Fortuna von absinthe (Zwei Karten, ein Konzert und Mr. Unbekannt) ================================================================================ Kapitel 1: Fortuna ------------------ ----------------------------------------------------- Three Days Grace – Are You Ready [http://www.youtube.com/watch?v=rZaAbZtnRfM] ~°~°~ Fortuna ~°~ Juni ~°~°~ „Vielen Dank für deinen Musikwunsch, Peggy“, dröhnte die Stimme des Moderators durch die kleinen Boxen des Radios. Das Wetter war heiß und es wehte kein einziges Lüftchen. Die Sonne brannte, ganz kleine Schweißperlen hatten sich bereits auf der Haut des jungen Mädchens gebildet, das sich entspannt auf einem Sonnenstuhl niedergelassen hatte. Nur mit einer Hotpants aus Jeans und einem hellen Bikinioberteil bekleidet, genoss sie die warmen Sonnenstrahlen, die ihrer viel zu hellen Haut hoffentlich endlich einen etwas dunkleren Teint geben würden. Mit einer Hand nahm sie sich den gekühlten Eistee vom kleinen Tisch neben sich und nippte daran, während sie mit der anderen das Handy ans Ohr hielt und dem Piepen lauschte. Ein Signalton, dann der nächste … dann der dritte. Und schließlich nahm jemand an der anderen Leitung ab. „Radio KBKS! Und was können wir heute für dich tun?“, war abermals die gutgelaunte Stimme des Moderators zu hören, das dunkelhaarige Mädchen lächelte, auch wenn ihr Gesprächspartner es sowieso nicht sehen konnte. „Ich würde gern einen kleinen Aufruf starten. Ich habe zwei Karten für das Three Days Grace-Konzert nächste Woche in Seattle“, antwortete sie. „Leider ist meine Begleitung abgesprungen und ich wollte ungern allein dorthin.“ „Oh, das tut uns natürlich sehr leid für dich“, meinte ihr Telefonpartner mit höflichem Mitgefühl. „Aber ich bin mir sicher, dass sich ganz schnell Ersatz finden wird. So ein Konzert wird sich bestimmt niemand entgehen lassen wollen.“ „Das hoffe ich.“ „Hast du denn bestimmte Anforderungen oder Wünsche an denjenigen, der deine zweite Karte ergattern wird?“ „Durchaus“, antwortete sie mit fester Stimme, dieses Mal ein bisschen ernster, doch dann konnte man ein kleines Grinsen erkennen. „Es muss ein Er sein, gut aussehen und darf weder goldblonde noch pechschwarze Haare haben.“ Der Moderator lachte. „Das Letzte ist ein sehr ungewöhnlicher Wunsch. Dürfen die Zuhörer erfahren, was es damit auf sich hat?“ Sie musste selbst über diese kleine Sache kichern. „Aber nur, weil Sie so nett sind. Der Grund dafür ist, dass ich mit beiden Sorten bisher nur Ärger hatte.“ „Ein verständlicher Grund.“ Ob der Moderator seine Antwort ernst meinte oder nicht, konnte man nur schwer erraten, ein kaum hörbares Schmunzeln war aber dennoch zu hören. Jedenfalls meinte das junge Mädchen, etwas Ähnliches ausgemacht zu haben. Wichtig war es jedoch nicht, im Gegenteil, es amüsierte sogar sie selbst. „Okay“, fuhr der Radiosprecher fort und wandte sich mit seinem nächsten Kommentar wieder der breiten Masse an Zuhörern. „Ihr habt den Aufruf gehört. Wer also Lust hat, auf das Three Days Grace-Konzert nächste Woche zu gehen, männlich ist und weder blonde noch schwarze Haare hat, der kann sich bei uns melden. Wir leiten eure Anrufe dann umgehend weiter.“ Nach einer kurzen Pause fügte er dann direkt an das Mädchen gewandt hinzu: „Vielen Dank für deinen Anruf. Wir wünschen dir natürlich viel Glück und auch Spaß. Bevor du auflegst, bleib noch kurz in der Leitung, damit wir deine Nummer notieren und dir später Bescheid geben können, falls sich jemand gemeldet hat. Dürfen wir noch kurz erfahren, wie dein Name ist?“ Die Dunkelhaarige lachte. „Natürlich. Mein Name ist Isabella.“ ~°~ „Alice! Das ist … viel zu knapp. Das zieh‘ ich auf keinen Fall an“, murrte die Dunkelhaarige ihrer Freundin entgegen und betrachtete widerwillig das Stück Stoff vor ihren Augen, das noch nicht mal ihren Hintern komplett bedecken würde. Das Mädchen namens Alice verdrehte nur die ihren. „Was, wenn du jemanden kennenlernst?“ – „Dann lernt er mich wenigstens gleich so kennen, wie ich bin.“ – Und was, wenn du vor Hitze dann plötzlich ohnmächtig wirst?“ Ein Klingeln ließ sie beide kurz innehalten. Als Alice schließlich ihr Handy hervorholte, fuhr ihre Freundin fort. „Alice … Wieso zur Hölle sollte ich ohnmächtig werden?“ „Keine Ahnung“, zuckte die Angesprochene mit den Schultern, während sie voller Konzentration eine Nachricht in das kleine, silberne Gerät tippte. „Vielleicht, weil es ein heißer Tag wird … Oder weil ich weiß, wie sehr du dich auf Konzerten verausgabst. Vor allem aber, weil ich bereits selbst miterlebt habe, wie du bei so einem Event aus den Latschen gekippt bist …“ Wider Erwarten musste ihre Freundin kichern. „Das war nur ein einziges Mal. Und soweit ich weiß, war mein Kreislauf da nicht ganz auf der Höhe.“ „Siehst du?“, stimmte ihre Freundin besserwisserisch zu. Isabella Swan seufzte. Wenn es darum ging, Recht zu haben, egal in welcher Angelegenheit, war ihre Freundin Alice die Sturheit in Person. Man konnte versuchen, es ihr recht zu machen, man konnte es aber auch sein lassen. Das Ergebnis würde das gleiche sein. Aus diesem Grund wählte Bella deshalb auch meistens die einfachere und damit letztere Variante. Nur wenn es wirklich wichtig war, kam sie Alice hin und wieder entgegen. Dass diese nun aber nicht mit ihr zusammen auf das Konzert ging, auf das sie beide schon so lange gewartet hatten, passte ihr überhaupt nicht. Schon seit Monaten war es in Planung gewesen, Bella hatte sich extra an diesem Wochenende frei von ihrem Nebenjob genommen, und nun hatte sich herausgestellt, dass ihre beste Freundin sie einfach so im Stich lassen würde. Und das wegen eines Blind Dates. Bella würde sie bis zum Nordpol und wieder zurück jagen, sollte dieses Date ein Flopp werden und sich herausstellen, dass Alice genauso gut darauf hätte verzichten können. Aber womöglich hätte diese Eisprinzessin damit kein Problem. Sie würde sich vermutlich auch noch wohl dort fühlen. Bildlich würde sie jedenfalls hinein passen. Eisprinzessin … So hatte Bella Alice in ihren Gedanken genannt, als sie sie das erste Mal vor Jahren gesehen hatte. Nicht eventuell wegen ihres Charakters, der alles andere als kühl war. Nein, sie hatte ihr insgeheim diesen Spitznamen aufgrund ihres Erscheinungsbildes gegeben. Alice‘ Haut war so zart, rein und weiß wie die einer neu gekauften Porzellanpuppe. Ihre kristallblauen Augen und die rabenschwarzen Haare, die im Sonnenlicht einen hauchdünnen, bläulichen Schimmer von sich gaben, vervollkommneten das Gesamtbild geradezu makellos. Dass sich diese zierliche Person dazu auch noch so elegant und anmutig wie eine Adlige bewegte, war nur noch das i-Tüpfelchen. Und nun war diese kleine, verräterische Kreatur womöglich bereits die ganze Zeit damit beschäftigt, ihrem Blind Date ständig Nachrichten zu schreiben, statt wirklich hilfreiche Tipps für Bellas Outfit zu geben. „Alice …“, stöhnte Bella ergeben. Sie hatte keine Lust mehr, noch länger in diesem Second-Hand-Laden zu bleiben, während sie genauso gut an den Strand gehen und sich einen ersten Sonnenbrand in diesem Jahr holen könnte. Ihre Freundin beachtete sie überhaupt nicht, Bella war sich nicht mal sicher, ob sie sie gerade gehört hatte. Alice war vollkommen versunken in ihrem Schreiben. Ihre flinken Finger huschten in einer einzigen Bewegung über die Tastaturen ihres Handys, während ihre Augen akribisch den Text auf ihrem kleinen Display verfolgten. Zugegeben, ein klein bisschen neugierig war Bella ja schon. Was man wohl jemanden schrieb, den man noch gar nicht richtig kannte, geschweige denn gesehen hatte? Ohne dass Alice etwas davon bemerkte, beugte sich Bella über ihre Schulter, um etwas von der SMS zu erhaschen. Doch zu spät, Alice war bereits auf den „Senden“-Knopf gekommen, ehe ihre Freundin auch nur einen einzigen Buchstaben oder einen Namen erkennen konnte. „Glaub nicht, ich hätte nicht gemerkt, was du vorhattest“, mahnte Alice sie schalkhaft. „Dann hilf mir endlich“, jammerte Bella, wofür ihre Zwergenkönigin die Augen verdrehte, sich aber letztendlich voll und ganz ihrer Freundin widmete. Anfänglich jedenfalls. Kaum hatte sie ihr eine Handtasche, von oben bis unten bedeckt mit großen silbernen Pailletten, gegen die Brust gedrückt, kam auch schon eine weitere SMS ihres mysteriösen Unbekannten und sie war schon wieder Feuer und Flamme für eine Antwort. Bella hätte nie gedacht, dass sie mal einen Tag erleben würde, an dem Alice eine Shoppingtour links liegen ließ. Aber irgendwann war ja bekanntlich immer das erste Mal. ~°~ Samstagabend. Die Sonne senkte sich langsam gen Horizont. Es war ein sehr heißer Tag gewesen, genau wie Alice es vorausgesagt hatte, und obwohl die Sonne nicht mehr ihre volle Kraft besaß, war die Luft noch ziemlich warm. Gut, dass Bella ihre Jacke doch zu Hause gelassen hatte. Aber vielleicht hätte sie statt der Jeans doch den von Alice empfohlenen Rock tragen sollen – beziehungsweise etwas Vergleichbares mit ein paar Zentimetern mehr Stoff. Sich jetzt aber noch darüber zu ärgern, brachte ohnehin nichts. Wie gut, dass wenigstens das Konzert auf einer Open-Air-Bühne im Zentrum des Parks stattfand. Leicht ungeduldig schaute sie auf ihre Armbanduhr. Sie stand vor dem Eingang und der Einlass hatte schon vor einigen Minuten begonnen. Normalerweise würde sie sofort reingehen, um noch einen Platz weiter vorn zu bekommen, doch wie es aussah, konnte sie darauf verzichten. Stattdessen musste sie jetzt hier stehen und auf die Person warten, die Alice‘ Eintrittskarte ergattert hatte. Zu dumm, dass es Leute gab, die von Pünktlichkeit noch nie etwas gehört hatten. „Entschuldigung“, tippte sie jemand von hinten auf die Schulter. „Ich hätte dich beinahe nicht erkannt. Ich dachte, du würdest einen Minirock tragen.“ Während Bella sich umdrehte und dem Unbekannten bereits sagen wollte, dass das die blödeste Anmache war, die sie seit langem gehört hatte, wurde ihr Gesicht auch schon in zwei große, warme Hände genommen und ihr Mund mit einem Paar fremder Lippen verschlossen. Sie war die ersten Sekunden viel zu überrascht über die ‚Attacke‘, als dass sie irgendwie hätte reagieren können. Stattdessen ließ sie den Kuss über sich ergehen, bis der Fremde von ihr abließ. Ihre Perplexität wandelte sich in Wut, als sie in das spitzbübische Antlitz ihres Gegenübers blickte, und ehe dieser auch nur ein Wort sagen konnte, schellte der Klang ihrer Hand auf seiner Wange durch die Nacht. Da konnte er noch so gut aussehen. „Arschloch.“ Ein paar der am nächsten stehenden Leute wandten sich um, indes Bella sich einen Weg zum Einlass bahnte, ihre Karte den Kontrolleuren entgegenhielt und sehnlichst hoffte, dass der Fremde ihr nicht folgen würde – und dass der Abend nicht noch mehr solcher unangenehmen Überraschungen für sie bereithielt. Eine halbe Stunde später stand sie irgendwo in der Mitte der Masse und ging mit den Songs der Vorband mit, die zugegebenermaßen wirklich gut waren. Allmählich machte sich auch die Hitze bemerkbar und Bella musste aufpassen, dass sie sich nicht zu sehr verausgabte, denn sonst würde sie später keine Luft mehr für die eigentliche Gruppe des Abends übrig haben. Mit Schrecken fiel ihr dann aber plötzlich wieder ein, warum sie vorhin überhaupt so lange gewartet hatte. Sie war nach dieser überrumpelten Kuss-Aktion so wutentbrannt durch den Einlass gerannt, dass sie vollkommen vergessen hatte, eigentlich noch auf die Ersatzperson von Alice‘ Karte zu warten. Mittlerweile war es ohnehin zu spät, das noch irgendwie rückgängig zu machen, aber der arme Kerl, der jetzt vermutlich draußen wartete und nach ihr suchte, tat ihr schon ein bisschen leid. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde er aber eh nicht mehr da sein – wenn er denn überhaupt aufgetaucht war. Sollte er tatsächlich da gewesen sein, hatte er die Hoffnung bestimmt schon aufgegeben. „Die Tasche ist wirklich ein Blickfang.“ Erschrocken drehte Bella sich zur Seite, bereute es auf halben Weg fast schon wieder, weil sie befürchtete, mit der gleichen Attacke ein weiteres Mal überrumpelt zu werden, und hob instinktiv ihre Arme. Der junge Mann gegenüber hob ebenfalls seine Hände und fing an zu lachen. „Oh, keine Angst. Ich bin nicht der Typ von vorhin und ich hab auch nicht vor, dich so zu begrüßen. Jedenfalls nicht ohne deine Erlaubnis.“ Bella senkte ihre Arme wieder und errötete leicht. „Tut mir leid, das kam automatisch.“ „Kann ich nachvollziehen“, lächelte der Fremde. „War das so was wie dein Exfreund oder-“ „Oh, nein! Um Gottes Willen. Ich hab keine Ahnung, was das für ein Typ war. Wahrscheinlich ist das seine Masche, Frauen aufzureißen“, rollte sie mit den Augen. „Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand, der noch bei klarem Verstand ist, auf so was reinfällt.“ Der Unbekannte lachte. „Ja, das stimmt.“ Bella erwiderte sein Grinsen und wandte sich dann wieder der Bühne zu. Noch während sie versuchte, wieder in den Rhythmus des Songs zu kommen, fiel ihr sein anfänglicher Kommentar zu ihrer Handtasche wieder ein. Was hatte Alice gesagt gehabt? An der Tasche würde mich derjenige, der ihre Karte bekommen sollte, schon erkennen. Mit einem geflüsterten „Oh Gott“ schlug sie sich die Hand vor den Mund und wandte sich wieder ihrem Nachbarn zu. „Du bist das, oder?“ Fragend hob er seine Augenbrauen und Bella erklärte hastig ihre Erkenntnis. „Du bist derjenige, für den die zweite Eintrittskarte war. Und ich bin einfach reingegangen, ohne daran zu denken, dass du ohne ja gar nicht zum Konzert kannst. Oh, das tut mir so leid. Ich war so aufgewühlt, nachdem mich dieser Idiot einfach geküsst hat, dass ich das komplett vergessen hab.“ Der junge Mann ihr gegenüber verstand offenbar nicht ganz, aber dann schien er sich doch zu erinnern. „Oh. Ach so, ja.“ Verlegen kratzte er sich am Kopf. „Das meinst du.“ „Aber wie bist du jetzt doch reingekommen?“ „Ich hab mir eine Karte gekauft?“ Bellas Stirn legte sich in Falten. „Ich wusste gar nicht, dass noch welche übrig waren.“ „Ich hatte Glück“, lächelte er. Auf den zweiten Blick betrachtet sah er gar nicht mal so übel aus. Seine dunklen Haare waren ein wenig verwuschelt, aber trotz des Bühnenlichts konnte sie die Farbe nicht genau erkennen. Doch seine dunklen Augen leuchteten und der Drei-Tage-Bart, der sich auf seiner hellen Haut deutlich abzeichnete, ließ das Grinsen, das seine Lippen umspielte, noch charmanter erscheinen. Wenn die Ersatzbegleitungen immer so nett ausschauten, konnte Alice ruhig öfter auf ein Blind Date gehen. „Isabella“, streckte sie ihm die Hand entgegen. „Aber das weißt du ja bestimmt schon.“ Ihr Gegenüber nahm die Geste an und nickte. „Stimmt. Ich bin Robert.“ Der Rest des Abends war weitaus erträglicher, als er begonnen hatte, vor allem, nachdem dann endlich auch die eigentliche Band auf die Bühne getreten war und der Menge noch mal ordentlich einheizte. Bella war froh, dass sich die Sache mit Alice‘ Karte doch noch zum Guten gewendet hatte, so konnte sie wenigstens ihr schlechtes Gewissen ablegen. Robert entpuppte sich als eine echte Frohnatur und Stimmungsmacher. Besonders in der zweiten Hälfte des Konzerts legte er sich richtig ins Zeug, grölte die Songs mit und steckte Bella förmlich mit seiner ausgelassenen Art an. So sehr, dass sie am Ende glaubte, keine Stimme mehr zu haben, als die Masse auch noch dreiviermal nach einer Zugabe rief. Besonders viel unterhalten hatten sich die beiden aufgrund der lauten Musik nicht, aber dafür würden sie hinterher bestimmt noch genug Zeit finden. Würde er sie nach ihrer Nummer fragen, sie würde sie ihm geben. Und warum auch nicht? Er schien ein netter Kerl zu sein, der zudem auch noch auf die gleiche Musik wie sie stand. Als sie beide das Gelände verließen und durch den Park Richtung Straße gingen, schwankte Bella kurz zur Seite. Robert neben ihr reagierte sofort, schlang einen Arm um ihre Taille und stabilisierte sie wieder. „Ups, Vorsicht“, grinste er schelmisch. Bella lachte. „Mir ist jetzt ganz schön heiß“, erklärte sie völlig außer Atem und wedelte sich mit der Hand ein wenig Luft zu. „Und zu trinken hab ich leider auch nichts mehr.“ Die Wasserflasche, die sie sich mitgenommen hatte, war schon vor einer gefühlten Stunde aufgebraucht gewesen. „Warte“, meinte Robert und kramte in seinem Rucksack. Kurz darauf holte er eine große, halbgefüllte Plastikflasche hervor. „Hier, zum Durststillen.“ Dankbar nahm Bella im das Getränk ab und nahm einen großzügigen Schluck zu sich. Leider hatte sie das Zeug viel zu schnell heruntergeschluckt, als dass sie es wieder hätte ausspucken können. „Ist da etwa Schnaps drin?“, konnte sie gerade noch fragen, ehe sie von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt wurde. Das Zeug brannte wie Feuer in ihrem Rachen. „Ein kleiner Stimmungsmacher“, erwiderte Robert sichtlich amüsiert über Bellas Reaktion. Doch diese fand das alles andere als lustig. Angewidert streckte sie ihm die Flasche entgegen und wischte sich mit der freien Hand über den Mund, nachdem sich der Husten etwas gelegt hatte. „Ich glaube, ich rufe mir ein Taxi.“ „Hey, das war nur ein kleiner Scherz, okay? Jetzt sei doch nicht gleich so zickig“, meinte Robert amüsiert, was bei Bella allerdings gar nicht gut ankam. „Du hättest mich vorwarnen können. Ich dachte, da wäre Wasser drin!“ Robert fand das Ganze offenbar so witzig, dass er keine Anstalten machte, sein Lachen irgendwie zu verbergen. Bella nahm an, dass er schon einiges mehr intus hatte, was auch seine abrupte Ausgelassenheit in der zweiten Hälfte des Konzerts erklärte. Ohne ein weiteres Wort marschierte sie den Bürgersteig entlang und ließ ihn stehen. Der Absatz ihrer Schuhe klapperte auf dem Asphalt, der sich allmählich mit dunklen Tropfen füllte. Wie es aussah, würde es auch noch sehr bald anfangen zu regnen. War das nicht ein grandioser Abschluss für diesen Abend? Sie grummelte in sich hinein, während sich langsam die Nachwirkungen des Alkohols erkennbar machten. Bella gehörte zu denjenigen, die selten tranken und dieser nicht gerade kleine Schluck machte sich doch ein wenig bemerkbar, sie hatte ja noch nicht einmal etwas im Magen. Das ganz leichte Schwindelgefühl und das dezente Pochen im Kopf ließen sie ärgerlich aufstöhnen und Bella wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich zu Hause zu sein und sich in die weichen Kissen ihres Bettes fallen zu lassen. Der Regen hinterließ ein prasselndes Geräusch auf dem Boden und sie war froh, endlich die überdachte Gasse erreicht zu haben, die sie schon von weitem entdeckt hatte. Schutzsuchend stellte sie sich ein Stück weit in die Dunkelheit – soweit, dass das Licht der Straßenlaternen ihr noch ein wenig Helligkeit spendete. Würde sie eben von hier aus ein Taxi rufen. Plötzlich knickte sie zur Seite und konnte sich gerade noch an der feuchten Steinwand abstützen. „Verdammt!“, fluchte sie, als sie mit einem resignierten Stöhnen bemerkte, dass einer ihrer Absätze abgebrochen war. Warum hatte sie sich von Alice auch dazu überreden lassen, Pfennigabsätze zu tragen? Und als wenn das noch nicht genug gewesen wäre, musste sie feststellen, dass Robert ihr gefolgt war. Ein breites Grinsen entstand in seinem Gesicht. „Du hättest auch was sagen können, dann wäre ich ohne weiteres mit dir mitgegangen. Du hättest mich nicht extra in diese Gasse locken müssen.“ Argwöhnisch hob sich eine ihrer Augenbrauen. „Ich weiß zwar nicht, wovon du redest, aber der Abend ist vorbei. Geh nach Hause, Robert.“ Der Angesprochene lachte nur und stellte sich gefährlich nah vor Bella. Bei seinem alkoholisierten Atem verzog sie angewidert das Gesicht. Warum war ihr nicht schon vorher aufgefallen, wie betrunken er eigentlich war? „Mir ist jetzt ganz schön heiß“, äffte er sie nach und wedelte sich demonstrativ Luft zu. „Ich hab den Wink schon verstanden, Isabella.“ „Verzieh dich“, presste sie hervor und konnte nur mit Mühe die aufkommende Panik unterdrücken, während sie seinem Blick standhielt. Robert brachte ein kehliges Lachen hervor. „Ich mag diesen widerspenstigen Blick. Da steckt Feuer hinter.“ Bella hielt die Luft an, als sie plötzlich spürte, wie seine Hand an ihrer Taille entlangwanderte. „Lass das gefälligst“, schob sie diese so gut es ging weg. „Ich bin keine dieser Nutten, die sich für einen Quickie in eine dreckige Gasse zerren lassen.“ „Isabella“, grinste er unverhohlen. „Was ist schon dabei, ein bisschen Spaß zu haben?“ Grob nahm er ihr Gesicht in seine Hände und startete einen Versuch, ihr seine schmierigen Lippen aufzudrücken. Wie konnte sie heute auch nur einen Gedanken daran verschwendet haben, sein Lächeln charmant zu finden? Bella drehte ihren Kopf so gut es ging zur Seite, sodass er sein Ziel verfehlte, nahm ihren ganzen Mut zusammen und rammte ihm mit aller Kraft ihr Knie zwischen die Beine. Robert stöhnte vor Schmerz auf, krümmte sich zusammen und hielt sich die Stelle. Bella indes nutzte die Chance, aus der Gasse zu fliehen, kam aber nicht weiter als ein paar Schritte, als sie spürte, wie seine Finger sich um ihr Handgelenk klammerten. „Warte, du Miststück“, krächzte er wütend. Bella versuchte sich loszureißen, aber sein Griff war eisern. „Loslassen.“ Das kam nicht von Bella. Und auch Roberts Stimme war es nicht. Sie drehte sich um und sah den Schatten eines Mannes hinter sich. Das Licht der Laternen befand sich in seinem Rücken, sodass sie ihn nicht richtig erkennen konnte. Was sie allerdings ganz genau registrierte, war seine Hand, die nun Roberts Handgelenk umschloss. Auch wenn Bella es nur erahnen konnte, sie hatte das Gefühl, dass dieser Fremde in der Lage war, mit nur einer einzigen Bewegung den Knochen des anderen zu brechen. Robert war dummerweise zu betrunken, um zu erkennen, dass er unterlegen war. Und so war es nur logisch, dass sein Versuch, dem Unbekannten eins zu verpassen, damit endete, selbst derjenige zu sein, der die Faust mit voller Wucht abbekam. Robert fiel sofort zu Boden und stöhnte vor Schmerz. Aber aufstehen tat er nicht wieder. „Arschloch“, rief sie ihm zu, als sie aus der Gasse trat. Der kurze Schauer hatte mittlerweile wieder aufgehört. Ihr unbekannter Retter schmunzelte hinter ihr und jetzt, wo er mit dem Gesicht gen Straßenlaterne stand, erkannte sie ihn und sein rötlich schimmerndes Haar auch. Und schlimmer hätte es wirklich nicht kommen können. Sie war doch tatsächlich dem einen Idioten entkommen und dem anderen direkt in die Arme gelaufen. Es war der ‚Kuss-Angreifer‘ von vor ein paar Stunden. Wie sollte sie sich denn jetzt bitteschön verhalten? Das kurze Gefühl der Sicherheit hatte sich genauso schnell verflüchtigt, wie es gekommen war. Nervös strich sie sich eine Strähne hinters Ohr, räusperte sich und murmelte ein „Dankeschön“, bevor sie kehrt machte und sich humpelnd so schnell es ging entfernte, während sie in der Tasche nach ihrem Handy kramte. „Hey, jetzt warte mal“, rief er ihr hinterher und instinktiv ging sie noch ein wenig hastiger. „Du verhältst dich gerade ein bisschen unfair, findest du nicht?“ Was sollte das denn heißen? Sie hatte sich bei ihm bedankt, mehr konnte er wirklich nicht von ihr verlangen. „Wenn du wegen vorhin sauer bist, dann kann ich das halbwegs verstehen“, meinte er, als er sie eingeholt und sanft ihren Arm gepackt hatte. „Auch wenn ich mit allem außer einer Ohrfeige gerechnet hätte.“ Seine Mundwinkel zuckten. Fassungslos starrte sie ihn an. Sie wollte ihm bereits entgegen schreien, er solle sie loslassen, als sie feststellte, dass sein Griff so locker war, dass sie sich gut selbst hätte losreißen können. „Das war ja wohl die normalste Reaktion der Welt“, konterte sie stattdessen. „Nicht, wenn man vorher dazu animiert worden ist.“ „Bitte?!“, riss Bella sich nun doch los. „Wann soll ich das denn gemacht haben?“ „In deiner SMS?“, antwortete er verständnislos. „Warte, ich habe es schwarz auf weiß.“ Aus seiner Tasche holte er ein großes, silbernes Touch-Handy, tippte ein paar Mal darauf herum, ehe er ihr das Display entgegenhielt. Die Textnachricht, die er ihr zeigte, stammte von einer Isabella und das ließ sie schon ihre Stirn runzeln. Aber was da stand, war noch viel … na ja, es erklärte seine Aktion, ging er davon aus, dass sie diese Isabella sein sollte. Du traust dich ja doch nicht, mich beim ersten Treffen mit einem Kuss zu begrüßen, stand dort ganz deutlich. Bellas Wut und ihre Ängstlichkeit legten sich ein wenig und es kam sogar ein kleiner Funken Reue in ihr auf, wenn sie an die Ohrfeige zurückdachte. Obwohl sie ihre Reaktion im Normalfall immer noch gerechtfertigt fand. „Trotzdem kann man nicht einfach einen wildfremden Menschen küssen, ohne vorher zu überprüfen, ob man auch wirklich die richtige Person erwischt hat“, meinte sie vorwurfsvoll. Der Fremde zog eine Augenbraue in die Höhe. „Also bist du nicht Bella Swan, 23 Jahre alt, Literaturstudentin und Kurzzeitangestellte in einer kleinen Bar namens Riot? Du bist nicht das Mädchen auf diesem Foto?“ Abermals hielt er Bella sein Handy vor die Nase und zeigte ihr ein deutliches Abbild ihrer selbst. Wie vor den Kopf gestoßen starrte sie ihr Gegenüber einfach nur an, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Dem Unbekannten war das anscheinend Antwort genug, nur dass er es ganz falsch interpretierte. „Also habe ich recht, ja? Wäre es da in Bezug auf die Situation nicht angebracht, sich bei mir zu entschuldigen? Immerhin habe ich ein Konzert verpasst“, grinste er frech. Bella erwachte aus ihrer Starre und schüttelte fassungslos den Kopf. „Das ist unglaublich. Ich hab keine Ahnung, woher du mich kennst und ich hoffe für dich, dass du keiner dieser Stalker bist, weil ich in diesem Falle sofort die Polizei rufen werde. Aber eins sage ich gl-“ „Stopp“, unterbrach er sie schroff. „Du erkennst mich nicht, oder?“ Er hielt kurz inne, sah mich an und legte dann seine Hände auf seine Brust. „Edward Cullen, Medizinstudent im fünften Semester. Der, der die zweite Eintrittskarte ergattert hat.“ „Bitte was?“ „Ich habe mich nach deinem Aufruf im Radio gemeldet. Du hattest doch eine Karte für das Konzert über, weil deine Begleitung abgesprungen ist. Und weil ich den Anforderungen deiner Meinung nach entsprochen habe, hast du mir die Karte zugesichert. Wir haben doch die ganze Zeit hin und her gesimst. Und du hast mir dieses Foto von dir geschickt und mir gesagt, was du anziehst, damit ich dich auch erkenne.“ Je mehr Bella ihm zuhörte, desto verrückter kam er ihr vor. Sie hatte keine Ahnung, woher er das mit Alice‘ Karte wusste, aber feststand, dass dieser Typ ganz offenbar ein paar Schrauben locker hatte. Und dass er anscheinend nicht ungefährlich war, immerhin war er so weit gegangen, sich ein Foto von ihr zu besorgen. Er musste ganz einfach ein Stalk- … Oh! Warum hatte sie nicht schon viel früher daran gedacht? „Ähm, darf ich mir kurz diese ganzen SMS, die von mir sein sollen, durchlesen?“, fragte sie ihn versucht höflich. Wenn sich ihre Vermutung bestätigte, dann würde das alles einen Sinn ergeben. Edward wusste zwar nicht, worauf sie hinaus wollte, öffnete aber ohne zu zögern den Ordner mit den Nachrichten und übergab ihr bereitwillig sein Handy. Bella las sich eine nach der anderen genau durch und mit jedem neuen Text weiteten sich ihre Augen ein Stück mehr. Aber sie erkannte die Schreibweise. Sie war sich von Zeichen zu Zeichen sicherer, wer all diese Nachrichten geschrieben hatte, und nun senkten sich ihre Lider zu gefährlichen Schlitzen. „Ich möchte nichts kaputt machen, kannst du kurz deine Nummer unterdrücken? Ich würde gern mal bei dieser Isabella anrufen, wenn du nichts dagegen hast.“ Edward musterte sie irritiert, mittlerweile war er derjenige, der die Situation nicht mehr komplett erfassen konnte. „Ich verspreche dir, danach wird sich alles klären“, versicherte sie ihm, als er immer noch zögerte. Edward tat, worum er gebeten wurde und beobachtete anschließend, wie Bella die Nummer wählte, das Handy an ihr zierliches Ohr hielt und dem Klingeln in der anderen Leitung lauschte. Erst einmal, dann zweimal … beim dritten Mal nahm dann endlich jemand ab. Und Bella wusste, dass sich in diesem Moment ihre Vermutung hundertprozentig bestätigt hatte, als sie die Stimme am anderen Ende wiedererkannte. „Hallo, Alice.“ ~°~ „Oh Gott, das ist mir immer noch so peinlich“, jammerte Bella, während sie ihre Hände übers Gesicht schlug. Edward, der ihr in dem kleinen Diner gegenübersaß, schmunzelte nur. „Es konnte ja niemand ahnen, was sich deine Freundin da ausgedacht hat.“ „Eben doch! Ich hätte gleich darauf kommen müssen, ich hätte es wissen müssen.“ Sie würde dieses Teufelsweib umbringen, ganz sicher. Und vor allem ganz langsam. Oh ja, Bella würde sie leiden lassen. „Das mit der Ohrfeige tut mir jetzt doppelt so leid. Ich kann das gar nicht wieder gut machen.“ „Bella“, beschwichtigte er sie. „Das ist doch schon längst vergessen. Und jetzt im Nachhinein kann ich dich auch völlig verstehen. Ich müsste mich also eigentlich bei dir entschuldigen.“ Sie lächelte ihm halbherzig entgegen, ehe sie sich ihrem Kaffee widmete. Eigentlich hatte sie vorhin vorgehabt, gleich nach Hause zu fahren, aber als sie nach dieser ganzen Sache ein weiteres Mal zur Seite gestolpert war, hatte Edward ihr angeboten, sie auf einen kleinen Snack und einen heißen Kaffee einzuladen. Von einem schlechten Gewissen geplagt, hatte sie das Angebot angenommen und Edward hatte es netterweise als „zweiten Neuanfang“ bezeichnet. „Aber gut war er“, musste sie zugeben, als sie über den Rand ihrer Tasse lugte und sich mit roten Wangen an den Kuss zurück erinnerte. Edward sah sie fragend an, ehe ihm klar wurde, wovon sie sprach. „Oh“, lachte er leise. „Das …“ Eine angenehme Stille trat zwischen die beiden und während sie sich über die Sandwiches hermachten, warfen sie sich immer wieder verstohlene Blicke zu. Jetzt im Licht des Diners nahm sie sein Aussehen erst richtig war. Er hatte dunkle Haare, die einen deutlichen Rotstich hervorbrachten, elegant geschwungene Brauen und Augen, deren Farbe sie an grünes Moos erinnerte. Moos, das der Sonne ausgesetzt wurde und dessen intensives Grün durch die Strahlen etwas hellere Nuancen bekommen hatte. Ihr Blick wanderte über die gerade Nase, die hohen Wangen, die gleichmäßigen Konturen … und natürlich über die Lippen. Die obere war ein wenig schmaler als die untere. Aber beide waren weich. Das war ihr noch im Gedächtnis geblieben. Die Erinnerung an das sinnliche Gefühl ließ ihre eigenen Lippen plötzlich prickeln, und als ihr bewusst wurde, woran sie gerade dachte, senkte sie hastig ihren Kopf, während ihre Ohren heiß wurden. Vor ein paar Stunden hatte sie ihn noch zum Teufel jagen wollen! Ihr Magen drehte sich. Eben noch war sie dem einen Fremdling entkommen, da warf sie sich schon förmlich in die Arme des nächsten. Dabei ließ nur die Tatsache, dass Alice Edward offenbar für ‚in Ordnung‘ befand, ihre Vorsicht ein wenig schwinden. „Übrigens noch mal vielen Dank für vorhin“, meinte Bella dieses Mal vollkommen aufrichtig, als ihr Edwards Hilfe in der Gasse wieder in den Sinn kam. „Das mit diesem … Typen.“ „Kein Problem“, lächelte er. „Immer wieder gern.“ „Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich gedacht hab, er wäre derjenige, der Alice‘ Karte bekommen sollte. Ich meine, als ich ihn darauf angesprochen hab, hat er es ja noch nicht mal abgestritten“, schüttelte sie den Kopf. „Den Aufruf im Radio haben eine ganze Menge Leute gehört. Vielleicht hat er da seine Chance gesehen“, versuchte Edward zu erklären und schenkte ihr einen mitfühlenden Blick. „Wie bist du denn überhaupt darauf gekommen, dass er derjenige sein könnte?“ Bella schnaubte. „Na ja. Alice hat mir erzählt, dass sie ihre Karte übers Internet verschenkt hat, ich sie dem Typen vorm Konzert einfach nur übergeben müsste und dass er mich an meiner Tasche wiedererkennen würde. Und weil dieser Kerl heute was zu ebendieser Tasche gesagt hat“, sie hielt das silberne Paillettenaccessoire in die Höhe, „dachte ich, er wäre du. Und wenn ich jetzt daran denke, dass du wegen meiner Blödheit nicht auf das Konzert konntest …“ Sie wollte sich schon wieder die Hände über den Kopf schlagen, doch Edward kam dem entgegen und nahm ihre Finger in die seinen. „Alles okay.“ Seine Daumen strichen über ihre Handrücken und erst, als sie seine Wärme spürte, fühlte sie, wie kalt ihr eigentlich war. „Wie bist du eigentlich ...“ Bella räusperte sich. „Ich meine, war das nur Zufall, dass du in dieser Gegend aufgetaucht bist oder …“ „Ich muss zugeben, erst habe ich vor dem Einlass gewartet, weil ich dich abfangen und eine Erklärung haben wollte. Dann bin ich aber los, weil‘s mir zu lang gedauert hat. Es war wirklich nur Zufall, dass ich euch da entdeckt habe. Ich wusste erst gar nicht, dass du das bist.“ „Ah, also der unverhoffte Retter in der Not“, scherzte Bella schüchtern und war innerlich noch mal doppelt froh, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war. Vielleicht wäre sie auch allein klar gekommen, immerhin war Robert betrunken gewesen. Aber wenn jemand zur Hilfe kam, fühlte man sich hinterher doch immer sicherer. „Danke jedenfalls.“ Edward schenkte ihr ein so unglaublich schiefes Lächeln, dass sie darin hätte versinken können, und sie spürte, wie warm ihr ums Herz wurde. „Wie geht’s dir eigentlich?“ „Ähm, mir geht’s gut“, erwiderte sie, konnte Edward aber nicht wirklich überzeugen. „Ehrlich. Wieso fragst du? Wie sollte ich mich denn fühlen?“ „Deine Haut fühlt sich eisig an, obwohl wir schon über eine halbe Stunde im Warmen sitzen.“ Mit Nachdruck rieb er Bellas Hände aneinander. „Meiner Meinung nach müsstest du ein bisschen unter Schock stehen. Ich bin Medizinstudent, schon vergessen?“ Sie wusste nicht gleich, was sie sagen sollte. Stattdessen fing sie an zu kichern. „Schock? Wovon denn? Mir ist ein wenig kalt, ja. Aber ansonsten hab ich nichts zu beklagen.“ Edward seufzte, dann machte er Anstalten, seine Jacke auszuziehen und reichte sie ihr über den Tisch. „Hier, dann wird dir vielleicht ein bisschen wärmer." Etwas perplex starrte Bella ihn an, nahm ihm dann aber das Kleidungsstück ab und zog es sich über. Sie musste zugeben, dass sie sich geschmeichelt fühlte. Und als sie sich in den zwar dünnen, aber trotzdem warmen Stoff kuschelte, sog sie unauffällig den markanten und doch ganz schwach süßlichen Duft ein, der daran haftete. Sofort umhüllte sie ein Gefühl der Geborgenheit. Edward derweil hatte sich einen weiteren Becher Kaffee und ihr eine heiße Schokolade bestellt. Innerlich schmunzelte Bella über diese kleine Abänderung, während sie ihr dampfendes Getränk betrachtete. Die beiden saßen noch eine ganze Weile in dem Diner, unterhielten sich über dies und das und mussten feststellen, wie viele Gemeinsamkeiten sie doch besaßen. Zum Beispiel ihre Liebe zu dicken Wälzern, ihren Musikgeschmack – der sich offenbar nicht nur auf eine gemeinsame Lieblingsband beschränkte -, Orte, an die sie irgendwann mal reisen und Dinge, die sie gern einmal machen wollten; Bungee-Jumping und Paragliding waren da noch die harmlosesten Sachen. Bella registrierte mit Zufriedenheit, dass Alice Edward nicht ihr gesamtes Leben auf dem silbernen Tablett serviert hatte und dass sie ihm also auch ein paar Dinge von sich erzählen konnte, die er noch nicht wusste. Edward indes machte sich nichts daraus, ihr noch einmal all das über sich zu verraten, was ihre beste Freundin schon wusste. Dass er noch zwei Geschwister hatte, dass er ursprünglich aus Alaska kam und dass er einen schwarzen Labrador namens Muffin besaß. Als der Diner dann allmählich schloss, hatte Bella mehr als genug Vertrauen zu ihrem Begleiter gefasst, dass sie ohne groß zu überlegen Edwards Angebot annahm, sie nach Hause zu fahren. Ihre Wohnung befand sich fast am anderen Ende von Seattle und Bella genoss die lange Fahrt in dem silbernen Volvo, auch wenn sie größtenteils schwiegen und nur der Musik im Radio lauschten. Wieder eine Gemeinsamkeit, Edward hörte offenbar auch gerne Klassik. Die Melodie war entspannend und Bella war schon kurz davor einzunicken, wenn Edward ihr nicht in diesem Moment gesagt hätte, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. „Da sind wir“, meinte er, als sie an der Eingangstür ankamen, und Bella fühlte sich plötzlich wie in einem dieser Filmromanzen, wenn das vermeintliche Paar sein erstes Date hinter sich hatte und an der Türschwelle ein Kuss das Abschiedswort bildete. Und zugegeben, sie war nervös, auch wenn das hier eigentlich gar kein Date war, sondern ein eher zufälliges Treffen, beruhend auf einigen Missverständnissen. „Ja …“, seufzte Bella, blieb vor der Tür stehen und drehte sich zu Edward um. Gerade wollte sie ihn etwas fragen, als er ihr auch schon zuvorkam. „Eins würde mich noch interessieren. Wie kommt es, dass du überhaupt nichts von dem Radioaufruf wusstest?“ Bella musste lachen. Tja, wie kam das wohl? „Ich mag da vielleicht die eine Ausnahme bilden, die absolut kein Radio hört. In Cafés und sonst wo sind sie meistens zu leise, als dass ich auf den Inhalt achte, und Zuhause höre ich nur meine selbst zusammengestellten CDs. Was sich in der Welt abspielt, bekomme ich auch so mit.“ „Bis auf die Sache mit den Karten“, konterte Edward amüsiert, Bella stieg darauf ein. „Ja, bis auf diese Sache.“ Stille trat zwischen sie, doch keiner von beiden machte Anstalten, sich zu verabschieden. Bis Bella die Initiative ergriff. „Also, wir sehen uns?“, fragte sie, plötzlich unsicher, ob er damit überhaupt einverstanden war. Aber als sie bemerkte, wie er sie anlächelte, wichen alle Zweifel. „Sofern ich beim nächsten Treffen nicht mit einer schlagfertigen Begrüßung rechnen muss?“, brachte er Bella zum lachen. „Kommt drauf an, wie ich begrüßt werde.“ Edward lächelte schief und sah ihr dann tief in die Augen, ehe er sich langsam zu ihr hinunter lehnte. Doch bevor er zu seiner eigentlichen Tat kommen konnte, hatte Bella ihm schon ihren Zeigefinger auf die halb geöffneten Lippen gelegt. „Mehr als ein Kuss beim ersten Date ist nicht erlaubt.“ Edward schaute sie einen Moment lang überrascht an, grinste dann aber, ohne sich wieder zurückzulehnen. „Also hatten wir heute ein Date?“ „Eher eine unglückliche Verkettung der Ereignisse mit positivem Ausgang?“, konterte Bella schalkhaft. „Ah, die Frau kann auch verbal gut austeilen.“ „Allround-Talente sind zwar selten, aber dennoch zu finden.“ „Dann kann ich mich ja glücklich schätzen, eines gefunden zu haben.“ „Allerdings.“ Bella konnte sich kaum noch das Lachen verkneifen, und frustriert stellte sie fest, dass Edward sich sehr viel besser unter Kontrolle hatte. Vielleicht sollte sie ihm noch einmal eine Ohrfeige verpassen, damit er seine Selbstbeherrschung aufgab. Nachdem ihr stummes Blickduell ihn auch nicht aus der Reserve lockte, seufzte sie resigniert. „Na gut, ich sollte dann besser mal hinein gehen.“ „Okay“, war alles, was Edward darauf erwiderte und sie wunderte sich schon über die knappe Antwort, als sie doch noch Zeuge wurde, wie er mit Mühe versuchte, nicht loszuprusten. Edward musste den Blick abwenden, andernfalls hätte er definitiv die Fassung verloren. Aber das reichte Bella schon, mehr wollte sie gar nicht. Jedenfalls nicht heute. Sie kramte in ihrer Tasche nach ihrem Schlüssel, öffnete die Tür und trat in den Flur, wo sie sich noch einmal umdrehte. „Danke für die Heimfahrt, Edward.“ Der Angesprochene hatte sich derweil wieder gefangen und lächelte ihr nun entgegen. „Gern geschehen.“ „Also, wer meldet sich bei wem?“ „Ich würde sagen, derjenige, der es als erstes nicht mehr aushält.“ Bella setzte eine Unschuldsmiene auf. „Oh, dann könnte es passieren, dass wir uns gar nicht mehr sehen, weil keiner nachgeben will.“ „Autsch“, antwortete Edward gespielt gekränkt und Bella verzog amüsiert die Lippen. „Oh, deine Jacke. Das hätte ich beinahe vergessen.“ Sie wollte sie, wenn auch widerwillig, bereits von ihren Schultern streifen, als Edward sie aufhielt. „Behalt sie vorerst. Sonst habe ich ja keinen Grund, wiederzukommen.“ „Autsch“, gab dieses Mal Bella von sich. Edward schmunzelte. „Bis bald, Miss Swan.“ Ein angedeutetes Nicken, dann drehte er sich um und ging zurück zu seinem Wagen, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen. Bella stand noch einen Augenblick da und beobachtete, wie Edward losfuhr. Verträumt nahm sie ihre Unterlippe zwischen ihre Zähne und bekam ein derart breites Grinsen, welches sogar den Mount Everest in die Knie gezwungen hätte. Als sie etwas später in ihrem Apartment war und sich für die Nacht fertig gemacht hatte, ließ sie sich mit ausgebreiteten Armen rücklings aufs Bett fallen und genoss das Kribbeln, das sich schon seit einer ganzen Weile in ihrem Bauch breitmachte. Die unangenehmen Teile des Abends waren längst vergessen und nur die angenehmen Passagen füllten nun ihre Gedanken – und natürlich kam in jeder einzelnen Edward vor. Edward … altmodischer Name. Aber irgendwie sexy. Auf jeden Fall passte es zu ihm. Ohne groß zu überlegen schnappte sie sich ihr Handy vom Nachttisch und probierte gleich die neueste Nummer darin aus. Vielen Dank für den schönen Abend. Bella. Sie konnte sich schon bildlich vorstellen, wie Edward die Nachricht las und dabei lachen musste, wo doch sie diejenige gewesen war, die gemeint hatte, sie würden sich vor Sturheit vermutlich niemals beim anderen melden. Aber das war ihr in diesem Moment egal. Oder vielleicht auch nicht. Eher bescherte ihr die Vorstellung, wie Edward sich über ihre Nachricht amüsierte, ein verlegenes Grinsen im Gesicht. Und sie konnte es kaum erwarten, eine Antwort von ihm zu erhalten. Als sie aber nach einer halben Stunde immer noch nichts von ihm hörte, zog sie sich halb wütend die Decke über den Kopf und als sie kurz davor war einzuschlafen, hörte sie dann doch noch den vertrauten Klingelton ihres Handys. Wie der Wind drehte sie sich um und griff nach dem Telefon. Vergessen waren die Flüche und Verwünschungen, stattdessen lächelte Bella selig vor sich hin, als sie ihre „neue Nachricht“ las. Wie ich sehe, konnte da jemand nicht warten. Aber es freut mich, dass der Abend für uns beide doch noch ein gutes Ende genommen hat. Ich fand ihn ebenfalls sehr schön und ich würde mich freuen, wenn wir das nächsten Samstag wiederholen könnten. Edward. Gleiche Uhrzeit, gleicher Ort, Mr. Cullen, war alles, was Bella zurückschrieb, bevor sie sich mit einem zufriedenen Gähnen und seinem Duft in der Nase in die Laken kuschelte. ~°~ Die Sonne senkte sich gen Horizont und tauchte den einst blauen Himmel mit seinen hauchdünnen Wattewolken in ein leuchtendes Rot, das die umliegenden Gebäude, Mauern und Bäume eine ganz eigene Farbe verlieh. Man könnte hundert Straßenmaler hierher bringen, um die Szenerie auf Leinen festzuhalten, und jeder hätte die Farben vermutlich anders umgesetzt. Es war ein wunderschöner Abend, das lauwarme Lüftchen senkte die Hitze des Tages auf angenehme Temperaturen. Bella warf dem Abbild neben sich in den Schaufenstern, das ihr auf Schritt und Tritt folgte, immer wieder verstohlene Blicke zu. Sie traute sich nicht richtig hineinzusehen, aus Angst, das, was sie dort entdecken würde, wäre nicht das, was sie erwartete. Das Licht der Abenddämmerung in den Glasscheiben reflektierte ihr Erscheinungsbild auf eine seltsame Weise und jedes Mal, wenn Bella im Augenwinkel einen Blick darauf erhaschte, bekam sie das Gefühl, eine Fremde würde neben ihr wandern. In den Ohren ihrer besten Freundin würde das vermutlich lächerlich klingen. Immerhin war Alice das Selbstbewusstsein schlechthin; egal, was sie trug, sie war überzeugt davon, dass es zu ihr passte, war es auch noch so extravagant. Aber dieses Mal war der Zwerg eben nicht dabei gewesen, als Bella sich ein Outfit für den Abend zurechtlegen musste und so war sie gezwungen gewesen, selbst zu entscheiden, was am besten geeignet war und was nicht. Ausgerechnet bei diesem Date. Über kein anderes in ihrer Vergangenheit hatte sie sich jemals so viele Gedanken gemacht. Noch nie war sie derart nervös gewesen. Aber der kleine, schwarzhaarige Teufel hielt es ja noch nicht einmal für nötig, sich auch nur ein einziges Mal in der letzten Woche bei Bella zu melden, geschweige denn ans Telefon zu gehen, wenn sie angerufen wurde. Es gab nur zwei Möglichkeiten, die ihr Verhalten erklären konnten. Erstens, Alice‘ Blind Date war so erfolgreich gewesen, dass sie die ganze Woche nur noch damit beschäftigt war, ihren Schwarm zu umgarnen. Zweitens, sie hatte nach dem Anruf am vergangenen Samstag, den Bella mit Edwards Handy getätigt hatte, so viel Angst vor einer direkten Konfrontation, dass sie sich in ihren vier Wänden verbarrikadierte und jede noch so kleine Chance auf Kontakt im großen Bogen umging. Vielleicht war sie auch ausgewandert. Oder entführt worden … Aber selbst dann hätten die Täter sie spätestens nach zwei Tagen wieder freiwillig laufen lassen. Was auch immer es war, Bella würde es sich nicht nehmen lassen, sich bei Alice für diese kleine Gefälligkeit mit dem Radio zu ‚revanchieren‘. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite tauchten mittlerweile mehr und mehr Bäume auf, Bella hatte den Park also fast erreicht. An diesem Wochenende waren nicht ganz so viele Leute unterwegs wie beim letzten Mal, immerhin fand heute kein Konzert statt. Dennoch gab es eine ganze Menge Pärchen und kleinere Grüppchen, Jogger und Was-wusste-der-Geier-noch-alles. Bella überquerte die Straße und folgte dann dem kleinen Weg, der direkt zum Open-Air-Gelände führte. Es dauerte gute fünf Minuten bis zur Stelle, an der sie das letzte Mal auf den vermeintlichen Karten-Ersatzbesitzer gewartet hatte, und nur einmal rief ihr eine Gruppe betrunkener Jugendlicher anzügliche Bemerkungen hinterher. Wie konnte man sich so früh am Abend schon so dermaßen gehen lassen? Ihre Nervosität, die ohnehin schon mit jedem weiteren Schritt anstieg und bisher nur auf positiver Erwartung beruht hatte, versetzte diese kleine Sache einen dezenten unangenehmen Stich, und instinktiv erhöhte sie ihr Tempo. Mit einem Augenrollen erinnerte sie sich aber gleichzeitig wieder an die Worte, die ihr Vater Charlie ihr vor ein paar Jahren mal am Frühstückstisch gesagt hatte: Welches halbwegs normale Mädchen geht denn heutzutage noch allein im Park spazieren? Gut, bezog man das auf letzte Woche, hätte Bella es sich vermutlich ein bisschen mehr zu Herzen nehmen sollen. Aber die Wahrscheinlichkeit, an zwei Samstagen hintereinander das gleiche zu erleben, war ungefähr so groß wie die Möglichkeit einer Supernova in den nächsten fünfzig Jahren. Und es war ja auch nicht so, dass Bella den ganzen Abend allein bleiben würde. Sie war auf dem Weg, ihre Begleitung zu treffen, was sich nur noch um Minuten handeln konnte. Außerdem hatte Edward ihr in einer der zahllosen SMS, die sie sich in den vergangenen Tagen geschrieben hatten, sogar angeboten gehabt, sie von Zuhause abzuholen. Hätte sie sein Angebot also nicht so großzügig ausgeschlagen, wäre sie heute auch gar nicht allein unterwegs. Aber hätte sie es angenommen, wäre ihr Vorhaben nicht mehr machbar gewesen. Je näher sie dem Treffpunkt kam, desto aufgeregter wurde sie, all die Gedanken, die sie bis eben noch gehabt hatte, schwanden genauso wie die Bäume, die lichter wurden. Keine Sorgen mehr wegen dem Outfit oder einem Mädchen, das abends allein spazieren ging. Und dann sah sie ihn. Bella hatte extra einen späteren Bus genommen, um sicherzugehen, dass Edward schon da sein würde, wenn sie hier ankam. Sie wollte nichts dem Zufall überlassen und immerhin musste sie das letzte Mal auch auf Mr. Unbekannt warten. Er war nicht weit entfernt, vielleicht zehn, fünfzehn Meter, und stand mit dem Rücken zu ihr an einen Baum gelehnt. Hindernis Eins war also schon überwunden. Bella musste zugeben, dass ihr Plan einen Haufen Lücken aufwies, zumal es heute statt einer drängelnden Menschenmasse jede Menge offenes Gelände gab. Aber sie hoffte einfach, dass Madame Fortuna auf ihrer Seite sein würde. So leise wie möglich schlich sie sich an ihn heran. Ein Schritt, einmal Herzklopfen. Je geringer der Abstand und je langsamer ihre Schritte, desto schneller raste ihr Puls. Innerlich hoffte sie, nicht dem Klischee zu erliegen, kurz vorher auf einen Ast zu treten und so ihre Anwesenheit zu verraten. Und dann hatte sie es geschafft. Sie stand hinter ihm. „Ich hätte dich beinahe nicht erkannt. Ich dachte, du würdest eine braune Jacke tragen.“ Und in dem Moment, in dem Edward sich umdrehte, nahm sie sein Gesicht in beide Hände und legte ihre Lippen auf die seinen. Gott, wie hatte sie dieses Gefühl vermisst. Tausendmal hatte sie sich diese Szene in ihren Gedanken vorgestellt, seit sie sich zu dieser Aktion entschlossen hatte. Tausendmal hatte sie sich seinen Kuss in Erinnerung gerufen. Und trotzdem kam keine einzige gedankliche Version an das heran, was sie nun spürte. Nur das Original konnte ihr ein derartiges Glücksgefühl bescheren, das ihr durch Mark und Bein fuhr. Edward war aus seiner anfänglichen Starre erwacht, nahm Bellas zierlichen Körper sanft in seine Arme und erwiderte vorsichtig den Kuss. Bella war diejenige, die die aufgekommene Sensation beendete und sich mit einem zufriedenen Lächeln zurücklehnte, während sie schweigend das kribbelnde Gefühl auf ihren Lippen genoss und ihr Gegenüber neugierig musterte. Das Herzklopfen, dessen Ausmaß sie noch nicht mal bei ihrer allerersten Verabredung verspürt hatte, nahm nicht ab. „Es ist viel zu warm für eine Jacke“, flüsterte er amüsiert, während er ihren Blick erwiderte. „Und außerdem war das unfair. Jetzt fällt der Abschiedskuss ja wieder aus.“ Bella grinste. „Ausgleichende Gerechtigkeit.“ ~°~°~ August ~°~°~ Die letzten Töne des Songs klangen etwas gezerrt aus den Boxen des kleinen Radios. Die Melodie zur vollen Stunde ertönte und kündigte die News an. Während der Moderator die wichtigsten Fakten vorlas, ein bisschen was zu den neuen Ereignissen in der High Society erzählte und anschließend für die nächsten Tage weiterhin heiße Temperaturen versprach, drehte sich das Mädchen im Bikini bäuchlings auf die Strandecke und griff in ihre Tasche, um ein kleines, schwarzes Mobilfunkgerät herauszuholen. Ihre langen, dunklen Haare glitten über ihre Schulter, doch bevor sie selbst diese hinter ihr Ohr klemmen konnte, war bereits eine fremde Hand dabei, ihre Strähnen in einer sanften Bewegung zurück auf ihren Rücken zu streichen. Ein kleiner Schauer überfiel sie bei der Berührung seiner Fingerspitzen auf ihrer Haut. „Das wird Jasper gar nicht gefallen“, flüsterte er ihr zu, bevor er die Gelegenheit nutzte, an ihrem Ohrläppchen zu knabbern. Das junge Mädchen widerstand dem Reflex, den Kopf bei dem kitzelnden Gefühl einzuziehen und konzentrierte sich stattdessen darauf, die Nummer des Senders einzutippen. „Jasper weiß Bescheid.“ Der junge Mann sah überrascht auf, lächelte dann aber schief. Sein Gegenüber grinste ihn verschlagen an, während sie dem Freizeichen lauschte und mit den Schultern zuckte. „Sonst würde es doch nicht klappen.“ „Radio KBKS am Apparat. Was können wir für dich tun?“, meldete sich die Stimme des Moderators freundlich. Das Mädchen legte sich mit einem Grinsen zurück auf den Rücken. Ihre Finger fuhren verträumt durch das strubblige Haar des jungen Mannes, der sich nun über sie gebeugt hatte. Im kräftigen Licht der Sonnenstrahlen schimmerten die Spitzen seiner bronzenen Haare in einem hellen Kupfer. „Ähm, ja. Nächste Woche ist doch das Konzert von Limp Bizkit. Und ich hätte da noch zwei Karten übrig.“ „Und für die möchtest du nun einen neuen Besitzer finden“, schlussfolgerte der Moderator und war sowohl durchs Handy als auch durch das kleine Radio im Sand zu hören. Der ‚männliche Sonnenschutz‘ des Mädchens lächelte verschmitzt, während sie die Vermutung ihres Gesprächspartners bestätigte. „Das Konzert ist seit Monaten ausverkauft. Ich bin mir sicher, dass sich da ziemlich schnell jemand finden wird.“ Die Dunkelhaarige schwieg einen Moment und blickte in das Paar grüner Augen ihr gegenüber, das abenteuerlustig aufblitzte, bevor die dazugehörigen Lippen plötzlich neckisch über ihre Halsbeuge streiften und sie sich gerade noch rechtzeitig ein Auflachen verkneifen konnte. „Ja, davon gehe ich doch mal stark aus.“ „Okay, dann bleib doch bitte noch kurz in der Leitung, damit wir deine Daten notieren können“, meinte der Moderator und wandte sich anschließend seinen Hörern zu. „Ihr habt es gehört, Leute. Wer also auf das Limp Bizkit-Konzert möchte und leider keine Karten mehr bekommen hat, hier ist eure Chance.“ Und dann wandte er sich noch einmal an seine Gesprächspartnerin. „Vielen Dank für deinen Anruf. Natürlich hoffen wir, dass sich schnell neue Besitzer finden werden, auch wenn ich da eigentlich keine Bedenken habe. Darf ich denn noch kurz fragen, wen ich in der Leitung hatte?“ Das junge Mädchen musste mit ihrer Antwort kurz innehalten und tief Luft holen, da ihr männlicher Part damit begann, wirklich alle Künste der Ablenkung aufzufahren und spielerisch das Band ihres Bikinioberteils löste. „Ähm, na klar. Alice. Ich heiße Alice.“ ~°~ Fin ~°~°~ Limp Bizkit - Counterfeit [http://www.youtube.com/watch?v=OSYMqfnARXk] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)