James Norrington von Phantom (Ⅰ. Ankerlichtung) ================================================================================ Kapitel 18: I. Fremdsprachen II ------------------------------- „Ab’aaaaaa!“ Alexias entzückendes Vogelstimmchen klang um mich herum, während der schmale Körper unter ihrem dichten Lockenschopf um meinen Platzraubenden wuselte. Das Mädchen musste wissen, dass der Umschlag in meinen Händen Botschaft von James enthielt. Wie sein großer Bruder beliebte es, sich an Dinge, die es interessierten, die ihm allerdings nicht zugedacht waren, geschickt heran zu lavieren. Ich konnte ihm seinen Wissensdurst, was den Verbleib des Bruders sowie dessen Zustand betraf, nicht übel nehmen. Doch die Briefe eines nunmehr Fünfzehnjährigen aus der Marine hatten eine Dreijährige nun einmal nichts anzugehen. Sie sah das anders. Sie hob ihr unbequemes Kleid so weit, dass ich erschrocken einatmete, kletterte ohne jede Furcht auf den Stuhl rechts von dem meinen und sprang, ehe ich eingreifen konnte, mit ihren kleinen Krallen auf meinen Schoß. Meine Hände schnellten rechtzeitig nach oben, und als würde ein unsichtbarer Faden ihre Nase mit dem Brief verbinden, zog sie sich in ihre volle Länge, um doch noch an das begehrte Stück Papier zu reichen. Unser Gerangel hatte erst ein Ende, als Lady Elizabeth überraschend eingriff, zwei mütterliche Hände an die Seiten der Tochter platzierend, welche sie auf ihren Arm schweben ließen. Alexias rundes, rosenwangiges Gesicht zeigte sich trotzig, aber immerhin verharrte sie jetzt still. Elizabeth hingegen lächelte mich an. „Lies du nur, Abda. Und lass uns später wissen, was er schreibt. Ich kümmere mich um unsere Kleine hier.“ Und obwohl die Sonne noch viel weißes Licht durch die Fenster schickte, begab ich mich in meine Kammer, deren erwärmende Dunkelheit den Tag zur Dämmerung machte. Minutenlang starrte ich das ungeöffnete Kuvert an und fragte mich, was James, wenn er ihr einmal gegenüberstehen würde, von Alexia halten würde – überhaupt davon, eine Schwester bekommen zu haben. Merkwürdigerweise dachte ich nicht darüber nach, wie sich Lord Norrington verhalten würde, beim Erfahren von der Tochter, von dem, was aus ihr geworden war in den drei Jahren ihres Lebens, welche sie ganz ohne ihn zugebracht hatte. Vielleicht stand es im Zusammenhang damit, dass sie selbst keine besondere Motivation zeigte, den Vater kennenzulernen. Vielleicht lag es an etwas anderem, das mir klar zu erkennen nicht möglich war. Vielleicht an meinem Gedanken, dass dieses Haus Lawrence Norrington längst verloren hatte. Sehr geehrte Ms Abda. Ich habe Ihnen nun schon seit Monaten nicht mehr geschrieben. Ohne meine Schuld von mir weisen zu wollen, setze ich Sie darüber in Kenntnis, dass die schweren Zeiten unseren ganzen Einsatz verlangen. Ich kann und möchte Ihnen nicht schreiben, wenn mein Kopf voll von Konzepten, Anweisungen und dem Wissen, dass ich gebraucht werde, ist. Auch jetzt schreibe ich Ihnen nur, weil ein Sturm über Südengland und den Englischen Kanal uns auf das Land gezwungen hat. Die Tatsache, dass kein Wasser uns mehr voneinander trennt, setzt sich nicht über die hinweg, dass wir uns dennoch nicht werden sehen können, also möchte ich wenigstens meine Ehre mit Ihnen teilen, zuletzt von Lieutenant Bennett das alleinige Kommando über eine Prise erhalten zu haben, die wir von den Franzosen aufgebracht haben. Es ist eine Fregatte mit drei Masten und zwei Batteriedecks, getauft auf den Namen "La Petite Gloire", was "Kleiner Ruhm" heißt. Sie muss um die 150 Fuß lang und zirka 40 Fuß breit sein und ist mit einigen 8-Pfündern und zusätzlichen 4-Pfündern ausgestattet. Ihre fortschrittliche Bauweise mit dem schlanken Bug, die sie jeden Wind ideal nutzen lässt, legt nahe, dass sie ein neues Modell ist. Sie teilt die Dünung unter den 4 Beaufort, wie ein Messer durch erwärmte Butter fährt, und so kamen wir gar der Victory auf, nachdem wir gehalst hatten. Aufgrund des Unterschieds in der Geschwindigkeit von wenigen Knoten erhielt ich die Erlaubnis, mich von dem Linienschiff abzusetzen und zum englischen Konvoi vorauszufahren, der die Prise entgegennehmen sollte. Meine Crew beschränkte sich auf wenige Männer, denn es brauchte nicht viele, um die Petite Gloire zu manövrieren, und die, welche ich ausgewählt hatte, gaben mir keinen Anlass, ihnen nicht zu vertrauen. Während ich den Kurs absteckte und das Logbuch führte, überließ ich Theodore Groves mit ruhigem Gewissen die Aufsicht an Deck. Und so verlief mein erstes Kommando fast ohne herausfordernde Vorkommnisse. Ein paar Stunden nach dem Ermitteln des zweiten Etmals drehte der Wind überraschend, dass die Segel zu killen drohten. Ich orderte an, gegen den Wind zu kreuzen, und es kostete uns ein bemerkenswertes Maß an Anstrengung, nicht so weit abzudriften, dass die sich unter dem aufbrisenden Wind türmenden Wellen nicht dwars auf den Schiffsrumpf einfallen würden. Trotz der entstehenden Brecher krängte die Gloire kaum – ein erneuter Beweis für das Hervorragen ihrer Architektur. Wir erreichten den Konvoi am folgenden Morgen, ohne jede Havarie an Fahrzeug wie Besatzung. Der Admiral dieser Flotte empfing uns mit Verwunderung, was mich nicht weiter irritierte: Meinem Herrn Vater ist es freilich nach wie vor nicht ausdrücklich gestattet, seemännische Unternehmungen zu tätigen. Nur Ihnen möchte ich verraten, dass ich eine gewisse Art von Schadenfreude empfand, da Admiral Simon ihm gegenüber im Hinblick auf die eroberten Prisen, vor allem auf die Gloire, mit knirschenden Zähnen einräumen musste, dass Admiral Norrington mitnichten unfähig geworden ist, seinen Dienst für das Vaterland zu leisten. Herr Vater ruft nach mir. Draußen regnet es heftig, aber ich denke nicht, dass wir in diese Gaststätte zurückkehren werden. Ich werde diesen Brief geschwind abschicken, bevor wir abreisen. Ich kann es jedoch nicht tun, ohne das Niederschreiben meiner Gedanken vollendet zu haben. Meinen Sie, ich habe einen Teil dazu beitragen können, das Ansehen Admiral Norringtons innerhalb der Royal Navy wiederherzustellen? Grüßen Sie bitte die Frau Mutter. J.L. Norrington Kurz darauf folgte ein weiterer Brief. Die feinen Linien der Lettern waren hie und da von kleinen Tintenknötchen befallen, so als hätte jemand nicht gerade selten zu hart aufgedrückt. Piraten! Mein Herr Vater beliebte einst, mehr über die Franzosen herzuziehen denn über sie, und doch, manchmal gab es Gelegenheiten, in denen diese heimatlosen Vagabunden auf Schiffen nicht besser wegkamen. Der Volksmund erzählt sich freilich viel über sie. Unbedeutende Dichter schreiben ihnen allerhand romantische Geschichten zu. So verwundert es nicht, dass das Bild der Seeräuber innerhalb unserer Gesellschaft vollkommen verzerrt ist. Was mögen Sie von ihnen halten, Ms Abda? Sehnen auch Sie sich nicht manchmal nach der unbezähmbaren Freiheit, dem Rausch, hoch oben an den Wanten zu hängen und einen Säbel in den Fahrtwind zu schwingen? Ich weiß, wie angetan Sie von der Unterhaltungsliteratur sind, und daher warne ich Sie in aller Höflichkeit: Lesen Sie nicht weiter, wollen Sie sich Ihre Illusion erhalten. Piraten sind schmutzige, eingebildete, gierige, sündhafte, brutale, ehrlose Männer ohne Ehre. Und sie sind schuld an der Wandlung meines Vaters. Ich kann dies mit allem Recht behaupten, denn ich sah sie mit meinen eigenen Augen. Um genau zu sein, roch sie zuvorderst, noch ehe sie wie Ungeziefer aus den unteren Decks des Schiffes, welches sie gestohlen hatten, krochen. Sie riechen nach verdorbenem Fisch und Blut, sie tragen Masken eines teuflischen Grinsens und ihre angesengte Haut weiß den Vorwurf der Hölle als ihre Herkunft nicht von ihnen zu weisen. Wie Geier, denen die Flügel ausgerissen worden waren, stierten sie uns Männer an, und wenn die mächtige Präsenz des Admirals sie nicht verängstigt hätte, wer weiß, wozu sie sich angeschickt hätten. Mein Herr Vater forderte höflich nach dem Kapitän – wenn man diesen noch als einen solchen bezeichnen kann. Ein grotesker Anblick mit einem ungepflegten Bart, als sei er verkohlt worden; unter seinem vor Dreck starren Hut quellte verfilztes Haar wie Unkraut hervor, mit Perlen und Münzen darin verflochten; er selbst in alten, bunten Lumpen, und seine Füße steckten in zwei verschiedenen Stiefeln. Er fügte sich nahtlos in die Wand seiner Leute aus Gestank, Lärm und Respektlosigkeit, konnte nicht einmal gerade stehen, denn er war doch tatsächlich sturzbetrunken. Und als wäre der Boden des Fasses nicht schon in einem hohen Bogen abgesprungen, wagte es dieser (Hier standen ein paar außergewöhnlich unschöne Worte, die wieder einmal kaum ausreichend übermalt worden waren.) "Kapitän", obwohl mein Herr Vater gerade den Mund öffnete, um ihn, wie es sich gehört, zurechtzuweisen, ihn jedes Mal, wenn er zum Wort ansetzte, mit einem – stellen Sie sich das vor – einzigen Anzupfen einer Saite seiner kleinen Gitarre zu unterbrechen. Stellen Sie sich das vor. Geschickt, wie er nicht nur im Umgang mit dem elenden Pack ist, ließ der Admiral schließlich dem Kapitän das Wort. Was er sagte, hinterlässt keinen Zweifel an meiner endlich vorbehaltlosen Anschauung von Piraten. Ich versuche, seinen genauen Wortlaut zu rekonstruieren: "Schön'n gud'n Am'd, Ammiral Lawry. 'Rinnert Ihr'sch noch anneu'n Lieblinnspirad'n, dän ald'n Diisch? 'Ier binnisch, gekomm', ummeusch su verkünn'n, nisch' eh'r su stermm dänn innem 'Fesch' middeusch. Awa wie'sch seh'n muss, habda hinge'n Eusch gan'schön surisch'n lass'n v'n jemman'n, där sischer nisch' ich 'wes'n sei' kann, aus'm simbl'n Grunn', dassisch misch nisch'rinner', Eusch'n A'mm ab'schlan'n zu ham'm. Finned'a das fair? 'Sch risker' jäde diesa doll'n Fädan an meim Hut, um für'sch meine besse 'Fassunn su wahr'n, wo Ihr'sch so häng' lasst? Wassis' scheh'n, Ammiral? Iss' da Junge 'mal wüda üver Bor'gang' unn war dess'ma' gein Pürat inner greifbar'n Nähe, ihn su redd'n? Haddeusch's Weib verlass'n, wall se annahm, Ihr steggt Eu'r Ruda inswisch'n 'n fransösische Ärsche? Unn, was misch eindlisch noch mär ind'ressiert... Wär war's? Wär? Wär haddemm groß'n Ammiral Lawry Nor'ngdon 'n Arm 'glaut? Muss'n Meisa vom Fach 'wes'n sein... odda v'leisch' war's do' nur'n Mezzers'selle? Iss'er alde Lawry edwa faul 'word'n...?" Konnten Sie das verstehen? Ich hege keineswegs Skepsis an Ihren Fähigkeiten, Ihre Sprache ist hervorragend, Sie lehrten sie mir, doch für den Notfall lasse ich meine Übersetzung des Gesagten folgen (ich muss zugeben, ich hatte selbst meine gewissen Schwierigkeiten): "Schönen guten Abend, Admiral Lawrence. Erinnert Ihr Euch noch an Euren Lieblingspiraten, den alten Teach (Teetch? Teach? Lehren, unterrichten? Es muss sich wohl um einen Eigennamen handeln)? Hier bin ich, gekommen, um Euch zu verkünden, nicht eher zu sterben denn in einem Gefecht mit Euch. Aber wie ich sehen muss, habt Ihr hingegen Euch ganz schön zurichten lassen von jemandem, der sicher nicht ich gewesen sein kann, aus dem simplen Grund, dass ich mich nicht erinnere, Euch einen Arm abgeschlagen zu haben. Findet Ihr das fair? Ich riskiere jede dieser tollen Federn an meinem Hut, um für Euch meine beste Verfassung zu wahren, wo Ihr Euch so hängen gelassen habt? Was ist geschehen, Admiral? Ist der Junge wieder einmal über Bord gegangen und war dieses Mal kein Pirat in greifbarer Nähe, um ihn zu retten? (Hier hatten sich die Tintenkleckse besonders gehäuft.) Hat Euch die Frau verlassen, weil sie annahm, Ihr würdet ihr inzwischen mit französischen Offizieren fremdgehen? Und, was mich eigentlich noch mehr interessiert… Wer war es? Wer? Wer hat dem großen Admiral Lawrence Norrington den Arm geraubt? Das muss ein Meister seines Fachs gewesen sein… oder vielleicht war es doch nur ein Metzgergeselle. Ist der alte Lawrence etwa träge geworden…?" Sehen Sie nun, worauf ich hinaus möchte? Mein Herr Vater war bereit, sich auf die Stufe dieser bemitleidenswerten Menschen herabzulassen, um dort mit ihnen zu kommunizieren, er attackierte sie nicht, er drohte ihnen nicht einmal, und diesem Kapitän Teetch fällt nichts Vernünftigeres ein, als schlecht über jenen, in dessen Händen allein sein Leben liegt, zu sprechen, als zu versuchen, ihn zu erniedrigen? Bemerkten Sie, wie er ihm vorhält, dass ich damals in das Wasser stürzte und gerettet werden musste, als sei dies etwas, wofür man ihn verantwortlich machen kann? Woher weiß er überhaupt davon? Er beschuldet ihn, nicht über die Ehre und den Anstand zu besitzen, meiner Frau Mutter treu zu bleiben, ohne dass er nur den Hauch einer Ahnung hat, wie mein Vater jenseits der alles von ihm abverlangenden Arbeit eines Admirals, eines Naval Lords ist. Womit nimmt er sich dieses Recht heraus, das keines ist? Und unterstellt ihm Müßiggang und Ungeschick! Ich aber und hundert andere waren der Szene Zeuge und können lediglich bestätigen, dass der Admiral zehnmal mehr an Ehre hat als dieser stinkende Dilettant Knoten in seinem Bart. Wissen Sie, was seine Männer machten? Sie lachten! Sie wollten meinen Herrn Vater auslachen. Doch wie wir uns alle bestens bewusst sind, ist Auslachen ein Zeichen und beinahe schon ein Eingeständnis der Schwäche. Man ist nur versucht, sein Gegenüber auszulachen, wenn einem ansonsten keine Lösung in den Sinn kommt, sich aus einer bedrängenden Situation zu lavieren. Und, so betrachtet, verfügen diese Piraten zumindest über ein grandioses Vermögen der Selbsteinschätzung. Alles, was sich würdevolle Gentlemen im Dienst Seiner Majestät über Seeräuber erzählen, entspricht der Wahrheit: Piraten rauben ehrliche Menschen aus, plündern und brandschatzen und haben es nicht verdient, weiterhin auf den Meeren unserer sich auf eine moderne Anschauung umstellenden Welt geduldet zu werden. Ich persönlich sehe diese Feststellung als eine jener Pflichten an, derer ich mich im Laufe meiner Karriere innerhalb der Royal Navy mit ganzem Ehrgeiz verschreiben werde. Nur scheint es wohl noch nicht soweit zu sein. In tiefer Schande muss ich Ihnen gestehen, dass es der kompletten Räuberbande gelungen ist, zu entkommen, wie durch ein böses Wunder. Wir hatten sie erst eingesperrt, da segelten sie bereits auf ihrem unrechtmäßig gekaperten Schiff davon und alles, was von ihnen blieb, war eine einzige Gitarrensaite in der Brig und das, was ihre unmögliche Flucht im Admiral auslöste. Es hat meinen Herrn Vater erzürnt. Sehr erzürnt. Jetzt, unter Einfluss der neuen Erfahrung, komme ich nicht darum herum, peu à peu zu begreifen, was ihn damals in solchem Ausmaß verändert hat, da ein Freibeuter seinen Körper wie seinen Stolz verletzte. Nicht die Soldaten anderer Staaten, die für ihre Heimat und ihren König kämpfen aus denselben Gründen wie wir, mit derselben aufrichtigen Liebe, die auch uns antreibt, sondern die Piraten sind unsere wahren und einzigen Feinde auf See. Mir wurde unwohl bei der Vorstellung, James würde sich auf seinen noch in den Kinderschuhen steckenden Hass versteifen, wie es sein Vater getan hatte; ich wollte nicht, dass er denselben Weg wählte, nur weil er die Piraten für Norringtons Zustand verantwortlich sah, indem ihm einer von ihnen vor vielen Jahren das Leben rettete. Zugleich musste ich mir meine Machtlosigkeit eingestehen. Die Zeit, in welcher ich einen mir zur Brust reichenden Jungen darauf aufmerksam machen konnte, dass es "die Wichtigkeit des Status" und nicht "des Statusses" hieß, war vorbei. Die Länge von zwei Jahren trödelte nicht, an uns vorbeizuziehen, und James, mittlerweile 17 – siebzehn! – fieberte auf sein Leutnantsexamen hin. Fünf Jahre lang hatte ich ihn entbehren müssen – doch nun entschlossen wir Frauen, unsere Männer passend zur Vorweihnachtszeit zu überraschen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)