewundere dich dafür, dass du nie aufgegeben hast. Aber ich habe dir sicher viele Schmerzen bereitet...“ In diesem Moment wäre ich gern so stark gewesen, wie ich mir vorgenommen hatte, immer für Uruha zu sein. Doch ich spürte schon, wie sich die Tränen in meinen Augen sammelten und das heiße Blut mir in die Wangen schoss. „Ich will versuchen, all dies wieder gut zu machen. Gibst du mir diese Chance, Aoi?“ Uruha war aufgestanden und hatte sich vor mich gekniet. Ich spürte, wie die erste Träne langsam an meiner Wange entlang rollte. „Sag mir, was ich tun kann, um die Schmerzen aus deinem Herz zu tilgen.“, bat mich Uruha. „Lächle für mich.“, brachte ich hervor. Beinahe hätte ich es nicht gesehen vor lauter Tränen. Das Lächeln. Sein Lächeln. Ich starrte auf die wunderschönen Lippen, die nun leicht nach oben zeigten und vergaß auf einmal alles um mich herum. Nun, da er lächelte, erschien die Welt perfekt. All die Verzweiflung, all der Schmerz verschwanden, als er mich so fröhlich ansah. Uruha lächelte für mich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)