Die Vergessenen Wächter von caramel-bonbon ((KaRe) Der Zauber einer anderen Welt) ================================================================================ Kapitel 7: Schutzsteine ----------------------- Überfordert blieb Kai in den heißen Quellen zurück. Die Decke anstarrend grübelte er eine Weile über Reis merkwürdiges Verhalten nach, bevor auch er die steinerne Wanne verließ. Seine Finger begannen bereits schrumpelig zu werden, außerdem hatte er für heute eindeutig genug Wasser gesehen. Was er jetzt brauchte war ein Lager und später etwas in den Magen. Nackt ließ er sich auf sein Futonbett fallen und zog die Decke über sich, das Gesicht in das weiche Kissen gedrückt. Es dauerte nicht lange, da war er in einen leichten Schlaf hinübergeglitten. Doch auch im Traum ließen ihn seine Gedanken nicht los. Vor seinem geistigen Auge blickten ihn honigfarbene Iriden funkelnd an und sinnlich geschwungene Lippen formten Worte, die er nicht verstand. Sie verzogen sich zu einem lieblichen Lächeln, kamen langsam näher. Öffneten sich. Kai zwang sich, die Augen aufzureißen und seine äußerst sündigen Vorstellungen abzuschütteln. Was tat er da eigentlich, das gehörte sich nicht. Es hatte nichts zu bedeuten. Weder Reis Nähe, noch seine Berührungen. Das war nur, weil er sich als Heiler Sorgen um ihn und sein Wohlergehen machte. Also war es absolut unnötig, wie ein pubertierender Junge darauf zu reagieren. Trotzdem musste er sich eingestehen, dass Rei auf eine gewisse Weise sogar für ihn attraktiv war. Er war sinnlich und Mann zugleich. Ein Glück hatte er genug Selbstbeherrschung, denn Kai war sich bewusst, dass er ansonsten irgendwann etwas tun würde, was er nachher bereuen würde. Doch genau das wollte er verhindern. Er stand auf, zog sich eine Hose an und machte sich auf den Weg in den Wohnraum. Das Panoramafenster erlaubte keinen schönen Ausblick. Noch immer war der Himmel mit düsteren Wolken verhangen und Regen prasselte ununterbrochen gegen das Glas. Weder von Rei, noch seinem geliebten Byakko, war eine Spur zu sehen. Kai vermutete, dass sie sich in seinem Gemach befanden und sich ausruhten, so wie er es bis eben noch getan hatte. Er entschloss sich, ein wenig auf Wanderschaft zu gehen und diesen Tempel zu erkunden. Doch außer einer Vorratskammer und einer weiteren Schlafstube enthielt er keine weiteren Zimmer. Nur noch eines. Kai stand vor der geschlossenen Doppeltür, hinter der er Rei vermutete. Er zögerte lange, überlegte hin und her, ob er es wagen, oder doch zurück in den Wohnraum gehen sollte. Verärgert über sich selbst raufte er sich die Haare. Das durfte doch nicht wahr sein. Er, der große Krieger, war zu nervös und unsicher, um an eine Tür zu klopfen. Unfassbar. Ein letztes Mal atmete er tief ein, bevor er die Hand hob, kurz gegen das Holz hämmerte und dann ohne auf eine Antwort zu warten eintrat. Das Zimmer war größer als die anderen Schlafgemächer. Einige hölzerne Möbel zierten den Raum, in der Mitte stand ein tiefer Tisch, umrundet mit Kissen, auf dem ein Teekrug und eine dazu passende Schale standen. Auf der einen Seite des Raumes stand ein großer uralter Bonsai. Zu seinen Füßen ein großer Zengarten mit einigen vollkommen runden, weißen und schwarzen Steinen und ein kleiner Rächen, um Muster in den hellen Sand zu zeichnen. In der Ecke gegenüber war eine halbrunde Schlafnische in den Boden eingelassen, mindestens dreimal von der Größe seines Futons. Die Laken waren verwühlt, vor kurzem lag noch jemand drin. Doch im Moment sah er nur Byakko, der sich genüsslich auf der weichen Matratze fläzte und schnurrte. Kais Blick schweifte weiter durch den Raum. Ein großes Fenster, wie nicht anders zu erwarten ein weiteres Panoramafenster. Davor stand Rei in seinem blauen Kimono. Er hatte den Kopf ein wenig auf die Seite gelegt und verträumt nach draußen schauend kämmte er sich die langen schwarzen Haare, die offen über seine Schulter hingen. Mit einigen wenigen Schritten hatte Kai das Zimmer durchquert und fand sich hinter Rei wider. Wortlos langte er an ihm vorbei und hielt sein Handgelenk, das immer wieder die gleiche monotone Bewegung durchführte, fest, darauf bedacht die nackte Haut nicht zu berühren. Etwas erschrocken drehte sich Rei zu ihm um. „Kai, was machst du hier?“, fragte er verwirrt. Doch Kai antwortete nicht. Stattdessen nahm er ihm den Kamm ab und fing an, an Reis Stelle sein Haar zu kämmen. Er ließ es zu, schaute wieder nach draußen, schloss dann aber genüsslich die Augen. Eine Weile standen sie nur wortlos da und Kai fuhr sachte durch die schwarzen Strähnen. „Meine Mutter sagte einmal, eine der größten Freuden im Leben ist es, sich die Haare kämmen zu lassen. Ich war noch sehr klein, als sie mir das sagte, doch es ist eine der wenigen Erinnerungen, die ich an sie habe.“ „Deine Mutter hatte recht“, erwiderte Rei liebevoll. Das Geräusch des Kamms, der durch die schwarzen Haare glitt, war wieder das einzig vernehmbare. Kais Aufmerksamkeit entging dabei nicht, dass der Chinese es genoss, denn Gänsehaut hatte sich auf seinem Nacken gebildet und zog sich seinen Hals empor. Und doch stellte er erneut die Frage. „Kai, was machst du hier?“ Der Russe rang mit sich, er wusste doch selbst nicht, was er sagen sollte. „Weil ich mich gefragt habe, wo du heute Morgen warst, denke ich“, antwortete er schließlich selbst nicht ganz überzeugt. Rei lächelte schwach und wandte sich um, ließ Kai beim Fenster stehen und ging auf eine Kommode zu, auf der eine kleine hölzerne Schachtel lag. „Ich musste etwas besorgen. Siehst du das?“, er öffnete die Holzschachtel, während er sprach und nahm einen schwarzen Stein heraus, hielt ihn dem Krieger vor die Nase, „das ist ein Lavastein, den gibt es nur in Vulkangebieten.“ Vorsichtig strich Kai über die matte, löchrige Oberfläche des nussgroßen Steins. Er fühlte sich kalt an. „Trage ihn. Er wird deine überschwängliche Hitze absorbieren. Nimm ihn nur ab, wenn es wirklich notwendig ist.“ Etwas skeptisch hielt er das feine Lederband hoch, an dem der Lavastein baumelte. „Heißt das, ich muss nicht mehr aufpassen, was ich anfasse?“ Rei nickte. „Und alles fühlt sich wieder so an wie früher?“ Ein erneutes Nicken. Kai starrte nochmals kurz den Stein an, dann steckte er seinen Kopf durch das Lederband. Das kalte Gestein fand seinen Platz in der Mitte seiner Brust und kaum berührte es seine Haut, fühlte er, wie sich die Wärme, die seinen Körper erfüllte, aus den Fingern und Füßen zurückwich und die Kälte stattdessen seine Arme und Beine hinauf kroch, bis die Hitze seinen Körper vollständig verlassen hatte. Er fröstelte. Rei machte einen Schritt auf ihn zu und hob die Hand, legte sie probeweise auf Kais Arm. „Es hat geklappt“, lächelte er erfreut. Kai dagegen war sich nicht sicher, ob er glücklich über diesen Zustand sein sollte, immerhin hatte er sich schon daran gewöhnt und es war zudem recht praktisch, immer angenehm warm zu haben. Doch andererseits konnte er sich so auch wieder über Alltägliches wie heißen Tee, Essen oder die Quellen erfreuen, das Sonnenlicht auf seiner Haut spüren. Oder eine hauchzarte, warme Berührung. Das war auch nicht schlecht. Früher hatte er auch so gelebt. Und ständig nur mit einer Hose bekleidet herumzulaufen fand er auch nicht angemessen. Er wollte sich bedanken. Bevor er allerdings ein Wort sagen konnte, ertönte ein Grummeln aus der Richtung seines Bauches. Schuldig schielte er Rei an, der sich nur schwer das Lachen verkneifen konnte. Kais Blick allerdings ließ ihn losprusten und belustig stimmte er mit ein. Nachdem sich Kai etwas angezogen und beide gegessen hatten, beschäftigte sich wieder jeder für sich. Rei meditierte lange und ging dann irgendwelchen Recherchen nach, las Pergamentrollen und studierte Karten, die, wie er erklärte, die Welt abbildeten. Kai hingegen hatte die wenigen übriggebliebenen Waffen, die er während den Kämpfen bei sich getragen hatte, von Rei zurückbekommen, jedoch nicht ohne einen unzufriedenen Gesichtsausdruck. Es war offensichtlich, dass er Waffengewalt verabscheute. So setzte sich der Krieger im Wohnraum auf ein großes Kissen und putzte die scharfen Klingen seines eigens für ihn angefertigten Schwertes und des Dolches, den er normalerweise stets auf dem Körper trug. Auf dem Metall klebte noch immer feindliches, eingetrocknetes Blut der vergangenen Schlacht. Nur mit viel Wasser und Schrubben löste es sich allmählich auf und brachte das glänzende Eisen zum Vorschein, aus dem die Klingen bestanden. In beide Griffe war ein dunkelroter Rubin eingelassen, der ihn als etwas Besonderes, nämlich als einen der besten, wenn nicht sogar als den besten Krieger der russischen Armee auszeichnete. Etwas, worauf er bis vor Kurzem noch stolz gewesen war. Doch seit er Rei kannte, begann er immer mehr am Zweck seiner früheren Lebensweise zu zweifeln. Er hatte ein Leben voller Krieg geführt und war blind dafür gewesen, dass es auch Frieden auf dieser Welt gab. Dank Rei wusste er es jetzt besser. Nach einer Weile gesellte sich Byakko zu ihm. Argwöhnisch fixierte er das lange Schwert mit seinen leuchtenden Augen, kam etwas näher, um es kritisch zu beschnuppern und knurrte abschätzend, den Rücken zu einem Buckel gekrümmt. Die Nackenhaare standen ihm zu Berge. Kai grinste. „Du bist wie dein Herrchen, was?“ Er tat die Waffe beiseite, worauf sich Byakko zu ihm legte. Kai hob eine Hand und streichelte durch das weiche, dicke Fell. Der Tiger fing nicht an zu schnurren, so wie er es bei Rei tat, sobald dieser auch nur in der Nähe war, doch er schien ihm wenigstens zu vertrauen. „Wieso bist du denn nicht bei Rei?“ Das Knurren, das Byakkos Kehle verließ, klang wie ein beleidigtes Grummeln. „Hat er dich etwa weggeschickt? Aber ansonsten ist alles in Ordnung mit ihm?“ Byakko platzierte seinen Kopf auf Kais Knie und schloss die Augen. Wäre tatsächlich etwas vorgefallen, hätte der Tiger wohl kaum so ruhig reagiert. Kein Grund zur Sorge also, dachte sich Kai und kraulte ihn hinter den Ohren. Draußen regnete es unaufhörlich weiter und der düstere Tag neigte sich dem Ende zu. Der Russe hing wie so oft in letzter Zeit seinen Gedanken nach und nur Byakko hielt in davon ab in eine Apathie zu fallen, indem er ihn mit seiner feuchten Schnauze anstupste, sobald er aufhörte, ihn zu liebkosen. Es war schon dunkel, als Rei plötzlich auftauchte. Seine Haare waren auf einer Kopfseite ganz verwuschelt vom ständigen hindurch Fahren, die Augen vom angestrengten lesen klein und von einem Schatten unterlegt. „Oh Kai! Gut bist du da. Hör mal, wir brechen schon bald auf um dein Wächtertier zu suchen. Ich glaube zu wissen, wo wir es finden. Nicht zu fassen, dass ich so lange gebraucht habe um draufzukommen“, sprach er mehr zu sich selbst, er schien ein wenig durcheinander zu sein. Doch Kai war hellhörig geworden und aufgeregt richtete er sich ein wenig auf. „Wo soll es denn hingehen?“, fragte er neugierig. Auch Byakko hob den Kopf, als würde er jedes Wort verstehen. Rei setzte sich im Schneidersitz auf ein Kissen auf Byakkos andere Seite und stützte sich mit den Händen auf den Knien ab. „Wo würdest du am allerwenigsten danach suchen?“ Kai zog eine Augenbraue in die Höhe. „Unter welchen Kriterien?“ „Alles was wir wissen, ist, dass es sich bei deinem Wächterpartner um ein Feuertier handelt. Das kann alles Mögliche sein.“ „Das heißt, jegliche Wüsten und Vulkane fallen weg?“ Ein Nicken seitens Rei bestätigte ihn. „Und du hast nicht die kleinste Vermutung, was es für ein Tier sein könnte?“ Ein Kopfschütteln. „Nicht die leiseste. Das weiß man nicht im Voraus. Ich hätte auch nicht damit gerechnet, dass Byakko ein weißer Tiger sein würde.“ Liebevoll strich er ihm dabei über die Stirn. „Wo hast du ihn gefunden?“, hackte Kai nach. „Auf dem Meeresgrund, eingeschlossen in einer Kugel aus Glas. Dieses Glas, um genau zu sein.“ Er zeigte Kai einen Ring, den er am Zeigefinger trug und ihm noch nie aufgefallen war. Silber umfasste einen transparenten, grünen Glassplitter. Automatisch griff er nach dem Lavastein, der um seinen Hals baumelte. Rei grinste. „Genau, er hat die gleiche Funktion.“ „Aber wieso Glas?“, fragte Kai die Stirn runzelnd. „Glas entsteht, wenn ein Blitz in Sand einschlägt“, wurde er darauf belehrt. Kai nahm Reis Hand in seine, hob sie hoch und beäugte den Ring genauer. Der grüne Stein hatte nichts mit den rotgelben Körnern gemein, die ganze Horizonte bedeckten. Ein seltsamer Streich der Natur. „Kann es sein, dass sich mein Wächtertier auch im Meer befindet?“ Rei schüttelte den Kopf, ebenso wie bei den Vorschlägen Wald, Berge, Wüste und unterirdische Höhlen. „Komm schon, Kai, wo hat Feuer nicht die geringste Chance zu entfachen?“ „Im Himmel?“ „Ja, auch, aber wo noch? Komm schon“, drängte Rei beinahe zappelig vor Aufregung, „wo gibt es nichts, das brennen kann? Zugegeben, Meer war schon nicht schlecht.“ Langsam schien es Kai zu dämmern. Mit geweiteten Augen blickte er den Chinesen an. „Rei, gibt es ein Land, das nur aus Eis besteht?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)