Lächle für mich von hungrymon ================================================================================ Kapitel 11: Aus dem Tagebuch von Takashima Kouyou ------------------------------------------------- 12.02. 1996 So langsam nervt dieses winterliche Wetter. Ich habe heute wieder drei Schneebälle in den Nacken bekommen, bis Taka den drei allen so auf die Füße getreten ist, dass sie weinend nach ihren Mamis gerufen haben. Ist es peinlich, sich hinter jemandem zu verstecken, der eigentlich kleiner ist, als man selbst? Ja, ich denke schon. Aber solange ich denken kann ist es schon so: Ich, das „Mädchen“, dass sich von dem lauten Zwerg verteidigen lässt. Was jammere ich da? Keinen von uns beiden stört es (Ich frage Taka ja beinahe jeden Tag, ob ihn das nicht nervt.) und was kümmern uns die Idioten, deren Selbstwertgefühl davon abhängt, wie viele „schwache“ Menschen sie fertigmachen?? Mir fällt gerade auf, dass ich in meinen Zimmer auch mal wieder aufräumen sollte… Aber vorher noch eins! Mein ältestes Schwesterlein hat (anscheinend) wieder einen Freund! Sie hat Mama heute nämlich nach ihrem Rezept für Pralinen gefragt. Morgen wird die Küche den ganzen Tag in Betrieb sein. 13.02.1996 Ich hab nen blauen Fleck an meiner Schulter. Rin hat mich geschlagen! Einfach so! Nun gut, ich habe mir ein paar von ihren selbstgemachten Pralinen für morgen gemopst, aber, … wenigstens konnte ich ihr versichern, dass sie besser geworden sind, als die vom letzten Mal! Hana hat sich dieses Jahr nicht die Arbeit gemacht. Sie meine, sie wüsste eh keinen, dem sie welche geben könnte. Und ich hab Mutters für Vater gesehen. Sie kann das so gut! Ich würde morgen auch so gerne Pralinen bekommen… Verdammt, Hana soll diese trübselige Musik leiser machen!! Wir wissen es doch schon alle, dass sie sich alleine fühlt! Mutter predigt zwar immer, ich soll Verständnis für die zwei zeigen, wenn sie Liebeskummer haben, aber… WIE?? Ich bin doch kein Mädchen! (Auch wenn das manche anscheinend glauben… Wie der Typ von neulich… uäh!) 14.02.1996 Oh mein Gott, ich hab ein Trauma. Ein Valentinstagtrauma. Die eigene Schwester beim rummachen erwischt (Mein blauer Fleck ist nicht mehr alleine). Bäh! So schlimm hat der Tag gar nicht angefangen… Mtter hat mir auch eine kleine Packung Pralinen gegeben (Ich musste ihr dafür ein Küsschen auf die Backe geben, aber das war’s mir wert). Und Schule war auch halbwegs erträglich. Taka hat seine paar Pralinen mit mir geteilt und dann sind wir zusammen ins Kino gegangen Er wollte unbedingt am Valentinstag ins Kino gehen und knutschende Pärchen zählen (Es waren 15). Und da sein großer Bruder dort arbeitet, hat er uns beide immer kurz in den Saal gucken lassen (Ob er das eigentlich darf?? Ich glaub, Taka muss dafür drei Monate sein Zimmer putzen). Ich frag mich immer wieder, wie er auf solche Ideen kommt… Aber lustig war’s schon! Besonders, wenn sich die Leute nach uns umgedreht haben, wenn einem von uns ein Kichern ausgekommen ist. Und dann DAS! Auf dem Weg nach Hause bin ich an dem großen Park vorbei, und wen seh ich?? Rin und ihren neuen Freund (Er ist ganz schön rangegangen. Igitt!). Dummerweise hab ich ne Weile dumm gucken müssen und sie hat mich entdeckt. Schmerz lass nach. 15.02.1996 Meine Schulter ist jetzt tatsächlich auch noch angeschwollen! Taka hat mich in der Pause darauf angesprochen, weil Heath es in Sport gesehen hat, als ich mich umgezogen habe. Verräter, verdammter Verräter Heath! Taka hat sich gekugelt vor Lachen, als ich ihm die ganze Geschichte erzählt habe. („Also vor deiner eigenen Schwester beschütze ich dich nicht, Kouyou!“) Und das Jammern geht weiter: Übermorgen ganz alleine mit Vater, nur weil meine Schwestern sich eingebildet haben, dass sie mal wieder „shoppään“ gehen wollen. Ich weiß - er ist mein Vater, aber… 16.02.1996 Heute ein ernstes Gespräch mit Mama gehabt. Sie hat gemerkt, wie unzufrieden ich mit der Aussicht war, morgen alleine mit Vater zu sein. („Vater hat dich doch auch lieb, mein Engel“ HALLO?? Ich bin kein kleines Kind mehr.) Ich habe begonnen, mich selbst zu fragen, was GENAU mich daran stört. … Seit einer Stunde sitze ich jetzt über dem Buch und bin noch immer zu keiner Lösung gekommen. Ich leg mich Schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag. 19.02.1996 Morgen ist auch noch ein Tag… Wie Ich wollte schon ohne großes Nachdenken den nächsten Eintrag lesen, da fielen mir zwei Dinge auf: Erstens: Das Datum. Anders als bei den letzten Einträgen, lagen ganze drei Tage dazwischen. Zweitens: Das Schriftbild. Bildete ich es mir ein, oder war es tatsächlich etwas härter geworden? Aufgewühlt las ich weiter, denn langsam schwand die Gefühlstaubheit. 19.02.1996 Morgen ist auch noch ein Tag… Wie habe ich diesen Satz nur schreiben können? Als hätte ich es gewusst… Vater sieht mich schon die ganze Zeit an, während ich hier reinschreibe. Mir ist sein Blick unangenehm. Gibt er mir die Schuld dafür? Weil ich noch unbedingt gewollt habe, dass sie mir einen Manga mitbringen und deswegen erst so spät losfahren konnten? Ich glaubte, auf dem Papier einige eingetrocknete Tränen zu erkennen. Was war geschehen? 21.02.1996 Der erste Tag in der Schule. Diese mitfühlenden Blicke. Ich ertrage es nicht… Ich war den ganzen Tag mit Taka unterwegs. Als ich heimgekommen bin, hat mich Vater nicht einmal begrüßt. Er klopft. Nun war es eindeutig: Diese anfangs so verspielte Schrift hatte sich verändert. Von den Inhalten mal ganz abgesehen. Doch ich wusste immer noch nicht, was genau passiert war. 23.02.1996 Vaters Blicke werden immer bedrohlicher. Ich habe Angst, dass etwas passiert, doch ich weiß nicht was. Ich weiß nur, dass die Flaschen Wodka im Kühlschrank nichts Gutes bedeuten. Kai wollte weiterblättern, doch was folgte, waren nur noch leere Seiten. Verwirrt wandten wir uns zu Ruki, der uns mit ausdrucklosem Gesicht betrachtete. Ich glaubte, einige Tränen in seinen braunen Augen zu sehen. „Was hat das zu bedeuten?“ Reita fand als Erster seine Sprache wieder. „Hatte er nicht eine glückliche Kindheit, mein Kouyou?“, flüsterte Ruki. Der Sänger sah zu dem Bild, das mir vorhin aufgefallen war. Wir schwiegen und nickten beinahe gleichzeitig. „Bis zu jenem Tag. Von da an …“ „Was ist passiert, Ruki?“, wagte ich zu fragen. „Kouyous Mutter und seine Schwestern waren auf den Weg nach Hause als ein Laster ins Schleudern kam, umkippte und den Wagen unter sich begrub. Alle drei starben noch an der Unfallstelle. Kouyous Vater verkraftete diesen Verlust nicht.“ „Er wurde Alkoholiker, oder?“, vermutete Kai aufgrund der Erwähnung des Wodkas. „Wenn es nur das gewesen wäre.“ „Wie meinst du das?“, wollte ich wissen. Ich merkte, wie meine Hände zitterten. „Kouyous Vater war depressiv. Nur die Liebe zu seiner Frau und den Kindern, die sie ihm geschenkt hatte, konnten seine Krankheit unterdrücken. Das Lachen im Hause Takashima war seine einzige Freude im Leben, nur deswegen lebte er noch.“, begann Ruki zu erklären, „Doch nach dem Unfall herrschte eine erdrückende Stille.“ „Was hat er getan?“ Ich sah Kai an, dass er bereits einige Vermutungen angestellt hatte. „Kouyou war schon immer etwas Besonderes für seinen Vater gewesen, auch wenn er es nie deutlich gemacht hat. Im Gegensatz zu seinen zwei Schwestern war Kouyou seiner Mutter unglaublich ähnlich. Er hatte ihren ständigen Optimismus und ihre Schlagfertigkeit geerbt. Und natürlich auch ihr Aussehen.“ Ich merkte, wie sich in mir etwas verkrampfte. Eine leise Vorahnung stieg in mir hoch, und ich musste mich selbst zwingen, den Worten des Vokalisten weiter zu folgen. „Nun war sie nicht mehr da. Nur der eigene Sohn, der seiner geliebten Frau so ähnlich war.“ Ruki schloss seine Augen. Ein Beben ging durch seinen Körper. „Kouyous Vater ertränkte sein Leid im Alkohol und wurde sehr schweigsam. Das weiß ich, da ich Kouyou regelmäßig besuchte. Zunächst. Irgendwann bat er mich darum, dass ich nicht mehr kommen sollte.“ „Warum?“, brachte ich heraus. „Ich habe es erst sehr viel später erfahren, da Kouyou von diesem Zeitpunkt an immer stiller wurde und ich so gut wie gar nicht mehr an ihn rankam. Wenn ich ihn fragte, was los sei, blickte er mir nur starr in die Augen und schwieg. Ich sah ihn nur noch in der Schule, wo er aber später immer öfter fehlte. Nachdem das schon über ein Jahr so gegangen war, habe ich es nicht mehr ausgehalten. Auch, wenn ich seine Bitten sonst immer berücksichtigt hatte, bin ich ihm nach der Schule gefolgt. Die Familie Takashima hatte ihre Wohnung im Erdgeschoss, sodass für mich kein Problem darstellte, durchs Fenster zu linsen. Und was ich dann sah - “ Ruki brach ab. Er schluckte hart und einige Tränen rannen an seinen Backen herunter. „Kouyou hatte ein Kleid seiner Mutter an, während er für seinen Vater kochte. Er lächelte, doch es sah sehr gezwungen aus. Irgendwann stand sein Vater auf, ging zu Kouyou, lehnte sich vor und begann, seinen Hals mit Küssen zu bedecken. Ich sah, wie er unter das Kleid griff. Und als Kouyou sich verkrampfte und für kurze Zeit aufhörte zu lächeln, drehte sein Vater durch und packte seinen Arm. Ich - Ich habe weggeguckt, doch ich habe die Schläge und das Geschrei von Kouyous Vater gehört. Dann auf einmal wurde aus dem Schreien ein Stöhnen. Aber ich Feigling, ich habe nichts tun können. Ich habe mir die Ohren zugehalten und mich unter dem Fenster zusammengekauert.“ Der kleine Sänger schüttelte sich vor Zittern und der Strom der zurückgehaltenen Tränen kullerte an seinem Gesicht herunter. Ich keuchte auf. Sein eigener Vater. Immer wieder sah ich das Bild von Kouyou in dem Kleid seiner Mutter und wie sich sein Körper schmerzvoll unter dem seines Vaters bog. Wie sein eigener Vater lustvoll stöhnte, währende Kouyou alles stumm und lächelnd über sich ergehen lassen musste, wenn er nicht geschlagen wurden wollte. „La - Lasst es mich noch beenden.“, bat Ruki leise. Ich hörte nur halb, wie er weiter sprach: „Ich habe ihn daraufhin am nächsten Tag in der Schule zu Rede gestellt. Er ist in Tränen ausgebrochen - das letzte Mal für lange Zeit, dass ich irgendeine Emotion an ihm sah. Nun habe ich es nicht mehr runterspielen können und ich habe ihn - wahrscheinlich auch, um mein eigenes Gewissen zu beruhigen - dazu überredet, den leerstehenden Wohnwagen in unserem Garten zu beziehen und habe die Polizei wegen seinem Vater alarmiert. Als ich irgendwann merkte, dass er nicht alleine sein konnte und deswegen zu ihm ‘zog’, begriff ich, dass Kouyou Takashima tot war.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)