Die Frau des Henkers von Caro-kun ================================================================================ Kapitel 2: Part 2 ----------------- Den ganzen weiteren Tag war Leonora nicht richtig bei der Sache. Nicht auf dem Heimweg, nicht beim Kochen, nicht am Abend, als sie Tobi noch einmal seine Medizin gab. Ständig schweiften ihre Gedanken ab zur alten Wagnerin. Sie konnte nicht glauben, dass sie eine Hexe sein sollte, trotz der Heilkunst, die sie betrieben hatte. Allerdings zählte ihre Meinung in diesem Fall nichts. Es gab so gut wie keine Hoffnung, dass Maria den Justizpalast lebend wieder verlassen würde. Wer einmal als Hexe vor dem Gericht stand war tot. Das wusste jeder. Lediglich die Zeit des Leidens war unterschiedlich. * Träge lag Leonora auf ihrer Strohmatratze, während sie in die ersten hellen Strahlen der Sonne blinzelte, die durch ihr Fenster hereinfielen. Es versprach ein schöner Tag zu werden. Schließlich raffte sie sich auf, schlüpfte schnell in ihr beiges Leinenkleid und machte sich dann daran über dem Herd etwas Milch in einem Topf zu erwärmen. Vater war bereits weg. Immer noch träumend saß sie dann am Tisch, hielt den Becher mit Milch in der Hand und aß eine Scheibe Brot. Mit einem Mal hämmerte jemand in ihre Tür. Laut und fordernd! Leonora schrak hoch. In ihrem Magen begann es unheilvoll zu kribbeln. Irgendetwas stimmte nicht, das war ihr sofort klar. Nur was? Sie schluckte und öffnete. Wich dann jedoch einen Schritt vor ihren Besuchern zurück. Zwei Soldaten standen da an der Schwelle. Und Sabine. Sabine, auf deren Wangen Tränenspuren glänzten und deren Augen vom Weinen gerötet waren. „Das ist sie!“, die Hand, mit der sie anklagend auf Leonora zeigte zitterte, aus ihrer Stimme sprach purer Hass, „Sie hat meinen Jungen umgebracht!“ „Was?“, vor Panik krampfte sich das Herz der Jüngeren schmerzhaft zusammen, „Nein!“ „Du hast ihm gestern diesen Trank gegeben!“, schrie Sabine, „Heute morgen lag Tobi im Bett und war tot! Du hast ihn getötet! Vergiftet hast du ihn!“ Einer der Männer trat neben Leonora und umfasste mit eisenhartem Griff ihren Oberarm: „Kommt!“ Unbarmherzig zog er sie nach draußen. Die junge Frau nahm gar nicht wahr, wie die Leute ihr hinterher sahen, als sie über den Marktplatz geführt wurde. Viel zu schnell rasten die Gedanken durch ihren Kopf. So schnell, dass sie keinen einzigen von ihnen richtig zu fassen bekam. Sie verstand nicht, was passiert war, was sie getan haben sollte, was gerade mit ihr geschah und was weiter geschehen würde. Nichts von all dem Drang zu ihr durch. Sie war zu verwirrt, um klar denken zu können. Der Justizpalast war ein mehrstöckiges, graues Steingebäude. Man führte Leonora durch die Eingangspforte und dann eine breite Treppe hinunter. Nach unten in den Kerker. Ängstlich blickte die Rothaarige sich um, doch das spärliche Licht der Fackel, die der Soldat in der Hand hielt, reichte nicht aus, um etwas zu erkennen. Viel zu undurchdringlich war die Finsternis. Lediglich hören konnte sie. Ein stetiges Wimmern, Stöhnen und Wehklagen erfüllte die stickige Luft. Leonora fröstelte. Plötzlich blieben die Männer stehen. Einer von ihnen, steckte einen langen Schlüssel in das Schloss der Käfigtür, vor der sie zum Halten gekommen waren und drehte ihn herum. Dann wurde die Rothaarige hineingestoßen. Noch bevor sie sich umdrehen konnte, sagte ihr ein Klacken, das abgeschlossen und sie somit eingesperrt worden war. Und mit diesem Klacken erwachte mit einem Mal die Panik! „Wartet!“, rief sie den Soldaten hinterher, umklammerte die Gitterstäbe, rüttelte daran so fest sie konnte, „So wartet doch! Ich habe nichts getan!“ Aber der warme Schein der Pechfackel kam nicht zurück. Die Stirn an das schwarze Eisen gelehnt, ließ Leonora sich auf die Knie sinken. Verzweifelt, hilflos. Was sollte sie nur tun? * Irgendwann hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Sie ahnte nur, dass sehr viel Zeit vergangen sein musste. Ihre Knie und ihr Rücken begannen weh zu tun. Dennoch veränderte sie ihre Sitzposition nicht. Verharrte regungslos, bis sie Schritte hören konnte. Da ruckte ihr Kopf nach oben. Angespannt lauschte Leonora in die Dunkelheit. Das Geräusch kam näher. Ein Soldat trat vor ihre Zelle, öffnete sie und zerrte Leonora grob auf die Füße. Sie bemerkte, dass er etwas bei sich hatte. Eine Eisenkette, mit der er ihr nun die Handgelenke zusammenfesselte. „Wo bringt Ihr mich hin?“, fragte sie, als er sie am Arm wegführte. Ganz kurz erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht: „Zu Eurer Gerichtsverhandlung!“ Der Saal in den man sie brachte war mit Holz verkleidet. Vorne an dem langen Richterpult saßen sechs Herren. Der in der Mitte richtet das Wort an Leonora: „Leonora Lerchenberg, Euch wird vorgeworfen den Jungen Tobias Baumgärtner vergiftet zu haben …“ „Ich habe ihn nicht vergiftet! Er hatte hohes Fieber. Das Fieber wird ihn umgebracht haben!“, rief sie verzweifelt aus. Der Richter sah sie aus dunklen Augen streng an: „Seine Mutter meinte, Ihr hättet ihm etwas gegeben?“ Leonora holte tief Luft, versuchte so wieder ruhiger zu werden. Ihre Angst in den Griff zu bekommen. „Ja! Das war Medizin. Einfache Kräuter!“ „Kräuter?“, ihr Gegenüber hob ungläubig die rechte Augenbraue, „Mir wurde gesagt, es sei ein Trank gewesen?“ „Ja doch!“, so gut es ging wischte sie sich die schweißnassen Hände an ihrem Rock ab, „Ein Heiltrank aus diesen Kräutern!“ „Dann habt Ihr ihn also gebraut?“ Die junge Frau biss sich auf die Unterlippe. Für den Richter war diese Geste genau die Antwort, die er erwartet hatte. „Es wäre für Euch also ein Leichtes gewesen, Gift hineinzumischen. Oder aber, die Pflanze selbst war giftig!“ „Nein!“, so langsam wusste Leonora nicht mehr, was sie tun sollte, „Prüft es doch nach! Ich habe noch etwas davon zu Hause!“ „Laut Frau Baumgärtner, hat diese sogenannte Medizin nichts gegen das Fieber geholfen!“, fuhr der schwarz gekleidete Mann fort, ohne auf ihr gesagtes einzugehen. Erschrocken starrte sie ihn an: „Nein aber, das … das ist doch normal … dass sie nicht gleich wirkt …“ Der Richter schien mit einem Mal nachdenklich. Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich und er hatte einen Finger an die Lippen gelegt. „Dieses Kraut …“, begann er langsam, „das hattet Ihr nicht zufällig von Maria Wagner?“ Jetzt zögerte die Rothaarige zum ersten Mal. Würde sie nun mit „ja“ antworten, würde sie damit der Wagnerin einige Probleme, wenn nicht sogar noch mehr Folter, bereiten. Könnte sie das verantworten? „Nein!“, murmelte Leonora schließlich, „Ich habe es in der Stadt gekauft. Ich hatte mir etwas Geld gespart!“ Diese Ausrede war schwach, das wusste sie, aber ihr wollte einfach nichts Besseres einfallen. Ihr Gegenüber lehnte sich ein wenig nach vorne. „Ich frage Euch jetzt direkt!“, zischte er, „Habt Ihr dem Jungen Gift eingeflößt?“ „Nein!“, rief sie flehend aus, „Glaubt mir doch! Nein!“ Aber ein Blick in die ernsten Gesichter vor ihr, machte ihr klar, dass ihr niemand glauben würde. Ganz egal was sie tun, ganz egal was sie sagen würde. Sie würden sie der Lüge bezichtigen! „ Wir werden nach der peinlichen Befragung darauf zurückkommen!“, der Richter nickte dem Soldaten von vorhin zu, der daraufhin herbei trat, Leonora bei den Schultern fasste und sie wegführte. Die Frau fühlte sich, als sei sie innerlich vor Angst zu Eis erstarrt. Kalte, blanke Panik kroch in ihre Glieder, machte es ihr unmöglich sich zu wehren. Willenlos wie eine Puppe ließ sie sich von dem Mann durch die Gänge des Justizpalastes führen. Peinliche Befragung. Folter. Schmerzen. Warum denn nur? Sie hatte doch nichts getan? Der Raum, in den man sie brachte lag unten, nahe den Gefängniszellen. An den Wänden lauter Gerätschaften, die sie sich noch nicht mal in ihren schlimmsten Alpträumen hätte ausmalen können. Leonora hatte gehört, dass viele Verurteilte ihre Tat schon gestanden, wenn sie die Folterinstrumente nur sahen. Jetzt erschien ihr das äußerst klug. Sie selbst glaubte ja schon, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Um das Schwindelgefühl zu bekämpfen, richtete Leonora ihre Aufmerksamkeit auf den jungen Mann, dem der Soldat gerade leise etwas zuflüsterte. Er trug ein Wams aus braunem Leder, hatte kurzes, schwarzes Haar und eisblaue Augen. Und er war wirklich noch sehr jung. Kaum älter als Leonora selbst. Der kam mit einem Mal auf sie zu und dirigierte sie dann zu dem sogenannten ledernen Bett, welches genau in der Mitte des Raumes lag. Doch sie wurde lediglich draufgedrückt und nicht daran festgeschnallt. Zu gerne hätte die Rothaarige jetzt etwas gesagt, gefleht, geschrien, aber ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Sie brachte keinen Ton heraus. Erst recht nicht, als der Fremde ihr plötzlich direkt ins Gesicht sah: „Ich denke wir beginnen mit dem stählernen Stiefel!“ Vor Leonoras Augen explodierten Sterne, als sich die messerscharfen Spitzen in ihre Wade und den Oberschenkel bohrten. Im ersten Moment konnte sie nur nach Luft schnappen. Unerträglicher Schmerz schoss durch ihren ganzen Körper. „Ja, ich gestehe!“, schrie sie schließlich, ohne groß darüber nachzudenken. Sollten sie sie doch einer Tat bezichtigen, die sie nicht begangen hatte. Sollten sie sie doch töten. Alles war besser als das hier. Doch die Eisenvorrichtung um ihr Bein wurde nicht wie erwartet geöffnet, sondern, im Gegenteil, eher noch etwas weiter zugezogen. „Dann bekennt Ihr Euch also schuldig, den Jungen wissentlich getötet zu haben?“ „Ja! Ja doch!“ Auf dem Weg zurück zum Gerichtssaal klammerte sich Leonora so fest sie konnte an die Schulter des Soldaten und war zum ersten Mal froh, dass er sie begleitete. Ohne seine Hilfe hätte sie nicht mal mehr kriechen können. Unaufhörlich pochte der Schmerz, zog sich von ihrem Bein durch sämtliche Glieder. Blut floss aus den Wunden und tropfte auf den Steinboden. Die junge Frau spürte, wie ihre Kräfte sie verließen. Wie in Trance beantwortete Leonora die Fragen, welche der Richter ihr erneut stellte. Bejahte sie alle und vergaß sie dann auch schon wieder. Nur die letzten Worte, die er zu ihr sagte, hörte sie klar und deutlich: „Eure Hinrichtung wird morgen Vormittag stattfinden. Tod durch Enthauptung!“ In ihrer Zelle brach die junge Frau zusammen. Mit zusammengebissenen Zähnen setzte sie sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Dann versuchte sie so gut es ging mithilfe des Stoffes ihres Kleides die Blutung zu stoppen. Es tat immer noch unglaublich weh. Zudem bekam sie nun doch ein mulmiges Gefühl, wenn sie an den morgigen Tag dachte. An ihren bevorstehenden Tod. Eine leise Angst, während der Folter nicht wahrgenommen, welche ihr jetzt nur einen unruhigen Schlaf gewährte. * Er musste das riesige Schwert, wie jedes Mal, noch zusätzlich mit der Hand festhalten, obwohl es bereits in einer Scheide an seinem Gürtel steckte, sonst würde es ihm beim Laufen gegen das Schienbein schlagen. Dennoch hatte er nach all den Jahren immer noch nicht herausgefunden, wie er es denn nun zu halten hatte, ohne dass es seltsam aussah, die Leute behinderte oder ihm bereits das Handgelenk schmerzte, bevor er überhaupt am Richtplatz angekommen war. Das Schwert hatte nämlich durchaus ein beachtenswertes Gewicht, was ja eigentlich kein Wunder war, wenn man bedachte, dass es mit einem Hieb durch Knochen durchfahren musste. Doch Jonathan gehörte nun mal nicht zu den kräftigsten Männern, die es mit Leichtigkeit durch die ganze Stadt schleppten. Wie man es auch drehte und wendete, das Ding war lästig! Dementsprechend mürrisch war auch sein Gesichtsausdruck, als er den Marktplatz überquerte. Dass die Leute dabei nervös vor ihm zurückwichen war ihm nur Recht. Wieso wurden die Hinrichtungen eigentlich immer auf den Vormittag gelegt? Das verdarb ihm jedes Mal sein Frühstück. Und warum hatte es diesmal so kurzfristig sein müssen? Elf Uhr nachts war es gewesen, als man ihm die Nachricht überbracht hatte, dass seine Dienste benötigt werden würden. Klar, er als Scharfrichter war ja der Dreck der Gesellschaft, ihn konnte man guten Gewissens vom Schlafen abhalten! Wütend knirschte Jonathan mit den Zähnen und knurrte leise. Barfuß und im Nachthemd hatte er dem Soldaten gegenübergestanden! Diese Schmach würde er sein Lebtag nicht mehr verdauen. Der Mann seufzte. Wieso ärgerte er sich eigentlich schon jetzt am frühen Morgen? Der Tag hatte doch gerade erst angefangen. Das Wetter war herrlich, er hatte genug zu essen im Haus und – bei dem Gedanken konnte er sich ein selbstzufriedenes Grinsen nicht verkneifen – er hatte es erfolgreich geschafft sich vor den gestrigen Folterrungen zu drücken! Ja, darauf konnte er durchaus stolz sein! Menschen den Kopf abzuschlagen damit hatte er keine Probleme. Ein kräftiger Schlag, es ging schnell, war schmerzlos und danach hatten sie nichts mehr zu leiden. Sie aber zu folter, was ja ebenso zum Handwerk des Henkers gehörte, das bereitete ihm Bauchschmerzen. Im wahrsten Sinne des Wortes! Er konnte die immer lauter und lauter werdenden Schreie nicht ertragen. Die verzweifelten Blicke, ihre Pein. Er konnte es nicht ertragen, wenn sie ihn anflehten, er ihnen aber des Gesetzes wegen, keine Gnade gewähren durfte. Er hatte während seiner Ausbildung noch geglaubt, sich mit der Zeit daran zu gewöhnen. Das war auch das gewesen, was sein Vater ihm versichert hatte. Aber so war es nicht gekommen. Er hasste es immer noch! Daher schob er diese lästige Pflicht immer so oft es ging seinem Gehilfen zu. In diesem Punkt war der Junge geradezu erschreckend abgebrüht für sein Alter! Jonathan wusste, dass er selbst damit seine Arbeit nicht gut genug machte. Aber er konnte die Menschen einfach nicht foltern! Dafür war er nicht skrupellos genug! Den Richtplatz hatte er jetzt erreicht. Eine Bühne aus Holz, nahe dem Justizpalast, um die sich schon etliche Leute versammelt hatten. Der junge Mann betrat sie und entdeckte an deren Ende den Richter und einen einzelnen Soldaten. Jonathans gerade eben mühevoll aufgebesserte Laune sackte erneut in den Keller. Das war nämlich genau der Kerl, der ihn gestern um Elf Uhr nachts aus dem Bett geschmissen hatte. Dieser bemerkte den Scharfrichter und fing doch tatsächlich an zu grinsen! Jonathan kochte innerlich vor Wut, ließ sich aber nichts anmerken, sondern setzte stattdessen den arrogantesten Blick auf den er zu bieten hatte, schritt erhobenen Hauptes auf ihn zu und hörte sich routinemäßig die Umstände der zu tötenden Person an. Eine junge Frau war es. Der Hinrichtungsgrund lautete Mord. Ein paar Sekunden des Wartens vergingen noch, in denen der Henker bereits das Schwert zog und es senkrecht neben sich aufstützte. Dann betraten zwei Hauptmänner den Richtplatz und hinter ihnen die angeklagte Frau. Doch in diesem Punkt musste Jonathan dem Richter widersprechen: Das war keine Frau, das war fast noch ein Mädchen! Er wusste nicht, wieso ihn diese Tatsache plötzlich so erschreckte, aber sie tat es! Die Hände waren ihr zusammengebunden worden, sie hielt den Kopf gesenkt und Jonathan konnte ganz deutlich erkennen, dass sie hinkte. Sofort wusste er, was ihr angetan worden war. Der stählerne Stiefel! Die Blutflecke an der rechten Seite ihres Rockes sprachen ebenfalls dafür. Doch der Mann sah noch mehr. Er sah, dass sie ganz leicht zitterte, dass sie, wie zum Gebet, stumm ihre Lippen bewegte und er bemerkte den leeren Blick in ihren dunklen Augen. Ihr Gesicht war kalkweiß, aber dennoch ebenmäßig schön, mit einer geraden Nase, schmalen, leicht spröden Lippen. Die Sonne ließ ihr rotes Haar seidig, weich glänzen. Sie trug es in einem langen Zopf geflochten. All das nahm er innerhalb von fünf Sekunden wahr. Blitzartig brannten sich diese Bilder auf seine Netzhaut. Seine Augen waren gefangen, sein Herz fühlte sich jedoch sonderbar befreit an. Es begann schneller zu schlagen, während seine Atmung im Gegenzug einen Moment aussetzte. Und er selbst zögerte. Jonathan hatte noch nie gezögert! Er hatte so etwas wie Mitleid für seine Opfer gar nicht erst aufkommen lassen, es immer wieder erfolgreich verdrängt. Er hatte ausnahmslos jeden getötet. Männer, Frauen, Kinder, Alte und Junge! Ohne dabei auch nur die geringsten Emotionen zuzulassen. Er durfte nicht zögern! Doch heute, bei diesem Mädchen, wog das Schwert in seiner Hand mit einem Mal Tonnen. * So gut es ging, versuchte Leonora ihre Angst in den Griff zu bekommen, als sie aus ihrer Zelle auf den Richtplatz geführt wurde. Immer wieder sagte sie sich, dass es ganz schnell gehen und nicht weh tun würde. Und dass dann endlich alles vorbei sein würde. Doch so sehr sie es sich auch einredete, gänzlich aufhören zu zittern, das schaffte sie nicht. Man brachte sie bis fast ganz an den Rand der Tribüne. Zwar sah sie die wartende Menschenmasse, aber es war ihr herzlich egal. Sollten sie doch alle zu ihr hinauf starren und sich an ihrem Tod erfreuen! Bald würde alles vorbei sein. Einer der Soldaten zwang sie mit seinen starken Händen in die Knie und drückte dann ihren Kopf nach unten, so dass ihr Nacken frei lag. Die junge Frau spürte, wie es ihr den Angstschweiß aus sämtlichen Poren presste. Sie biss die Zähne aufeinander und machte die Augen zu. Betete, flehte schon fast. Flehte innerlich, dass der Henker nun endlich sein Schwert erheben und es beenden sollte. Doch stattdessen wurde sie gewahr, dass etwas schweren – es klang fast wie ein Stück Eisen – mit einem dumpfen Schlag auf den Holzbrettern aufkam. Und dann war da eine Stimme. Eine dunkle, feste Stimme, die so laut über den Platz schallte, dass nicht nur sie, sondern alle Umstehenden sie hören konnten: „Ich werde dieses Mädchen zu meiner Frau nehmen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)