Winter Illusion von Asmodina ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Die letzte Nacht des Jahres ging langsam vorbei und sie war einsam wie so viele Nächte zuvor. In Gedanken versunken saß Maboroushi vor dem Kamin und goss das Blei. Sie hielt es in die Flammen und hätte sich dabei fast verbrannt. Noch einige Minuten Geduld…dann malte der Schatten ein klares Herz an die Wand. Die junge Frau lachte verächtlich: „Glück in der Liebe…pah…ich glaube nicht! Nicht zum ersten Mal fragte Maboroushi sich, warum sie solche Dinge überhaupt praktizierte. Eine klare Antwort gab es darauf nicht. Wahrscheinlich als Trost…die junge Frau griff sich an den Brustkorb; die tiefe Wunde riss wieder auf und der Schmerz floss durch ihren schlanken Leib. Sie stand auf, unterdrückte tapfer die Tränen, ging kurz zum Fenster und schaute hinaus. Weiße Schneeflocken fielen herab und hüllten die Welt in einen unschuldigen Mantel. Es fiel schwer, diese Fassade zu durchblicken. Draußen war es bitterkalt und im selben Zustand war ihre Seele. Maboroushis zitternde Hand berührte das kühle Glas und ihre Augen brannten. Wie in Trance beobachtete sie die Eisblumen, welche vor ihrem Fenster tanzten und langsam, ganz langsam, ein Bild auf die Scheibe malten. Mit jeder Sekunde werden es mehr und das Bild wird sichtbar; lange Haare, schmales Gesicht und sanfte Augen…dieses Gesicht kannte sie. Ein leiser Aufschrei zerschnitt die Stille und die Braunhaarige rang mit dem Kopf in die Hände. Nun liefen doch Tränen ihre Wangen hinab und die Erinnerung, kombiniert mit belastenden Gedanken über die Gegenwart erwachten zum Leben. Wieder hörte sie seine Stimme, fühlte die langen schwarzen Haare, die ihr Gesicht kitzelten. Er sagte: „Lass mich nie mehr allein!“ Und sie hatte es geschworen und seine Lippen mit einem sanften Kuss versiegelt. Es war die Ewigkeit gewesen, welche sich in diesem Moment zwischen ihnen gefestigt hatte. Und dieses Band würde niemals mehr reißen. Seit sie laufen konnten, hatten sie und Yasu sich gekannt. Kein Tag war mehr ohne den anderen verlaufen. Alle Probleme und Schwierigkeiten hatten sie gemeinsam überwunden. Es war egal, welche Hürden oder Ströme das Leben für sie bereitgehalten hatte; nichts konnte sie trennen. Eine Zukunft gab es, aber nur zusammen, das wussten beide. Dann kam jene fatale Nacht, die so schrecklich gewesen war, das Maboroushi sie am liebsten vergessen oder ungeschehen machen wollte; Yasu war mit seinem Auto losgefahren und alles schien normal. Doch dass ihr Liebster niemals zu Hause ankommen würde, ahnte Maboroushi damals nicht. Noch heute spürte sie manchmal die zärtlichen Finger auf ihrer Wange…es sollte die letzte Berührung werden. Danach hatte die Braunhaarige tagelang nichts mehr von Yasu gehört, was normalerweise gar nicht seine Art war. Zumal sie sich nicht gestritten hatten. Zunächst hatte sie es bei seinen Freunden und Bekannten versucht, doch selbige wussten nichts oder waren in ähnlicher Sorge. Angst stieg in ihr auf; es musste etwas passiert sein! Nach einigem Zögern wandte Maboroushi sich an die Polizei und nach erfuhr, nach scheinbar endlosem Ringen, endlich die Wahrheit. Diese entpuppte sich als blanker Alptraum; Yasus Wagen war von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Dabei explodierte der Motor und das Fahrzeug brannte völlig aus. Rätselhafterweise fehlte von Yasu jede Spur; man fand keine Leiche und auch keine sonstigen Überreste. Niemand wusste, wo der junge Mann sich aufhielt oder ob er überhaupt noch am Leben war. Das war zwar sehr unwahrscheinlich, aber die Ermittlungen liefen trotzdem weiter. Nach dieser Erzählung war die Braunhaarige so geschockt, das sie das Bewusstsein verlor und mehrere Tage im Krankenhaus lag. Danach schwankte Maboroushi zwischen Hoffnung und Verzweiflung und es gelang ihr nur mit äußerstem Kraftaufwand, ihren Alltag zu meistern, was viele bewunderten. Gespannt wartete die Braunhaarige auf Nachrichten oder Informationen. Doch es kam nie etwas und direktes Nachfragen endete mit wilden Spekulationen und absurden Theorien. Nach einem Jahr wurde ihr Freund schließlich für tot erklärt und jegliche Suchaktionen eingestellt. In diesem Augenblick brach Maboroushis Welt in tausend Scherben und alles schien verloren. Auch wenn sie ihren gesellschaftlichen – alltäglichen Verpflichtungen nachging, starb das Herz mit jedem Tag mehr. Eine emotionale Kälte breitete sich aus, welche der Braunhaarigen jede Chance auf eine neue Beziehung verwehrte. Dabei war sie erst vierundzwanzig Jahre alt, der allgemeine Rückzug von den Menschen war absehbar. Heute beschränkten sich Maboroushis soziale Kontakte auf das Allernötigste, wirkliche Freunde hatte sie nicht. Und im Grunde lebte sie nur noch für die winzige – kleine Hoffnung, das Yasu eines Tages vielleicht doch wieder vor ihr stehen könnte. Die junge Frau sank weinend zusammen, ihre nackten Knie schrammten über den Teppichboden. Mit zitternden Händen nahm sie ein Foto aus der Schublade, welches Yasu und sie an glücklichen Tagen zeigte. Sein Lächeln…es war so schön und schien unvergänglich zu sein. Wie sehr man sich doch täuschen konnte. Unmittelbar daneben lagen die Schlaftabletten, welche eigentlich für den Notfall gedacht waren. Tränenblind betrachtete Maboroushi die Packung, sie wirkte verführerisch, lockend. Sollte sie das Präparat nehmen und ihre traurige Existenz beenden? Viel zu verlieren gab es nicht mehr. Mit einem melancholischen, beinahe friedvollen Lächeln öffnete die Braunhaarige die Packung und schluckte eine ganze Handvoll der weißen Tabletten und spülte diese anschließend mit einer Flasche Wodka herunter. Den sonderbaren – fruchtigen Geschmack des Getränks bemerkte sie nicht. Eine merkwürdige Ruhe breitete sich in Maboroushi aus, ehe ihr die Augen zufielen und die Finsternis sie umhüllte. Draußen verdunkelte sich schlagartig der Mond, er schien sich vor der Trauer zu verstecken Die Nacht verblasste und der Morgen erwachte in tristem Grau. Es hatte aufgehört zu schneien und die ersten Strahlen der Sonne verkündeten das neue Jahr. Maboroushi schlug die Augen auf und blinzelte verwirrt. Wo war sie? Was war geschehen? Nur langsam kehrte die Erinnerung zurück und die Braunhaarige schlug sich gegen den höllisch schmerzenden Kopf. Warum hatte es nicht funktioniert? War sie zu blöd zum Selbstmord? Ihr Blick fiel auf den vermeintlichen Wodka und sie brach in hysterisches Gelächter aus; es war Wasser mit Erdbeer-Geschmack gewesen. Kein Wunder, wenn es nicht funktioniert hatte. Ob sie nun froh oder wütend darüber sein sollte, wusste Maboroushi nicht. Das laute Schellen der Türklingel riss sie aus ihren Grübeleien. Die junge Frau rappelte sich auf, fluchte ungehalten und stolperte die Treppe hinunter zur Tür. Dabei vergaß Maboroushi, das sie nur ein Nachthemd trug, unter dem man ihren Körper recht gut erkennen konnte. Wer mochte um diese Zeit etwas von ihr wollen? Genervt riss sie die Tür auf und wollte zu einer wütenden Schimpftirade ansetzen, als ihr die Kinnlage regelrecht auf den Boden fiel und sie zunächst an einen wirren Traum glaubte: Schwarze, lange Haare, schmales Gesicht, weicher Mund und schlanke Figur…das konnte nicht sein…Yasu…der Mensch, nachdem sie sich so lange gesehnt hatte und dessen Verschwinden ihr Leben durcheinander gebracht hatte. Das Gegenüber schien ihre Gedanken zu erraten und nickte kaum merklich. Auch ihm fiel das Sprechen schwer: „Doch, Maboroushi…ich bin es. Oder hast du mich vergessen?“ „Rede keinen Unsinn“, fuhr die Braunhaarige wütend dazwischen und wieder war sie nahe dran, das Bewusstsein zu verlieren. Sie wollte ihren Liebsten schlagen, ihn anschreien und fragen, wo er die ganze Zeit gewesen war. Andererseits schrie ihr Herz verzweifelt an seiner Nähe, ohne ihn würde es nicht mehr schlagen. Ehe Yasu reagieren konnte, warf sie sich in seine Arme. Ihre Finger krallten sich in die dunkle Lederjacke, strichen durch die seidigen Haare. Maboroushi wollte alles von ihm in sich aufnehmen, es nie wieder vergessen und ihn nie wieder verlieren. Viel zu lange hatte sie den Kinderfreund vermisst. Selbst ihr Bedürfnis, Fragen nach der Vergangenheit zu stellen, verflüchtigte sich wie eine Rauchwolke. Tränen der Freude liefen über ihren Wangen, zu warm, als das sie zu Eis gefrieren konnte und ihrem Liebsten ging es nicht anders. „Beruhige dich“, flüsterte Yasu, ehe er vorsichtig ihre Lippen küsste, „ich bin zurück!“ Ende Hosted by Animexx e.V. 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