Walkabout von Yamato_ (Mein Beitrag zur 8.Taito-Challenge) ================================================================================ Kapitel 4: Namida (Tränen) -------------------------- Ich hatte bei der Aufpasserin am Eingang der High School meinen Charme spielen lassen und so durfte ich die Zeit bis Mimi’s Unterricht beendet war, in der Bibliothek verbringen. Dort stürzte ich mich auf alles, was ich über Rama und Sita, die Traumzeit und die Kathedrale von Nôtre-Dame finden konnte. Besonders über die Aborigines hatten sie unheimlich viel an Literatur. Jedes Tier und jede Pflanze schien in der Traumzeit seine ganz eigene Bedeutung zu haben. Ich hatte nicht die Zeit alles zu lesen, aber dank Mimi’s Ausweis konnte ich einige Bücher ausleihen und mitnehmen. Palmon beäugte die Bücher kritisch, als wir bei Mimi zu Hause ankamen und ich sie auf der Couch ablud. Gabumon blickte sich neugierig im Zimmer um und entdeckte schließlich meine Mundharmonika auf dem Hängeregal über Mimi’s Bett. Ich hatte sie Mimi damals als Andenken geschenkt, als sie nach Amerika ging. “Spielst du mir was vor?“ fragte mein Didschi. “So wie damals?“ “Später vielleicht.“ Mein ruppiger Tonfall tat mir schon wieder leid, aber im Moment reagierte ich auf das Wörtchen damals wohl ein bisschen allergisch. “Also hab‘ ich das jetzt richtig verstanden,“ begann Mimi, “du hast Taichi versprochen, dass du dich nicht verkriechst, sondern mit Menschen zu tun hast und deshalb bist du nicht einfach irgendwohin gerannt, sondern hast stattdessen DigiRitter in anderen Ländern besucht.“ “Na ja, so kann man das ausdrücken. Taichi dachte wahrscheinlich, dass es mir dabei hilft, ein paar Dinge über mein Leben zu verstehen.“ “Aha.“ Mimi sog hörbar die Luft ein. “Zum Beispiel, warum du alle paar Monate mit Taichi Schluss machst, ihn abwechselnd zurück willst und auf Sparflamme setzt, ihn plötzlich ganz abschiebst, aus heiterem Himmel mit Sora ausgehst, ihr nach drei Wochen den Laufpass gibst und dann auf Nimmerwiedersehen verschwindest, um durch die Weltgeschichte zu gondeln.“ Hm. Wie kompliziert kann mein Leben eigentlich sein, wenn diese Frau es schafft, es so beiläufig in ein, zwei Sätzen zusammenzufassen? “Mimi, muss das jetzt sein?“ “Ja, muss es!“ Energisch knüllte sie bekritzeltes Papier auf dem Tischchen zusammen und warf es mit Schwung in den Mülleimer. “Die Vorwürfe musst du dir jetzt anhören, Yamato-kun! Du hast auch nicht mit Vorwürfen gespart, als ich mit Michael zusammengekommen bin. Und im Gegensatz zu dir war das, weil ich ihn wirklich mag und nicht, weil ich Jou eins auswischen wollte.“ “Jetzt mach’ aber mal ‘nen Punkt,“ unterbrach ich sie. “Vorwürfe, okay, aber du kannst hier nicht einfach solche unfairen Behauptungen aufstellen. “Gut, ich hab‘ mich damals dumm benommen und ich war auch nicht unbedingt nett zu deinem Karpfen. Aber erstens hab‘ ich mich dafür entschuldigt und zweitens ist es einfach nicht wahr, dass ich mit Sora aus war, weil ich Taichi eins auswischen wollte.“ Mimi warf mir ihren Todesblick zu. “Erstens könntest du mal mit diesem lächerlichen Spitznamen aufhören, schließlich kann Michael nichts dafür, dass sein Japanisch noch nicht so gut ist. Und zweitens warst du verdammt wütend auf Taichi. Ich weiß es aus erster Hand von Jou. Und nein, er hat mir das nicht erzählt, um über dich zu petzen, sondern damit ich Sora ins Gewissen rede, dass sie nicht mit dir ausgeht, damit du ihr nicht das Herz brechen kannst.“ Verdammt, was wird das hier, ein J-Drama oder gleich eine Telenovela? Ja, ich war auf Taichi sauer gewesen, aber ich wusste auch, dass ich dazu eigentlich kein Recht hatte. Schließlich hatte ich Schluss gemacht und es war auch schon einige Monate her. Aber dann war unser Konzert an Weihnachten und dann stand da plötzlich Sora vor mir mit diesen Plätzchen. Clive Barker schreibt am Anfang von Cabal, dass von allen Versprechungen, die im Namen der Liebe gegeben werden, keines so einfach gebrochen wird wie: “Ich werde dich nie verlassen!“ Aber im Namen der Freundschaft gibt es ein anderes Versprechen, das niemals, wirklich niemals gebrochen wird und das lautet: “Ich spanne meinem besten Freund oder meiner besten Freundin nicht den Partner aus.“ Dass Sora ein romantisches Interesse an mir hegte, kam eigentlich nicht als Überraschung. Wir hatten in den Monaten davor viel Zeit miteinander verbracht und auch einiges an Gemeinsamkeiten entdeckt, zum Beispiel, dass wir einen ähnlichen Musikgeschmack haben oder dass wir beide angefangen hatten, uns für Literatur zu begeistern. Sie war auch die erste, mit der ich die Bücher von Haruki Murakami, der im Moment mein Lieblingsautor ist, so richtig durchdiskutieren konnte. Jou und Koushirou lasen beide fast nur wissenschaftliche Bücher und Taichi‘s Verlangen nach Gedrucktem hält sich, gelinde gesagt, in Grenzen. Wie gesagt, mit dem romantischen Interesse hätte ich leben können. Aber die Tatsache, dass sie versucht hatte, mich für sich gewinnen, konnte nur eines bedeuten: Taichi hatte ihr die Erlaubnis dazu gegeben. Sora hätte mir niemals diese Plätzchen geschenkt, wenn Taichi ihr vorher nicht unmissverständlich klar gemacht hätte, dass er kein Problem damit hatte. Und dass er kein Problem damit hatte, bedeutete, er hatte mich abgeschrieben. Er war über mich hinweg, endgültig. Und genau das wollte ich auch schaffen. “Soll das heißen, du hast Sora dazu benutzt, um dir selbst vorzugaukeln, dass du über Taichi hinweg bist,“ rief Mimi empört, als ich versuchte, ihr die Sache zu erklären. “Nein, das stimmt nicht,“ versuchte ich ihr begreiflich zu machen, ohne mich dabei um Kopf und Kragen zu reden. “Ich...“ Wie verdammt noch mal sollte ich ihr das erklären, wenn ich es selbst nicht verstand? Eigentlich wäre es einfach und logisch gewesen. Alles, was ich hätte tun müssen, wäre Sora sanft aber bestimmt zu sagen, dass ich ihre Gefühle nicht erwidern konnte. Sie hätte es verstanden und niemand wäre mir böse gewesen und alles wäre gut und ich würde jetzt nicht hier sitzen und mir den Kopf über mein sinnloses Verhalten zerbrechen. Warum also mach‘ ich so einen Blödsinn und lass‘ mich auf etwas ein, bei dem ich von vornherein weiß, dass es nicht funktioniert? Warum bin ich so, dass ich mich selbst nicht verstehe? Nein, alles wäre eben nicht gut! Es ist alles Mist! “Du, das ist aber nicht aus unserer Bibliothek, oder?“ Mimi griff sich eines der Bücher heraus. “Das ist doch auf Japanisch.“ Ich zuckte zusammen. Mimi hielt meine Kopie von Norwegian Wood in der Hand. “Nein, das ist ein Buch das ich von zu Hause mitgebracht habe.“ “Haruki Murakami?“ Mimi sah auf den Einband. “Das ist dieses Buch über den Kerl, der mit seiner Mutter schlafen will und diese ganzen Katzen ermordet, oder?“ Sie rümpfte die Nase. “Nein, ich versteh‘ echt nicht, wie Sora und du sowas toll finden können!“ “Das Buch, was du meinst, ist Kafka am Ufer, das liegt bei mir zu Hause. Hier geht es um einen Typen namens Toru, der sich in ein Mädchen namens Naoko verliebt.“ “Ich hätte ja nicht gedacht, dass dieser Autor auch was Romantisches schreiben kann.“ Neugierig schlug Mimi die erste Seite auf. “Es ist ganz und gar nicht romantisch,“ fauchte ich und konnte gar nicht begreifen, warum mir plötzlich so die Galle hochkam. “Naoko liebt Toru kein Stück, sie nutzt ihn nur aus. Sie klammert sich an ihn, weil sie Kizuki liebt und in die Zeit zurück will, als Kizuki noch bei ihr war. Toru ist das Letzte was von Kizuki noch übrig ist, aber Naoko versteht das nicht, weil sie eine egoistische Mistgöre ist, die nur ihre eigenen Gefühle im Kopf hat und sich kein Stück dafür interessiert, wie es anderen geht, und was sie Toru damit antut…“ “Hey, hey, nun komm mal wieder runter!“ Mimi legte ihre Hände um mein Gesicht, so dass ich gezwungen war, sie anzublicken. Im ersten Moment hatte ich das Bedürfnis mich loszureißen, aber ich hatte nicht das Versprechen vergessen, dass ich mir selbst gegeben hatte. Ich würde das Trümmerfeld hinter mir aufräumen und ich würde mir von anderen dabei helfen lassen. “Wir schaffen das, wir kriegen das hin,“ sagte Mimi und dann sagte sie gar nichts mehr, sondern hielt mich einfach nur fest, während ich ihr die Schulter vollheulte und in meiner Kehle ein Knoten von den Ausmaßen des Fujisan platzte. Tsuzuku... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)