Die Frau des Henkers von Caro-kun ================================================================================ Kapitel 6: Part 6 ----------------- Mit der Zeit gewöhnte Leonora sich daran, dass immer wieder zu den unmöglichsten Tageszeiten Soldaten oder Boten an ihre Tür klopften, um ihrem Mann seine Arbeitsaufträge mitzuteilen. So zogen die Tage und Wochen ins Land. Es wurde Herbst. Der kalte Nebel, der morgens noch über dem Gras gehangen war, hatte sich verzogen. Nun schien die Sonne und die orangeroten Blätter der Bäume standen in einem wunderschönen Kontrast zu dem Blau des Himmels. Vielleicht war es einer der letzten schönen Tage dieses Jahres, überlegte Leonora, als sie auf der Schwelle ihres Hauses stand. Das sollte sie ausnützen. Die Beeren im Wald waren jetzt mit Sicherheit reif. Aus denen könnte sie dann Marmelade machen. Oder einen Kuchen. Jonathan würde sich bestimmt freuen. Mit zwei Holzeimern machte sie sich auf den Weg in den Wald, ihre Gedanken jedoch blieben bei ihrem Mann hängen. Er war ihr seit diesem Kuss kein einziges Mal mehr so nahe gekommen. Allerding war es ihr nicht möglich darüber wirklich erleichtert zu sein, denn seinen darauffolgenden, enttäuschten Gesichtsausdruck hatte sie immer noch vor Augen. Jonathan hatte sich Hoffnungen gemacht und sie hatte sie zerstört und ihn damit verletzt. Das wusste sie und es tat ihr weh, da sie ihn wirklich mochte! Aber eben ‚nur‘ mochte. Sie liebte ihn nicht. Sie fühlte sich in seiner Nähe wohl, vertraute ihm und konnte ihn inzwischen ohne Zweifel zu ihrer Familie zählen. Aber sie liebte ihn nicht. Und ihm eine Liebe vorspielen die nicht echt war, damit würde sie ihn nur belügen. Das würde sie nicht schaffen, denn dazu mochte sie ihn einfach zu sehr. Deswegen versuchte sie dem Scharfrichter nun wenigstens eine gute Ehefrau zu sein. Ihm so viel Freude zu schenken, wie in ihrer Macht stand. * Obwohl Leonora immer mal wieder mit ihrem Rocksaum in den Brombeerranken festhing, hatte sie doch sehr schnell einen Eimer mit den saftigen, schwarzen Früchten bis zum Rand gefüllt. Sie war gerade aus der Hocke aufgestanden und wollte ein Stück weitergehen, als ein merkwürdiges Pfeifen an ihr Ohr drang. Irritiert sah sie sich um. Es ertönte noch einmal, dann knackte es plötzlich hinter der jungen Frau und schließlich kam Jonathan gebückt, und leise lachend, unter den tief herabhängenden Zweigen einer Tanne zum Vorschein. Leonora lächelte erleichtert, war aber dennoch enttäuscht, dass er sie überrascht hatte. „Ich wollte dir hiermit doch eine Freude machen!“, seufzte sie, wies dabei mit der Hand auf die bereits gesammelten Beeren. Ganz ernst sah der Henker ihr daraufhin in die Augen, bevor er leicht verständnislos antwortete: „Aber das ist dir doch gelungen!“ Die Rothaarige schmunzelte. „Bist du für heute etwa schon fertig mit arbeiten?“, fragte sie dann. „Nicht direkt …“, meinte Jonathan ausweichend, „Ich hab gerade wieder einen losgeschnitten. Seine Angehörigen haben mich gebeten, ihn erst in einer Stunde zu bestatten. Sie brauchen noch etwas um damit fertigzuwerden, wollen sich richtig verabschieden, … du verstehst …“ Ein Schauder durchlief den schlanken Körper der Frau. Sie fröstelte kurz. „Das ist jetzt bereits der dritte Selbstmord, seit Anfang des Monats …“, murmelte sie leise, „Das ist doch nicht normal, oder?“ „Nein, durchaus nicht!“, seufzte ihr Gatte, „Für viele Bauern läuft die Ernte dieses Jahr nicht gut und die Steuern wurden auch erhöht. Vermutlich hat der Hunger sie in den Freitod getrieben!“ Als er bemerkte, wie blass seine Frau geworden war, legte er ihr den Arm um die Schulter. „Ich weiß das ist furchtbar, aber so ist leider die heutige Zeit. Sieh es doch mal so: Ich hab jetzt immerhin etwas Zeit für dich!“, meinte er sanft und drückte sie an sich, „Lass uns gemeinsam weiter Brombeeren suchen! Eine bessere Möglichkeit diesen ganzen Mist zu vergessen, will mir nämlich gerade überhaupt nicht einfallen!“ „Du Armer!“, mitfühlend rieb sie über seinen Oberarm, dann bückte sie sich, pflückte eine der schwarzen Früchte und hielt sie ihm an die Lippen. Lächelnd nahm Jonathan sie mit den Zähnen entgegen, verzog aber sehr schnell das Gesicht, als er begann zu kauen. „Sauer!“, stellte er nuschelnd fest, nahm seine Partnerin dann scharf ins Auge, „War das etwa Absicht, Liebchen?“ Leonora antwortete nicht. Grinste nur schief. Sie bekamen den einen leeren Eimer tatsächlich noch zur Hälfte voll. Leonora erzählte dabei von der einen oder anderen Tratschgeschichte die sie in den letzten Tagen in der Stadt aufgeschnappt hatte. Beide lachten viel und steckten sich hin und wieder, mal mehr, mal weniger süßen Beeren gegenseitig in den Mund. Sogar auf dem Nachhauseweg klang das Hochgefühl der jungen Frau nicht ab. Mit federnden Schritten lief sie neben ihrem Mann über das weiche Gras. Diese eine Stunde hatte ihr gutgetan, das musste sie sich eingestehen. Wo sie doch sonst immer nur spät abends ungestört beisammen sein konnten. Ohne zu zögern schob sie nach einer Weile ihre Hand in seine. Auf Jonathans überraschten Gesichtsausdruck daraufhin lächelte sie nur glücklich. Und der Henker erwiderte ihr Lächeln ebenso warm, umfasste dabei ihre Hand etwas fester. * „Sag, Liebchen …“, an der Tür drehte sich der Scharfrichter noch einmal um, als er gehen wollte, „könntest du mir für heute Abend ein heißes Bad richten? Ich will versuchen kurz nach dem Schließen der Stadttore zu Hause zu sein!“ Leonora, die gerade begann die eben gesammelten Beeren zu waschen, versprach der Bitte nachzugehen. Doch vorher machte sie sich noch einmal auf den Weg in die Stadt. Nicht um etwas Bestimmtes einzukaufen. Einfach nur, um zwischen den Ständen umherzuschlendern. Und an diesem Tag war auf dem Marktplatz tatsächlich etwas anders. Ein fahrender Händler hatte sich mit samt seinem Wagen in der Nähe des Brunnens aufgestellt, wo er seine Wahren anpries. Fasziniert trat die Rothaarige näher. Auf dem Tisch vor ihm lagen Stoffe, kostbarer Schmuck und wohlriechende Öle, die er in kleine Glasfläschchen abgefüllt hatte. Leonoras Augen blieben an einem dunkelgrünen Baumwollstoff hängen. Behutsam strich sie mit der Hand darüber und überlegte. Ein neues Wams für ihren Mann. Sie könnte ihm daraus doch eines selber nähen! Die Farbe würde Jonathan auf alle Fälle stehen. „Kann ich Euch helfen, junge Frau?“, fragte der beleibte Verkäufer freundlich. Im ersten Moment war die Angesprochene zwar etwas überrumpelt, fing sich aber schnell wieder: „Ja, bitte! Wie viel würden drei Ellen von dem hier kosten?“ * Zuhause angekommen legte sie ihre neue Errungenschaft zuerst einmal im Schlafzimmer ab. Sie würde an einem anderen Wams von Jonathan Maß nehmen. Später oder gar morgen erst. Jetzt hatte sie leider keine Zeit dazu mit nähen anzufangen. Die Sonne würde bald untergehen und sie musste noch das Bad für ihren Mann vorbereiten. Und das war keine leichte Arbeit. Sie musste die zwei mit Wasser gefüllten Blecheimer mühsam vom Fluss zurück zum Haus schleppen, dort jeweils einzeln über das Feuer hängen, warten bis das Wasser heiß war und das dann vorsichtig, um sich nicht selbst zu verbrühen, in den Holzzuber schütten. Und das ganze insgesamt vier Mal. Als der Henker nach Hause kam, war sie erst seit wenigen Minuten fertig und gerade dabei ihren schmerzenden Rücken leicht durchzudrücken. „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Jonathan. „Ja, doch. Keine Sorge!“, winkte Leonora daraufhin ab, „Ich bin diese Art von Arbeit nur noch nicht gewohnt!“ „Was hast du denn mit dem Stoff da drin vor?“, der junge Scharfrichter deutete mit dem Daumen hinter sich in das Schlafzimmer aus dem er sich eben sein Nachtgewand geholt hatte. Die Rothaarige lächelte. Verlegen, wie sie selbst überrascht feststellte: „Das wird ein Obergewand. Für dich!“ Erfreut hob Jonathan die Augenbrauen: „Danke, Liebchen!“ Während er im Bad war, fing sie doch schon an zu arbeiten. Zeichnete die Umrisse des neuen Kleidungsstücks so genau wie möglich mit Kohle auf die, bis jetzt noch makellose, grüne Stoffbahn. * Als Leonora mit ihrem Werk, zumindest für diesen Tag, zufrieden war, kehrte sie in die Wohnstube zurück. Jonathan saß bereits, gekleidet in sein blütenweißes Nachthemd, in dem bequemen Sessel. Seine Beine hatte er übereinandergeschlagen und in den Händen hielt er einen dampfenden Becher Tee. Gedankenverloren starrte er auf die Flammen, in denen hin und wieder ein Holzscheid knackte. Als er jedoch Leonoras Blick auf sich spürte, wandte er sich seiner Frau zu. „Komm her!“, bat er leise. Fast wie von selbst verzog sich daraufhin ihr Gesicht zu einem Lächeln. Sie ließ sich neben ihm auf dem Schafsfell nieder und lehnte ihre Wange entspannt gegen sein Knie. Und als er ihr dann mit warmen Fingern zuerst durch die Haare fuhr und sie anschließend auf ihre Schulter legte, fühlte sie sich plötzlich wieder genauso wohl, wie am späten Nachmittag, als sie gemeinsam Hand in Hand am Fluss entlanggewandert waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)