Die Chroniken von Khad-Arza - Das Blut der sterbenden Welten von Linchan (Erstes Buch) ================================================================================ Kapitel 20: Für dein Lächeln ---------------------------- Zoras hatte überlegt, ob es sinnvoll wäre, seine neu errungene Waffe irgendwie zu verstecken, wenn er zurück in das qualmende Holia kehrte. Das Problem war aber die Größe des Dings... wie sollte er es verstecken, es war verdammt noch mal größer als er selbst... wieder einmal verfluchte er seine geringe Körpergröße. Was war das bitte für eine Strafe der Geister, einen Mann dermaßen klein sein zu lassen? Sogar Simu Lyra war größer als er, verdammt... das war echt demütigend. Er war der Meinung, seine nicht vorhandene Größe wäre Schuld an all seinem Unglück; zumindest hatte sie nie dazu beigetragen, es zu lindern. Weil er als Kind so klein und zierlich und sein Gesicht laut anderen Leuten so zart wie das eines hübschen Mädchens gewesen war, hatten die Räuber ihn so entzückend gefunden... als er nach Holia gekommen war und Loron zum ersten mal gesehen hatte, hatte er gedacht: Ach, wenn ich so ein hässlicher Hanswurst wie der da wäre, wäre das sicher nicht passiert. Dann hätten sie mich nicht tätowiert oder wie eine Frau geschändet, sondern mich höchstens aufgefressen, und das wäre sicher angenehmer und nicht so entwürdigend gewesen... Er schauderte jetzt bei den Gedanken und verdrängte sie, als er das Dorf betrat, das er vor einer Weile noch halb zerfetzt hatte. Der eine Teil des Ortes rauchte noch vom vergangenen Feuer; begegnen tat er keinem Menschen, während er seine merkwürdige Hellebarde einfach mit sich herum trug und es ihm jetzt egal war, ob sie jemand sah. Falls Loron kam, um ihm die Fresse zu polieren, würde er ihm mit diesem Monsterding einfach eins überbraten... obwohl er immer noch nicht so wirklich verstanden hatte, warum Chenoa der Meinung war, dass es für ihn bestimmt war. Erbe... er konnte doch gar kein Erbe von irgendetwas sein, nur von einer Familie voller Verlierer. Sein Vater hatte unter Garantie niemals eine solche Waffe in seiner Familie gehabt. Zoras blieb stehen und betrachtete die so fein gearbeitete Klinge noch einmal, sofern das im Mondlicht möglich war. Nebenbei fiel ihm auf, dass das Licht des Mondes tatsächlich unnatürlich hell war in jener Nacht, was ihm das Betrachten immerhin erleichterte. Die Klinge der Waffe war mit unglaublicher Sorgfalt gefertigt worden. Die zierlichen Gravuren darauf mussten eine wahnsinnig mühselige Arbeit gewesen sein, die das Fingerspitzengefühl eines Meisterhandwerkers erfordert hatte, vermutete er; so, wie das Ding aussah, war es eine Spezialanfertigung, vielleicht sogar ein Unikat, es musste so sündhaft teuer gewesen sein, dass vollkommen ausgeschlossen war, dass die Derran-Familie sich so etwas jemals hätte leisten können. Und was sollte eine Familie von Leuten, die unbegabt im zaubern waren, mit einem Magiemedium? „Chenoa muss sich definitiv irren.“, murmelte der junge Mann konfus, „Ausgerechnet ich. Nicht, dass ich mich beschweren würde. Vielleicht kann ich Karana damit den Hintern versohlen.“ Der Gedanke war erfreulich, auch wenn er jetzt erst mal keine Lust hatte, dem herrischen Lyra-Prinzen zu begegnen. Aber Sagal hatte auch schon davon gesprochen... warum sollten der und Chenoa, beides Menschen mit unglaublichen Sehensgaben und großer, gefährlicher Macht, sich darin irren? Oder ihn gar anlügen... was hätten sie davon? Und was hatten sie davon, wenn er diese Waffe trug? Er zwang sich, die Gedanken auf wann anders zu verschieben, als er sich durch das Geröll von Holia kämpfte, um zur Hütte seiner Eltern zu gelangen. Er fragte sich, ob sie in Ordnung waren... der Gedanke, er könnte seine Mutter mit dem Feuer verletzt haben, verschaffte ihm Übelkeit. Er beeilte sich, voran zu kommen, und als er die Tür der Hütte aufstieß und nach Pakuna rief, antwortete ihm gähnende Leere. Die Hütte war verlassen. Zoras blinzelte in der Finsternis der kleinen, schäbigen Behausung und suchte in der Schlafnische, doch auch dort war niemand. Weder sein Vater noch seine Mutter war irgendwo zu sehen. In dem kleinen abgetrennten Badezimmer war auch kein Mensch. Seufzend stellte Zoras die Hellebarde gegen die Wand und hockte sich über die Kochstelle der Hütte, um in der Asche vielleicht noch ein brauchbares Holzstück zu finden, das er anzünden könnte. Was er fand war kaum länger als sein Daumen, aber es war besser als nichts, so entzündete er das kleine Stück Holz mit dem Feuerzauber Vaira an und erleuchtete somit wenigstens schwach die leere Hütte. „Wo sind die hin?“, wunderte er sich besorgt, „Verdammt, wenn Arlon Mutter vielleicht wieder verschleppt hat-...?! Und wo ist der Idiot von meinem Vater?!“ Fluchend fuhr er herum und fing gerade an, sich richtige Sorgen zu machen, da entdeckte er direkt neben der Haustür ein kleines Stück Pergament am Boden liegen. Das hatte er im Dunkeln natürlich nicht gesehen... rasch kehrte er zur Tür zurück, um es aufzuheben und dort tatsächlich eine Nachricht vorzufinden, die ihn irgendwie erleichterte. Zoras; wenn du das liest, sind wir fort. Komm uns nach, es gibt keinen Grund, dass wir länger in Kamien bleiben. Ich habe dich lieb... Pakuna. Seine Mutter war also wohlauf und offenbar war sein Vater bei ihr. Noch besser, der Vollpfosten hatte endlich mal die Erleuchtung bekommen, seine Frau von hier wegzubringen, wie es schien... zum ersten Mal im Leben war Zoras seinem Vater dankbar dafür, dass er existierte. Er hoffte nur, dass er auch wirklich auf Pakuna aufpasste... „Komm uns nach.“, wiederholte er die Worte seiner Mutter pikiert, „Du bist gut, Muttchen, das zu fordern und nicht zu sagen, wohin ihr eigentlich geht. Aber ich bin froh, dass es dir gut geht.“ Er verbrannte die Nachricht mit der Miniaturfackel in seiner Hand, damit nicht irgendjemand anderes noch erfuhr, dass seine Eltern getürmt waren und sie womöglich verfolgte. Unter seinem eigenen, schäbigen Schlaflager, das er jahrelang sein Bett genannt hatte, kramte er ein neues Hemd hervor, um endlich nicht mehr halb nackt einher rennen zu müssen; das angezogen und zugeknöpft schnappte er sein merkwürdiges Erbstück und verließ die Hütte und anschließend das ausgestorbene Dorf. Er würde auch nie wieder zurückkehren, so viel war gewiss. Wo wohl all die Bewohner waren? Die waren sicher nicht alle verbrannt... versteckten sie sich aus Furcht vor den zornigen Himmelsgeistern und würden nicht wagen, wieder herauszukommen, bis die Nacht vorüber war? Was immer sie durchmachten, es geschah ihnen recht. Als er Holia verlassen hatte, drang ihm noch immer der Geruch von verbranntem Fleisch und Holz in die Nase, obwohl das Dorf jetzt hinter ihm lag und der Wind aus dem Osten kam. Stirnrunzelnd hielt der junge Mann an und blickte dem Wind entgegen in die Finsternis. Und obwohl es dunkel war, erkannte er vor seinen inneren Augen die Feuer, die wüteten, die Zerstörung, die kommen würde... er sah die mit Blut besudelte, zerbrochene Erde und hörte über sich das Grollen des Himmels, und ein eisiger, unangenehmer Schauer rann ihm über den Rücken bei den Bildern, die die Geister ihm schickten, wenn er nach Osten sah... Osten. Die Richtung, in der das Dämonenreich Ela-Ri liegt... das uns angreift. Dann... hat der Krieg schon begonnen... Er keuchte, als er das Donnern nicht nur in der Vision hören konnte, sondern auch in der Wirklichkeit, und bebend drehte er den Kopf nach Südosten, als jeder dumpfe, weit entfernte Donnerschlag ihm durch Mark und Bein ging. Es war kein Donner... es waren die Trommeln des Krieges. Und sie kamen näher... sie kamen auch hierher aus dem Süden. Sie würden über Kisaras Küsten schwemmen, hinauf nach Norden, nach Nordosten und nach Nordwesten zugleich, und es waren Massen. Die Erkenntnis ließ Zoras abermals japsen und er erinnerte sich an die Worte der Geister. „Mit Feuer und Schatten... wird das Bündnis der Drei Welten zerbrechen. Und dann... wenn das Ende der Welt kommt... ist die Zeit der Sieben gekommen.“ Er fragte sich, was das bedeuten sollte – was für Sieben? Flüchtig entsann er sich, dass Neisa irgendetwas erzählt hatte... eine Seherin hatte behauptet, dass sieben Menschen auserwählt seien, die Welt zu retten. War es das? „Dann sollen diese sieben sich mal bitte beeilen!“, keuchte er ungehalten und verspürte den Drang, schneller weg zu kommen, nur fort vom Süden, fort von Kamien, fort von den grauenhaften Trommeln, die den Tod ankündigten. „Und selbst, wenn es wirklich Karana und seine Geschwister sind, und wer auch sonst noch... dann sollen sie sich beeilen und Ela-Ri zerschlagen, bevor das ganze, verdammte Reich draufgeht!“ Mit einem Fluchen umklammerte er seine Hellebarde fester und erinnerte sich an Chenoas Rat; es kam ihm plötzlich vor, als wäre es ewig her, dass er sie getroffen hatte... dabei war es noch in dieser Nacht gewesen. Die Gedanken an sie ließen ihn verlegen erröten. Diese schamlose Frau... „Sieh nach Nordosten. Die Zeit der Sieben... ist gekommen. Es ist Zeit, Kamien den Rücken zu kehren, Zoras.“ Ja, das sah er genauso. Die Gedanken an die Frau und ihre unverschämt betörende Ader verdrängend wandte er sich nach Nordosten, in der Hoffnung, in dieser Richtung vielleicht irgendetwas herauszufinden, was ihm weiterhalf... oder seine Eltern, von denen er stark hoffte, dass sie nicht ausgerechnet nach Süden geflohen waren. Sein Weg führte ihn zurück ins ausgebrannte Thalurien. In den ersten Tagen, die er alleine durch die Wildnis wanderte, einfach mal nach Nordosten gehend, fand er kaum Rast; er hatte immerzu die Furcht, die Männer aus Holia könnten ihn verfolgen, im Schlaf überfallen und ermorden, oder schlimmer, ihn die Torturen der Räuberhöhle seiner Kindheit wieder erleben lassen. Bei diesem notgeilen Sack Loron konnte er sich das beinahe vorstellen... schließlich war er der Prinz von Holia. Und Zoras hatte ihn gedemütigt... in seinem Rachedurst würde der wahnsinnige Rammler sicher darüber hinweg sehen, dass Zoras kein Mädchen war... die Gedanken machten ihn wahnsinnig und er rannte schneller, als könnte der verhasste Kerl tatsächlich plötzlich aus dem Gebüsch springen und ihn überfallen. Während er rannte, wünschte er den Mistkerlen in Holia fluchend den Tod und ärgerte sich, dass er das Dorf nicht doch ganz zerstört hatte, nachdem seine Eltern dann ja weg gewesen waren... es wäre eine gute Gelegenheit gewesen. „Die Mächte der Schöpfung werden das schon selbst erledigen...“, hatte Chenoa gesagt, und er schauderte plötzlich bei der Erinnerung – ja, richtig. Ela-Ri würde kommen und Kamien platt mähen, nichts würde übrig bleiben als verbrannte Erde und das Klagen des Windes. Die Gedanken machten ihn euphorisch und ließen ihn stehen bleiben, um schallend zu lachen. „Ja, seht ihr!“, schrie er in den wolkenverhangenen Himmel, „Der Zorn der Geister wird euch strafen für eure Abscheulichkeit! Ich werde demütig vor euch kriechen, Geister von Himmel und Erde, wenn ihr mir diesen Gefallen tut... zerreißt sie und lasst nichts von ihnen übrig!“ Die Geister antworteten mit einem dumpfen, lauernden Grollen aus dem Süden. Ernüchtert ließ der Schamane die Arme sinken und drehte sich um, um zurück zu sehen in die Richtung, aus der er gekommen war. Wie lange war er jetzt unterwegs? Thalurien lag bereits hinter ihm und es kam ihm vor, als ginge er den Weg noch einmal, den er mit Neisa gegangen war. Die Gedanken an Karanas kleine Schwester waren gleichzeitig ermüdend und stimmten ihn irgendwie unruhig. Neisa hatte eine für ihr Alter unglaubliche Weitsicht... mitunter hatte sie ihn verblüfft mit dem, was sie so gesagt hatte. Aber dann war ihm anschließend auch immer wieder aufgefallen, dass sie letztendlich eben doch nur ein halb erwachsenes, bockiges Kind blieb. Sie war erst vierzehn... und sie war noch keine richtige Frau. Und trotzdem kam es ihm mitunter, wenn er ihr Gesicht sah, vor, als wäre sie viel älter und weiser, als sie eigentlich aussah. Das waren die Momente, in denen er ihre Erscheinung als angenehm empfand... auf eine ganz tief in seinem Inneren vertraute, schöne Weise, die er nicht benennen konnte. Was war das in ihm, das sich immer so zu der bockigen Prinzessin hingezogen fühlte? Sicher war es nicht bloß die Tatsache, dass sie vernünftig mit ihm sprechen konnte, als so ziemlich einziger ihm bekannter Mensch abgesehen von Pakuna. Sie hatte weder jemals vorgehabt, ihn zu erschlagen, wie Karana, noch ihn zu benutzen, wie Loron, noch ihn zu demütigen, wie sein Vater. Sie hatte sich nur gewünscht, dass er lächelte. Er zwang sich brummend, sie zu vergessen. Neisa war weit weg... sie war in Yiara in Sicherheit, dorthin würde Ela-Ri, wenn überhaupt, nicht so rasch gelangen. Erst mussten sie an Vialla und der Streitmacht des Königs von Kisara vorbei. Und Neisas Vater war doch sicher auch noch irgendwo, der würde schon dafür sorgen, dass niemand seiner Familie zu nahe kam. Zoras hoffte, dass seine eigenen Eltern ebenfalls wohlauf waren... im Stillen wünschte er ihnen alles Gute, denn er hatte nach vielen Tagen der Reise nicht das Gefühl, dass er sie so schnell wiedersehen würde. Alleine zu reisen war überaus öde. Er war eigentlich Einzelgänger und genoss es, keine Menschen um sich herum zu haben, aber auf die Dauer war es ermüdend, durch Gebirge und Wälder zu wandern und aus Langeweile mit sich selbst zu reden. Oder mit der Hellebarde, die er manchmal fragte, ob sie ihm nicht erklären wollte, wer denn Yamir war; bisher hatte ihm die Waffe nicht geantwortet und die Geister von Himmel und Erde schwiegen ihn ebenso eisern an. Er hörte die Trommeln nicht mehr. Sie waren weit weg... er fragte sich, wo genau er eigentlich war. Sein Gefühl sagte ihm jedenfalls, er wäre noch in Kisara... vermutlich irgendwo auf den Hochebenen im Zentrum des Landes. Zoras war ein guter Jäger; sein Vater hatte ihm zwar nur wenig von seinem eigenen Können vermittelt – und Jagen war das Einzige, in dem Ram Derran jemals richtig begabt gewesen war – aber es reichte allemal, um sich jetzt selbst ernähren zu können. Er hatte nur keinen richtigen Speer; mit der Hellebarde hatte er es schon versucht, aber sie war zu massiv und flog nicht weit, oder ihr Flug machte so einen Lärm, dass jedes Beutetier rechtzeitig gewarnt wurde und fliehen konnte, ehe die Waffe scheppernd zu Boden flog. Zum Glück gab es noch den Schneidezauber Sura, den man in so einem Fall hinter den Kleintieren her jagen konnte, und der verfehlte sie selten. Als er an einem Abend irgendwo in der zerklüfteten Berglandschaft von Kisara saß, aus Reisig ein kleines Feuer entzündet hatte und darüber eine Kaninchenkeule briet, kam sein Diener, die schwarze Krähe zum ersten mal wieder zu ihm zurück. Das Tier landete flatternd auf einem größeren Felsbrocken dem Mann gegenüber und wurde vom Feuer auf seltsame Weise beleuchtet, sodass es unheimlicher aussah, als es war. „Ach, lässt du dich auch mal wieder blicken, Vogelgeist?“, fragte Zoras und war irgendwie erfreut über die Gesellschaft – wie armselig war er, dass er sich schon über die Gesellschaft eines Aasfressers freute? „Willst du jetzt meine Seele holen?“ Der Vogel legte nur mit aufgeplustertem Gefieder den Kopf schief und der junge Mann seufzte, griff nach den Resten des erlegten Kaninchens neben sich und warf dem Tier ein Stück rohes Fleisch zu. „Da, friss.“ Als hätte die Krähe darauf gewartet, stürzte sie sich auf das rohe Fleisch und zerriss es genüsslich mit dem Schnabel. Eine Weile hockten der Mann und der Vogel gemeinsam schweigend am Feuer und verzehrten die Beute, schließlich ließ sich das Tier doch dazu herab, zu sprechen. „Du fragst dich, warum du den Speer des Seelenfängers trägst... die Hellebarde des Yamir.“ Zoras hielt im Kauen inne und blinzelte überrascht. „Ach.“, machte er, nachdem er das Fleisch herunter geschlungen hatte, „Willst du mir zufällig Antworten geben? Zu gütig.“ „Du bist ein hastiger Bursche, Zoras Derran.“, erklärte der Geist der Krähe, „Du willst alles jetzt sofort wissen und verstehen, dabei dauert manches seine Zeit. Achte auf das innere Gleichgewicht... darauf, dass dein Körper und deine Seele eins werden, wenn du deine Waffe benutzt. Du hast das Potential, das dir zusteht... in deinen Adern fließt die Macht der Großkönige, von denen du abstammst. Du musst nur lernen, deine Macht zu beherrschen.“ „Ja, das beantwortet meine Fragen aber nicht.“, behauptete der Schwarzhaarige, „Kannst du mir sagen, wer Yamir ist? Und was für Großkönige sollen das sein, von denen ich abstamme?“ „Deine ersehnten Antworten kommen, wenn du aufhörst, zu suchen. Wenn du dich so verbissen darauf konzentrierst, fallen sie in den Schatten. Ich kann nur wiederholen, was alle sagen. Es ist deine Bestimmung, die Hellebarde zu tragen. Das war schon deine Bestimmung, als die Waffe verschwand vor mehreren hundert Jahren... sie hat gewartet im Schatten, auf den Tag, an dem du ein Mann sein würdest, auf den Tag, an dem sie zurückkehren würde zu ihrem rechtmäßigen Herrn.“ „Die Waffe... hat darauf gewartet?“, machte Zoras verblüfft und sah die Hellebarde vorwurfsvoll an. „Du hast mir nicht gesagt, dass du Gefühle hast, willst du vielleicht ein Stück Fleisch?!“ Er hörte das Kichern der Krähe in seinem Kopf und sah das Tier wieder an. „Weißt du, Zoras... die mächtigsten aller Waffen, die von Sterblichen geschmiedet wurden, sind jene, die ihren eigenen Geist besitzen. Das macht sie so mächtig... heutzutage gibt es nicht mehr viele der alten, mächtigen Waffen. Deine Hellebarde zum Beispiel hat einen Bruder, wenn man es so nennen will, im selben Feuer geschmiedet, im selben Moment gefertigt, mit derselben, gewaltigen Macht der Himmelsgeister. Du wirst es erkennen, wenn du es dereinst sehen wirst, das Schwert... das dein Schicksal auf die gleiche Weise bestimmt wie diese Hellebarde es tut. Die Geister... knüpfen die Bänder dort, wo sie sie haben wollen.“ Zoras zog die Stirn in Falten. „Warum ich? Es war mir vorherbestimmt, gut, weiß ich inzwischen. Aber... warum ausgerechnet mir?“ „Weil du der letzte... auf Tharr geborene Erbe des Clans bist. So hat es die Legende bestimmt vor dreihundert Jahren. Nach dir... wird kein Erbe mehr auf Tharr geboren werden.“ Zoras schauderte, als er sich die Worte durch den Kopf gehen ließ. Kein Erbe mehr? Von welchem Clan auch immer die Rede war, die Derrans konnten es unmöglich sein... wenn er der letzte Erbe war und nach ihm niemand mehr folgen würde, hieß das nicht, dass er kinderlos sterben würde? Nicht, dass es ihn überrascht hätte... er hatte keine Frau, für die er sich interessierte, und hatte nicht die Absicht, eine Familie zu gründen. Aber irgendwie war es ernüchternd, es bestätigt zu wissen... „Und wenn es meine Bestimmung ist, dieses mächtige Medium zu tragen...“, murmelte er dann dumpf, „Was... soll ich damit machen? Chenoa... hat gesagt, ich soll lernen, sie zu beherrschen. Wozu? Was... ist es denn, wozu ich auserwählt wurde?“ Der Vogelgeist krächzte und flatterte mit den Flügeln, während das Feuer zwischen ihnen knisterte. Die Augen des Tieres waren pechschwarz wie sein Gefieder, als Zoras ihm ins Gesicht blickte und plötzlich spürte, dass ihm die Antwort, wenn er eine bekäme, nicht gefallen würde. „Du... wirst in den Schatten wandern und da... wirst du dein Erbe antreten, Zoras. Das Zeichen... des Herrschers trägst du bereits. Wenn du nach Vialla kommst, wirst du es besser wissen.“ Zoras blinzelte – aber als er schon zum Sprechen ansetzte, flatterte das Tier davon in die kalte, windstille Nacht. Er keuchte und umklammerte seine Waffe, das Zeichen des Herrschers vermutlich... was sollte das heißen? In den Schatten? Doch nicht etwa nach Ela-Ri... oh nein, da würde er unter Garantie niemals hingehen. Vialla...? Soll das heißen, ich muss nach Vialla? Was... was soll ich denn da?! Grimmig darüber, dass er noch immer nicht klüger war als vorher, legte er sich neben das Feuer auf den trockenen Boden und rollte sich zusammen, um zu versuchen, etwas Schlaf zu finden. Die Geister konnten ihn mal. Entweder sie sagten nächstes Mal klipp und klar, was sie von ihm wollten, oder er würde sie so lange lynchen, bis sie es taten. Der Morgen brachte Nebel über das Gebirge. Über Nacht hatte es gefroren; Zoras war die Kälte aus Holia gewohnt, dort war es auch nie gut geheizt gewesen. Da das Dorf im Inland lag, waren die Winter durch das Kontinentalklima entgegen der trockenen, heißen Sommer verblüffend kalt. Der junge Mann schauderte jetzt ob der beißenden Kälte, als er sich schwerfällig vom Boden erhob und mit dem Fuß Sand auf die letzten, erloschenen Reste seines Lagerfeuers scharrte. Er fragte sich, was ihn geweckt hatte... es war nicht die Kälte gewesen und Hunger war es auch nicht, war er der Meinung, als er sich skeptisch umsah und durch die dicke Nebelbrühe Schwierigkeiten hatte, überhaupt viel zu sehen. Es war, als wären die Berge und das Ödland verschluckt worden von einer Masse an Geistern. Ob es so wohl im Geisterreich aussah, so neblig, verschwommen und still? Irgendwo hörte er in der Ferne das Klappern von Steinen, die von den Felsen abbrachen, vielleicht hatte ein Tier sie gelockert. Von dem Geräusch der fallenden Steine abgesehen war es unheimlich still... Zoras sah sich unwirsch in alle Richtungen um, als er das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Langsam griff er seine Waffe, um zur Not bereit zu sein, falls irgendein abgemagerter Berglöwe der Meinung sein sollte, der Mann wäre ein geeignetes Frühstück. Das konnte der knicken... Es war in diesem Moment, dass seine Instinkte ihn alarmierten und er sich rasch nach Norden wandte; und es war kein Berglöwe oder ein anderes Raubtier, das ihn beunruhigte, sondern der plötzlich rasant steigende Lärmpegel in einiger Entfernung; allem voran der Schrei einer Frau. Sein erster, panischer Gedanke war seine Mutter. Was, wenn seine Eltern auch hier in der Gegend waren und jetzt selbst von Berglöwen verspeist wurden? Dann dachte er sich, es wäre doch ein echt komischer Zufall, dass sie ausgerechnet hier herum eierten... davon abgesehen folgte dem Schrei kein Brüllen eines Löwen, sondern das Kläffen wilder Wölfe. Der Schwarzhaarige bekam kaum Zeit, einen Fuß vor den anderen zu setzen, da tauchten sie plötzlich knapp vor ihm aus dem Nebel auf, wie Geister, die aus dem Nichts erschienen, und Zoras fragte sich, ob seine Sinne ihm einen Streich spielten, als die junge Frau unverhofft gegen seine Brust rannte, zurück stolperte und keuchend zu Boden stürzte. Und sie weitete in demselben Unglauben die Augen wie er, als sie sich rasch auf die Beine rappelte. „Zoras?!“ „Neisa?!“, antwortete er ihr unverhofft; er hatte keine Zeit, sich zu fragen, was sie hier verloren hatte und wieso sie nicht in Yiara war, denn hinter ihr tauchten aus der Suppe die Wölfe auf, die sie offenbar verfolgten. Unter ihnen war ein ganz schwarzer, der aber verblüffenderweise versuchte, seine Artgenossen daran zu hindern, das Mädchen zu fressen. Karanas Hund, fiel Zoras ein, es konnte nur das seltsame Tier sein, das Karana seinen Bruder nannte, denn außer diesem hier hatte Zoras nie einen Wolf gesehen, der einem Menschen half. Als einer der wilden Wölfe den Hund in den Nacken biss und zu Boden zwang, stürzten die anderen geifernd an ihm vorbei auf die beiden Menschen zu. Sie mussten wirklich ausgehungert sein, sich ausgerechnet Menschen als Beute zu suchen... „Wieso bringst du dich immer in Schwierigkeiten, Neisa?“, empörte Zoras sich, indem er das Mädchen zurück schubst, „Verschwinde, du dummes Ding, oder willst du gefressen werden?!“ Mit diesen Worten riss er seine überlange Waffe herum und erwischte mit der Klinge mehr zufällig direkt eines der Tiere. Es wurde verletzt und zog sich jaulend zurück, worauf die anderen verdutzt inne hielten. „Na los, verpisst euch!“, befahl Zoras den übrigen Tieren, dabei schwang er die Hellebarde nach vorne und drohte ihnen mit der scharfen, blutigen Klinge. „Letzte Warnung, Freunde. Macht, dass ihr weg kommt, ich will kein unnötiges Blutvergießen.“ Die Tiere knurrten skeptisch beim Anblick der Waffe, und als sie immer noch keine Anstalten machten, davon zu laufen, riss Zoras die Waffe ein Stück herab und schleuderte ihnen einen Blitz aus der Klinge entgegen. Das war offenbar beeindruckend genug, jetzt zogen sie die Schwänze ein und rannten zurück in den Nebel. Karanas Hund erhob sich strauchelnd und kläffte ihnen triumphierend hinterher. Zoras seufzte genervt, ehe er sich zu dem Mädchen umdrehte, das sich ohne weitere Umschweife an seine Brust warf, als wäre er der letzte, rettende Ast in einem reißenden Fluss, an den sie sich klammern müsste. „Ich habe gewusst, du würdest da sein...“, keuchte sie und er war verwirrt über ihre Worte, „Ich habe es gespürt, ich habe es schon gestern gewusst, ich bin so froh... ich... bin so froh, dass du hier bist!“ Ehe er eine Chance bekam, etwas zu erwidern, hängte sie sich an seinen Hals, streckte sich und küsste jede seiner Wangen, dann seine Nase und schließlich seine Lippen. Nur kurz, und als sie von ihm abließ, war ihr Blick so verklärt, dass er kurz Angst hatte, sie stünde unter Drogen. Er war nicht fähig, darüber nachzudenken, was sie gerade getan hatte, die ganze Situation erschien ihm zu unwirklich dafür. „Was... hast du hier zu suchen?“, brachte er dann mit heiserer Stimme hervor und schauderte, als sie vor ihm erzitterte und keuchend das Gesicht senkte, das jetzt errötete. Sie schwieg eine Weile. „Die Geister haben zu mir gesagt, ich solle nach Süden gehen. Ich bin losgelaufen von Yiara aus... nur Aar ist mit mir gekommen. Aber die anderen kommen bestimmt, es heißt, die Vereinigung der Sieben wäre auf dem Hochland!“ Er runzelte die Stirn und fasste nach ihrem Gesicht. „Fieber hast du nicht, aber du redest wirr.“, murmelte er, „Du tauchst aus dem Nichts auf, stürzt dich in meine Arme, als sei ich dein seit Jahren verschollener Geliebter, und erzählst dann Unsinn! Was soll ich davon halten?“ „Geliebter...?“, murmelte sie apathisch und schauderte, offenbar unschlüssig, was sie dazu sagen sollte. Er räusperte sich verlegen. „Ich wollte nicht behaupten, dass du mich liebst, bei Himmel nicht.“, wandte er ein, „Das... wäre ja wohl wirklich verwunderlich.“ Sie trat einen Schritt zurück und musterte ihn kurz, ehe sie flüchtig den Kopf neigte. „Danke, dass du sie verjagt hast.“, sagte sie dann, „Ich bin eben ein unfähiges Mädchen... vermutlich hielten sie mich für leichte Beute. Kein Wunder, ein Mädchen und ein Hund alleine in dieser Schweinekälte... aber, sag, Zoras, was... machst du denn hier? Ich dachte, du wärst wieder in Kamien!“ „Da war ich.“, räumte er ein, „Na ja, nach... einem kleinen Zwischenfall bin ich dann weg von da, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Weg aus dem Süden... Ela-Ri wird inzwischen dort sein.“ Neisa starrte ihn panisch an. „Ela-Ri?!“ „Als ich ging, hörte ich schon die Trommeln von der Küste. Ich hoffe ja, dass euer König in Vialla so etwas wie eine Armee hat, mit der er denen Einhalt gebieten kann.“ Er musterte sie skeptisch, während der Hund winselnd um ihre Beine schlich. „Du solltest ihn heilen. Die Wölfe haben ihn gebissen, glaube ich...“ Etwas Besseres fiel ihm nicht ein, schalt er sich, das war ja großartig. Das blonde Mädchen hockte sich zu dem Tier herab und heilte mit ihrer Magie die Bisswunden, worauf Karanas Hund gleich viel munterer aussah. „Was hast du jetzt vor, Neisa? Was... ist das mit den Sieben, wovon du sprichst? Hat es mit dieser Seherin zu tun?“ „Oh, ja. Inzwischen ist noch ein zuyyanischer Söldner gekommen, Yarek, der hat auch davon gesprochen und eine Seherin namens Chenoa soll ihn beauftragt haben, die Sieben zu beschützen.“ Zoras hustete. „Chenoa?!“, rief er erschrocken und errötete bei dem Gedanken an die Frau; wenn er nur ihren Namen hörte, musste er unweigerlich an die schamlose Vereinigung denken... auch, wenn es eigentlich eine angenehme Erinnerung war. „Ja, sie ist die Beraterin des Kaisers von Zuyya!“ „Das weiß ich zur Genüge, danke... ich... kenne sie.“ Neisa wirkte erstaunt. „Du kennst Chenoa von Zuyya?! Wie jetzt, woher denn das?“ Er räusperte sich. „Sie tauchte vor einigen Jahren mal bei mir auf und hat lauter mysteriöse Dinge gesagt. Anstrengende Person, die mehr weiß, als einem recht sein kann...“ Und sie war eine geschickte Liebhaberin... er hütete sich, Neisa das zu sagen. „Ist ja faszinierend!“, behauptete das Heilermädchen vor ihm verwirrt, „Du kennst Chenoa! Was... was hat sie denn gesagt, wenn ich fragen darf?“ Er seufzte und hob kurz die Waffe hoch. „Sie hat mir das hier gegeben und behauptet, es sei mein Erbstück. Ziemliches Monsterding, wenn ich erst mal raus habe, wie man es effektiv benutzt, ist es sicher bestialisch.“ Er sah, wie ihre verschiedenen Augen sich ungläubig weiteten und wie sie die Hellebarde lange betrachtete. „Das Ding ist gigantisch groß...“, keuchte sie, „Du... du hast vorhin damit gezaubert, oder irre ich mich?“ „Es ist ein Magiemedium. Eine wirklich fürchterliche Waffe, wenn der Träger sie nutzen kann. Du weißt sicher nicht zufällig, wer Yamir ist oder war? Sagal nannte die Waffe Hellebarde von Yamir... aber irgendwie möchte mir niemand sagen, wer das eigentlich ist.“ Wie er erwartet hatte, schüttelte sie den Kopf; aber ihr Blick veränderte sich, als er davon sprach, obwohl er nicht verstand, inwiefern und warum. Neisa war seltsam gewesen die letzten Male, die er sie getroffen hatte... er erinnerte sich an die Reise mit ihr und an die Momente, in denen sie plötzlich so anders gewesen war... fremd, aber auf eine bizarre, tief verborgene Weise auch vertraut... dieser starre, wissende Blick in ihren merkwürdigen Augen, mit dem sie ihn jetzt ansah, das Gefühl, wie sie sich vorhin an ihn gehängt hatte, ja, selbst wie sie ihn geküsst hatte. Es kam ihm seltsam vor, dass es sich gut anfühlte... so, als hätte er seit Jahrhunderten auf diesen Moment gewartet, in dem sie vor ihm stand und ihn auf diese Weise ansah. Ihr Blick betörte ihn irgendwie, obwohl er sicher war, dass das nicht ihre Absicht war. Irgendetwas in ihm verlangte plötzlich danach, sie wieder an sich zu ziehen und sie auch zu küssen, nur heftiger, intensiver... Er schalt sich einen Narren. Was war denn los mit ihm, hatten ihn jetzt alle guten Geister verlassen, dass er sich ernsthaft einbildete, sexuelles Interesse an Karanas Schwester zu haben? Ausgerechnet... Karana würde ihm den Kopf abreißen. Er hatte keine Angst vor dem Sohn des Herrn der Geister, das hieß aber nicht, dass es klug war, ihn offen herauszufordern. Der junge Mann seufzte ergeben, als er den Blick von dem Mädchen abwandte und sich dann daran machte, an ihr vorbei zu gehen. „Vergib mir, Neisa.“, murmelte er, „Ich will dich nicht länger aufhalten. Da du und der Hund ja jetzt in Ordnung seid, entschuldige mich.“ Das Mädchen drehte ungläubig den Kopf, als er an ihr vorbei ging, und sie schnappte nach Luft. „Du rennst weg?“, fragte sie dumpf, „Vergib mir? Das ist alles und... dann rennst du weg?“ Zoras blieb stehen und sah über die Schulter zu ihr zurück. „Warum? Gibt es noch etwas, das wir zu klären hätten?“ Sie öffnete bereits den Mund, dann sprach sie aber doch nicht. Sie wollte ihm sagen, dass er sie an das Gewitter erinnerte, das sie zugleich aufregte und ängstigte. Sie wollte ihm sagen, dass sie das Gefühl hatte, in seiner Nähe das Feuer des Blitzes zu fangen und darunter unter Schmerzen zu verbrennen... aber auf bizarre Weise war es nicht zwingend unangenehm... die Gedanken verwirrten sie. Warum fühlte sie sich immer so, wenn sie mit ihm alleine war? Es war gleichzeitig berauschend und doch abstoßend, und sie wusste im selben Moment auch, dass es nicht gut war, was sie so dachte oder fühlte. Es beschämte sie, nichts antworten zu können auf seine Frage, so senkte sie mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf. Sie konnte nicht darüber sprechen... „Du hast Lorana angezündet.“, murmelte sie dann, um irgendetwas zu sagen, und sie hörte, wie er die Luft ausstieß. Eigentlich hatte sie über das Thema nicht mehr sprechen wollen... sie konnte es mit Reden nicht rückgängig machen und er konnte es auch nicht, ob es ihm nun leid tat oder nicht. Es war Wille der Geister gewesen... genau wie das Feuer, das sie spürte und das ihr Kopfschmerzen bereitete. „Das hatten wir doch geklärt.“, schnarrte er da und war offenbar nicht angetan von dem Thema, „Dann zürne mir eben den Rest deines Lebens, Neisa, ich habe es wohl verdient.“ Sie ballte die Fäuste und kämpfte innerlich gegen das Pochen ihres Schädels an, das ihr schwindelig werden ließ. Sie sah ihn an, ihm in sein bildhübsches Gesicht und seine dämonischen Schlitzaugen, und sie wollte ihn festhalten, sie wollte, dass der Blitz sie verbrannte und die Flammenkinder wachsen ließ... gleichzeitig wollte sie wegrennen, sich in einer dunklen Höhle verstecken und ihn von jetzt an meiden. Sie dachte an Tayson, dessen Anwesenheit sie beruhigt hatte, obwohl er gar nichts wirklich Imposantes getan hatte... oder vielleicht gerade deswegen. Tayson regte sie nicht auf. Er gab ihr Schutz vor dem Feuer, das sie so anzog, obwohl sie genau wusste, wie gefährlich es war... Und dennoch hatte sie die schützende Umarmung verlassen und war wieder zurück zur Gefahrenquelle gekehrt. Sie war töricht... „Ich kann dir nicht zürnen...“, hörte sie sich selbst wispern und sie war verwirrt darüber, dass sie das sagte. Zoras zog eine Braue hoch und war offenbar ebenfalls verwirrt. „Du... bist kein böser Mensch. Du kannst lächeln... ich habe es gesehen. Tu es für mich... noch einmal. Lächle...“ Er zuckte nur missmutig mit einem Mundwinkel. „Dann gib mir einen Grund, um den ich lächeln soll. Im Moment sehe ich dazu keinen Anlass.“ Sie schwieg eine Weile. „Ich habe von dir geträumt, ehe ich dich traf. Ich glaube, die Geister von Himmel und Erde wollten von Anfang an, dass ich herkomme, um dich zu finden. Ich... habe es selbst nicht gleich bemerkt... vielleicht bin ich gar nicht wegen der Sieben weggerannt, sondern, weil ich... dich sehen wollte. Es verwirrt mich, dich zu sehen, aber irgendwie macht es... mich immer glücklich. Ich habe... keine Angst vor dir...“ Nur vor dem Blitz fürchtete sie sich. Und sie wusste, dass er der Herrscher der Blitze war, wenn er zauberte... er war ein begnadeter Magier, und er stand nicht hinter ihrem Bruder zurück. Zoras murrte. „Was du sagst, lässt mich nicht lächeln, sondern verwirrt mich immer mehr. Es ehrt mich, dass du dich freust, mich zu sehen, aber Sinn ergibt es irgendwie nicht. Solltest du nicht den Mann, den dein eigener Bruder so verabscheut, ebenfalls hassen? Warum hast du es dann nie getan? Das ist pietätlos... hätte ich einen großen Bruder, würde ich zu ihm halten. Glaube ich.“ „Auch, wenn dein Bruder wie Karana wäre?“, fragte sie kalt und er blinzelte, während sie sich noch selbst darüber wunderte, wie herzlos sie war, wenn sie jetzt an ihn dachte. „Wenn du einen Bruder hättest, der nach seinem Vergnügen mit den Frauen macht, was er will – zugegeben wenigstens mit ihrem Einverständnis, im Gegensatz zu Loron – der glaubt, die ganze Welt und alles darin müsste ihm gehören und dem es nur um seine eigene Befriedigung geht? Mir tut das Mädchen leid, mit dem er jetzt seit einer Weile das Bett teilt... sie sieht aus wie Saidah. Wird sie dann jemals etwas anderes für ihn sein als sein Saidah-Ersatz? Nein... Karana ist verblendet. Natürlich mag ich ihn trotzdem, er ist mein Bruder. Aber zu ihm halten kann ich erst, wenn ihm jemand eines Tages so heftig ins Gesicht geschlagen hat, dass er die Augen aufmacht und feststellt, dass die Welt sich nicht um Prinz Lyra drehen wird. Du bist nicht verblendet, Zoras... du bist nur... zu dicht an den Schatten. Und sie fressen dich auf... ich will nicht, dass du gefressen wirst. Ich würde... um dich weinen.“ Dann senkte sie den Kopf und hörte, wie er sich räusperte. Er schwieg lange... als er sprach, wurden ihre Kopfschmerzen heftiger und sie fuhr zusammen. „Dann... werde ich ihm ins Gesicht schlagen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe. Du willst, dass ich lächle... und selbst hast du es auch schon lange nicht mehr getan. Ich werde es tun, wenn du es auch tust, Neisa. Darauf gebe ich dir mein Wort.“ Sie hob den Kopf wieder, obwohl er schmerzte, und erzitterte, weil der Mann plötzlich dichter vor ihr stand. Er seufzte, hob eine Hand und streckte sie nach ihrem Gesicht aus, um sie zu berühren... und sie wünschte sich, dass er es tat. Sie wünschte sich, er würde sie anfassen und nicht mehr loslassen... es würde brennen, aber es wäre ein gutes Feuer, oder nicht? Die Gedanken waren so berauschend und lösten in ihr eine quälende Sehnsucht aus, als sie darauf wartete, dass er sie im Gesicht berührte... aber kurz vor ihrer Wange hielt er inne, blickte sie schweigend an und ließ die Hand dann unverrichteter Dinge wieder sinken. Das Mädchen war zugleich enttäuscht und dennoch erleichtert... ihre Gefühle machten sie krank. Und sie sehnte sich nach Taysons Schutz... „Dann warte mit mir in den Bergen, bis die anderen kommen.“, verlangte sie leise, „Dann wird Karana kommen. Dann kannst du ihn schlagen. Vielleicht nimmt sein Geist dann mal Vernunft an... ich wünsche es mir... so sehr.“ Plötzlich fühlte sie sich ausgelaugt; es musste von der langen, harten Reise durch den Schnee und dann durch das vom Wind gepeitschte Tal des Hochlandes kommen. Sie strauchelte und hörte den Hund winseln, ehe sie sich an dem Felsen neben ihr abstützte und erzitterte, weil ihre Knie nachzugeben drohten. „Vergib mir, ich... verlange viel von dir.“ „Na ja.“, machte er mit einem leisen Seufzen, „Es ist wohl einfach Wille der Geister, der uns immer auf so komische Weise zueinander führt. Du bist müde... ruhe dich aus. Wenn du einmal die Welt retten sollst mit deinen sechs Verbündeten, musst du ausgeruht sein.“ Sie lachte bitter, indem sie sich tatsächlich zu Boden sinken ließ und sich zitternd die blonden Haare raufte. „Ich frage mich immer... was die Geister dabei geritten hat, nur sieben Menschen auszusuchen... ich weiß nicht mal, was wir tun sollen. Glaubst du, die Seherin hat gelogen? Vielleicht gibt es gar keine Sieben.“ „Vermutlich wird es sich zeigen.“, machte er und zuckte mit den Schultern, „Aber ich glaube, letzten Endes macht es keinen Unterschied, ob es sie gibt oder nicht. Die Geister... lenken uns auf die Wege, die sie für uns bestimmt haben. Und wenn wir weglaufen, machen wir nur einen Umweg, wir kehren immer wieder dorthin zurück, wo sie uns haben wollen. Wir Sterbliche sind nichts anderes als Spielfiguren. Und das Spiel ist grausam, egal, welche Sieben am Ende auserkoren sind, die Welt zu retten. Viel wichtiger ist die Frage, ob es... sich lohnt, die Welt zu retten. Sag es mir, Neisa. Du als Auserwählte... wofür würdest du die Welt retten wollen?“ Sie sah ihn verblüfft an. „Was?“ „Entweder sie geht unter... wovon wir alle schon lange Visionen haben... oder sie wird gerettet. Wenn sie untergeht, sterben wir alle, alle ereilt dasselbe Schicksal. Und der Witz ist, dieses Schicksal ereilt uns so oder so, egal, in welcher Welt, egal, auf welche Weise. Ich meinerseits kenne mehr Menschen, die den Tod verdienen, als solche, die das Leben verdienen. Ich habe gelernt... dass die Welt ein furchtbarer Ort ist und das Schlachtfeld der Spielfiguren der Geister. Mehr nicht.“ Neisa sah zur Seite und runzelte einen Moment die Stirn, als sie über seine Worte nachdachte. „Du würdest sie nicht retten, oder? Wenn du es wärst, der an meiner Stelle wäre... du würdest es nicht tun.“ „Sagen wir, das kommt auf den Preis an. Wenn die Geister mir versprechen würden, den Schatten... in meiner Seele zu zerreißen, würde ich es tun.“ Sie fragte sich kurz, was für einen Schatten er meinte. Dann dachte sie an seine bizarre Tätowierung und sagte sich, dass seine Vergangenheit gewiss schmerzhaft und voller Finsternis gewesen sein musste... es musste daran liegen. Die Gedanken waren ernüchternd. „Dann rette ich sie für dich.“, sagte sie leise, und sie sah, wie er vor ihr verblüfft zusammenfuhr. „Dann... rette ich sie... und nehme dir deine Schatten. Damit ich dich noch einmal lächeln sehe. Dein Lächeln... ist es mir wert...“ _______________________ Yeah, Zorchen xD und Neisa xD Ihr erster Kuss, obwohl er sehr random war XD Hosted by Animexx e.V. 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