James Norrington von Phantom (Ⅰ. Ankerlichtung) ================================================================================ Kapitel 15: I. Amalia und Elizabeth ----------------------------------- „Und was schreibt er?“ Lady Elizabeth Norrington standen Tränen in den Augen. Mochte es an den Schmerzen ihrer "Krankheit" liegen oder an der Tatsache, dass James mir schrieb und sie nicht mit einem Wort persönlich erwähnte. Sie wirkte irgendwie reumütig. Ich wusste, ich sollte sie ermuntern. „Er hat einen Jungen in seinem Alter kennen gelernt, mit dem er häufig zusammen ist. Theodore Groves, Mylady, wisst Ihr? Er kann sich gut behaupten unter den übrigen Midshipmen. Einmal durfte er sogar einen Wachdienst beaufsichtigen, und der Schiffslehrer lobt ihn oft für seinen Fleiß. Er gibt uns allen Grund, dass wir uns über ihn freuen können, nicht wahr, Mylady?“ „Ich möchte ja nur wissen, ob sein strenger Vater derselben Ansicht ist“, schnitt sie meine sie anstecken sollende Fröhlichkeit und stützte müde den Kopf auf den Daumenballen. „Mylord hat erreicht, was er wollte. Wie hätte die Bilanz besser aussehen können?“ „Für Lawrence?“ Ich stockte. „…Ja.“ „Auf welcher Seite stehst du?“ Mein Kopf senkte sich. „Ich bitte um Verzeihung.“ Das Domizil lag still in dieser Zeit. Selten wies die Herrin einen begabten Diener an, leise auf dem Kielflügel zu spielen, und ganz gleich, welche Melodie er anstimmte; immer wirkte sie furchtbar bedrückend. Selbst setzte sie sich nicht mehr an das Instrument, welches sie wundervoll beherrschte. Sie war auch nicht mehr interessiert an irgendeinem Wechsel im Kleiderschrank oder im Bett, und ich verstand, dass die Tändelei mit anderen Männern nur einem Ziel gedient hatte. Es war dasselbe Ziel, welches auch James zu außergewöhnlichen Mitteln greifen ließ, aber weder die Mühen der einen noch des anderen sollten mit Erfolg belohnt werden. Elizabeth war unübersehbar eine stattliche Frau, um die sich alle Arten von Männern scharten. Doch sie, sie wollte nur diesen einen und zwar gerade den, welchen sie nicht bekommen konnte, obwohl er ihr doch schon angetraut war. Nichts band Lawrence an diese Welt, nicht einmal eine Ehe. Natürlich liebte er seine Gemahlin. So, wie ein Mann der See eben einen Menschen lieben konnte. „Der Frühling umarmt dieses Haus“, säuselte ich, „aber Ihr lasst ihn nicht in Euer Herz. Verschließt Euch doch nicht vor den Schönheiten, mit denen das Leben noch aufwartet.“ Sie sagte daraufhin nichts. Aber ich sah, dass sie wusste, wie Recht ich hatte. Allein irgendein Teil von ihr wollte sich dem unbeschwerten Leben nicht unterordnen. Auf der anderen Seite ließ sich das unbeschwerte Leben nicht einfach aussperren. Ein Brief, wie aus dem Himmel kommend, kündigte Besuch an, und angesichts der Art dieses Besuchs frischte sich Lady Elizabeth zumindest äußerlich auf. Sie klagte nicht mehr über ihre Schmerzen wie ein Kind, das bemuttert werden wollte, und kaufte sich ein neues Kleid, denn das in Sachen der Mode bemerkenswert fortschrittliche Paris ließ ihr Aktuellstes bereits wie einen Lumpen aus Urgroßmutters Kiste erscheinen. Prunkvoller, bunter und vor allem weiter waren die Röcke, die Elizabeth jetzt trug, und anfangs hatte sie Schwierigkeiten, das sperrige und bei jeder Berührung knirschende sogenannte Vertugadin durch die Türen zu ziehen. Besonders begeistert war sie selbst nicht, aber sie nahm jene Unbeweglichkeit, die man einer Mistress Norrington gar nicht zutraute, grummelnd in Kauf, um sich von dem gemeinen Volk absetzen zu können, dessen Tracht ebenfalls immer extraordinärere Wandlungen erfuhr. Ich, die ich mir aus der neuen Mode nichts machte, weil ich nicht mehr darauf aus war – es vielleicht niemals gewesen bin – vor jemandem zu profilieren, musste mir ein Kichern ersticken, als die beiden Frauen hilflos um die jeweils andere tanzten und versuchten, sie über die enormen Stoffkuppeln um ihre Beine hinweg in die Arme zu schließen. Wie sie sich letztendlich gegenüberstanden, mochte kaum jemand annehmen, dass Elizabeth Grace Norrington und Amalia Isabella Swann in irgendeiner Weise miteinander vertraut waren, schon gar nicht, dass sie Schwestern sein könnten. Nun, das waren sie auch nicht, aber die innere Verbundenheit beider, die sie sich seit ihrer Kindheit kannten, machte sie gewissermaßen zu Verwandten, was der große Unterschied in der Erscheinung nur müde zu belächeln wusste. Amalias Glanz und Grazie standen denen Elizabeths in nichts nach; allein hatte sie ein offeneres Gesicht und goldblonde Locken, wo das Haar ihrer Freundin in rabenschwarzen Wellen über den Rücken strich. Auch trug sie nur dezente Schminke, was gut war, denn so verbarg kein Puder die strahlende Natürlichkeit des gebräunt angehauchten Teints. Ihre Augen funkelten vor Lebensfreude, und es war ein Genuss, den rosigen Lippen zu folgen, wenn sie sich beim Sprechen bewegten. Vorbehaltlos begrüßte sie sogar mich, als Lady Elizabeth ihr die lady’s maid vorstellte. Es machte ihr nichts aus, dass ich mit ihnen in unserem beschaulichen Wohnraum saß, und auch nicht, dass ich ihr im Laufe der sich rasch ergebenden Konversation Fragen stellte oder jene von ihr ehrlich beantwortete. So stellte sich heraus, dass ich die Gemahlin eines Londoner Adligen vor mir sitzen hatte, mit noch einigen spannenden Hoffnungen für die Zukunft. Einen besonderen Platz nahm natürlich auch James ein – nicht auf einem Sessel zwischen uns, aber als Gesprächsthematik – und wir erhoben uns aus den Positionen, die jedem Standesbewusstsein fern waren, damit Lady Elizabeth der neugierigen Lady Swann das Porträt von Klein-Captain James Norrington im Korridor zeigen konnte. Zwischen einem Gemälde seines Vaters als Kapitän sowie dem seines Großvaters in bester Galauniform würde er definitiv verloren und traurig wirken, wenn der Maler sich nicht dermaßen großartig auf sein Handwerk verstanden hätte. So wusste der Junge da Lady Amalia Swann zu imponieren. „Und er zählte zu diesem Zeitpunkt wirklich fünf Jahr?“ „Unglaublich, in der Tat“, murmelte Lady Elizabeth bedeutungsschwer. „Lawrence hat das Bild in Auftrag gegeben. Er hat auch diesen Rock anfertigen lassen. Normalerweise trägt James so etwas nicht…“ „Dann wird er also ebenfalls der Marine beitreten, wie sein Vater.“ „Schon geschehen. Er ist jetzt Midshipman.“ Sie betonte das Wort, als würde es ihr an der Zunge kleben und müsste durch langwieriges Kauen erst davon gelöst werden. Lady Swann sprach aus, was sie bestimmt schon länger vermutete: „Du bist nicht davon begeistert.“ Ihre Mundwinkel hingen wie durch unsichtbare Gewichte erschwert herab. Vor der vertrauten Freundin erwärmte sich die schöne, starre Mimik der Frau Norringtons und schmolz. „Woher weißt du das nur? Ich bemühe mich doch so sehr, Begeisterung im höchsten Grade seiner Möglichkeit auszudrücken…“ „Was hält er selbst davon?“ „Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht. Über so etwas hat er nie viel gesprochen. Ich denke, dass er große Stücke auf die Zuneigung seines Vaters setzt, und die muss ihm wichtiger sein als seine Vorlieben, wenn er jede andere Möglichkeit fahren lässt, um ihm folgen zu können. Er hat immer viel gelesen, besonders über Geschichte und Fremdsprachen – vor allem Französisch, wie du weißt – und er übte sich gerne in Strategiespielen. Schiffe haben nie sein Interesse schüren können. Im Fechtunterricht, welchen Lawrence angeordnet hat, zeigte er wenig Elan. Könnte ich die Zeit nur zurückdrehen, Amalia, könnte ich das nur, dann würde ich dafür sorgen, dass James in unserer Politik tätig wird oder im Rechtswesen. Er mag kein Künstler sein, das akzeptiere ich jetzt, aber er ist zu zart und zu schlau für einen Seefahrer.“ „Elizabeth!“ In Lady Swanns Stimme war just der warme, korrigierende Ton einer Mutter eingeflossen. „Hörst du dich nicht selbst reden? Jetzt würdest du ihn auch zu etwas bewegen, ohne dass du weißt, ob es seinen eigenen Wünschen näher liegt als die Absicht deines Mannes. Weißt du, manchmal müssen die Anzeichen nicht offensichtlich sein und sinnvoll auf etwas hindeuten, sie können auch täuschen – zum Beispiel über etwas anderes hinweg. Hast du niemals darüber nachgedacht, dass James sich in Französisch übt, um mit Englands großem Feind zur See kommunizieren zu können? Dass er sein taktisches Vermögen in all den Brettspielen zu stärken versucht, um als Kapitän einer Flotte geschickt taxieren zu können? Dass er aus den vergangenen Kriegen in seinen Geschichtsbüchern für seine Zukunft als ein Teil dieser Geschichte lernen möchte? Wie oft hast du mir von seiner Intelligenz und Reife geschrieben und willst doch immer schon an der Klarheit seines Verstandes gezweifelt haben, dass du ihm zutraust, die Anerkennung des Vaters durch nichts anderes als unüberlegten Gehorsam verdienen zu wissen. Ich möchte dir gegenüber ehrlich sein: Bist du sicher, James wirklich zu kennen, zumindest nur halb so gut, wie du meinst, es zu tun?“ Lady Elizabeth stellte eine kerzengerade Figur dar. Nur ihre Augen wirkten lebendig, und sie stierten ihr Gegenüber an, als wäre sie der Ansicht, es auf diese Weise sauber in zwei Hälften spalten zu können. „Du kennst James überhaupt nicht“, verteidigte sie sich. Doch die elegante Dame aus London machte keine Anstalten, die Samthandschuhe überzuziehen, um die Löwin streicheln zu können. „Ich führe dir die Unstimmigkeit in deiner Betrachtung vor. Du scheinst ihn jedes Mal neu zu charakterisieren, wie er dir gerade passt, und bedenkst dabei nicht, dass er bereits zu einer Persönlichkeit mit seinen bestimmten Nachteilen, aber auch Vorzügen geworden ist. Als Mutter ist es nicht deine Aufgabe, ihn zu formen, sondern ihn zu beobachten, ihn zu erkennen und ihm deine Hand entgegenzuhalten, welchen Weg er auch immer gehen mag. Du sollst ihn nicht zwingen oder aufhalten, aber du solltest seine Einstellungen, seine Anschauungen hinterfragen. So zieht er sie selbst noch einmal in Erwägung und dir ergibt sich die Gelegenheit, ihn zu verstehen. Sehe mir meine Direktheit nach, aber das hast du bisher versäumt, und deshalb stehst du im Dunklen, was seinen letzten, sicher nicht voreiligen Entschluss betrifft. Darunter hat auch er zu leiden.“ Bei der Art, wie sie sprach, überrascht es vielleicht, dass Amalia Swann jünger war als Lady Elizabeth. Ich hatte nicht die Muße, ihren durchaus weisen Ratschlägen die verdiente Achtung zu zollen, denn ich fühlte mich nicht weniger als James’ Mutter von einem Vorwurf der Nachlässigkeit angeklagt, an dem ich schwer zu nagen hatte. Schließlich wusste ich nicht besser, weswegen sich James scheinbar plötzlich mit der Verordnung des väterlichen Admirals ausreichend überein fühlte, um uns zu verlassen. War Lawrence Norrington am Ende der einzige, der James’ wahre Ziele, vielleicht von Beginn an, durchschaut hatte? „Du bist nicht einmal Mutter.“ Lady Elizabeths Mundwinkel zuckten gequält. Der Versuch, die langjährige Freundin zu verunsichern, möglicherweise sogar zu verletzen, um das eigene Ego wieder zu kräftigen, das sich nicht in seiner Überzeugung von romantischer Mütterlichkeit gestört sehen wollte, scheiterte an jenem Glück, das mit solch hübschen, gescheiten, aufrichtigen, vollkommenen Frauen wie Lady Amalia Isabella Swann fest verbunden zu sein schien wie das Bildnis eines Engels mit den weißen Vogelflügeln und der hellen Gewandung. Ich sah, wie sich ein sanftes Rosa in die Ebenmäßigkeit ihrer Wangen schlich, ehe sie das Haupt senkte. Beinahe ängstlich fuhren ihre Hände über ihr cremefarbenes Korsett, aber es war eine schöne, beneidenswerte Angst. „Noch nicht“, flüsterte sie mit einem schüchternen Lächeln. Am selben Abend versteckte ich mich im Bett innerhalb meiner Kammer, die mehr denn je einem Schneckenhaus gleichkam. Nicht, weil sie so klein war. Sie war meine Stätte der Stille, mein dunkles Reich der Ruhe, von keinem sonst mit großer Beachtung bedacht, sodass niemand die Zeit vergeudete, die darin befindliche Zurückgezogene zu belästigen. Solange ich hier drinnen war, existierte ich für die Außenwelt nicht wirklich, und das war auch einmal gut so. Eine flackernde Kerze stellte das einzige Leben dar, das ich neben mir in meinem Refugium duldete. Sie leistete mir Beistand, indem sie mir über die Schulter blickte, während ich den Brief erneut auffaltete. Sehr geehrte Ms Abda stand dort in sehr engen Lettern, als würden sie befürchten, zu viel Platz zu beanspruchen, und Nichts gibt meinem Entschluss Gedenken, hier und jetzt unter einem knarrenden Holzdeck aufzuwachen und von dem intensiven Geruch nach Fisch, Schweiß und Teer bedrängt zu werden, während um mich die beinahe stets währende Geräuschkulisse heranschwellt, statt unter den ersten Sonnenstrahlen des schon vorangeschrittenen Morgens, aus meinem langen Schlaf erweckt durch das Zwitschern der Lerche oder Ihre Hand, die mir einfühlig über den Kopf fährt. Ich fürchte, es noch immer nicht zur Gänze realisiert zu haben, jetzt hier zu sein. Zu bewundernswert noch ist mir die Gegebenheit unzähliger Erweiterungen meines vorher so beschrankten Horizonts, von der jeder Matrose sagt, dass es an ihr nichts zu bewundern gäbe. Die Tage sind lang und heiß, doch bei Nacht, wenn nichts das Wellenrauschen übertönt, dann den Himmel durch die geisterhaften Segel zu betrachten, die durch den Vollmond beleuchtet werden und höher sind als alles, was ich kenne, dieser faszinente Anblick gibt mir das Gewissen, dass es richtig war, England und Sie zu verlassen, und den Mut zu beweisen, dass ich nicht das bin, was Ihr alle immer in mir gesehen habt. Der letzte Teil dieses Satzes war großzügig mit Tinte übermalt worden, und er dachte wohl, das würde ausreichen, damit ich seinen kleinen Ausrutscher nicht mehr lesen konnte, doch er hatte sich geirrt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)