Die Frau des Henkers von Caro-kun ================================================================================ Kapitel 8: Part 8 ----------------- Das Licht der Fackeln ließ seinen Schatten an den Mauern des Steinganges tanzen, als er den so verhassten Weg zur Folterkammer ging. Am liebsten wäre er umgedreht und hätte es gelassen, aber Jonathan wusste nur zu gut, dass er sich nicht auf ewig vor seiner Pflicht drücken könnte. Dass Robin schon vor langer Zeit misstrauisch geworden war, hatte ihn ja nicht sonderlich gestört – der Junge konnte ihm nichts anhaben – doch so langsam begann seine Nachlässigkeit, bis ins hohe Gericht durchzudringen und dem konnte er eben nur entgegenwirken, wenn er seine Arbeit etwas gewissenhafter ausführte, als in den letzten Wochen. Wobei er ja überhaupt nicht verstand, wieso man den Gefangenen nicht gleich hinrichten ließ. Es war immerhin eindeutig bewiesen, dass er versucht hatte den Kurfürsten zu bestehlen. Aber nein, der Richter bestand auf die Folter. „Wenn er solchen Spaß daran findet die Leute zu quälen, wieso macht er es denn dann nicht selbst?“, murmelte Jonathan halblaut und mit unterdrücktem Ärger in der Stimme. Jetzt war er vor der schweren Holztür angekommen. Er zögerte noch einen Moment, bevor er schlussendlich doch eintrat. Um die Todesgerätschaften an den Wänden nicht länger als nötig beachten zu müssen, richtete der Henker seine Aufmerksamkeit schnell auf den Dieb, der regungslos auf dem ledernen Bett saß. Ließ seinen Blick über den ausgemergelten Körper gleiten und stutzte. Der Gefangene kam ihm bekannt vor. Doch wieso? Woher kannte er ihn? Mit einem Mal hob der Mann den Kopf und blickte Jonathan aus dunklen, müden Augen eine kurze Zeit direkt an, bevor er mit brüchiger Stimme zum Sprechen ansetzte: „Wie geht es meiner Tochter?“ * Ohne dass sie es verhindern konnte warf Leonora immer öfter besorgte Blicke auf ihren Mann. Der saß nun schon seit seiner Ankunft in seinem Sessel vor dem Kamin. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem kummervollen Ausdruck auf dem Gesicht. Er hatte Leonora heute nicht begrüßt wie sonst, ja, sie noch nicht einmal richtig angesehen. Die Rothaarige hatte das merkwürdige Gefühl, er versuche vor ihr zu fliehen. „Willst du nichts essen?“, fragte sie in die Stille hinein. Jonathan schloss für einen Moment die Augen, presste die Lippen aufeinander und schüttelte währenddessen den Kopf. „Was ist denn los?“, die Ungeduld in ihrer Stimme konnte sie nicht verbergen, als sie sich neben ihn auf die Lehne setzte und den Arm um seine Schulter legte, „Ist bei deiner Arbeit irgendwas passiert, dass du so bedrückt bist? Heute Morgen war doch noch alles in Ordnung! Oder hat es was mit mir zu tun? Bitte sag es mir, Jonathan!“ Sie konnte sehen wie er Luft holte, den Mund öffnete und dann doch nur seufzend den Kopf senkte. „Ich …“, er brach ab. Die Hand hatte er inzwischen zur Faust geballt. Für einen winzigen Moment suchte er den Blick seiner Frau, wandte ihn jedoch blitzschnell wieder ab. „Ich hatte heute deinen Vater bei mir in der Folterkammer …“, murmelte er schließlich tonlos. In ihren Augen spiegelte sich nach dieser Aussage Verwirrung, Unverständnis und Entsetzen wider. Alles gleichzeitig. „Was?“, fragte sie fassungslos. Der Henker musste schlucken, als er spürte, wie ihre Hand von seiner Schulter glitt. Dennoch sagte er so gefasst, wie möglich: „Dein Vater war zur peinlichen Befragung in der Folterkammer. Er ist Gefangener im Justizpalast!“ „Aber warum, ich …“, Leonora wurde bleich, „ich verstehe nicht. Was hat er denn getan?“ Jetzt wandte sich ihr der Henker zum ersten Mal richtig zu: „Du erinnerst dich doch noch an diesen Aufruhr vor zwei Tagen. Den beim Besuch des Kurfürsten!“ „Ja, doch!“, nickte sie, „Es hieß, jemand habe versucht, seine Durchlaucht zu bestehlen.“ „Richtig!“, sagte Jonathan ernst, „Und dieser jemand war dein Vater! Er hat mir heute erzählt, er hätte schon früher immer mal wieder geklaut, um euch beide über die Runden zu bringen. Nie viel, immer nur so viel wie nötig. Doch da dieses Jahr die Ernte fast nichts an Ertrag eingebracht hat, ist er leichtsinnig geworden und hat sich anscheinend mit ein paar Kupfermünzen nicht zufrieden geben wollen und …“ Abrupt wurde er von seiner Frau unterbrochen, der auf einmal ein ganz anderer, schrecklicher Gedanke gekommen war: „Du hast ihn gefoltert … foltern müssen … was, was hast du mit ihm gemacht? Hast du …“ „Nein! Nein, Liebchen!“, beschwichtigend hob er die Hände, wollte versuchen sie wenigstens etwas zu beruhigen, „Ich brauchte ihn nicht foltern. Er hat von sich aus gestanden!“ „Und was passiert jetzt mit ihm?“ Genau vor dieser Frage hatte Jonathan sich den ganzen Abend lang gefürchtet. Ihm schnürte es die Kehle zusammen und er schaffte es einfach nicht, Leonoras abwartendem Blick standzuhalten. Doch genauso wenig gelang es ihm, sich irgendeine Ausrede zu überlegen. Er war bis jetzt ehrlich zu seiner Frau gewesen, da konnte er sie nun einfach nicht anlügen. Das wäre Verrat! „Er soll in drei Tagen hingerichtet werden!“, flüsterte der junge Mann nach einer gefühlten Ewigkeit rau. „Nein!“, Leonora stand auf und trat zwei Schritte vor ihm zurück, „Du lügst! Sag mir, dass das nicht wahr ist!“ Doch der Scharfrichter schwieg. „Man verhängt die Todesstrafe wegen eines Diebstahls, der noch nicht mal geglückt ist? Hör auf mich hier zum Narren zu halten!“, rief sie aus. „Natürlich hätte man ihn unter normalen Umständen einfach an den Pranger stellen lassen!“, Jonathan war aufgesprungen und nun ebenfalls lauter geworden, „ Aber Leo, er hat versucht den Kurfürsten zu bestehlen! Das sind keine normalen Umstände!“ Der jungen Frau kamen die Tränen. Sie stürzte auf ihren Mann zu, legte ihre Hände an seine Brust und krallte die Finger in den Stoff seines Obergewandes. „Du kannst ihn nicht töten! Bitte tu das nicht!“, flehte sie, „Du darfst ihn nicht töten!“ Der Henker sah sie nicht an. Dann brach mit einem Mal ein kurzes, freudloses Lachen aus seiner Kehle: „Hätte ich mir ja denken können. Es war so klar!“ „Was? Was war klar?“, fragte sie verwirrt nach, zuckte allerdings gleich darauf erschrocken zusammen. Jonathan hatte sich ihr ruckartig wieder zugewandt, sein Gesichtsausdruck war eiskalt und seine Augen gerötet. „Dass es dir vollkommen egal ist, ob ich sterbe oder nicht! Dass ich dir vollkommen egal bin!“, schrie er, riss sich von ihr los und stürmte auf die Tür zu. „Warte!“, wie in einem Reflex eilte Leonora ihm nach und griff nach seiner Hand. „Fass mich jetzt nicht an!“, zischte der junge Mann bestimmt. Seine Frau gehorchte. Blitzschnell. „Hör zu, es tut mir leid!“, versuchte sie zu erklären, „Ich hab nicht daran gedacht, dass du …“ „Was dann ja wohl Beweis genug sein dürfte!“, seine Stimme zitterte. So schnell wie sie gekommen war, so schnell war die Wut nun auch wieder verschwunden. Zurück blieb die Hilflosigkeit. „Nein!“, flüsterte die Frau kläglich. „Glaubst du, ich hätte nicht den ganzen Tag nachgedacht?“, fragte er verzweifelt, „Und gehofft, zu irgendeiner Lösung zu kommen? Ich weiß nicht, was ich machen soll, Leo. Ich weiß es einfach nicht!“, hilfesuchend sah er seiner Frau in die Augen, „Sag mir, was ich tun soll!“ Zuerst dachte Leonora, er hätte das einfach nur so vor sich hingesagt, doch bei seinen nächsten Worten, wurde ihr mit Schrecken klar, dass er es ernst meinte. „Wenn du verlangst, ich soll deinen Vater begnadigen, dann werde ich es!“ „Sag mal, bist du von Sinnen?“, keuchte sie, nachdem die erste Sprachlosigkeit überwunden war, „Wie kannst du so etwas von mir verlangen?“ Jonathan reagierte nicht. Er sah sie nur an und wirkte dabei mit einem Mal schrecklich müde. „Du hast ja noch zwei Tage Zeit dich zu entscheiden!“, sagte er schließlich, bevor er in die sternklare Nacht hinaustrat. Zu seiner Frau drehte er sich nicht noch einmal um, die in der Tür stand und seinen Namen rief. Völlig durcheinander zog Leonora sich letztendlich in ihr gemeinsames Schlafzimmer zurück. Mal hatte sie das Gefühl, die Gedanken würden durch ihren Kopf rasen und dann wiederrum fühlte sie sich wie betäubt. Was sollte sie tun? Sie konnte doch eigentlich in Wahrheit überhaupt nichts tun, um etwas an der Situation zu ändern. Während sie so mit den Tränen kämpfte, fiel ihr Blick ungewollt auf das grüne Wams von Jonathan, welches ordentlich zusammengelegt bei seinem Bett lag. Gerade vor ein paar Stunden hatte sie den letzten Nadelstich daran vorgenommen und sich so darauf gefreut, es ihm zu zeigen. Doch bei all der Aufregung eben, war es komplett in Vergessenheit geraten und auch jetzt kam es ihr irgendwie unwichtig vor. Ob ihr Mann es überhaupt noch haben wollte? Schließlich war er nun vermutlich dabei sich mit seinem Tod abzufinden. Was scherte ihn da ein neues Obergewand? Ja, der Henker schien sich sicher zu sein, dass Leonora lieber ihren Vater lebend sah als ihn. Aber entsprach das auch der Wahrheit? Die junge Frau wusste es nicht. Sie wusste es wahrlich nicht. Irgendwann zog sie sich erschöpft um und kroch unter ihre Decke. Doch schlafen konnte sie nicht. Ihre Gedanken drehten sich immer weiter im Kreis. Sie grübelte und überlegte und kam doch zu keiner Lösung. Sie war gefangen in einer Sackgasse. Sie war allein. Auch ein Grund, der sie wach hielt. Leonora wartete auf Jonathan. Wollte ihn jetzt in diesem Augenblick bei sich haben. Brauchte ihn. Doch der Henker kam nicht nach Hause. Er blieb die ganze Nacht fort. * Als der Morgen graute, war es für Leonora kein bloßes Warten mehr. Ihr war richtiggehend schlecht vor Sorge! Jonathan war ohne seinen Umhang aus dem Haus gegangen und die Nächte waren inzwischen bitterkalt, auch ohne Schnee. Lag der Henker jetzt vermutlich irgendwo und war erfroren? Glaubte er wirklich, er wäre ihr egal? War er deswegen nicht nach Hause gekommen? Hatte er sich am Ende gar selbst etwas angetan? All diese Fragen ließen Leonora so unruhig im Schlafzimmer umherwandern, dass sie richtig erleichtert zur Eingangstür rannte, als es draußen begann heller zu werden, und dabei noch nicht einmal bemerkte, dass sie noch ihr Nachtgewand trug. Es war nicht mehr dunkel. Nun könnte sie ihn suchen gehen! Sie trat über die Schwelle ihres Hauses und bemerkte beinahe zeitgleich, die Gestalt, welche sich unten am Fluss aufhielt. Intuitiv machte Leonora sich auf den Weg zu ihr. Das Gras war schmerzhaft kalt unter ihren bloßen Füßen, doch sie wollte ihre Vermutung bestätigt wissen. Und sie wurde nicht enttäuscht. Auf einem der vielen Steine, wo sie im Sommer die Wäsche zum Trocknen ausgebreitet hatte, saß ihr Mann. In zwei Pferdedecken gehüllt und den Knöchel seines Zeigefingers zwischen den blaugefrorenen Lippen. Das machte er immer, wenn er angestrengt nachdachte. Genauso, wie er sich jedes Mal, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, kurz durch die Haare fuhr und sich im Bett immer zur Wand drehte, weil er auf dieser Seite am besten einschlafen konnte. Als Leonora bei seinem Anblick, all diese Gedanken durch den Kopf schossen, wurde ihr zum ersten Mal so richtig bewusst, wie gut sie Jonathan inzwischen eigentlich kannte. Und ihr wurde damit von einer Sekunde auf die andere klar, dass sie sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen konnte. Egal wie sehr sie ihren Vater auch lieben und retten wollte, sie könnte Jonathan niemals in die Klinge springen lassen! Nicht, weil er ein Freund war. Nicht, weil sie ihm eine gute Ehefrau sein wollte. Sondern weil sie ihn liebte! Heiße Tränen rannen der jungen Frau über die kalten Wangen und aufschluchzend rannte sie die letzten Meter. Wann hatte ihr Herz damit aufgehört bloße Freundschaft für den Henker zu empfinden und begonnen ihn zu lieben? Wann nur? Zu Tode erschrocken fuhr der Scharfrichter zusammen, als seine Frau so plötzlich von hinten ihre Arme um ihn warf, das Gesicht an seiner Schulter verbarg und ihn so fest drückte, dass er im ersten Moment nicht wusste was er sagen sollte. „Ich will nicht, dass sie dich töten!“, wimmerte sie leise. „Ach, Liebchen!“, schmunzelte er und küsste sie auf die Schläfe, „Wenn das Glück auf unserer Seite ist, dann wird niemand von uns getötet!“ Sofort waren Leonoras tränennasse Augen auf die seinen gerichtet: „Wie meinst du das?“ „Ich glaube, ich habe eine Lösung gefunden!“, nun lächelte Jonathan, „Von der ich mich langsam Frage, wieso sie mir nicht schon vorher eingefallen ist!“ „Welche? Sag schon!“, die junge Frau hatte ihn an den Schultern gepackt und sah ihn flehend an. „Dein Vater muss fliehen!“ „Fliehen?“, wiederholte Leonora, „Wie?“ „Komm erst mal her!“, auffordernd öffnete Jonathan seine Arme. Sie ließ sich auf seinem Schoß nieder und er hüllte sie, so gut es ging, mit in die beiden Decken. Dann erst begann er zu erklären: „Du weißt doch sicher noch, dass es zu dem Gefängnis nicht nur den Eingang über den Justizpalast gibt, sondern noch diesen unauffälligen anderen. Den, aus dem sie dich damals auf den Richtplatz geführt haben!“ „Ja!“, nickte sie, „Diese niedrige Tür, die ein kurzes Stück noch zusätzlich von zwei Mauern eingegrenzt wird!“ „Richtig! Dort wird nur eine Wache postiert und die“, jetzt grinste der Henker, „langweilt sich in der Regel zu Tode. Ein Becher mit Wein ist da immer bei ihr vorzufinden, egal wer von den Männern gerade an der Reihe ist!“ „Worauf willst du hinaus?“ „In meinem kleinen Medizinzimmer, hab ich auch ein Schlafmittel …“ „ … das du ihm in den Wein kippst um an die Schlüssel zu kommen!“, unterbrach ihn Leonora aufgeregt, doch Jonathan legte ihr einen Finger auf die Lippen. „Nicht ich. Du!“ „Ich?“ „Mich kennen sie zu gut. Und dieser Vorfall darf unter keinen Umständen mit mir in Verbindung gebracht werden! Du musst an die Schlüssel kommen. Ich gehe mit dir zu seiner Zelle und vorher werde ich Amos im Wald in der Nähe des Nordtores anbinden, dann kann dein Vater auf ihm fliehen! Aber eins musst du wissen“, eindringlich sah der Mann ihr nun in die Augen, „Sobald das geschehen ist, können wir nichts mehr für ihn tun! Wir haben keinen Einfluss darauf, mit wie vielen Männern sie ihn jagen und ob er es schafft, sich gut genug vor ihnen zu verstecken. Ich kann dir also nicht garantieren, dass er mit dem Leben davonkommt!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)