Die Vergessenen Wächter von caramel-bonbon ((KaRe) Der Zauber einer anderen Welt) ================================================================================ Kapitel 13: Zweites Buch: Ein Schwert zerbricht ----------------------------------------------- Viele Tage, sogar Wochen zogen durch die Lande, seit Kai nach einigen haarsträubenden Abenteuern endlich sein Wächtertier in Antarktika gefunden hatte. Die Wälder rund um den kleinen Bergsee hatten sich in sämtliche Töne von dunklem Bordeaux über kräftig leuchtende Rot- und Orangeschattierungen bis hin zu zart schimmerndem Gold verfärbt, das hin und wieder vom dunklen Grün der Tannen unterbrochen wurde. Sanft ließ die Sonne ihre Strahlen über das Gebirge streicheln und nur selten durchzogen dichte Dunstnebel die morgendlichen Wälder. Azurblau schimmerte der Herbstenzian auf den Wiesen und bildete mit einigen anderen zarten Blütenblättern weit ausgedehnte bunte Blumenteppiche. Dank Suzaku hatte Kai große Fortschritte in der Kontrolle seiner Fähigkeiten gemacht. Er war nun auch ohne den Lavastein in der Lage, unvorhergesehene oder emotionell bedingte Hitzeausbrüche zu unterdrücken, doch trotzdem trug er den schwarzen Stein weiterhin um seinen Hals. Infolge dessen lernte er mit der Beherrschung seiner Kräfte, auch sich selbst und seine ständig aufkeimenden Gefühle in den Griff zu bekommen. Und mit Reis Hilfe wurde er durch tägliche Meditationsübungen nicht nur zu einer vollkommen ruhigen und ausgeglichenen Person, sondern er lernte auch neue Techniken im Schwertkampf. Wie sich herausstellte war Rei zwar begabt im Umgang mit der Waffe, doch es dauerte nicht lange, da wurde er von dem Russen bereits überwältigt. Denn seine Kampftechnik blieb weiterhin der waffenlose Kampfsport, der weitaus weniger aggressiv war und Schaden anrichtete. Mit kleinen fließenden Bewegungen gelang es ihm immer wieder, seinem Angreifer auszuweichen und ihn mit minimalen Handbewegungen außer Gefecht zu setzen. Doch nie sah Kai, wie der Heiler seine eigenen Wächterkräfte einsetzte. Es war ein kühler Spätherbstmorgen, als Rei ihn erneut zu einem Kampf aufforderte. Während Kai sein Schwert in den Händen hielt, war der Chinese nur mit einem simplen langen Holzstab bewaffnet. Tief ging er in die Knie, den Stab mit nach hinten ausgestrecktem Arm in der Mitte festhaltend und wartete, dass Kai angriff. Er ließ nicht lange auf sich warten. Mit rasender Geschwindigkeit näherte sich die Klinge seinem Gesicht und erst im letzten Moment wich er mit einer grazilen Bewegung aus, rammte den hölzernen Stab in den Boden und stieß sich daran ab. Kai hatte sich gerade umgedreht und bemerkte mit großen Augen den Fuß, der nur eine Fingerbreite vor seiner Nase stoppte. Mit der freien Hand schob er das Bein zur Seite und blickte direkt in Reis grinsendes Gesicht. Schwungvoll stieß er ihn am Fuß zurück und stürzte sich erneut auf ihn. Etwas notbedürftig wurde sein Schwerthieb mit dem Stab geblockt, hinterließ eine tiefe Kerbe im Holz. Es knackte gefährlich. Rei atmete tief ein. Es kribbelte in seinen Fingern. Feine, für das menschliche Auge kaum sichtbare Funken sprangen auf das Holz über. Rei spannte jede Faser seines Körpers an und holte aus. Mit dem Schwung einer ganzen Körperdrehung krachte Holz auf Metall und mit einem lauten Klirren zerbarst die eiserne Klinge. In der Sonne aufblitzend flogen die Splitter durch die Luft und verschwanden zwischen Grashalmen. Regungslos stand Kai an Ort und Stelle und starrte ungläubig auf das zerbrochene Schwert in seinen Händen. Ihm gegenüber stand Rei, still beobachtete er jede kleinste Regung, die von ihm ausging. „Das war eines der besten Schwerter, die es gibt“, flüsterte er heiser. Seine grauen Strähnen verdeckten die Augen. Doch die Lippen waren aufeinander gepresst und hatten ihre zartrosa Farbe verloren. Verbittert ließ er die Hand sinken, die den abgegriffenen Griff umklammerte. Jahrelang hatte ihn dieses Schwert in Schlachten und zahlreiche Kämpfe begleitet und ihm treue Dienste erwiesen. Nun war es zerstört, unbrauchbar. Eine Hand legte sich auf seine Schulter, eine andere um seine Finger, deren Knöchel weiß hervorstanden. „Kai, in der Welt, in der du jetzt lebst, hätte dieses Schwert den magischen Kräften nicht lange standgehalten. Es tut mir leid, aber es war nicht gut genug.“ Niedergeschmettert ließ er die Hand sinken und schaute Rei an, die honigbraunen Augen glitzerten ihn entschuldigend an. „Was soll ich denn machen ohne Waffe? Ich hatte nur dieses eine Langschwert“, entgegnete Kai enttäuscht und etwas wütend zugleich. Dass er ein so gutes Schwert durch einen solch einfachen Schlag eines simplen Holzstabes verlor, schmerzte ihn. Gleichgültig, wie viel Magie dahinter gesteckt haben mochte. Reis Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. Seine Augen begannen zu leuchten und er rüttelte den Russen leicht an der Schulter. „Wir besorgen dir ein neues Schwert“, sagte er enthusiastisch. Kai sah in skeptisch an. „Rei, in gutes Langschwert kann man nicht einfach so besorgen. Viele, die sich Schmiede nennen, taugen nur wenig und wenn es ein guter Schmied ist und der auch ein gutes, reines und hartes Metall verarbeiten kann, dann ist ein solches Schwert unbezahlbar“, belehrte er den Heiler und seufzte resigniert. „Wir brechen auf.“ Diese Worte ließen keine Widerrede zu. Rei drehte sich um und lief mit festen Schritten zurück zum Tempel. Etwas überfordert stöhne Kai auf und sprintete schließlich hinterher. „Könntest du mich mal über deine Pläne aufklären? Es ist schwer dir zu folgen, wenn man nicht weiß, was du willst.“ Planlos stand Kai mitten in Reis Gemach und sah diesem zu, wie er in einem Schrank wühlte und hin und wieder etwas hervorzog und begutachtete, bevor er es wieder zurück steckte oder dem Russen in die Hand drückte. „Zieh das an.“ Ohne ihn anzuschauen, hielt er ihm eine lange Hose aus dickem dunkelbraunem Stoff und ein Hemd, einige Nuancen heller und mit Kapuze, unter die Nase. Kai fragte nicht wieso. Er hatte gelernt, nichts von dem, was der Chinese ihm sagte oder auftrug, in Frage zu stellen. Also tat er wie geheißen und begann, sich umzuziehen, während Rei weiterhin in den Fächern des Schrankes wühlte. Schließlich fand er, wonach er suchte, und stellte zwei Paar kniehohe Stiefel auf den Boden. Aus einem anderen Fach holte er noch zwei Lederwesten, die mit Fell gefüttert waren und warf sie Kai zu. Rasch zog er sich selbst ebenfalls um, schlüpfte dann in die ledernen Stiefel, und warf eine Weste über. Kai tat es ihm schweigend gleich. Die Kleidung erinnerte ihn sehr an die Tracht, die sie in der Antarktis getragen hatten, einfach nicht ganz für solch extreme Temperaturen. Er wartete noch immer auf eine Antwort und er fühlte sich wieder einige Wochen zurückversetzt. Der Heiler benahm sich genau so still und geheimnisvoll wie zu der Zeit, als sie sich kennen gelernt hatten. Er sprach zwar nicht mehr so sehr in Rätseln, aber er verriet ihm auch nicht, was er eigentlich im Sinn hatte. Allerdings würde er sich das nicht mehr gefallen lassen. Er packte Rei an der Schulter und drehte ihn zu sich um, damit er ihn direkt ansehen musste. Überrascht blickte er den Russen mit großen Augen an. „Wohin und zu wem gehen wir, Rei?“, fragte er klar und deutlich und beharrte darauf, eine Antwort zu bekommen. „Zu einem Schmied in den Bergen“, entgegnete er kurz angebunden und machte sich aus Kais Griff los, „nun komm, holen wir noch etwas Proviant, dann brechen wir auf. Suzaku und Byakko kommen natürlich mit.“ Ein Seufzer verließ seine Kehle. Solch eine Antwort war typisch für den jungen Chinesen, da half all sein Hoffen auf eine ausführliche Erklärung nichts. Doch dann wurde ihm plötzlich bewusst, dass er nach dieser Zeit mit Rei, wieder einmal einen anderen Menschen sehen würde. Diese Vorstellung mutete ihm merkwürdig zu. Er hatte sich dermaßen an das zweisame Leben mit dem Chinesen gewöhnt, dass er beinahe vergessen hatte, dass es noch andere Menschen gab. Und er wusste nicht recht, ob er sich freuen sollte, oder ob er dies eher als eine Störung betrachtete. Voller Elan machte sich Rei mit Kai und ihren beiden Wächtertieren im Schlepptau auf den Weg. Suzaku und Byakko verstanden sich prächtig. Hatten sie sich anfangs noch zögerlich beschnuppert und waren sich aus dem Weg gegangen, so neckten sie sich mittlerweile gegenseitig und bildeten ein starkes Team. Denn auch sie hatten die vergangenen Wochen genutzt, um ihre Fähigkeiten zu verbessern und sich zu stärken. Dies war von großer Bedeutung, wollten sie ihren Wächterpartnern beim Kampf schließlich keine Behinderung sein. Mitten auf dem Weg blieb Rei abrupt stehen und Kai, der nicht auf ihn geachtet hatte, lief beinahe in ihn hinein. Halb drehte er sich zu ihm um und blickte ihn mit einem ernsten Gesichtsausdruck an, als würde er etwas abwägen. Die Augenbrauen waren tief nach unten gezogen und er biss sich auf die Unterlippe. „Ich hab vergessen dir etwas Wichtiges zu sagen“, stellte er fest. Kai war versucht, mit den Augen zu rollen, doch er unterließ es und wartete stattdessen. „Wir reisen wieder durch das Labyrinth von Raum und Zeit. Aber“, sprach er und drehte sich ganz zu ihm um, „weißt du eigentlich, warum das so heißt?“ Ein Schulterzucken. „Ich dachte, vielleicht weil es in einer anderen Zeitdimension existiert?“, vermutete Kai. „Das stimmt teilweise. Aber darum geht es nicht. Dank dieses Labyrinths können wir nicht nur durch den Raum reisen, sondern auch durch die Zeit.“ Kais Augen weiteten sich und in seinem Bauch kribbelte es. Er hatte nämlich so eine Ahnung, was das genau bedeuten sollte. „Du meinst, wir können einfach in eine beliebige Zeit springen?“ „Genau! Wie denkst du denn, habe ich dich gefunden? Wächter sind nicht nur räumlich voneinander getrennt, sondern auch in sämtliche Zeitalter verstreut. Bevor ich wusste, in welchem Land ich dich finden würde, musste ich herausfinden, in welcher Zeit du lebst. Deshalb ist es auch so schwierig, einen Wächter zu finden. Und wir machen jetzt auch eine kleine Zeitreise von ungefähr vierhundert Jahren.“ Kais Kinnlade sackte nach unten und ein heftig ausgeblasener Luftstoß verließ seine Kehle. „Vierhundert Jahre?“ Er musste nochmals nachfragen, das konnte er schlicht nicht glauben. Doch Rei nickte. „So viel“, nuschelte der Russe und blickte auf seine Hände. „Es geht noch viel mehr. Theoretisch können wir mehrere hunderttausend Jahre durch die Zeit reisen. Allerdings ist das nicht ganz ungefährlich. Der Reisende könnte die Realität aus den Augen verlieren, oder versuchen, etwas an der Vergangenheit zu ändern. Das kann schlimme Folgen haben. Doch alleine schon mit einem Realitätsverlust ist nicht zu spaßen. Der Reisende verliert einen Teil seiner Identität, er kann vergessen, von wo er ursprünglich kam, oder sogar, wer er ist.“ Mit kreisenden Bewegungen massierte Kai sich die Schläfen und versuchte, sich das alles vorzustellen. Es war unmöglich. Seine Gedanken verhakten sich und zurück blieb nur ein stechender Schmerz. „Alles in Ordnung?“, fragte Rei etwas besorgt. Dass das Kopfnicken, das er als Antwort erhielt, nicht stimmte, war ihm sehr wohl bewusst. Er wusste noch genau, wie er auf diese Information reagiert hatte. Damals hatte er laut losgelacht, weil er dachte, es sei ein Witz und der andere wollte ihn veräppeln. Als ihm aber versichert wurde, dass dies der volle Ernst sei, saß er lange einfach nur da und starrte in die Leere. „Rei?“ Kais Stimme war nur ein unsicheres Flüstern und sein Blick hatte sich irgendwo weit hinter dem Heiler verloren. Seine Augen waren glasig und er blickte durch ihn durch. „Ja?“ Er wartete geduldig, bis der Russe sich etwas fassen konnte und sich räusperte. Er sah ihn nun an. Sein Gesicht war angespannt und die Züge argwöhnisch verzogen. „Sag mal“, fing er an, wusste dann aber nicht, wie er weiterfahren sollte. Er haderte. „Lass dir Zeit“, sprach Rei ruhig und drehte sich um, wollte weiter seinen Weg schreiten. Eine Hand hielt ihn fest. Er blickte fragend auf. „Warte, Rei.“ Kais Gesichtszüge hatten sich wieder gefestigt und er zog die Luft tief in die Lungen. „Ich kann es zwar nicht so richtig glauben, aber aus welcher Zeit kommst du?“ Reis Blick verdüsterte sich, seine ansonsten entspannten Gesichtszüge wurden hart. In seinen leuchtenden Augen lag Schwermut und Trauer und ein matter Glanz legte sich über die hellen Iriden. Seine Lippen waren aufeinander gepresst, so dass sämtliches Blut aus ihnen wich. Er senkte den Kopf und versuchte, sich unter Kais Hand, die noch immer auf seiner Schulter lag, wegzudrehen. Doch der Griff verstärkte sich und zwang ihn, ihm gegenüber stehen zu bleiben. Er schüttelte leicht sein Haupt und einige seiner schwarzen Haarsträhnen schwangen hin und her. „Ich weiß es nicht mehr.“ Das Schütteln wurde heftiger. „Ich habe es vergessen“, flüsterte er. Fest drückte er die Augen zusammen und mit einem Ruck befreite er sich aus der Umklammerung. „Ich weiß nicht mehr, welcher Zeit ich entstamme“, sprach er mit rauer Stimme und mit dem Rücken zu Kai gewandt, „ich bin so oft durch die verschiedensten Zeitalter gereist, dass ich vergessen habe, meinen Ursprung zu wahren. Ich bin zu einem Zeitlosen geworden. Einer, der lebt, in der Zeit vor und zurück springt, ohne die Regeln der Zeit einzuhalten.“ Ein letzter schwermütiger Blick direkt in die blutroten Augen, die ihm Halt gaben, dann drehte er sich wortlos um und folgte dem kleinen Pfad durch den Wald, dessen Bäume Blätter im Wind rauschten und golden schimmerten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)