Die Vergessenen Wächter von caramel-bonbon ((KaRe) Der Zauber einer anderen Welt) ================================================================================ Kapitel 23: In der Welt der Schatten ------------------------------------ Kai blinzelte. Er fühlte sich elend. Seine Knochen wogen schwer und drückten ihn zu Boden. Benommen versuchte er sich zu bewegen, doch sein ganzer Körper brannte. Ihm fehlte die Kraft. Er konnte nicht, nicht einmal einen Finger rühren. Das Atmen fiel ihm schwer. Kraftlos blieb er liegen, die Lider fielen ihm zu. Da war nichts. Nichts außer seinem Herzschlag. Dumpf und unregelmäßig. Und dann, nach einer schieren Endlosigkeit spürte er mehrere Arme, die ihn hochhoben. Er wurde getragen, wohin wusste er nicht, doch die Unterlage, auf die er gelegt wurde, war weich. Und die sanften Berührungen angenehm. Die Stimme, die leise auf ihn einredete beruhigend. Etwas wurde ihm in den Hals geflößt. Seine Glieder entspannten sich, Wärme breitete sich aus. Und da waren wieder diese Berührungen, dann fuhr etwas über seine Haut, es brannte, da war eine Hand an seinem Oberschenkel und er mochte es nicht berührt zu werden, er riss die Augen auf, streckte die Hand aus und packte das Handgelenk, der Person, die es wagte, ihn zu berühren. „Oh, du bist wach“, flüsterte sie. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, es war verdeckt hinter einer Kapuze. „Wo bin ich?“, fragte er und sein Mund fühlte sich sandig an, ausgetrocknet, er verfestigte den Griff um das Handgelenk des Heilers. „Lass mich los, dann erzähl ich es dir.“ Er begann zu sprechen mit seiner warmen Stimme, erzählte ihm eine Geschichte die er nur zu gut kannte und doch war es unfassbar. „Unmöglich.“ Er erhob sich abrupt, kurz wurde ihm Schwarz vor Augen ob der plötzlichen Bewegung, doch er riss sich zusammen, wie es sich für einen Krieger gehörte, packte seine schmutzigen, mit Blut verkrusteten Kleider und er stürmte hinaus, raus aus dem Gebäude, bis er sich in der Wüste widerfand. Plötzlich tauchte hinter ihm der Heiler auf, gab ihm eine Schale zu Trinken. Kai nahm es dankbar an, dann blickte er ihn an. Er hatte die Kapuze runtergezogen und langes schwarzes Haar ergoss sich über seine Schultern, doch was ihn in Bann zog waren diese Augen, sie leuchteten hell und freundlich. Er folgte ihm zurück in den Tempel, zurück in den Raum, in dem er zuvor gelegen hatte, wo auch sein Schwert an einem Tisch gelehnt stand. Er setzte sich wieder hin und der Heiler ging zum Tisch hinüber, werkelte ein wenig herum, mischte Kräuter in warmes Wasser, dann griff er ohne Vorwarnung nach Kais Schwert, zog es aus der Scheide und ohne sich bewegen zu können, sah er die blutverkrustete Klinge auf sich niedersausen, dann die Augen, die nicht mehr hellbraun und freundlich glitzerten sondern schwarz und bösartig leuchteten, das Gesicht zu einer Fratze verzerrt und er spürte, wie die Klinge sich in sein Fleisch bohrte. Kai schrie. Heftig schnaufend richtete er sich auf, blickte sich orientierungslos um. Er lag auf dem Boden, um ihn herum weitere Körper verstreut und teilweise halb aufeinander liegend. Sein Herz raste. Einige der Körper bewegten sich, er hörte ein Stöhnen von mehreren Seiten und dann schreckten auch die anderen langsam aus ihren Albträumen auf. Und dort war Rei, kreidebleich und Kai fragte sich, was der Heiler geträumt haben musste, dass er so entgeistert aussah. Mühsam rappelte er sich auf und kroch mehr zu ihm rüber, als dass er gehen konnte, ließ sich neben ihm zu Boden fallen, zog den Heiler mit sich, sein ganzer Körper bebte. Er suchte Reis Blick, musste sich vergewissern, dass seine Augen nicht schwarz und böse waren und seine Züge entspannten sich, als er in das vertraute Bernstein sah, zwar matt, doch liebenswürdig auf ihn schauend. Seufzend vergrub er sein Gesicht in Reis Haaren, atmete den vertrauten Geruch ein. „In meinem Traum hast du mich umgebracht, mit meinem eigenen Schwert, damals im Tempel, wo du mich eigentlich gesund pflegen wolltest“, flüsterte er dumpf. Rei stöhnte. „Wir alle haben wohl etwas in der Art geträumt“, antwortete er heiser, „der Tod ist der einzige Ausweg aus einem Traum.“ „Was hast du geträumt?“, wollte Kai wissen und drehte den Kopf etwas. Unsicher warf Rei ihm einen Blick zu. Doch dann schüttelte er den Kopf. „Das ist unwichtig, was im Moment zählt, ist einzig, dass wir wissen, was real ist und was nicht.“ Er stemmte sich in eine sitzende Position und schaute sich um. In seinem Kopf drehte sich alles. „Wir dürfen hier nicht verweilen.“ Es brauchte ihn alle restliche Kraft, die er noch hatte, aufzustehen und die wenigen Schritte zu machen, die ihn von Kyojou trennten. Neben ihm sank er auf die Knie und legte eine Hand auf dessen Schulter. „Kyojou?“, fragte er leise, „alles in Ordnung? Weißt du, wo wir sind?“ Der Braunhaarige richtete sich kraftlos seine Brille gerade und blickte sich um. „Nun, es kommt mir bekannt vor, aber es ist alles irgendwie“, er überlegte, was es wohl sein könnte, dass er es zu kennen schien, er es aber nicht wiedererkannte, „spiegelverkehrt.“ Er blickte sich weiter um, suchend, nachdenkend. „Ja, ja das ist es, es ist alles spiegelverkehrt!“, war er sich sicher. Rei nickte und sprach dann auf ihn ein. „Wir müssen hier weg. Kennst du einen sicheren Ort, wo wir hingehen können? Dein Zuhause vielleicht?“ Kyojou nickte und seine Gesichtszüge wurden ernst. Erschöpft schleppten sie sich durch die Straßen, die nur von schwebenden Lichtern erhellt wurden, die sich schnell bewegten und sich hektisch aneinander vorbei zwängten. „Das sind die Menschen, ihre Seelen leuchten wie Lichter, aber mehr können wir nicht von ihnen sehen“, flüsterte Miriam, sie hatte sich bei Ozuma abgestützt, den anderen Arm um sich geschlungen, als wäre ihr kalt. Sergej fuchtelte mit seinen Pranken durch die Luft, bekamt jedoch nichts zu fassen und das Licht huschte an ihm vorbei, als wäre nichts geschehen. „Sie bemerken uns nicht“, stellte er fest. Sie mochten sich nicht ausmalen, wie die Schatten aussahen. Wenn die Menschen in dieser Dimension Lichter waren, sollte dies bedeuten, dass die dunklen Schatten hier Gestalt angenommen hatten. Ihre Schritte wurden hastiger. Und obwohl ihnen noch schwindelig zumute war, beeilten sie sich, in ein sicheres Versteck zu kommen. Kyojou führte sie, lief hin und wieder gewohnheitshalber in die falsche Richtung, bevor er sich besann, dass er in dieser Dimension spiegelverkehrt denken musste. Alle konzentrierten sie sich auf den Weg, der vor ihnen lag und so bemerkten sie nicht den dunklen Schatten, der hinter Ecken lauernd sie beobachtete. Lediglich die schrillen hochfrequenten Schreie, die gelegentlich und eher weit entfernt die Luft zerrissen, ließen ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Vor einem großen Haus, das sich bis hoch in die grauen Wolken zu erstrecken schien, blieben sie stehen. Befremdet betrachteten sie das graue Gebäude, das sich vom grauen Hintergrund kaum abhob. Zögernde Blicke wurde ausgetauscht. Doch der Gedanke, dass sie keinerorts sicherer sein würden als bei einem Wächter zu Hause, bewegte ihre Füße durch die Tür, hinein in die Finsternis. Wo eigentlich elektrisches Licht brennen sollte, war nichts als Schatten. Der Fahrstuhl schien für sie nicht zu funktionieren und so nahmen sie die vielen Treppen, die sie bis in den elften Stock bringen sollten, schleppten sich nach oben, ohnehin schon erschöpft genug. In der Wohnung angekommen, ließen sich die meisten sofort zu Boden fallen. Schlafen. Sie wollten nur noch schlafen. Andere suchten mit trockenen Kehlen nach etwas Trinkbarem, doch alles was flüssig hätte sein müssen, blieb starr. Kai hatte sich gegen die nächstbeste Wand gelehnt und schüttelte leicht den Kopf ob der Unerfahrenheit, die sich ihm hier bot. Als ob es ein Leichtes wäre, in den Krieg zu ziehen, als ob Nahrungsmittel stets sofort zur Hand wären. Nein. In den Krieg zu ziehen bedeutete, auf Gewohnheiten verzichten und seine Bedürfnisse ignorieren zu müssen. Was für Dummköpfe dies doch waren, die etwas anderes dachten. Er schloss die Augen. Zumindest für sich selbst konnte er sich so erholen und neue Kräfte schöpfen. Unweit von ihm hockte Rei zusammengesackt auf einem Stuhl, nach vorne gebeugt, die Ellbogen auf den Knien aufgestützt und betrachtete mit zu Schlitzen verengten Augen seinen Ring. Einzig die silberne Fassung hielt den gespalteten Glassplitter noch zusammen. Brooklyn. Er hatte ihn entzweit. Er wusste, dass etwas Schreckliches geschehen musste, würde sein Schutzstein komplett zerstört. Dieser Bastard. Er musste irgendeinen Hintergedanken damit hegen. Nur was. Was hatte er vor. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Takao, schritt auf ihn zu, er hatte ihn beobachtet. Reis Kopf zuckte in seine Richtung und ein kleines Lächeln verzog seinen Mund, als er in das besorgte Gesicht seines Freundes blickte. „Nein“, schüttelte er leicht den Kopf, „nein, es ist halb so schlimm, wie es aussieht. Ich denke, er wird standhalten.“ Der Japaner nickte und lächelte zurück. Wenn Rei das sagte, dann musste etwas dran sein. Schließlich würde ein Freund ihn doch nicht anlügen. „Setz dich, Takao, du musst wieder zu Kräften kommen.“ „Ich würde eher zu Kräften kommen, wenn ich etwas essen könnte!“, maulte er, setzte sich jedoch neben Rei auf den Boden. Ein Stück Brot landete in seinem Schoss. „Mehr haben wird nicht mitgenommen“, sagte Moses, doch Takao hatte sich das Stück Brot bereits zwischen die Zähne geschoben und bedankte sich nickend. Moses bot auch Rei ein Stück an, doch er lehnte dankend ab. Zu vertieft war er in seinen Gedankengängen verstrickt, als dass er jetzt etwas hätte essen können. Er machte sich Sorgen, wie sie weiter vorgehen sollten, was sie erwartete. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. „Du solltest wirklich etwas essen, Rei, es würde dir gut tun und dir etwas von deiner verlorenen Energie zurückgeben“, sprach Makkusu auf ihn ein und drückte kurz bestärkend die Finger in seine Schulter. Rei seufzte und nahm das Stück Brot entgegen, knabberte an einem Krümel und ließ sich zurück in seine Gedankenströme ziehen. Alle Aufmerksamkeit nur auf sich alleine gerichtet, entging ihnen der dunkle Schatten, der durch das Fenster spähte. Eingesperrt in einen Raum merkten sie nicht, wie dunkle Schatten an den Hauswänden empor kletterten, wie sie sich die Treppen hochzogen, langsam näher kamen und sie einkesselten. Sie saßen in einer Falle, ohne es zu merken. Grelle Schreie ließen sie aufschrecken, sie die Hände auf die Ohren pressen, die, die auf dem Boden saßen sprangen auf, verwirrt, erschrocken blickten sie sich um, die Augen weit aufgerissen. Das Glas der Fenster zerbarst und flog durch den ganzen Raum, schnitt denjenigen, die am nächsten standen durch Stoff und Fleisch. Die Wächtertiere waren angriffsbereit und knurrten, schrien, fauchten. Die Wohnungstür zerbarst und ein Schwall schwarzer Kreaturen quetschte sich hinein, durch den Türrahmen, durch die Fenster und schrille Schreie ausstoßend, trieben sie die Wächter in einem Kreis zusammen wie Vieh. Überrumpelt, wie sie waren, wussten sie erst nicht, was sie tun sollten, sie starrten die Kreaturen an, die sich vor ihnen aufgebaut hatten, groß ragten sie bis zur Decke, Schwarz wie Pech, hatten sie Gestalten angenommen zwischen Mensch und Tier, mit spitzen langen Zähnen und Krallen, erschaffen, um zu töten. Sie zögerten nur einen Augenblick. Raus. Sie mussten raus hier, in einem solch engen Raum hätten sie keine Chance. Diejenigen, die Waffen besaßen, ließen sie auf die finsteren Kreaturen niedersausen, im Zusammenspiel mit ihren Kräften stellten sie die wirkungsvollste Abwehr dar, die sie momentan aufweisen konnten. Wer mit bloßen Händen kämpfte, stand im Zentrum des Kreises, der sich langsam zu einem Oval Richtung Tür verformte, und schleuderten ihren Feinden Zauber entgegen. Alle brüllten sie durcheinander. Der Versuch, einen Plan zu machen, scheiterte kläglich, sie mussten handeln, keine Zeit blieb zum Überlegen, zum Nachdenken, zu überrumpelt waren sie von dem Hinterhalt der Finsternis. Langsam schlugen sie sich ihren Weg durch den Raum in die Richtung der Tür, wo aber keine Tür mehr war, lediglich ein großes Loch prangte in der Wand, und wo noch mehr der Kreaturen auf sie warteten, schreiend, kreischend, Zähne fletschend. Brüllend ließen einige ihre Waffen auf sie niedersausen. Sie waren verwundbar. Sie waren verletzlich. Sie waren lebendige Gestalten, die ebenso wie andere Lebewesen sterben konnten. Allein dieser Gedanke war es, der sie bestärkte. Eigentlich war es nicht anders, als gegen von Wahnsinn geplagte Menschen zu kämpfen, dachte sich Kai, einzig, dass er eine weitere Waffe einsetzen konnte, die er noch nie zuvor gebraucht hatte. Das Feuer, das sich um seine Klinge wand, brannte tiefe Wunden in das schwarze Fleisch. Leblose Gestalten ließen sie zurück. Schwarze leblose Kreaturen, einzig geschaffen, um zu zerstören. Mit aller überbleibenden Kraft, die sie aufbringen konnten, erkämpften sie sich eine Schneise durch sie hindurch, weg von dem Raum, weg von der Wohnung, die beinahe ihr Grab hätte sein können. Das Treppenhaus war eng. Kai und Boris gingen voraus, die Kreaturen niedermetzelnd, gleich hinter ihnen schoss Mystel tödliche Pfeile auf sie ab, zuhinterst Makkusu, der Wasser aus der Luft zog, und Yuriy, der sie mit des Schamanen Hilfe effizient einfrieren konnte. Doch es waren so viele. Sie drängten sich an ihren toten und erstarrten Gefährten vorbei, ein einziger Schwall und es nahm und nahm kein Ende. Die Wächter konnten ihre Kräfte nicht stark genug einsetzen, die Gefahr, einen von sich selbst du verletzen, war zu groß. Selbst die Wächtertiere wussten nicht genau, wie sie handeln sollten, sie wollten ihren Partnern helfen, doch sie wollten sie nicht verletzen. Wären sie alleine vorgegangen, wären sie in der Unterzahl gewesen, hier im engen Treppenhaus. Sie mussten zusammenbleiben. Nur so konnten sie sicher hier heraus gelangen. „Halt, wartet!“, schrie Takao plötzlich. Sie waren in einem Zwischenstock angelangt, hatten erst gerade die sechste Etage hinter sich gelassen, hinter ihnen häuften sich die schwarzen Kreaturen genauso, wie sie von vorne drängten. „Wir müssen springen!“ Takao fuchtelte wild mit seinen Armen, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen. Er zeigte auf das riesige Fenster. „Bist du verrückt?“, schrien einige zurück, doch Takao blieb hart. „Wollt ihr zerfleischt werden? Vertraut mir!“ Von oben wie von unten kamen massenweise Schattenwesen auf sie zu, mehr als sie in diesem engen Treppenhaus hätten vernichten können, sie krabbelten auf ekelerregende Weise den Wänden entlang, hingen an der Decke. Ihnen blieb keine andere Wahl. Nur letzte Blicke wurden noch ausgetauscht, dann sprangen sie durch das splitternde Glas und fielen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)