Frances von elfogadunk ================================================================================ Kapitel 6: Lebenserfahrung I ---------------------------- Um Frances von ihrem räuberhaften Aussehen mit den zerrissenen, schmutzigen Kleidern und dem krausen Haar zu befreien und aus ihr wieder einen annehmbaren Menschen zu machen, führte Isabella sie zu einer kleinen Quelle in der Nähe des Dorfes, in der sie sich waschen konnte, und gab ihr anschließend frische Kleidung. Frances hatte schließlich ihr weniges Hab und Gut bei ihrem Fluchtversuch auf Kingsleys Schiff zurücklassen müssen. Nachdem sie nun gekleidet war in eine dunkelbraune Leinenhose mit breitem Gürtel und ein weißes Hemd, das durch ein leichtes darüber getragenes dunkelblaues Korsett am Körper gehalten wurde, machte sie sich mit Isabella zusammen auf den Weg zu der geheimnisvollen Person, die ihr vorgestellt werden sollte. Dazu verließen sie das Dorf und folgten einem kleinen Trampelpfad in den Wald hinein. Nach einem kurzen Fußmarsch befanden sie sich wieder am Strand, wo ihnen die gerade untergehende Sonne einen prachtvollen Anblick bot. Der Himmel und die See strahlten in allen möglichen Blau- und Violett-, Gelb- und Orangetönen um die Wette. Die tief stehende Sonne tauchte den Strand dabei noch in ein angenehmes, goldfarbenes Licht. Während Frances ehrfurchtsvoll die sich ihr bietende Schönheit der Natur betrachtete, ließ sich Isabella nicht im Geringsten davon beeindrucken. Zielstrebig ging sie auf zwei am Rande des Waldes stehende Palmen zu, zwischen denen ein Mann in einer Hängematte lag und schlief. Lautstark machte Isabella sich auf Spanisch bemerkbar, bevor sie den Schlafenden unsanft an der Schulter rüttelte und ihn damit weckte. Mühsam richtete er sich auf und sah den Störenfried missmutig an. Sie ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und redete in sich schon beinahe vor Schnelligkeit überschlagendem Spanisch auf ihn ein. Eher uninteressiert streckte der junge Mann sich und fuhr sich mit der Hand durch sein fast schulterlanges dunkelblondes Haar, bevor er es im Nacken mit einem dünnen Band zu einem Zopf zusammenband. Anschließend schwang er sich aus der Hängematte und zog sich ein weißes Hemd, das neben ihm an einem Ast gehangen hatte, über seinen freien Oberkörper. Frances fiel es dabei schwer, ihren Blick von ihm abzuwenden. Nicht nur war sein Körper gut gebaut, auch sein Gesicht war mit den schmalen Lippen, der geraden Nase, den hohen Wangenknochen und den klaren blauen Augen ausgesprochen attraktiv. Ein Dreitagebart ließ ihn zusätzlich noch ein wenig verwegen wirken. Frances beobachtete aufmerksam wie der junge Mann, den sie nur wenige Jahre älter als sie selbst schätzte, der immer noch redenden Isabella gelangweilt zuhörte, als er plötzlich seinen Blick auf sie richtete. Ihr Herz machte dabei vor Überraschung einen kurzen Hüpfer und sie konnte nicht verhindern, dass sie errötete. Mit einer Mischung aus Interesse und Geringschätzigkeit musterte er sie, bevor er sie völlig akzentfrei fragte: „Wie alt bist du?“ „19“, antwortete sie hastig, erreichte damit bei ihm jedoch nur, dass er abschätzig eine Augenbraue hob und an Isabella gerichtet sagte: „Olvídalo!“ Diese schaute ihn daraufhin entsetzt an, bevor sie erneut begann, auf Spanisch auf ihn einzureden. Ratlos stand Frances daneben und kam sich reichlich überflüssig vor. Sie wusste, dass die beiden sich über sie unterhielten, da sie ab und an ihren Namen hörte, doch ansonsten verstand sie nicht ein Wort. Sie musste zugeben, dass sie sich gewissermaßen übergangen fühlte, da die beiden es offensichtlich nicht für nötig hielten, sie in ihre Diskussion mit einzubeziehen. Diese Situation erinnerte sie nur allzu deutlich an ihren Vater. Ihm war sie es auch nie Wert gewesen, sie in seine Entscheidungen über ihr Leben miteinzubeziehen. Das altbekannte, ihr stets verhasst gewesene Gefühl der Machtlosigkeit umklammerte langsam ihr Herz und ließ ihre Hände zittern. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und rief sich innerlich zur Ordnung. Wenn sie endlich ihre Vergangenheit hinter sich lassen wollte, musste sie unbedingt beginnen an ihrem Verhalten zu arbeiten. Sie musste lernen, sich durchzusetzen und deutlich zu sagen, was sie wollte. Nur so würde sich etwas ändern. Von dieser erneuten Erkenntnis bestärkt, atmete Frances zur Beruhigung ihres heftig klopfenden Herzens noch einmal tief ein, ballte ihre zittrigen Hände zu Fäusten und meinte mit erhobener Stimme: „Verzeihung bitte, könntet ihr mich bitte darüber in Kenntnis setzen, um welches Thema sich eure Unterhaltung gerade dreht?“ Zwei überraschte Augenpaare richteten sich daraufhin unvermittelt auf sie. Der junge Mann fing plötzlich an zu lachen, wurde aber auf der Stelle von Isabella durch einen Ellenbogenstoß in die Seite ruhig gestellt. „Verzeihung. Das hier ist Ben.“, meinte sie entschuldigend. „Er kann hervorragend mit Pistole und Degen umgehen und wäre daher ein ausgezeichneter Lehrer für dich, doch dieser elende Sturkopf sträubt sich wie ein alter Esel.“ „Allerdings.“, bestätigte Ben nachdrücklich. „Und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich genug davon habe, ständig für deinen persönlichen Rachefeldzug gegen McNally missbraucht zu werden.“ Frances schaltete schnell. „Nein, Ihr irrt Euch. Dieser Rachefeldzug, wie Ihr ihn nennt, geht nicht von Isabella, sondern von mir aus. Captain McNally hat mich mit seinem rüpelhaften Verhalten in eine äußerst prekäre Situation gebracht und deshalb...“ Sie stockte, als sie bemerkte, dass Ben sich unter großer Anstrengung das Lachen verkneifen musste. „Darf ich erfahren, was Ihr daran so komisch findet?“, verlangte Frances verärgert zu wissen. „Nun, ich weiß nicht, wen du hier mit deiner piekfeinen Ausdrucksweise beeindrucken willst, doch ich würde dir raten, sie dir ganz schnell abzugewöhnen, wenn du außerhalb deines ach-so-gut behüteten Elternhauses überleben und nicht sofort als Adelsflittchen enttarnt werden willst.“ Von seiner Ehrlichkeit vor den Kopf gestoßen, errötete Frances und senkte ihren Blick. Ben schüttelte verständnislos den Kopf, als er ihre Reaktion sah. „Und genau deswegen werde ich mich hüten, dir irgendetwas beizubringen. Das wäre vergeudete Zeit. Anstatt mir die Stirn zu bieten und deine Meinung zu vertreten, wirst du rot und schweigst. Bei McNally würde das mit Sicherheit nicht anders ablaufen...“ „Das ist nicht wahr!“, fuhr Frances ihm aufgebracht dazwischen. „Bei ihm liegt die Sache ganz anders. Ich...“ „Wenn das so ist, wünsche ich dir viel Glück. Aber auf meine Hilfe brauchst du nicht zählen.“ Mit diesen Worten wandte Ben sich um und ging. Isabella rief ihm noch auf Spanisch etwas nach, doch darauf reagierte er nicht mehr. „Männer!“, wütete sie. „Sie sind doch alle gleich! Aber wir werden das auch irgendwie ohne ihn...“ „Nein.“, unterbrach Frances sie nachdenklich. „Er... Er hat Recht. Ich habe nie gelernt, mich durchzusetzen. Daran... muss ich arbeiten. Ich werde ihm beweisen, dass es keine Zeitverschwendung ist, mir etwas beizubringen.“ Ein Lächeln formte sich auf Isabellas schönen Lippen. „Wenn das so ist, werde ich dir natürlich dabei helfen...“ **** Während Frances später am Abend neben Isabella in deren Hütte lag und den gleichmäßigen Atemzügen ihrer schlafenden Gefährtin lauschte, dachte sie über all die Dinge nach, die ihr seit ihrer Flucht vor ihrem Vater geschehen waren. Im Vergleich zu ihrem bisherigen Leben war all das so aufregend und anders, dass sie bereute, diesen Schritt nicht schon eher gewagt zu haben. Natürlich war ihr bewusst, wie gefährlich ihr neues Leben war, doch durch Isabella fühlte sie sich nun ein kleines Stück sicherer. Diese junge Spanierin wirkte so resolut und clever, dass Frances sicher war, in Zukunft noch viel von ihr lernen zu können. Dass sie trotzdem stets auf der Hut sein musste, hatte sie mittlerweile dank den anfangs so vertrauenswürdig scheinenden Herren Kingsley und McNally allerdings gelernt. Beim Gedanken an diese beiden Männer kam ihr plötzlich Ben wieder in den Sinn. Sie konnte nicht verleugnen, dass er ihr gefiel und dass ihr auf gewisse Weise auch wichtig war, was er von ihr dachte. Sie wollte ihm – und auch allen anderen, die an ihr zweifelten – beweisen, dass sie nicht das verwöhnte, reiche Mädchen ohne eigenen Willen war, für das sie offensichtlich gehalten wurde. Aus diesem Grund fasste sie nach zwei unruhigen Tagen mit Isabellas Hilfe schließlich auch den Entschluss, ihm ihre Beharrlichkeit und Ausdauer zu demonstrieren. Dazu suchte sie ihn in der folgenden Zeit in jeder freien Minute auf, um ihn davon zu überzeugen, sich ihrer anzunehmen. Anfangs versuchte Ben noch, sie abzuwimmeln und davonzujagen, doch als diese Maßnahmen keine Wirkung zeigten, ging er dazu über, Frances schlicht und ergreifend zu ignorieren. Sie kam sich albern und töricht vor, wenn sie in seinem Beisein lange Monologe über alles führte, was ihr gerade einfiel, doch sie konnte nicht einfach damit aufhören, wenn sie ihn ernsthaft von ihrer Hartnäckigkeit überzeugen wollte. Isabella machte ihr dabei immer wieder Mut und entpuppte sich als verlässliche Unterstützung. Sie half Frances dabei, sich eine der leer stehenden Hütten im Dorf einzurichten und zeigte ihr alles, was sie brauchte, um sich auf der recht überschaubaren Insel zurechtzufinden und sich einzuleben. Frances erfuhr dabei, dass dieser Ort als Versteck und Zwischenlager für Ausreißer und Leute diente, die eine Pause von der Welt brauchten oder schlicht und einfach nicht gefunden werden wollten. Fragen wurden keine gestellt. Zudem blieb selten jemand länger als ein paar Wochen. Isabella und Ben waren die einzigen, die ständig im Dorf lebten. Durch all diese neuen Eindrücke bemerkte Frances kaum, wie schnell die Zeit verging. Im Handumdrehen waren zwei Wochen vergangen. Mit Ben hatte sie zu ihrem Bedauern keine Fortschritte machen können, doch dafür hatte sie sich schnell an das einfache Leben im Dorf gewöhnt und hatte bereits einen relativ geregelten Tagesablauf. Nach dem Frühstück holte sie jeden Tag gemeinsam mit Isabella frisches Wasser aus der dorfnahen Quelle und machte sich anschließend auf den Weg zu ihrem täglichen Besuch bei Ben. Mittlerweile hatte sie über ihn erfahren, dass sein vollständiger Name Benjamin Carlisle war und dass er ursprünglich aus Brighton in Südengland stammte. Sie mochte seinen Dialekt, auch wenn es äußerst selten war, dass sie ihn zu hören bekam, da er es ja bevorzugte, sie weitestgehend zu ignorieren. Als Frances wie jeden Tag auf seine Hütte zuging, konnte sie schon von Weitem sehen, dass er anscheinend auf sie wartete. Er saß auf einer kleinen Holzbank neben der Tür und beobachtete, wie sein neuerlicher Schatten näher kam. Kaum war sie in Hörweite sprach er endlich – wenn auch reichlich grimmig – die Worte, auf die Frances kaum noch zu hoffen gewagt hatte: „Du hast gewonnen. Ich werde dich unterrichten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)