Ein philosophisch-moralisches Paradoxon von abgemeldet (oder wieviele Züge braucht man, um Seto Kaibas Herz zu gewinnen?) ================================================================================ Kapitel 16: Vernichtung der Verteidigung ---------------------------------------- Vielleicht machen uns unsere Unvollkommenheiten perfekt füreinander? Ich weiß nicht wie lange wir uns gegenüber sitzen und keiner von uns ein Wort sagt. Ich sehe ihn an, er weicht meinem Blick aus. Er hat seine Augen stur auf den Tisch gerichtet und ich weiß, dass er mit sich ringt. Ich fühle es und ich habe Recht. "Was willst du hören?" fragt er mich schließlich und seine Stimme bebt. Ich erwidere nichts. Sehe ihn einfach nur an. Ein spöttisches Lächeln erscheint in seinem Gesicht. "Soll ich dir sagen, dass du Recht hast? Das weißt du doch längst." Nun klingt er provozierend. Ich schweige noch immer. Er funkelt mich an. "Muss ich es dir tatsächlich noch bestätigen? Gut, wenn es dir Freude bereitet, dann bekommst du nun deinen Triumph, Wheeler!" Wut schwingt in seiner Stimme mit, aber mir entgeht auch nicht die Unsicherheit, die Verzweiflung. Unwillkürlich verspüre ich einen Stich. "Ja! Ja, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Wheeler! Zufrieden? Oder willst du noch mehr? Details? Die ganzen schmutzigen Einzelheiten?" Ich schlucke. Er bemüht sich, mich direkt anzusehen. Ganz der alte Kaiba, der keiner Konfrontation aus dem Weg geht. Nur, dass sein Blick nicht eisig ist und auch nicht gleichgültig. Ob sein Herz augenblicklich genauso schnell schlägt wie meines? "Erzähl mir einfach, was dir auf der Seele brennt." sage ich leise und er lacht bitter auf. Gleichgültig wie er sich gerade geben mag, ich weiß, dass er darüber reden will. Ich spüre es. Er gleicht einem Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht. Ich schenke ihm ein mildes Lächeln. "Es auszusprechen wird es nicht auslöschen, aber ich bin sicher, dass es erträglicher wird." Er sieht mich mit diesen unbeschreiblich blauen Augen an, in denen ich so gerne versinken möchte und deren trauriger Glanz mir fast körperlichen Schmerz bereitet. Die nächste Mauer ist gefallen. Wieder hat er eine Maske abgelegt. Ich betrachte ihn fasziniert. Seine markanten Züge sind nicht unbedingt weicher, aber sie haben nicht länger diese unbarmherzige Härte. "Du klingst schon fast wie Gardner." entgegnet er und das Lachen, das folgt ist kurz, aber echt. Ich muss unwillkürlich grinsen. Ja, der Spruch hätte auch von Tea sein können. "Noch einen Kaffee?" frage ich und er nickt. Ich stehe auf und nehme die zwei Tassen. "Kann ich hier rauchen?" will er wissen. Ich nicke und einige Sekunden später höre ich ihn tief inhalieren. Als ich mich wieder zu ihm umdrehe, hat er sich in dem Stuhl zurück gelehnt und starrt auf die gegenüberliegende Wand. Ich schiebe ihm wieder die Tasse hin und lasse mich auf den Stuhl sinken. Er nickt mir kurz zu und rückt das Zigarettenetui in meine Richtung, aber ich schüttele den Kopf. Er seufzt. "Als Mokuba und ich ins Waisenhaus kamen, da habe ich ihm und mir selbst zwei Dinge geschworen: dass wir immer zusammen bleiben und dass ich dafür sorgen werde, dass wir dort rauskommen." Ich nicke unwillkürlich. Ja, ich kann mir gut vorstellen, wie der kleine Seto sich das geschworen hat. Jeder, der ihn je mit Mokuba gesehen hat, würde ihm das auf Anhieb glauben. "Und Gozaburo verhieß beides, oder?" Eigentlich unnötig diese Frage zu stellen. Ich erinnere mich an Mokubas Erzählung. Natürlich kennt man die Geschichte auch aus dem Medien. Sie ist längst eine Legende geworden. Genau wie er. Und keineswegs nur in der eigenen Vorstellung. In seinem Alter hat er mehr erreicht als manch anderer in einem ganzen Leben. "Ja, so sah es damals aus." höre ich ihn sagen. Immer noch blickt er stur zur Wand und scheint irgendeinen unsichtbaren Punkt zu fokusieren. Ich warte einen Moment ehe ich etwas sage. "Aber der Preis dafür war hoch." Er zuckt mit den Schultern. "Wie man es nimmt." entgegnet er sarkastisch. "Ich konnte meinen Schwur erfüllen. Mokuba und ich wurden nicht getrennt und inzwischen haben wir alles, was wir uns je gewünscht haben. Noch mehr als das." Mokubas Worte fallen mir wieder ein. "Ich wünschte, wir wären nie zu Gozaburo gekommen." Ob er genauso denkt? Ich mustere ihn und überlege schon ob ich ihn fragen soll als er weiter redet. "Nach Noahs Unfall spitzte sich die Lage immer mehr zu. Zuvor war es nur so, dass Gozaburo mich permanet zum lernen antrieb. Doch dann..." Er bricht ab und zieht an seiner Zigarette. "Anfangs waren seine Strafen für meine Fehlleistungen einfach nur streng, manche würde vielleicht auch übertrieben sagen, aber sie waren nichts, was ich nicht ertragen konnte. Und gleichgültig wie hart er zu mir war, sobald ich Mokuba sah, wusste ich warum ich das alles auf mich nehme." Ein Lächeln huscht für den Bruchteil einer Sekunde über sein Gesicht, dann sitzt die kalte Maske wieder. Dass Mokuba mir bereits einiges über diese Zeit erzählt hat, wage ich mich nicht ihm zu sagen. Im Grunde weiß ich auch nur oberflächliche Dinge und ich denke, auch der Kleine weiß nicht mehr. "Je besser ich wurde, je weniger Fehler ich machte, desto schlimmer wurde es. Ich weiß nicht warum, denn eigentlich war es doch genau das was er wollte. Ich sollte perfekt funktionieren und das habe ich." Er schluckt und kaum hat er die Zigarette in dem Aschenbecher, den ich ihm hingestellt habe, ausgedrückt, zündet er sich die Nächste an. Seine Finger zittern kaum merklich. Eine Weile herrscht wieder Schweigen und ich weiß, dass wir nun an dem Punkt angelangt sind, den er bislang noch nie in Worte gefasst hat. Die Wahrheit, die keiner kennt und die ich durch reinen Zufall erraten habe. Ich kann ihm deutlich ansehen wie schwer es ihm fällt darüber zu reden, ja, sogar daran zu denken. Augenblicklich denkt er daran. Hier und jetzt stellt er sich diesem Dämon, der nichts anderes ist als die wohl schrecklichste Erinnerung, die er hat. Einen Moment lang verspüre ich nicht nur Mitleid, sondern auch den Wunsch es ihm zu ersparen. Ja, einen Augenblick lang, denke ich daran, ihn zu erlösen. Ihm zu sagen, dass er es nicht aussprechen muss, weil ich es ja ohnehin weiß. Dann erinnere ich mich an die Worte des Pharaos. "Du kannst seine Dämonen nicht vertreiben, Joey, darüber musst du dir im Klaren sein, aber du kannst ihm beistehen sich ihnen zu stellen. Und er muss sich ihnen stellen, sonst wird er so enden wie er jetzt lebt." Atemu hat natürlich Recht. Er muss sich dieser Sache stellen. Ich kann es ihm nicht ersparen. Kaiba hat die Lippen fest aufeinander gepresst und im insgesamten wirkt er plötzlich wieder erstarrt. Sogar seine Haltung hat sich verändert. Ob er die Szenen aus seiner Vergangenheit gerade wie einen Film vor seinem geistigen Auge ablaufen sieht? Wahrscheinlich. Nach einer Ewigkeit öffnet er den Mund. Seine Augen sind jetzt geschlossen. "Eines Abends kam er noch sehr spät in mein Zimmer. Das war neu. Ich wusste direkt, dass es nichts gutes zu bedeuten hat. Und ehe ich wusste was geschah..." Er schluckt hart und ich glaube, ich habe eine kleine Vorstellung dessen, was ihn das gerade kostet. "Ich habe nicht geschrien. Nicht ein einziges Mal. Auch nicht geweint. Ich hielt einfach still und ließ es über mich ergehen. Natürlich kam mir in den Sinn mich zu wehren, aber ich hätte ohnehin keine realistische Chance gehabt. Und die Konsequenzen..." Er schüttelt leicht den Kopf. Seine Augen sind wieder offen, aber er sieht mich nicht an. Ich schaudere. Seine Stimme klingt so... kalt. Nein, kalt ist sie immer. So kenne ich sie. Er klingt leer, ausgebrannt. Wie ein Roboter. Genau wie er es beschreibt. Und ich kann die Szene fast vor mir sehen. Den Seto, den ich von Mokubas Anhängerbild kenne. Ich wage es kaum zu atmen. Obgleich ich es längst wusste, versetzt es mir einen Stich die Worte aus seinem Mund zu hören. "Mokuba." flüstere ich kaum hörbar. Eigentlich weiß ich gar nicht was ich damit sagen will. Dass dem Kleinen nichts dergleichen passiert ist, weiß ich. Kaiba schüttelt den Kopf. "Er weiß es nicht." sagt er mit dieser unwirklichen Stimme. "Es ist das einzige Geheimnis, dass ich vor ihm habe." Ich nicke unwillkürlich, denn ich kann ihn verstehen. Vielleicht hätte er sich damals gewehrt, wenn Mokuba nicht gewesen wäre. Vielleicht wäre er auch davon gelaufen. Er war ein kluges Kind. Er hätte sich zu helfen gewusst, aber zu zweit? Keine Chance. Also hatte er es ertragen, es über sich ergehen lasse. Einmal? Mehrmals? Ich werde ihn das nicht fragen. Das ist auch nicht notwendig. Ich kann die Antwort von seinem Gesicht ablesen. "Deshalb all diese Mauern und Masken." stelle ich tonlos fest. Oder frage ich ihn? Ich bin mir nicht sicher. Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem spöttischen Grinsen, doch es verschwindet gleich wieder. Er erwidert nichts. Er blickt wieder zur Wand und ich habe das Gefühl, dass er sich zu sammeln versucht. "Zufrieden, Wheeler?" fragt er schließlich. "Fast." antworte ich ernst und sein fragender Blick trifft mich sofort. Die rechte Braue ist hoch gezogen und ich lächele unwillkürlich bei dem fast wieder gänzlich vertrauten Anblick. Ich weiß, dass er sich fragt, was ich damit meine und dass er sich nicht auch noch die Blöße geben will mich zu fragen. Immerhin hat er seine Grenzen gerade weit mehr als nur überschritten und wir wssen beide, was das bedeutet. Jetzt wird nichts mehr sein wie zuvor. Wir werden nie wieder nur Kaiba und Wheeler sein. Unabhängig von meinen Gefühlen für ihn, die Dinge zwischen uns haben sich bereits geändert. Dessen sind wir uns beide bewusst, nur dass ich im Gegensatz zu ihm eine Ahnung habe wie ich damit umgehen soll. "Schöne Erinnerungen." liefere ich ihm ein Stichwort und er legt die Stirn in Falten. "Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir zeigen will, was Leben bedeutet. Richtig leben. Dadurch bekommst du schöne Erinnerungen." Ich lächele ihn fröhlich an. Er wirkt irritiert und ungläubig. "Weißt du, Kaiba, unser Leben ist eigentlich nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Bilder, die an uns vorbei ziehen, und nur wenige von diesen Bildern bleiben wirklich bis zum Ende im Gedächnis. Leider haben die entsetzlichen Momente, die Gabe sich unwiderruflich einzubrennen und naja, um einen entsetzlichen Moment aufzuwiegen, bedarf es vieler schöner Momente, denn so wird der entsetzliche Moment zu einem flüchtigen Bild ohne Bestand." versuche ich ihm meine Überlegungen zu erläutern. "Also werde ich dafür sorgen, dass du viele schöne Momente erlebst. Ich werde jedenfalls mein Bestes geben." Er starrt mich an als wäre ich eine kleine rosa Elfe. Nein, wahrscheinlich würde er diese weit weniger irritiert ansehen. "Wheeler, keine Ahnung warum du dich dazu berufen fühlst, aber..." Ich lache und er bricht ab. "Berufen fühle." wiederhole ich frei seine Worte. "Ja, so könnte man es ausdrücken und ich habe dir jetzt schon zweimal gesagt, warum dem so ist. Ich hoffe dein Kurzzeitgedächnis hat keinen Schaden bekommen, Kaiba. Und wie gesagt, mein Beweggrund ist offensichtlich." Ich weiß, dass er durch den Wind ist, daher bin ich auch besonders nachsichtig mit ihm. "Um mich noch einmal zu wiederholen: Ich denke ich liebe dich! Genau genommen weiß ich, dass ich es tue. Und deshalb will ich dich eben glücklich machen." Kaiba starrt mich nach wie vor an, aber ich habe den Eindruck, dass meine Worte und ihr Sinn endlich zu ihm durchdringen. Seine Augen weiten sich einen Moment und dann fragt er zu meiner Überraschung etwas, dass so wirklich nur Seto Kaiba fragen kann. Der Tonfall, der Blick, die Frage. Typisch Kaiba. Würde er dabei nicht so süß aussehen, könnte ich nicht an mir halten und würde laut los lachen, aber ich will ihn ja auch nicht verstören. Das ist er ja schon zur genüge. "Und welchen Nutzen trägst du davon, Wheeler? Ich teile deine überschwänglichen und irritierenden Gefühle nämlich nicht." Ich seufze und denke nur: ´Abwarten, Kaiba!´, aber ich erwidere mit ernster Miene: "Liebe ist bedingungslos, Kaiba. Aber die Lektion erörtern wir ein anderes Mal." Ich grinse und er verschränkt die Arme vor der Brust. "Du denkst doch nicht ernsthaft, dass du mir Lektionen erteilen könntest!" Tonfall und Blick entsprechen fast wieder der alten Kaiba-Manier, aber das schüchtert mich natürlich nicht ein. Joey Wheeler hat schließlich eine Mission. "Nun...doch. Genau das denke ich." entgegne ich gelassen und mustere gespielt offensichtlich seine Haltung. "Und wenn wir schon mal dabei sind: Arroganz mag der sicherste Schutz vor Nähe sein, aber Einsamkeit macht keineswegs glücklich." Wieder starrt er mich an. "Das ist übrigens Lektion Nr. 1." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)