Lächle für mich von hungrymon ================================================================================ Kapitel 8: Familie ------------------ Grübelnd saß Reita auf meiner Couch. „Und Ruki-chan meinte ehrlich, er würde uns alles sagen?“, fragte er. Ich unterbrach mein meine Suche nach neuen Staubsaugerbeuteln und antwortete meinem Freund: „Ja. Aber nur wenn Uruha zustimmt.“ Er nickte. „Ich weiß echt nicht, ob ich dir dafür jetzt danken soll, oder - nun gut, eine richtige Alternative habe ich auch nicht. Also erstmal danke.“ „Ich verstehe, was du meinst. Es ist schon eine komplizierte Sache. Wir wissen ja nicht, was die beiden vor uns verheimlichen. Und auch nicht aus welchem Grund.“ Meine Hände zitterten leicht - die Nerven hatten sich von den Geschehnissen von vor wenigen Stunden immer noch nicht erholt. Ich hatte die beiden noch heimgefahren und aus einem inneren Zwang heraus hatte ich sofort danach Reita angerufen. Beinahe gleichzeitig waren wir an meiner Wohnung angekommen und ich hatte ihm die ganze Geschichte erzählt, während ich begonnen hatte, doch noch aufzuräumen. „Aber ich denke schon, dass wir irgendwie das Recht haben, zumindest einen Teil zu erfahren. Und vielleicht ist es ja halb so schlimm.“, murmelte Reita leise. Natürlich war dieser letzte Satz nur so dahingesagt. Denn etwas halb so Schlimmes, etwas völlig Banales hätte Ruki niemals so lange vor uns geheim gehalten. Endlich hielt ich den braunen Papierbeutel, den ich so lange gesucht hatte, in meinen Händen. Ich baute ihn etwas ungeschickt in meinen Staubsauger ein. „So.“ Zufrieden sah ich kurz auf. Reita nutzte das, um das Thema zu wechseln. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so etwas überhaupt besitzt, Aoi.“, witzelte er. Ich blickte in das Gesicht des Bassisten, der mich wie ausgewechselt angrinste. „Natürlich besitze ich einen Staubsauger. So heißt das so was nämlich.“, giftete ich. „Ach komm schon, bis jetzt habe ich deine Wohnung in all den Jahren nur einmal in sauberen Zustand gesehen, und das war, bevor dich deine Mutter besuchen wollte.“ „Erinner mich bitte nicht daran!“, jammerte ich. Meine Mutter war eine sehr exzentrische Frau mit einer dominanten Art, vor der jeder Mann Reißaus nahm. Wir verstanden uns nicht so gut, doch als gazette etwas erfolgreicher wurden, hatte sie beschlossen mich zu besuchen. Seitdem hatte ich jedoch nichts mehr von ihr gehört. Glücklicherweise. Diese mit Gift um sich sprühende Harpyie von Mutter konnte mir gestohlen bleiben. Ich hatte eine Familie. Und eines meiner Familienmitglieder hatte sich gerade erhoben und mir den Staubsauger aus der Hand genommen, den ich gerade anschalten hatte wollen. „Eh?“ Ich guckte Reita verwirrt an. Wollte der Fiesling mich jetzt von meiner guten Tat abhalten?? „Lass mal, ich mach das. Du musst noch die nächste Ladung Wäsche runtertragen.“, kam es völlig unerwartet von dem Blonden. Ich nickte leicht abwesend. „Danke.“ „Du bedankst dich zurzeit recht häufig bei mir, ist dir das schon mal aufgefallen?“, neckte Reita mich noch, als ich die Wohnung verließ. „Uru?“ Rukis Stimmung war plötzlich von allgemeiner Heiterkeit auf Nachdenklichkeit gewechselt. „Was ist?“, murmelte der Brünette, der seinen Kopf auf dem Schoß des Kleinen gebettet hatte. Nach den richtigen Worten suchend spielte der Zwerg mit Uruhas Haaren. Er wickelte sie um seinen Finger und begann zögernd: „Aoi hat mich nicht nur ins Studio gefahren.“ „Das dachte ich mir schon.“ Schweigen. Man hörte nur den regelmäßigen Atem der beiden Männer, der beinahe im Einklang war. Dann überwand sich Ruki, weiter zu sprechen: „Ich habe ihn angerufen, um ihn zu fragen, ob du bei ihm bist.“ Uruha nickte nur. Keine Regung zeigte sich auf seinem hübschen Gesicht. „Der Anruf hat ihn anscheinend beunruhigt und - er ist zu mir gefahren. Er wollte mir helfen, schätz ich.“ „Wie nett von ihm.“ Auch als der Blonde wieder nicht weiterfuhr, drängte Uruha ihn nicht. Noch immer spürte er das Zupfen an seinen Haaren. Er genoss diese sanfte Berührung und schloss seine Augen. „Er hat es wirklich nett gemeint.“ „Aber?“ Es schwang kein Hauch von Neugierde in den Worten des Gitarristen. „Er wollte wissen, was los ist.“, presste Ruki heraus. Unwillkürlich versteifte Uruha sich. „Hast du es ihm gesagt?“ Da schüttelte der Zwerg energisch den Kopf. „Natürlich nicht. Ich habe dir versprochen, es niemandem zu erzählen, und dieses Versprechen halte ich.“, meinte er ernst, „Aber er hat mir ein so schlechtes Gewissen gemacht. Ich meine, wir sind schon so lange Freunde, wir sind eine Familie, und doch trennt uns diese Sache.“ „Du meinst, wir missbrauchen ihr Vertrauen, indem wir ihnen das verschweigen?“ Es war nicht mehr als ein Flüstern, als Uruha diese Frage aussprach. „Schon in Ma'die Kusse-Zeiten waren diese fragenden Blicke unerträglich. Und jetzt - jetzt haben wir eigentlich ein noch viel besseres Verhältnis… Es ist einfach schade, weil wir doch eigentlich alles über die drei wissen, und sie…“ Uruha schluckte. Das alarmierte den sensiblen Sänger sofort. Er strich dem Brünetten schnell beruhigend über die Wange. „Es ist nicht so, dass ich es Leid bin, dein Leid vor anderen zu verbergen und dich vor neuem Leid zu schützen, Uru. Ich glaube nur…“ „Du willst es ihnen sagen.“ Beinahe lautlos kam diese Feststellung. Der Gitarrist hatte sich ruckartig aufgesetzt und zitterte am ganzen Körper. „Du willst es ihnen sagen.“ Ruki nickte kaum merklich und erhob sich, um seine Hände in Uruhas Nacken zu verschränken. Er küsste ihn auf die Stirn und antwortete: „Nur, wenn du es mir erlaubst.“ „Wenn du es für richtig hältst, mach es. Ich vertraue dir. Aber - Ich will nicht dabei sein.“ Uruha lehnte sein Gesicht gegen Rukis Brust. „Danke.“ Als ich, den Blick starr auf den Boden gerichtet, die Treppen wieder hochging, stieß ich beinahe mit Hausmeister Ishihara zusammen. „Oh, gomen ne, Ishihara-san.“, murmelte ich schnell. Dieser winkte mit einem Lächeln ab. Seine grauen Haare standen in alle Richtungen ab und er hatte etwas Staub an seinem faltigen Gesicht. „Daijoubu desu. Nichts passiert.“ Er musterte mich aufmerksam, „Du siehst aus, als beschäftigte dich etwas, mein Junge.“ „Dass Sie auch immer alles merken müssen.“, seufzte ich. Der Alte zuckte grinsend mit den Schultern. „Über Jahre hinweg gesammelte Menschenkenntnis. Ist recht praktisch.“, meinte er. Ich schwieg und drückte den Korb Wäsche, den ich zurück in meine Wohnung tragen hatte wollen, an meine Brust. „Und? Willst du nicht mit deinem Kummeronkel darüber reden?“, erkundigte Ishihara-san sich mitfühlend. Kummeronkel traf die Rolle, die er in meinem Leben eingenommen hatte eigentlich recht gut. Ich konnte mit ihm besser über meine Sorgen und Wünsche reden, als jemals mit einer anderen Person. Er hörte mir einfach zu ohne unterbrach mich nicht, auch nicht, wenn er nicht einmal verstand, über was ich da überhaupt redete. Doch wenn er es kapiert hatte, bekam ich meistens dann einen recht nützlichen Rat, den erfahrene Menschen scheinbar immer parat hatten. Wie jedes Mal beruhigte ich mich etwas, als ich in diese alten, braunen, liebenswürdigen Augen sah. „Wissen Sie, „, begann ich und legte den Korb auf den Boden, „ich stehe kurz davor, etwas zu erfahren, was ich schon ewig wissen will. Doch jetzt, wo ich so kurz davor stehe, habe ich, glaube ich, Angst.“ Ishihara-san kratzte sich nur kurz an der Schläfe und sah mich geduldig an. „Ich meine, es ist wahrscheinlich etwas ziemlich Schlimmes und, ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren werde.“ Ich wusste nicht, wie ich diese Angst sonst in Worte fassen sollte. Schon seit ich dieses vage Versprechen erhalten hatte, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Immer wieder spukten die unterschiedlichsten Vorstellungen durch meinen Kopf und eine war schrecklicher als die andere. Der alte Mann merkte, dass das alles war, was ich zu dieser Sache sagen konnte. „Als ich so etwa in deinem Alter war, hatte ein guter Freund von mir plötzlich einen Schwächeanfall. Man fand ihn bewusstlos in seinem Haus. Er kam ins Krankenhaus und sie behielten ihn auch dort. Ich besuchte ihn beinahe jeden Tag. Ich hatte keine Ahnung, was diesen Anfall hervorgerufen hatte, aber so wie du hatte ich Angst, ihn danach zu fragen.“, erzählte er. „Haben Sie es dennoch eines Tages getan?“ Ishihara-san schüttelte den Kopf. „Er starb nach einer Woche.“ Ich sah ihn betroffen an. Beinahe konnte ich den Mann vor meinem inneren Auge sehen, wie er am Bett seines toten Freundes stand und sich verzweifelt fragte, was nur mit ihm losgewesen war. „Von seiner Mutter erfuhr ich schließlich, dass er einen tödlichen Tablettenmix genommen hatte, um sich das Leben zu nehmen. Es war also ein Wunder gewesen, dass sie ihn noch so lange am Leben erhalten konnten. Doch am Ende fehlte ihm einfach der Lebensmut.“ „Wieso wollte er sterben?“ „Ich weiß es bis heute nicht. Aber ich vermute, er wollte seiner vor kurzem verstorbenen Freundin nachfolgen.“ „Und Sie bereuen, dass Sie ihn nicht gefragt haben, oder?“, brachte ich leise heraus. „Vielleicht hätte ich ihm helfen können.“ Auf einmal kam Reita auf uns beide zu. Geduld war eben nicht eine seiner Stärken. „Das erklärt ja einiges. Schön Sie mal wieder zu sehen Ishihara-san.“, begrüßte er den Hausmeister. „Auch schön, dich wieder zu sehen, Reita.“, erwiderte dieser. „Ich hab mich schon gefragt, wo du bleibst, Aoi.“, wandte Reita sich anklagend mir zu. Ich lächelte entschuldigend und hob den Wäschekorb wieder auf. „Ich komm ja schon. Bis dann, Ishihara-san.“ „Bis dann, Yuu. Ich hoffe, ich konnte dir etwas helfen.“ Der Alte nickte uns beiden kurz zu, dann stapfte er die Treppen in den Keller runter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)