Todesweg von Isamenot ================================================================================ Kapitel 2: Grab --------------- ~Der Wanderer: "Zu schade."~ Der Winter hielt Einzug. Und das mit großen Schritten. Die letzte Wärme des Sommers, die in den Tagen zuvor noch verweilt hatte, war nun vollends entschwunden und hatte Platz für Kälte und Herbststürme gemacht. Ein ebensolcher suchte auch im Moment das Land heim. Es war später Nachmittag und durch die Gewitterwolken herrscht bereits eine tiefe Dunkelheit. Kurz hielt der Wanderer an, richtete sich etwas auf, zog den Reisemantel enger um seinen Körper, um dem durchnässten Stoff ein letztes bisschen Wärme zu entlocken, sah sich um. Felsen, karges Land, der Boden mit spärlichen Resten Grases bedeckt, die wohl selbst im Tageslicht mehr braunfleckig denn grün wären. Ein wenig Gestrüpp wuchs hier und dort, Büsche, die bis auf wenig Überreste ihre Blätter verloren hatten. Für Getier gab es kaum einen Schlupfwinkel und keinen Schutz vor dem Wind, der hier gnadenlos alles attackierte, was über dem Boden ragte. So war es auch kein Wunder, dass der Wanderer immer wieder mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hatte, wenn er von einer Böe direkt erwischt wurde. Die wenigsten würden bei so einem Wetter in dieser Gegend herumwandern. Doch sein Ziel lag irgendwo weiter oben am Hang und so blieb ihm nichts Anderes übrig, als den Weg fortzusetzen. Er mochte es nicht zugeben, doch das Atmen fiel ihm mit jedem Schritt schwerer, die Luft wurde ihm regelrecht von den Lippen gerissen, während der Wind auf seinen Brustkorb drückte. Weiter, weiter Schritt für Schritt, unablässig suchten seine Füße die Bewegung nach vorne, den sicheren Halt auf dem Untergrund, der zwischen matschigen und glitschigen Erdklumpen und von überwässertem Moos und Flechten rutschigen Steinen. Lange konnte er seine aufrechte Position nicht halten, musste sich wieder vorneüberbeugen, was ihm ein bitteres, doch ungehörtes Lachen entlockte. Nie, niemals hätte er sich diesen Tag vorgestellt, an dem er sich einmal beugen müsste, an dem er nicht aufrecht gehen könnte. Das Schlimmste daran war, es lag nicht allein am Wetter, nein, selbst wenn Regen und Wind verstummen würden, fehlte ihm doch die Kraft länger als wenige Momente aufrecht zu stehen. Als er sein Ziel erreicht hatte, war die Finsternis vollkommen um ihn, die Gestirne hinter Wolkenbergen verborgen, die man nicht sehen konnte. Den letzten Teil des Weges hatte er nur stolpernd, ja teilweise kriechend zurückgelegt, entkräftet von dem weiten Weg, von dem vergeblichen Kampf gegen die Naturgewalten und aus Angst –ja, Angst! -, dass er den Halt verlieren könnte und ein erbärmliches Ende nähme. Konnte er denn noch tiefer sinken als jetzt? Doch jetzt stand er vor der Behausung. Dieses Wort beschrieb es noch am treffendsten. Es war in den Fels gehauen, hatte keine Fenster; nur eine Tür und der Schornstein, aus dem Rauch aufstieg verrieten, dass es sich um eine menschliche Schöpfung handelte. Er klopfte und nach kurzem Warten wurde ihm die Tür einen Spalt weit geöffnet. Das Innere war von einem rötlichen Licht erfüllt und tauchte das Gesicht der Person, die in der Tür stand in Schatten. „Ja?“ Ihre Stimme war leise und rauchig. Sie klang, als wäre das Mädchen, das mit geöffnetem Mund dastand, nicht wirklich anwesend. Einen ebensolchen Anschein erweckten auch ihre dunklen Augen, die der Wanderer sehen konnte, als sie leicht den Kopf wandte – so als würde sie ihn gar nicht sehen, obwohl sie ihn direkt ansah. Er antwortete ihr nicht, sondern schob die Tür gewaltsam auf und trat ein. Das Mädchen reagierte nicht, blieb einfach stehen. Es gab nur einen Raum und dieser war von der großen Feuerstelle in der Mitte geprägt. Auch jetzt prasselte dort ein ansehnliches Feuer. Es überheizte die Luft, machte sie stickig, während sie schwer und berauschend war von dem Duft verbrannter Kräuter. Dennoch war der Wandersmann froh über die Wärme, was er nicht vom Rest des Inventares behaupten konnte. Von der gesamten Decke, ausgenommen die Aussparung für den Schornstein, hingen getrocknetes Gestrüpp, Stein- und Knochenketten und totes Kleingetier. Auf dem Boden verteilt fanden sich verschiedene Gefäße, Töpfe und Schüsseln, manche umgestürzt, ihr Inhalt achtlos verstreut, und erschwerten die Bewegung durch den Raum. „Schließ die Tür, Mädchen!“ Die kratzige, hohe Stimme kam von der anderen Seite der Feuerstelle, doch machte die dazugehörige Person keine Anstalten, sich zu erheben und den Gast zu begrüßen. Dem Wanderer blieb keine Wahl, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und sich seinen Weg um das Feuer herumzusuchen. Auf der anderen Seite fand er schließlich auch die Gesuchte. Nach seinem letzten Fehlschlag war er einige Zeit ziellos umhergeirrt, hatte nicht gewusst, wo er seine Suche fortsetzen sollte und sich schließlich entschlossen, hierher zu kommen, wo es seinen Anfang genommen hatte. Die Frau, die der Wanderer nun ansah, erzeugte Ekel in ihm. Sie erzeugte jedes Mal Ekel in ihm. Sie war alt, hager, ihre Haut versschrumpelt, das Haar dünn und an manchen Stellen vollständig ausgefallen. Wenn sie sprach, konnte man erkennen, dass ihr Gebiss Lücken aufwies. Was für weitere Schwächen und Gebrechen sie noch besaß, die er nur nicht sehen konnte, wollte er lieber nicht wissen. Für ihn war sie der Inbegriff des Alters. Das Alter widerte ihn an. „Nun, Herr“, kicherte sie. „Habt Ihr erneut Euren Weg in diese bescheidene Hütte gefunden, Herr?“ Sie nahm ihn nicht ernst. Er konnte es spüren, hören, sehen. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich zu erheben und ihm Respekt – vorzugsweise mit einer angemessenen Verbeugung – zu erweisen, nicht einmal einen Versuch unternommen dies zu tun. Nein, sie war sitzen geblieben auf dem Objekt, was wohl der einzige Sitzplatz war und zeitgleich als Schlafplatz fungierte: einfaches Gestelle, bedeckt mit dreckigen Decken. In der Tat hatte sie sich sogar noch provokant zurückgelegt, als wollte sie ein königliches Gebaren an den Tag legen und ihn als Diener deklarieren, und sah ihn nun direkt und dreist an. Sie war in der besseren Position. Er suchte etwas und hoffte es bei ihr zu finden. Das wusste sie. „Du weißt, warum ich hier bin, Weib.“ Die Antwort kam kurz und schneidend. „Ach wirklich, tu ich das? Ich bin mir aber da nicht so sicher, Herr. Warum sagt Ihr mir nicht, was ich für Euch tun kann.“ Dabei legte sie ihren Kopf leicht schief und begann ihren Oberkörper ganz leicht zu schaukeln. Hatte er eben noch reinen Ekel über das bloße Alter empfunden, wurde dieser jetzt um ein Vielfaches gesteigert, was seinem ohnehin mehr als dünnem Geduldsfaden sehr abträglich war. Sie wollte spielen und unter anderen Umständen – und wenn sie etliche Jahre jünger wäre -, hätte er sich mit Freuden darauf eingelassen. Doch nicht jetzt. „Ich brauche mehr von dem Zeug.“ Offenbar hatte diese Aussage das Interesse der alten Frau geweckt, denn sie richtete sich auf, sah forschend in seine Augen. Nach wenigen Sekunden begann sie zu grinsen, offenbarte dabei nicht nur ihre fehlenden Zähne, sondern auch den schlechten Zustand derer, die sie noch hatte. Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie noch so deutlich zu sprechen vermochte. „Das kann ich nicht.“ Sie sprach die Worte langsam, genüsslich. Ihr Grinsen wurde breiter. „Das sagte ich Euch bereits bei Eurem letzten Besuch. Und davon ab fehlen mir die Zutaten.“ „Wo finde ich den Partner?“ „Woher soll ich das wissen? Den zu finden, liegt an Euch. Strengt Euch etwas mehr an! Ich habe Euch alles gesagt, was Ihr wissen müsst.“ War es ihre Antwort – sie war schließlich nicht diejenige, die durch die Welt reiste und unter all den Versagern und Idioten, die sie beherbergte, den Richtigen nicht finden konnte -, war es der Spott, nein, schon fast Vorwurf, mit dem sie es sagte, war es, dass sie nun einen unüberwindbaren Grad an Nutzlosigkeit für ihn erreicht hatte: was es auch sein mochte, es gab nur zwei Tatsachen – sie erfüllte keinen Zweck mehr und seine Geduld war nun endgültig vorbei. „Zu schade.“ Die Worte des Wanderers waren ganz, zu ruhig. Es war an der Zeit, dem alten Weib die entsprechende Belohnung zukommen zu lassen. Langsam, die Schritte gemessen, berechnet, trat er auf sie zu, einen nach dem anderen. Mit einer ebenso merkbaren Berechnung, mit einer Betonung jeder seiner Bewegungen, die das Folgende und dessen Unabwendbarkeit verkündeten, schlug er seinen Mantel zurück und zog etwas hervor, etwas das den Schein des Feuers auffing und widerspiegelte. Und dann schritt er an der Frau vorbei, hinüber zu der Tür, in deren Nähe sich das dunkeläugige Mädchen niedergelassen hatte. Noch immer waren ihre Augen blicklos, schienen nichts wahrzunehmen; noch immer starrte sie mit offenem Mund vor sich her, wühlte in einigen Gefäßen und Scherben herum, offenbar ohne zu wissen, was sie tat. Sie bemerkte den Mann nicht, verfolgte unabbringbar ihrem Tun. Hinter sich hörte er ein Kreischen, einen Ruf, dann spürte er einen Schlag auf seinem Rücken. Abrupt drehte er sich um. Die Alte hatte sich erhoben, hatte sich mit einem brennenden Scheid auf ihn gestürzt. In diesem Moment war der Mann mehr als froh, dass sein Mantel vom Regen durchnässt war und kein Feuer fangen konnte. Doch blieb ihm nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn die alte Frau hatte nun begonnen mit ihren klauenartigen, verdreckten Händen nach seinem Gesicht zu kratzen. Es nützte ihr nicht viel. Sie wurde zurück geschleudert, prallte gegen die Wand hinter ihr und blieb benommen liegen. Er mochte vielleicht nicht mehr das sein, was er einst gewesen war, aber das hieß noch lange nicht, dass er schwach war, selbst wenn er auf Tränke und Hexenkram als Hilfe angewiesen war. „Keine Angst. Du bist gleich dran, Weib, doch zunächst…“ Er wandte sich wieder um, musste aber feststellen, dass das Mädchen nicht mehr da war. Die Tür stand offen. Die Alte hatte ihr wohl genug Zeit verschafft, um nach draußen zu gelangen. Aber was war das anderes als eine unbedeutende Verzögerung. Er trat hinaus in die Dunkelheit der Regennacht. Er brauchte einen Augenblick, musste sich konzentrieren, seine Energien ordnen, doch dann sah er ihn, den Schatte, der sich hastig und stolpernd entfernte. Nicht weit genug, ganz und gar nicht weit genug. Er hätte sie schon bald eingeholt. *** Ein neuer Tag. Neue Aufgabe. Aber im Grunde der gleiche Kram wie immer: Akten wälzen und durchackern. Das Wetter hat bisher auch keine Anstalten gemacht, besser zu werden, so dass die ganzen Tropfen noch immer munter vor sich hin prasseln. Mein einziger Lichtblick besteht darin, dass der Tag schon weit fortgeschritten ist und damit meine Schicht beendet. Mit diesem erfreulichen Gedanken beginne ich meinen Schreibtisch aufzuräumen und die Akten ein letztes Mal für heute zu ordnen: einen Stapel für neu angelegte Missionen, einen mit abgearbeiteten, für das Archiv bereite Missionsberichte; Anträge auf weitere Aufträge, die noch bearbeitet werden müssen, Lageberichte und weitere Dokumente. Dabei fällt mir eine Akte in die Hände, die mich doch noch einmal verwirrt. Es ist ein medizinischer Bericht über eine Obduktion, eine junge Frau, die in den Wäldern nahe Konoha gefunden wurde. An sich nichts Außergewöhnliches, auch medizinische Berichte werden uns teilweise zur Bearbeitung gereicht – hauptsächlich wenn es während einer Mission zu einem Todesfall gekommen sein sollte -, doch diesen habe ich bereits gestern gesehen, durchgesehen und als fehlgeleitet gekennzeichnet. Es war zweifelslos eine Freude, nach langer Zeit so ein Dokument wieder in den Händen zu halten, wieder für kurze Zeit in meine geliebte Materie einzutauchen, doch das Alles ändert nichts an dem Umstand, dass mich nach Beendigung der Lektüre die Gegenwart wieder einholte, dass ich keine Medic-nin mehr bin und dass dieses Dokument nur das letzte Zeugnis eines Opfers ist, dem wir keine weitere Bedeutung beimessen müssen – so hart das auch klingt. Wie den Aufzeichnungen zu entnehmen ist, handelt es sich bei der Frau nicht um eine Kunoichi, aus Konoha stammt sie auch nicht, sonst wüssten wir, wer sie ist, und Teil einer Mission kann sie auch nicht gewesen sein, denn dann hätten wir ebenso Aufzeichnungen von ihr. Die Obduktion hat keinerlei Auffälligkeiten hervorgebracht und es wurde auch kein Antrag von irgendeiner Gemeinde gestellt, dass wir uns mit ihrem Tod befassen sollten. Von daher gibt es keinen Grund, warum wir uns mit ihr befassen sollten; zumal wir auch nicht unter Langeweile leiden. Wir mögen uns zwar in friedlichen Zeiten befinden, aber es gibt trotzallem mehr als genug Arbeit für Ninja. Mit einem leichten Kopfschütteln lege ich die Akte schließlich auf den Stapel der abgearbeiteten Dokumente, überprüfe noch einmal, ob der Vermerk ‚erledigt‘ deutlich erkennbar ist – was der Fall ist -, und sortiere die restlichen Papiere. Es war vermutlich nur ein Versehen, dass dieser Bericht erneut hierher gebracht wurde, und ein Zufall, dass ich ihn wieder bekam. Nachdem ich die Akten allesamt in die ihren Fächern verstaut habe, verlasse ich endlich das Gebäude. Es ist dunkel und die Laternen wollen die Straßen nicht wirklich erhellen. Kaum eine Menschenseele ist zu sehen und, wer sich doch in diesem Regen aufhält, zeigt das höchste Bemühen diesen Umstand zu ändern. Wer kann ihnen das verübeln? Ich selbst würde es ihnen nur zu gerne gleich tun und ohne Umwege nach Hause gehen, doch habe ich noch etwas zu erledigen. Mit schnellen Schritten eile ich durch die Straßen, doch als ich endlich mein Ziel erreiche, ist der Laden bereits geschlossen. Ich trete an die Glastür heran und spähe ins Innere. Der Raum ist dunkel und nur schemenhafte Umrisse sind zu erkennen. Doch am anderen Ende kann ich einen schmalen Lichtstreif ausmachen. Es muss also noch irgendwer da sein. In der Hoffnung, dass mich jemand hört, klopf ich gegen die Scheibe und in der Tat kommt auch jemand nach wenigen Augenblicken. Das Glöckchen über der Tür klingelt zaghaft, als die Frau mittleren Alters diese einen Spalt öffnet. Sie scheint nicht mehr mit Kundschaft gerechnet zu haben, zumindest deutet ihre angespannte Haltung darauf hin. Erst als ich meine Kapuze, die mir etwas weit ins Gesicht hängt, zurückschiebe und sie erkennt, wer ich bin, entspannt sie sich und öffnet die Tür ganz. „Komm doch rein, Sakura.“ Mit einem Lächeln macht sie mir den Weg frei und schließt die Tür, nachdem ich eingetreten bin. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr heute.“ Mit diesen Worten verschwindet sie in den dunklen Raum. Etwas verwirrt bleibe ich an der Tür stehen. „Sie haben mich erwartet, Yamanaka-san?“ „Aber natürlich“, erklingt ihre Stimme aus dem erleuchteten Nebenraum und gleich darauf kommt sie wieder zurück. Soweit ich es ausmachen kann hat sie ein kleines Gesteck oder einen Strauß in den Händen. „Die letzten drei Jahre bist du doch auch immer am siebenundzwanzigsten Oktober gekommen und hast Blumen geholt. Da dachte ich eben, dass du das heute auch wieder machst.“ Lächelnd überreicht sie mir die Blumen. Es ist ein schmaler Strauß, dessen Zentrum eine einzelne scharlachrote Blüte bildet, um die sich eine Rispenspirale aus blauweißen, kleinen Blüten abwärts windet. Es ist ein schlichtes Gebinde, aber gerade das macht es sehr reizvoll. „Die rote Blüte ist die des Granatapfels. Und die kleinen hier kommen vom Tartaren-Lattich.“ Sie zeigt mir die Blüten. Die Verbundenheit zu Pflanzen liegt dieser Familie offensichtlich in den Genen, denn auch Ino, ihre Tochter, weiß so ziemlich alles über Blumen. „Ich dachte, das wäre ganz passend.“ Ich bedanke mich bei ihr und zahle den Strauß und bin schon wieder halb aus der Tür, als mich Yamanaka-san noch einmal anspricht. „Möchtest du vielleicht noch einen Augenblick mit hoch kommen? Einen Tee trinken?“, fragt sie mich, wobei sie mit ihren Armen in dir Richtung zeigt, in der sich die Treppe zur darüber liegenden Wohnung befindet. „Ino ist auch da. Sie würde sich sicher freuen.“ Ihre Stimme hat nun einen traurigen, ja fast schon verzweifelten Klang angenommen. Ich stehe mehrere Augenblick ratlos in der Tür. Ich weiß, dass ich solche Angebote sehr schnell ablehne, ohne nachzudenken. Ich schäme mich meiner zu sehr, als dass ich noch richtig der Gesellschaft anderer Menschen aussetze. Und Inos Anwesenheit würde es in diesem speziellen Fall noch schwieriger machen. Zu groß ist unsere einstige Konkurrenz gewesen, als dass ich sie vergessen könnte. Zumal mir der heutige Tag, der mir noch bevorstehende Gang eh schon im Magen liegt. Darüber hinaus bin ich mir sicher, dass auch Ino sich noch zu gut erinnert, was an diesem Tag vor ein paar Jahren geschehen ist und ich bin mir nicht sicher, ob mir verziehen wurde. „Nein, danke. Heute nicht. Ein andermal vielleicht.“ Ich versuch bei diesen Worten zu lächeln, doch will mir das nicht so ganz gelingen, weswegen ich froh über die Dunkelheit bin. Ich verabschiede mich von Yamanaka-san und mache mich auf den Weg, hinaus aus dem Dorf, in den Wald. Es ist düster hier, ein wenig unheimlich. In dem wenigen Licht erscheint das Geflecht der Zweige wie lauernde, drohende Gestalten, Riesen, die sich hinabneigen. Die letzten Blätter rascheln im Wind und das beständige Plätschern der Regentropfen vertieft die Stille um mich herum: eine Stimmung, die nahezu greifbar, aber doch irreal ist; eine Atmosphäre, die von Gefahr zeugt. Trotz dieser Phantastereien gelange ich unbeschadet an mein Ziel: eine Lichtung, unweit des Trainingsplatzes meiner Jugend. Der Wind weht hier stärker als im Dorf oder im Schutz des Waldes, so dass es nicht verwunderlich ist, dass ich meine Kapuze festhalten muss, und auch die Kälte des Wetters ist durch den Wind verstärkt zu spüren. Ich gehe langsam, nun schon fast zögerlich, immer weiter auf die Lichtung, auf ihr Zentrum zu, wo ich eine Ansammlung an Steinblöcken ausmachen kann. Die meisten haben eine quadratische Form, nur der in der Mitte ist höher und hat die Form eines Oktaeders. Dieser war der erste der Steine und auch seine Form war ursprünglich die eines Würfels. Doch vor ein paar Jahren wurde er von begabten Steinmetzen nachbearbeitet, so dass er nun diese spezifische Form hat. Auf allen diesen Steinen befinden sich Gravuren. Sie sind die letzten Zeugnisse der Gefallenen. Ich will gar nicht wissen, wie viele Namen hier insgesamt eingemeißelt wurden. Viele der Namen kenne ich und manchen Träger eines solchen Namens kannte. Ich gehe auf einen der Steine zu meiner linken zu. Vor diesem liegt bereits ein kleines Gesteck aus hellen Blüten. Ich nehme an, Hinata hat es hier niedergelegt. Ein Kratzen macht sich in meinem Hals bemerkbar, als vor dem Stein stehen bleibe. Mir wird flau im Magen und ich kann nicht anders, als meinen Strauß an mich zu drücken und sowohl Augen als auch Mund fest zusammenzukneifen. Jedes Mal, jedes Mal überkommt es mich aufs Neue und ich kann die Tränen nicht zurückhalten. Vorsichtig lasse ich mich auf die Knie sinken und lege die Blumen vor dem Gedenkstein ab. Ich weiß, ich sollte es nicht tun, ich weiß, ich werde mich dann noch schlechter fühlen; und dennoch suchen meine Augen diesen einen Namen. Ich weiß, wo er steht, ich weiß es ganz genau und es wäre so einfach in sofort zu erhaschen. Aber ich tue es nicht. Stattdessen gleiten meine Augen die Spalten hinab, über jeden einzelnen Namen, ohne dass ich diesen wirklich wahrnehme. Es ist, als ob ich es ungeschehen machen könnte, als ob es nie geschehen wäre, solange ich diesen Namen nicht lese. Ein kleiner Funken verdammter Hoffnung. Doch schließlich gelange ich doch dort an und alle Kraft verlässt mich. Ich lasse meinen Kopf sinken, sinke in mich zusammen und spüre ich meine Stirn das nasse Gras berührt. In diesem Moment löst sich der Schrei, das Schluchzen und ich lasse es nur noch heraus, ungeachtet dessen, was für ein Bild ich abgebe. Ich weiß nicht, wie lange ich so verharrt bin. Es müssen aber einige Minuten gewesen sein, denn meine Finger sind von Kälte taub und mein Mantel mehr als nur regenfeucht. Mit schwachen Beinen stehe ich auf und gehe ohne einen letzten Blick auf die Gedenksteine zurück, durch den Wald, in das Dorf, nach Hause; und auf dem ganzen Weg verfolgt mich dieser eine Name: Inuzuka Kiba, dessen Tod ich zu verantworten habe. --------------------------------------------------------------------------------- Es tut mir sehr leid, dass das Kapitel erst jetzt kommt. Ich hatte es eigentlich viel früher schreiben wollen. Nur leider war mein ganzer Dezember rabenschwarz, so dass ich nicht die Muße dafür gefunden habe. Wenigstens konnte ich aber ein paar Sachen für den weiteren Verlauf planen. Danke an alle, die das hier überhaupt lesen und die so eine Geduld mit mir haben. Liebe Grüße, Isamenot Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)