Ein philosophisch-moralisches Paradoxon von abgemeldet (oder wieviele Züge braucht man, um Seto Kaibas Herz zu gewinnen?) ================================================================================ Kapitel 30: Motiv ----------------- Hüte Dich, Deine Feinde zu hassen, denn es trübt Dein Urteilsvermögen! Wieder habe ich jedes Zeitgefühl verloren. Wir sitzen einfach da und reden. Nun, eigentlich redet er. Es sprudelt nur so aus ihm heraus und ich hüte mich davor, den Wortschwall zu unterbrechen, denn ich weiß, dass er jetzt reden muss, all das was in ihm ist, es muss raus und wenn er es jetzt nicht raus lassen kann, nun, vielleicht gibt es kein zweites Mal. Also sitze ich einfach da und lausche seinen Worten. Er sieht mich nicht wirklich an. Sein Blick ist ins Leere gerichtet und ich bin auch nicht sicher ob er weiß, dass ich noch da bin. Nachdem er die ersten Worte ausgesprochen hatte, gab es kein zurück mehr. Da war diese stumme Bitte in seinen Augen und ich wusste nicht wirklich was ich tun soll. Einerseits dachte ich, dass er mir zu sagen versucht, dass ich gehen solle, dass ich ihn alleine lassen soll, jetzt wo er an diesem Punkt angelangt ist. Ja, fast hätte ich geglaubt, dass dies sein Wunsch sei und ich wäre der Bitte auch nachgekommen, aber andererseits spürte ich, dass ich ihn nicht alleine lassen sollte und dass auch er vielleicht gar nicht alleine sein will. Also bin ich geblieben und er hat es hingenommen. Wortlos gingen wir zurück ins Wohnzimmer und bezogen wieder unsere Plätze wie in dieser Nacht als wir hier saßen und redeten. Er in seinem Sessel, ich auf dem Boden. Und seither sprudelt es aus ihm heraus. Alle Dämme scheinen gebrochen und ich werde mit Worten überflutet, dass ich fast Angst habe, ich könne ihnen nicht Stand halten. Doch er hat mein Wort. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm sein Leben zurück geben will und Joey Wheeler steht zu seinem Wort. Also bemühe ich mich, ihm zu folgen und es sind wahrhaft dunkle Pfade, die ich betrete. Er hat von seiner Zeit im Waisenhaus erzählt, aber anders als er es zuvor getan hat. Dieses Mal lässt er alles heraus. Schildert mir, wie es wirklich war, fertigt mich nicht nur mit den allgemeinen Phrasen ab, sondern berichtet von der Hackordnung, die dort herrschte. Von älteren Heimkindern, welche die Jüngeren drangsalierten und auch vor Mokuba nicht zurück schreckten. Er erzählt von dem monotonen Tagesablauf, den täglichen Kämpfen, die er auszufechten hatte - sei es nun um den Nachtisch, den er nicht einmal für sich selbst wollte, sondern für seinen Bruder oder den Spielsachen, welche die Älteren immer für sich beanspruchten. Er berichtet das alles nüchtern und sachlich. Fast als würde er über das Leben eines anderen erzählen und nur, wenn von Mokuba die Rede ist, spüre ich, dass es sein Leben ist, keine fiktive Erzählung. Als er auf seinen Stiefvater zu sprechen kommt, wird seine Stimme kühler, schärfer und fast klingt er wie der Kaiba, den ich kenne, der mir bis vor kurzem noch so vertraut war. "Ich wusste, dass das Leben bei Gozaburo keineswegs das Paradies werden würde, aber ich wollte nicht länger in diesem Heim bleiben. Mokuba hätte das nicht verkraftet. Gleichgültig wie sehr ich mich bemüht habe, ihn aus allem herauszuhalten, früher oder später wäre es mir nicht mehr gelungen und Gozaburo interessierte sich nicht für ihn. Mokuba war ihm egal. Ich wusste, dass er ihn in Ruhe lassen würde, solange ich funktioniere wie er es will." Er lächelt kalt und zieht an seiner Zigarette. "Kannst du dir vorstellen, was für ein Tag es war, als der Alte endlich vor mir auf die Knie gehen musste?" Seine blauen Augen funkeln und sein Gesichtsausdruck erinnert mich an die unzähligen Duelle, die er gegen Yugi geführt hat. Ich weiß nicht was es ist, Ehrgeiz, Stolz... Wut? Vielleicht von allem etwas. Aber auch Triumph. Stummer, trauriger Triumph. "Ich dachte, dass dieser Tag alles verändern würde. Ja, dass wir endlich frei wären und glücklich werden könnten, Mokuba und ich. Schließlich hatten wir alles, was wir uns wünschen konnten und noch viel mehr. Vor allem hatten wir uns. Aber ich habe mich geirrt. Mein Sieg über meinen Stiefvater.... Es war kein Sieg. Nicht wirklich. Gozaburo war weg und doch war er nach wie vor da. Gleichgültig wohin ich auch blickte. Selbst wenn ich die Augen schloss. Er war da. Es gab kein Entkommen." Ich schlucke unwillkürlich und er zündet sich die nächste Zigarette an. "Also habe ich alles versucht, um die Erinnerung an ihn auszulöschen, aber weißt du was? Gleichgültig was ich tue, ob ich nun seine alten Fabriken in die Luft jage oder sein Andenken ausradiere, er verschwindet nicht. Und soll ich dir sagen warum?" Jetzt sieht er mich an. Er wirkt müde und unendlich... traurig und es versetzt mir einen Stich. Ich kann nicht beschreiben was es in mir auslöst, ihn so zu sehen. Es tut weh einerseits, aber ich fühle mich ihm mit einem Mal auch so nah wie nie einem Menschen zuvor. Als gäbe es nur uns. Und jetzt und hier ist dem auch so. Ich nicke nur und er lacht erneut auf. Ohne den Blick von mir zu nehmen, fährt er fort und ja, er klingt tatsächlich fast wieder so wie der alte Kaiba. Wie mein Erzfeind. "Weil er ein Teil von mir geworden ist, Joey. Gozaburo ist ein Teil von mir. Ich trage nicht nur seinen verhassten Namen. Ich trage ein Stück von ihm in mir und das kann ich nicht loswerden. Es begleitet mich Tag für Tag und ich weiß es, in jeder verdammten Minute bin ich mir dessen bewusst. Und manchmal glaube ich, dass auch Mokuba das weiß oder es fühlt und..." Er fährt sich fahrig mit der Hand durch die Haare und schließt im nächsten Moment die Augen. Wenn ich mich nicht irre, hat es gerade in seinen Augen noch gefährlich geglitzert und so wie er die Augen jetzt geschlossen hält, glaube ich, dass es tatsächlich Tränen waren. Eigentlich sollte es mir einen Schock versetzen. Ich meine, Seto Kaiba und Tränen? Die meisten Leute würden denken, er wäre nicht einmal in der Lage zu weinen. Oder zu lachen. Lachen kann er, das weiß ich. Und weinen... ja, das kann er auch. Aber er wird es nicht tun. Nicht vor mir, vor niemandem, auch wenn es besser wäre. Mokuba hat gesagt, dass er ihn noch nie hat weinen sehen. Noch nie in seinem Leben. Gleichgültig was je passiert ist, ob man ihn schlug, züchtigte oder was auch immer Gozaburo noch mit ihm gemacht hat, Mokuba sagte, er habe nie geweint. Kein einziges Mal. Und auch jetzt will er es nicht. Ich sehe ihm an, dass er jede Faser seines Körpers angespannt ist und die eiserne Selbstbeherrschung, die er an den Tag legt, gegen die Tränen kämpft. Ein Kampf, den man normalerweise nicht gewinnen könnte, oder? Nun, jeder andere würde die Tränen einfach zulassen, gleichgültig ob Mann oder Frau. Bei solchen Erinnerungen müssten sie einem nicht peinlich sein. Mir wären sie nicht peinlich. Aber für ihn bedeuten sie Schwäche. Aber ich verstehe, was er mir zu sagen versucht. Er hat nicht nur Gozaburos Erbe angetreten, auch wenn er die Firma umstrukturiert hat, ein Teil von ihm ist auch so geworden, wie sein Stiefvater. Die Erziehung ist nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Sie hat ihn geprägt und verändert, zu einem Geschöpf Gozaburo Kaibas geformt, dass zwar dagegen ankämpft, aber dennoch machtlos dagegen ist. Er ist zu dem geworden was er am meisten verabscheut und... ein Mensch kann nicht ändern was er ist. Er kann andere überzeugen, dass er jemand anderes ist, aber niemals sich selbst. Und er weiß oder denkt, dass er wirklich und wahrhaftig zu einem Kaiba geworden ist und ironischerweise muss er das auch sein, um in dieser, seiner Welt bestehen zu können, denn ein ganz normaler Seto wäre wohl kaum in der Lage, diese riesige Firma zu leiten und sich gegen Konkurrenten zu behaupten. Zumindest glaubt er das, wenn ich ihn richtig einschätze. Vielleicht stimmt dieses Sprichwort tatsächlich: Es gibt zwei Tragödien im Leben. Die Eine ist, nicht zu bekommen was man sich von Herzen wünscht und die Zweite ist, dass man es bekommt. Er hat sich ein besseres Leben für seinen Bruder und sich gewünscht und er hat es bekommen. "Aber du bist nicht Gozaburo." sage ich plötzlich. Er reagiert nicht. Sein Blick ruht wieder irgendwo im Raum. Also wiederhole ich meine Worte, ohne dass ich eigentlich weiß, was ich sagen soll. "Aber du bist nicht Gozaburo Kaiba. Du bist Seto, Seto Kaiba." Erneut zeigt er keine Reaktion, zumindest keine wirkliche, aber ich weiß, dass er mich gehört hat. Ich erhebe mich langsam und trete zu ihm, stelle mich genau in seine Blickrichtung. Die kühlen blauen Augen sehen direkt in meine. Mir ist seltsam zumute. Ich weiß, dass ich irgendwas sagen muss, aber mir fehlen die Worte und ich würde wohl besser daran tun, sie mir auch genau zu überlegen, aber wenn ich anfange darüber nachzudenken... Ich glaube, es gibt nicht die richtigen Worte, welche in dieser Situation wirklich passend wären. Ich glaube sowieso nicht, dass es diese berühmten richtigen Worte oder passende Momente gibt, folglich ist es sinnlos danach zu suchen oder darauf zu warten. Zudem bin ich nicht unbedingt gut darin, lange nachzugrübeln. Bei den wichtigsten Dingen in meinem Leben habe ich immer auf mein Bauchgefühl gehört. Im Grunde nichts anderes als das was Yugi immer predigt. Auf das Herz der Karten zu vertrauen ist doch letztlich nichts anderes als auf das Gefühl zu hören. Und mein Gefühl sagt mir gerade, dass ich reden soll. Das aussprechen soll, was mein Bauch mir gerade sagt. Wieder sieht er mich so an, als erwarte er etwas von mir. Oder bilde ich mir das einfach nur ein? Nein, es ist da. Diese stumme Bitte. Erwartung. Vielleicht sogar Hoffnung? Ja, vielleicht sogar das. Mein Herz pocht hart gegen meinen Brustkorb und ich schlucke. Jetzt muss ich wirklich etwas sagen. Aber was? Was kann ich ihm sagen? "Du hast einen Grund." sprudelt es mit einem Mal aus mir raus. "Ja, du hast einen Grund. Du hattest immer einen Grund. Das unterscheidet dich von Gozaburo. Selbst jetzt nach all den Jahren, nachdem er weg ist, hast du noch immer einen Grund." höre ich mich sagen und ich glaube, ich rede so schnell, dass er mir kaum zu folgen vermag. Zumindest sieht er mich verständnislos an, aber ich kann jetzt auch nicht darauf achten, langsamer zur Reden. "Mokuba." verkünde ich feierlich. "Mokuba ist dein Grund. Der Sinn hinter allem. Du hast selbst gesagt, dass er der Antrieb war. Für alles und es auch jetzt noch ist. Du hättest längst aufgegeben, wenn er nicht wäre. Seinetwegen nimmst du alles auf dich. So ist es doch, oder? Hättest du Gozaburos Erziehung über dich ergehen lassen, wenn er nicht gewesen wäre? Hättest du versucht, deinen Stiefvater loszuwerden, wenn es deinen Bruder nicht gäbe? Nein. Weil er dein Grund ist. Der Sinn, dein Antrieb. Und das unterscheidet dich von dem alten Kaiba." Oh, jetzt bin ich richtig in Fahrt. Hallelujah! "Kaiba, du liebst deinen Bruder. Mag sein, dass dir der Rest der Welt egal ist, aber es gibt einen Menschen, den du liebst und das beweist, dass du kein kaltes Arschloch bist. Hat Gozaburo einen Menschen geliebt? Nein, nicht einmal seinen eigenen Sohn! Noah hat es selbst gesagt und du weißt es." Ja, jetzt schleudere ich ihm die Worte entgegen und er lässt sie über sich ergehen, sieht mich einfach nur an und hört zu. Ich seufze. "Und denk doch mal an Yugi. Hast du ihm letztlich nicht immer geholfen? Gut, du hasst es das zu zu geben, aber du hast es immer gemacht. Und ja, du hast uns geholfen, die Welt zu retten, nicht nur einmal. Sinnlos es zu leugnen. Yugi hat Recht, du hast einen guten Kern und ich weiß es auch. Mokuba weiß es und ich schätze, auch Tea und Tristan wissen es irgendwie." Ich schnappe nach Luft und ehe ich weiter reden kann, höre ich ihn etwas sagen. "Wie kannst ausgerechnet du so was sagen, Wheeler?" Ich blinzele ihn an. Im ersten Moment weiß ich nicht was er meint. Dann verstehe ich. "Kaiba, wie oft hast du mir gedroht, mich zu verklagen, mich von der Schule werfen zu lassen und was weiß ich noch? Wie oft hast du es gesagt und ich habe trotzdem nicht nachgegeben?" Es ist eine rhetorische Frage, das weiß er auch. Trotzdem zuckt er mit den Schultern und ich lache. "Denkst du ich habe es gezählt. Hundertmal mindestens. Und wie oft hast du deine Drohung wahr gemacht? Wir beide wissen, dass du es hättest tun können, oder?" Er erwidert nichts, sieht mich nur weiterhin an. "Verstehst du was ich meine? Dein Stiefvater hätte sicher nicht gezögert. Er hätte mich vermutlich irgendwo entsorgen lassen. Aber du..." Ich schlucke. "Gleichgültig wie sehr du mich verachtest, wie oft ich dich nerve, ja, egal ob du mich hasst, du hast es nie getan." Ich atme erneut tief durch und versuche mich zu beruhigen, denn ich rede nicht nur zu schnell und zu laut, ich befürchte, langsam rede ich auch wirr und naja, irgendwie beschämt mich gerade auch mein heftiger Ausbruch. Er muss ja denken, dass ich total übergeschnappt bin. Verlegen versuche ich zu lächeln. Seine Miene ist ausdruckslos, aber er scheint tatsächlich über meine Worte nachzudenken, ihnen zu folgen. Doch er hinkt wohl hinterher, kein Wunder bei meinem Tempo. Ich unterdrücke daher den Wunsch noch was hinzu zu fügen und dann sehe ich wie seine Augen sich erstaunt weiten und er scharf die Luft einzieht. "Ich hasse dich doch nicht, Joey." höre ich ihn sagen und irgendwie wirkt er... getroffen. Ja, sogar entsetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)